Seewölfe - Piraten der Weltmeere 114

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 114
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-438-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Der Seewolf hatte immer noch keine Zeit, sich um die knapp vor dem Tode durch den Henker gerettete Siri-Tong zu kümmern.

Hinter ihnen, im Hafen von Shanghai, war die Hölle los.

Das Brüllen der Explosionen, durch die ein großer Teil des hölzernen Anlegestegs in die Luft geflogen war, verebbte. Aber immer noch herrschten Panik, Aufruhr und Geschrei.

Philip Hasard Killigrew blickte über die Schulter zurück.

Eine chinesische Kriegsdschunke hatte die Verfolgung aufgenommen. Sie war ein Hartläufer und segelte schnell. Der Wind blähte ihre bambusverstärkten Mattensegel und trieb sie rasch voran.

Auf dem Gesicht des Seewolf lag ein hartes Lächeln. Er hatte so ziemlich das gewagteste Stück geliefert, das es je im Hafen von Shanghai gegeben hatte. Er hatte Aufruhr und Panik hinter sich gelassen, und jetzt hatten die chinesischen Soldaten einen verständlichen Zorn auf ihn.

Das Schauspiel, wie der Henker gerade das Schwert hob, um die Rote Korsarin zu köpfen, und dann, von einem Pfeil durchbohrt, tot umfiel, mußte noch nachhaltig auf die Chinesen einwirken.

Die Dschunke hinter ihnen, die sie jetzt gnadenlos verfolgte, hatte bereits den vierten oder fünften der gefährlichen Brandsätze abgefeuert, aber bisher lagen die tödlichen Feuer um mindestens hundert Yards zu kurz.

„Ben!“ rief Hasard zu seinem Bootsmann. „Laß auch den letzten Fetzen Tuch setzen und sag Al Conroy Bescheid, daß er die beiden achteren Drehbassen kontrolliert. Sie müssen sofort einsatzbereit sein!“

Ben Brighton nickte und nahm sich noch die Zeit, hinterhältig zu grinsen, denn was sich da weit hinter ihnen tat, war nicht nur nach seinem, sondern nach dem Geschmack der gesamten Crew, die zwar aufgeregt war, sich aber diebisch freute, daß sie den Zopfmännern ein Schnippchen geschlagen hatten.

Gleich nachdem Ben das Kommando weitergegeben hatte, klang die donnernde Stimme des Profos auf.

Er spuckte grinsend in die Hände, rieb sie dann gegeneinander, ballte sie zu Fäusten und stemmte sie in die Hüften.

„Wie oft muß ich euch triefäugigen Seesäcken noch sagen, daß ihr viel zu lahmarschig seid, was, wie? Eure verdammten Affenärsche haben wohl schon lange keinen richtigen Tampen mehr gespürt. Hopp, hopp! Hoch mit der Blinde und schneller als sonst. Oder wollt ihr euch Zöpfe wachsen lassen, was, wie? Denkt an die Gelbsüchtigen da achtern, wenn die uns fassen, regnet es euch in die Hälse, weil euch dann nämlich die Köpfe fehlen!“

Die Männer auf dem Vordeck grinsten sich an. Der Decksälteste Smoky hatte das Kommando schon dann gegeben, als er Ben in der Kuhl auftauchen sah, in der auch der Profos beschäftigt war. Aber Ed Carberry konnte es nicht lassen. In solchen Situationen wie jetzt mußte er brüllen, schon um sich selbst freier zu fühlen.

Die „Isabella“ nahm Kurs auf die offene See.

Schon jetzt schmolzen die kleinen Hafen- und Gemüsedschunken die in Shanghai lagen, zu einer Masse zusammen und ließen sich nicht mehr unterscheiden.

Inzwischen war Al Conroy auf dem Achterdeck erschienen, zusammen mit dem rothaarigen Schiffszimmermann Ferris Tucker, der mit seiner gewaltigen Axt im Hafen so aufgeräumt hatte.

Die beiden Männer überprüften noch einmal die achteren Drehbassen, die geladen und feuerbereit waren. In den Rohren steckte grobes Blei, zusammen mit Eisenspänen.

Hasard blickte den Stückmeister an, sah dann zu der heransegelnden Dschunke und nickte, als Conroy die Waffen klar meldete.

