Franz Kafka: Sämtliche Werke

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Karl fand schließlich auch keine Ursache, warum er sich gegen den Portier wehren sollte. Was konnte ihm denn auch im Grunde noch geschehn? Überdies bestanden die Wände der Portiersloge ausschließlich aus ungeheueren Glasscheiben, durch die man die Menge der im Vestibul gegeneinanderströmenden Menschen deutlich sah, als wäre man mitten unter ihnen. Ja es schien in der ganzen Portierloge keinen Winkel zu geben, in dem man sich vor den Augen der Leute verbergen konnte. So eilig es dort draußen die Leute zu haben schienen, denn mit ausgestrecktem Arm, mit gesenktem Kopf, mit spähenden Augen, mit hochgehaltenen Gepäckstücken suchten sie ihren Weg, so versäumte doch kaum einer einen Blick in die Portiersloge zu werfen, denn hinter deren Scheiben waren immer Ankündigungen und Nachrichten ausgehängt, die sowohl für die Gäste als für das Hotelpersonal Wichtigkeit hatten. Außerdem aber bestand noch ein unmittelbarer Verkehr der Portiersloge mit dem Vestibul, denn an zwei großen Schiebefenstern saßen zwei Unterportiere und waren unaufhörlich damit beschäftigt Auskünfte in den verschiedensten Angelegenheiten zu erteilen. Das waren geradezu überbürdete Leute und Karl hätte behaupten wollen, daß der Oberportier, wie er ihn kannte, sich in seiner Laufbahn um diese Posten herumgewunden hatte. Diese zwei Auskunftserteiler hatten – von außen konnte man sich das nicht richtig vorstellen – in der Öffnung des Fensters immer zumindest zehn fragende Gesichter vor sich. Unter diesen zehn Fragern die immerfort wechselten war oft ein Durcheinander von Sprachen, als sei jeder einzelne von einem andern Lande abgesendet. Immer fragten einige gleichzeitig, immer redeten außerdem einzelne untereinander. Die meisten wollten etwas aus der Portiersloge holen oder etwas dort abgeben, so sah man immer auch ungeduldig fuchtelnde Hände aus dem Gedränge ragen. Einmal hatte einer ein Begehren wegen irgendeiner Zeitung, die sich unversehens von der Höhe aus entfaltete und für einen Augenblick alle Gesichter verhüllte. Allem diesen mußten nun die zwei Unterportiere standhalten. Bloßes Reden hätte für ihre Aufgabe nicht genügt, sie plapperten, besonders der eine, ein düsterer Mann mit einem das ganze Gesicht umgebenden dunklen Bart, gab die Auskünfte ohne die geringste Unterbrechung. Er sah weder auf die Tischplatte, wo er fortwährend Handreichungen auszuführen hatte, noch auf das Gesicht dieses oder jenes Fragers, sondern ausschließlich starr vor sich, offenbar um seine Kräfte zu sparen und zu sammeln. Übrigens störte wohl sein Bart ein wenig die Verständlichkeit seiner Rede und Karl konnte in dem Weilchen, während dessen er bei ihm stehen blieb, sehr wenig von dem Gesagten auffassen, wenn es auch möglicherweise trotz des englischen Beiklanges gerade fremde Sprachen waren, die er gebrauchen mußte. Außerdem beirrte es daß sich eine Auskunft so knapp an die andere anschloß und in sie übergieng, so daß oft noch ein Frager mit gespanntem Gesicht zuhorchte, da er glaubte, es gehe noch um seine Sache, um erst nach einem Weilchen zu merken, daß er schon erledigt war. Gewöhnen mußte man sich auch daran, daß der Unterportier niemals bat, eine Frage zu wiederholen, selbst wenn sie im Ganzen verständlich und nur ein wenig undeutlich gestellt war, ein kaum merkliches Kopfschütteln verriet dann, daß er nicht die Absicht habe, diese Frage zu beantworten und es war Sache des Fragestellers, seinen eigenen Fehler zu erkennen und die Frage besser zu formulieren. Besonders damit verbrachten manche Leute sehr lange Zeit vor dem Schalter. Zur Unterstützung der Unterportiere war jedem ein Laufbursche beigegeben, der im gestreckten Lauf von einem Bücherregal und aus verschiedenen Kästen alles beizubringen hatte was der Unterportier gerade benötigte. Das waren die bestbezahlten wenn auch anstrengendsten Posten, die es im Hotel für ganz junge Leute gab, in gewissem Sinne waren sie auch noch ärger daran als die Unterportiere, denn diese hatten bloß nachzudenken und zu reden, während diese jungen Leute gleichzeitig nachdenken