Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten

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Loe katkendit
Märgi loetuks
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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

In der Klimakrise sind wir schon mittendrin, wissen aber gleichzeitig, dass wir erst am Anfang stehen. Die Bedrohung hat zwar schon begonnen, ist aber für die meisten eher ein Problem in der Zukunft. Heute brennen die Wälder in Kalifornien und Australien, morgen genauso in Deutschland, sagen uns die Klimawissenschaftler. Also: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Oder müssen wir in Panik verfallen – wie es Greta Thunberg vor der UNO gefordert hat?

Um mehr Aufmerksamkeit für diese brennenden Fragen zu erreichen, hat eine Initiative »Klima vor acht« meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der »Tagesschau« aufgefordert, täglich vor der Tagesschau anstelle der Sendung »Börse vor acht« aktuelle Klimanachrichten zu senden, eben »Klima vor acht«. Ich stimme dem Vorschlag zu, schlage aber einen anderen Titel vor: »Fünf vor zwölf«.

Nach 25 Weltklimakonferenzen und nach 30 Jahren Diskussion über die Klimaerhitzung kann niemand mehr sagen: »Das habe ich nicht gewusst.« Wir wissen sehr wohl, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen. Als Spezies sind wir anscheinend recht intelligent, aber zugleich auch sehr kurzsichtig. Woher kommt diese Handlungslücke und wie können wir sie überwinden? Ich beschäftige mich in meinen Büchern, Fernsehsendungen und in Vorträgen seit 30 Jahren mit dem Klimawandel und diskutiere mit Wissenschaftlern ständig darüber. Dabei habe ich vor allem eines gelernt: Wohl selten zuvor ist die Wissenschaft von der Realität so bestätigt worden.

Warum aber wurde diese Wissenschaft von der Politik, der Wirtschaft und auch von uns Journalisten so lange nicht ernst genommen, obwohl die Klimawissenschaft schon lange belastbares Material über den Klimawandel liefert? Im Deutschen Bundestag hat die klimawandelskeptische AfD eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet: »Was veranlasst die Bundesregierung zu der Feststellung, dass 97 Prozent der Klimaforscher behaupten, der Klimawandel sei eine Realität?« Die völlig richtige Antwort der Bundesregierung hieß: Nicht 97 Prozent, sondern inzwischen 99 Prozent der Klimaforscher sind dieser Meinung.

Seit über 50 Jahren werden die Vorhersage-Modelle der Wissenschaftler immer präziser. Sie können heute selbst die »Vorhersage von Vorhersagefehlern« mit berücksichtigen. Daten aus erdgeschichtlicher Vorzeit wie aus der Gegenwart, von Satelliten und Flugzeugen aufgezeichnet, helfen dabei. In den Siebzigern des letzten Jahrhunderts wurde die Ökologie neu entdeckt. 1972 publizierte der »Club of Rome« seine Thesen über die »Grenzen des Wachstums«. Seither könnten wir wissen, dass die tradierte industrielle Produktionsweise und unser konsumorientierter Lebensstil den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur langfristig zerstören werden, im Sozialismus ebenso wie im Kapitalismus. Systemunabhängig beraubt sich seiner eigenen Zukunft, wer auf Kosten der Natur lebt.

Wer wie ich als Fernsehjournalist über die Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes, den Smog über Chinas Millionenstädten, die Flutkatastrophe 1971 in Bangladesch mit 350.000 Toten, über die Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima berichtete und über die brennenden Türme des World Trade Cen­ters am 11.9. 2001 in New York, der muss sich fragen, ob unser politisches System des globalen Raubtier-Kapitalismus langfristig überhaupt überlebensfähig ist.

Ich habe auf diese Systemfrage keine endgültige Antwort. Für am ehesten zukunftsfähig halte ich das politische System einer ökosozialen Marktwirtschaft, wie sie auch die katholische Soziallehre, die evangelische Sozialethik oder Papst Franziskus mit seinen Sozial- und Umweltenzykliken beschreiben. Dieses System bedarf allerdings zuerst einer Bewusstseinsrevolution von Millionen Menschen und einer raschen humanen Potenzialentfaltung, wie wir sie noch nie in der Geschichte erlebt haben. Die neue Herausforderung: Bis vor etwa 200 Jahren ging es in einer (menschen-)leeren Welt immer um ein paar 100 Millionen Menschen weltweit, heute geht es in der vollen Welt um acht und bald um zehn Milliarden Menschen.