„Gebt acht auf die Kerle mit den Armbrüsten“, schärfte er den beiden Männern ein. „Ihr wißt, wie weit die Bolzen tragen, dabei hat auch ein Zufallstreffer unangenehme Folgen!“

Die fünfmastige Dschunke war fraglos etwas schneller als die „Isabella“, schätzte Hasard. Sie brachte mehr Tuch an die Masten und ihre Mattensegel waren ähnlich der Lateinertakelung, so daß sie den Wind optimal ausnutzen konnte.

Außerdem lag sie nicht so tief im Wasser, und sie hatte bei einem Gefecht einen noch unschätzbaren Vorteil: Sie zum Sinken zu bringen war ein Problem besonderer Art, denn der Rumpf war in mehrere wasserdichte Räume unterteilt. Lief einer voll, wurde sie kopf- oder achterlastig oder tauchte tiefer ins Wasser ein.

Die Zopfmänner hatten im Schiffsbau schnell gelernt und ständig Verbesserungen ersonnen.

Und diese Kriegsdschunke, hatte annähernd einhundertfünfzig Soldaten an Bord, die vor Wut zum Bersten geladen waren. Das Land des Großen Chan konnte diese Schande nicht ungestraft auf sich sitzen lassen!

„Laß die beiden Drehbassen abfeuern, Al“, sagte der Seewolf zu seinem Waffen- und Stückmeister Conroy. „Du die eine und Ferris die andere. Haltet so hin, daß die Burschen ein bißchen vorsichtiger werden und abfallen, sonst haben wir sie auf dem Hals, und wenn hundertfünfzig Mann entern, da wird auch uns das Lachen gründlich vergehen.“

„Die Distanz könnte gerade reichen“, sagte der stämmige, schwarzhaarige Mann überlegend. Auf Drehbassen war er spezialisiert, er verstand es hervorragend damit umzugehen.

Er nickte dem Schiffszimmermann zu, der die Drehbasse auf der schwenkbaren Lafette ausrichtete.

„Warte noch, bis ich gefeuert habe, Ferris“, sagte Al. „Wir erzielen mehr Wirkung wenn wir … verdammt“, unterbrach er sich, „die Kerle feuern Bolzen ab.“

Auf der Dschunke hatte man bemerkt, daß die Drehbassen herumschwenkten und ausgerichtet wurden. Augenblicklich traten die Armbrustschützen in Aktion.

Conroy schrie noch eine Warnung, da schwirrten die Bolzen auch schon los.

Wie silberne kleine Fische sprangen sie von der Dschunke, ein ganzer Schwarm, der sirrend heranraste.

Die meisten fielen hinter der „Isabella“ ins Wasser und versanken, ein paar andere knallten mit einem dumpfen Geräusch in die Heckgalerie, und dann passierte das, wovor der Seewolf gerade eben noch gewarnt hatte.

Big Old Shane, der Schmied und ehemalige Waffenmeister der Feste Arwenack, stöhnte dumpf.

Er griff mit der linken Hand nach seinem rechten Oberarm und war sehr verblüfft, als er Blut zwischen seinen Fingern hervorquellen sah. Er riß das Hemd herunter und starrte auf die Wunde. Ein sauberer Schuß, das erkannte er neidlos an. Er hatte ihm einen großen Hautfetzen wegrasiert, ohne den Knochen erwischt zu haben. Es war eine Fleischwunde, die blutete, und er glaubte auch nicht, daß die Bolzenspitze vergiftet war.

Hasard schickte ihn sofort zum Kutscher.

„Feuer frei!“ sagte er zu Conroy, der die glimmende Lunte an das Zündloch hielt.

Die Drehbasse wummerte los. Begleitet von einer schwarzgrauen Pulverwolke, die das Heck einnebelte, raste der Blei- und Eisenhagel aus dem Rohr und ging auf die Reise.

Auf der Dschunke prasselten ein paar Bleibrocken in das vordere Segel. Die verstärkten Bambusbahnen zerfetzten an manchen Stellen. Faustgroße Löcher erschienen wie hingezaubert. Auf dem hohen Vordeck hatte es zwei oder drei Männer erwischt, denn sie fielen um, als hätte ein Blitzschlag sie gefällt. Ein Mann riß die Arme hoch, die Armbrust entfiel ihm. Er torkelte bis ans Schanzkleid und sprang in seinem Schmerz über Bord Im Kielwasser der Dschunke tauchte noch einmal sein Schädel aus dem Wasser, dann war er weg.

Gary Andrews und Blacky schleppten Nachschub heran und brachten grob gehackte Bleistücke und Stangenkugeln.

