Datenschutzrecht

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa
2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)

a) Volkszählungsurteil als Ursprung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

67

Das BVerfG hat 1983 in seinem wegweisenden Volkszählungsurteil, in dem das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des damaligen Volkszählungsgesetzes zu beurteilen hatte, aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet.[1] Darunter ist die Befugnis des Einzelnen zu verstehen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.[2] Das Gericht hat also das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in einem Spezialbereich konkretisiert und damit ein allgemeiner gefasstes Grundrecht im Lichte des gewandelten Realbereichs interpretiert. Aufgrund der Beeinflussung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art. 1 Abs. 1 GG besteht auch für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein entsprechender Menschenwürdebezug. Der Schutzbereich erstreckt sich auf jede Form der Erhebung personenbezogener Informationen.[3] Gerade vor dem Hintergrund der modernen Datenverarbeitungsmöglichkeiten setzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Schutz des Einzelnen gegen eine unbegrenzte Verarbeitung seiner persönlichen Daten voraus. Die im Bereich der elektronischen Kommunikation häufig fehlende Transparenz und die Nichterkennbarkeit der vielfältigen Datenverarbeitungsvorgänge kann sich auf das Kommunikationsverhalten der Nutzer negativ auswirken. Daher hat der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch das Ziel, Einschüchterungseffekte zu verhindern, die dann entstehen können, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß.[4] Die Vermeidung abschreckender Effekte durch fremdes Geheimwissen stellt eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens dar.[5] Dabei fasst das BVerfG den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung weit, wenn es feststellt, dass es vor dem Hintergrund der Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten der Informationstechnologie unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein an sich „belangloses“ Datum mehr geben kann.[6] Jegliches Datum fällt demnach in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Wichtig ist es gleichwohl zu betonen, dass es um eine Selbstbestimmung geht, die sich auch darin äußern kann, Daten in großem Umfang – etwa in sozialen Netzwerken – preiszugeben. Insofern ist die verfassungsrechtliche Konzeption begrifflich nicht paternalistisch angelegt. Sofern etwa eine Einwilligung auf Basis von Transparenz und Freiwilligkeit erfolgt, kann sie daher problemlos Datenverarbeitungsprozesse legitimieren und sie ist gerade Ausdruck des Konzepts der informationellen Selbstbestimmung. Insoweit ist die neuerdings wieder proklamierte Bedeutung einer „Datensouveränität“ letztlich „alter Wein in neuen Schläuchen“, da dies schon immer der Konzeption einer informationellen Selbstbestimmung entsprach.[7]

68

Das BVerfG hat demnach visionär noch im „Lochkarten-Zeitalter“ und anhand eines in Bezug auf die Eingriffsintensität vergleichsweise harmlosen Falls auf eine sich abzeichnende Entwicklung reagiert, die erst in jüngerer Zeit durch die rasant gestiegenen Möglichkeiten der Verknüpfung verteilter Datenbestände massiv an Bedeutung gewonnen hat.

69

Das so entwickelte Grundrecht enthält zunächst eine materiell-rechtliche Dimension. Dazu gehört auch eine strenge Zweckbindung, die einen Gesetzeswortlaut verlangt, der die Zweckfestlegung im Gesetz selbst klarwerden lässt,[8] insbesondere sofern es um die Datenverarbeitung durch öffentliche Entitäten geht.[9] Eine Datensammlung auf Vorrat ohne zuvor festgelegten Zweck ist mithin verboten.[10] Allein ein strenges Zweckbestimmungsgebot und ein anspruchsvoller Gesetzesvorbehalt reichen indes nicht aus, um die realen Gefährdungen hinreichend einzudämmen. Daher tritt ergänzend eine Grundrechtssicherung durch Verfahren und Organisation hinzu, die sich insbesondere in Form von Informationspflichten und institutionellen Einrichtungen wie der eines Datenschutzbeauftragten entfaltet. Eine derartige Flankierung ist auch vor dem Hintergrund der typischen Grundrechtseingriffe erforderlich, die häufig eher aus kleinen Nadelstichen denn aus eingriffsintensiven Maßnahmen bestehen. Die Konkretisierung jener begleitenden Organisationsaufgaben ist sodann Aufgabe des Gesetzgebers.