Unsere Welt wird immer stärker von Menschen, aber immer dünner von Pflanzen, Tieren und Wildnis besiedelt. Geradezu im Sturzflug beschleunigt sich das Aussterben: Seit 1970 sind mehr als zwei Drittel aller wilden Vögel, Säugetiere, Fische, Amphibien und Reptilien für immer verschwunden.

Seit etwa 30 Jahren wird die Weltgesellschaft von einer Art westlichem Fundamentalismus beherrscht: Diese neoliberale Politik entwickelte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Sie wurde hauptsächlich genährt von zwei großen Illusionen. Einmal hatten viele westliche Politiker die freiheitlich westliche Politik für alternativlos gehalten, weil der Kommunismus ja zusammengebrochen war, das westliche System aber überlebt hatte. Die zweite große Illusion hieß, es gehe einer Gesellschaft immer besser, wenn immer mehr bisher öffentliche Aufgaben privatisiert würden. Als Folge dieser Illusionen wurden bislang gut funktionierende Sozialsysteme demontiert, kulturelle Werte zerstört und die ökologischen Ansätze einer neuen Politik verdrängt. Handlungsspielräume demokratischer Politik wurden den sogenannten Sachzwängen des Weltmarktes geopfert.

Die Folgen erleben wir heute: Das Vertrauen in demokratische Werte, Parteien und Institutionen schwindet, Klimaschutz wurde verschlafen und soziale Ungerechtigkeiten wachsen. Neues Wettrüsten gefährdet den Weltfrieden.

Daraus ergeben sich für eine langfristige Zukunftssicherung folgende Forderungen:

 Die rasche Umstellung von Energie- und Rohstoffbasis auf erneuerbare und nachhaltig verfügbare Ressourcen;

 eine Weltwirtschaftsordnung, die eine ökosoziale Marktwirtschaft anstrebt: ökosozial statt marktradikal;

 die Förderung von Konzepten ökologischen Bauens und menschenfreundlicher Verkehrssysteme;

 Strategien zur Entflechtung von Monopolen in der Wirtschaft;

 Abrüsten statt Aufrüsten sowie eine atomwaffenfreie Welt;

 ein neues Weltethos.

Haben wir es heute vielleicht mit Ethik-Traditionen und mit einem Naturverständnis zu tun, das für die Gegenwart nicht mehr taugt?

Alle sozialen Bewegungen – die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung, die Friedensbewegung, die Umweltbewegung, die »Fridays for Future«-Bewegung – haben mehr Gerechtigkeit zum Thema. Gesellschaftliche Veränderungen finden immer dann statt, wenn »die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen« (Harald Welzer). In einer solchen Situation befinden wir uns heute.

Seit 2019 ist klar, dass die politische Klasse nicht mehr kann und die Jugend endgültig die Geduld verloren hat. Die Ikone dieser FFF-Bewegung heißt Greta Thunberg (s. S. 19 ff.). Die junge Frau sieht aus, als könne sie keiner Fliege etwas zuleide tun, aber ihre Wut-Rede schockierte eine ganze UNO-Vollversammlung und brachte ihr Standing Ovations ein.

Schon Albert Einstein vermutete: »Wir benötigen eine neue Sicht des Denkens, wenn der Mensch überleben will … das bedeutet notwendigerweise eine neue Sicht der Dinge.« Dem werden Sie zustimmen, aber welche »neue Sicht des Denkens« und welche »neue Sicht der Dinge« ist das?

