Seewölfe Paket 6

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Dan O’Flynn biß die Zähne zusammen.

„Mist“, knirschte er. „Elender Mist! Siri-Tongs Crew hätte die ganze Bande in die Planken gestampft, wenn sie nur herangekommen wäre.“

„Crew wird jetzt Hasard suchen“, sagte Batuti. „Und dann hinter ‚Isabella‘ herjagen wie Teufel hinter armes Seele.“

„Hoffentlich“, murmelte Dan. Und nach einer Pause: „Wir müssen hier ’raus, Batuti. Und wir müssen zusehen, daß wir nicht wieder hier landen. Wenn der ‚Drache‘ auftaucht und Jean Morro kann uns die Pistole an den Kopf setzen, ist alles im Eimer. Wenn es soweit ist, müssen wir die Hände frei haben.“

„Für Morro abmurksen? Krrch?“

Batuti vollführte eine Bewegung, als drehe er jemandem den Hals um. Dan brachte schon wieder ein Grinsen zustande.

„Von wegen krrch! Wenn wir den Bretonen ins Jenseits schicken, schnappen uns die anderen. Sobald wir einen Schimmer von dem schwarzen Segler sehen, jumpen wir außenbords, das ist die einzige Chance.“

Batuti nickte im Dunkeln.

„Gut! Jumpen außenbords, schwimmen zu schwarzes Segler und helfen mit, ‚Isabella‘ wieder unter Nagel zu reißen.“ Er legte eine Pause ein, grinste breit und zeigte sein prächtiges Gebiß. „Und dann werden Piraten in Planken gestampft“, vollendete er. „Und Bretone abgemurkst. Krrch!“

Auf dem schwarzen Segler war die Stille gespenstisch.

Siri-Tong, der Wikinger und der Boston-Mann standen auf dem Achterkastell und starrten das an, was einmal ein Rigg gewesen war. Jetzt bestand es vorwiegend aus Fetzen. Die Großrah lag zerbrochen an Deck, Brassen, Fallen und Geitaue bildeten ein unentwirrbares Knäuel, von Fock und Lateinerbesan wehten nur noch Reste im Wind. Die Rote Korsarin hatte es bis zuletzt vermieden, die „Isabella“ in einen Trümmerhaufen zu verwandeln.

Die Galeone war zwar auch ziemlich zerrauft aus dem Gefecht hervorgegangen, aber sie befand sich immer noch in einem Zustand, in dem sie dem „Eiligen Drachen über den Wassern“ mit Leichtigkeit davonsegeln konnte.

„Ich begreife es nicht“, sagte Siri-Tong leise. „Die ‚Isabella‘ war unterbemannt. Vierzehn oder fünfzehn Leute, schätze ich. Ich begreife nicht, wie es dieser Haufen fertiggebracht hat, das Schiff in Besitz zu nehmen.“

„Vielleicht haben sie einen schmutzigen Trick angewandt. Der Teufel mag es wissen. Aber Hasard und die anderen müssen irgendwo stecken, verdammt noch mal!“

Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihre Augen waren noch dunkler als sonst und wirkten wie mit einem Schleier überzogen.

„Es gibt Inseln in der Nähe“, sagte sie. „Wir müssen suchen. Aber zuerst müssen wir diesen Trümmerhaufen wieder in ein Schiff verwandeln.“

Der Wikinger nickte nur. Sein mächtiger Brustkasten wölbte sich unter einem tiefen Atemzug. Langsam wandte er sich um, stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte auf die verwüstete Kuhl hinunter.

„Was steht ihr da herum?“ brüllte er. „Hopp-hopp! Klar Schiff überall, aber ein bißchen plötzlich, bevor ich euch Feuer unter den Hintern entfache.“

6.

„Land ho!“

Stenmark war aufgesprungen und zeigte nach Süden, wo sich ein dunkler Buckel über die Kimm schob. Ferris Tucker fluchte, weil das Boot unter der heftigen Bewegung noch stärker schwankte. In einem mittleren Sturm würde es zweifellos sofort kentern. Der rothaarige Schiffszimmermann war auffallend schweigsam und grübelte darüber nach, wie er die Konstruktion verbessern konnte.

Überflüssige Grübeleien wahrscheinlich.

Hasard war überzeugt davon, daß der schwarze Segler sie finden würde. Aus schmalen Augen sah er zu den beiden charakteristischen Felsenkegeln der Insel hinüber und beobachtete die dünne Rauchfahne, die jetzt von der höchsten Erhebung aufstieg.

