Tagebuch eines Hilflosen

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20.01.2019

Halbzeit. Nur ohne Pause.

21.01.2019

Einspielergebnisse sind nicht länger nur was für Kinofilme. In den USA sind sie inzwischen zu einem Zeichen (kommenden) politischen Erfolgs geworden und haben entsprechenden Nachrichtenwert. Nachdem die demokratische Senatorin Kamala Harris heute Morgen – pünktlich zum Martin Luther King Day – ihre Präsidentschaftskandidatur für 2020 bekannt gegeben hat, vermeldeten die Agenturen am Abend, dass ihr Wahlkampfkonto nach nur einem Tag bereits mit 1,5 Millionen Dollar gefüllt sei. 38.000 Leute, so heißt es, haben Geld für Harris’ Bewerbung gespendet. Außerdem sei der E-Mail-Verteiler ihrer Kampagne um 20 % gewachsen, auf Instagram seien über 100.000 neue Follower hinzugekommen, und das Video, in dem sie ihre Kandidatur bekannt gab, sei binnen 24 Stunden rund sechs Millionen mal angeklickt worden.

Es scheint, als seien Dollars, Klicks und Follower die zentralen Marksteine der neuen politischen Landschaft. Aber da ist noch mehr, denn nach Angabe der Nachrichtenagenturen hat Harris in nur 12 Stunden mit T-Shirts, Taschen und anderen Produkten aus ihrem Merchandising-Shop 110.000 Dollar verdient. Dies, so heißt es, sei ein neuer Rekord. Man könnte es aber auch so ausdrücken: Aus Martin Luther Kings »March on Washington« ist der »Merch for Washington« geworden.

22.01.2019

Oberbefehlshaber Trump fragt: Transgender beim US-Militär?

Oberster Gerichtshof antwortet: Transgender beim US-Militär!

23.01.2019

Verdammtes Haushalten, jetzt muss ich’s aushalten. Wollte in die Schweiz zu diesem Supergipfel. Meine Leute hatten sogar schon die Hotelzimmer gebucht. Aber jetzt bin ich gezwungen, wegen dieses Shitdowns hierzubleiben, und die 3 Millionen Dollar Anzahlung für die reservierten Zimmer in der Schweiz sind futsch. Stor-No, haben die gesagt. Jetzt wird mir auch klar, warum das Treffen in Davos stattfindet. Davos ist nämlich da, wo’s Geld weg ist.

(Aus: Donald Trump, Tagebuch, unveröffentlicht.)

24.01.2019

Vor zehn Tagen hat das Tagebuch über die steigende Zahl an Wohnungslosen in den USA berichtet. Aus aktuellem Anlass geht es heute ein bisschen mehr ins Detail, denn die Stadt mit den meisten Wohnungslosen ist New York City. Fast 80.000 wurden dort Ende 2018 gezählt (und man kann sich sicher sein, dass die Statistiker auf den Straßen längst nicht alle erfasst haben). Einen haben sie aber ganz gewiss nicht erfasst. Sein Name ist Kenneth Cordele Griffin – und er ist kein Wohnungsloser, sondern ein Wohnungsbesitzer, denn er hat sich heute das bisher teuerste Appartement in der Geschichte der Vereinigten Staaten gekauft. 238 Millionen Dollar kostet seine neue Bleibe am Central Park. Für einen Hedgefonds-Manager mit einem Milliardenvermögen kein Problem. Und auch für andere nicht. 85 % der Wohnungen und Penthäuser in dem 290 Meter hohen Ultra-Luxus-Gebäude sind bereits verkauft, und das, obwohl es noch gar nicht fertiggestellt ist. Die Migrationsbewegung ist trotzdem schon in vollem Gange. Nur dass sie in New York – diesem Abziehbild der westlichen Welt – senkrecht nach oben verläuft. Und das muss sie auch. Denn je höher die Zahl der Wohnungslosen am Boden, desto höher die Türme, in denen jene Zuflucht suchen, die es nicht mehr mit ansehen können, dieses Elend, das sie durch ihre bodenlose Gier mit zu verantworten haben.

