Ur-Gemeinde

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Brief 1 (eine Lehrerin)

Ich hatte nie vor, meine übernommenen Vorstellungen von Kirche aufzugeben oder gar meine Kirche zu verlassen. Weder habe ich eine neue Kirche gesucht, noch hatte ich irgendeine Vorstellung von organischer Gemeinde, als man mich das erste Mal in eine solche einlud. Ich bin der Einladung gefolgt. Was ich dort sah, war ganz anders als alles Bisherige. Diese Gemeinde war weder ein Bibelkreis noch eine Gebetszusammenkunft, sie war weder eine Heilungsveranstaltung noch ein Gottesdienst.

Stattdessen konzentrierte man sich ganz auf Jesus Christus. Die Menschen sangen von ihm, tauschten sich über ihn aus und beteten ihn an. Diese Christen waren völlig eingenommen von der Großartigkeit des Herrn Jesus Christus. Sie verlangten – ganz ehrlich – nicht danach, bei ihren Treffen irgendetwas anderes zu tun, als über ihn / von ihm / zu ihm zu singen, sich über ihn zu unterhalten und einander durch ihn Liebe zu erweisen.

Was mir zuerst auffiel, war ihre Innigkeit. Ich habe noch nie Menschen getroffen, die in einem solch innigen Verhältnis zum Herrn lebten. Diese Menschen brauchten ihn und schöpften ihr Leben aus ihm. Meine bisherigen Erfahrungen mit der Kirche sahen anders aus. Ich habe hingegebene Menschen gesehen, leidenschaftliche, ja sogar liebende Menschen. Ich habe aber noch niemals zuvor Christen gesehen, die das Herz Gottes selbst zu kennen schienen.

Lange zuvor hatte ich gelernt, dass der Herr unter seinem Volk wohnt; diese Gemeinde jedoch war die erste, in der diese Erkenntnis auch in die Tat umgesetzt wurde. Hier teilte jeder jedem Christus auf eine Art und Weise mit, dass er mir ganz nah vor Augen geführt wurde. Durch die Menschen dort lernte ich verstehen, dass Christus unsere Speise und unser Trank ist. Jetzt erkannte ich, wer und wie er in unseren Versammlungen und in unserem Alltagsleben wirklich ist. Ganz neu „verliebte“ ich mich in ihn.

Die Innigkeit, die ich hier erlebte, weckte meine Neugier; es war aber die Freiheit, die diese Christen auslebten, die meine Aufmerksamkeit dauerhaft fesselte und mich schließlich dazu bewegte, immer wieder hinzugehen und mich schließlich dieser Gemeinschaft anzuschließen. Wenn mir etwas Ermutigendes in Bezug auf den Herrn in den Sinn kam, konnte ich es einfach aussprechen; die anderen sagten „Amen“ oder „Preist den Herrn“. Ihre Ermutigung machte mir klar: Hier darf ich frei sein. Mehr noch: Christus schenkt seinem Volk Freiheit – und ich gehöre dazu.

Zum allerersten Mal habe ich unter Christen solche Freiheit erlebt. Allmählich erkannte ich, wie es ist, wenn Christus den ersten Platz im Leben seines Volkes und dessen Zusammenkünften einnimmt und zu unglaublicher Einheit führt. Seit nunmehr zwei Jahren sehe ich, wie Christus jedes Treffen mit seiner Wahrheit erfüllt. Weder geh ich leer aus, noch kann ich mir vorstellen, die Tiefen Jesu Christi je auszuloten. In dieser Gemeinde und mit diesen liebevollen Geschwistern fange ich an zu entdecken, wie herrlich er wirklich ist.

Brief 2 (Frau eines ehemaligen Pastors)

Die ganze Erfahrung organischen Gemeindelebens hat mein Leben in vielfacher Hinsicht verändert. Die Gemeinde ist aus einer Konferenz hervorgegangen. Was wir auf dieser Konferenz zu hören bekamen, war wirklich erstaunlich. Der Herr zeigte mir seinen Plan und seine Absicht für die Gemeinde, seine Braut. Meine Vision erhielt eine himmlische und Christus-bezogene Dimension. Aber das sollte nur der Anfang sein.

