Magisches Kompendium - Chaosmagie - Erste Schritte der chaosmagischen Theorie und Praxis

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Из серии: MAGISCHES KOMPENDIUM #32
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Auch die Chaosmagie setzt sehr oft auf das Wörtchen „Energie“, da natürlich mit dieser Vokabel sehr viel erklärt werden kann. Eine solche Erklärung ist in der Physik manchmal sehr wichtig, sodass die Verwendung des Wörtchens „Energie“ im wortwörtlichen Sinne „Kraft“ kostet. Dieser Kraftakt bezieht sich darauf, dass die Bezeichnung „Energie“, so wie sie heute von der Physik verwendet wird, primär auf den Physiker William John Macquorn Rankine (05.07.1820 - 24.12.1872) basiert, der diese Vokabel „Energie“ ca. 1852 eingeführt hat, wodurch eine deutliche Definition bzw. Abgrenzung zum physikalischen Begriff der „Kraft“ geschaffen wurde. Doch auch der Physiker Thomas Young (13.06.1773 - 10.05.1829) muss hier genannt werden, denn dieser hatte den Begriff Energie bereits im Jahr 1800 in einem mechanischen Zusammenhang verwendet, wobei hier aber keine klare Trennung bzw. keine klare Grenzziehung zur eigentlichen „Kraft“ vollzogen wurde.

In der Chaosmagie wird man auch immer wieder auf Kräfte und auf Energien stoßen, da aber die Chaosmagie sich auch in allen anderen magischen Systemen bedienen kann, will ich hier auch die verschiedenen anderen Bezeichnungen aufführen, die man mit diesem Begriff, mit dem Wörtchen Energie, verbinden kann. Energie! In der klassischen magischen Literatur wird man auch ganz andere Wörter finden, Wörter die sich auch wieder aus verschiedenen Kulturen und Zivilisationen gebildet haben, genauso wie Wörter, die bewusst und künstlich erfunden wurden. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Begrifflichkeiten „Prana“ (Sanskrit; Lebenskraft oder Lebensenergie), „Chi/Qi“, „Ki“, „Gi“ (chinesisch, japanisch, koreanisch; Energie, Atem, Fluidum, Luft, Gas, Dampf, Hauch, Äther, Temperament, Kraft, Atmosphäre), „Od“ (von Carl Ludwig Friedrich von Reichenbach [12.02.1788 – 19.01.1869]; Industrieller, Chemiker, Naturforscher und Philosoph, „erfand“ einen Begriff, der sich vom Gott Odin ableitet und mit „Lebenskraft“ oder „Lebensenergie“ übersetzt werden kann), „Mana“ (aus der Sprache der Maoir; es bedeutet so viel wie Macht [die spiritueller als auch weltlicher Natur sein kann], aber primär auf eine spirituelle Energie [ähnlich dem Chi, Qi, Ki, Gi] deutet) oder „Orgon“ (von Wilhelm Reich [24.03.1897 - 03.11.1957]; Psychiater, Psychoanalytiker, Sexualforscher und Soziologe, „erfundene“ biologische, später kosmische Energie).

Man sieht also, dass man hier schon ein kleines Wörterchaos besitzt, ein Wörter Chaos, was jedoch eine ganz besondere Ordnung beschreibt. Man wird erkennen, dass die ganzen Vokabeln letztlich immer einen inneren Vorgang beschreiben, der zwar bewusst erfahren wird, aber nicht immer gezielt mit Worten beschrieben werden kann. Chaotisch, nicht wahr? Wenn man jetzt mit verschiedenen Metaphern arbeiten würde, würde man viel mehr „Chaos“ als „Kosmos“ erzeugen. Daher wird sehr oft versucht, adäquate Bezeichnungen zu finden, Bezeichnungen wie zum Beispiel „Lebenskraft“, „Vitalität“, „Gotterfahrung“, „Erleuchtung“, „Fülle“, „Ganzheit“, „Atman“, „Seelenwille“, „Höheres Selbst“, „Wirken im Großen Werk“ oder einfach „Energie“, aber auch „Chaos“, denn selbstverständlich ist auch das Chaos eine ganz besondere Energie. Man sieht also, dass es auch hier wieder ausreichend viele Begriffe, Verifikationen und Möglichkeiten gibt.

