Final Shutdown - Teil 3: Ein tödliches Geheimnis

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Endlich ließ sich der angeschossene Verfolger von seinem besonneneren Komplizen überzeugen und folgte ihm widerwillig. Spontan nahm Jana Marko in den Arm. Sie drückte ihre Stirn an seine.

»Man kann ja auch mal Glück haben«, flüsterte sie ihm ins Ohr.

»Wo sind die anderen beiden?«, fragte Marko, als er sich so weit erholt hatte, dass er wieder einen vernünftigen Gedanken fassen konnte. In der Ferne hörten sie ein Auto starten.

Jana sah sich um. Das Blaulicht kam näher. Fünfzig Meter entfernt huschte eine gebückte Gestalt durch den Wald. Man konnte die Umrisse in dem von Feuer und Signalleuchten flackernden Licht erkennen. Sie lief auf die ankommenden Fahrzeuge zu.

»Halt! Nicht in die Richtung!«, rief Jana gedämpft.

»Warum? Da kommt Hilfe. Wir sind gerettet«, rief Olli leise zurück.

Jana winkte ihm aufgeregt zu, um ihn zu sich herüber zu lotsen. Jetzt trat auch Svenja aus den Büschen.

»Was ist denn? Wir sind doch in Sicherheit. Feuerwehr und Polizei sind da«, fragte sie erstaunt.

»Wisst ihr noch, was das letzte Mal passiert ist, als wir auf einer Wache waren. Man hat uns nicht als Opfer, sondern als Täter behandelt. Zum Schluss hatten wir den BND am Hals und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie auf unserer Seite stehen. Wollt ihr das wirklich noch mal erleben?«, fragte Jana.

»Wir waren uns einig, dass wir unsere Erkenntnisse veröffentlichen. Wir wissen noch immer nicht, was gespielt wird«, schloss Marko sich der Meinung der Detektivin an.

»Wir waren kurz davor, aber jetzt ist sowieso alles zu spät. Da drinnen verbrennt nicht nur Papier. Da drinnen steht auch mein Rechner und in dem steckt noch der USB-Stick. Ich fürchte, jetzt haben sie die Unterlagen wirklich ein für alle Mal vernichtet.« Olli wirkte völlig niedergeschlagen. Jana und Marko starrten ihn entsetzt an.

»Was? Dann war alles umsonst? An dieser Veröffentlichung hängt unser Leben. Die werden uns nie glauben, dass wir nichts wissen. Solange wir das Geheimnis nicht gelüftet haben, werden die versuchen uns umzubringen!« Marko musste sich zusammenreißen, Olli nicht laut anzuschreien. Obwohl es unter diesen Umständen egal war, ob sie sich in die Hände der Polizei begaben oder nicht.

»Ganz so schlimm ist es nicht«, flüsterte Svenja. »Ich habe da so ein bisschen Plattenplatz auf einem Server, da habe ich den Inhalt des Sticks aufgespielt. Das mache ich immer ganz automatisch zur Datensicherung.«

»Wow, du bist genial!«, rief Olli halb laut aus und nahm Svenja sogar in den Arm. Es sah reichlich steif aus.

»Server?«, fragte Jana nachdenklich. »Wie habt ihr euch eigentlich mit dem Internet verbunden?«

»Über meine UMTS-Verbindung natürlich!« Olli sah aus, als verstehe er den Sinn der Frage nicht.

»So eine Verbindung kann man doch genauso orten wie ein Handy, wenn ich mich nicht irre. Darüber haben die uns gefunden!«, erklärte Jana.

»Du hast gesagt, ich soll alles machen, um die Verschlüsselung zu knacken«, rechtfertigte Olli sich beleidigt.

»Vergiss es! Vergiss es einfach!« Jana setzte sich müde und mutlos auf einen Baumstamm.

»Wir müssen weg, bevor die entdecken, dass hier vier Gestalten im Wald hocken«, erinnerte Marko sie. Jana nickte kraftlos.

»Kommt, wir schlagen uns zur nächsten Bahnstation durch. Von da fahren wir zurück nach Hamburg. Dort sehen wir weiter«, entschied sie.

»Warum Hamburg?«, fragte Olli entsetzt. Marko konnte ihn gut verstehen. Der Schock der letzten Erlebnisse dort saß auch ihm noch in den Knochen. Jana zeigte auf die Pistole, die locker in Ollis Hand baumelte.

»Wenn einer von euch eine andere Adresse kennt, an der man an Munition für die Dinger kommt, können wir gerne auch dorthin fahren«, antwortete sie müde.

