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Die Entwicklung der 16 Lebensmotive und ihr geistiger Vater Prof. Steven Reiss

Prof. Steven Reiss, der Urheber des Reiss Profile, lehrte bis vor kurzem als Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Ohio State University in Columbus (USA). Er studierte bis 1964 am Darthmouth College und promovierte 1972 in Yale.

Der Weg zur Erkenntnis

Als Steven Reiss Mitte der 90er Jahre lebensbedrohlich erkrankte, fragte er sich, ob er ein sinnvolles und glückliches Leben hatte. In seiner Eigenschaft als Psychologe fing er an, bestehende Theorien wie das Pleasure Principle zu durchdenken. Handeln Menschen wirklich nur aufgrund dessen, was ihnen die meisten positiven und die wenigsten negativen Gefühle verursacht? Für Steven Reiss schien dies nicht zutreffend, da es nicht alle menschlichen Verhaltensweisen erklären konnte. Während seiner Krankheit stellte er sich beispielsweise nicht die Frage, wie schmerzhaft seine Behandlung sein würde, sondern wie er am schnellsten wieder bei seiner Familie sein könne. Dafür unterzog er sich einer schnelleren, aber auch schmerzhafteren Behandlung. Auch die schwierige Arbeit von Krankenschwestern zeigte ihm, dass das Prinzip von Freude und Leid für die Arbeit in einem Krankenhaus wohl nicht gilt.

Steven Reiss fand so immer mehr Beispiele, die seinen Gedankengang unterstützten. Es musste mehr Gründe für das Verhalten von Menschen geben als Freude und Leid; Freude musste ein subjektives, individuelles Konstrukt sein, das nur als »Beiprodukt« auftritt, wenn wir bekommen, was wir uns wünschen.

Individuelle Motivation erklären

Glücklicherweise erholte sich Steven Reiss von seiner schweren Erkrankung und erforschte anschließend an der Ohio State University, welche individuellen Motive jeden Menschen bewegen. Er sammelte zunächst verschiedenste psychologische und philosophische Erklärungsansätze – von Platon über Freud und Jung und vielen anderen bis hin zu Maslow –, doch nichts erschien ihm umfassend genug, um individuelle Motivation und Sinnhaftigkeit bestimmen zu können.

Also erstellte er eine Liste mit 328 Werten, die er nach einer groß angelegten Umfrage durch Faktoranalysen auf die 16 wichtigsten Motive reduzierte. Anschließend entwickelte er mit vielen tausend weiteren Befragten verschiedenster Nationalitäten den 128 Fragen umfassenden Fragebogen, mit dem jede individuelle Motivstruktur, das heißt jedes individuelle Reiss Profile, erstellt wird (S. Reiss 2000, 1–10, 26–28).

Empirisch überprüfte Theorie

Die Theorie der 16 Lebensmotive ist eine der wenigen Persönlichkeitstheorien, die testtheoretisch vollständig empirisch überprüft wurde. Die Testtheorie untersucht vor allem die Gütekriterien Validität und Reliabilität. Validität gibt an, ob der Test das Persönlichkeitsmerkmal misst, was er zu messen vorgibt. Es wurden für alle 16 Skalen des Reiss Profiles hohe Validitätswerte ermittelt. Die Reliabilität gibt an, wie genau das Instrument misst. Kriterien hierfür sind beispielweise die 4-wöchige Test-Retest-Reliabilität sowie die interne Konsistenz der Fragen, also inwiefern die Probanden Fragen zu ein und demselben Motiv ähnlich beantworten. Die Test-Retest-Reliabilität des Instruments liegt im Durchschnitt bei 0,83, die durchschnittliche interne Konsistenz bei 0,83. Mit diesen hohen Reliabilitäts- und Validitätswerten hebt sich das Reiss Profile positiv von anderen gängigen Instrumenten ab.

Soziale Erwünschtheit

Zudem zeichnet sich das Instrument durch eine geringe soziale Erwünschtheit aus. Diese bezeichnet die Tendenz von Probanden, falsche Antworten zu geben, um einen positiven Eindruck zu vermitteln. Dieses nonkonforme Verhalten tritt beim Reiss Profile nur in etwa 3 % aller Fälle und damit äußerst selten auf.