Sie hatten Wachen eingeteilt, die das Feuer unterhielten und in regelmäßigen Abständen grüne Zweige hineinwarfen, damit der Rauch dichter wurde. Das Signal war auf diese Weise aus großer Entfernung zu sehen. Die Männer auf dem Boot hatten die dünne graue Rauchfahne schon zweimal entdeckt, als die Insel noch hinter der Kimm lag, und dem Ausguck des schwarzen Seglers würde es genauso gehen.

Es dauerte noch fast eine Stunde, bis das schwerfällige Fahrzeug das Riff erreichte und durch eine der Lücken in die Lagune glitt.

Die Seewölfe standen am Strand, winkten und halfen dann, das Boot auf den Sandstreifen zu ziehen. Die Männer wirkten erregt, bedrückt, hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung, Ben, Shane und Stenmark gesund und unverletzt wiederzusehen, und der Enttäuschung über das mißglückte Unternehmen. Ben Brighton mußte die Ereignisse auf der „Isabella“ noch einmal in allen Einzelheiten berichten, und die anderen knirschten mit den Zähnen vor hilfloser Wut.

Hasard, Ed Carberry und Blacky stiegen zu dem roten Felsenkegel hinauf, um die nächste Wache am Feuer zu übernehmen.

Die anderen gingen unter Ferris Tuckers Leitung daran, brauchbare Wrackteile für ein weiteres Floß zusammenzusuchen.

Im Grunde wußten sie alle, daß es nicht viel Sinn hatte. Aber niemand sprach es aus, denn alles war besser, als untätig hier herumzusitzen und auf den schwarzen Segler zu warten.

Die Karavelle „Santa Monica“ lag über Backbordbug am Wind und segelte Nordostkurs.

Juan de Correggio, Capitan im Dienste Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, stand auf dem Achterkastell und starrte aus schmalen Augen über die leicht bewegte, im Sonnenlicht glänzende See. Die „Santa Monica“ war in den Stürmen der letzten Tage von ihrem Verband getrennt worden. Es waren fünf Karavellen und eine dickbauchige Galeone, die Silber transportierte. Capitan Correggio hatte sich eingebildet, daß es leicht sein würde, die Schiffe wiederzufinden, aber in den letzten Stunden hatte es so ausgesehen, als schwimme die „Santa Monica“ mutterseelenallein auf dem Pazifik.

Der Capitan fluchte.

Nur in Gedanken allerdings, denn alles andere war seiner Meinung nach für einen Diener Seiner Allerkatholischsten Majestät nicht angemessen. Und Juan de Correggio hielt sich für einen besonders guten Diener seines Herrn – er hielt überhaupt eine Menge von sich, seinen seemännischen Fähigkeiten, seinem Verstand und seiner Kampfkraft.

Daß seine Mannschaft anderer Meinung war, hätte ihn im höchsten Maße erstaunt, denn natürlich kam es ihm nie zu Ohren. Die gesamte Crew vom Moses bis zum Steuermann wünschte den langen, dürren Capitan mit dem monströsen Zwirbelbart dahin, wo der Pfeffer wächst. Daß er einen Kaplan an Bord hatte, der jeden Morgen die Messe las, mochte noch angehen. Daß er jegliches Fluchen bei Strafe verbot, spielte auch nicht die Hauptrolle, da er seine Ohren nicht überall haben konnte. Aber Juan de Correggio war ein miserabler Kapitän, er war einfach unfähig, und das hatte auch der letzte der Mannschaft längst herausgefunden.

Daß die „Santa Monica“ nicht im Sturm gescheitert war, grenzte an ein Wunder, das einerseits dem Steuermann und andererseits einem gütigen Geschick zu danken war. Jetzt kreuzte der Capitan blindlings und sinnlos durch die Gegend, um den Verband wiederzufinden, der vermutlich längst in Richtung Nueva Espana segelte. Genau das hätte Correggio ebenfalls tun sollen, aber in diesem wie in vielen anderen Punkten hatte er nun mal seine eigenen Ansichten.

Ansichten, die sich anscheinend als richtig erwiesen, als der Ausguck im Großmars plötzlich Rauchzeichen Backbord voraus meldete.

Durch das Spektiv konnte der Capitan die dünne Rauchfahne jetzt ebenfalls sehen. Seine Augen glitzerten leicht, als er sich dem Steuermann zuwandte, der neben ihn getreten war.