In diesem Augenblick feuerte Ferris Tucker die zweite Drehbasse ab, die sich mit lautem Getöse entlud.

Deutlich sah er, wie die schwereren Brocken dicht vor dem Bug der Dschunke ins Wasser sägten, aber die leichteren trafen wiederum. Kleine, sauber ausgestanzte Löcher erschienen jetzt auch im zweiten Segel. Tucker registrierte zufrieden, daß die vielen Löcher der Dschunke etwas von ihrer Vortriebskraft nahmen. Es war nicht viel, aber es genügte, sie auf Distanz zu halten. Sie segelte nicht mehr näher heran.

Inzwischen enterte Big Old Shane mit grimmigem Gesicht und eiserner Entschlossenheit in den Großmars auf. Über der Schulter hatte er den riesigen selbstgefertigten Bogen hängen, in die Seite seines Hosengürtels hatte er die ebenfalls selbstgefertigten Brandpfeile gesteckt, und so enterte der Riese schweigend auf mit dem festen Entschluß, es diesen lausigen Burschen schon zu zeigen. Auf die Oberarmwunde hatte der Kutscher ihm Saft geschmiert, dann Salbe eingerieben und ein Stück Leinen drumherum gebunden.

Für Shane war das nur ein läppischer Kratzer, aber er hatte den Kutscher in seiner liebevollen Besorgtheit auch nicht abweisen wollen, und außerdem murmelte der immer etwas von Verunreinigungen, und ihm solle ja keiner mit einer Blutvergiftung antanzen, mit einer lausigen, sonst könne der Betreffende aber verdammt mal was erleben und sich seine Knochen künftig selber absägen.

 

Doch dieser kleine Kratzer brannte höllisch, wie Big Shane verwundert und ärgerlich feststellte. Genaugenommen tat die Wunde ziemlich weh, und dafür würde er den Kerlen jetzt eins auf den Pelz brennen, und wenn die Wunde auch gleich wieder aufbrach.

Als er in schwindelnder Höhe angelangt war, nahm er die Lunte, die er zwischen den Zähnen gehalten hatte, aus dem Mund und blies darauf, bis sie in heller Glut rötlich leuchtete.

Dann kohlte er die erste Pfeilspitze an, warf dem Ausguck Stenmark einen grinsenden Blick zu und blies weiter, bis auch die Spitze hell glühte.

„Das schaffst du nicht, Shane“, sagte Stenmark. „Weder du noch Batuti, die Dschunke ist mehr als vierhundert Yards entfernt.“

„Normalerweise schafft man es nicht, weil man ja auch noch gegen den Wind schießen muß“, sagte Shane bedächtig. „Aber wenn man eine solche Wut im Bauch hat wie ich, dann schafft man das!“

Breitbeinig stellte sich der graubärtige Mann hin, soweit es der Beobachtungskorb zuließ, dann spannte sein mächtiger Arm den Bogen, bis das schwere Holz einen Halbkreis beschrieb.

Nein, dachte der Schwede Stenmark noch einmal, und sah wie sich der Muskel an Shanes Arm wie ein Strang hervorschob. Stenmark glaubte, der riesige Bogen würde jetzt mit einem Knall auseinanderfliegen.

Big Shane ließ los, seine Wunde brannte höllisch, aber er hatte seine ganze bullige Kraft in diesen Schuß gelegt. Zum Teufel mit der Fleischwunde!

Ein ekelhaft lautes Sirren erklang, als der Pfeil davonflog. Noch im Flug fing seine Spitze Feuer und glühte. Die beiden Männer konnten den Flug mit dem Auge verfolgen.

„Wetten, daß nicht?“ sagte Stenmark atemlos, als er sah, daß der Pfeil seinen schnurgeraden Flug änderte und leicht höher stieg. „Wetten, daß doch?“ fragte Shane gemütlich zurück. „Es hat mir bald den Arm aus dem Gelenk gerissen.“

Tief unter ihnen stand Batuti und vollführte auf dem Deck einen Freudentanz. Er selbst hatte als Kind mit dem Bogen umgehen gelernt, aber er mußte zugeben, daß er dem grauhaarigen Schmied zumindest mit diesem Schuß unterlegen war.

Auf der Dschunke schlug es ein, genau ins verstärkte Segel.

Der Pfeil hatte viel von seiner Geschwindigkeit verloren, und daher blieb die glutende Spitze in der Bambusverstärkung stecken.