2000 Jahre nach der Bergpredigt Jesu und 300 Jahre nach der Aufklärung sind wir verstandeseinseitig gebildet, geprägt und aufgewachsen wie nie zuvor. Wir wissen heute viel, aber fühlen wenig – gemessen an unserem immer größer werdenden formalen Wissen. Unsere Computer und Algorithmen wissen fast alles, aber sie fühlen gar nichts, sie sind seelenlos und sie haben keine Träume. Warum wohl ist aus dem vielen Wissen, das uns heute zur Verfügung steht, noch keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft und von Weisheit geprägt wäre? Roger Willemsen meinte: »Das Gefühl ist ein schlechter Ratgeber, sagen wir immer noch – als ob der gesunde Menschenverstand ein besserer wäre!«

Wir Menschen sind von Natur aus in unserer Ganzheit eine kraftvolle Körper-Geist-Seele-Einheit. Das sind Computer nicht. Was uns aber zu dieser Ganzheit oft fehlt, ist Herzensbildung. Das äußere und das innere Wachstum sind meist nicht in Balance. Wir sind Weltmeister im äußeren Wachstum, aber seelisch häufig verkrüppelt und infantil. Deshalb geht es den meisten Menschen in den Industriestaaten ökonomisch besser als allen Generationen vorher. Doch wenn äußeres Wachstum und seelische Entwicklung nicht harmonieren, kommt es zu Gleichgewichtsstörungen und Krankheiten. Denn erst individuelles inneres Wachstum, äußerer beruflicher und wirtschaftlicher Erfolg, liebevolle Herzensenergie in Verbindung mit einem gedeihlichen Familien- und Gemeinschaftsleben ergeben insgesamt ein gelingendes Leben. Diese Ganzheit ist der Weg zum Glück. Und ein glückliches Leben ist der Sinn unseres Hierseins. Dafür bedarf es zunehmender Bewusstheit, innerer Heilung sowie wachsender Lebensfreude und Mitverantwortung für das »große Ganze«. Erst so können wir auch die volle Verantwortung für unser Leben übernehmen.

Die entscheidende Lehre aller Religionen und aller Weisheitslehren heißt: Unsere unsterbliche Seele macht uns unsterblich. Es gibt keinen Grund zur Angst vor dem Sterben, denn es gibt keinen Tod. Der Geist ist so unsterblich wie unsere Seele. Das ist die eigentliche Frohbotschaft, aus der die real existierenden Kirchen leider oft eine Drohbotschaft gemacht haben. Aber die Welt ist im Wandel und gelangt von Bewusstseinsstufe zu Bewusstseinsstufe. Immer mehr Menschen gestalten ihr Leben aus der Kraft des bewussten Seins.

Leben ist mehr als Chemie und Physik. Wenn wir nur Chemie und Physik verstehen, verstehen wir auch diese nicht. Auch das Staunen über das Geheimnis des Lebens haben wir oft verlernt, weil wir faktenversessen und geheimnisvergessen sind. Alle Geheimnisse der Natur sind offensichtlich, aber wir bemerken sie kaum noch. Doch nur, wenn wir lernen, das Leben und die Schöpfung zu lieben, werden wir weder uns noch die Schöpfung weiter zerstören.

 

Die Menschwerdung der Menschen hat erst begonnen. Das ist die wahre Zukunftsmusik, Musik für eine bessere Welt.

Was würde passieren, wenn wir uns endlich diese Wahrheit eingestehen würden, statt die Realität zu leugnen?

Die kanadische Aktivistin und Journalistin Naomi Klein schreibt: »Denn in der heißen sturmreichen Zukunft, die durch unsere bisherigen Emissionen bereits garantiert ist, sind der unverbrüchliche Glaube an die Gleichberechtigung aller Menschen und die Fähigkeit zu tiefem Mitgefühl das Einzige, was unsere Zivilisation davor bewahren kann, in Barbarei zu versinken.«

Und der Ökonom, Friedensnobelpreisträger und »Erfinder« der Mikrokredite für Arme in Bangladesch, Muhamad Yunus, meint: »Ein anderer Kapitalismus ist machbar – wie Social Business Armut beseitigt, Arbeitslosigkeit abschafft und Nachhaltigkeit fördert.«

Wie aber kann eine Wirtschaft jenseits des uns bekannten Kapitalismus aussehen? Yunus’ Idee des »Social Business« ist die konkrete Vision einer neuen postkapitalistischen Form des wirtschaftlichen Handelns. Er entwickelt eine neue Sicht des Menschen, dem es nicht nur als homo oeconomicus um Profitmaximierung geht, sondern als ein soziales Wesen auch um das Allgemeinwohl. Wie jedoch erreichen wir diese hehren Ziele: keine Arbeitslosigkeit, keine Armut und nachhaltige Wirtschaft?


