Sternentage

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Sari: Andere Welten #4
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Obechan-Kol führte uns zu einem Raum - oder musste man hier von Kabine sprechen? -, der entfernte Ähnlichkeit mit einem beliebigen, wahllos eingerichteten Zimmer auf der Erde aufwies: zwei gepolsterte Stühle(!), zwei schmale Betten, ein Schrank, ein Tisch und sogar ein kleiner Teppich. Außerdem gab es einen Anschluss ans Bordkommunikations- und Versorgungssystem, wie der Kurzo uns erklärte. Sie hatten sich bestimmt ganz schön Mühe gegeben, denn ich war überzeugt, dass sie diese Möbelstücke extra für uns irgendwie aufgetrieben oder hergestellt hatten. Wahrscheinlich sahen ihre Räume nicht im entferntesten diesem ähnlich.

»Nun fehlt nur noch das Bad«, teilte Lucky mir mit und ich übermittelte es Obechan-Kol.

Wieder fiel die Verständigung schwer. So etwas wie Waschen kannten die Kurzos offenbar nicht. Schließlich gelang es uns, dafür zu sorgen, dass wir jede »Wachperiode« (auch ein Kurzo-Ausdruck) mehrere Behälter warmes und kaltes Wasser bereitgestellt kriegten. Zum Glück besaßen sie eine ähnliche Einrichtung wie ein Klo. Es wäre uns sicher schwer gefallen, auch noch diese Notwendigkeit korrekt zu beschreiben.

Nachdem uns der Kurzo verlassen hatte, ließen wir uns erschöpft auf die Stühle fallen.

»Mann, bin ich müde,« stöhnte ich.

Lucky nickte bestätigend. Wir nahmen noch ein paar Happen eines undefinierbaren Essens - schmeckte etwas nach Kohlrabi - zu uns, hofften, dass es uns nicht vergiftete, dann legten wir uns schlafen.

Unserer Neugier waren halt auch Grenzen gesetzt. Trotzdem schlief ich schlecht, denn es war dermaßen viel Neues auf uns eingestürmt, dass mein überfordertes Gehirn mir ein Dutzend Alpträume bescherte.

In den nächsten Tagen beschränkten wir uns hauptsächlich darauf, den näheren Bereich um unsere Kabine zu erforschen. Wir lernten aber nur sehr schwer uns zurechtzufinden. Dabei machten uns nicht nur die Farbmarkierungen zu schaffen - des Öfteren verliefen wir uns, weil wir sie nicht auseinanderhalten konnten -, sondern auch die völlig fremdartige Bauweise und Einrichtung des Raumschiffs. Wir übersahen Abzweigungen von Gängen, die überhaupt nicht gekennzeichnet waren, die Funktion von diversen Tunneln und Plattformen blieb uns fremd, unvermittelt tauchten riesige Maschinen und Aggregate vor uns in den Gängen auf, hinter ganz normalen Türen verbargen sich in allen Farben schillernde Abgründe und dergleichen Merkwürdigkeiten mehr.

Selbst die Erklärungen der Kurzos, die wir danach befragten, verstanden wir selten, und nachdem ich einmal fast in eines dieser Löcher gefallen wäre, gingen wir noch vorsichtiger vor. Am einfachsten erwies es sich immer noch, einer bestimmten Farbkombination zu folgen, um ans Ziel zu gelangen.

Das Raumschiff verfolgte unterdessen weiterhin einen uns unbekannten Kurs. Als wir Obechan-Kol um weitere Informationen über den Zielpunkt der Reise fragten, sprudelte er einen für uns unverständlichen Wust an Sätzen hervor, der uns nicht im Geringsten weiterhalf. Allmählich begann ich mich zu fragen, ob dieser Überlichtflug mit seinen kurzen Orientierungsstops überhaupt einen Sinn für uns haben konnte.

Luckys Bemühungen, seine Sprache zurückzugewinnen, zeigten schon bald durchschlagenden Erfolg. Es drängte ihn danach, mir von seinen Erlebnissen aus der Zeit zu erzählen, wo ich mich in der anderen Realitätsebene aufgehalten hatte. Diese Rekonstruktion seiner Vergangenheit war sicher auch wichtig, damit er die Schreckenszeit von Bergotos verarbeiten konnte. All das wiederzugeben, würde wahrscheinlich ein ganzes Buch füllen.

