Seewölfe - Piraten der Weltmeere 370

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 370
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-767-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die Brautfahrt des Old O’Flynn

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

2. März 1594.

Kurz vor Sonnenaufgang begann der Mahlstrom auf der Schlangen-Insel brodelnd in den Atlantik zu laufen.

Für die „Le Vengeur“ unter Jean Ribault war das der günstigste Zeitpunkt zum Auslaufen.

Kaum tasteten die ersten Strahlenfinger der Sonne über die östliche Kimm, ließ Ribault die Segel setzen. Der Sog erfaßte die „Le Vengeur“ und trieb sie in halsbrecherischem Tempo hinaus. Immer schneller werdend, durchsegelte sie Passage und Höllenriff und glitt unter vollem Preß in den Atlantik hinaus.

Jean Ribaults Patrouillendienst um die Schlangen-Insel bis hin zu Coral Island begann.

Dieser Wachtörn war vom Bund der Korsaren aufgrund schlechter Erfahrungen beschlossen worden und wurde nun ständig durchgeführt, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.

Für etwa drei Tage würde Ribault unterwegs sein und die Stützpunkte in weitem Bereich umtörnen. Der Sektor umfaßte die Windward-Passage, die Insel Tortuga sowie die Caicos- und Turks-Inseln.

Kehrte Jean wieder zurück, unternahm das nächste Schiff den Wachtdienst. So war „rund um die Uhr“ gewährleistet, daß sich keine Schnapphähne, Galgenstücke oder Spanier den Stützpunkten unbemerkt nähern konnten. Die Inseln mußten ihr Geheimnis wahren.

In der Bucht lagen jetzt die mit reicher Beute heimgekehrte „Isabella“, die Perlen-Galeone „Santa Clara“, die „Tortuga“ und der Schwarze Segler des Wikingers Thorfin Njal. Hasards Vetter, Arne von Manteuffel, befand sich mit der „Wappen von Kolberg“ in Havanna.

Der Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate hatte seinen morgendlichen Aufstieg in die Berge und Hügel beendet, den Sonnenaufgang genossen, seine stille Andacht für sich selbst abgehalten und sah der „Le Vengeur“ nach, die als heller Fleck nach Osten segelte. Sie segelte genau in die aufgehende Sonne hinein, und für einen Augenblick sah es so aus, als würde sie Feuer fangen.

Ramsgate kurbelte den Werftbetrieb an. War die Sonne aufgegangen, wurde gearbeitet, das war bei ihm schon immer so, und daran würde sich auch nichts ändern. Gleich darauf herrschte Hochbetrieb, und die Arbeit nahm ihren Verlauf.

Auf der Slipanlage lag die „Empress of See II.“ und ging der Vollendung entgegen. Sie war schon einmal zu Wasser gelassen, dann aber wegen einer Arbeit am Schwarzen Segler erneut auf geslipt worden.

In etwa zwei Tagen, so schätzte Ramsgate, konnte die dreimastige Karavelle dann endgültig vom Stapel laufen. Dann war Old O’Flynns großer Wunschtraum endlich erfüllt.

Fürwahr, dachte Ramsgate, die Karavelle ist wirklich ein feines Schiffchen, da brauchte er sich nicht selbst zu loben, das wurde ihm immer wieder bestätigt.

Allerdings hatte es wegen der Karavelle zwischen ihm und dem alten O’Flynn auch einen heftigen kurzen Streit gegeben.

Als O’Flynn von der Amerika-Reise zurückgekehrt war, entzückte ihn der Neubau, und er strich grinsend darum herum.

„Prächtig, prächtig“, lobte das alte Rauhbein. Dann wurde sein Blick hart und starr.

„Ein Zweimaster“, sagte er gallig, „soso, Zweimaster. Wieso hat sie nicht drei Masten?“

Hesekiel, der von dem störrischen Alten einiges gewohnt war, ließ sich durch das Gemotze nicht aus der Ruhe bringen.

„Deine alte ‚Empress‘ hatte auch nur zwei Masten“, sagte er ruhig.

Old O’Flynn fuhr fast aus der Haut. Er stampfte mit seinem Holzbein auf und blitzte Ramsgate an.

