Motivorientiertes Führen

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Wie sind Motive erkennbar?

Um motivorientiert zu führen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Motivation eines Mitarbeiters zu erkennen – nur auf dieser Basis können individuelle Handlungs- und Kommunikationsmaßnahmen entwickelt und angewendet werden. Doch wo ist dabei anzusetzen, wie ist die Motivation eines Menschen erkennbar? Die wissenschaftliche Motivationsforschung setzt sich schon seit Jahrzehnten mit dieser Fragestellung auseinander. In den folgenden Abschnitten möchten wir Ihnen verschiedene Ansätze der Motivationsforschung vorstellen, ihre praktische Anwendbarkeit diskutieren und Ihnen abschließend mit der Theorie der 16 Lebensmotive nach Prof. Steven Reiss einen entsprechenden Weg aufzeigen, wie die individuelle Motivation eines Menschen erkennbar gemacht werden kann.

Bedürfnispyramide nach Maslow

Eine der ersten Motivationstheorien überhaupt entwickelte Abraham Maslow 1943 mit seiner Bedürfnispyramide, die auch heute noch als Grundlage in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Motivation verwendet wird. Darin geht er von einer hierarchischen Anordnung menschlicher Bedürfnisse aus und differenziert die Motivation eines Menschen in fünf unterschiedliche Motivklassen, die aufeinander aufbauen:


Abb. 3: Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow

Schon Bertolt Brecht schreibt in seiner Dreigroschenoper: »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.« Ganz in diesem Sinne geht Maslow davon aus, dass zuerst die unterste Stufe der Bedürfnispyramide erfüllt sein muss, bevor das Bedürfnis nach der nächsthöheren Stufe zunimmt und ein Mensch beginnt, sein Verhalten auch auf deren Erfüllung auszurichten.

Defizitbedürfnisse

Die Basis der maslowschen Bedürfnispyramide bilden menschliche Grundbedürfnisse wie Atmung, Schlaf, Nahrung, Wärme und Sexualität, die zur Selbsterhaltung notwendig sind. Erst wenn diese erfüllt sind, entwickelt ein Mensch Sicherheitsbedürfnisse, das heißt, er verspürt ein Bedürfnis nach Recht, Schutz vor Gefahren und Absicherung. Die nächste Stufe bezeichnet Maslow als soziale Bedürfnisse wie Freundschaften, Kommunikation und Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wie die Grundbedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse sind auch die sozialen Bedürfnisse eines Menschen Defizitbedürfnisse. Das bedeutet, dass ein Mensch nach der Befriedigung dieser Bedürfnisse keine weitere Motivation hat, diese noch weiter zu verfolgen – beispielsweise isst man nicht weiter, wenn man ein ausgeprägtes Sättigungsgefühl empfindet. Zum Teil zählen auch noch die ICH-Bedürfnisse der nächsten Stufe zu den Defizitbedürfnissen, da die Erfüllung von Anerkennung, Status, Respekt und Geltung bis zu einem gewissen Grad für den Menschen notwendig ist.

Wachstumsbedürfnisse

Auf der anderen Seite gehören diese jedoch auch zu den Wachstumsbedürfnissen, da sie nie wirklich vollständig befriedigt werden können. Es gibt nämlich keinen »Endpunkt« der Bedürfnisbefriedigung. Gleiches gilt auch für die oberste Stufe der Bedürfnispyramide, die Selbstverwirklichung, die durch individuelle Talententfaltung ausgelebt und befriedigt wird.

Versuchen Sie sich selbst die Frage zu beantworten: Ist dieses Modell geeignet, die Motivation eines Menschen zu erkennen? Es erweist sich zwar als hilfreich, um sich dem Motivationsbegriff anzunähern und sich grundlegend mit der Frage auseinanderzusetzen, was einen Menschen antreibt. Vielleicht finden Sie sich ja auch in Maslows Annahme wieder, dass andere Dinge zunächst nebensächlich werden, wenn Sie starken Hunger verspüren oder vor Müdigkeit die Augen kaum noch offen halten können. Ein wesentlicher Kritikpunkt an Maslows Modell ist jedoch, dass Defizitbedürfnisse nicht auf Dauer befriedigt werden können – egal wie viel Sie essen oder schlafen, nach einer Weile verspüren Sie erneut das Bedürfnis danach.