Unter dem vom Beobachter veränderten Einfluss des Buches hatte er eine Art Realitätsverlust erlitten, d.h. er konnte sich nicht mehr an einer bestimmten Realität orientieren. Als Folge davon driftete er in mehr oder weniger kurzen Zeitabschnitten durch eine Unmenge von Realitätsebenen, was ihn psychisch total fertigmachte, zumal er sich damals diesen Vorgang überhaupt nicht erklären konnte. Kaum hatte er sich auf eine veränderte Umgebung eingestellt, wurde er schon wieder in eine andere Realität gerissen. Alle diese Wechsel geschahen überraschend. Sie ließen sich nicht steuern. So war auch sein Auftauchen in der Realität zu erklären, in der ich mich befunden hatte. Auch er war ja zunächst mit dorthin verschlagen worden, aber plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden. Schließlich war er wieder in unserer Ursprungsrealität gelandet und dort in völlig aufgelöstem Zustand verhaftet und nach Bergotos eingeliefert worden. Die Realitätswechsel endeten dort, ähnlich wie ich wieder in der Ursprungsrealität gelandet war.

So lautete jedenfalls Luckys Erklärung für das Phänomen und ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Trotzdem blieben eine Menge Fragen offen:

Wurden alle, die den Übergang in die Stammeswelt mitgemacht hatten, irgendwann wieder in die alte Realität zurückversetzt?

Wenn ja, was geschah dann mit den Doppelidentitäten? Ich hatte immerhin Flie und Winnie in zwei Realitäten erlebt.

Oder waren Lucky und ich besondere Fälle, wobei bei mir der starke Wunsch nach einem Handeln in sozialen und politischen Zusammenhängen eine Rolle gespielt hatte?

Diese und andere Fragen hätte uns höchstens ein Beobachter beantworten können und sowohl der erste als auch Adlerauge hatten ihre Mission beendet. Ich bezweifelte allerdings, ob wir selbst mit Hilfe eines Beobachters imstande waren, dieses Zusammenspiel von anscheinend subjektiven und objektiven Realitäten zu erfassen. Aus Gründen unserer eingeengten Sozialisation waren wir bestimmt zu verkorkst, um sowas verstehen zu können.

Mir hatten ja schon Traumschwesters Erklärungen erhebliche Schwierigkeiten bereitet.

Ein weiteres Problem war für mich die Aufarbeitung der Zeit, die ich auf den Südlichen Inseln verbracht hatte.

Dort hatte ich zwar zum ersten Mal das Gefühl gehabt, mich nicht nur für mich sinnvoll politisch und persönlich zu engagieren, aber das unrühmliche Ende dieser Phase steckte mir doch sehr in den Knochen. Wie hatte es nur so schnell zum Abbruch jeglicher verbindlichen Beziehungen kommen können? Die Gruppe war unter dem Repressionsdruck von außen und den starken inneren Spannungen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Nach Lercs Tod und dem Abbruch der Beziehung zu Jenka hatte ich mich gefühlt wie ein einsames Blatt im Wind und wusste weder aus noch ein. Lucky hatte da ein paar gute Gedanken, die mich auf die Spur meiner Unzufriedenheit brachten.

»Vielleicht haben euch die Anfangserfolge ein ganz falsches Bild von eurer Gruppe geliefert«, meinte er. »Ihr wart nie die militanten Kämpfer, die ihr sein wolltet, auch wenn ihr euch das so lange eingeredet habt. Als dann die ersten Misserfolge eintraten, konntet ihr die Zerstörung dieses Bildes nicht verkraften.«

»Genau«, stimmte ich ihm zu. »Vor allem, weil wir die Misserfolge nicht verarbeiten konnten. Wir hatten kaum jemals über uns persönlich geredet, so dass die miese äußere Situation nur zu einer noch mieseren inneren führte. So kam es dann auch zu den Verzweiflungstaten von Lerc oder Hancos. Das waren ja totale Alleingänge, weil niemand vom anderen wusste, wie er oder sie sich fühlte.«

»Tja, und genau so ein Alleingang war dein Rückzug auch. Wahrscheinlich wärst du hinter deinen Büchern verstaubt, wenn du mit Jungos Hilfe nicht auf Pantar gestoßen wärst.«