Nach der Pflanzung der Gemeinde erlebte ich Christus unter meinen Brüdern und Schwestern wie nie zuvor. Schlagartig wusste ich: Das ist es! Endlich hatte ich nach Hause gefunden. Gott wusste, was mein Mann und ich brauchten. Diese Offenbarung begann nach und nach zu wachsen und sich vor meinen Augen zu entfalten. Ich sah eine wunderschöne Braut, die ihrem Herrn voller Leidenschaft zugetan war. Ich sah eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich zu einem Wohnort für Gott zusammenfügen ließen. Ich sah Brüder und Schwestern aus verschiedenen Hintergründen, die sich noch nie gesehen hatten und dennoch liebten.

Indem wir Christus gemeinsam liebgewannen, verbanden sich unsere Herzen. Die wachsende Einsicht in Gottes ursprünglichen Plan veränderte unser Leben. Ich sah, dass Gemeinde wirklich der Leib des Christus ist und er dessen Haupt. Erst wenn wir ihm erlauben, seinen rechtmäßigen Platz in unseren Herzen einzunehmen, werden wir sein Leben erfahren, wie er es uns zugedacht hat. Diese Art von Gemeindeleben ist die natürliche Heimat des Christen. Dort wachsen und gedeihen wir und ernähren uns von den Reichtümern Christi. Ich könnte manches erzählen, es gab so viel zu entdecken!

Was ich dort gesehen und erfahren habe, hat mein Leben und das Leben meines Mannes für immer verändert. Wir hatten den Herrn schon lange gebeten, uns sein Herz und seine Wünsche zu offenbaren. Ich glaube, er hat dieses Gebet erhört. Es ist so aufregend, zu wissen, dass wir den Rest unseres Lebens erfahren dürfen, wie Christus sich seiner Gemeinde offenbart!

Brief 3 (Marketing- und Unternehmensberater)

Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und besuchte die Kirche bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich wusste, wie man als Christ lebt und sich zu benehmen hat. Ich war sozusagen ein Vorzeigekind.

Im Gymnasium und später auf dem College lernte ich Christen kennen, die eine Leidenschaft in mir weckten, die ich nie für möglich gehalten hätte. Sie strebten nach einer tiefen Christus-Erkenntnis und schienen Christus bereits besser zu kennen als ich. Die Begegnung mit ihnen machte mir die Oberflächlichkeit meines eigenen Glaubens und meiner mangelhaften Christus-Erkenntnis bewusst. Obwohl ich gerne zur Kirche ging, um mit meinen Freunden und meiner Familie zusammen zu sein, war Kirche für mich eher eine notwendige, zu ertragende Verpflichtung, um nach der Sonntagsschule, dem Gottesdienst oder der Jugendgruppe mit meinen Freunden abzuhängen.

So ließ ich die Predigten über mich ergehen und hoffte im Stillen, sie mögen endlich vorbei sein, damit wir anschließend ins Restaurant konnten. Wenige Minuten nach einer Predigt hatte ich ihren Inhalt vergessen. Ich hörte immer wieder: Du musst öfter in die Kirche, den „Zehnten“ geben, mehr in der Bibel lesen und deinen Glauben bezeugen. Bis ich jenen Christen begegnete, war mir nicht bewusst, dass keine der Kirchen, die ich besuchte, meinen Durst nach Jesus stillte. Statt Leben gaben sie mir Regeln und Vorschriften. Statt in Christus zu wachsen, „verdorrte ich am Weinstock“, ängstigte und schämte mich und fühlte mich unwürdig. Vom Herrn zu reden, machte mir keine Freude, und mir fehlte der Mut, Jesus vor Ungläubigen zu bekennen.

Ich fragte mich: Wenn du der gute Christ bist, für den du dich hältst, wieso fällst du immer weiter zurück? Je mehr Zeit ich mit diesen Christen verbrachte, desto dringlicher wurde mein Wunsch, Christus zu kennen, wie sie ihn kannten. Christus zog mich an wie eine Straßenlaterne Motten. Ich verbrachte zunehmend mehr Zeit mit ihnen und besuchte ihre Versammlungen. Diese waren frei und offen. Dort gab es weder eine Liturgie noch einen Pastor. Offensichtlich brauchte man diese nicht. Es gab genügend Gläubige, die dem Herrn begegnet waren und fähig waren, andere aufzubauen.