Keiner sagte ein Wort. Sie machten sich schweigend auf den Weg. Schleichend schufen sie genug Distanz zu den unermüdlich arbeitenden Feuerwehrleuten. Als sie nicht mehr von ihnen gesehen werden konnten, gingen sie aufrecht und zügig. Sie vermieden allerdings die Straße, aus Angst ihre Verfolger könnten dort nach ihnen suchen.

Marko hatte sich in Gedanken schon damit abgefunden, dass sie bis zum nächsten größeren Ort zu Fuß gehen mussten, als sie auf eine Bushaltestelle trafen. Wenigstens diesbezüglich hatten sie an diesem Abend Glück. Nur wenige Minuten nach ihrem Eintreffen fuhr der letzte Bus an diesem Tag. Auch wenn sie sich elendig müde fühlten, traute sich keiner von ihnen, auf der Bank Platz zu nehmen und auszuruhen. Alle vier sahen sich nervös nach ihren Verfolgern um.

Erst als sie im Bus saßen, fiel die Spannung ein wenig von ihnen ab. Dennoch beobachtete Jana weiterhin den Verkehr nach allen Seiten. Sie konnte aber kein verdächtiges Fahrzeug ausmachen.

Der Buslinie endete in der nächsten Kleinstadt, in der es einen Bahnhof gab. Es dauerte fast eine ganze Stunde warten, bis der nächste Zug abging. Bis sie Hamburg erreichten, mussten sie noch einmal umsteigen. Nicht nur bei Marko lagen die Nerven blank. Auch Jana sah man mittlerweile die Belastung an. Ihre Bewegungen, die sonst so souverän wirkten, machten an diesem Abend einen fahrigen Eindruck. Olli sah noch immer kreidebleich aus, immerhin wirkte er weder apathisch noch jammerte er. Nur Svenja schien die Situation erstaunlich wenig auszumachen. Sie sah mit ernster und nachdenklicher Miene aus dem Fenster.

Als die vier in Hamburg vom Zug zur U-Bahn gingen, blieb Jana ein wenig zurück. Marko verlangsamte ebenfalls sein Tempo. Als die beiden so weit zurückfielen, dass die anderen zwei sie nicht mehr hören konnten, sagte Jana:

»Unsere Programmiererin geht erstaunlich gelassen mit den letzten Geschehnissen um. Irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Entweder ist sie tatsächlich eine halbe Autistin, so wie man sich eine IT-Spezialistin vorstellt oder da ist was faul. Wir sollten sie im Auge behalten.«

Marko nickte. »Hast du schon eine Idee, wohin wir gehen können?«

»Ein Hotel kenne ich noch. Wenn unsere Freunde das auch noch abfackeln, weiß ich aber bald auch nicht mehr weiter«, erwiderte Jana zynisch.

»Ist das auch wieder so eine Bruchbude?«, fragte Marko resigniert.

»Das Hilton ist es nicht.« Jana klang leicht beleidigt.

Marko zuckte die Schultern. Es war ihm egal. Er wollte jetzt keinen Streit. Sie fuhren schier endlos mit Nahverkehrsmitteln durch die Stadt. So kam es Marko jedenfalls vor. Er fühlte sich müde. Endlich erreichten sie das von der Ermittlerin gewählte Hotel. Jana buchte zwei Doppelzimmer.

»Die liegen nebeneinander und sind sogar noch durch eine Tür verbunden«, erklärte sie. Marko begeisterte die Idee nicht gerade, sich mit Olli ein Hotelzimmer teilen zu müssen. Aber Jana erläuterte ihren Mitstreitern schon ihren Plan, bevor er protestieren konnte:

»Marko, du gehst morgen früh los, holst Geld und kaufst alles, was unsere beiden Computergenies brauchen, um die von Svenja gesicherten Daten zu entschlüsseln. Ich dachte, wir richten gleich ein Zimmer für die beiden Spezialisten ein, dann könnt ihr euch da drin so lange verkrümeln, wie ihr braucht. Außerdem fallen zwei Paare weniger auf, als vier Einzelpersonen.«

»Wir sind doch erwachsene Menschen«, fügte sie ärgerlich an, als sie die erstaunten bis entsetzten Blicke der drei anderen sah. »Wir können die Zwischentür auflassen, wenn jemand vor Angst nicht schlafen kann, dass sein Zimmergenosse über ihn herfällt. Außerdem stehen in den Zimmern jeweils zwei einzelne Betten.«

»Ich finde, die Regelung nicht schlecht«, sprang Olli Jana bei. »Dann können wir morgen Abend so lange forschen, wie wir möchten, ohne von den beiden gestört zu werden.«

Er sah Svenja verheißungsvoll an. Der schien die Entwicklung nicht geheuer zu sein. Offensichtlich wollte sie sich aber nicht die Blöße geben, allzu bieder den anderen gegenüber zu wirken. So sagte sie nichts, auch wenn ihr Gesichtsausdruck Bände sprach.