und laufen mußten. Brachten sie einmal etwas unrichtiges herbei, so konnte sich natürlich der Unterportier in der Eile nicht damit aufhalten, ihnen lange Belehrungen zu geben, er warf vielmehr einfach das, was sie ihm auf den Tisch legten, mit einem Ruck vom Tisch herunter. Sehr interessant war die Ablösung der Unterportiere, die gerade kurz nach dem Eintritt Karls stattfand. Eine solche Ablösung mußte natürlich wenigstens während des Tages öfters stattfinden, denn es gab wohl kaum einen Menschen, der es länger als eine Stunde hinter dem Schalter ausgehalten hätte. Zur Ablösungszeit ertönte nun eine Glocke und gleichzeitig traten aus einer Seitentüre die zwei Unterportiere, die jetzt an die Reihe kommen sollten, jeder von seinem Laufjungen gefolgt. Sie stellten sich vorläufig untätig beim Schalter auf und betrachteten ein Weilchen die Leute draußen, um festzustellen, in welchem Stadium sich gerade die augenblickliche Fragebeantwortung befand. Schien ihnen der Augenblick passend, um einzugreifen, klopften sie dem abzulösenden Unterportier auf die Schulter, der, trotzdem er sich bisher um nichts, was hinter seinem Rücken vorgieng, gekümmert hatte, sofort verstand und seinen Platz freimachte. Das ganze gieng so rasch, daß es oft die Leute draußen überraschte und sie aus Schrecken über das so plötzlich vor ihnen auftauchende neue Gesicht fast zurückwichen. Die abgelösten zwei Männer streckten sich und begossen dann über zwei bereitstehenden Waschbecken ihre heißen Köpfe, die abgelösten Laufjungen durften sich aber noch nicht strecken, sondern hatten noch ein Weilchen damit zu tun, die während ihrer Dienststunden auf den Boden geworfenen Gegenstände aufzuheben und an ihren Platz zu legen.

Alles dieses hatte Karl mit der angespanntesten Aufmerksamkeit in wenigen Augenblicken in sich aufgenommen und mit leichten Kopfschmerzen folgte er still dem Oberportier der ihn weiterführte. Offenbar hatte auch der Oberportier den großen Eindruck beobachtet, den diese Art der Auskunftserteilung auf Karl gemacht hatte, und er riß plötzlich an Karls Hand und sagte: „Siehst Du, so wird hier gearbeitet.“ Karl hatte ja allerdings hier im Hotel nicht gefaulenzt, aber von solcher Arbeit hatte er doch keine Ahnung gehabt, und fast völlig daran vergessend, daß der Oberportier sein großer Feind war, sah er zu ihm auf und nickte stumm und anerkennend mit dem Kopf. Das schien dem Oberportier aber wieder eine Überschätzung der Unterportiere und vielleicht eine Unhöflichkeit gegenüber seiner Person zu sein, denn, als hätte er Karl zum Narren gehalten, rief er ohne Besorgnis, daß man ihn hören könnte: „Natürlich ist dieses hier die dümmste Arbeit im ganzen Hotel; wenn man eine Stunde zugehört hat, kennt man so ziemlich alle Fragen die gestellt werden und den Rest braucht man ja nicht zu beantworten. Wenn Du nicht frech und ungezogen gewesen wärest, wenn Du nicht gelogen, gelumpt, gesoffen und gestohlen hättest, hätte ich Dich vielleicht bei so einem Fenster anstellen können, denn dazu kann ich ausschließlich nur vernagelte Köpfe brauchen.“ Karl überhörte gänzlich die Beschimpfung soweit sie ihn betraf, so sehr war er darüber empört, daß die ehrliche und schwere Arbeit der Unterportiere, statt anerkannt zu werden, verhöhnt wurde, und überdies verhöhnt von einem Mann, der, wenn er es gewagt hätte sich einmal zu einem solchen Schalter zu setzen, gewiß nach paar Minuten unter dem Gelächter aller Frager hätte abziehn müssen. „Lassen Sie mich“, sagte Karl, seine Neugierde inbetreff der Portierloge war bis zum Übermaß gestillt, „ich will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben.“ „Das genügt nicht, um fortzukommen“, sagte der Oberportier, drückte Karls Arme, daß dieser sie gar nicht rühren konnte und trug ihn förmlich an das andere Ende der Portiersloge. Sahen die Leute draußen diese Gewalttätigkeit des Oberportiers nicht? Oder wenn sie sie sahen, wie faßten sie sie denn auf, daß keiner sich darüber aufhielt, daß niemand wenigstens an die Scheibe klopfte, um dem Oberportier zu zeigen, daß er beobachtet werde und nicht nach seinem Gutdünken mit Karl verfahren dürfe.