Durch das Spektiv erkannte der Seewolf grinsende Gesichter bei den Chinesen. Sie lachten über den Pfeil, der scheinbar nutzlos ins Segel geknallt war.

Klar, dachte Hasard, sie konnten lachen, denn wahrscheinlich kannten sie die selbstgefertigten Spezialpfeile von Big Old Shane noch nicht. Sie würden sie aber gleich besser kennenlernen.

Die Glut erreichte jetzt den mit Pulver gefüllten Schaft, der sich sofort entzündete.

Das Grinsen auf den Gesichtern der Soldaten erlosch, als aus dem Segel ein greller Blitz aufzuckte. Es zischte leise, dann verbreitete sich schlagartig lohendes Feuer, und die ersten Fetzen des brennenden Segels flogen davon.

„Getrocknete Bambusfasern brennen prächtig“, sagte Ben Brighton. „Jetzt grinst auch keiner mehr!“

„Augenblicklich haben sie andere Sorgen“, erwiderte der Seewolf.

„Mann, Shane! Dem hast du es aber gegeben!“ brüllte der alte Donegal O’Flynn und klopfte mit seinem Holzbein nachdrücklich ans Schanzkleid der „Isabella“. Vom Quarterdeck, aus der Kuhl und vom Vordeck stieg freudiges Gebrüll nach oben, aber Shane achtete nicht darauf, er hatte sich schon den zweiten Pfeil zurechtgelegt und spannte den Bogen.

Der nächste Schuß traf auch die Dschunke, aber der Pfeil brach am harten Holz des Bugs ab und zischte ins Wasser.

Mehr als fünfzig Soldaten schlugen jetzt mit Bambusknüppeln, Tüchern und Armbrüsten auf die brennenden Lappen, die an Deck regneten oder die der Wind davontrug.

Immer wieder bildeten sich Funkenregen, das alles wirkte aus der Ferne wie ein abgefeuerter Brandsatz, der dicht über dem Deck des Schiffes krepiert war.

Die anderen Soldaten, die sich nicht am Löschen beteiligten, fierten unter gebrüllten Kommandos die restlichen Segel ab, rissen sie herunter und warfen sich mit ihren Körpern darüber, um das sich immer wieder aufblähende Tuch zu bergen, damit es nicht auch noch Feuer fing.

Die Dschunke fiel merklich zurück. Kein einziger Brandsatz wurde abgefeuert, die Kerle waren damit beschäftigt, ihr eigenes Schiff vor den Flammen zu retten.

In den Augen des Seewolfs blitzte es auf. Natürlich war der Gegner nicht geschlagen, er war der „Isabella“, seiner Brandsätze wegen sogar noch überlegen, denn die verfügten über eine größere Reichweite als jene, die Hasard seinerzeit erbeutet hatte.

„Wir riskieren es“, sagte er zu Ben, „man sollte diesen Kerlen ruhig ein wenig Respekt beibringen. Alle Mann auf Stationen, wir luven an und gehen so hoch an den Wind, daß wir ihm eine Breitseite verpassen können. Er dreht jetzt nach Backbord, fällt ab, diese Gelegenheit kann ich mir nicht entgehen lassen.“

Wenn sie in die Dschunke acht Siebzehn-Pfünder setzen konnten, wenn ihnen das gelang, dachte Hasard, dann würde der Verfolger ganz sicher die Jagd aufgeben. So aber war er in der Lage, neue Segel zu setzen und sich weiterhin anzuhängen.

„Ar-we-nack!“ brüllte jemand, und sofort fiel der ganze Chor lautstark ein: „Ar-we-nack, Ar-wenack!“

„Hoch an den Wind, Pete!“ befahl der Seewolf seinem Gefechtsrudergänger. „So hoch, daß wir trotzdem noch Fahrt haben. Kümmere dich um nichts anderes, behalte die Segel im Auge. Wenn der Winkel zu spitz wird, fällst du sofort wieder ab. Inzwischen werden wir dem Kerl eins aufgebrannt haben.“

„Aye, aye, Sir!“ Pete schrie es fast.

Er konzentrierte sich darauf, die „Isabella“ hoch an den Wind zu bringen, und Ballie verstand sich darauf – ein Manöver, das nicht ungefährlich war, denn nur ein wenig Zuviel, und schon gab es eine Katastrophe.