Sie aßen in dem zum Hotel zugehörigen Restaurant, dessen Qualität sich allerdings als nicht besser als die der Zimmer herausstellte. Später mussten sie improvisieren. Auf ihrer Flucht hatten sie keine Kleidung mitnehmen können. Marko besorgte noch die nötigsten Hygieneartikel für alle vier. So konnten sie sich wenigstens die Zähne putzen.

»Wollen wir die Betten nicht doch zusammenschieben?«, fragte Marko.

»Bitte Marko, fang nicht wieder an!«, antwortete Jana leise. Da sie natürlich auch keine Pyjamas besaßen, stand sie nur mit Slip und BH bekleidet vor ihm. Ihre Stimme klang ungewöhnlich schüchtern und sie machte ein Gesicht wie ein kleines Mädchen. »Der Tag war so schrecklich.«

»Gerade deswegen!«, erwiderte Marko. Er fasste sich ein Herz, trat auf sie zu und schlang seine Arme locker um sie. Sie sah ihm tief in die Augen.

»Du weißt, es geht nicht«, flüsterte Jana. Als Marko ansetzte, etwas zu erwidern, legte sie ihm ihren Finger auf die Lippen. »Ich fühl mich so schrecklich. Bitte lass uns heute nicht streiten.«

Sie sahen sich stumm einige Sekunden in die Augen.

»Bitte versprich mir, dass du morgen nicht sauer bist, ja?«, hauchte sie leise. »Bitte versprich es mir!«

Marko nickte, obwohl er wusste, dass er das Versprechen nicht würde halten können.

Es währte eine Ewigkeit. Marko konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen dermaßen intensiven und langen Kuss ausgetauscht hatte. Er fragte sich, ob er überhaupt eine Frau schon jemals so intensiv geküsst hatte. Dieser Kuss schlug an Zärtlichkeit und Leidenschaft alles, was er bisher erlebt hatte, zumindest stand das in diesem Moment für ihn fest.

Allerdings fiel auch der Rest der Nacht nicht viel schlechter aus.

Experten

Müde schlurfte Olli auf Marko zu. Er hielt ein Tablett in der Hand, auf dem sich ein großer Becher Kaffee, ein Glas Saft und ein Teller mit Brötchen und allerlei Auflage befanden. Das Gebäck bestand nicht aus frischen Bäckerbrötchen, sondern aus aufgebackenen. Auch die Wurst- und Käsesorten zählten eher zu den billigeren, wie Marko bereits festgestellt hatte, denn er hatte den ersten Teil des Frühstücks schon hinter sich. Olli setzte sich zu ihm an den Tisch.

 

»Guten Morgen«, grüßte Olli.

»Guten Morgen. Na, wie geht’s«, erwiderte Marko.

»Nicht so gut wie dir«, brummte Olli müde.

»Woher willst du wissen, dass es mir besser geht als dir?«

»Na ja, die Tür zwischen unseren Zimmern ist nicht gerade schallisoliert.« Olli gähnte. »Ich habe kein Auge zugedrückt. Erst habt ihr mich wachgehalten und dann konnte ich nicht einschlafen. Da liegt wenige Meter von dir die tollste Frau im Bett, die du bisher kennengelernt hast, und sie will nichts von dir wissen.«

Olli bestrich traurig eine Brötchenhälfte.

»Du solltest Svenja Zeit geben. Sie hat gerade erst ihren Freund verloren. Es ist doch nur verständlich, dass sie sich nicht gleich wieder auf den Nächsten stürzt«, versuchte Marko seinem Freund Mut zu machen.

»Ja, du hast natürlich recht. Wenn es denn wirklich an der unverarbeiteten Geschichte mit Thomas liegt. Vielleicht steht sie aber auch einfach nicht auf mich.« Olli klang resigniert. Marko mochte ihm nicht zustimmen, obwohl er tatsächlich nicht glaubte, dass Olli Svenjas Typ war. Außer ihren beruflichen Interessen hatte Marko noch keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen festgestellt.