Des Weiteren haben empirische Untersuchungen gezeigt, dass ein Mensch trotz Hunger weiterhin nach Gefühlen wie Gruppenzugehörigkeit und Liebe strebt – was Maslows Annahme der stufenweise aufeinander aufbauenden Motive widerlegt. Insgesamt ist das Modell somit zwar grundlegend in dem Sinne praktikabel, dass es die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse verdeutlicht. Es ermöglicht aber keine Ableitung von konkreten Faktoren, durch die ein Mensch dauerhaft motiviert werden kann.

Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg

Während Abraham Maslow versucht hat, ein für alle Menschen und Situationen gültiges Motivationsmodell zu entwickeln, konzentriert sich Frederick Herzberg mit seiner Zwei-Faktoren-Theorie von 1959 auf den Kontext der Arbeitsmotivation. Dabei unterscheidet er zwischen zwei verschiedenen Klassen von Anreizen:

Hygienefaktoren sind Faktoren, bei deren Vorhandensein ein Mitarbeiter nicht unzufrieden ist. Das heißt, er nimmt ihr Vorhandensein so lange nicht deutlich wahr, bis sie fehlen. Er empfindet aber einen Mangel und Unzufriedenheit, wenn sie nicht vorhanden sind. Ein Hygienefaktor verhindert also die Entstehung von Unzufriedenheit, trägt aber auch nicht zur Entstehung von Zufriedenheit bei. Oft sind einem Mitarbeiter diese Hygienefaktoren gar nicht bewusst, da sie von ihm als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Beispiele für Hygienefaktoren sind Gehalt, Führungsstil des Vorgesetzten, Unternehmenspolitik, Arbeitsbedingungen etc.

Motivationsfaktoren sind auf der einen Seite Faktoren, bei deren Vorhandensein ein Mitarbeiter zufrieden ist und Motivation für die Arbeit empfindet. Auf der anderen Seite ist ein Mitarbeiter aber nicht zwangsläufig unzufrieden, wenn sie nicht vorhanden sind. Ein Motivationsfaktor trägt also wesentlich zur Entstehung von Zufriedenheit bei. Beispiele für Motivationsfaktoren sind Leistung, Anerkennung, Arbeitsinhalte, Verantwortung und Wachstum.

Nicht-Unzufriedenheit

Die Essenz aus Herzbergs Überlegungen ist, dass ein Mitarbeiter nicht zwangsläufig motiviert und zufrieden ist, wenn keine Gründe für Unzufriedenheit vorliegen. Diesen Zustand bezeichnet Herzberg treffend als Nicht-Unzufriedenheit.

So kann auch erklärt werden, warum die Zufriedenheit eines Mitarbeiters nicht unbegrenzt über Lohnerhöhungen gesteigert werden kann, denn zur Mitarbeitermotivation reicht es nicht aus, sich auf die Beseitigung von Unzufriedenheitsquellen zu konzentrieren. Vielmehr steht im Vordergrund, einen Mitarbeiter über das Vorhandensein von Hygienefaktoren hinaus durch zusätzliche Motivationsfaktoren zufrieden zu stellen und zu motivieren – beispielsweise durch Entwicklungsmöglichkeiten.

Motivation ist individuell verschieden

Stellen Sie sich erneut die Frage: Ist nun die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg dazu geeignet, die Motivation eines jeden Menschen zu erkennen und im Arbeitskontext individuell auf sie einzugehen? Zweifellos hat sein Modell einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, Zufriedenheit und deren Ursachen am Arbeitsplatz differenzierter zu betrachten. Wie schon die Bedürfnispyramide nach Maslow bietet jedoch auch die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg keine Möglichkeit, Aussagen über die individuellen Motive eines Menschen abzuleiten. Theoretisch werden Menschen nach beiden Modellen durch die gleichen Faktoren motiviert – in der Realität ist Motivation jedoch ausgesprochen individuell.