Muhamad Yunus mit Franz Alt. Der Ökonomieprofessor und Friedens­nobelpreisträger »erfand« Mikro­kredite und »Social Business« als nachhaltige Form wirtschaftlichen Handelns. Schon 2010 verkaufte er über seine Grameen Bank täglich 1.000 kleine Fotovoltaik-Anlagen, sogenannte solar home systems. Hier nimmt er den ­»SolarWorld Einstein-Award« entgegen. Foto: sonnenseite.com

Können uns die Religionen vielleicht dabei helfen? Welche Rolle spielen sie heute noch? Warum treten allein in Deutschland Jahr für Jahr etwa eine halbe Million Menschen aus den beiden großen christlichen Kirchen aus? Ich schreibe diese Zeilen an Weihnachten 2020, wenn in den Kirchen wieder gesungen wird: »Christ, der Retter ist da.« Ja, wo ist er denn der Retter in den Zeiten von Corona? In den Zeiten der Klimaerhitzung, des Massenaussterbens und in den gefährlichen Zeiten eines stets möglichen Atomkriegs? Auch auf diese Fragen suchen wir die Antwort stets im Außen. Aber sie liegt in uns. Die Antwort auf diese Frage gab mein Kollege Heribert Prantl am 22. Dezember 2020 in der »Süddeutschen Zeitung«:

Weihnachten ist kalendarisch am 24./25. Dezember.

Das wirkliche Weihnachten ist in diesen Zeiten dann,

wenn Flüchtlinge gerettet werden.

Das wirkliche Weihnachten ist dann,

wenn Flüchtlingskinder wieder sprechen, spielen und essen.

Das wirkliche Weihnachten ist dann,

wenn ›Der Retter‹ wirklich kommt –

und er nicht nur im Weihnachtslied besungen wird.

Ja, an Weihnachten ist Gott Mensch geworden, damit der Mensch vergöttlicht wird, Anteil am göttlichen Leben hat und so anderen helfen kann. Für mich ist Weihnachten die Einladung, das zu leben, wovon wir schon immer geträumt haben. Weihnachten heißt: Es ist immer ein neuer Anfang möglich. So wie mit jedem Kind das Leben neu beginnt. Und das heißt: »Unsere Würde besteht nicht darin, was wir leisten, sondern in dem, was wir sind. Wir sind Kinder Gottes. Wir sind von Gottes Art« (Anselm Grün). Menschen können sich ändern und sich weiterentwickeln. Wir sind nicht nur lebensfähig, sondern auch liebesfähig. Muhamad Yunus: »Wenn es gelingt, Unternehmen zu etablieren, die diesem Streben der Menschen Raum geben, dann ist das der Beginn einer zivilisierten Revolution.«

Wir können fühlen, was die Welt fühlt, neu denken und dann mit Mut die Zukunft gestalten. Eine neue Balance zwischen Denken und Fühlen ist die Voraussetzung für neues Handeln.


1. Gott ist Geist – Gott ist Liebe – Gott ist Energie

Gott ist für mich ein anderes Wort für das permanente Wunder der Liebe. Gott ist ein anderes Wort für Liebe, sagt das Johannesevangelium. Im selben Evangelium heißt es auch »Gott ist Geist« (Joh 4,14). In Jesu Muttersprache Aramäisch und im Hebräischen ist Geist (ruach) weiblich, also Geistin, eine weibliche Schöpferkraft. Doch dem christlichen »Herrgott« ist die Weiblichkeit Gottes, die Jesus gelebt und gelehrt hat, in 2000 Jahren abhandengekommen. Gott ist auch ein anderes Wort für Energie, für die Ur-Energie allen Seins.

Der Gott Jesu lebt nicht nur in Tempeln, sondern auch im unberührten Urwald, den er in 60 Millionen Jahren wachsen und gedeihen ließ. Kein Wissenschaftler kann von sich aus, durch seinen Willen, auch nur einen Grashalm wachsen lassen, geschweige denn einen Urwald.

Aber Gott lässt sich doch nicht beweisen, höre ich immer wieder. Das halte ich für das wirkmächtigste, aber falsche Gerücht unserer Zeit, einfach Fake News. Für mich ist die Schöpfung, sind die Naturgesetze der überzeugendste Gottesbeweis. Das kann doch jede und jeder jeden Tag neu sehen und erfahren. Man muss dafür allerdings die Augen und das Herz öffnen. Bei sehr vielen Menschen ist freilich dieser wichtige Weg vom Kopf zum Herzen versperrt, obwohl er doch nur rund 40 Zentimeter beträgt. Kein Weg ist länger als der vom Kopf zum Herzen. Für viele eine Marathonstrecke.