»Na wenigstens hast du ja dein Ziel erreicht«, redete Olli weiter. »Wo ist Jana eigentlich? Pennt die noch?«

»Nee, heute Morgen lag ich allein im Bett. Daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen. Mehr als eine kurze Nacht ist nicht drin.« Jetzt klang Marko resigniert.

Olli grinste. »Ach, ist es diesmal umgekehrt?«

»Was soll das denn heißen? Ich dachte, wenigstens du wüsstest, dass diese ganzen Vorurteile nicht stimmen. Alle mir wirklich wichtigen Frauen haben schließlich mich verlassen und nicht umgedreht!«

»Nur dass die ein oder andere nicht kapiert hat, wie unwichtig sie für dich war.« Olli grinste spöttisch und biss in sein Brötchen.

»Jetzt hör aber auf! Ich weiß genau, wen du meinst. Wenn du Katja nicht ständig in ihren Gefühlsduseleien bestärkt hättest, hätte sie schnell gemerkt, dass sie nicht mein Typ ist. Ich übrigens auch nicht ihrer! Ich verstehe bis heute nicht, warum du ihr immer wieder eingeredet hast, dass es doch noch etwas mit uns werden könnte. Du warst doch verknallt in sie. Warum hast du sie nicht angebaggert?«

»Die wollte von mir doch nur hören, dass du sie magst, obwohl du sie ständig vor den Kopf gestoßen hast. An mir hatte die überhaupt kein Interesse.« Olli klang nicht sonderlich begeistert.

»Dabei hättet ihr wirklich gut zusammengepasst.« Marko verkniff sich die Bemerkung, dass Katja viel besser zu Olli passte als Svenja.

»Ist ja jetzt auch egal. Das Ganze ist Schnee von vorgestern«, beendete Olli das Thema.

»Hallo ihr zwei, darf ich mich zu euch setzen?«, fragte eine müde Stimme. Sie gehörte Svenja.

Auch sie stand mit einem Tablett vor dem Frühstückstisch. Die junge Frau sah noch schlechter aus als Olli. Deutlich stach heraus, dass ihr die üblichen Schminkutensilien fehlten. Marko wunderte sich einmal mehr, wie viel ein gekonnt dezentes Make-up ausmachte. Svenja setzte sich zu ihnen. Unsicher rutschte sie auf ihrem Stuhl herum, bis sie Marko endlich ansprach.

»Du Marko, ich habe ein Problem. Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich musste doch meine gesamten Sachen zurücklassen. Auch meine Karten sind in diesem Ferienhaus verbrannt. Kannst du mir ein wenig Geld leihen?«, fragte sie schüchtern. »Du bekommst es auch sofort zurück, wenn ich mir eine neue EC- und Kreditkarte besorgt habe.«

»Kein Problem, ich muss nachher sowieso noch Geld abheben«, erwiderte Marko betont locker.

Tatsächlich dachte er, dass es langsam wichtig wurde, mit seinem nächsten Buch einen Bestseller zu schreiben, ansonsten würde diese Geschichte ihn in die Privatinsolvenz treiben. Er beschloss dennoch, sich ein kleines Notebook zu kaufen und damit seinen neuen Roman zu beginnen. Nach dem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatten, brauchte er sich über die Handlung keine Gedanken machen. Die einzige Aufgabe bestand darin, an der einen oder anderen Stelle die Figuren ein wenig zu anonymisieren, dachte er mit einem leichten Schmunzeln.

»Sieh mal, wer da kommt!«, riss Olli ihn aus den Gedanken. Ein anzügliches Grinsen stand ihm im Gesicht.

Jana betrat das Hotelfoyer. Marko fiel auf, dass sie aufmerksam die Straße betrachtete, bevor sie die Eingangstür hinter sich schloss. In der Hand hielt sie zwei große Einkaufstüten.

Sie kam kurz zu den Dreien herüber. »Seid ihr gleich noch da? Ich muss mich kurz frisch machen, bevor ich frühstücke.«

Eigentlich verspürte Marko keine große Lust, auf sie zu warten. Sie war schließlich aus dem gemeinsamen Bett geflohen, bevor er erwachte. Er konnte sich aber dann doch nicht überwinden, einfach zu gehen. So saß er noch am Tisch im Frühstücksraum, als sie mit noch feuchten Haaren und in neu gekaufter Kleidung erschien.

Svenja und Olli hatten ihr Frühstück beendet und verabschiedeten sich gerade in dem Moment als Jana eintrat. Die beiden Computer-Spezialisten hatten sich von Marko Geld geliehen. Svenja wollte sich etwas Neues zum Anziehen und andere Utensilien für ihre morgendliche Toilette besorgen. Olli schloss sich ihr an. Svenjas verschlossenem Gesicht konnte man nicht anzusehen, ob sie sich über seine Gesellschaft freute oder sich durch ihn belästigt fühlte.