Sie brauchten keine Genehmigung sich zu Wort zu melden. Sie benötigten keinen, der sie unter einem Regelwerk lebloser Verpflichtungen begrub. Viele ihrer Lieder schrieben sie selbst. Reihum beteten sie füreinander; ihre Gebete kamen von Herzen und waren nicht einstudiert. Sie versammelten sich so, als wäre Jesus wirklich im Zimmer. Sie gingen liebevoll miteinander um wie in einer Familie.

Schon bald war mir klar, dass mir genau diese organische Art, Christus zu erfahren, fehlte. Ich lechzte danach, mich mit diesen Gläubigen zu treffen. Ich ging in ihre Zusammenkünfte und begegnete einem Herrn, der viel größer war, als dass er „nur“ für meine Sünden gestorben wäre. Ich fing an, ihn viel tiefer kennenzulernen.

Irgendwelchen Darbietungen beizuwohnen stellte mich nicht mehr zufrieden. In diesen organischen Zusammenkünften wünschte ich anderen zu erzählen, was ich selbst mit dem Herrn erlebt hatte. Auf einmal fiel es mir leicht, meine Passivität zu überwinden, aktiv am Geschehen teilzunehmen und zur Versammlung beizutragen. Jede Zusammenkunft durfte anders sein. Manchmal sangen wir stundenlang. Ein andermal konnten sich die Gläubigen kaum zurückhalten, von allem zu berichten, was Jesus in der vergangenen Woche in ihrem Leben getan hatte. Manchmal haben wir den Herrn einfach schweigend in Ehrfurcht verehrt. Keiner musste uns etwas vorschreiben. Der Geist wirkte, und alles geschah spontan und wie von selbst. Oft haben wir wie eine Familie zusammen gegessen. Manchmal unterhielten wir uns über Bibelstellen. Oder wir inszenierten Geschichten aus der Bibel, die uns Christus näherbrachten.

Wir trafen uns auch morgens unter der Woche: Brüder mit Brüdern, Schwestern mit Schwestern. Wir suchten den Herrn im Gebet und studierten gemeinsam die Schrift. Jeder Tag begann mit Christus. Am Abend luden wir uns gegenseitig ein zum Essen und zur Gemeinschaft mit Christus. Es gab Männerzusammenkünfte und Frauenstunden, bei denen wir uns berieten und gemeinsam Entscheidungen trafen für die Gemeinde. Wir übernahmen Verantwortung und sorgten füreinander.

Lag nichts Dringliches vor, dann sangen wir zum Herrn und suchten gemeinsam seine Gegenwart. Brauchte jemand Hilfe, überlegten wir uns eine Lösung. Manchmal segneten wir einander einfach so. Singles passten gelegentlich auf die Kinder auf und ermöglichten den Ehepaaren, abends auszugehen. Kehrte jemand von einer längeren Reise zurück, wurde er am Flughafen von der ganzen Gruppe empfangen: Gemeindeversammlung am Airport!

Immer und überall geschah etwas und ergaben sich Gelegenheiten, sich über Christus auszutauschen und gemeinsam den Herrn zu lieben. Oder wir gingen spontan raus, um den Verlorenen zu dienen. Egal, was wir unternahmen: Der Geist war frei sich unter uns zu bewegen und die Richtung vorzugeben. Wenn wir uns versammelten, sah ich einen verherrlichten und wunderbaren Christus. Wir entdeckten immer wieder Neues an ihm. Und jedes Mal wollte ich ihn tiefer erkennen. Das Schuld- und Schamgefühl und das Gefühl von Wertlosigkeit waren weg. Leidenschaftlich suchte ich Christus besser kennenzulernen.

 

Ich verdorre nicht mehr am Weinstock. Ich habe die Freiheit der Christen entdeckt, die organisch zusammenkommen – wie in der Urgemeinde.