„Rauchzeichen, Diaz! Eins unserer Schiffe ist gestrandet. Oder im Sturm gekentert. Die Männer haben sich offenbar auf eine Insel gerettet.“

Jose Diaz kratzte sich hinter dem rechten Ohr. Daß das Feuer auf einer Insel brannte, stand fest. Aber wer es angezündet hatte, war nach Meinung des Steuermanns noch sehr die Frage.

„Es könnten auch Eingeborene sein, Capitan. Oder Piraten.“

Juan de Correggio schüttelte den Kopf.

Er sah sich bereits als Retter seiner Landsleute und Held der Stunde. Außerdem hatte seine Version ja immerhin etwas für sich, weshalb er auch keinerlei Gefahren sah, denen man besser auswich. Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf und versuchte, seine eher schmal geratenen Schultern zu recken.

„Eingeborene und Piraten geben keine Rauchzeichen!“ erklärte er kategorisch. „Klar zum Abfallen! Wir laufen die Insel an und suchen nach den Schiffbrüchigen!“

„Schiff ho!“ brüllte Blacky. „Mastspitzen! Genau Backbord querab!“

Wenn man seine Sitzposition bedachte und sich die Insel als Schiff vorstellte, hatte er recht. „Backbord querab“ lag für ihn im Süden. Aber auf solche Feinheiten achteten im Augenblick weder Hasard noch Ed Carberry, dafür waren sie viel zu erleichtert.

„Eiliger Drache!“ schrie Carberry. „Verdammt, das muß er sein, das …“

„Was? Wo?“

Es war Pete Ballie, der das fragte. Er, Bob Grey und Matt Davies kletterten gerade über die Schräge des Felsenkegels, um die nächste Wache am Feuer zu übernehmen. Jetzt standen sie in der flachen Mulde auf der höchsten Erhebung der Insel und betrachteten verständnislos den wie ein Wilder mit den Armen fuchtelnden Profos und Blacky, der auf einem Felsblock hockte und unverwandt durch das Spektiv nach Süden starrte.

„Der schwarze Segler!“ dröhnte Carberry. „Was sagt ihr nun, ihr Rübenschweine?“

„Halt mal die Luft an, Ed!“ Hasard schwang sich mit einem Sprung zu Blacky auf den Felsen und nahm ihm das Spektiv aus der Hand. Selbst der Profos wurde sehr still. Sicher, es lag nahe, zu glauben, daß es sich bei dem fernen Schiff um den schwarzen Segler handelte. Aber es konnte genausogut ein Spanier sein, ein Pirat oder sonst was, und die Gesichter der Männer spiegelten fiebrige Spannung.

 

Hasard schwenkte langsam den südlichen Horizont ab.

Eine Viertelminute später hatte er die Mastspitzen im Blickfeld. Hauchfeine Linien – als ragten dünne Stecknadeln über die Kimm. Drei Stecknadeln! Hasard biß die Zähne zusammen, beobachtete weiter und starrte zwei volle Minuten auf das ferne Gebilde, aber an den Tatsachen konnte das nichts ändern.

Der Seewolf ließ das Spektiv sinken.

„Es ist ein Dreimaster“, sagte er ruhig.

„Verdammt!“ knirschte Matt Davies.

„Die ‚Isabella‘?“ fragte Blacky hoffnungsvoll.

„Du hast wohl Bilgewasser im Hirn!“ fauchte der Profos. „Die ‚Isabella‘ ist nach Norden abgehauen, du Heringsbändiger. Glaubst du, die ist durch die Luft nach Süden geflogen, was, wie?“

„Phh!“ machte Blacky.

Hasard setzte von neuem das Spektiv an die Augen. Die drei Mastspitzen waren jetzt deutlicher zu sehen, aber das Schiff würde noch mindestens eine Stunde brauchen, bis es die Insel erreichte – wenn es überhaupt Kurs auf die Insel nahm. Hasards Blick wanderte zu der dünnen Rauchsäule des Signalfeuers. Auch Ed Carberry starrte in die Flammen und kratzte sein zernarbtes Rammkinn.

„Sollen wir das solange löschen?“ fragte er.

„Warum? Erstens ist der Rauch bestimmt schon gesichtet worden. Zweitens, weshalb sollen sie uns nicht finden? Etwas Besseres als ein spanisches Schiff kann uns doch gar nicht begegnen, oder?“

Für einen Moment blieb es still.

Pete Ballie begann breit zu grinsen. Blacky wurde plötzlich so zappelig, daß er fast von dem Felsblock fiel. Ed Carberry starrte Hasard an, atmete tief durch – und schlug sich ziemlich unsanft mit der flachen Hand an die Stirn.