»Ein sehr nettes Bild«, knirschte ich missmutig. »Aber es passt wohl ganz gut. Was mir noch wichtig erscheint, ist, dass ich trotz aller Zusammenhänge nie ein so starkes Selbstbewusstsein entwickelt hatte, dass ich mich über Wasser halten konnte. Ich habe mich vielen in der Gruppe nie ebenbürtig gefühlt und meine Beziehung zu Jenka war zum Schluss doch sehr von Eifersucht und Selbstmitleid geprägt gewesen. Wahrscheinlich habe ich mich immer zu sehr an andere Leute rangehängt, in der Stammeswelt waren es Willoc, Adlerauge und Traumschwester und auf den Inseln Lerc und die Gruppe. Klar, es ist wohl gut, solche Freunde zu haben, aber man darf nicht von ihnen abhängig sein, in so Beziehungskisten merkt man das ja besonders.«

»Leicht gesagt«, gab Lucky zu bedenken. »Aber schaff diese Gratwanderung erstmal. Hast du schon mal einen total unabhängigen Menschen erlebt, der nicht eifersüchtig oder deprimiert werden kann? Dazu sind die gesellschaftlichen Zustände doch auch wieder viel zu schlecht. Wahrscheinlich packt man das nur, wenn man erlebt hat, dass man sehr viel Vertrauen zu sich selbst haben kann, und dass einen die Repression von außen nicht fertigmachen kann.«

»Na, das ist ja schon bald eine Idealvorstellung: du kannst doch sehen, wie immer wieder alles auseinandergefallen ist: das Camp, die Wohngemeinschaft, die Gruppe, Change ... Letzten Endes sind die Herrschenden immer nur etwas angekratzt worden und wir mussten aufstecken.«

»Du spinnst doch!« protestierte Lucky. »Du hast doch erst den Anfang einer Revolte miterlebt. Und nur, weil eure Gruppe auseinandergefallen ist, kannst du doch nicht urteilen, dass alles schlecht war. Wie ich das in den letzten Tagen, nachdem ihr mich rausgeholt habt, in den Nachrichten mitgekriegt habe, lief bei weitem nicht alles so, wie die Herrschenden es sich vorstellten. Zumindest war es eine ganz schön explosive Situation.«

»Stimmt ja«, gab ich zu. »Manchmal gehe ich da wohl wirklich etwas zu sehr von mir aus. Ist irgendwie auch so ein blöder Pessimismus. Obwohl ich ja durchaus Anderes erlebt habe. Zum Beispiel in der Geld-Stadt. Da haben es die Leute wirklich geschafft, weil sie eine viel breitere Basis hatten. Da gab's massenhaft Streiks und Sabotage ... In Neu- Ing oder auf den Inseln hatte ich immer den Eindruck, dass die meisten Leute entweder durch die Medien so total verblödet sind oder zu eingeschüchtert. Außerdem war dieser ganze Widerstand immer so zersplittert.«

 

»Sag mal, was willst du eigentlich mit deiner Rückschau erreichen?«

»Tja, ich denke doch, dass ich mir über einiges klar werden kann. Jetzt hab ich doch Zeit, mal über alles nachzudenken. Vielleicht krieg ich ja was raus, was mich weiterbringt. Sonst macht man ja immer die gleichen Fehler nochmal.«

»Aber grübel nicht zu viel! Ob du etwas gelernt hast, wird sich erst in der Praxis zeigen. Ich glaube, das Denken allein hält einen nicht von Fehlern ab.«

»Du hast gut reden«, warf ich ihm vor. »Wo soll denn hier die Praxis herkommen. Außer dir sind weder Leute da, mit denen ich was auf die Beine stellen könnte, noch ist die Umgebung dazu angetan, mich sonderlich zu aktivieren.«

Lucky sagte nichts weiter dazu.

Unser anfänglicher Elan, was die Kurzos betraf, ließ allmählich immer weiter nach. Wir schafften es einfach nicht, an sie ranzukommen. Auch die wiederholte Nutzung des Archivs führte uns in dieser Hinsicht nicht wesentlich weiter. Sicher gab es einen Weg, aber uns fiel nicht viel mehr ein, als zu versuchen, die Kurzos auf bestimmte Sachen anzusprechen. Das misslang meist kläglich angesichts ihrer Wortkargheit. Alles blieb oberflächlich und unbefriedigend, so dass wir bald ganz aufsteckten. Umso isolierter fühlten wir uns natürlich. Die Hilflosigkeit, unsere merkwürdige, technische Umgebung genügend zu begreifen, kam noch dazu.