70

Zugleich hat das BVerfG betont, dass ein derartiges Verfügungsrecht nicht schrankenlos gewährleistet sein kann. Trotz des Menschenwürdebezuges erlaubt die Gemeinwohleinbindung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eine Öffnung gegenüber Beschränkungen, die durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt sind. Diese bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage, die insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot der Normenklarheit entsprechen muss.[11] In der Folge ist ein entsprechendes Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten in zehn der 16 Landesverfassungen der Bundesländer verankert.

Anmerkungen

[1]

Skeptisch gegenüber der Verselbstständigung als eigenes Grundrecht Simitis, NJW 1984, 398 (399).

[2]

BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung.

[3]

BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung; Urt. v. 17.7.1984, 2 BvE 11/8367 = BVerfGE 67, 100 (143) – Flick-Untersuchungsausschuß.

[4]

BVerfG, Urt. v. 2.3.2006, 2 BvR 2099/04 = BVerfGE 115, 166 (184) – Kommunikationsverbindungsdaten.

[5]

Vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung.

[6]

BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) = NJW 1984, 419 (423) – Volkszählung.

[7]

Siehe dazu Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, 2018; Kühling, DuD 2020, 182 (185 ff.).

[8]

BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (46) – Volkszählung; siehe auch Urt. v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89 = BVerfGE 84, 239 (280) – Kapitalertragssteuer; Beschl. v. 7.3.1995, 1 BvR 1564/93 = BVerfGE 92, 191 (197) – Personalienangabe.

[9]

Zur Bedeutung der Unterscheidung zwischen einer Datenverarbeitung durch private und öffentliche Stellen vgl. auch Kingreen/Kühling, JZ 2015, 213.

[10]

BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 = NJW 1984, 419 (422) – Volkszählung.

[11]

BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43 f.) – Volkszählung; Beschl. v. 4.4.2006, 1 BvR 518/02 = BVerfGE 115, 320 = MMR 2006, 531 (532) – Rasterfahndung II.

b) Weiterer dogmatischer Ausbau

71

Seit dem Volkszählungsurteil hat sich das BVerfG in zahlreichen weiteren Entscheidungen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung befasst und das Grundrecht dabei konkretisiert und fortentwickelt.

aa) Schutzbereich

72

Die Weite des Schutzbereichs prägt auch die Folgerechtsprechung des BVerfG. Entsprechende Ausführungen hat das Gericht in der Entscheidung zum Abruf der Daten der Kontenevidenzzentrale[1] gemacht, in der es § 93 Abs. 8 AO wegen Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit für verfassungswidrig erklärte.[2] Diese Bestimmung zielte darauf ab, verschiedenen Behörden Zugriff auf Informationen zum Bestehen von inländischen Konten und Depots zu verschaffen. Das BVerfG stellte fest, dass der grundrechtliche Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schon auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnt.[3] Diese Gefährdungslage könne bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen benennbarer Rechtsgüter entstehen.[4]

73

Eine weitere Klarstellung nahm das BVerfG in der Entscheidung zur automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen im Jahr 2008 vor. Das Gericht hatte über die Verfassungsmäßigkeit von polizeirechtlichen Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein zu befinden, die zur automatisierten Erfassung der amtlichen Kennzeichen von Kraftfahrzeugen ermächtigen. Dabei werden die Fahrzeuge zunächst von einer Videokamera aufgezeichnet, wobei mittels Software aus dem Bild das Kennzeichen ausgelesen und schließlich automatisch mit polizeilichen Fahndungsdateien abgeglichen wird. Das Gericht stellte hier fest, dass der grundrechtliche Schutz nicht bereits aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit der betroffenen Informationen entfällt. Auch wenn die betroffene Person sich in die Öffentlichkeit begebe, erstrecke sich der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch auf ihr Interesse, dass die damit verbundenen personenbezogenen Informationen nicht im Zuge automatisierter Informationserhebung zur Speicherung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden.[5] Dabei hatte das BVerfG zunächst einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zunächst von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht und einen solchen für den Fall eines „Nichttreffers“ im Regelfall verneint.[6] Inzwischen hat das BVerfG die Grundrechtssensibilität durch die automatische Kennzeichenerfassung in einer weiteren Entscheidung noch stärker betont und diese Linie ausdrücklich aufgegeben.[7]