Das Zwiebelschalen-Modell

Aber was sind Motive eigentlich und wieso beeinflussen sie uns so stark? Um dies zu verstehen, möchten wir Ihnen eine Metapher an die Hand geben: Stellen Sie sich Ihre Identität als Zwiebel mit mehreren Schichten vor.


Abb. 8: Das Zwiebelschalen-Modell

Identität als Zwiebel

Die äußerste Schicht stellt Ihr Verhalten dar. Darunter folgt die Schicht Ihrer Fähigkeiten, anschließend diejenige Ihrer Wahrnehmung (Ihrer Sicht auf die Welt) und Ihr daraus resultierendes Verhalten. Noch tiefer in Ihrer Persönlichkeit verwurzelt sind Ihre Glaubenssätze und Einstellungen. Die innerste Schicht, der »Kern der Zwiebel«, beinhaltet Ihre wahren Bedürfnisse, Ihre Lebensmotive.

Die Schichten beeinflussen sich jeweils von innen nach außen: Unsere Lebensmotive bestimmen unsere Glaubenssätze und Einstellungen, diese wiederum beeinflussen, wie wir die Welt sehen und uns verhalten. Ein hoch ausgeprägtes Beziehungsmotiv kann beispielsweise zum Glaubenssatz »Besser gemeinsam statt einsam« führen. Das kann auf der Verhaltensebene dazu führen, dass dieser Mensch sich bevorzugt in Gruppen aufhält und eher extravertiert ist. Gleichzeitig wird er Menschen, die auch Kraft aus dem Alleinsein schöpfen, schnell als introvertierte Einzelgänger wahrnehmen. Auf der Methoden- und Fähigkeiten-Ebene kann das häufige Zusammensein mit anderen Menschen zu hoch ausgeprägten »Social Skills«, also beispielsweise zu einer sehr guten Kommunikationsfähigkeit, führen.

Motive als Lebenssinn

Unsere Motive werden außerdem als Endzwecke des Handelns erfahren – also als Sinn unseres Handelns und Tuns. Der Mensch tut demnach bestimmte Dinge, um ein oder mehrere Motive zu befriedigen. Auch wenn vordergründig andere Ziele verfolgt werden, wie beispielsweise Geld zu verdienen, dienen diese letztlich der Befriedigung unserer Motive. So nutzen manche Gelder zur Befriedigung des Statusmotivs, andere für ihr Streben nach Unabhängigkeit, wieder andere zur Erreichung von emotionaler Ruhe etc. Geld ist also kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck. Und somit kein Lebensmotiv. Auch Essen kann für manche Menschen nur Selbstzweck, also ein Endmotiv sein. Für andere wiederum ist es ein Mittel zum Zweck: Sie essen vornehmlich in Gesellschaft und befriedigen so ihr Beziehungsmotiv, verkehren in teuren Restaurants und »füttern« damit ihr Statusmotiv oder probieren unterschiedliche Landesküchen, was wiederum ihr Neugiermotiv befriedigt.

Motivation entsteht so wie beschrieben aus dem Zusammenspiel der Situation und des Motivs: Nimmt man (meist unbewusst) in einer Situation wahr, dass diese eines unserer Motive befriedigen könnte, entsteht die Motivation, etwas Bestimmtes zu tun. Für Bernd Beispiel kann das heißen, dass er Einladungen zu Geburtstagspartys gern annimmt, denn so hat er die Möglichkeit, mit anderen Menschen zusammen zu sein, was sein hoch ausgeprägtes Beziehungsmotiv befriedigt. Michael Muster, der ein hoch ausgeprägtes Essensmotiv hat, wird die Party möglicherweise besuchen, weil er weiß, dass das Geburtstagskind sehr gut kochen kann. Das heißt, dass ein und dieselbe Situation unterschiedlichste Motive befriedigen kann. Insofern ist es auch schwer, von Verhalten auf Motive zu schließen. Leichter ist es, von Motiven auf erwartetes Verhalten zu schließen.