Die Dschunke fiel weiter ab und trieb in der See. Aber schon waren die Soldaten dabei, die Segel wieder zu setzen. Der Brand war gelöscht worden, die Fetzen heruntergerissen.

Sie würden ihre Brandsätze zum Einsatz bringen, das wußte der Seewolf, aber er hatte eine kleine Chance. So wie der Wind jetzt stand, hatten die Pfeile es schwer, ihr Ziel zu treffen.

An den acht geladenen Culverinen stand jeweils ein Mann und konzentrierte seine Aufmerksamkeit ganz auf das Ziel.

Eine zweite Breitseite war nicht möglich, wenn die erste heraus war. Die „Isabella“ mußte ganz schnell abfallen und auf den alten Kurs zurückgehen.

Mit glimmenden Lunten standen die Männer bereit und warteten auf den Befehl.

Zähneknirschend sahen sie, daß man drüben ihr Manöver genau registriert hatte. Noch während die Segel gesetzt wurden, um dem Schiff gefechtsmäßige Beweglichkeit zu verleihen, stieg der erste Brandsatz heulend in den Himmel. Es war diesmal ein weißblaues Feuer von solch intensiver Farbe, wie die Seewölfe es noch nie gesehen hatten.

Hoch über den Masten der „Isabella“ entfaltete sich eine leuchtende Riesenblume, aus der blauweiße Kugeln herabregneten.

„Verdammt!“ sagte Hasard leise. Seine Blicke waren überall, und schlukkend wartete er darauf, daß die Feuerkugeln an Deck fielen.

Der Wind trieb sie jedoch leicht zurück, und sie fielen nicht weit vom Schiff ins Meer, wo sie auf der Oberfläche kurz weiterbrannten und dann erloschen.

Während er insgeheim ein Stoßgebet zum Himmel schickte, heulte schon der nächste heran. Seine Bahn war fast schnurgerade, aber er zerplatzte nicht, sondern zog nur einen dicken rauchigen Schweif aus dichtem Qualm hinter sich her.

Bange Sekunden vergingen. Mit einem letzten Heulton zischte das Teufelsding dicht übers Ruderhaus, hüllte alles in Qualm und dichten Rauch ein und donnerte dann in die Kuhl, wo es als rauchende Schlange hin und her kreiselte und immer dichtere Qualmwolken ausstieß.

Es war ein beizender Qualm, und das rauchende Ding war nicht zu bändigen. Es stieß an den Niedergang, überschlug sich, kreischte und heulte, und raste zurück, sprang dabei in die Höhe und fiel wieder auf Deck zurück.

Die Männer husteten, sprangen hoch, wenn das jaulende Etwas vorbeizischte, und nahmen ihre Plätze wieder ein. Die Augen tränten ihnen, und Al Conroy sprach schluckend das aus, was die anderen auch dachten.

„Die feuern rauchende Brandsätze, damit wir unser Ziel nicht mehr aufnehmen können.“

Er hatte sich gründlich geirrt, aber das wußte im Augenblick weder er noch ein anderer.

Der chinesische Pfeil war ein ganz normaler Brandsatz und einer der ersten, die nicht krepierten. Die Schwefelladung hatte nicht normal gezündet und jetzt rauchte das Ding von innen heraus unter Abgabe fürchterlicher Qualmwolken.

„Feuer!“ schrie Hasard in diesem Moment.

Mit Verzögerungen von nur ein oder zwei Sekunden spuckten die acht Culverinen ihre Siebzehn-Pfünder aus. Die „Isabella“ krängte leicht, als die brüllenden Abschüsse aus den Rohren fauchten und die schweren Kugeln auf die Reise gingen.

Der Qualm war nicht mehr so dicht geworden, daß man nichts sah, und Hasard hatte vom Achterkastell aus ohnehin die bessere Übersicht.

Jetzt erst, nachdem die Pulverladung die Eisenkugeln hinausgejagt hatte, wurde der Qualm dichter, aber das war nur natürlich und rührte von den eigenen Kanonen her.

Pete Ballie fiel mit Hartruderlage ab, ohne daß es eines Befehls dazu bedurft hätte. Der Winkel war mittlerweile schon so spitz geworden, daß die „Isabella“ keine weitere Höhe mehr kneifen konnte, ohne Gefahr zu laufen, rapide an Fahrt zu verlieren.

Jetzt, als der Bug herumschwang, begann auf der Dschunke ein Getöse. Sechsmal hintereinander schlug es in rascher Folge ein.