Die Liebe meiner Frau ist ein unwiderlegbarer, besonders überzeugender, stets neuer und immer wieder überraschender Gottesbeweis, der mich mit unendlicher Dankbarkeit und Freude erfüllt. Das Schönste und Aufregendste, was Gott geschaffen hat, ist ja sowieso die Frau. Allein das ist ein Grund, Gott über alles zu lieben.

Meine Lebenserfahrung lehrt mich: Unsere materielle Welt steht immer auch in Verbindung mit der geistigen Welt, die wir so sehr vergessen und verdrängt haben. Aber erst diese Verbindung ermöglicht es, dass aus Wissen (ratio) auch Weisheit (sapientia) wird. Wenn wir diese spirituelle Dimension, also den göttlichen Funken in uns, wieder erkennen und entsprechend handeln, werden wir fähig, wirklich einen Beitrag zur Rettung des Planeten und zur Bewahrung der Schöpfung zu leisten. Doch diese Verbindung zwischen der materiellen und der geistigen Welt ist das große Tabu-Thema unserer Zeit. Der deutsch-brasilianische Autor und Philosoph Victor Rollhausen sagt es in seiner dreibändigen Vision »Earth Oasis Netzwerk« so: »Der materiell konditionierte Zeitgeist und die damit verbundene Hybris des Ego-Verstandes lassen wenig Raum für Ehrfurcht und Demut. Und das angesichts einer grandiosen Schöpfung, die wir weder begreifen noch selbst erschaffen können.« Wir stehen also vor großen Herausforderungen an unser Denken, aber noch mehr an unser Handeln und Gestalten. Carl Gustav Jung nennt diese Herausforderung ganzheitlichen Denkens und Handelns so: »Mit dem Verstand allein kommen wir niemals zur Vernunft.« »Die menschliche Seele«, sagt Jung, ist »die einzige Supermacht, die ich anerkenne«.

Wir sollten uns mehr Zeit nehmen für unsere Seele. Das ist das Geheimnis wirklichen Lebens. Zum Beispiel mehr auf unsere Träume achten. Botschaften, die nur unseren Verstand erreichen, heilen nicht.

Soweit wir es heute wissen, ist das menschliche Gehirn die höchste Errungenschaft der Materie. Doch mit der Macht des von keinem Geist gezügelten Verstandes haben wir die Zündschnur zu unserer eigenen Zerstörung gelegt. Die Geister, die wir durch atomares Wettrüsten, durch das Massenaussterben und durch die Klimaerhitzung gerufen haben, werden wir rationalistischen »Zauberlehrlinge« nicht mehr los. Bis heute zumindest.

Die große Frage ist, ob wir es noch rechtzeitig schaffen, diese riesigen Gefahrenherde zu beseitigen. Manche meinen, dass uns die Künstliche Intelligenz (KI) dabei helfen könnte. Doch wie wäre es, wenn wir es ganz rasch mit unserer natürlichen Intelligenz (NI) versuchen würden, indem wir uns auf unsere Geist-Seele-Körper-Einheit besinnen? Dieser Rettungsversuch kann freilich nur gelingen, wenn wir die Schattenkräfte hinter unseren technischen Errungenschaften wahrnehmen und dadurch geistig reifen.

2. Reifen statt wachsen

Die vielleicht wichtigste Frage unseres Jahrhunderts heißt: Was wollen wir – ewiges materielles Wachstum oder geistiges Reifen? Jeder Mensch wächst etwa 18 Jahre lang im Außen – wenn wir äußerlich immer weiterwachsen würden, könnten wir uns nicht mehr in unseren Häusern bewegen. Ab etwa 18 ist etwas anderes gefragt: reifen, innerlich reifen. Nicht zufällig legen wir an unseren Gymnasien mit etwa 18 Jahren die Reife-Prüfung ab, nicht die Wachstums-Prüfung. Also: Endlich reifen, statt unendlich zu wachsen.