Werte- und Wohlfühlglück

Den Zustand der Befriedigung der eigenen Lebensmotive nennen wir »Werteglück«. Es kann tiefliegende Emotionen hervorrufen, zum Beispiel das Gefühl, »eins mit sich selbst zu sein«. Davon zu unterscheiden ist das Wohlfühlglück, das eher die »kleinen Glücksmomente« im Leben bestimmt – also das Glück, nichts tuend in der Sonne zu liegen oder dabei zu sein, wenn Fußball-Deutschland beinahe den Weltmeistertitel holt. Situationen, in denen Motive nicht ausgelebt werden können, führen jedoch oft zu Demotivation und Frustration: Würde Bernd Beispiel für ein Forschungsprojekt eingesetzt, bei dem er mehrere Monate allein im Labor verbringen muss, würde ihn dies viel Kraft kosten und eher demotivieren. Denn dabei könnte er sein hoch ausgeprägtes Beziehungsmotiv nicht befriedigen.

Motive genetisch bedingt

Wie aber entstehen unsere Lebensmotive? Prof. Steven Reiss geht davon aus, dass sie vor allem genetisch bedingt sind. Wie wir sie erfüllen, wird dagegen von der Kultur, in der wir aufwachsen, und unseren individuellen Erfahrungen geprägt. So befriedigen viele Menschen mit hoher Neugier, also einem großen Wissensdurst, dieses Bedürfnis durch das Lesen von Büchern. Wer jedoch durch sein Elternhaus nie Zugang zu Büchern gefunden hat, wird das Motiv beispielsweise durch anregende Gespräche oder anspruchsvolle Fernsehsendungen befriedigen / ausleben.

Neben unseren genetischen Anlagen haben aber auch emotionale Lernerfahrungen einen großen Einfluss auf unsere Motive. Während man motorisch und kognitiv noch bis ins hohe Alter lernen kann, ist das emotionale Lernen schon früh abgeschlossen. Es setzt schon vorgeburtlich ein und hat seinen Höhepunkt in den ersten Lebensjahren. Bis auf einen kleinen »Aufruhr« während der Pubertät verfestigt sich das so Gelernte anschließend nur noch (Roth, 2008, 222–225). Unsere Lebensmotive sind also sehr zeitstabil und nicht bewusst veränderbar.

Das Reiss Profile entdeckt Ihre Lebensmotive, es erfindet sie nicht.

Abgrenzung zu anderen Modellen

Anhand des Zwiebelschalen-Modells wird auch der Unterschied zu anderen Persönlichkeitsanalysen deutlich: Während uns Typologien und Verhaltenspräferenz-Modelle wie Insights Discovery DISG oder MBTI Klarheit über unsere Verhaltenspräferenzen geben, geht das Reiss Profile tiefer an den Persönlichkeitskern heran und zeigt die Gründe für unser Verhalten auf.

 

Über das Reiss Profile

Das Reiss Profile wurde Ende der 90er Jahre von Prof. Steven Reiss veröffentlicht und wird seit 2002 auch in Deutschland vermehrt eingesetzt.

Fragebogen mit 128 Aussagen

Die individuellen Lebensmotive werden über einen Fragebogen mit 128 Aussagen ermittelt, wie z.B.: »Es beunruhigt mich zutiefst, wenn mein Herz schnell schlägt« oder: »Ich ärgere mich sehr, wenn ich in aller Öffentlichkeit einen Fehler mache«. Die Aussagen gruppieren sich um die 16 Lebensmotive, wobei jedes Motiv anhand von acht Aussagen eruiert wird. Diese Aussagen werden jeweils auf einer Skala von –3 bis +3, also von völlig falsch bis stimmt völlig, bewertet. Es existiert in Deutschland auch eine sogenannte »Business-Version«, bei der die Fragen zur Sexualität, die das Erosmotiv definieren, durch Fragen zur Schönheit ersetzt werden. Diese sind jedoch testtheoretisch nicht validiert. Außerdem wird das Motiv »Ehre« in »Ziel- und Zweckorientierung« umbenannt sowie »Unabhängigkeit« in »Teamorientierung«. Die Motive bleiben in der Aussagekraft / Kernbotschaft aber unberührt. Im vorliegenden Buch beziehen wir uns auf die Original-Version.

Auswertung durch Software

Der Fragebogen kann online oder in Papierform ausgefüllt werden. Anschließend werden die Antworten mittels einer lizenzierten Software ausgewertet. Dabei wird auch das Kernstück der Auswertung, das Reiss-Balkendiagramm, erstellt. Dieses stellt jedes Motiv in seiner individuellen Ausprägung dar.