Zwei der eben mühsam hochgehievten Segel fielen wie leere Säcke in sich zusammen und schlugen an Deck, Taue und Falle mit sich reißend und noch im Sturz teilweise zerfetzend.

Zwei Siebzehn-Pfünder waren haarscharf über das Schanzkleid geflogen, aber da sie sich im Weiterflug noch etwas senkten, durchbrachen sie auf der anderen Seite Teile des Schanzkleides, ohne nennenswerten Schaden anzurichten.

Die anderen sechs Eisenkugeln trafen ihr Ziel.

Das Holzdeck der Dschunke wölbte sich am vorderen Mast splitterartig nach oben. Planken waren zerfetzt, den im Innern angerichteten Schaden sah vorerst noch niemand.

Zwei hatten sich unterhalb der Wasserlinie ihren Weg ins Schiff gesucht, während die drei restlichen die Bordwand an drei verschiedenen Stellen aufgerissen hatten. Dort leckte nur zögernd Wasser hinein, aber in den beiden anderen Löchern gurgelte es.

Die Seewölfe an den Culverinen rissen die Arme hoch und stießen einen erleichterten Freudenschrei aus, aber Carberrys eiskalte Stimme ließ sie zusammenzucken.

„Welcher Arsch hat da eben vorbeigeschossen?“ fragte er laut.

„Ich“, sagte Bob Grey kleinlaut, „aber ich habe das Schanzkleid auf der anderen Seite noch getroffen.“

„Und welcher lausige Hurenbock noch?“ fragte Ed unnachgiebig.

Luke Morgan hob schuldbewußt den Finger.

„Das Zündkraut fing nicht gleich an zu glimmen, aber ich habe auch noch getroffen.“

„So, das Zündkraut fing nicht gleich an zu glimmen“, donnerte der Profos. „Das nächste Mal werde ich es dir zusammen mit einer Unze Pulver in den Hintern stecken und dich auf die Sekunde genau in die Luft jagen, du tauber Hering. Und du, Bob Grey, du verlauster Heringsschwanz, bist mit dem Messer wesentlich besser als mit der Culverine.“

Bob Grey erwiderte nichts, aber Luke Morgan, dem mitunter das Temperament durchging, und der ein Hitzkopf war, drohte dem Profos mit der Faust.

„Blas dich bloß nicht so auf, du Bulle!“ schrie er hitzig. „Das kann passieren, das ist dir auch schon passiert. Ein Augenzwinkern später und schon trifft es sich schlechter.“

„Du hast überhaupt nicht mit den Augen zu zwinkern. Reiß deine Glotzbökke gefälligst vorher weit auf.“

Es hatte ganz den Anschein, als würde sich zwischen dem Profos und Luke Morgan ein handfester Streit entwickeln, aber Al Conroy trat dazwischen, um zu schlichten, und Ferris Tucker schlug seinem Freund Carberry die Hand auf die Schulter.

„Reg dich wieder ab, Ed“, sagte er friedlich, „sieh lieber zu der Dschunke hinüber. Die zieht Wasser, daß es eine Freude ist. Ihr fehlen zwei Segel und der größte Teil des Vormastes.“

„Na ja“, sagte Ed versöhnlich, „ich kann es nur nicht leiden, wenn man bei so ruhiger See halb vorbeiballert. Ist doch wahr!“ setzte er hinzu.

 

Er drehte sich um, um die Überreste des qualmenden Dings zu untersuchen, doch das qualmte nicht mehr. Der Moses hatte eine Pütz Seewasser darüber geschüttet, und sofort hatte das Qualmen nachgelassen. Jetzt lag nur noch ein verkohlter Strunk, wie ein morscher Ast herum, der leicht blakte und Kondensdampf abblies.

Es fühlte sich noch verdammt heiß an, und so tauchte es der Profos kurzerhand in die Wasserpütz, die der Bengel Bill hochhievte, um dem Teufelsding endgültig den Rest zu geben.

Inzwischen hatte die „Isabella“ wieder ihren alten Kurs erreicht und segelte fast raumschots auf nördlichem Kurs weiter.

Hinter ihnen versank die Hafenstadt Shanghai, und auch die angeknackste Kriegsdschunke hatte die nutzlose Verfolgung aufgegeben.

Sie war stärker angeschlagen, als es den Anschein hatte.