Aber bald hatte Karl auch keine Hoffnung mehr vom Vestibul aus Hilfe zu bekommen, denn der Oberportier griff an eine Schnur und über den Scheiben der halben Portiersloge zogen sich im Fluge bis in die letzte Höhe schwarze Vorhänge zusammen. Auch in diesem Teil der Portierloge waren ja Menschen, aber alle in voller Arbeit und ohne Ohr und Auge für alles, was nicht mit ihrer Arbeit zusammenhieng. Außerdem waren sie ganz vom Oberportier abhängig, und hätten statt Karl zu helfen, lieber geholfen alles zu verbergen, was auch dem Oberportier einfallen sollte zu tun. Da waren z. B. sechs Unterportiere bei sechs Telephonen. Die Anordnung war wie man gleich bemerkte, so getroffen, daß immer einer bloß Gespräche aufnahm, während sein Nachbar, nach den vom ersten empfangenen Notizen die Aufträge telephonisch weiterleitete. Es waren dies jene neuesten Telephone, für die keine Telephonzellen nötig waren, denn das Glockenläuten war nicht lauter als ein Zirpen, man konnte in das Telephon mit Flüstern hineinsprechen und doch kamen die Worte dank besonderer elektrischer Verstärkungen mit Donnerstimme an ihrem Ziele an. Deshalb hörte man die drei Sprecher an ihren Telephonen kaum und hätte glauben können, sie beobachteten murmelnd irgend einen Vorgang in der Telephonmuschel, während die drei andern wie betäubt von dem auf sie herandringenden, für die Umgebung im übrigen unhörbaren Lärm die Köpfe auf das Papier sinken ließen, das zu beschreiben ihre Aufgabe war. Wieder stand auch hier neben jedem der drei Sprecher ein Junge zur Hilfeleistung; diese drei Jungen taten nichts anderes als abwechselnd den Kopf horchend zu ihrem Herrn strecken und dann eilig als würden sie gestochen in riesigen gelben Büchern – die umschlagenden Blättermassen überrauschten bei weitem jedes Geräusch der Telephone – die Telephonnummern herauszusuchen.

 

Karl konnte sich tatsächlich nicht enthalten, alles das genau zu verfolgen, trotzdem der Oberportier, der sich gesetzt hatte, ihn in einer Art Umklammerung vor sich hinhielt. „Es ist meine Pflicht“, sagte der Oberportier und schüttelte Karl, als wolle er nur erreichen, daß dieser ihm sein Gesicht zuwende, „das was der Oberkellner aus welchen Gründen immer versäumt hat, im Namen der Hoteldirektion wenigstens ein wenig nachzuholen. So tritt hier immer jeder für den andern ein. Ohne das wäre ein so großer Betrieb undenkbar. Du willst vielleicht sagen, daß ich nicht Dein unmittelbarer Vorgesetzter bin, nun desto schöner ist es von mir, daß ich mich dieser sonst verlassenen Sache annehme. Im übrigen bin ich in gewissem Sinne als Oberportier über alle gesetzt, denn mir unterstehn doch alle Tore des Hotels, also dieses Haupttor, die drei Mittel- und die zehn Nebentore, von den unzähligen Türchen und türlosen Ausgängen gar nicht zu reden. Natürlich haben mir alle in Betracht kommenden Bedienungsmannschaften unbedingt zu gehorchen. Gegenüber diesen großen Ehren habe ich natürlich anderseits vor der Hoteldirektion die Verpflichtung niemanden herauszulassen, der nur im geringsten verdächtig ist. Gerade Du aber kommst mir, weil es mir so beliebt sogar stark verdächtig vor.