 

Anmerkungen

[1]

BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 – Kontostammdaten.

[2]

Vgl. dazu bereits Kühling, ZRP 2005, 196.

[3]

BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 (1200) – Kontostammdaten.

[4]

BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 (1200 f.) – Kontostammdaten.

[5]

BVerfG, Urt. v. 11.3.2008, 1 BvR 2074/05 = BVerfGE 120, 378 = EuGRZ 2008, 186 (Juris-Rn. 67) – Automatisierte Kennzeichenerfassung.

[6]

BVerfG, Urt. v. 11.3.2008, 1 BvR 2074/05 = BVerfGE 120, 378, Rn. 68 – Automatisierte Kennzeichenerfassung.

[7]

BVerfG, Beschl. v. 18.12.2018, 1 BvR 142/15 = BVerfGE 150, 244, Leitsatz 1 – Kfz-Kennzeichenkontrolle II.

bb) Drittwirkung/Schutzpflichten

74

Im Wege der Schutzpflichtenkonstruktion bzw. im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ferner auf den privaten Bereich mit vergleichbaren Gefährdungslagen zu erstrecken. Das heißt aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich auch ab, dass der Staat Private im horizontalen Verhältnis gegenüber Datenschutzgefährdungen durch andere Private in ihrer informationellen Selbstbestimmung schützen muss.[1] Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bezogen ausgeführt, dass dieses als Norm des objektiven Rechts seinen Rechtsgehalt auch im Privatrecht entfaltet und deshalb die Judikative im Rahmen einer privatrechtlichen Streitigkeit den Schutzgehalt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beachten hat, wenn sie nicht das Grundrecht des Bürgers in seiner Funktion als Schutznorm verletzen will.[2] In seiner späteren Rechtsprechung hat das Gericht dies erneut bestätigt und nochmals betont, dass es die „Aufgabe des Rechts“ sei, insbesondere dann, wenn „in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann […] auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt.“[3] Insgesamt ist jedoch zu betonen, dass sich der Großteil der Rspr. des BVerfG auf die Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen – und insbesondere den Sicherheitsbereich bezieht.[4]

75

Besondere Brisanz kommt der Drittwirkungsproblematik in multipolaren Grundrechtskonflikten zu. Dies wird exemplarisch deutlich im Rahmen der in der Praxis äußerst relevanten Vaterschaftsfragen. So hatte das BVerfG bereits im Jahr 2007 einen Fall zu entscheiden, in dem ein Scheinvater dagegen vorgehen wollte, dass ein heimlich erstelltes privates Abstammungsgutachten, mit dem er seine biologische Vaterschaft ausschließen konnte, vor Gericht nicht anerkannt worden war.[5] Ein einwilligungsunabhängiges Verfahren zur Vaterschaftsfeststellung war damals nicht vorgesehen. Dies war nur inzident im Rahmen der Vaterschaftsanfechtung möglich. Das BVerfG stellte hier fest, dass das konfligierende Recht des Kindes auf Nichtwissen wie auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter angesichts der großen Bedeutung der entsprechenden Kenntnis des „Vaters“ zwar grundsätzlich zurückzutreten habe, weil sich aus den korrespondierenden Vaterpflichten eine besondere Schutzwürdigkeit ergebe. Im konkreten Fall überwiege das Recht des Vaters aber dennoch nicht, da die betreffende Feststellung (vor dem Hintergrund der damaligen Verfahrenslage) zwingend auf eine Statusänderung gerichtet sei und überdies aufgrund des heimlichen Charakters ein erheblicher Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes sowie der Mutter vorliege. Gleichzeitig wies das Gericht aber auf die staatliche Schutzpflicht für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vaters hin, die es infolge des Mangels an einem geeigneten Verfahren zur Abstammungsklärung verletzt sah. Der Gesetzgeber hatte demgemäß einen angemessenen Verfahrensweg zu eröffnen, der insbesondere nicht zwingend mit einem Anfechtungsverfahren verbunden werden durfte.[6]