Doch warum verwenden denn nun jetzt die Magier, die Spirituellen, die Esoteriker, die Okkultisten und die Mystiker den Begriff „Energie“? Es gibt doch unendlich viele andere fachspezifische Vokabeln – wie man schon allein an dieser Aufzählung sehen konnte – die wirklich „magische Begriffe“ betiteln. Es sind so viele Begriffe, dass sich die magische Szene schon fast nicht untereinander unbedingt einigen kann, da es so viele Begriffe gibt und auch hier wieder Menschen ihre Lieblingsvokabeln haben. Da bin ich kein Ausnahmefall. Auch ich habe meine „Lieblingswörter“, doch muss man bei Erklärungen und Veranschaulichungen auch immer berücksichtigen, ob der Mensch, der einem gegenüber ist und zuhört, auch die jeweilige Vokabel kennt. Nun, hier ist und bleibt die Vokabel „Energie“ eben umgangssprachlicher, sodass man sich sicher sein kann, dass der Begriff „Energie“ (in all seinen „energetischen Variationen“) bekannt sein wird, während Vokabeln wie „Prana“, „Chi/Qi“, „Ki“, „Gi“, „Od“, „Mana“ oder „Orgon“ für einige unverständliches Kauderwelsch darstellen. Dies ist vollkommen legitim, wenn man seine ersten Schritte in der Chaosmagie ausführt. Doch wenn man mehr und mehr mit der Chaosmagie arbeitet, muss man sein eigenes Wissen und seine eigene Weisheit zu einem Fundament ausbilden. Ach, man muss? Nein, muss man nicht, doch dann wären wir bei der Diskussion, ob man für eine magische Arbeit explizites Fachwissen benötigt, oder ob man mit einem Allgemeinwissen weiter kommt. Alle, die glauben, dass man für die Magie nichts tun muss, werden Egoseifenblasen produzieren, sie werden sich auf die Chaosmagie stürzen, lustige und dramaturgische Schauspiele abhalten, selbst aber im Chaos versinken. Eine Meisterung des Lebens ist für diese Menschen meistens gigantisch weit entfernt, sodass sie eben Spielball von allen erdenklichen Umständen im Außen sind. Und dieser Spieltrieb, der dann von außen auf den jeweiligen Menschen ausgeübt wird, wird sich auch auf das Innere übertragen. Und genau hier sind wir schon wieder bei dem Begriff „Energie“, denn in der Chaosmagie ist die Energie des Menschen, die Energie des Willens und die Energie der eigenen Gnosis absolut essenziell. Nun, vielleicht wird bei diesen ganzen Beispielen aufgefallen sein, dass ich immer wieder einen Bezug auf das Individuum Mensch ausführe und dass die chaosmagischen „Effekte“ und „Erlebnisse“ primär im „Inneren“ des Menschen kreiert werden, und letztlich auch aus dem Menschen herauskommen. Hierdurch vollführen diese Wirkungen im Innen und im Außen kausale Reaktionen, kausale Reaktionen, die aber auf einem chaotischen Prinzip aufbauen. Gut, jeder magische Akt wird in diesem Kontext subjektiv sein und selbstverständlich absolut individuell!

Diese Individualität ist in der Chaosmagie absolut wichtig, denn diese Individualität wird im eigenen Inneren gebildet. Und dies führt zu der Frage, was das Wort „Energie“ eigentlich wortwörtlich bedeutet? Nun, der Begriff „Energie“ kommt aus dem Altgriechischen und setzt sich aus den beiden Wörtern ἐν (en) und ἔργον (ergon) zusammen, was zum Wort Enérgeia führt, aus welchem sich dann das Wort „Energie“ ergibt bzw. gebildet hat. Wenn man dann in die Übersetzungen geht, findet man, dass die griechische Silbe „ἐν“ (en) wie folgt übersetzt bzw. gedeutet werden kann: (1) in, innerhalb (räumlich), (2) auf (räumlich), (3) an, bei (räumlich), (4) unten (Teil von etwas) oder (5) in, innerhalb, binnen (zeitlich).

Das griechische Wort „ἔργον“ (ergon) bedeutet so viel wie: (1) Werk, Arbeit (etwas schaffen), (2) Tat, Handlung, Wirken (etwas vollbringen), (3) Geschäft, Verrichtung (eine Tat). Zusätzlich kann man über das Wort „ergon“ sagen, dass es eine spezifische oder individuelle Funktion oder Aufgabe besitzt, in Bezug auf eine „Sache“ bzw. „Angelegenheit“, wobei die Funktion/Aufgabe die für diese Sache/Angelegenheit essenziell/bedeutungsvoll ist. Es ist also ein sehr „starkes“ oder „machtvolles“ Wort, das in seiner Grundbedeutung nicht „mal eben“ oder „leichtfertig“ verwendet werden sollte.