Um einen Mitarbeiter durch genau auf seine individuelle Motivation passende Maßnahmen zu motivieren, bedarf es also motivationspsychologischer Modelle mit einem individuumszentrierten Ansatz. William James, William McDougall und Henry Murray haben nacheinander Modelle vorgelegt, die diesem Ansatz entsprechen. James war der Erste, der eine Liste von Motiven veröffentlicht hat, die von McDougall und Murray in zwei weiteren Schritten jeweils überarbeitet und erweitert wurden. So hat beispielsweise McDougall eine Liste von mehr als 10000 Motiven entwickelt und publiziert.

Motivation sichtbar machen

Während die Motivationsfaktoren nach Maslow und Herzberg zu allgemein gehalten sind, ist eine reine Auflistung von Motivationsfaktoren (z.B. nach McDougall) deutlich zu umfangreich, um einen praktikablen Ansatz für die Mitarbeitermotivation in der Führungspraxis zu ermöglichen. Dafür ist mehr als nur eine Vereinfachung der langen Liste menschlicher Motivationsfaktoren notwendig. Da wir uns unserer wahren, tief verwurzelten Motive meist nicht bewusst sind, braucht es zusätzlich ein wissenschaftlich fundiertes Instrument, um die Motivation eines Menschen »sichtbar« zu machen.

Aus diesem Grund entwickelte beispielsweise Murray bereits im Jahr 1935 seinen Thematischen Apperzeptionstext (TAT). Bei diesem komplizierten Vorgehen musste ein Proband zu zwei Sitzungen erscheinen, bei denen er jeweils Geschichten zu vorgelegten Bildern erzählen sollte. Basierend auf einem zusätzlich durchgeführten biografischen Interview schloss der durchführende Psychologe dann von den erzählten Geschichten auf das Erleben, die Innenwelt und damit die Motivation der Versuchsperson.

Unbestreitbar ist eine wissenschaftlich fundierte Annäherung an die individuelle Motivation eines Menschen als Grundlage der Mitarbeiterführung durch den TAT nicht möglich, da es sich hierbei um einen sogenannten »projektiven Test« handelt. Das bedeutet, dass das Testergebnis, wie bei dem bekannten Rorschach-Test (Bilder wie Tintenkleckse deuten), in hohem Maße von der Interpretation des Testers abhängig ist und somit nur eine geringe testtheoretische Fundierung aufweist.

 

Ansatz des Reiss Profiles

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es nun, die Motivation eines Menschen erkennbar zu machen? Das Reiss Profile nach Prof. Steven Reiss setzt genau an diesem Punkt an. Steven Reiss hat durch zahlreiche empirische Untersuchungen herausgearbeitet, dass es insgesamt 16 verschiedene Motive gibt, von ihm »Lebensmotive« genannt, die einen Menschen motivieren können. Dabei wird jeder Mensch durch andere Motivausprägungen motiviert. Diese können durch einen wissenschaftlich fundierten Fragebogen »sichtbar« gemacht werden. Grundlage dieses Fragebogens sind 128 Fragen, die nach der Beantwortung computergestützt ausgewertet werden. Durch die empirisch bestätigte Reliabilität und Validität dieses Instrumentes ist somit eine Grundlage gefunden worden, um die individuelle Motivstruktur eines Menschen erkennbar zu machen. In einem zweiten Schritt können dann von einem ausgebildeten Reiss Profile Master in Zusammenarbeit mit der Führungskraft gemäß des Ansatzes der motivorientierten Führung passgenaue Maßnahmen abgeleitet werden. Damit wird erstmalig eine fundierte Plattform geboten, um eine weitestgehende Übereinstimmung der inneren Motive mit den extern vorgegebenen Zielen zu erreichen.