Auf der Dschunke herrschte Zustand. Ein tobender Kapitän brüllte die Soldaten an und sprach davon, daß es eine Schande sei, sich von einem Fremden Teufel zusammenschießen zu lassen.

Offiziere und Bootsmänner rannten aufgescheucht hin und her. Die Mannschaften wurden mit harten Fußtritten bedacht, und ein wütender Offizier schwang die Bambusgerte und schlug unbarmherzig zu.

Die Dschunke hatte zwei Wassereinbrüche zu verzeichnen, und nun standen die Männer in den unteren Räumen, bildeten Eimerketten und schöpften Wasser.

An ein Weitersegeln war nicht mehr zu denken.

Der Kapitän Owang rief die Feuerwerker.

„Bündelt die Pfeile und schickt sie den Fremden Teufeln hinterher!“ schrie er. „Oder Kuan-Yü, der Kriegsgott, wird euch bestrafen.“

Die Feuerwerker hasteten davon. Diesmal umgaben sie ihre Tätigkeit nicht mehr mit dem Mantel des Geheimnisvollen, dafür hätte der tobende Kapitän nicht das geringste Verständnis aufgebracht.

Jeweils sieben „Chinesische Pfeile“ wurden gebündelt, in den Gestellen ausgerichtet und die Lunten entzündet.

Das erste Bündel jagte mit ohrenbetäubendem Geheul in den Himmel und beschleunigte rasend schnell.

Sofort folgte der nächste Satz.

Owang preßte die Lippen zusammen. Kuan Yü schien gegen sie zu sein, die helfende Hand des Kriegsgottes hatte sie verlassen.

Verärgert sah er, wie der erste gebündelte Satz knapp hinter dem davonsegelnden Schiff ins Wasser zischte und nach einer Weile verlöschte.

Er legte die Hände vor die Brust, deutete drei schnelle Verneigungen an und betete zu Kuan Yü, daß er wenigstens diesen letzten Brandsatz mit sicherer Hand auf das Schiff der Fremden Teufel lenken möge.

Doch der Gott der Krieger erhörte ihn auch diesmal nicht. Der zweite Feuersatz fiel noch weiter entfernt ins Wasser.

Zu allem Überfluß mußte sich der Kapitän auch noch verhöhnen lassen. Er sah es ganz deutlich.

Auf dem achteren Deck stand dieser schwarzhaarige wilde Teufel, dessen Haare im Wind flatterten. Er winkte ihnen höhnisch zu.

Mit brennenden Augen starrte Owang dem Schiff nach, dem vermeintlichen Portugiesener, der ihn so schwer angeschlagen hatte. Er traute sich kaum, zurück in den Hafen von Shanghai zu segeln. Nein, er hatte sein Gesicht verloren, der Mandarin würde ihm das Kommando über die Kriegsdschunke entziehen und ihn mit Schimpf und Schande davonjagen.

Ganz Shanghai würde über ihn lachen.

„Wir schaffen es nicht, das Wasser aus dem Schiff zu pumpen, hoher Herr“, sagte jemand neben ihm.

Er hörte es nicht. Aus trüben Augen blickte er auf die Verwundeten und Toten und wandte sich mit zukkenden Schultern ab.

Noch einmal wiederholte der Bootsmann seine Meldung.

Owang hatte das Gefühl, als würde die Stimme des Bootsmannes längst nicht mehr so unterwürfig klingen wie sonst. Lachte etwa das Schiffsvolk schon heimlich über ihn, den Kapitän?

„Die Schiffbauer sollen das Leck abdichten“, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen.

Der Bootsmann wollte etwas fragen, doch er wagte es nicht. So schlich er bedrückt davon.

Mehr als hundert Seeleute beteiligten sich jetzt am Lenzen. Der Schweiß stand auf ihren Gesichtern, sie arbeiteten verbissen, doch immer wieder schoß das Wasser gurgelnd und schäumend durch die großen klaffenden Lecks, deren Abdichtung so schwer fiel. Langsam liefen zwei Räume voll. Die Dschunke sank tiefer, aber sie würde nicht untergehen, das stand fest. Die anderen Schotten hielten dem Wasserdruck stand. Sie konnten, wenn auch nur langsam und voller Mühe, zurücksegeln. Aber diese Schande!

Kapitän Owang ging in seine Kammer. Dort blieb er vor den Bildern seiner Ahnen stumm stehen und betrachtete lange den kleinen Miniaturschrein aus gelacktem Holz.