Mit reichlich gefülltem Tablett setzte Jana sich einige Minuten später zu Marko. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte, allein mit ihr am Tisch zusitzen, oder nicht.

»Bitte sieh mich nicht so an! Ich habe dich vorgewarnt«, eröffnete Jana zerknirscht das Gespräch.

»Vielleicht können wir über alles noch einmal sprechen«, schlug Marko vorsichtig vor.

»Bitte nicht! Du hast es mir versprochen. Ich weiß, ich bin schrecklich. Ich kann dir auch nicht sagen, was mit mir los ist. Ich stehe völlig neben mir. Das hätte wirklich nicht passieren dürfen, schon gar nicht gleich gestern Abend wieder. Es tut mir wirklich leid.«

»Für die letzte Nacht musst du dich nun wirklich nicht entschuldigen. Ich verstehe …«

»Du hast mir versprochen, dass du mir heute keine Szene machst«, unterbrach Jana ihn. »Es gibt jetzt wirklich wichtigere Dinge, als sich über unser Sexualverhalten zu unterhalten.«

»Entschuldige, ich vergaß, dass es ja nur um das Eine ging«, warf Marko beleidigt ein. Jana sah ihn kurz kritisch an. Dann hatte sie sich entschieden, seine Bemerkung zu ignorieren.

»Kannst du noch mal Geld lockermachen?«, fragte sie direkt. »Wir brauchen zwei vernünftige Laptops für unsere beiden Experten. In diesem Hotel gibt es WLAN. Wir sollten die Analyse dieser Daten so schnell wie möglich hinter uns bringen und dann hier verschwinden. Ewig werden die nicht brauchen, bis sie uns gefunden haben.«

Marko nickte.

»Dann musst du mir noch Geld für Munition geben, sonst sind wir wehrlos«, redete Jana zwischen zwei Bissen von ihrem Brötchen weiter. »Ich will so schnell wie möglich los und meine Kontaktperson treffen. Kannst du mir in einer Stunde das Geld geben? Ach ja, und fahre ein Stück mit der U-Bahn raus, wenn du Geld abholst. Unsere Verfolger müssen nicht gerade wissen, dass wir in diesem Stadtteil untergekommen sind.«

Marko nickte erneut. Gedankenverloren sah er auf Janas Frühstücksteller, der sich systematisch leerte.

»Und besorge dir einen Rasierapparat. Ein Dreitagebart steht dir nicht«, sagte sie traurig lächelnd und strich ihm dabei zärtlich übers Kinn.

Marko liefen abwechselnd heiße und kalte Schauer über den Rücken. Er kam mit diesem Wechsel aus Ablehnung und Vertrautheit nicht zurecht. Jana schien das zu spüren. Ihr schien erst in dem Moment bewusst zu werden, was sie tat. Abrupt zog sie die Hand weg.

***

Zwei Stunden später standen Marko, Svenja und Olli in einem großen Elektronik-Geschäft. Alle drei suchten sich einen Rechner aus, wobei sich Markos Anforderungen deutlich von denen der beiden IT-Experten unterschieden. Svenja bestand darauf, dass sie sich das Geld für das Gerät bei Marko nur lieh. Sie würde es ihm zurückzahlen, sobald sie wieder auf ihr Konto zugreifen könne. Olli hatte sich zu diesem Thema noch nicht geäußert und Marko war zu diesem Zeitpunkt so mit sich selbst oder besser mit seinem Verhältnis zu Jana beschäftigt, dass ihn die Frage der Finanzierung der gemeinsamen Unternehmung nicht interessierte.

Im Hotel angekommen, machten sich die beiden Spezialisten sofort an die Arbeit. Marko packte sein Notebook aus und begann, nachdem er die notwendigen Installationen erledigt hatte, mit dem Schreiben.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich konzentrieren konnte. Erst nach dem dritten Anlauf fand er einen Einstieg in die Handlung. Er war sich zwar nicht sicher, dass er den Anfang tatsächlich so beibehalten würde, aber er reichte, um endlich mit dem Schreiben der eigentlichen Geschichte zu beginnen.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Jana betrat das Zimmer. Sie warf eine Reihe von Plastiktüten auf ihr Bett, das noch immer so neben Markos stand, wie sie es am Vorabend zusammengeschoben hatten.