Wir verbrachten deshalb viele Stunden zusammen an den Außenbildschirmen, beobachteten fasziniert die Sterne oder das, was die Kurzos Grauzone nannten, wenn sich das Raumschiff mit Überlichtgeschwindigkeit fortbewegte. Aus diesen Situationen entstanden meist unsere tieferen, »philosophischen« Gespräche, bis uns auch diese nicht mehr weiterbrachten, außer dass wir uns gegenseitig mehr kennenlernten. Und das war ja auch schon eine ganze Menge.

Was Lucky betraf, entwickelte er mit der Zeit ein ungewöhnliches Interesse an der technischen Seite unseres Abenteuers.

Es beschäftigte sich mit der Art des Schiffsantriebs und ließ sich hartnäckig alle möglichen Details von den Kurzos erläutern. Ja, er machte sogar regelrechte Schulungskurse mit, um wenigstens theoretisch einige Geheimnisse der Kurzo-Technik und Wissenschaft zu entschleiern. Ich wunderte mich nicht wenig über seine sonderbare Leidenschaft, kannte ich ihn doch mehr als lustigen Bücherwurm aus seiner Bibliothekszeit. Ich nahm an, dass ihn seine vorangegangenen Erlebnisse auf diese Weise verändert hatten.

Ich selbst kümmerte mich eine Zeit lang ausgiebig um das Archiv, um meine Neugier zu befriedigen. Der Computer stellte sich als wesentlich kooperationsbereiter als die Kurzos raus. Ich interessierte mich für alles und nichts und wusste oft nicht, wo ich mit fragen anfangen sollte. Als hauptsächliche Bildschirmlektüre diente mir das schon erwähnte »Handbuch«, das anscheinend auch außerhalb des Kurzo-Sektors sehr bekannt und gebräuchlich war und deshalb viele Informationen nicht nur aus Kurzo-Sicht beinhaltete.

Was gab es alles für Völker in der Milchstraße, unserer Galaxis? Was hatten sie für Gesellschaftssysteme? Konnte man diese überhaupt verstehen oder waren sie so fremdartig, dass es für uns unmöglich war, etwas davon zu begreifen? Was gab es für Kontakte zwischen diesen Völkern? Waren sie bestimmt durch Formen von Macht und Herrschaft oder gab es andere, freie Beziehungen? Wie sah es aus mit Wirtschaft, Kultur, Geld und tausend anderen Sachen?

Meine Verwirrung wurde durch das viele Herumstöbern nicht viel geringer. Klar wurde mir nur, dass es eine solche Vielfalt gab, dass sich unmöglich irgendwelche allgemein gültigen Maßstäbe finden ließen. Angesichts dieser Fülle von Material verließ mich auch der letzte Rest irdischer Borniertheit. Erst ziemlich am Ende meiner Nachforschungen geriet ich auf eine Spur, die sich lohnte weiter zu verfolgen. Aber ich begriff erst ziemlich spät, dass es sich überhaupt um eine Spur handelte und dann verhinderten andere Ereignisse, dass ich mich weiterhin im Archiv aufhielt. Nur so viel war mir bald klar: das Handbuch nahm trotz aller Unterschiede auf bestimmte Art doch eine Einteilung vor, nach der ich hätte Vorgehen können. Doch wie gesagt, als mir das in den Sinn kam, war es schon zu spät.

Meine Beziehung zu Lucky (oder seine zu mir) entwickelte sich nicht gradlinig. Wir fielen beide in unbestimmten Zeitabschnitten von einem überhöhten Optimismus in tiefen Pessimismus und umgekehrt, je nachdem, an welche Vorstellungen wir uns gerade klammerten. Zu den Kurzos konnten sich aus den erwähnten Gründen keine Freundschaften entwickeln. Selbst zu Obechan-Kol nicht, von dem ich den Eindruck hatte, dass es ihm bald unangenehm war, dass er uns überhaupt eingeladen hatte.