In einem individuellen Rückmeldegespräch mit einem ausgebildeten und zertifizierten Reiss Profile Master werden dann die Ergebnisse besprochen. Dies kann auch mit einer spezifischen Fragestellung, zum Beispiel nach einer möglichen beruflichen Veränderung, verbunden werden.


Abb. 9: Reiss Profile von Bernd Beispiel

Bernd Beispiel

In Abbildung 9 können Sie erkennen, dass jedes Lebensmotiv als ein Balken zwischen –2 und +2 dargestellt wird.

Der mittlere Bereich »Durchschnitt« beinhaltet die Motive mit einer Ausprägung zwischen –0,8 und +0,8. Das bedeutet, dass diese Motive ausgewogen ausgeprägt sind und situationsabhängig empfunden werden. Für das Motiv Ordnung von Bernd Beispiel heißt das, dass er sowohl das Bedürfnis nach Planung und Strukturiertheit als auch das Bedürfnis nach Flexibilität und Improvisation kennt.

Der rechte Bereich »hoch« beinhaltet die Motive zwischen +0,8 und +2,0, was bedeutet, dass das Motiv stark ausgeprägt ist. Zieht man die Auswertung einer für die Bevölkerung repräsentativen Vergleichsgruppe heran, zeigt sich: Nur 16 % zeigen hier eine so starke Ausprägung. Liegt das Motiv über 1,7, so sind es nur noch 3 % der Bevölkerung. Für Bernd Beispiel und sein Beziehungsmotiv heißt das, dass er stark nach Geselligkeit und Nähe zu anderen strebt und auch dementsprechend handelt – er fühlt sich vermutlich in einem Beruf und mit Hobbys wohl, die es ihm ermöglichen, mit anderen zusammen zu sein.

Der linke Bereich ist mit »niedrig« überschrieben: Liegt die Ausprägung des Motivs zwischen –0,8 und –2,0, bedeutet dies, das Motiv ist gering ausgeprägt und man strebt nach dem Gegenteil des Motivs: Bernd Beispiel wird also nicht nach Unabhängigkeit, sondern nach der Zugehörigkeit zu einem Team, Interdependenz, Konsens und emotionaler Verbundenheit mit anderen streben.

Ausprägung entscheidend

Man kann also nicht sagen, ein Mensch hat ein bestimmtes Motiv oder er hat es nicht, sondern man betrachtet die Stärke der Ausprägung auf einer Dimension zum einen oder anderen Pol im Verhältnis zur jeweiligen meist landestypischen Normstichprobe, sprich Vergleichsgruppe. Das Lebensmotiv »Macht«, das für die Eigeninitiative in der Entscheidungsfindung steht, gibt beispielsweise an, in wie vielen Situationen man selbst entscheiden möchte. Bei –2 wird man eigene Entscheidungen zumeist vermeiden, bei +2 wird man so gut wie immer entscheiden wollen. Liegt der Wert dazwischen, wird man, in Abhängigkeit von der Situation, manchmal selbst entscheiden wollen und sich manchmal lieber an den Entscheidungen anderer orientieren. Empfindet man seinen Einfluss situativ als zu gering, wird man resoluter auftreten und sich durchsetzen wollen. Ist der eigene Einfluss jedoch subjektiv zu hoch, wird man sich eher zurücknehmen und andere entscheiden lassen.


Abb. 10: Bipolarität des Lebensmotivs Macht

Das Arbeitsblatt auf Seite 49 zur Selbsteinschätzung können Sie auch auf der Website: www.institut-fuerlebensmotive.de downloaden. Den Zugang zum Fragebogen für eine objektivere und wissenschaftlich fundierte Auswertung Ihres Reiss Profiles erhalten Sie, wenn Sie uns eine E-Mail an info@institutfuer-lebensmotive.de schreiben. Oder nutzen Sie den Gutschein auf der letzten Seite dieses Buches.

Überträgt man diese Bipolarität nun auf alle 16 Motive, so wird deutlich, wie unterschiedlich und einzigartig jedes Reiss Profile ist. Es ergeben sich über 6 Milliarden mögliche Motivkonstellationen. Damit ist jedes Reiss Profile so individuell wie ein Fingerabdruck. Die Ausprägungen der Motive sind dabei niemals wertend, es gibt keine gute und keine schlechte Prägung.