»So ein Arschloch«, stöhnte sie. »Dieser Kerl wird immer dreister. Meint, der kann mich veräppeln. Ich musste dem erst mal gehörig die Meinung sagen, bis er zu realistischen Preisen kam. Aber siehe da, plötzlich ging es. Ich habe alles bekommen, was ich wollte.«

Jana setzte sich neben Marko auf einen Stuhl. An ihrer Schulter hing noch immer die etwas zu groß wirkende Handtasche. Sie legte sie auf ihren Schoss und öffnete sie. Heraus zog sie gleich mehrere Schachteln Munition und drei Ersatzmagazine.

»Sieh mal, was ich noch ergattern konnte.« Ihre Augen leuchteten stolz. Sie zog eine dritte Waffe hervor.

»Was sollen wir denn damit?«, fragte Marko.

»Was schon? Uns verteidigen!«

»Aber meinst du nicht, dass es reicht, wenn wir mit zwei Kanonen rumlaufen?«

»Die zweite hat Olli und die soll er behalten! Ich möchte, dass du auch eine trägst.«

Marko sah sie missbilligend an.

»Mensch Kerl, ich will nicht, dass du erschossen wirst. Ich sorge mich um dich wie eine Mutter. Ist das nicht nett?« Jana sah ihm kokett in die Augen.

»Ich würde mich mehr freuen, wenn du andere als mütterliche Gefühle für mich empfinden würdest.«

»Bitte Marko, wir haben eine Abmachung«, gab Jana gequält zurück.

»Eine sehr einseitige Abmachung.« Marko sah alles andere als glücklich aus.

»Bitte Marko, ich hab einen Fehler gemacht, zwei, wenn man es genau nimmt. Mach mir doch nicht ein noch schlechteres Gewissen, als ich es sowieso schon habe, bitte!«

Es gab dazu viel zu sagen, aber Marko schmolz unter ihren bittenden Augen gepaart mit dem zu einem leichten Schmollen verzogenen Mund der Frau. Damit griff sie zu einer viel härteren Waffe als alles, was er bisher von ihr kannte.

Jana sortierte die Patronen in die Pistolen. Marko versuchte zu schreiben, konnte sich aber nicht konzentrieren. Erstens mochte er ohnehin nicht, wenn ihm jemand beim Schreiben über die Schultern sah. Zweitens lenkte ihn Janas Anwesenheit ab. Sie hätten ja nicht den Abend des Vortags wiederholen müssen. Ihm hätte es vollkommen gereicht, wenn er sie nur in den Arm nehmen dürfte. Aber genau das wollte sie nicht.

Die freudige Betriebsamkeit der Ermittlerin kam ihm ziemlich aufgesetzt vor. Auch sie musste die Spannung spüren, die zwischen ihnen herrschte.

»Lass uns nachsehen, wie weit unsere beiden Experten sind«, sagte Jana, nachdem sie mit den Waffen fertig war. »Hier, nimm du die!«

Sie drückte Marko eine der Pistolen in die Hand.

»Wo um alles in der Welt soll ich die lassen?«

»Steck sie in die Innentasche deines Jacketts.«

»Das beult aus! Kann das Ding nicht aus Versehen losgehen?«

»Die ist gesichert.« Jana erklärte ihm ein paar Grundbegriffe. Schließlich ließ er sich überreden, die Waffe zu tragen, auch wenn er sich dabei alles andere als wohlfühlte.

Die beiden gingen über den Flur ins Nebenzimmer. Am Abend vorher hatten sie die Durchgangstür natürlich nicht aufgeschlossen. Selbst wenn Jana diese Nacht hart bleiben sollte, beabsichtigte Marko nicht, bei geöffneter Tür zum Nebenraum zu schlafen.

 

»Stört uns jetzt nicht«, wimmelte Olli die beiden ab. »Wir sind kurz vorm Durchbruch. Lasst uns in Ruhe. Wir müssen nachdenken.«

»Können wir irgendwas helfen?«, fragte Jana.

Svenja schüttelte stumm den Kopf und vertiefte sich sofort wieder in ihren Bildschirm. Olli wurde direkter:

»Ihr könnt einen Spaziergang machen oder so etwas, aber lasst uns einfach in Ruhe.«

Jana ließ sich trotzdem nicht davon abhalten, den beiden Spezialisten Getränke und Süßigkeiten zum Naschen zu holen. Danach befolgten sie den Rat und machten sich zu einem Spaziergang auf. Bevor sie sich vom Hotel entfernten, schritten sie mehrmals die nähere Umgebung ihres Domizils ab und sahen sich nach auffälligen Personen oder Fahrzeugen um, konnten aber nichts entdecken.