“ Und vor Freude darüber hob er die Hände und ließ sie wieder stark zurückschlagen, daß es klatschte und wehtat. „Es ist möglich“, fügte er hinzu und unterhielt sich dabei königlich, „daß Du bei einem andern Ausgang unbemerkt herausgekommen wärest, denn Du standst mir natürlich nicht dafür, besondere Anweisungen Deinetwegen ergehen zu lassen. Aber da Du nun einmal hier bist, will ich Dich genießen. Im übrigen habe ich nicht daran gezweifelt, daß Du das Rendezvous, das wir uns beim Haupttor gegeben hatten auch einhalten wirst, denn das ist eine Regel, daß der Freche und Unfolgsame gerade dort und dann mit seinen Lastern aufhört, wo es ihm schadet. Du wirst das an Dir selbst gewiß noch oft beobachten können.“

„Glauben Sie nicht“, sagte Karl und atmete den eigentümlich dumpfen Geruch ein, der vom Oberportier ausgieng und den er erst hier, wo er so lange in seiner nächsten Nähe stand, bemerkte, „glauben Sie nicht“, sagte er, „daß ich vollständig in Ihrer Gewalt bin, ich kann ja schreien.“ „Und ich kann Dir den Mund stopfen“, sagte der Oberportier ebenso ruhig und schnell, wie er es wohl nötigenfalls auszuführen gedachte. „Und meinst Du denn wirklich, wenn man Deinetwegen hereinkommen sollte, es würde sich jemand finden der Dir Recht geben würde, mir dem Oberportier gegenüber. Du siehst also wohl den Unsinn Deiner Hoffnungen ein. Weißt Du, wie Du noch in der Uniform warst, da hast Du ja tatsächlich noch etwas beachtenswert ausgesehn, aber in diesem Anzug, der tatsächlich nur in Europa möglich ist.“ Und er zerrte an den verschiedensten Stellen des Anzugs, der jetzt allerdings, trotzdem er vor fünf Monaten noch fast neu gewesen war, abgenützt, faltig, vor allem aber fleckig war, was hauptsächlich auf die Rücksichtslosigkeit der Liftjungen zurückzuführen war, die jeden Tag, um den Saalboden dem allgemeinen Befehl gemäß, glatt und staubfrei zu erhalten, aus Faulheit keine eigentliche Reinigung vornahmen, sondern mit irgendeinem Öl den Boden sprengten und damit gleichzeitig alle Kleider auf den Kleiderständern schändlich bespritzten. Nun konnte man seine Kleider aufheben, wo man wollte, immer fand sich einer, der gerade seine Kleider nicht bei der Hand hatte, dagegen die versteckten fremden Kleider mit Leichtigkeit fand und sich ausborgte. Und womöglich war dieser eine gerade derjenige, der an diesem Tage die Saalreinigung vorzunehmen hatte und der dann die Kleider nicht nur mit dem Öl bespritzte, sondern vollständig von oben bis unten begoß. Nur Renell hatte seine kostbaren Kleider an irgendeinem geheimen Orte versteckt, von wo sie kaum jemals einer hervorgezogen hatte, zumal ja auch niemand vielleicht aus Bosheit oder Geiz fremde Kleider sich ausborgte, sondern aus bloßer Eile und Nachlässigkeit dort nahm, wo er sie fand. Aber selbst auf Renells Kleid war mitten auf dem Rücken ein kreisrunder rötlicher Ölfleck und in der Stadt hätte ein Kenner an diesem Fleck selbst in diesem eleganten jungen Mann den Liftjungen feststellen können.