76

Ebenfalls in einer Vaterschaftskonstellation entschied das BVerfG in jüngerer Zeit, dass die richterrechtliche Verpflichtung einer Frau, über die Person des mutmaßlichen leiblichen Vaters Auskunft zu erteilen, diese in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzte.[7] In der Preisgabe einer geschlechtlichen Beziehung zu einem bestimmten Mann liege die Offenbarung intimster Vorgänge ihres Privatlebens. Die bereits erfolgte Offenbarung des Mehrverkehrs in der Empfängniszeit aufgrund einer vorangegangenen erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung verbrauche nicht das spezifisch geschützte Recht der Beschwerdeführerin, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen.[8] Mangels hinreichend deutlicher Grundlage im geschriebenen Recht habe die entsprechende gerichtliche Verpflichtung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten.[9] Diese seien bei einer Verschlechterung der rechtlichen Situation des Einzelnen dergestalt enger gesteckt, als die Rechtsfindung sich umso stärker auf die Umsetzung bereits bestehender Vorgaben des einfachen Gesetzesrechts beschränken müsse, je schwerer die beeinträchtigte Rechtsposition auch verfassungsrechtlich wiegt.[10] Der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung der Frau, die mittelbar auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Familienleben eines zu benennenden Mannes tangiere, stehe hier allein das Interesse des Scheinvaters an einer Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit seines einfachgesetzlichen Regressanspruchs gegenüber.[11] Der Privatrechtsgesetzgeber war hierbei nach Auffassung des Gerichts angesichts des ihm zuzugestehenden Ausgestaltungsspielraums nicht verfassungsrechtlich gezwungen, einen durchsetzungsstärkeren Regressanspruch zu schaffen.[12]

Anmerkungen

[1]

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.10.2006, 1 BvR 2027/02 = BVerfGK 9, 353 = WM 2006, 2270 (Juris-Rn. 30); Beschl. v. 11.6.1991, 1 BvR 239/90 = BVerfGE 84, 192 (194 f.) – Offenbarung der Entmündigung.

[2]

BVerfG, Beschl. v. 23.10.2006, 1 BvR 2027/02 = BVerfGK 9, 353 = WM 2006, 2270 (Juris-Rn. 30); Beschl. v. 11.6.1991, 1 BvR 239/90 = BVerfGE 84, 192 (194 f.) – Offenbarung der Entmündigung.

[3]

BVerfG, Beschl. v. 23.10.2006, 1 BvR 2027/02 = BVerfGK 9, 353 (Juris-Rn. 31).

[4]

Siehe dazu die umfassende Auswertung der Rechtsprechung bei Kühling, Die Verwaltung 2011, 525.

[5]

BVerfG, Urt. v. 13.2.2007, 1 BvR 421/05 = BVerfGE 117, 202 – Vaterschaftsfeststellung.

[6]

Der Gesetzgeber reagierte mit dem Gesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren, in Kraft getreten am 1.4.2008 (BGBl I 2008, 441), das insbesondere die zentrale Neuregelung in § 1598a BGB mit einem Anspruch auf (vorherige!) Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung enthielt. Das entsprechende Verfahren tritt dabei als grundsätzlich außergerichtliches Verfahren neben das gerichtliche Vaterschaftsanfechtungsverfahren.