Nachdem sie sich überzeugt hatten, dass sich in der Gegend keine Verfolger befanden, gingen sie in einen kleinen und nicht besonders ansprechenden Park. Für eine kurze Runde an frischer Luft reichte er aber nach Markos Empfinden aus. Ihm brannte eine Aussprache über ihr ungeklärtes Verhältnis zueinander auf der Seele. Auch Jana schien bedrückt. Sie kam ihm schließlich zuvor.

»Wie lange brauchst du für die Veröffentlichung deines Artikels, nachdem unsere beiden Spezialisten wissen, worum es geht?«, fragte sie.

Marko wurde von dieser Frage überrascht. Er musste erst aus seinen eigenen Gedankengängen in die Realität zurückfinden, bevor er antworten konnte.

»Das hängt davon ab, wie brisant die Ergebnisse tatsächlich sind«, sagte er schließlich.

»Man hat mehrmals versucht, uns umzubringen, da wird es schon um etwas Größeres gehen.« Jana sah Marko verärgert an.

»Ist ja schon gut. Wenn es wirklich eine so wichtige Story ist, rufe ich gleich in der Redaktion der ›Überregionalen‹ an. Die sind immer an so etwas interessiert. Das könnte dann schon in die nächste Ausgabe kommen. Da werde ich wahrscheinlich dann ganz schön in Stress geraten. Der Artikel muss schließlich auch noch geschrieben werden.«

Jana nickte und schwieg nachdenklich.

»Warum fragst du?«, erkundigte sich Marko endlich.

»Die Zeit läuft mir davon«, antwortete sie zögernd. »Wenn meine Eltern mit Jonas zurückkommen, muss diese Geschichte geklärt sein.«

Ohne Vorwarnung lehnte sie plötzlich ihren Kopf an seine Schulter.

»Ich habe Angst«, flüsterte sie und sah ihm in die Augen. »Nicht um mich, verstehst du? Deshalb mache ich auch alles falsch.«

Jana ging zu einer alten Bank, die am Rande des Parkwegs stand, und setzte sich. Aus ihrer Jackentasche kramte sie ein Papiertaschentuch und schnäuzte sich.

Vorsichtig setzte Marko sich neben sie. Sie steckte das Taschentuch weg und nahm seine Hand. Als er sie in den Arm nehmen wollte, schüttelte sie allerdings den Kopf.

»Bitte halte mich einfach nur fest, wie ein Freund«, sagte sie leise.

Es waren fast drei Stunden vergangen, als sie wieder im Hotel eintrafen. Janas Nähe, diese Vertrautheit, mit der sie sich an diesem Vormittag begegnet waren, hatte Marko gut getan. Er fühlte sich wesentlich besser als am Morgen.

Deshalb traf ihn die Ahnung einer Gefahr um so stärker, als sie die Treppe zu ihren Zimmern hinaufstiegen. Es gab keine Zeichen für eine Veränderung seit ihrem Aufbruch und doch wurde Marko mit jeder Stufe, die sie überwanden, unruhiger.

Sie kamen vor der Zimmertür an. Vielleicht spürte Jana das Gleiche wie er, vielleicht hatte er sie aber auch nur mit seiner Paranoia angesteckt. Auf jeden Fall machte die Detektivin einen genauso angespannten Eindruck wie er selbst. Marko registrierte, dass Jana die rechte Hand in ihre Jackentasche steckte. Marko wusste, dass sie dort ihre Pistole trug.

Aus dem Zimmer drangen, gedämpft durch die Tür, aufgeregte Stimmen. Marko atmete erleichtert auf. Marko erkannte die Stimmen ihrer beiden Freunde. Sie hörten sich nicht so an, als würden sie bedroht werden. Jana nahm die Hand aus der Tasche, klopfte kurz und trat ein.

»Ihr solltet doch die Tür abschließen«, schimpfte sie zur Begrüßung.

»Das hatten wir auch, aber ich habe gerade etwas zu trinken geholt und da habe ich vergessen wieder abzuschließen«, rechtfertigte Olli sich kleinlaut. Er machte den Eindruck eines Schülers, der sich vor seiner Lehrerin entschuldigte.

Im Gegensatz zu Olli wirkte Svenja alles andere als schuldbewusst. Seit dem Frühstück war eine radikale Veränderung mit ihr vorgegangen. Sie hatte sich nicht nur neu eingekleidet, sondern sich auch die Haare zu einem streng wirkenden Zopf gebunden und sich wieder geschminkt. In der Hand hielt sie ein Sektglas, an dem sie offensichtlich bereits genippt hatte. Eine angebrochene Flasche und zwei frische Gläser standen auf dem kleinen Tisch.