25.01.2019

Seltsam, in Donald Trumps Amerika sind alle verfolgten Hexen Männer.

26.01.2019

Es ist ebenso leicht wie notwendig, Donald Trump für seine Taten zu kritisieren. Da dieses Tage- aber kein Klagebuch ist, darf sich der kritische Blick nicht verabsolutieren und muss auch die andere Seite sehen und anerkennen, dass Donald Trump sein Wahlversprechen gehalten und – zum nunmehr achten Mal in Folge – sein Quartalsgehalt in Höhe von 100.000 Dollar gespendet hat. Diesmal geht das Geld an das Nationale Institut zur Bekämpfung von Alkoholismus.

Der Hintergrund ist ein sehr persönlicher. Trumps Bruder Fred war 1981 an seiner Alkoholsucht gestorben. Wann immer Trump über ihn spricht, wird er ungewöhnlich sentimental und erklärt, dass es Fred und sein Schicksal waren, die ihn dazu gebracht haben, die Finger von Alkohol und Zigaretten zu lassen. Außerdem, so Trump, habe Fred besser ausgesehen als er und auch die angenehmere Persönlichkeit besessen.

Und was lernen wir daraus? Saufen hin, rauchen her, aber Selbstironie und ein privater Schicksalsschlag lassen sogar einen Mann wie Donald Trump für einen Moment sympathisch erscheinen.

27.01.2019

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über den Klimawandel fast ein Verbrechen ist, weil es die Erkenntnis über so viele Untaten einschließt? Was sind das für Zeiten, wo selbst die Wetterfrösche taktisch vorgehen müssen, weil man ihnen sonst kein Gehör schenkt?

Es sind amerikanische Zeiten, so viel ist klar. Die »Verbrecher« aber sind die Mitglieder der American Meteorological Society, die seit Jahren und Jahrzehnten darauf hingewiesen haben, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Allerdings wollen die Klimaskeptiker nichts davon wissen. »In God we trust«, sagen sie und zeigen auf ihre Münzen. Für so mächtig, dass er das Klima ändern kann, so viel ist klar, halten sie den Menschen nicht.

Was also tun? Viele Wetterfrösche haben keine Lust, weiterhin als »Verbrecher« gebrandmarkt zu werden und versuchen es deshalb mit einem Schritt zurück auf der politisch-meteorologischen Leiter. In ihren Berichten und Analysen wollen sie – das haben sie sich vor wenigen Tagen auf ihrer Jahrestagung mit wolkigen Worten versprochen – bis auf Weiteres den Klimawandel nur noch beschreiben und möglichst unpolitisch von Überflutungen, Buschfeuern und ausgedürrten Feldern berichten. Der Faktor Mensch soll dabei in den Hintergrund treten, in der Annahme, dass die Skeptiker des Klimawandels dadurch zumindest erkennen, dass der Wandel real ist. Irgendwann, so die Hoffnung der Meteorologen, werden die Klimaskeptiker den Wandel dann zumindest als Fakt akzeptieren und sich in einem zweiten Schritt Gedanken darüber machen, wer dafür eigentlich verantwortlich ist. Vielleicht, so hoffen die Wetterfrösche, erkennen sie dann, dass der Mensch einen gewaltigen Anteil an der Misere hat. Das ist zumindest die optimistische Option, die am Ende jener Konjunktivkette steht, die die amerikanischen Meteorologen derzeit so fesselt. Vielleicht aber erklären die Klimaskeptiker einfach ungerührt weiter: »In God we trust«, zeigen auf ihre Münzen und werfen eine von ihnen. Und dann? Dann heißt es Kopf oder Zahl. Es ist alles nur ein großes Spiel, und keiner weiß, ob am Ende die Mannschaft mit der besseren Taktik gewinnt oder jene, die ihr Heil im blinden Anrennen sucht.