Die Theorie der 16 Lebensmotive und das Reiss Profile als Grundlage der motivorientierten Führung werden im Folgenden (siehe “Die Entwicklung der 16 Lebensmotive und ihr geistiger Vater Prof. Steven Reiss”) noch ausführlich beschrieben.

Wie kann Führung auf Motivation ausgerichtet werden?

Motivation und Führung sind eng miteinander verbunden. Ein kurzes Beispiel des amerikanischen Führungsforschers Richard M. Hare soll verdeutlichen, was der Begriff Führung eigentlich beinhaltet:

Beispiel

Jemand möchte eine kleine Hütte bauen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht er nur das entsprechende Baumaterial, Werkzeug und seine Arbeitskraft. Möchte jemand jedoch ein mehrstöckiges Haus bauen, wird er dieses Ziel alleine nicht erreichen können, sondern braucht Mit-Arbeiter.

Solange ein Ziel alleine erreicht werden kann, entstehen keine Führungsschwierigkeiten. In Anlehnung an Comelli und Rosenstiel sind Vorgesetzte also vor allem aus einem Grund Führungskräfte:

Eine Führungskraft hat mehr zu tun, als sie alleine schaffen kann!

Aufbauend auf dieser Erkenntnis lässt sich Führung – ebenfalls nach Comelli und Rosenstiel – in einem zweiten Schritt also folgendermaßen definieren:

Führung ist ein intentionaler und ein Beeinflussungsprozess, bei dem eine Person versucht, eine andere Person zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und Erreichung gemeinsamer Ziele zu veranlassen.

Mitarbeiter für Ziele gewinnen

Vielen Vorgesetzen ist nicht immer bewusst, dass eine Führungskraft nicht einfach über ihre Mitarbeiter »herrscht«, sondern sogar auf sie angewiesen ist, da sie ihre Aufgaben alleine nicht bewältigen kann. Entsprechend sollte eine Führungskraft versuchen, ihre Mitarbeiter so zu motivieren, dass sie sie bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen. Comelli und Rosenstiel führen aus, dass Mitarbeiter dafür jedoch eine Gegenleistung erwarten, die weit über die monetäre Entlohnung des Arbeitsverhältnisses hinausgeht: Sie möchten, dass ihre Führungskraft ihre Interessen vertritt und sich für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse einsetzt. Andernfalls finden sie Mittel und Wege, ihr »Führungsrecht« einzufordern. Sie verringern zum Beispiel ihr Engagement bis hin zur Kündigung. Führung ist also ein »Geschäft auf Gegenseitigkeit«.

Rahmenmodell der Führung

Führungserfolg ist deshalb von weit mehr Faktoren abhängig als lediglich von der Person des Führenden und seinem Führungsverhalten. Comelli und Rosenstiel haben in diesem Zusammenhang ein Rahmenmodell der Führung entwickelt:


Abb. 4: Rahmenmodell der Führung

Persönlichkeit des Führenden

Der generelle Rahmen wird durch die Führungssituation gestellt, die zum Beispiel durch das politische oder kulturelle Umfeld oder die Branchenzugehörigkeit des Unternehmens geprägt wird. Eingebettet in diese Bedingungen ist der Ausgangspunkt eines Führungsprozesses immer die Person des Führenden selbst mit ihrer Intelligenz, ihrem Wissen, ihren Kompetenzen etc. Die Persönlichkeit des Führenden hat wiederum unmittelbaren Einfluss auf das Führungsverhalten, das sich beispielsweise in einem eher konsensorientierten oder autoritären Führungsstil zeigt. Dieses Führungsverhalten ruft letztlich die eigentliche Reaktion des Mitarbeiters hervor: Wie hoch ist seine Arbeitszufriedenheit? Wie stark engagiert er sich? Wie viele Krankheitstage hat der Mitarbeiter? Erst am Ende dieser Führungskette stehen die Ergebnisse, die den Grad der Zielerreichung bestimmen.