Wenn man sich dann auf eine Umschreibung des Wortes „Energie“ einlassen will, kann man die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „ENERGIE“ einfach als ein „inneres Werk“ oder ein „in (sich selbst) Wirken“ erklären. Und wenn man sich jetzt die magischen Ziele der Chaosmagie anschaut, dann ist diese Übersetzung genau das, was man selbst als einen essenziellen Zielpunkt deklarieren sollte. So wie es in der Magie im Allgemeinen darum geht, sich zu evolutionieren, sich zu entwickeln, sich zu erkennen und in die Transformation, in die Transzendenz zu gehen, so bezieht sich dies natürlich auch auf die Chaosmagie, was aber in diesem Zusammenhang bedeutet, dass man für sich feststellen muss, dass es immer ein „inneres Werk“ oder ein „in (sich selbst) Wirken“ sein wird, welches den ersten Dominostein um stoßen wird, um sich selbst zu vergöttlichen.

Diese Vergöttlichung ist absolut wichtig, denn dadurch, dass man sich selbst als schöpfen das Prinzip erkennt, vereinigt man sein Chaos, mit dem eigenen Kosmos. Wenn man will, könnte man hier auch ein weiteres, physikalisches Fachwort anführen, was genau darauf passt, dass sich Chaos und Kosmos vereinen. Es wäre die Fachvokabel Entropie!

Die Entropie, aus dem Griechischen kommend (ἐντροπία), ist hier in der wortwörtlichen Übersetzung „eine Wendung“ (direkt wortwörtlich an / in Wendung), eine Wendung, die sich zum Chaos jedoch bewegt. Physikalisch durchlaufen alle Prozesse, die in irgendeinem System ablaufen einen Umstand, der eine Zunahme von Entropie bewirkt, also eine Zunahme einer Wendung. Dies wird eigentlich als der Schritt von der Ordnung ins Chaos gedeutet, sodass die Schöpfung in diesem Kontext eine Negentropie ausführt. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch einfach nur eine Kurzbezeichnung für eine „negative Entropie“ oder eben eine Antientropie, sodass das Leben in diesem Zusammenhang genau das ist. Wenn also jedes System, im physikalischen Sinne, spontane Prozesse besitzt, sodass hier eine Entropie, eine Unordnung, ein Durcheinander, eine Konfusion, ein Wirrwarr, ein Chaos anfängt, ausgeführt wird, bestrebt wird, umgesetzt wird, bedeutet das, dass hier wieder der Satz „Wie Oben, so Unten“, bzw. „Wie Innen, so Außen“ definitiv greift, denn letztlich geht alles wieder zurück zur Quelle, zur Unität, zurück zum Abgrund, zum Abyss! So ist die Entropie einfach als ein besonderes „Chaos“ zu deuten, oder auch als „ein Maß für Chaos“, was bedeutet, dass man auf der Skala von 0-100% schauen muss, wie viel Kosmos, wie viel Chaos, wie viel Schöpfung, wie viel Zerstörung und wie viel Entropie man benötigt, um seine eigenen magischen Ziele zu erreichen. Für den Chaosmagier bedeutet das, wenn man das eigene Leben zu 100 %, in allen kosmischen Bereichen, in allen Ebenen, in allen Ausläufern erfassen, begreifen und verstehen will, dann müsste hier die Entropie auf „Null“ sinken, denn dann hätte man alle Informationen, die es im Kosmos gibt! Doch man hat auch alle Informationen, wenn die Entropie ist, wie sie ist, da die Informationen immer und überall vorhanden sind. Sie sind nur vom Chaos umgeben, vom Chaos durchsetzt, vom Chaos durchzogen! Und auch hier greift wieder die Chaosmagie hinein, denn die Chaosmagie versucht hier die entsprechenden Informationen herauszuziehen, dingbar zu machen, was wiederum zeigt, dass die Chaosmagie eine echte Herausforderung ist! Wenn Chaos und Kosmos zusammenarbeiten, wird es also immer zu spezifischen, energetischen Bewegungen kommen, wenn man so will zu besonderen energetischen Kontraktionen, genauso wie zu energetischen Expansionen. Tja, und genau hierbei ist man schon wieder in der kabbalistischen Mystik angekommen. Es geht bei dieser Thematik darum, dass man sich die Frage stellt, wie die Schöpfung überhaupt möglich war. Die verschiedenen Kabbalisten haben im Mittelalter hier interessante Ideen entwickelt, die, in Bezug auf die Chaosmagie, wichtig sind, da es hier um einen energetischen Akt geht, der sich in diesem Zusammenhang auf alle magischen Operationen anwenden lässt.