28.01.2019

Merke: Wenn die Demokraten beim Thema Grenze mauern, ist das für Donald Trump alles andere als aufbauend.

29.01.2019

Mithilfe der neuen demokratischen Mehrheit hat der Ausschuss für Bodenschätze und natürliche Ressourcen des US-Repräsentantenhauses die Worte »so wahr mir Gott helfe« aus dem Amtseid für seine Mitglieder gestrichen. Die republikanische Abgeordnete Liz Cheney erklärte daraufhin mit Blick auf die Demokraten: »Sie sind wirklich zur Partei von Karl Marx geworden.«

Zur gleichen Zeit twitterte Donald Trump freudig über die zahlreichen Bundesstaaten, die seit Neuestem Bibelkurse in öffentlichen Schulen einrichten. Die Mehrheit dieser Bundesstaaten wird von Republikanern regiert, weshalb es nicht mehr lange dauern kann, bis Donnie erklärt: »Wir sind wahrhaftig zur Partei des Engels geworden.«

30.01.2019

Und weiter geht’s in der göttlichen Schmierenkomödie, in der alle ihre Hände in Unschuld waschen und von Auserwähltsein und Entbehrungen künden. Heute hat Steve Bannon seinen Auftritt, früher Donald Trumps Chefstratege, jetzt Verkäufer seiner einstigen Größe. Bannon erklärt in einem soeben erschienenen Dokumentarfilm, jede Sekunde seines Jobs im Weißen Haus gehasst zu haben. Nur konnte er nicht einfach so gehen, denn, so Bannon, er habe »die Arbeit des Herrn« erledigt, womit er ausnahmsweise mal nicht Donald Trump, sondern den lieben Gott meint. Wobei das mit dem »lieb« so eine Sache ist, denn folgt man Bannons Logik, scheint der Allmächtige nur glücklich zu sein, wenn die Leute ihre Jobs hassen. Aber wie dem auch sei, zum (irdischen) Glück gibt es ja noch Sarah Huckabee Sanders, Donald Trumps langgediente Pressesprecherin, die offenbar nicht nur einen direkten Draht zu ihrem Vorgesetzten, sondern auch zum Herrn ganz ganz oben hat, schließlich hat Sanders in einem Interview mit dem Christian Broadcast Network erklärt, Gott habe gewollt, dass Donald Trump Präsident werde. Und wieder einmal zeigt sich, dass Gottes Wille unergründlich und sein Personalmanagement schlichtweg lausig ist.

31.01.2019

Reden ist Silber, Reden halten ist Gold. Zumindest wenn man Nikki Haley heißt. Nach dem Ende ihrer Karriere als US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen hat sie nämlich einen Vertrag mit einer Washingtoner Redner-Agentur unterschrieben, der ihr pro Auftritt 200.000 Dollar einbringt. Dazu gibt’s noch einen Privatjet für die Anreise sowie einen Aufschlag auf den Auftrittspreis, wenn die Rede außerhalb der USA gehalten wird. Von wegen Übernachtungspauschale und so. Klingt nach Gier, ist aber Geradlinigkeit, schließlich hatte ihr Donald Trump beim Abgang versprochen, sie werde »viel Geld verdienen«. Und das war keine der üblichen Floskeln, sondern absolut passend, denn zuvor hatte Haley Trump in ihrem Rücktrittsschreiben mit den Worten umschmeichelt, als Geschäftsmann werde er es bestimmt anerkennen, dass ihr Wechsel vom politischen Amt in die Privatwirtschaft »kein Schritt nach unten, sondern einer nach oben ist.«

 