Das Heilmittel heißt Bewusstseinsreife.

Vielleicht ist unsere gegenwärtige Situation ja so: Die Welt muss lernen, dass es ein Leben auch nach dem Tod gibt, und die Kirchen müssen lernen, dass es ein Leben auch vor dem Tod gibt. Das Leben nach dem Tod ist ein ewiges Rätsel? Immerhin gibt es Millionen Menschen mit Nahtoderfahrungen. Gleich, wie man diese Erfahrungen neuronal-biochemisch oder psychologisch oder spirituell erklären mag: Sie verändern bereits die Welt, weil Menschen mit dieser konkreten Erfahrung anders leben als zuvor. Wissenschaftler schätzen, dass in Deutschland etwa drei Millionen Menschen mit Nahtoderfahrungen leben und in den USA etwa acht Millionen. Vielleicht gibt es ja tatsächlich ein großes »Danach« und auch ein großes »Davor« – Wiedergeburt also. Die Mehrheit der Asiaten ist davon fest überzeugt und lebt entsprechend.

Die Kooperation des Geistwesens homo sapiens mit den Kräften der geistigen Welt wird entscheidend sein für die weitere Evolution. Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Erziehung und Bildung können nur materiell-geistig ganzheitlich ihren Dienst für die weitere Entwicklung des Lebens leisten. Das ist ein göttlich-geistiges Gesetz. Nach diesem Gesetz ist eine bessere Welt, als wir sie heute erleben, unser Geburtsrecht. Wenn wir unsere wahren geistig-seelischen Potenziale entdecken und diese zur Entfaltung bringen, dann können wir »die kraftvollste und beglückendste Vision erfahren, die uns Menschen beseelen kann« (Victor Rollhausen).

Doch was macht homo sapiens tatsächlich? Der Dalai Lama wurde einmal gefragt, was ihn am meisten überrasche. Er sagte: »Der Mensch. Denn er opfert seine Gesundheit, um Geld zu machen. Dann opfert er sein Geld, um seine Gesundheit wiederzuerlangen. Und dann ist er so ängstlich wegen der Zukunft, dass er die Gegenwart nicht genießt. Das Resultat ist, dass er nicht in der Gegenwart lebt. Er lebt, als würde er nie sterben, und dann stirbt er und hat nie wirklich gelebt.«

Die menschliche Evolution hat nicht nur Hitler und Stalin, Mao Tse-tung und Mussolini, sondern auch den Buddha und Jesus, Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer und Nelson Mandela hervorgebracht. Es kann uns gelingen, die alte Herrschaft von Macht und Töten zu überwinden und an einer Welt mit mehr Gerechtigkeit und Mitgefühl mitzuarbeiten. Dafür haben schon Jesus und Buddha geworben. Und das waren keine Narren, sondern Menschenkenner und Realisten. Die Bergpredigt Jesu und der achtfache Pfad Buddhas sind keine Heimatromane, sondern realisierbare Visionen.

Erst diese Erkenntnis wird zu einem notwendenden, weltweiten Erwachen führen und die befreienden Kräfte von Liebe und Bewusstwerdung zur Geltung bringen. Wir werden dann erkennen, dass wir in einem Meer von in uns angelegter Potenzialentfaltung leben, das wir noch kaum erkannt haben. Diese Bewusstseinsfortschritte werden uns unsere bisherige Raubtier-Natur überwinden helfen, die uns über viele Jahrtausende in unendlich vielen Kriegen lehrte, buchstäblich über Leichen zu gehen.

Wir werden dann lernen, dass nicht nur Frieden möglich ist, sondern auch eine solare Energiewende, die ökologische Verkehrswende, die biologische Landwirtschaft, die Überwindung des Hungers, menschenfreundlichere Arbeitswelten, gelingendes Leben und gedeihliche Partnerschaften. Der Weg dorthin führt uns vom äußeren Schein in ein inneres Sein. Und das heißt: in eine bessere Welt. Wir müssen nicht in unserer heutigen Hilflosigkeit gefangen bleiben. Die Menschheit ist bereits auf dem Weg ins Solarzeitalter. Das heißt: In jeder Stadt und in jedem Dorf sind jedes Gebäude und jedes Dach, jedes Parkhaus und jeder Supermarkt, jeder Baumarkt, jedes öffentliche Gebäude und jedes Privathaus ein potenzielles, ökologisches, dezentrales und preisgünstiges Sonnenkraftwerk. Das neue Jahrzehnt kann und muss eine Dekade der erneuerbaren Energien werden. Es gibt immer Alternativen zum Bestehenden.