 

Wenn man sich dann also, im kabbalistischen Sinne, mit der Frage beschäftigt, wie Schöpfung überhaupt möglich war, dann kann man kurz und knapp sagen, dass hier eine Art Kontraktion stattgefunden hat! Eine Kontraktion? Ein Zusammenziehen?

Nun, wenn man sich im mystischen und religiösen Kontext auf die Entstehung des Abyss beziehen will, dann findet man wieder das hebräische (oder auch kabbalistische) Fachwort „Tzimtzum“! Der Begriff „Tzimtzum“ oder auch „Zimzum“ bezieht sich auf eine Idee des Kabbalisten Isaak Lurias, der in der Mitte des 16. Jh. die Eingebung hatte, dass der Kosmos sich durch eine „Kontraktion / Konzentration“ erschaffen hat. Hierbei ging es um ein Zusammenziehen des „göttlichen Lichtes“, eine Art des Rückzugs von der Existenz in die Nicht-Existenz, ein zyklischer Prozess, der auch wieder mit einem Mors Mystica verglichen werden kann, wenn es darum geht, dass „etwas“ seine Grundfesten reflektiert. In diesem Fall wäre es die Schöpfung selbst. Kontraktion! Expansion! Chaos und Kosmos!

Man könnte hier auch einfach sagen, dass man eine gewisse Ruhephase benötigt, dass man in die Kontraktion gehen muss, um dann gewaltig in eine Expansion zu schreiten, sodass man hier definitiv über sich hinaus wächst. Die Chaosmagie agiert mit diesem Schema, was wiederum bedeutet, dass die Rituale so konzipiert sind, dass man auch hier immens viele Überraschungen erleben kann. Im Klartext bedeutet das, dass chaosmagische Rituale ohne weiteres über sich hinauswachsen können, sodass in diesem Zusammenhang auch erst einmal eine Kontraktion stattfindet, dass man sich zum Beispiel bewusst und meditativ zurückzieht, dass man sich energetisch hochfährt, um dann in einer energetischen Expansion seine Ziele nicht nur zu erreichen, sondern möglicherweise auch zu überflügeln. Natürlich kommt es in diesem Zusammenhang immer darauf an, wie man seine eigenen Ziele definiert, wie man seine Zielpunkte absteckt und ob ein Überflügeln des eigenen Ziels produktiv oder kontraproduktiv wäre. Daher gilt, dass man sehr achtsam und sehr bewusst in der Chaosmagie arbeiten muss, da ein zu starker Rückzug, eine zu starke Kontraktion genauso nachteilig wäre, wie ein über den Zielpunkt hinaus schießen, was bedeutet, dass der Zielpunkt in diesem Kontext verfehlt wird. Mit der Hilfe der Chaosmagie kann man sein eigenes Potenzial vollkommen entfalten. Doch hierzu ist es natürlich auch wieder notwendig, dass man sich selbst erkannt hat, dass man weiß, wer und was man ist, dass man versteht, wo die eigenen Stärken und wo die eigenen Schwächen liegen, sodass man für sich selbst sagen kann, dass man in seinem eigenen Kosmos das Chaos kontrollieren kann, genauso wie man in seinem eigenen Chaos einen Kosmos kreieren kann.