„Ich Esel!“ stöhnte er. „Na klar, wir entern den Don! Die Einfachheit selber, Himmel, Archibald und Zwirn! Die Dons werden nachsehen wollen, was die Rauchzeichen bedeuten. Wir locken sie auf die Inseln und klauen ihnen ihr Schiff unter den Füßen weg.“

„Abwarten“, sagte Hasard trocken. „Es könnte nämlich auch ein ganzer Verband sein. Und dann werden wir uns verdammt anstrengen müssen.“

Die Seewölfe grinsten nur.

Etwa so, wie man sich das Grinsen eines Tigers vorstellen mag, bevor er in die Hammelherde einfällt. Man hatte ihnen übel mitgespielt, sie waren wütend, sogar sehr wütend – und angesichts dieser Tatsache hätte auch ein spanischer Verband besser daran getan, in einem weiten Bogen um die Insel zu segeln.

Zwanzig Minuten später glaubte Hasard mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, daß sich kein Verband, sondern ein einzelnes, vielleicht versprengtes Schiff der Insel näherte.

Nach einer weiteren Viertelstunde war deutlich zu erkennen, daß es sich um eine Karavelle handelte.

Und noch etwas sah der Seewolf: das große Holzkreuz, das unter dem Bugspriet baumelte und das auf allen Meeren nur von den Schiffen Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, geführt wurde.

Als Hasard diesmal das Spektiv sinken ließ, grinste er mit blitzenden Zähnen.

„Es ist ein Spanier!“ verkündete er. „Und jetzt Tempo, Leute! Wir angeln uns den Fisch! Ich will endlich wieder Planken unter den Füßen haben.“

7.

Eine halbe Stunde später kauerten die Seewölfe versteckt zwischen Felsen und Dickicht und beobachteten die Bemühungen der spanischen Karavelle, möglichst dicht an die Insel heranzulaufen.

Hasards Lippen hatten sich zu einem Strich zusammengepreßt. Neben ihm rang Ed Carberry verzweifelt die Hände.

„Nein!“ flüsterte er. „Das darf nicht wahr sein! Diese Rübenschweine! Diese Vollidioten – verstehen die überhaupt was von der Seefahrt?“

„Die sind lebensmüde“, meinte Smoky.

„Oder blind.“ Matt Davies kratzte sich mit seinem Haken im Genick. „Vielleicht haben sie ’n Tropenkoller oder … Da! Gleich kracht es!“

Hasard knirschte mit den Zähnen.

Sein Blick hing an der Karavelle, die den wahnsinnigen Versuch unternahm, in die Lagune einzulaufen. Am liebsten hätte sich der Seewolf die Haare gerauft. Den anderen ging es genauso.

„Die kriegen es fertig, unserem Schiff den Bauch aufzuschlitzen, ehe wir es überhaupt haben“, prophezeite Ferris Tucker düster. „Der Kerl muß doch – sag mal, Kutscher, gibt’s irgendeine Krankheit, bei der man ein Mauseloch mit einem Scheunentor verwechselt?“

„Größenwahn“, sagte der Kutscher. Womit er nicht einmal unrecht hatte. Um etwas anderes als Größenwahn, gepaart mit heilloser Dämlichkeit, konnte es sich nach Hasards Meinung bei dem Spanier überhaupt nicht handeln.

„Wenn der den Kahn auf Grund setzt, krieg ich’s in den Kopf“, murmelte Smoky.

„Im Kopf hast du’s sowieso“, knurrte der Profos. „Gesalbter Mist, sieht der denn nicht, daß er gleich aufläuft? Abfallen, du Blödmann von Kapitän, abfallen, in drei Teufels …“

Der Spanier konnte Carberrys durch die Zähne gezischten Worte nicht verstanden haben, aber vielleicht hatte ein gütiges Geschick den Profos erhört.

Noch ehe er mit seinem Fluch zu Ende war, brüllte drüben auf der Karavelle eine sich fast überschlagende Stimme „Klar zum Abfallen!“ Der Capitan, erkannte Hasard, hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich nach vorn auf die Back zu begeben, um nachzusehen, ob er sich bei der vermeintlichen Einfahrt im Riff nicht verschätzt hatte. Die Warnung des Bootsmanns war buchstäblich in letzter Sekunde erfolgt, und jetzt wurden auf der Karavelle in fliegender Hast die achteren Segel aus dem Wind genommen, damit das Schiff nach Backbord abfiel.