Kurzum: Dieses Buch versucht eine Vision von Gemeinde neu zu entwerfen, die organisch zusammengefügt ist und beziehungsorientiert lebt. Sie ist bibelgemäß in ihrer Gestalt und richtet sich an Christus aus. Sie ist trinitarisch geprägt und lebt gemeinschaftlich. Dabei vermeidet sie jedes elitäre Auftreten und verbietet sich sektiererisches Verhalten.

Ich lade Sie auf eine Entdeckungsreise ein, ganz neu zu erkennen, was es aus Gottes Perspektive heißt, Gemeinde zu sein. Unser gemeinsamer Ausgangspunkt ist das Neue Testament.

Ich habe einen Traum

Ich träume davon, dass die Gemeinde Jesu Christi eines Tages ihrer von Gott gegebenen Berufung folgt und – ganz nah am Herzschlag des allmächtigen Gottes – ihrer wahren Identität gemäß lebt: als die Verlobte des Königs aller Könige.

Ich träume davon, dass Jesus Christus eines Tages wieder das Haupt seiner Gemeinde sein wird: nicht nur als frommes Lippenbekenntnis, sondern tatsächlich.

Ich träume davon, dass überall Gruppen von Christen die neutestamentliche Wirklichkeit ausleben werden: Gemeinde ist ein lebendiger Organismus und keine institutionelle Organisation.

Ich träume davon, dass die Unterscheidung zwischen Klerus und Laien eines Tages Geschichte sein wird, wenn nämlich der Herr Jesus das vermoderte System menschlicher Hierarchie, das ihn seiner rechtmäßigen Herrschaft unter seinem Volk beraubt hat, durch seine Person ersetzt haben wird.

Ich träume davon, dass weite Teile von Gottes Volk dieses von Menschen geschaffene System nicht länger hinnehmen, das sie in Religion versklavt und unter einem Berg von Schuld, Verpflichtungen und Verurteilungen begraben und sie zu Sklaven autoritärer Systeme und Führer gemacht hat.

Ich träume davon, dass die Vorherrschaft und Zentralität Jesu Christi Mittelpunkt, Lebensgrundlage und Herzensanliegen jedes einzelnen Christen und jeder Gemeinde wird. Gottes geliebtes Volk wird sich dann nicht mehr über religiöse und theologische Fragen entzweien lassen. Die gemeinsame Leidenschaft und das Streben aller gilt nur noch einer Person, nämlich dem Herrn Jesus Christus.

Ich träume davon, dass sich zahllose Kirchen und Gemeinden von Powerunternehmen in geistliche Familien verwandeln, in authentische auf Christus fokussierte Gemeinschaften, in denen einer den anderen persönlich kennt und bedingungslos liebt, in denen man miteinander leidet und sich ungeheuchelt aneinander freuen kann.

Ich habe heute einen Traum …4

TEIL 1

GEMEINSCHAFT LEBEN

1 Vgl. George Barna, Revolution (Carol Stream: Tyndale, 2005), 9, 39, 65, 107–108.

2 Kopernikus’ Schrift Über die Kreisbewegungen der Weltkörper markiert den Beginn der wissenschaftlichen Revolution.

3 T. Austin-Sparks, Words of Wisdom and Revelation, 49.

4 Nach Martin Luther King Jr. I Have a Dream; Rede gehalten am 28. August 1963 in Washington.

Kapitel 1: Umdenken – Gemeinde als Organismus

Die Bestürzung über eine neue Wahrheit steht in direktem Verhältnis zur Überzeugung, mit der zuvor der Lüge geglaubt wurde. Nicht, dass die Erde rund war, hat die Menschen beunruhigt, sondern dass sie nicht mehr flach sein sollte. Wenn den Massen nach und nach und über Generationen hinweg ein ausgeklügeltes Lügennetz verkauft worden ist, wird die Wahrheit gänzlich lächerlich aussehen und ihr Vertreter wie ein Verrückter erscheinen.