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Das WAS und das WIE der Chaosmagie

Wenn man sich die Chaosmagie literarisch anschaut, dann muss man sagen, dass es mittlerweile einige Bücher gibt, wobei die deutschsprachige Literatur mit der englischsprachigen Literatur nicht zu vergleichen ist. Doch das gilt auch für andere Magiearten, speziell ist hier die henochische Magie zu nennen. Dies alles ist aber überhaupt kein Problem. Es wird hierbei gerne behauptet, dass die Chaosmagie eine moderne Weiterentwicklung der klassischen zeremoniellen Magie ist, wobei hier die zeremonielle Magie als schwerfällig, überflüssig, dogmatisch und zu dramaturgisch abgespeist wird, frei nach dem Motto: „Was der Magier der zeremoniellen Magie in einem 5 Stunden Ritual machen kann, schafft der Chaosmagier in 5 Minuten!“ – na ja, vielleicht ist das etwas übertrieben, doch für einige Charaktere in der magischen Szene trifft dieser Ausspruch ohne weiteres zu. Doch auch wenn die Chaosmagie eine Weiterentwicklung der zeremoniellen Magie ist, geht es hier doch um einige Magier, die sich sehr stark mit der zeremoniellen Magie befasst haben. Zu nennen sind hier Aleister Crowley, Austin Osman Spare und Peter James Carroll.

Doch wer sind diese Personen, diese magischen Menschen, diese Charaktere? Diese will ich im Folgenden einmal vorstellen!

Als Erstes will ich hier Aleister Crowley (1875–1947) kurz vorstellen, obwohl dieser Charakter sehr bekannt ist, und auch bei den magischen Anfängern sicherlich schon einmal namentlich irgendwo gefallen ist. Nun, Aleister Crowley ist ein interessanter Schriftsteller, der durch erste Channelings bekannt wurde, genauso wie er eine schillernde Persönlichkeit war, die es liebte, in der Öffentlichkeit zu stehen, und genau wusste, wie man sich selbst inszeniert. In der aktuellen Zeit ist es ein wenig lustig, dass Aleister Crowley, zumindest wenn es um die moderne Religionslehre geht, gerne als Neosatanist verschrien wird! Tja, dies ist absoluter Blödsinn und zeigt sehr deutlich, dass hier keine Ahnung existiert. Gut, Aleister Crowley bezeichnete sich selbst als „der Antichrist“ oder auch als „das große Tier 666“ – TO MEGA THERION - doch muss dies alles in einem magischen Zusammenhang betrachtet werden, genauso wie reflektiert werden muss, dass Aleister Crowley eine streng christliche Erziehung erdulden musste, sodass er hierdurch negativ geprägt wurde.

Wenn man Aleister Crowley im Allgemeinen beschreiben will, kann man sagen, dass er ein Magier, Kabbalist, Hermetiker und ein starker Selbstdarsteller war, der sich aber auch mit vielen anderen Dingen beschäftigte, egal ob es jetzt Yoga, Alchemie oder die Lehren der östlichen Welt sind. Interessant wird es ab dem Jahr 1898, denn ab diesem Zeitpunkt war er sehr aktiv in einem berühmten magischen Orden, namentlich in dem „Hermetik Order of the Golden Dawn“. Doch dadurch, dass Aleister Crowley kein einfacher Charakter war, war er nicht allzu lang in dieser „ordentlichen Struktur“ beheimatet, denn auch, wenn er mit einem der Gründer, und zwar zusammen mit Samuel Liddell MacGregor Mathers nach einem Schisma des Golden Dawn, in einen anderen Orden (Alpha et Omega) wechselte, begann er doch nach einiger Zeit erneut gegen die Führung des Ordens zu arbeiten bzw. er lehnte sich auf. Hierauf – so heißt es – wurde er rausgeworfen.

Da Aleister Crowley eben ein Freidenker war, gleichzeitig aber auch ein Querulant, war es eigentlich ein logischer Schluss, dass er irgendwann selbst seine eigene magische Gemeinschaft gründete, eine magische Gemeinschaft die den Titel „Agentum Astrum“ (auch als A.A., Argenteum Astrum, Argentinum Astrum oder Astron Argon [gr. „scheinender Stern“]) trug. Wenn man sich die Struktur dieses Ordens anschaut, dann mag man überrascht sein, dass der erste Anschein der einer „klassischen“ magischen Ordensgemeinschaft ist. Doch wenn man genauer hinschaut, findet man doch einen gravierenden Unterschied. Diesen gravierenden Unterschied könnte man, mit einigem Wohlwollen, als ersten Hinweis auf eine Chaosmagie bzw. auf eine Freidenkermagie deuten, denn der große Unterschied zu anderen magischen Orden und Einweihungswegen bestand darin, dass man im A.A. eine sogenannte „Selbsteinweihung“ durch die höheren Mächte erfahren konnte, d. h., man konnte sich selbst mit Hilfe der geistigen Welt initiieren. Heutzutage ist dies nichts Spannendes, doch damals, im Jahr 1909, war dies schon eine klare Besonderheit. Dies lag daran, dass in der damaligen Zeit alle eine sehr starke Affinität zu irgendwelchen obskuren „Einweihungslinien“ hatten, sodass man regelrecht damit hausieren konnte, wer einen, wann initiiert, geweiht und gesegnet hatte! Diese Grundidee hatte etwas mit dem ersten Channeling zu tun, denn Aleister Crowley channelte hier die Entität „Aiwaz/Aiwass“, wobei es etwas später hieß, dass es der persönliche Schutzengel von Aleister Crowley war, bzw. sein höheres Selbst, sodass man hier den englischen Wortwitz „I was“ (ich war) in der Bezeichnung „Aiwaz/Aiwass“ erkennen kann.