Es ging gerade noch gut.

Blacky bekreuzigte sich, der Profos drehte die Augen gen Himmel. Ben Brighton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Kopfschüttelnd verfolgte er, wie die Karavelle dicht an den Felsen des Riffs entlangschor, eine halbe Ewigkeit platt vor dem Wind lag und endlich auf dem anderen Bug anluvte, um aus der Gefahrenzone herauszulaufen.

„Mannmann“, stöhnte Ferris Tukker.

„Der ist wohl auf ’nem Waschzuber Kapitän geworden“, sagte Bill mit seiner hellen Stimme. „Mit ’nem alten Hemd als Segel und einer Besatzung von verlausten, triefäugigen Kakerlaken.“

„Wenn du dem Profos in allen anderen Dingen auch so nacheiferst, bist du bald ein perfekter Seemann“, sagte Hasard trocken.

Bill schluckte. „Das – das möchte ich ja auch werden, Sir.“

„Dann fluch mal weiter“, sagte Smoky erheitert. „Wenn du fleißig übst, bist du bald besser als Sir John, Junge.“

Bill schluckte noch einmal. Der Seewolf grinste still vor sich hin. Er beobachtete die Karavelle, die jetzt fast genau dieselbe Stelle ansteuerte, an der die „Isabella“ auf Reede gelegen hatte. Fast wunderte sich Hasard, daß auch dieser Esel von Capitan die Vorzüge des Platzes erkannte.

„Fallen Anker!“ ertönte das spanische Kommando.

„Fallen Anker!“ klang es von der Back zurück, die Trosse rauschte aus, und zwei Minuten später verkündete der Bootsmann, daß der Anker Grund gefaßt hatte und die Trosse steifkam.

Danach tat sich erst mal eine Weile gar nichts.

Die Spanier suchten mit Spektiven die Insel ab, die Seewölfe duckten sich tief in ihre Deckungen. Eigentlich war es ganz klar, daß die Dons mißtrauisch werden würden: Wer Rauchzeichen gab, brauchte Hilfe, und wer Hilfe brauchte, versteckte sich nicht, wenn die Retter nahten. Ein halbwegs vernunftbegabter Mensch hätte jetzt äußerst vorsichtig werden müssen. Aber ein Capitan, der sein Schiff fast auf ein Riff setzte, das ein Blinder als unpassierbar erkannt hätte, konnte nach Hasards Meinung nur in sehr geringem Maße mit Vernunft begabt sein.

Nach fünf Minuten ergebnisloser Beobachtung fierten die Spanier ein Beiboot ab.

Sechs Mann kletterten hinein und pullten zu den Felsen, die an der Westseite der Insel den Strand begrenzten. Hasard lächelte matt. Er nahm an, daß die Spanier genau das tun würden, was auch die Seewölfe getan hatten: zunächst einmal das gesamte Eiland umrunden. Dabei würden sie auf die Nordseite mit der Steilküste geraten, außer Sicht- und Hörweite der Karavelle – und dort konnte man sie dann in aller Gemütsruhe vereinnahmen.

Erwartungsgemäß wandten sich die sechs Männer zunächst nach rechts, um am Strand entlangzugehen.

Hasard fragte sich flüchtig, warum das eigentlich jeder tat, der die verdammte Insel untersuchen wollte. Weil der Strand mit der tiefblauen Lagune und dem Palmengürtel soeinladend wirkte? Oder weil man annahm, daß derjenige, den man suchte, sich zuerst an diesem einladenden Strand zeigen würde? Egal! Die Spanier würden bis zur Nordseite der Insel etwa eine halbe Stunde brauchen, und die Seewölfe hatten Zeit genug, einen Hinterhalt zu legen.

Vorsichtig zog sich Hasard tiefer zwischen die Felsen zurück.

Die anderen folgten ihm. Zwei Dutzend Schritte, dann deckte der kleinere der beiden Bergkegel sie gegen die Sicht von der Karavelle aus. Ein paarmal mußten sie sich noch durch Dickicht kämpfen, dann durch lichteres Gebüsch, und schließlich erreichten sie die zerklüftete Hochfläche oberhalb der Klippen.

Noch war von den Spaniern nichts zu sehen. Die Seewölfe – mit Ausnahme der Gruppe, die Hasard zurückgelassen hatte, um die Karavelle zu beobachten – verbargen sich zwischen den Felsen und kletterten so weit wie möglich nach unten. Sie würden wie die Teufel über die ahnungslosen Spanier herfallen. Und sie würden schnell sein müssen. Ein bißchen Geschrei und Kampflärm durfte es getrost geben, aber der Knall eines Schusses würde auf der Karavelle ganz sicher gehört werden.