Die Kurzos blieben für uns verschlossene Fremde. Allerdings hatte ich ja schon einige Freundschaften zu »Fremden« hinter mir, auch wenn sie immer wie Menschen ausgesehen hatten: da waren etwa Willoc oder Traumschwester und besonders die beiden Beobachter. Im Lauf der Zeit war mir deshalb der Gedanke gekommen, dass ich manchmal eher mit »Fremden« warm wurde, als mit Menschen, die ich schon lange kannte. Aber vielleicht war das auch nur der einfachere Weg. Mit Leuten, die man neu kennenlernt, gibt es immer etwas zu besprechen, bei alten Bekannten muss man sich sehr bemühen, auch ihre »negativen« Seiten zu akzeptieren, also den ganzen Menschen zu verstehen. Wahrscheinlich hatte ich oft den Fehler gemacht, Freunde fallen zu lassen, wenn sich rausstellte, dass sie doch nicht so waren, wie ich wollte, dass sie sein sollten.

Mit Lucky jedenfalls lief es die ersten Wochen ganz toll.

Wir konnten wunderbar zusammen lachen, aber auch die große Leere fühlen, die unsere völlige Abgeschiedenheit von anderen Menschen mit sich brachte. Unsere Zärtlichkeiten beschränkten sich dabei auf ein Streicheln oder Umarmen, obwohl wir schon bald dazu übergingen, unsere Betten aneinander zu rücken, und so praktisch zusammen in einem schliefen. Das reichte uns fürs erste. Keiner hatte Lust, durch einen Gewaltakt irgendwelche Mauern niederzureißen, so lange es uns so gefiel. Wenn sich unsere Bedürfnisse ändern sollten, würden wir vielleicht einen Weg finden. Gleichzeitig war uns bewusst, dass dieser mehr oder weniger angenehme Zustand nicht allzu lange anhalten würde. Unsere Isoliertheit musste sich irgendwann bemerkbar machen. Wir waren auf Kontakt mit Menschen oder zumindest uns ähnlichen Lebewesen angewiesen. Daher konnte diese abgeschlossene Zweisamkeit nicht gut enden.

Die Situation änderte sich für uns, nachdem wir schätzungsweise fünf Wochen unterwegs waren - allerdings mehr durch äußere Umstände.

Ich war an diesem Morgen ziemlich mürrisch und kam gerade unverrichteter Dinge aus dem Archiv. Ich musste jetzt unbedingt mit Obechan-Kol sprechen, egal wie bockig er sich anstellte.

Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich wirklich nicht mehr wusste, wie ich weiter vorgehen sollte. Er musste mir wenigstens ein paar Hinweise geben, damit ich eine Art Übersicht bekommen konnte.

Ich wusste mittlerweile, welche Kabine er bewohnte, und bewegte mich mit der üblichen Vorsicht in diese Richtung. Es gehörte zwar nicht zum guten Ton, einem Kurzo »unnötige« Fragen zu stellen, aber dies war absolut notwendig. Hoffentlich erwischte ich ihn, wenn er nicht gerade etwas zu tun hatte.

Als ich dann endlich vor seiner Tür stand, stockte ich einen Moment. Nicht dass ich auf einmal den Mut verlor, aber über der Tür brannte ein Licht in einem Farbton zwischen lila und rot, der mir noch nie vorher begegnet war.

Merkwürdig, dachte ich noch, dann drückte ich gegen die Tür, die sich sofort öffnete. Kurzos kannten weder Anklopfen noch Schlösser.

Ich wurde sofort in eine Kaskade verschiedenfarbiges Licht getaucht. Geblendet hielt ich schützend den Arm vor meine Augen. Ich konnte kaum etwas erkennen. Alles, was ich inmitten der Lichterflut sah, waren ein schemenhafter Körper -wahrscheinlich der von Obechan-Kol - und eine Säule aus nicht identifizierbaren Gegenständen. Die Gestalt war seltsam verzerrt, schwankte hin und her und schien sich ständig zu verändern.

Eine Sinnestäuschung! schoss es mir durch den Kopf, dann ertönte ein grässlicher Schrei und das Licht änderte seine Farbe in ein dunkles Lila.

Panikerfüllt rannte ich raus und warf die Tür hinter mir zu. Zitternd stand ich eine Weile davor. Was hatte das alles zu bedeuten?

Dann schlug ich automatisch den Weg zu unserer Kabine ein und hatte sie fast erreicht, als sich die schummrige Gangbeleuchtung in ein milchiges Gelb wandelte. Was das bedeutete, wusste ich: Alarm! Und ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass ich derjenige war, der ihn ausgelöst hatte, auch wenn ich gar nicht wusste, was vorgefallen war.

Lucky stürzte aus der Kabine, bevor ich eintreten konnte.

»Was ist denn los?« rief er mir zu, als er mich so versteinert dastehen sah.