Und Karl sagte sich bei diesen Erinnerungen daß er auch als Liftjunge genug gelitten hatte und daß doch alles vergebens gewesen war, denn nun war dieser Liftjungendienst nicht wie er gehofft hatte, eine Vorstufe zu besserer Anstellung gewesen, vielmehr war er jetzt noch tiefer herabgedrückt worden und sogar sehr nahe an das Gefängnis geraten. Überdies wurde er jetzt noch vom Oberportier festgehalten der wohl darüber nachdachte, wie er Karl noch weiter beschämen könne. Und völlig daran vergessend, daß der Oberportier durchaus nicht der Mann war, der sich vielleicht überzeugen ließ, rief Karl, während er sich mit der gerade freien Hand mehrmals gegen die Stirn schlug: „Und wenn ich Sie wirklich nicht gegrüßt haben sollte, wie kann denn ein erwachsener Mensch wegen eines unterlassenen Grußes so rachsüchtig werden!“

„Ich bin nicht rachsüchtig“, sagte der Oberportier, „ich will nur Deine Taschen durchsuchen. Ich bin zwar überzeugt daß ich nichts finden werde, denn Du wirst wohl so vorsichtig gewesen sein und Deinen Freund alles allmählich, jeden Tag etwas, haben wegschleppen lassen. Aber durchsucht worden mußt Du sein.“ Und schon griff er in eine von Karls Rocktaschen mit solcher Gewalt, daß die seitlichen Nähte platzten. „Da ist also schon nichts“, sagte er und überklaubte in seiner Hand den Inhalt dieser Tasche, einen Reklamkalender des Hotels, ein Blatt mit einer Aufgabe aus kaufmännischer Korrespondenz, einige Rock- und Hosenknöpfe, die Visitkarte der Oberköchin, einen Polierstift für die Nägel, den ihm einmal ein Gast beim Kofferpacken zugeworfen hatte, einen alten Taschenspiegel, den ihm Rennel zum Dank für vielleicht zehn Vertretungen im Dienste geschenkt hatte und noch paar Kleinigkeiten. „Das ist also nichts“, wiederholte der Oberportier und warf alles unter die Bank, als sei es selbstverständlich, daß das Eigentum Karls, soweit es nicht gestohlen war, unter die Bank gehöre. „Jetzt ist aber genug“, sagte sich Karl – sein Gesicht mußte glühend rot sein – und als der Oberportier durch die Gier unvorsichtig gemacht, in Karls zweiter Tasche herumgrub, fuhr Karl mit einem Ruck aus den Ärmeln heraus, stieß im ersten noch unbeherrschten Sprung einen Unterportier ziemlich stark gegen seinen Apparat, lief durch die schwüle Luft eigentlich langsamer als er beabsichtigt hatte zur Tür, war aber glücklich draußen, ehe der Oberportier in seinem schweren Mantel sich auch nur hatte erheben können. Die Organisation des Wachdienstes mußte doch nicht so mustergültig sein, es läutete zwar auf einigen Seiten, aber Gott weiß zu welchen Zwecken, Hotelangestellte giengen zwar im Torgang in solcher Anzahl kreuz und quer, daß man fast daran denken konnte, sie wollten in unauffälliger Weise den Ausgang unmöglich machen, denn viel sonstigen Sinn konnte man in diesem Hin- und Hergehn nicht erkennen – jedenfalls kam Karl bald ins Freie, mußte aber noch das Hoteltrottoir entlang gehn, denn zur Straße konnte man nicht gelangen, da eine ununterbrochene Reihe von Automobilen stockend sich am Haupttor vorbeibewegte. Diese Automobile waren, um nur so bald als möglich zu ihrer Herrschaft zu kommen, geradezu ineinandergefahren, jedes wurde vom nachfolgenden vorwärtsgeschoben. Fußgänger, die es besonders eilig hatten auf die Straße zu gelangen, stiegen zwar hie und da durch die einzelnen Automobile hindurch, als sei dort ein öffentlicher Durchgang und es war ihnen ganz gleichgültig, ob im Automobil nur der Chauffeur und die Dienerschaft saß oder auch die vornehmsten Leute. Ein solches Benehmen schien aber Karl doch übertrieben und man mußte sich wohl in den Verhältnissen schon auskennen, um das zu wagen, wie leicht konnte er an ein Automobil geraten, dessen Insassen das übelnahmen, ihn hinunterwarfen und einen Skandal veranlaßten und nichts hatte er als ein entlaufener, verdächtiger Hotelangestellter in Hemdärmeln mehr zu fürchten. Schließlich konnte ja die Reihe der Automobile nicht in Ewigkeit so fortgehn und er war auch, solange er sich ans Hotel hielt, eigentlich am unverdächtigsten. Tatsächlich