Hasard, Ferris Tucker, Ed Carberry und Matt Davies kauerten an einer Stelle, wo eine vorspringende Felsenase mit der Brandungskehle unter dem Kliff eine Art Höhle bildete. Die Männer rührten sich nicht und lauschten gespannt. Ihre Bewaffnung war spärlich, das meiste hatten die Piraten mitgenommen. Aber wenn alles nach Plan lief, würden die Spanier ohnehin nicht dazu kommen, Degen oder Pistolen zu ziehen.

Ein paar Minuten später verrieten das Poltern von Schritten und die wüsten Flüche, daß sich die Gruppe näherte.

Die Sonne brannte immer noch erbarmungslos vom Himmel, die Felsen auf der Landzunge speicherten die Hitze des Tages: Jedenfalls registrierte Hasard mit einem vorsichtigen Blick, daß die Spanier reichlich verschwitzt aussahen. Der Seewolf zog den Kopf zurück, grinste leise und lauschte auf die keuchenden, verbiesterten Stimmen.

„Verrückte Idee!“ knurrte jemand. „Wenn wirklich ein Schiff aus dem Verband untergegangen wäre, hätten sich unsere Leute doch längst gemeldet.“

„Wem sagst du das? Sag’s dem Capitan, du Hammel.“

„Der ist doch nicht bei Trost! Unsere Leute könnten verletzt sein und sich deshalb nicht am Strand zeigen – ha! Aber auf den Berg klettern und ein Feuer anzünden, das können sie, was?“

„Vergiß es! Wir tun, was man uns sagt und …“

„Und lassen uns von Eingeborenen auffressen oder sonst was, he? Ich habe die Schnauze voll! Bei der nächsten Gelegenheit mustere ich ab, da kannst du Gift drauf nehmen. Ich bin doch nicht blöd, ich doch nicht, Mann!“

Hasard spannte die Muskeln.

In der nächsten Sekunde mußten die Kerle in sein Blickfeld geraten. Sie erweckten zwar nicht gerade den Eindruck, als achteten sie besonders aufmerksam auf ihre Umgebung, aber man konnte nie wissen.

„Jetzt!“ flüsterte der Seewolf.

Mit einem Panthersatz schnellte er aus seinem Versteck und federte von der Seite her auf die ahnungslosen Spanier zu. Gleichzeitig wurde es überall zwischen den Felsen lebendig. Die sechs Kerle prallten zurück, als seien sie gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen, wirbelten herum, aber da hatte Hasard den ersten schon am Kragen.

„Car …“ stieß der Bursche hervor.

Vielleicht wollte er „Caramba“ sagen, aber das brachte er nicht mehr heraus. Eine Faust krachte unter sein Kinn. Eine Viertelsekunde lang hatte er das Gefühl, sein Kopf fliege davon, und dann gingen für ihn so schnell die Lichter aus, daß er von der eigenen Luftreise nichts mehr merkte.

Hasard wirbelte herum und rammte dem nächsten Spanier den Kopf in den Bauch. Ferris Tucker schwang Batutis Morgenstern, Matt Davies zog sich einen der Kerle mit seinem Haken heran und donnerte ihm die Linke auf den Schädel. Ed Carberry hieb, ausnahmsweise ohne Gebrüll, mit einem Knüppel um sich, und alles in allem dauerte es nur ein paar Sekunden, bis die sechs Spanier bewußtlos im Geröll der Brandungsplatte lagen.

 

„Kinderkram!“ knurrte der Profos unzufrieden.

„Ein Mistspiel ist das“, pflichtete Matt Davies bei. „Macht gar keinen Spaß, wenn sich die Kerle schon beim ersten Antippen hinlegen.“

„Spaß kriegt ihr noch, wenn wir die Karavelle entern“, sagte Hasard trokken. „Das eine Boot ist ein bißchen wenig. Wir brauchen mindestens zwei. Aber die Kerle werden uns das zweite schon noch liefern.“

Smoky kicherte. „Na klar! Hat Ben ja auch getan, als wir ’ne Weile verschwunden waren. Wollen wir aus einem von den lahmen Dons herauskitzeln, wie viele Leute sie an Bord haben?“