Viele Vorgesetzte wollen im Alltag immer noch direkt Einfluss nehmen auf das Ende dieser Kette. Sie fokussieren sich nicht als Multiplikator auf die Mitarbeiter, sondern direkt auf das zu lösende Problem. Sie verpassen es, als Führungskraft und Multiplikator die anderen dazu zu bewegen, gute Ergebnisse zu erzielen. Mit einem Satz: Sie führen zu wenig die Mitarbeiter als Menschen und managen zu stark Aufgaben und Probleme. Sie sind Manager und nicht Führungskraft. Als Letztere werden sie aber in der Regel eingestellt und bezahlt.

Stephen Covey, der mit seinen Ideen und Ansätzen zum Thema Selbstmanagement und Persönlichkeitsentwicklung als einer der einflussreichsten Amerikaner des 20. Jahrhunderts gilt, habe ich bei einem Mittagessen gefragt: »Stephen, wenn Sie nur einen Satz hätten, um die ideale Grundeinstellung einer Führungskraft auszudrücken – welcher wäre das?« Covey hat daraufhin in seiner Antwort das Prinzip der Gegenseitigkeit und die Notwendigkeit der Fokussierung auf den Mitarbeiter treffend zusammengefasst. Seiner Ansicht nach soll sich jede Führungskraft in Bezug auf jeden Mitarbeiter immer wieder aufs Neue fragen: »How can I serve you?«

Anforderungen an die Führungskraft

Das ist oft leichter gesagt als getan, denn zusammen mit den immer anspruchsvolleren Aufgaben sind gleichzeitig auch die Anforderungen an Führungskräfte gestiegen. Die folgende Auflistung zeigt in Anlehnung an Comelli und Rosenstiel, welche Anforderungen an eine Führungskraft bestehen und wie sich diese in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben:

Fachkompetenz: Vor allem in den 70er Jahren wurde jemand ausschließlich dann in eine Führungsposition befördert, wenn er ein guter Fachmann war – so wurde z.B. nur der beste Verkäufer zum Verkaufsleiter ernannt. Fachkompetenz wurde lange als hinreichendes Kriterium für Führungserfolg gesehen. In dieser Position jedoch sind heute vollkommen andere Kompetenzen gefragt: nicht mehr das gute eigene Verkaufen eines Vertriebsleiters steht im Vordergrund, sondern das Führen einer Gruppe durch Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche, das Treffen von strategischen Entscheidungen, Ressourcenplanung etc.

Soziale Fähigkeiten: Das Führen eines Teams bedeutet immer auch, dass der Führungskraft die wertvollste Ressource des Unternehmens anvertraut wird – das humane Kapital, die Mitarbeiter. In den 80er Jahren stieg das Bewusstsein dafür, dass Führungskräfte auch ein »gutes Händchen« im Umgang mit ihren Mitarbeitern benötigen, da Führung immer ein Interaktionsprozess zwischen Führer und Geführtem ist. Zu diesen sozialen Fähigkeiten zählt unter anderem Kommunikations- und Konfliktkompetenz, aber auch die Entwicklung eines entsprechenden Einstellungsund Wertesystems.

Management Skills: In den 90er Jahren erweiterte sich das Spektrum an Führungsanforderungen neben Fachkompetenz und sozialen Fähigkeiten zusätzlich um das Bewusstsein dafür, dass auch Management Skills für einen langfristigen Führungserfolg erworben und ausgebaut werden sollten. Zu diesen Management-Skills zählen u.a. Zielsetzung und -vereinbarung (Management by Objectives), Delegation, Moderation, Kreativitätstechniken etc. Noch heute werden Führungskräfte in weltweiten Konzernen wie kleinen und mittelständischen Unternehmen schwerpunktmäßig in diesen Kompetenzen trainiert.