»Wir kennen jetzt den Zusammenhang, der zwischen den von Thomas zusammengestellten Daten besteht«, sagte sie selbstbewusst.

»Ein paar Kleinigkeiten müssen wir noch klären«, warf Olli zaghaft ein. Svenja warf Olli nur einen kurzen missbilligenden Blick zu, dann sah sie Jana direkt in die Augen. Sie wirkte in diesem Moment fast ein wenig arrogant, als sie weitersprach.

»Die wichtigste Frage ist geklärt. Wir wissen jetzt, worum es geht.«

»Und was ist das?«, platzte Marko heraus.

»Nehmt euch doch erst einmal ein Glas Sekt. Es gibt etwas zu feiern«, erwiderte Svenja gönnerhaft. Sie gab sich keine Mühe zu verbergen, dass sie ihren Triumph genoss.

Also füllten sie erst einmal die Gläser und stießen an, bevor die beiden Spezialisten das Geheimnis lüfteten.

»Wir haben nach den Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Dokumenten gesucht«, begann Svenja. Marko musste seine Ungeduld unterdrücken, aber er spürte genauso wie Jana, dass er die junge Frau besser die Geschichte auf ihre Art zu erzählen ließ, auch wenn ihn die Einzelheiten nicht besonders interessierten. »Das war schwierig, weil Thomas nicht nur die konkret zusammenhängenden Ereignisse in den verschiedenen Protokollen gelistet hatte, sondern auch Ereignisse, die gerade nichts miteinander zu tun hatten. Olli und ich glauben, dass Thomas damit zeigen wollte, was zusammengehört und was nicht.«

»Ja und was gehört zusammen?«, platzte Jana nun doch dazwischen.

»Aus den Protokollen geht hervor, dass es bei einer Reihe von Rechnern eine Kommunikation über das Netz gab, die danach auf unterschiedliche Weisen ausgefallen sind.«

Svenja sah Jana herausfordernd an. Die schaute aber nur fragend zurück. Ganz offensichtlich verstand sie von der Erklärung genauso wenig wie Marko.

»Das ist nicht unbedingt etwas Besonderes«, redete Svenja weiter. »Es gibt eine ganze Reihe von Schad-Software, Viren und Würmer, die über das Netz kommunizieren. In diesem Fall gibt es aber zwei Besonderheiten.«

Svenja nahm einen Schluck aus ihrem Glas, bevor sie weiterredete.

»Die erste Besonderheit dieses Virus – ich gehe einmal davon aus, dass es sich um einen Virus handelt – besteht darin, dass ihm ein Zugriff auf die Hardware gelingt. Thomas hat Fälle dokumentiert, in denen die ganze Festplatte durch falsche Ansteuerungen zerstört wurde. Normalerweise wird so etwas vom Betriebssystem des Rechners abgefangen.«

Marko hatte Svenja wohl zu fragend angesehen, sodass sie sich bemüßigt fühlte, ein wenig weiter auszuholen.

»Vereinfacht gesagt, handelt es sich bei dem Betriebssystem um die unterste Ebene eines Rechners. – Es gibt da zwar noch ein paar Feinheiten, aber die interessieren euch jetzt sicher nicht. – Ohne so ein Betriebssystem ist ein Rechner nur ein Kasten aus Metall und Plastik durch den Strom fließt, der aber keine Aufgaben erledigen kann.«

Marko nickte. Soweit hatte selbst er die Funktionsweise seines Laptops verstanden.

»Im Allgemeinen redet man zwar heute von einem Betriebssystem, dass alles Mögliche umfasst, aber technisch gesehen kann man den Betriebssystem-Kern und die Betriebssystem-Programme unterscheiden. Der Betriebssystem-Kern – Informatiker nennen ihn meistens auf englisch ›Kernel‹ stellt die unterste Ebene eines Betriebssystems dar. Er befähigt den Rechner erst zu den grundlegenden Funktionen. Ohne ihn könnte kein Programm auf dem Rechner laufen. Obwohl der normale Anwender diesen Kern nicht sieht, ist er der wirklich entscheidende Teil des Betriebssystems. Die Programme, die heute auch zu jedem System gehören, unterscheiden sich technisch kaum von anderen Anwendungsprogrammen. Der Übergang ist da fließend. Es hat sogar schon richtigen juristischen Streit darüber gegeben, ob zum Beispiel ein Internet-Browser zu einem Betriebssystem gehören darf oder nicht.«

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