„Gute Idee! Aber zuerst werden sie gefesselt und eine Etage höher gehievt. Ed, Ferris, Blacky!“

„Hopp-hopp, ihr müden Krieger!“ tobte der Profos los. „Ihr denkt wohl, heute ist Weihnachten, was, wie? Her mit den verdammten Tampen, aber ein bißchen plötzlich. Blacky, wenn du deine Quadratlatschen nicht schneller bewegst, hau ich dir auf deinen dicken Schädel, daß du genauso aussiehst wie die Mehlsäcke da! Seid ihr Betbrüder, oder was seid ihr?“

In diesem Stil ging es weiter. Nur etwas gedämpfter als gewöhnlich, denn der Profos hatte ein Organ, das normalerweise glatt Kanonendonner übertönte. Hasard grinste, während er mit Ferris Tucker und Big Old Shane über das Kliff aufenterte und ein stabiles Tau nach unten warf. Der erste Spanier war bereits gefesselt und wurde Hand über Hand hochgezogen.

Dabei wachte er auf und begann jämmerlich zu ächzen. Kein Wunder, denn er schwebte durchaus nicht in der Luft, sondern schrammte immer wieder unsanft über die Felsen. Und da zwei Kerle wie Ferris Tucker und Big Old Shane an dem Tau zogen, ging das Ganze durchaus nicht langsam, sondern sehr schnell und sehr ruppig vonstatten.

Einer nach dem anderen wurden die sechs Spanier hochgezogen, ein Stück vom Klippenrand weggeschleppt und nebeneinander auf den Boden geworfen.

Mit einer Ausnahme hatte die unsanfte Prozedur sie alle aus der Bewußtlosigkeit geweckt. Mit aufgerissenen Augen starrten sie in die grimmigen Gesichter der Seewölfe und sahen allesamt so aus, als hätten sie Bauchschmerzen.

Hasard blieb vor dem ersten stehen und grinste auf ihn hinunter. Der Spanier fand dieses Grinsen ziemlich beunruhigend, genau wie den zwingenden Blick der leicht zusammengekniffenen eisblauen Augen. Und die anderen sahen auch nicht friedlicher aus: dieser fürchterliche rothaarige Riese, der Bulle mit dem wüsten, zernarbten Gesicht und dem Amboßkinn, der Kerl mit dem Stahlhaken …

„Wie heißt euer Kapitän?“ fragte Hasard in seinem akzentfreien Spanisch.

„C-c-correggio“, stotterte der Bursche. „Juan de Correggio!“

„Wieviel Mann Besatzung habt ihr?“

Der Spanier schluckte unglücklich. Hasard zuckte mit den Schultern und gab Matt Davies einen Wink. „Ab mit dem Kerl!“

Matt schnitt eine wahrhaft furchterregende Grimasse, als er den Schweiger mit seinem Stahlhaken am Kragen packte. Das Opfer schrie Zeter und Mordio und wimmerte in allen Tonarten um Gnade. Kaum daß Matt hinter dem nächsten Felsen verschwunden war, verstummte das Geschrei, und das Gesicht des nächsten Spaniers nahm die Farbe von schmutziger Milch an.

Hasard grinste jetzt ausgesprochen bedrohlich.

Er wußte, daß Matt sein Opfer lediglich geknebelt hatte. Aber das wußten die anderen Spanier nicht. Sie glaubten felsenfest daran, daß ihr Kumpan über die Klinge gesprungen sei, und der Seewolf brauchte seine Frage kein zweites Mal zu stellen.

„Dreißig!“ sprudelte der Spanier hervor. „Wir sind dreißig Mann, wir …“

„Dreißig Mann für dieses Schiffchen?“ fragte Hasard zweifelnd.

„Es ist wahr! Wir – wir haben unterwegs die Leute einer leckgeschlagenen Karacke aufgenommen. Vor zwei Wochen war das. Ich schwöre …“

„Ab mit ihnen“, sagte Hasard. „Ihr werdet geknebelt und an die Felsen gebunden“, setzte er hinzu, als er das aufflackernde Entsetzen in den Augen des Mannes sah. „Wir brauchen nämlich noch ein zweites Boot, bevor wir euer Schiff entern.“

„A-aber …“

„Keine Angst, es gibt Wasser, Früchte und sogar Wildschweine auf dieser Insel. Ihr werdet wie im Paradies leben. Und außerdem seid ihr ja im Verband gesegelt, oder?“

„Aber die anderen sind doch längst weitergefahren. Nur Correggio, dieser verdammte Narr …“

Der Spanier schluckte und biß sich auf die Lippen. Daß man irgendwann nach ihnen suchen und sie sicher auch finden würde, fiel ihm bestimmt noch ein, wenn er Zeit zum Nachdenken hatte. Und die würde er haben, genau wie seine Kumpane, die jetzt einer nach dem anderen geknebelt und so an einzelne Felsblöcke gefesselt wurden, daß man sie höchstens aus unmittelbarer Nähe entdecken konnte.