Selbstkontroll-Kompetenz: In der heutigen Zeit steht zusätzlich zu den bereits aufgeführten Anforderungen die Selbstkontroll-Kompetenz im Zentrum des Führungsbewusstseins. Dazu zählt die Fähigkeit, seine Arbeit und Angelegenheiten zu planen und zu organisieren und somit sozusagen »sich selbst einzuteilen«. Die Selbstkontroll-Kompetenz ist ganzheitlich zu verstehen, sie umfasst nicht nur das unmittelbare Arbeitsumfeld, sondern ebenso den Umgang mit dem eigenen Leben in all seinen Facetten: Selbstkontrolle, Umgang mit Stress, Verantwortungsübernahme für die eigenen Handlungen, Wertebewusstsein, Prioritätensetzung und vieles mehr.

Persönlichkeit entwickeln

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich also die Anforderungen an Führungskräfte von der reinen Beherrschung der fachlichen Kompetenzen in den Bereich der kontinuierlichen Persönlichkeitsentwicklung verlagert. Comelli und Rosenstiel zitieren treffend einen Unternehmer in einer Diskussion über die Besetzung von Führungspositionen: »Wollen wir eigentlich Leute in Vorgesetzten-Positionen haben, die mit sich selbst, ihrer Familie und ihrem eigenen Leben nicht klarkommen? Das heißt doch, kaputten Typen die Zukunft eines Unternehmens anzuvertrauen!« Ganz im Sinne der motivorientierten Führung gilt somit:

Wer andere erfolgreich führen will, muss zuerst sich selbst führen können.

Auf diesen Punkt gehen wir später ausführlicher ein (siehe “Ihre Führungspersönlichkeit – sich selbst erfahren”). Wie oben ausgeführt, ist die Selbstkontroll-Kompetenz jedoch nur ein Teilbereich der Kompetenzanforderungen, die in der heutigen Zeit an eine Führungskraft gestellt werden. Wie können Führungskräfte diesen immensen Anforderungen gerecht werden? In der Führungs- und Managementliteratur werden zahlreiche Ansätze beschrieben, die Vorgesetzte dabei unterstützen sollen, Führung in der Praxis zu meistern.

Verwandlung durch Führen

Der von Bernhard M. Bass und Ronald E. Riggio (2006, 6ff.) entwickelte und in den letzten Jahren verstärkt diskutierte Ansatz der transformationalen Führung versteht Führung als einen Prozess der »Verwandlung« des Geführten. Dieser setzt sich durch den Einfluss des Führenden höhere Ziele und handelt so nicht mehr nur aus reinem Eigeninteresse. Eine transformationale Führungskraft verändert also die Denkweisen und Wünsche des Geführten. Indem sie den ganzen Menschen (emotional) anspricht, weckt sie die Begeisterung des Geführten für neue Werte, Ziele und Aufgaben und macht ihn so zum »Mitunternehmer« bei der gemeinsamen Zielerreichung. Dabei unterscheidet Bass vier Elemente der transformationalen Führung:

Idealized Influence bzw. Charisma drückt aus, dass der Führende dem Geführten ein Vorbild ist, dem Bewunderung, Respekt und Vertrauen entgegengebracht wird. Der Geführte identifiziert sich mit dem Führenden und seinen ethischen Standards.

• Der Geführte erfährt Inspiration durch (erreichbare) Visionen des Führenden. Dazu ist es Aufgabe des Führenden, durch eine optimistische und enthusiastische Einstellung die Bedeutung und Herausforderung der Arbeit zu vermitteln und den Teamgeist zu fördern. So werden die Ziele und Visionen des Führenden zu gemeinsamen Zielen und Visionen.

• Durch intellektuelle Stimulierung fördert der Führende die Innovativität und Kreativität des Geführten. Der Führende fördert das Umsetzen neuer Ideen, indem er dem Geführten Eigenverantwortung überträgt, ihn selbst zum »Unternehmer im Unternehmen« macht und ihn in Problemlösungsprozesse und das Hinterfragen von Annahmen einbezieht.