01.02.2019

Die USA haben den INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme aufgekündigt. Angeblich halten sich die Russen nicht an die Abmachungen des 1987 geschlossenen Pakts und bauen atomare Mittelstreckenraketen mit zu großer Reichweite. Die Russen behaupten natürlich das Gegenteil und bezichtigen ihrerseits die USA, sich nicht an die Abmachungen gehalten zu haben. Im Grunde ist die Schuldfrage aber völlig egal. Putin und Trump haben beide kein Interesse an dem Vertrag, weil sie beide kein Interesse daran haben, sich in irgendeiner Weise einschränken zu lassen. Sie wollen frei sein. Und sie wollen spielen. In und mit Europa. Bei Lichte betrachtet ist die ganze Sache nichts anderes als ein in die Realität verlegter Egoshooter zwischen zwei Alphatieren. Als Waffen haben sie Atomraketen ausgewählt. Frei nach dem Motto: Wer nicht rüstet, der rostet. Und das Ziel ist auch schon ausgemacht: Am Ende gewinnt derjenige, der den längsten Mittelstrecker hat.

02.02.2019

Nur zur Info, weil hierzulande mal wieder keiner darüber berichtet hat: Das amerikanische Landwirtschaftsministerium hat ein 200 Millionen Dollar starkes Hilfsprogramm zur Förderung des Außenhandels aufgelegt. Und alle bekommen was ab. Das meiste Geld, fast 22 Millionen Dollar, geht an die Amerikanische Sojabohnen-Gesellschaft. Aber auch die Kleinen werden bedacht. Das Kalifornische Oliven-Komitee erhält rund 100.000 Dollar, die Nationale Behörde zur Förderung der Wassermelonen bekommt 50.000, und sogar das Institut für Haustierfutter kriegt noch 30.000 in den Rachen geschoben. Und dann wäre da noch das Popcorn Board, das für seine Arbeit mit 150.000 Dollar belohnt wird. Das ist das maiste Geld, das sie jemals bekommen haben. Seine Mitglieder dürften vor Freude geplatzt sein.

03.02.2019

Große Teile der USA sind schockgefrostet, arktische Temperaturen durchwehen das Land. Donald Trump fragt zum x-ten Mal voller Sarkasmus, was mit der globalen Erwärmung los ist und wünscht sie sich höhnisch zurück. Er glaubt offenbar nach wie vor nicht an den Einfluss des Menschen aufs Klima. Aber die Menschen haben den Planeten nicht nur wärmer, sondern auch kälter gemacht. Das war besonders im 16. und frühen 17. Jahrhundert der Fall. Spanier, Franzosen, Engländer und andere Vertreter der Alten Welt kamen damals nach Süd-, Mittel- und Nordamerika, kolonisierten große Gebiete und brachten unermessliches Leid über die indigene Bevölkerung. Millionen starben durch eingeschleppte Infektionskrankheiten, Kriege und sonstige Auseinandersetzungen. Eine neue Studie des University College London (Earth system impacts of the European arrival and Great Dying in the Americas after 1492) hat nun erstmalig die Auswirkungen dieser Entwicklung aufs Klima untersucht. Dafür wurden archäologische Zeugnisse, historische Daten und der aus Bohrkernen des antarktischen Eises gewonnene Kohlendioxidgehalt vergangener Jahrhunderte miteinander in Verbindung gebracht. Ergebnis: Der Zusammenbruch indigener Gemeinschaften im 16. und frühen 17. Jahrhundert hat auch das Klima beeinflusst. Auf dem gesamten amerikanischen Kontinent blieben nämlich immer mehr Flächen, die zuvor bewirtschaftet worden waren, brach liegen, und dort, wo einst Felder und Siedlungen waren, begannen – etwa auf einer Fläche so groß wie Frankreich – Wälder und Buschwerk zu wachsen. Dadurch wurde mehr und mehr CO2 gebunden, was zu einem Rückgang des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre führte und mit dazu beitrug, die Temperaturen auf dem Globus insgesamt nach unten zu drücken. Der Klimawandel zwischen 1570 und 1630 ist somit nicht, wie bisher angenommen, auf rein natürliche Ursachen zurückzuführen, sondern war zum Teil menschengemacht. Mit anderen Worten: Die Kleine Eiszeit um 1600 war auch ein Effekt des großen Sterbens der amerikanischen Ureinwohner.