gelangte Karl endlich an eine Stelle wo die Automobilreihe zwar nicht aufhörte, aber zur Straße hin abbog und lockerer wurde. Gerade wollte er in den Verkehr der Straße schlüpfen, in dem wohl noch viel verdächtiger aussehende Leute als er war, frei herumliefen, da hörte er in der Nähe seinen Namen rufen. Er wandte sich um und sah wie zwei ihm wohlbekannte Liftjungen aus einer niedrigen kleinen Türöffnung, die wie der Eingang einer Gruft aussah, mit äußerster Anstrengung eine Bahre herauszogen, auf der wie Karl nun erkannte, wahrhaftig Robinson lag, Kopf, Gesicht und Arme mannigfaltig umbunden. Es war häßlich anzusehn, wie er die Arme an die Augen führte, um mit dem Verbande die Tränen abzuwischen, die er vor Schmerzen oder vor sonstigem Leid oder gar vor Freude über das Wiedersehen mit Karl vergoß. „Roßmann“, rief er vorwurfsvoll, „warum läßt Du mich denn solange warten. Schon eine Stunde verbringe ich damit, mich zu wehren, damit ich nicht früher wegtransportiert werde ehe Du kommst. Diese Kerle“ – und er gab dem einen Liftjungen ein Kopfstück, als sei er durch die Verbände vor Schlägen geschützt – „sind ja wahre Teufel. Ach Roßmann der Besuch bei Dir ist mir teuer zu stehn gekommen.“ „Was hat man Dir denn gemacht?“ sagte Karl und trat an die Bahre heran, welche die Liftjungen um sich auszuruhn lachend niederstellten. „Du fragst noch“, seufzte Robinson, „und siehst wie ich ausschaue. Bedenke! Ich bin ja höchstwahrscheinlich für mein ganzes Leben zum Krüppel geschlagen. Ich habe fürchterliche Schmerzen von hier bis hier“ – und er zeigte zuerst auf den Kopf und dann auf die Zehen –. „Ich möchte Dir wünschen, daß Du gesehen hättest wie ich aus der Nase geblutet habe. Meine Weste ist ganz verdorben, die habe ich überhaupt dort gelassen, meine Hosen sind zerfetzt, ich bin in Unterhosen“ – und er lüftete die Decke ein wenig und lud Karl ein unter sie zu schauen. „Was wird nur aus mir werden! Ich werde zumindest einige Monate liegen müssen und das will ich Dir gleich sagen, ich habe niemanden andern als Dich der mich pflegen könnte, Delamarche ist ja viel zu ungeduldig. Roßmann, Roßmannchen!“ Und Robinson streckte die Hand nach dem ein wenig zurücktretenden Karl aus, um ihn durch Streicheln für sich zu gewinnen. „Warum habe ich Dich nur besuchen müssen!“ wiederholte er mehrere Male, um Karl die Mitschuld nicht vergessen zu lassen, die dieser an seinem Unglück hatte. Nun erkannte zwar Karl sofort, daß das Klagen Robinsons nicht von seinen Wunden, sondern von dem ungeheueren Katzenjammer stammte, in dem er sich befand, da er in schwerer Trunkenheit kaum eingeschlafen, gleich geweckt und zu seiner Überraschung blutig geboxt worden war und sich in der wachen Welt gar nicht mehr zurechtfinden konnte. Die Bedeutungslosigkeit der Wunden war schon an den unförmlichen aus alten Fetzen bestehenden Verbänden zu sehn, mit denen ihn die Liftjungen offenbar zum Spaß ganz und gar umwickelt hatten. Und auch die zwei Liftjungen an den Enden der Bahre prusteten vor Lachen von Zeit zu Zeit. Nun war aber hier nicht der Ort Robinson zur Besinnung zu bringen, denn stürmend eilten hier die Passanten ohne sich um die Gruppe an der Bahre zu kümmern vorbei, öfters sprangen Leute mit richtigem Turnerschwung über Robinson hinweg, der mit Karls Geld bezahlte Chauffeur rief „Vorwärts, vorwärts“, die Liftjungen hoben mit letzter Kraft die Bahre auf, Robinson erfaßte Karls Hand und sagte schmeichelnd „Nun komm, so komm doch“, war nicht Karl in dem Aufzug in dem er sich befand im Dunkel des Automobils noch am besten aufgehoben? und so setzte er sich neben Robinson, der den Kopf an ihn lehnte, die zurückbleibenden Liftjungen schüttelten ihm, als ihrem gewesenen Kollegen durch das Coupeefenster herzlich die Hand und das Automobil drehte sich mit scharfer Wendung zur Straße hin, es schien als müsse unbedingt ein Unglück geschehn, aber gleich nahm der alles umfassende Verkehr auch die schnurgerade Fahrt dieses Automobils ruhig in sich auf.

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