[7]

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14 = BVerfGE 138, 377 – Mutmaßlicher Vater.

[8]

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14 = BVerfGE 138, 377, Rn. 33 – Mutmaßlicher Vater.

[9]

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14 = BVerfGE 138, 377, Rn. 35 – Mutmaßlicher Vater.

[10]

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14 = BVerfGE 138, 377, Rn. 41 – Mutmaßlicher Vater.

[11]

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14 = BVerfGE 138, 377, Rn. 45 f. – Mutmaßlicher Vater.

[12]

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14 = BVerfGE 138, 377, Rn. 46 – Mutmaßlicher Vater.

cc) Abwägungstopoi

77

Im Übrigen haben sich im Laufe der Zeit bestimmte Abwägungstopoi herauskristallisiert, die das BVerfG immer wieder heranzieht. So ist für die Eingriffsintensität maßgeblich, ob die betroffene Person für die Maßnahme einen Anlass gibt und wie dieser beschaffen ist.[1] Desweiteren spielt die Verdachtslosigkeit und Streubreite des Eingriffs eine Rolle. Es kommt also darauf an, ob zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen.[2] Ferner sind die Heimlichkeit des Eingriffs[3] und die Intensität der von der Maßnahme ausgehenden Einschüchterungseffekte zu berücksichtigen.[4] Auf der anderen Seite kommen die Bedeutung der zu schützenden Güter und das Ausmaß ihrer Gefährdung zum Tragen. In seinem neueren Beschluss Antiterrordateigesetz II äußerte sich das BVerfG auch zum Eingriffsgewicht durch die „erweiterte Nutzung“ von personenbezogenen Daten (sog. Data-mining) im Zuge einer Verbunddatei der Polizeibehörden und der Nachrichtendienste.[5] Die gemeinsame Nutzung durch diese Stellen führe zu einem erhöhten Eingriffsgewicht, weshalb Data-mining nur für den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter in Betracht kommen kann und die Rechtsgrundlage hierfür normenklar und hinreichend präzise sein muss.[6] Diese erhöhten Anforderungen sind auf das informationelle Trennungsprinzip zurückzuführen.[7] Danach dürfen Daten grundsätzlich nicht zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden ausgetauscht werden. Eine Ausnahme hiervon ist nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter möglich und sofern die entsprechenden Daten nach verfassungsrechtlichen Maßstäben auch für den geänderten Zweck neu erhoben werden dürften (Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung).[8] Auch in der Bestandsdatenauskunft II-Entscheidung[9] des BVerfG legt dieses fest, welche Art der Gefährdung, bzw. welcher Verdachtsgrad vorliegen, und welche Rechtsgüter für eine manuelle Auskunft von Bestandsdaten betroffen sein müssen (siehe dazu → Rn. 98, 951).

 

78

Diese Abwägungstopoi werden besonders deutlich am Beispiel der Entscheidung zur Rasterfahndung.[10] Im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen über die Anordnung einer präventiven polizeilichen Rasterfahndung stellte das BVerfG fest, dass der durch die Ermächtigung zur Rasterfahndung ermöglichte Grundrechtseingriff eine hohe Eingriffsintensität aufweist. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass dieser sowohl durch seine Verdachtslosigkeit als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet ist. Denn es werden zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und die den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben.[11] Zwar sei der betreffende Eingriff angesichts der hochrangigen Verfassungsgüter, denen er dient (Bestand und Sicherheit des Staates, Leben, Leib und Freiheit der Bevölkerung), nicht schon als solcher unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber dürfe ihn aber erst von der Schwelle einer hinreichend konkreten Gefahr für die bedrohten Rechtsgüter an vorsehen.[12] Auch in dem bereits erwähnten Urteil zur automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen aus dem Jahr 2008 stellte das BVerfG maßgeblich auf die Kriterien der Streubreite, Anlasslosigkeit, Heimlichkeit und der Einschüchterungswirkung potentieller Maßnahmen ab.[13]