04.02.2019

Es ist dieses schleichende, langsame, unmerkliche Wegbröckeln von scheinbar Randständigem, das sich mit der Zeit zu einem gigantischen Riss auswächst, der ein Land bis zur schieren Unüberbrückbarkeit zu teilen vermag. Diesmal hat es eine Richtlinie der Jugendorganisation 4-H getroffen, die mit rund 6,5 Millionen Mitgliedern eine der größten ihrer Art in den USA ist. Die von 4-H selbst ausgearbeitete Regel sollte dafür sorgen, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen (LGBTQ) in der Organisation willkommen geheißen und akzeptiert werden. Sie war auch deshalb erstellt worden, weil sich die vielfältigen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten der amerikanischen Gesellschaft bisher weder im Informationsmaterial der Organisation noch in ihrer Mitgliederstruktur widerspiegeln. Das ist an sich erst mal nicht weiter schlimm, wird aber problematisch, wenn die Thematisierung von LGBTQ-Angelegenheiten absichtlich verwehrt wird. Genau das aber ist nun passiert, denn infolge des Drucks, der nach der Veröffentlichung der Richtlinie von konservativen und evangelikalen Gruppen sowie durch die Trump-Administration selbst ausgeübt wurde, hat die Organisation das Dokument wieder von ihrer Webseite genommen. Zudem wurde der 4-H-Direktor von Iowa, John-Paul Chaisson-Cárdenas, der als LGBTQ-freundlich bekannt ist, bei dieser Gelegenheit gleich mit geschasst, da er gegen die Rücknahme der Richtlinie protestierte. Chaisson-Cárdenas stammt aus Guatemala und war der erste Latino, der während der 117-jährigen Geschichte der Organisation ein solches Amt innehatte. Seiner Ansicht nach sei 4-H offen »for all kids«. Das war einigen offenbar zu viel.

05.02.2019

Donald Trump hat heute verkündet, dass er zusätzliche Soldaten an die Grenze zu Mexiko entsandt hat. Falls nötig, so Trump, werde man dort eine menschliche Mauer (»a human wall«) errichten.

Er ist nicht der Erste, der auf so eine Idee kommt. In der DDR gab es das bereits im August 1961, und zwar nicht nur als Forderung, sondern als Fakt. Damals bildeten in Berlin Angehörige der Kampfgruppen eine menschliche Mauer. Sie sollten den »antifaschistischen Schutzwall« sichern, solange der aus Stein noch nicht fertiggestellt war. Besonders eindrücklich ist diese menschliche Mauer auf einem Bild des Fotografen Peter Heinz Junge wiedergegeben. Es wurde am 14. August vor dem Brandenburger Tor aufgenommen und später unzählige Male in Zeitungen und Schulbüchern abgedruckt. Es zeigt vier mit Maschinenpistolen bewaffnete Soldaten der Kampfgruppen in Nahaufnahme. Hinter ihnen sind vier Säulen des Brandenburger Tors zu sehen. Die Botschaft des Bildes war dabei eine doppelte: Einerseits sollte es klar machen, dass es hier kein Durchkommen gab. Zum anderen erhielt die Mauer durch die Soldaten ein »menschliches Antlitz« und bestand eben nicht – wie in Wahrheit geplant und gebaut – aus Stacheldraht, Stein oder Selbstschussanlagen. Allerdings war die Mauerbau-Aktion bei den Kampfgruppen alles andere als beliebt, was sich allein schon daran zeigt, dass in der Nacht vom 13. auf den 14. August nur ein Drittel von ihnen zum Dienst erschien. Das hielt die DDR-Oberen aber nicht davon ab, die menschliche Mauer und mit ihr das Foto zu Ikonen ihrer Grenzsicherung zu machen und das Bild Jahrzehnte später noch einmal nachstellen zu lassen. Als im Juli 1987 in Ost-Berlin der historische Festumzug zur 750-Jahr-Feier der Stadt durch die Straßen zog, bestand einer der Festwagen aus vier alt gewordenen Kampfgruppen-Männern, die mit MG-Attrappen bewaffnet vor einem Brandenburger Tor aus Pappmaché standen. Aber was will man auch anderes erwarten? Blöde Ideen werden nicht besser, wenn man sie wiederholt.