• Das vierte Element der individuellen Ansprache beinhaltet, dass der Führende gleichzeitig auch Coach und Mentor des Geführten ist und ihn als ganzen Menschen kennt und akzeptiert. Indem er eine zweiseitige Kommunikation praktiziert und seinem Geführten aktiv zuhört, betrachtet er den Mitarbeiter als Individuum, statt ihn lediglich als Gruppenmitglied zu behandeln. Es gilt: »Gleichbehandlung ist nicht gleiche Behandlung«, denn der Kernpunkt der individuellen Ansprache ist die Akzeptanz von und Arbeit mit Unterschiedlichkeit.

 

Individuelle Ansprache entscheidend

Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für den Führungsalltag ableiten? Eine Studie von Dumdum / Lowe / Avolio (2002) hat gezeigt, dass die Korrelation zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Führungsstil beim vierten Element, der individuellen Ansprache, am höchsten ist. Und das sind für den Führungsalltag besonders deswegen gute Nachrichten, weil Dinge wie Charisma nicht oder kaum erlernbar sind. Individualisiertes Führen, basierend auf der Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen und Motiven, ist hingegen relativ leicht erlern- und umsetzbar.

Modell der situativen Führung

Ein weiteres vielfach gelobtes Modell ist das Modell der situativen Führung nach Hersey / Blanchard. Sie gehen davon aus, dass Führungskräfte sowohl die Entwicklung des einzelnen Mitarbeiters als auch des gesamten Teams aktiv durch ihr Führungsverhalten und ihren Führungsstil unterstützen können, wobei sie zwischen vier verschiedenen Phasen unterscheiden:


Abb. 5: Modell der situativen Führung nach Hersey / Blanchard

Demnach wird jede Phase dadurch bestimmt, wie viel mitarbeiterbezogenes bzw. unterstützendes Verhalten auf der einen Seite und wie viel aufgabenbezogenes bzw. direktives Verhalten auf der anderen Seite gefordert ist.

Testphase: Die Testphase ist die Anfangsphase einer Zusammenarbeit – entweder der Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder der Zusammenarbeit eines Teams. In dieser Phase ist Lenkung durch die Führungskraft zentral. Der Vorgesetzte sollte vor allem versuchen, Struktur und Kontrolle bereitzustellen. So erfährt der Mitarbeiter die erforderliche Sicherheit und Orientierung, um den Beziehungsaufbau sowie Rollen- und Aufgabenfindung zu meistern.

Kampfphase: Die Testphase geht fließend in die Kampfphase über, in der um die Verteilung von Macht, Einfluss und Kompetenz gerungen wird. Von der Führungskraft ist vor allen Dingen Training gefordert, worunter Hersey / Blanchard verstehen, den Mitarbeiter bei klar gesetzten Rahmenbedingungen und Zielvorgaben weiterzuqualifizieren. Der Mitarbeiter oder das Team wird in dieser Phase somit zunehmend stärker in Entscheidungsprozesse involviert, die Führungskraft greift jedoch eventuell dirigierend ein und positioniert sich damit auch selbst.

Orientierungsphase: Die Orientierungsphase setzt ein, wenn der Mitarbeiter bzw. das Team leistungsbereit ist. Durch Unterstützung sollte die Führungskraft in dieser Phase daran arbeiten, dass die vorhandenen Kompetenzen weiter ausgebaut werden. Nur wenn dem Mitarbeiter oder Team eine Anerkennung für das Engagement gegeben und eigenständiges Handeln ermöglicht wird, können vorhandene Stärken optimal eingesetzt werden.

Verschmelzungsphase: In dieser Phase ist es Aufgabe der Führungskraft, sich auf die Delegation zu konzentrieren. Der Mitarbeiter bzw. das Team hat nun eine Reife erreicht, auf deren Basis die eigenständige Verantwortungsübernahme für Entscheidungen und deren Durchführung übertragen werden kann. Dazu muss die Führungskraft vor allem eine Leistung erbringen: loslassen können.