Dresden James

Der Dienst des Heiligen Geistes war stets, Jesus Christus zu offenbaren und ihm alle Dinge gefügig zu machen. Das kann kein auch noch so begabter Mensch leisten. Durch Studium, Forschung oder Vernunft können wir nichts Wesentliches aus dem Neuen Testament gewinnen. Alles hängt davon ab, dass der Heilige Geist uns Jesus Christus offenbart. Wir müssen ständig danach trachten, ihn durch den Geist zu erkennen. Dann wird uns klar werden, dass er selbst die Ordnung, Form und Gestalt ist. Eine Person ist die Summe aller Ziele und Wege. Alles, was [in der Urgemeinde] geschah, ließ sich auf die freie und spontane Bewegung des Heiligen Geistes zurückführen; und dieser orientierte sich ausschließlich an Gottes Sohn.

T. Austin-Sparks

Das Neue Testament bedient sich zahlreicher Bilder für die Gemeinde. Dabei fällt auf, dass alle Bilder etwas Lebendiges darstellen: ein Körper, eine Braut, eine Familie, ein neuer Mensch, ein lebendiger Tempel aus lebendigen Steinen, ein Weinberg, ein Acker, ein Heer, eine Stadt usw.

Jedes Bild verdeutlicht, dass die Gemeinde ein lebendiger Organismus und keine institutionelle Organisation ist. Wer wollte dem widersprechen? Doch was ergibt sich daraus für die Praxis? Und glauben wir das wirklich?

Die Gemeinde, von der wir im Neuen Testament lesen, war „organisch“. Damit meine ich, dass sie aus geistlichem Leben geboren und am Leben erhalten wurde und keine menschliche Erfindung, kein von menschlichen Hierarchien beherrschtes und von leblosen Riten geformtes Konstrukt darstellt, das von religiösen Programmen zusammengehalten wird.

Ein Vergleich macht dies deutlich: Eine von mir in einem Labor hergestellte Orange wäre nicht organisch. Dagegen würde aus einem in den Boden gelegten Organgenkern ein organischer Baum entstehen.

Ähnlich ergeht es sündigen, sterblichen Menschen, wenn sie eine Gemeinde nach Art eines Wirtschaftsunternehmens gründen wollen und dabei das organische Lebensprinzip von Gemeinde missachten. Eine organische Gemeinde entsteht auf natürliche Weise immer dann, wenn eine Gruppe von Menschen Jesus Christus wirklich begegnet ist (äußerliche kirchliche Requisiten braucht es dazu nicht) und die DNA (das Erbgut) der Gemeinde sich uneingeschränkt entfalten kann.

Auf den Punkt gebracht, ist organisches Gemeindeleben kein Theaterstück mit verteilten Rollen, sondern eine Gemeinschaft, die aus Gott lebt. Im Gegensatz dazu arbeitet die moderne institutionelle Kirche nach denselben Organisationsprinzipien, die in jedem modernen Wirtschaftsunternehmen herrschen.

Die DNA der Gemeinde

Sämtliche Lebensformen verfügen über eine DNA, einen genetischen Code. Dieser verleiht jeder Lebensform ihren charakteristischen Ausdruck. So enthält Ihre DNA den Bauplan für Ihren biologischen Körper und bestimmt Ihr Aussehen und Ihre seelischen Grundstrukturen.

Ist eine Gemeinde wirklich organisch, verfügt sie auch über eine DNA – über geistliches Erbgut. Wo finden wir die Gemeinde-DNA? Der Schlüssel liegt in Gott selbst.

Mit den Worten des Athanasischen Glaubensbekenntnisses: „So ist der Vater Gott, der Sohn Gott, der Heilige Geist Gott. Und doch sind es nicht drei Götter, sondern ein Gott“, bekennen sich Christen zum dreieinigen Gott.1 Das klassische Christentum lehrt, dass Gott als eine Gemeinschaft von drei Personen existiert: Vater, Sohn und Geist. Die Gottheit ist demnach eine Gemeinschaft aus drei Personen, eine „Dreieinigkeit“ oder „Trinität“, wie Theologen dazu sagen. Der Theologe Stanley Grenz schreibt:

Gottes trinitarisches Wesen bedeutet, dass Gott in Beziehung existiert: Er ist ein „gemeinschaftlicher“ Gott. Deshalb können wir von Gott als von einer „Gemeinschaft“ reden. Gott existiert in der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist – in vollkommener und ewiger Gemeinschaft.2

Jahrelang habe ich präzise Lehraussagen zur Dreieinigkeit gehört. Für mein praktisches Leben hatten sie jedoch keinerlei Bedeutung. Ich empfand die Lehre von der Dreieinigkeit abstrakt und für die Praxis belanglos.