»Ich glaube ...«, stammelte ich, »… sie sind hinter mir her.«

»Was? Warum?«

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. »Das weiß ich ja selbst nicht.«

Lucky schaute von einem Ende des Ganges zum anderen.

»Mensch, wir können hier nicht rumstehen, bis die Kurzos auftauchen. Wer weiß, was die vorhaben. Und hier werden sie dich zuerst suchen.«

»Aber ich hab nichts getan. Ich kann doch erklären ....«

Lucky rüttelte mich am Arm.

»Weißt du nicht, was das ist?« Er deutete auf das Licht. «Das ist kein einfacher Alarm. Das bedeutet sowas wie Großfahndung! Wir müssen uns verstecken!«

»Aber wieso?«

»Ist doch egal … Schnell, wir rennen zum nächsten Hangar. Da werden sie uns nicht gleich vermuten.«

Er zog mich mit sich und wir rannten los. Plötzlich dröhnten Lautsprecher los. Eine kurze Durchsage, die unsere Übersetzer folgendermaßen Wiedergaben:

»Die beiden Fremden sind aufzuspüren und in Gewahrsam zu nehmen!«

»Da haben wir den Salat!« rief Lucky mir im Laufen zu.

Ich verstand immer noch nichts, nur dass es richtig war wegzulaufen, immer weiter die endlosen Gänge entlang, vorbei an bizarren Maschinen und irreführenden Spiegelungen, unzählige Rutschen hinab bis in eine Gegend, in die ich noch nie vorgedrungen war. Aber Lucky kannte sich anscheinend aus, sonst hätte er nicht gewusst, wie man diese ganzen »Fallen« umgehen konnte, und wir wären bestimmt nicht lebend ans Ziel gelangt. In einer Nische blieb er stehen.

»Nur … kurz … ausruhen«, keuchte er.

Ich nickte, dankbar für die Atempause.

»Wahrscheinlich suchen sie dich erst im Archiv, wo du oft gewesen bist«, vermutete Lucky. «Bis jetzt sind wir ja niemandem begegnet. Aber erzähl mal, was passiert ist.«

Ich schilderte ihm kurz mein Erlebnis.

»Merkwürdige Sache«, murmelte er. «Aber mir kommt da etwas bekannt vor. Ich krieg's jetzt aber nicht zusammen. Auf jeden Fall ist es gefährlich für uns.«

»Du sprichst in Rätseln.«

»Lass uns weitergehen«, drängte er. »Wir haben's eh gleich geschafft.«

»Sag mir lieber, was du da im Hangar willst.«

»Zuerst war's nur eine fixe Idee, aber jetzt glaube ich, dass es besser ist, wenn wir uns ein Beiboot schnappen und abhauen.«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Sag mal, spinnst du?«

Lucky kam nicht dazu, mir zu antworten, denn wir hörten plötzlich hinter uns das charakteristische Gehopse und Getrappel der Kurzos. Wir rannten wieder los und bogen um die nächste Ecke.

»Schnell, hier rein!«

Lucky schubste mich durch eine Tür in eine kleine Kammer. »Das ist eine Art Waffendepot«, stieß er hervor.

»Aber ich will doch niemanden erschießen«, wehrte ich ab.

»Ich auch nicht. Hier, nimm !«

Er gab mir ein paar kugelförmige Gegenstände und steckte sich auch welche in die Taschen. Langsam kehrte mein bewusstes Denken zurück. Ich spähte nach draußen.

»Die Luft ist rein. Sie sind vorbeigelaufen.«

»Gut. Ein paar Meter müssen wir noch durchhalten.«

Wir stürmten hinaus und weiter ging's. Doch schon bald waren die Kurzos wieder hinter uns. Ich drehte mich kurz um. Sie hatten uns bereits entdeckt und schwenkten drohend ein paar waffenähnliche Geräte. Kurz darauf fauchte ein heißer Strahl über unsere Köpfe. Daraufhin schmiss Lucky zwei von den Kugeln in die Richtung unserer Verfolger. Die Kugeln zerplatzten und die Umgebung wurde sofort in ein grelles Licht getaucht.

»Sie verlieren dadurch die Orientierung«, erklärte Lucky.

 

»Mann, du kennst dich ja aus.«

»Das ist manchmal wichtiger, als im Archiv rumzuwühlen.«

Ich schluckte das runter. Wir entwischten also den Kurzos ein weiteres Mal und mussten noch zweimal die Kugeln einsetzen, bis wir ein riesiges Schott erreichten.