Um Ihnen die Einschätzung Ihrer Lebensmotive zu erleichtern, finden Sie auf der nächsten Seite eine Grafik für die Selbsteinschätzung. Sie kann ein erster Schritt zum besseren Verständnis Ihrer Persönlichkeit werden. Füllen Sie sie am besten aus, wenn Sie die Beschreibung der Motive lesen (siehe Seite 50f.). Um tatsächliche Sicherheit über Ihre Motive zu erlangen, empfehlen wir Ihnen die Durchführung des kompletten Reiss Profile, um eine wissenschaftlich fundierte Auswertung zu erhalten, die auch frei von Tendenzen zu sozialer Erwünschtheit ist. Zugang dazu bekommen Sie durch einen Reiss Profile Master.


Abb. 11: Reiss Profile Balkendiagramm

Darstellung der 16 Lebensmotive

Im Folgenden beschreiben wir die Motive in ihrer hohen und niedrigen Ausprägung. Bei einer ausgewogenen, durchschnittlichen Stärke wird das Motiv eher situativ und kontextabhängig erlebt. Diese Menschen kennen in der Regel beide Pole und leben das Motiv in unterschiedlichen Lebensbereichen verschieden aus. Für das Beispiel »Macht« bedeutet das, dass die Menschen sowohl temporär Führerschaft übernehmen können als auch unter Anleitung arbeiten können und sich damit wohl fühlen.

Leistungsmotive

Die Ausprägung eines Motivs sagt im Wesentlichen etwas über die persönliche Bedeutung dieses Motivs für den jeweiligen Menschen aus. Die Tatsache, wie es konkret ausgelebt wird, wird dann von den anderen 15 Motiven mitbestimmt. So steht das Motiv »Körperliche Aktivität« für das Bedürfnis nach Häufigkeit und Intensität von Sport oder Ähnlichem. In welcher Form dies idealerweise ausgelebt wird – also durch Einzelsport, Gruppensport, Wettkampfsport etc. –, wird durch die anderen Motive definiert. Somit sind alle 16 Motive Leistungsmotive, weil sie jeweils eine Plattform für Leistung darstellen.

1. Macht

Machtstreben steht für das Streben nach Einfluss, Führung, Kontrolle und Dominanz.

Hoch ausgeprägt

Menschen mit einem hoch ausgeprägten Machtmotiv übernehmen gern Verantwortung. Sie suchen Herausforderungen, sind ehrgeizig und überzeugungsfähig. Sie fühlen sich kraftvoll und häufig auch erfolgreich. Sie treffen gerne Entscheidungen, die Mitarbeiter oder Prozesse beeinflussen. Mit Leistung assoziieren sie etwas sehr Positives. Menschen mit hoher Macht übernehmen gern Führungspositionen, der Führungsstil hingegen wird eher durch die Ausprägung der übrigen 15 Lebensmotive bestimmt. Häufig sieht man ein hoch ausgeprägtes Machtmotiv bei Politikern.

Beispiel

Gerhard Schröder, der schon in frühen Jahren am Zaun des Bundeskanzleramtes rüttelte und rief: »Hier will ich rein!« Auch sein Verhalten in der sogenannten »Elefantenrunde« 2005, als er trotz eindeutiger Wahlergebnisse seinen Machtverlust nicht wahrhaben wollte, lässt ein hohes Machtmotiv vermuten.

Niedrig ausgeprägt

Menschen mit niedrigem Machtmotiv sind personen- und dienstleistungsorientiert. Sie fragen sich häufiger, für wen als wofür sie etwas machen, und zeigen wenig Eigeninitiative zur Entscheidungsfindung. Mit viel Verantwortung fühlen sie sich weniger wohl. Bei Entscheidungen ziehen sie gern den Rat anderer hinzu. Sie lassen sich gern anleiten und beschreiben sich selbst als freundlich und zurückhaltend. Sie müssen nicht ständig ihren Willen durchsetzen und operieren lieber im Hintergrund. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Machtmotiv fühlen sich häufig dort wohl, wo der Servicegedanke im Vordergrund steht. Aber auch Menschen mit niedrigem Machtmotiv können entschlossen wirken, vor allem, wenn viele andere Motive bei ihnen deutlich hoch oder niedrig ausgeprägt sind. Entschlossenheit im Erreichen eigener Motive / Ziele ist nicht zu verwechseln mit dem Bedürfnis, Entscheidungen zu treffen.