Er empfahl seine eine Seele Shang-Ti, die andere dem Kriegsgott Kuan Yü, der ihn so schmählich im Stich gelassen hatte.

Dann griff er nach dem kurzen Krummschwert, setzte es auf die Stelle, wo sich sein Herz befand, griff mit beiden Händen nach dem Knauf des Schwertes und stieß es sich mit einem Ruck in den Körper.

Schwer stürzte er zu Boden und war Augenblicke später tot.

Noch am selben Tag erfuhr der Kuan von Shanghai alles, was sich draußen auf See abgespielt hatte.

„Owang hat sich selbst durch das Schwert gerichtet“, sagte er zu seinem Nan, der den untersten Rang des T’ang-Adels bekleidete, und dessen Einkünfte aus den Steuern von dreihundert Familien bestand.

Der Nan war Regierender Minister der Wasserwohnviertel. Zudem unterstand ihm der präzise arbeitende und funktionierende Nachrichtendienst. Der Nan unterhielt allein in Shanghai mehr als zweitausend Spitzel und Zuträger, die ihn über alles unterrichteten, was überhaupt wissenswert war.

Er nickte, und wenn er sprach, hatte er eine eigenartige Angewohnheit, die den Kuan immer wieder irritierte.

Er stellte sich bis auf drei Schritte vor den Kuan, vollführte einen tiefen Kotau und ging dann zurück, das Gesicht aber stets dem Kuan zugewandt. Während er zurückging, redete er, bis er sich etwa zehn Schritte vom Kuan entfernt hatte. Dadurch wurde seine Stimme unwillkürlich lauter. Dann ging er dem Kuan wieder entgegen, redete fortwährend und schwieg erst, wenn er wieder drei Schritte vor dem Kuan stand.

„Ich hörte es, großer Kuan“, sagte er, wobei er sich entfernte. „Ich bin erschienen, um es dir mitzuteilen. Owang hat die Soldaten des Gelben Meeres beschämt, er tat gut daran, sich zu entleiben.“

Jetzt hatte der Nan den zehnten Schritt erreicht und blieb stehen.

Eine tiefe Verbeugung aus der Ferne erfolgte.

„Wenn es dem großen Kuan recht ist, werde ich meine kümmerlichen bescheidenen Dienste anbieten und meine unwürdigen Diener mit der Botschaft losschicken, man möge auf die Fremden Teufel achten.“

Sieben Schritte waren abgelaufen, der Nan stand drei Schritte vor seinem Herrn und hörte auf zu sprechen.

Wie er das immer wieder schaffte, blieb dem Kuan ein Rätsel, das ihn stets aufs neue verwirrte. Der Kuan selbst war ein Mann weniger Worte, er lehnte auch die blumenreiche Ausdrucksweise ab und begnügte sich mit knappen Redensarten.

„Ich überlege, ob wir die anderen Fremden Teufel, die sich noch im Hafen befinden, nicht ins Gefängnis werfen, auspeitschen lassen und sie später zur Arbeit an der großen Mauer verurteilen.“

Der Nan nahm seine Wanderung wieder auf.

„Ach ja“, sagte der Kuan schnell, „die Botschaft. Lasse sie bis in die nördlichsten Provinzen verbreiten.“

„Ich werde dir dienen, großer Kuan!“

„Wolltest du noch etwas sagen?“

„Fremde Teufel sind und bleiben Fremde Teufel“, sagte der Nan mit fester Stimme. „Aber es ist mir zugetragen worden, daß sich kein einziger dieser fremden Teufel an der Schlacht im Hafen beteiligt hat. Auch hat sich keine Hand gerührt, um die angeklagte und zum Tode verurteilte Piratin zu befreien.“

„Ist das sicher?“

„Es ist ganz sicher, großer Kuan. Meine unwürdigen Beobachter irren sich nicht.“

Der Kuan seufzte. Dann hob er matt die Hand und rettete mit dieser Bewegung eine ganze Schiffsmannschaft vor unmenschlich harter Strafe, ohne sich etwas dabei zu denken.

„Sie mögen hier verweilen“, sagte er. „Aber sie dürfen den Hafen nicht verlassen. Nun geh und sorge dafür, daß die nördlichen Provinzen alles erfahren. Der jeweilige Mandarin wird dann das veranlassen, was er für richtig hält.“

Damit war der Nan entlassen. Er verbeugte sich tief und verließ den Raum, indem er rückwärts hinausging.

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