Später entdeckte ich, dass ein Verständnis für das aktive Leben innerhalb der Dreieinigkeit der entscheidende Schlüssel für sämtliche Aspekte des christlichen Lebens ist, einschließlich der Gemeinde.3 Es ist wie Eugene Peterson formuliert: „Die Trinität bildet den umfassendsten und integrativsten Rahmen, der uns zur Verfügung steht, um das christliche Leben zu verstehen und an ihm teilzuhaben.“4

Andere Theologen teilen seine Auffassung. Beispielsweise behauptet Catherine LaCunga: „Die Lehre von der Dreieinigkeit ist letztlich eine praktische Lehre mit radikalen Konsequenzen für das Leben jedes Christen.“5

Ganz ähnlich sieht es Miroslav Volf: „Der dreieinige Gott steht am Anfang und am Ende der christlichen Pilgerschaft und bildet somit das Herzstück des christlichen Glaubens.“6

Die biblische Lehre von der Dreieinigkeit ist keine abstrakte Spekulation über die Existenz Gottes. Vielmehr informiert sie uns über Gottes Wesen und Wirkungsweise innerhalb der christlichen Gemeinde. Als solche ist sie mehr als bloße Fußnote am Ende des Evangeliums, ist sie doch prägend für das Leben des Christen und ausschlaggebend für die Praxis der Gemeinde.7

Im ganzen Johannesevangelium macht Jesus Aussagen über sein Verhältnis als Sohn zum Vater. Er sagt: „Vater … du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt“ (Joh 17,24). „… damit aber die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe …“ (Joh 14,31). Schon diese beiden Stellen bezeugen die gegenseitige Liebe innerhalb der Gottheit vor Grundlegung der Welt.

Bereits in den ersten Kapiteln der Genesis lernen wir, dass die Gottheit in Gemeinschaft lebt: „Lasst uns Menschen machen nach unserem Bilde“, heißt es da (1 Mo 1,26). Wir sehen hier, wie der dreieinige Gott mit sich berät und plant.

Im Johannesevangelium erfahren wir mehr über das Wesen der Gottheit, zum Beispiel, dass der Sohn sein Leben aus dem Vater hat (Joh 5,26; 6,57). Der Sohn teilt die Herrlichkeit seines Vaters und bringt sie zum Ausdruck (Joh 13,31-32; 17,4-5). Der Sohn lebt im Vater und der Vater im Sohn (Joh 1,18; 14,10). Der Sohn lebt in völliger Abhängigkeit vom Vater (Joh 5,19). Er sagt und tut ausschließlich, was der Vater ihm aufträgt (Joh 12,49; 14,9). Der Vater verherrlicht den Sohn (Joh 1,14; 8,50.54; 12,23; 16,14; 17,1.5.22.24) und der Sohn ehrt den Vater (Joh 7,18; 14,13; 17,1.4; 20,17).

Innerhalb der Dreieinigkeit entdecken wir gegenseitige Liebe, Gemeinschaft und Abhängigkeit, dazu gegenseitige Verehrung, Unterordnung, Innewohnung und authentisches Zusammenleben. In der Gottheit ergänzen sich Vater, Sohn und Geist, indem sie ihr Leben, ihre Liebe und ihre Gemeinschaft miteinander teilen und gegenseitig austauschen.

Erstaunlicherweise wurde diese Art von Beziehung dann vom Göttlichen ins Menschliche gebracht: vom Vater zum Sohn und vom Sohn zur Gemeinde (Joh 6,57; 15,9; 20,21). Sie kam aus der himmlischen Sphäre des ewigen Gottes zur Gemeinde auf der Erde, die der Leib des Herrn Jesus Christus ist.

Die Gemeinde ist somit eine organische Erweiterung des dreieinen Gottes. Sie wurde in Christus vor der Zeit beschlossen (Eph 1,4-5) und an Pfingsten geboren (Apg 2,1ff.).