Ein niedriges Machtmotiv steht übrigens einer Führungsposition nicht im Wege! Diese Führungskräfte werden allerdings zur Erfüllung ihrer Führungsaufgabe mehr Energie und Willensstärke aufbringen müssen. Die Führungsposition gibt ihnen keine, sondern kostet sie Energie. Bei entsprechender Ausprägung anderer Motive, zum Beispiel hoher Ehre, können sie ihre Aufgaben selbstverständlich sehr motiviert erfüllen.

2. Unabhängigkeit

Unabhängigkeit meint das Streben nach Freiheit und Autonomie.

Hoch ausgeprägt

Menschen mit einem hoch ausgeprägten Unabhängigkeitsmotiv leben gern eigenverantwortlich und sind ungern auf andere angewiesen. Deshalb fragen sie selten nach Rat oder Unterstützung und möchten um beinahe jeden Preis eine Verpflichtung zur Dankbarkeit gegenüber anderen vermeiden. Informationen holen sie sich lieber aus dem Internet als von Kollegen. Über Geschenke, Gefälligkeiten oder Hilfe freuen sie sich selten, weil bei ihnen schnell das Gefühl einer emotionalen Schuld entsteht. Eigenständigkeit ist ein wichtiges Gut in ihrem Leben. Die Volksweisheit: »Verlass dich auf andere und du bist verlassen« könnte ihr Motto sein. Sie erreichen ihre Ziele am liebsten allein und ziehen daraus einen großen Teil ihres Selbstbewusstseins. Bei anstehenden Entscheidungen beziehen sie die »Betroffenen« selten mit ein. Sie unterscheiden auch deutlich stärker zwischen Freunden und Bekannten als Menschen mit geringem Unabhängigkeitsstreben.

In zwischenmenschlichen Beziehungen bringen sie selten Privates zur Sprache. Sie sehen das häufig erst bei einer entsprechenden Beziehungstiefe als angebracht an. In der Praxis berichten Menschen mit hohem Unabhängigkeitsmotiv, dass sie besser am Telefon ihr »Herz ausschütten« können als im direkten Kontakt. Sie haben das Gefühl, dass sie darüber besser ihre Offenheit steuern und kontrollieren können. Körperliche Nähe bewirkt bei ihnen häufig den Rückzug.

Niedrig ausgeprägt

Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Unabhängigkeitsmotiv dagegen haben ein starkes Streben nach emotionaler Verbundenheit und suchen die psychische Nähe zu anderen. Sie sind gern Teil eines Teams und fühlen sich im Konsens wohler als im Dissens. Sie erleben sich selbst als vertrauensvoll und hilfsbereit. Gegenseitige Unterstützung ist für sie eher selbstverständlich als belastend. Sie werden durch Gemeinsamkeit motiviert, getreu dem Motto »Gemeinsam statt einsam.«

 

Ob jemand gern mit anderen Menschen zusammen ist, wird eher durch das Beziehungsmotiv beeinflusst. Das Unabhängigkeitsmotiv hat dagegen Auswirkungen auf die Offenheit im Umgang miteinander. Es ist hier zwischen physischer (Beziehungen) und psychischer Nähe (Unabhängigkeit) zu unterscheiden. Jemand mit hoher Unabhängigkeit kann deshalb trotzdem extravertiert auftreten.

In der Praxis heißt das, dass Menschen mit hohem Autonomiestreben durchaus Meetings, gesellschaftliche Anlässe etc. besuchen, sich aber anders verhalten und andere Gesprächsinhalte aufgreifen als Menschen mit einem niedrigen Streben nach Unabhängigkeit.

Das Unabhängigkeitsmotiv hat einen erheblichen Einfluss auf den Führungsstil. So werden Führungskräfte mit hoher Unabhängigkeit (vor allem in Kombination mit einem hohen Machtmotiv) eher entschieden und autoritär auftreten, ein geringes Unabhängigkeitsstreben wird eher als kooperativ und teamorientiert wahrgenommen. Diese Führungskräfte werden versuchen, einen Konsens zu erreichen, bevor eine Entscheidung getroffen wird, ihren Mitarbeitern aufmerksam zuhören und versuchen, sich in sie hineinzuversetzen.