Eine weitere Besonderheit, die neben der Channelarbeit erwähnt werden soll, ist der Umstand, dass Aleister Crowley sich sehr stark mit der Sexualmagie beschäftigte, sodass er aufgrund seiner verschiedenen Rituale Kontakt zu Theodor Reuss fand – einem der Gründer des O.T.O., des Ordo Templi Orientis (Orden des östlichen Tempels bzw. Orientalischer Templerorden)! Zwar studierte Aleister Crowley auch Schriften über den klassischen Satanismus (zum Beispiel erwarb er das Buch der Schwarzen Magie (Book of Black Magic an Pacts) von Arthur Edward Waite), doch war dies eher in seiner Anfangszeit. Als Aleister Crowley im Golden Dawn aktiv war, fokussierte er sich primär auf die Alchemie, die Kabbalah und natürlich auf die Hermetik. Als er dann seinen eigenen Orden gründete, kamen noch weitere Disziplinen hinzu, sodass Stück für Stück Crowley ein Verfechter davon wurde, dass der Körper dem Geist absolut zu Untertan sein muss.

Aleister Crowley verstand es immer, sich in den Mittelpunkt zu setzen, was aber auch wieder bedeutete, dass er sehr viel Chaos selbst stiftete. Im Jahr 1922 wurde er sogar zum Leiter des O.T.O. ausgerufen, da Theodor Reuss aus gesundheitlichen Gründen seine Ämter niederlegen musste. Dies führte zu einer Spaltung des O.T.O., da der deutsche Zweig des O.T.O. Aleister Crowley schlichtweg nicht anerkannte. So entstand hier definitiv ein Chaos, und als Crowley sich dann selbst in der Rolle des „Ausrufer zum Weltenlehrer“ sah und sogar als „Retter der Menschheit und Verkünder einer neuen religiösen Botschaft“, wurde er doch immer missbilligender beäugt. Doch was hat das mit der Chaosmagie zu tun? Ganz einfach, Crowley postulierte, dass man durch die Macht seines Geistes alles erreichen kann, und dass man in diesem Kontext auch auf die klassischen, zeremoniellen und magischen „Spielregeln“ verzichten kann, da es hier um die Macht der Energie geht, um die Macht des Kosmos, um die Macht des Chaos. Es geht darum, dass Crowley festgefahrene Strukturen Stück für Stück auflösen wollte, hierdurch aber selbst fixe und sehr harte Strukturen installierte.

Diese harten Strukturen entstanden aber nicht zufällig, denn man kann bei Aleister Crowley deutlich sehen, dass hier doch klare Persönlichkeitsmerkmale in den Vordergrund getreten sind. Dies mag vielleicht auch einer der Gründe gewesen sein, dass der nächste Magier zu Beginn einen Kontakt mit Aleister Crowley pflegte, später sich aber von diesem abwandte. Die Rede ist hier von Austin Osman Spare!