Richtig verstanden ist die Gemeinde die versammelte Gemeinschaft derer, die Anteil haben an göttlichem Leben und dieses auf der Erde sichtbar machen. Mit anderen Worten ist die Gemeinde das irdische Bild des dreieinen Gottes (Eph 1,22-23).

Weil die Gemeinde organisch ist, hat sie auch einen natürlichen Ausdruck. Eine Gruppe von Christen, die ihrer geistlichen DNA folgen, versammeln sich gemäß der göttlichen DNA, teilen sie doch Gottes eigenes Leben. (Christen sind zwar nicht göttlich, doch haben wir das Vorrecht, „Teilhaber der göttlichen Natur“ zu sein; vgl. 2 Pt 1,4).

 

Folglich weist die DNA der Gemeinde dieselben Merkmale auf, die man beim dreieinigen Gott erkennt, insbesondere gegenseitige Liebe, Gemeinschaft, Abhängigkeit, Achtung, Unterordnung, Innewohnung und authentisches gemeinsames Leben. Anders gesagt hat die Gemeinde ihre Quelle in Gott. Deshalb kann Stanley Grenz behaupten: „Letztendlich wurzelt unser Gemeindeverständnis in der Beziehung zum Wesen des dreieinigen Gottes.“ 8

Der Theologe Kevin Giles unterstreicht diesen Gedanken, indem er die Dreieinigkeit als ein Modell hinstellt, „anhand dessen die Lehre von der Gemeinde zu formulieren ist. Dies vorausgesetzt, ist das Innenleben der göttlichen Dreieinigkeit zugleich Muster, Vorbild, Modell, Echo und Bild für das gemeinschaftliche Leben der Christen in der Welt.“9

Die Dreieinigkeit ist schlichtweg das Paradigma für den natürlichen Ausdruck der Gemeinde. Die beliebte Theologin Shirley Guthrie entfaltet diesen Gedanken, indem sie die Beziehungsnatur der Gottheit beschreibt:

Die Einheit Gottes ist nicht das Eins-Sein eines bestimmten, in sich geschlossenen Individuums, sondern die körperschaftliche Einheit von Personen, die einander lieben und harmonisch zusammenleben … In ihrer Beziehung zueinander definieren sie sich gegenseitig … Keiner steht von den anderen losgelöst für sich alleine da, es gibt weder ein Vor- noch ein Nachgeord­netsein, auch keine Rangordnung; genauso wenig herrscht eine Person über eine andere; weder gibt es eine privilegierte Stellung auf Kosten eines anderen, noch herrscht Streit darüber, wem welche Aufgabe zukommt. Die Personen der Gottheit haben es nicht nötig, ihre Unabhängigkeit und Autorität gegen die anderen auszuspielen. Es ist eine Gemeinschaft unter Gleichen, die alles miteinander teilen, was sie haben und sind. Hier leben drei Personen in gegenseitiger Transparenz, aufopfernder Liebe und gegenseitigem Beistand. Sie sind nicht frei von-, sondern frei füreinander. So ist die Beziehung zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist im inneren Kreis der Gottheit.10

Schauen wir uns noch einmal den dreieinigen Gott an und beachten dabei, was fehlt: Es lässt sich weder eine Befehlskette noch eine Hierarchie ausmachen.11 Es gibt auch kein passives Zuschauen und keine Vorherrschaft einer einzelnen Person. Außerdem fehlen religiöse Rituale und Programme. (Einige meinen, eine gewisse Hierarchie innerhalb der Dreieinigkeit zu erkennen, doch lässt sich diese weder biblisch noch geschichtlich nachweisen. Näheres dazu im Anhang.

Befehlsketten und Kommandostrukturen, Hierarchien, passive Gefolgschaft und teilnahmslose Beobachter, die Vorherrschaft Einzelner und religiöse Programme und Riten sind Erfindungen des gefallenen Menschen. Sie stehen in deutlichem Widerspruch sowohl zur DNA des dreieinigen Gottes als auch zur DNA der Gemeinde. Nach dem Tod der Apostel hat man bedauerlicherweise rasch nach solchen religiösen Praktiken gegriffen und ihnen damit den Zugang zum Christentum ermöglicht.12 Heute sind solche Bräuche zu markanten Merkmalen der institutionellen Kirche geworden.