 

Nach der Pest im Mittelalter kam die Renaissance. Nach Corona brauchen wir eine Öko-Renaissance. Auf das Kohle-, Öl- und Atomzeitalter folgt das Solarzeitalter.

Und es gibt mehr Alternativen, als der heutige Zeitgeist ahnt. Wir müssen und können die alte, verschwenderische sowie Umwelt und Klima zerstörende Energiewirtschaft durch eine solare Weltwirtschaft ablösen. Dass das geht und wie das geht, beschreibe ich in diesem Buch in den folgenden Kapiteln.

Vorgedacht und vorgelebt hat diese Vision der Ausnahmepolitiker Hermann Scheer, 1999 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet und 2002 vom »Time-Magazin« mit dem Titel »Hero for the Green Century« geehrt (s. S. 176 ff.). Nach Corona müssen wir neu darüber nachdenken, wie wir unsere Welt in Zukunft neu gestalten.

2021 ist in Deutschland mit sechs Landtagswahlen und einer Bundestagswahl ein Superwahljahr. Das heißt: Wir müssen Regierungen wählen, welche die Gefahren der Klimaerhitzung endlich ernst nehmen, den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen, die Entwicklung von Energiespeichern vorantreiben und die CO2-Rückholung durch Aufforsten in die Wege leiten. Das alles wird nur funktionieren, wenn wir ganzheitlich denken und handeln lernen, dazu gehört auch, dass wir entsprechend unserer Erkenntnisse wählen. Alle Umfragen zeigen, dass drei Viertel der Wählerinnen und Wähler in Deutschland diese neue Klimapolitik wollen.

Unser so sehr geschätzter Verstand ist nicht das Ganze, er ist ein sehr wichtiger Teil des Ganzen, aber niemals in der Lage, das Ganze des unendlichen und unbegrenzten göttlichen Seins zu erfassen. Jeder der heute 7,8 Milliarden Menschen ist einmalig und einzigartig. Die gesamte Menschheit ist mehr als die Summe ihrer Individuen. Das Ganze ist jedoch nur zu erfassen durch Meditation, durch Kontemplation und durch Gebet. So ist es möglich, dass wir uns für die geistigen Kräfte und für das Göttliche öffnen. Wenn geistig erwachte Menschen sich verbinden, zum Beispiel in ökologischen Netzwerken, in Energiegenossenschaften, in Lebensmittel-Kooperationen oder in Repair-Cafés, in Öko-Dörfern oder spirituellen Gemeinschaften und in organisierter Nachbarschaftshilfe, die zu Corona-Zeiten enorm gewachsen sind, können über Win-win-Situationen neue fruchtbare Oasen für die Rettung des Lebens entstehen.

Vier Wege in eine nachhaltige Zukunft:

 Erstens: Wir brauchen eine Vision von der Zukunft. Ohne Visionen haben wir kein Ziel für die große Transformation. Wir müssen mehr auf unsere Träume achten, anstatt unser Leben zu verträumen.

 Zweitens: Neue Allianzen, wie Öko-Dörfer, oder auch spirituelle Gruppen müssen die Alternativen vorleben. Diese können sich auch innerhalb der etablierten Kirchen entwickeln.

 Drittens: Für alle Aspekte der Nachhaltigkeit ist eine Bildungsreform notwendig, bei der Herzensbildung – wie sie der Dalai Lama nennt – eine ebenso große Rolle spielt wie abfragbares, rein kognitives Wissen. Einige Schulen beginnen bereits ihren Schultag mit einer Meditation.

 Viertens: Kooperation statt Konkurrenz will gelernt und geübt sein. Auf allen Ebenen – lokal, regional, national und global – muss Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spielen.

Reifen statt Wachsen – Das heißt an unserem Lebensende: Hinüber-Reifen in die geistige Welt. Das ist letztlich Sinn und Ziel unseres Hierseins auf dieser Erde.

»Ein Weg entsteht, indem man ihn geht« (Konfuzius).

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