Lucky bediente fachmännisch die Öffnungsautomatik und vor uns erstreckte sich eine riesige Halle, in der zwei linsenförmige, blaue Gebilde lagerten. Das Schott schloss sich hinter uns.

»Kalt ist es hier«, sagte ich fröstelnd.

Die Halle wirkte total ernüchternd, nur nach technischen Gesichtspunkten ausgestattet.

»Das sind zwei Beiboote«, erklärte Lucky. »Sie werden normalerweise zu Erkundungsflügen benutzt.«

»Und in so einem Ding sollen wir fliehen?«

Ich schauderte bei dieser Aussicht.

»Ich denke, uns bleibt nichts anderes übrig. Oder weißt du etwas Besseres?«

»Leider nicht. Aber für Selbstmordkommandos bin ich nicht in Stimmung heute.«

»Wir müssen's halt versuchen. Ein paar Simulationsflüge habe ich damit schon hinter mir.«

»Also dann rein in die gute Stube, bevor die Kurzos auf die Idee kommen, hier rumzuschnüffeln.«

Wir gingen auf die rechte Linse zu. Das Ding musste ungefähr 15 Meter lang und 8 Meter breit sein. Lucky öffnete ein Einstiegsluke. Er musste sich wirklich ausführlich damit beschäftigt haben.

»Komm schon!« forderte er mich auf. »Oder willst du da Wurzeln schlagen?«

»Nein, danke. Aber es kommt alles einen Tick zu überraschend.«

Lucky führte mich ins Innere des Bootes in einen Raum mit einer eindrucksvollen Zahl an technischen Instrumenten, Knöpfen, Hebeln, Schaltern, Skalen, Bildschirmen usw.

»Aha, der Pilotenstand«, vermutete ich.

»Richtig, und stehen müssen wir hier tatsächlich. Eine blöde Angewohnheit der Kurzos.«

»Tja, aber … ich vermute, es dauert zu lange, bis du mir einen Einführungskurs gegeben hast.«

»Wenn's klappt, geht alles automatisch.«

»Oh, ja dann.«

Ich lehnte mich erschöpft an das Instrumentenpult, während Lucky vorsichtig einige Schaltungen vornahm.

»Was passiert jetzt?« fragte ich heiser.

»Ich hoffe, dass jetzt draußen das Warnlicht aufleuchtet und sich dann das Dach dieser Halle öffnet, nachdem die Luft abgesaugt ist.«

»Das heißt, die Kurzos können dann nicht mehr rein.«

»Genau. Selbst in Raumanzügen ist es zu gefährlich, ein startendes Beiboot aufhalten zu wollen.«

»Können die Startvorbereitungen nicht von irgendeiner Zentralstelle rückgängig gemacht werden?«

»Keine Ahnung. Das werden wir ja sehen.«

Schöne Aussichten, dachte ich. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich das »Dach« des Hangars zurückgeschoben hatte. Inzwischen manipulierte Lucky weiter am Schaltpult herum, programmierte den Steuercomputer usw. Schließlich blickten wir in die gähnende Leere des Weltraums.

»Zum Glück fliegen wir gerade unter Lichtgeschwindigkeit«, kommentierte Lucky. »Sonst wäre ein Start gar nicht möglich.«

»So, so … und wenn die uns draußen abknallen mit irgendwelchen Raketen oder Laserstrahlen oder was man heute so an Weltraumbewaffnung hat?«

»Ich hab versucht, die Automatik so einzustellen, dass wir gleich voll beschleunigen und in der Grauzone verschwinden.«

Ich wischte mir erneut den Schweiß von der Stirn. »Na, hoffentlich ist das Ding wenigstens aufgetankt.«

»Sei nicht immer so negativ, es wird schon klappen!«

Daraufhin hielt ich den Mund.

Plötzlich donnerte es unter uns los, und ehe ich begriff, dass es nur unser Antrieb war, wurde das Beiboot auch schon aus dem Hangar katapultiert. Was für ein Katastrophenstart, dachte ich noch, als das Raumschiff der Kurzos auch schon »unter« uns lag. Nur einen Moment sah ich die Silhouette im Licht der Außenscheinwerfer, dann hüllte uns ein düsteres Grau ein. Wir hatten es also in die Grauzone geschafft. Mitten hinein.