06.02.2019

Hab gestern Abend bei meiner Rede vor dem Kongress darauf verzichtet, den Notstand auszurufen. Hab es später im Bett bei Melania getan. Aber sie hat gesagt, es gibt keinen Notstand, nur Notgeilheit. Also hab ich meine Notgeilheit ausgerufen. Daraufhin hat sich Melania sämtliche Kissen geschnappt und eine Mauer um sich gebaut. Hat gesagt, im Anbetracht der Lage dürfe sie das tun und müsse auch den Kongress nicht befragen. Dann hat sie sich in ihre Decke gewickelt und erklärt, sie sei genau wie ich für den Protektionismus. Verdammt, das Weib ist völlig verquer! (Aus: Donald Trump, Tagebuch, unveröffentlicht.)

07.02.2019

69 % der US-Amerikaner befürworten laut einer repräsentativen Umfrage strengere Einschränkungen beim Besitz von Schusswaffen. Bei den Demokraten sind 85 % dafür, bei den Republikanern 57 %. Eines aber eint die Anhänger beider Parteien: Sie glauben nicht, dass die von ihnen gewählten Politiker entsprechend handeln und die Waffengesetze verschärfen werden. Nur ein Viertel geht davon aus, dass in dieser Richtung etwas passieren wird. Die Leute haben allerdings auch gute Gründe, an die Untätigkeit ihrer Volksvertreter zu glauben. Denn wie sagte doch kürzlich eine Sprecherin der Waffenlobby NRA: »Es gibt weniger zu tun, weil wir über die Jahre hinweg so erfolgreich waren.« Der »Erfolg« in Zahlen für den Monat Januar 2019: 2.090 Personen durch Schusswaffen verletzt, 1.201 Personen bei Schießereien getötet, davon 49 Kinder und 195 Jugendliche. 27 Mass Shootings. Insgesamt 4.346 Vorfälle mit Schusswaffen in 31 Tagen.

08.02.2019

In den fein gewobenen Gespinsten der Diplomatie ist es die Welt der Worte, die die Welt der Dinge schafft. In diesem Fall ist das Ding eine Insel: Taiwan. China drängt unter Staatschef Xi unverhohlen auf eine Annexion Taiwans und droht mit gewaltsamer Wiedervereinigung. Taiwan dagegen fordert weiterhin seine Autonomie, und auch die USA erkennen die von China postulierte Hoheitsgewalt über das Land nicht an. Allerdings gilt durch den 1979 unterzeichneten Taiwan Relations Act, dass die USA Taiwan im Falle eines Angriffs lediglich mit Defensivwaffen versorgen. Das könnte sich jetzt ändern. Laut Aussage, die ein ehemaliger, hochrangiger Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums vergangene Woche bei einer Anhörung des zuständigen Senatskomitees gemacht hat, ist die USA bereit, Taiwan zur Seite zu stehen und es »gegen grundlose Angriffe« zu verteidigen. Die Frage ist nur, was »grundlose« (unprovoked) Angriffe sind? Zudem stellt sich die Frage, ob die Aussage überhaupt in Richtung China zielte. Schließlich kann sie, in den bis ins Feinste ausdeklinierten Wortketten der Diplomatie, auch als ein versteckter Hinweis an die Regierung in Taiwan gelesen werden, die Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterlassen, da ein daraufhin erfolgender Angriff Chinas nicht mehr als »grundlos« angesehen werden könnte. Die sprachliche Erweiterung also als Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten? Das wäre geradezu klassische Diplomatie, diese Worthülsenkunst, die glaubt, Patronenhülsen ersetzen zu können.