Der situative Führungsansatz in der Praxis

Wie ist die Auswirkung des situativen Führungsansatzes auf den langfristigen Führungserfolg in der Praxis zu beurteilen? Hersey / Blanchard gehen bei ihren Ausführungen davon aus, dass das »Erfolgsrezept« der Führung vor allem darin besteht, sein Führungsverhalten und seinen Führungsstil an die Situation des Mitarbeiters beziehungsweise des Teams anzupassen. Folgt eine Führungskraft diesem Ansatz, gerät dabei jedoch ein wichtiger Aspekt aus dem Blickfeld: Nicht nur eine Einschätzung der aktuellen Situation bedingt Führungserfolg, sondern vor allem die Berücksichtigung der Individualität eines Mitarbeiters!

Dort setzen Michael Lorenz und Uta Rohrschneider in ihrem Buch Praktische Psychologie für den Umgang mit Mitarbeitern hervorragend an. Sie legen ihrem Führungsansatz ein Mitarbeiterportfolio (2008, 57ff.) zugrunde, das auf der Basis der Dimensionen Können und Wollen zwischen vier verschiedenen Mitarbeitertypen unterscheidet:


Abb. 6: Mitarbeiterportfolio nach Lorenz und Rohrschneider

Mitarbeitertypen

Dabei stellt Können alles dar, was ein Mitarbeiter über seine Ausbildung und generellen Erfahrungen gelernt hat, während das Wollen die Einsatzbereitschaft und den Leistungswillen des Mitarbeiters (und damit seine Motivation) beschreibt. Je nach Umfang, in dem ein Mitarbeiter die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt, lassen sich folgende Mitarbeitertypen beschreiben:

Stars sind die Mitarbeiter, wie sie sich wohl jede Führungskraft wünscht – einerseits haben sie die erforderlichen Kompetenzen, um eine Aufgabe erfolgreich zu bewältigen, andererseits besitzen sie auch das erforderliche Engagement dazu.

Workhorses sind Mitarbeiter, die zwar hoch motiviert an die Erfüllung der an sie gestellten Aufgaben herangehen, dabei jedoch oft an ihre Potenzialgrenzen stoßen.

Deadwoods beschreiben Lorenz und Rohrschneider als die Mitarbeiter, die ihre Aufgaben weder in der geforderten Qualität erfüllen können noch wollen.

Problems sind schließlich die Mitarbeiter, die zwar die notwendigen Kompetenzen besitzen, um qualitativ hochwertige Aufgabenbearbeitungen zu erreichen, es aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht (mehr) wollen.

Mitarbeiterportfolio

Versuchen Sie jetzt selbst einmal, Ihre Teammitglieder in das Mitarbeiterportfolio einzuordnen:


Abb. 7: Matrix zur Mitarbeitereinschätzung nach Lorenz und Rohrschneider

Lorenz und Rohrschneider geben in ihrem Buch zahlreiche Anregungen, wie diese individuellen Merkmale eines Mitarbeiters im Führungsverhalten berücksichtigt werden können. Durch Anerkennung von Leistungen sowie Potenzial- und Aufgabenanalysen kann ein Vorgesetzter beispielsweise Workhorses weiter fördern, sodass sie mit der Zeit zu einem Star entwickelt werden. Dabei sollte stets berücksichtigt werden, dass auch Stars schnell demotiviert und zu Problems werden können, wenn sie sich vernachlässigt fühlen und nicht durch konsequente Ziel- und Anreizsetzung immer wieder neu motiviert werden.

Geeignete Führungsmaßnahmen

Das Mitarbeiterportfolio und die daraus abgeleiteten Führungsmaßnahmen verfolgen einen sehr nachhaltigen Ansatz für Führungserfolg: Aufgabe der Führungskraft ist es, dem Mitarbeiter eine passgenaue Plattform zu geben, auf der er entsprechend seiner Bedürfnisse jeden Tag aufs Neue motiviert und weiterentwickelt wird. Und genau hier setzt der Ansatz von Prof. Steven Reiss an: Das Reiss Profile bietet eine hervorragende Möglichkeit, die individuellen Motive und Bedürfnisse exakt zu erkennen.