Hasard lächelte zufrieden vor sich hin, als er das Ergebnis noch einmal inspizierte.

Die Spanier waren unfähig, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Wie lange sie so aushalten mußten, lag an ihren Kumpanen. Oder besser an ihrem Capitan, auf den sie offenbar eine Stinkwut hatten. Der Kerl war ein Idiot, das hatte er bereits mit seinen irrsinnigen Manövern bewiesen. Vielleicht würde er überstürzt handeln, vielleicht war er auch ein typischer Zögerer. Letzteres wäre Hasard lieber gewesen. Denn für das Enterunternehmen, das er vorhatte, mußte er ohnehin die Dämmerung abwarten.

Dreißig Mann, überlegte er.

Weniger sechs, waren vierundzwanzig. Noch mal weniger sechs, blieben achtzehn. Und die Seewölfe waren zwanzig. Damit war das Verhältnis mehr als ausgeglichen, wenn man bedachte, daß selbst der schmalbrüstige Kutscher und der alte O’Flynn mit seinen Krücken zwei Spanier aufwogen und daß Kerle wie Ferris Tucker oder Ed Carberry notfalls ganz allein ein halbes Dutzend Dons zu Hackfleisch verarbeiten konnten.

Hasard grinste vor sich hin.

Er wußte schon jetzt, daß sich Edwin Carberry hinterher wieder darüber beklagen würde, daß derartiger „Kinderkram“ einfach keinen echten Spaß bereitete.

„Rum für alle!“

Die Rote Korsarin lächelte. Ihr Blick wanderte über die erschöpften Männer, über die aufgeklarten Decks, über das Rigg, das wieder ganz manierlich aussah. Die neue Großrah war in Rekordzeit geriggt worden, obwohl sie keinen Schiffszimmermann an Bord hatten. Aber ein paar von den Männern hatten eine Menge von Ferris Tucker gelernt. Und nicht nur von ihm, sondern auch von Will Thorne, dem weißhaarigen Segelmacher der „Isabella“.

Siri-Tong war zufrieden mit ihren rauhen Kerlen. Eine Crew wie. der Seewolf hatte sie nicht und würde sie wohl auch nie kriegen, denn diese verschworene Gemeinschaft war etwas Einmaliges. Aber auch die Mannschaft des schwarzen Seglers konnte sich sehenlassen: Die Gefahren und Abenteuer der langen Fahrt hatten sie zusammengeschmiedet und zurechtgeschliffen und selbst aus einer schmutzigen Ratte wie Muddi am Ende einen halbwegs brauchbaren Kerl werden lassen, der zumindest in gefährlichen Situationen einigermaßen seinen Mann stand.

Was jetzt hinter ihnen lag, war der Beweis dafür gewesen. Die „Isabella“ in den Händen von Spaniern, Piraten oder was auch immer, die Seewölfe einem ungewissen Schicksal ausgeliefert – das ließ der Crew des schwarzen Seglers keine Ruhe. Sie hatten in den letzten Stunden eine Leistung vollbracht, die man nur bewundern konnte.

Thorfin Njals Flüche und Drohungen waren nur als vertraute Begleitmusik notwendig gewesen. Niemand hätte die Männer anzutreiben brauchen. Sie hatten ihr Bestes gegeben, sich nicht gedrückt, wie die Wilden geschuftet und alle Schäden in der Hälfte der Zeit behoben, die man normalerweise hätte dafür veranschlagen müssen.

„Cookie!“ rief Siri-Tong. „Mister Bennet, wo steckst du, verdammt noch mal!“

„Hier, Madam!“

Cookie erschien im Kombüsenschott. Er hatte nicht weniger geschuftet als die anderen. Und die nicht ganz saubere Pfanne in seiner Faust bewies, daß er sich selbst jetzt nicht auszuruhen gedachte, sondern seine Pflichten als Koch erfüllte.

Im übrigen sah er aus wie das leibhaftige schlechte Gewissen. Aber ein schlechtes Gewissen war schließlich der erste Schritt zur Besserung.