Austin Osman Spare (1886−1956) ist ein weiterer Charakter, der auf der einen Seite allgemein in der magischen Szene bekannt und berühmt war, auf der anderen Seite aber auch essenziell für die Gedankenkonstrukte der Chaosmagie war. Interessant ist, dass Austin Osman Spare hier sehr viele Begabungen hatte, sodass man ihn primär als einen Grafiker, Maler und Künstler deklarieren muss, und sekundär als Magier. Doch dies bedeutet nicht, dass Austin Osman Spare hier keine Besonderheiten in der Magie entworfen hat. Das Einzige, was dies aussagt, ist einfach nur die Tatsache, dass er sich künstlerisch stärker ausgedrückt hat, als schriftstellerisch. Durch seine Kunstfertigkeit kann man ohne weiteres Austin Osman Spare als Begründer und Erschaffer der klassischen Sigillenmagie betiteln, genauso wie er der Schöpfer des magischen Systems des „Zos Kia Cultus“ war. Bei dem „Zos Kia Cultus“ (wortwörtliche Übersetzung lautet „hier und darüber hinaus“), geht es hauptsächlich um die Thematiken der Hexerei bzw. der praktischen Magie des Hexentums und der Naturreligion. Da es zu der damaligen Zeit üblich war, wilde Initiationsgeschichten zu erfinden, existiert das Gerücht, dass Austin Osman Spare im Alter von gerade einmal sieben Jahren eine Hexe kennengelernt haben soll, die ihn natürlich auch sofort und prompt unterrichtete. Nun ja, Fakt ist auf jeden Fall, dass sich Austin Osman Spare stark für die Magie interessierte, durch seine künstlerische Begabung hier auch viele der magischen Themen bildlich festhalten konnte. Durch seine schöpfendene Kunst wurde die magische Szene relativ schnell auf den aufstrebenden magischen Künstler aufmerksam. So war es nicht überraschend, dass auch Aleister Crowley hier seine Aufmerksamkeit auf Austin Osman Spare richtete, sodass es nicht verwunderlich war, dass Austin Osman Spare im Jahre 1910 in den Orden Astrum Argenteum (also ein Jahr nach dessen Gründung) eintrat. Doch wie schon erwähnt existierten im Astrum Argenteum auch strikte Muster und Normen, genauso wie Dogmen und Lehrmeinungen, sodass Austin Osman Spare nicht lange im Orden Astrum Argenteum blieb. Bereits im Jahr 1912 trat er aus dem Orden Aleister Crowleys aus und setzte hierbei auch noch eine passende Begründung um, denn Austin Osman Spare sagte, dass die zelebrierten Rituale aufgesetzt und leer seien und dass er in diesem Orden nichts lernen könne. Dies war natürlich ein Schlag ins Gesicht von Aleister Crowley, wodurch Aleister Crowley versuchte, ihn zu diffamieren und ihn als „schwarzen Bruder“ deklarierte – also als einen Vertreter der Finsternis. Einige Jahre später jedoch änderte Aleister Crowley seine Meinung über Austin Osman Spare, da Crowley wohl doch merkte, dass er aufgrund seiner Egoverletzung Austin Osman Spare diffamierte! Da nun Austin Osman Spare seine eigenen Wege gehen konnte, konnte er neue magische Systeme erforschen bzw. regelrecht entwickeln.

 

Durch die Tätigkeit des Schreibens entwickelte er die „Zos Kia“-Magie, die er in seinen Büchern nicht nur zelebrierte, sondern auch erklärte. Für die damalige Zeit war es letztendlich logisch, dass er dadurch einen prägenden Einschnitt in die magische Szene vollzog. Er verknüpfte die Magie mit der Psychologie des Siegmund Freud, indem er einfach die Erfüllung von Wünschen in magischen Ritualen propagierte. Etwas, das heute ganz normal mit der Sigillenmagie ausgeführt wird. Zwar lässt sich darüber streiten, wie es am einfachsten ist ein Sigill zu laden, doch nach den Spielregeln von Austin Osman Spare bzw. der Zos-Kia-Magie, geht es primär darum, den Wunsch im Unterbewusstsein zu verankern und ihn danach vollkommen zu vergessen. So kann man sagen, dass es in der Zos Kia Magie primär darum geht, dass man sich auf das persönliche Universum konzentriert und all die eigene Macht auf die Erfüllung seiner Wünsche fokussiert. Es ist daher eine sehr persönliche und sehr individuelle Magie, die klar macht, dass der Protagonist das Wichtigste in der magischen Arbeit ist. Nach dem Grundgedanken von Austin Osman Spare ist die Silbe ZOS, in der Zos Kia Magie, die Sphäre des Körpers, die als Ganzheit angesehen wird. Die Silbe KIA hingegen ist das beobachtende Selbst bzw. der eigene Gott oder auch das höhere Selbst, welches die Welt projiziert. Austin Osman Spare definiert selbst das Kia wie folgt:

Die absolute Freiheit, deren Freisein mächtig genug ist, um ‚Realität‘ zu sein und dennoch frei zu sein in jedem Augenblick. [..] Je weniger über Kia gesagt wird, desto weniger wird es verschleiert.“

Die magischen Techniken dieser Magie zielen darauf ab, dass man bewusst in die Sphäre des Selbst dringt, sodass man sich energetisch hochfährt und zu einer kosmischen Ekstase findet. Hierdurch werden die Grenzen der eigenen Individualität mit dem grenzenlosen Selbst verschmolzen, welches zusätzlich durch Sexualmagie, Invokationen und Evokationen verstärkt werden kann.

Dass solche Ideen, Ansichten und Techniken in der damaligen Zeit drastisch einschlugen, dürfte klar sein. Zu dieser Zeit kam Austin Osman Spare auch mit Kenneth Grant, der den Typhonian O.T.O. gründete (ein Ableger des O.T.O), und Gerald B. Gardner zusammen, was dazu führte, dass beide von seinen Ideen stark beeinflusst wurden. Die Sigillenmagie war eben etwas „Neues“, auch wenn das Grundhandwerk schon immer in der Magie ausgeführt wurde. Doch Austin Osman Spare hat es noch einmal mit seinen eigenen Worten und in einem eigenen System aufgeschlüsselt. Man erkennt hier sehr klare Parallelen zur aktuellen Chaosmagie.

Fakt ist, dass in dem „Zos Kia Cultus“ die Individualität des Magiers das wichtigste ist, was wiederum bedeutet, dass man mit der Hilfe von verschiedenen magischen Techniken in die Sphäre des eigenen Selbst dringen kann, dringen soll, dringen muss, um dann seine eigenen Ziele zu erreichen. Es geht hierbei um eine energetische Ekstase, die im eigenen Inneren stattfindet, es geht also hier um die Verknüpfung zur inneren, wahren Erkenntnis, zur kosmischen Gnosis, die in der Chaosmagie letztlich auch klar und deutlich postuliert wird. Durch die Gnosis, durch die kosmische Erkenntnis, durch das Arbeiten mit dem eigenen Selbst, werden die Grenzen der eigenen Individualität mit dem eigenen grenzenlosen Sein verschmolzen! Man kreiert also einen Kosmos, um das Chaos zu kontrollieren. Hierbei bediente sich die Zos Kia Magie verschiedener Formen der Trance und Ekstase, sodass hier auch die Sexualmagie klar und deutlich thematisiert ist, genauso wie bewusst herbeigeführte, energetische Besessenheiten (sogenannte Invokationen), und natürlich bewusst herbeigeführte, energetische Herbeirufungen (sogenannte Evokationen), wobei es hier um verschiedene Energien, Dynamiken, Entitäten und Wesen geht. Die Gemeinsamkeit ist hier, dass all die Energien eine Verwendung finden, damit der Magier seine persönlichen Ziele voll und ganz erreichen kann. Nun, auch dies ist auf der einen Seite klassisch für die Chaosmagie, auf der anderen Seite kann es aber auch als atypisch gedeutet werden, da in der Chaosmagie sehr gerne postuliert wird, dass man in sich selbst alles hat, und dass man nichts anderes braucht. Dies würde aber bedeuten, dass man auch mit externen Energien eigentlich nicht arbeiten muss, arbeiten will. In Bezug auf die Zos Kia Magie ist es nicht überraschend, dass die Chaosmagie auch unter dem Titel „Erfolgsmagie“ (im Englischen eigentlich als Success Magic tituliert wurde) beschrieben wurde, da es letztlich genau darum geht. Mithilfe der eigenen Möglichkeiten, mit den eigenen Mitteln, kann man ohne weiteres seine Ziele erreichen und seinen Erfolg auch beibehalten!

Wenn man dies jetzt alles gedanklich reflektiert, dann kann man erst einmal zu dem Schluss kommen, dass Austin Osman Spare hier der Vater der Chaosmagie war/ist. Nun, auf der einen Seite ist dies auch korrekt. Auf der anderen Seite muss man aber auch den Magier und Autor Peter James Carroll beachten. Peter James Carroll (1953) ist eigentlich ein Schullehrer, der aber auch ein magischer Autor ist, und Mitbegründer des I.O.T.!