„Bist du auf der ‚Empress‘ gefahren oder ich, was? Ich fuhr auf dem Schiff, ich, Donegal Daniel O’Flynn. Und ich weiß verdammt genau, daß sie drei Masten hatte und nicht lausige zwei. Schließlich bin ich ja lange genug auf ihr gefahren.“

„Das sagtest du schon, und ich glaube dir das ja auch, Donegal“, meinte Ramsgate, immer noch ruhig. „Aber du hast immer nur von zwei Masten gesprochen. Das weiß ich genau, denn ich habe mich haarklein an deine Angaben gehalten.“

„Eben nicht. Hast du nicht, Hesekiel Ramsgate. Du hast nur zwei Masten gebaut, obwohl die ‚Empress‘ drei hatte. Und ich will verdammt sein, wenn sie nur zwei hatte. Schließlich kann ich noch bis drei zählen.“

Jetzt schwoll auch Ramsgate der Kamm, denn der kauzige Alte steigerte sich immer mehr in sein Gemotze hinein und wurde immer lauter. Schon zum x-ten Male brüllte er, er hätte gesagt, daß die „Empress“ drei Masten hätte, und das wiederholte er so lange, bis Ramsgate sauer wurde und sich eine Menge Schaulustiger einfanden, die entzückt dem Disput lauschten.

„Ich streite mich nicht mit dir herum!“ schrie Ramsgate. „Zwei Masten waren vereinbart, nicht drei!“

„Drei habe ich gesagt und nicht zwei!“ brüllte Old O’Flynn so laut, daß man es über die ganze Bucht hörte.

Schließlich gab Ramsgate zähneknirschend nach.

„Also gut, du sturer Bock. Drei Masten. Sonst noch etwas? Darf’s vielleicht auch noch ein schwenkbarer Nachttopfhalter aus Holz sein? Oder hast du andere Wünsche?“

„Ich will drei Masten, verdammt – und keinen Nachttopfhalter. Auf der ‚Empress‘ hatten wir …“

„Halt jetzt endlich dein Maul!“ schrie Hesekiel entnervt. „Du kriegst ja deinen dritten Mast! Meinetwegen kannst du auch zehn Masten kriegen und aus deiner Zwerg-Karavelle einen Wald bauen!“

„Also gut, Hesekiel, drei Masten“, schnaufte Old O’Flynn empört, „und weil du das verbockt hast, will ich noch eine Galionsfigur vorn am Bug haben.“

„Die hängen meistens vorn am Bug“, sagte Ramsgate trocken. Seine Augen zogen sich listig zusammen, und der alte Baumeister grinste ein wenig, aber das sah O’Flynn nicht, aufgebraßt wie er war.

„Wie soll sie denn aussehen?“ fragte Hesekiel lauernd.

„Na, eben ein Prachtweib, einen Arm weit in die See gereckt, knackig, vollbusig-mundig und richtig handig.“

„Das ist ja eine tolle Beschreibung“, sagte Hesekiel verwundert. „Was versteht man denn unter handig oder mundig?“

„Na, eben das Knackige, du verstehst schon. Sie soll auch ein paar – äh – na – eben Dings haben, wenn sie durch die See rauscht.“

„Busen meinst du.“

„Ja, zwei Stück natürlich.“

„Genügt nicht ein Busen?“

Die umstehenden Kerle begannen bereits zu wiehern wie die Hengste.

„Na ja, einen nebeneinander“, sagte O’Flynn, „genaugenommen also zwei einzelne.“

„Hatte die auf der ‚Empress‘ nicht drei?“

„Zwei“, sagte Old O’Flynn. „Ich habe sie persönlich abgeschrubbt, weil unser Moses noch zu jung dafür war. Das weiß ich genau.“

„Alles nach deinen Wünschen“, sagte Ramsgate. „Und nun troll dich, damit wir endlich weiterarbeiten können. Die Galionsfigur werde ich persönlich schnitzen.“

Das unmerkliche Grinsen in Ramsgates Gesicht entging dem granitharten Alten ebenfalls wieder. Er sah sich noch einmal an Bord um und verschwand wieder. Schließlich sollte das Schiffchen ja bald fertig werden.

So war das gewesen, nach Donegals Heimkehr von der Amerika-Reise.

Jetzt hatte das Ding endlich drei Masten, und unter einem Segelleinen befand sich, den Blicken aller verborgen, die Galionsfigur.

Old O’Flynn, der an diesem Morgen daran vorbeistrich, hätte zu gern mal einen Blick riskiert, hier und da ein bißchen gezupft und nachgeschaut, wie die Lady denn aussah. Aber es gab da eine alte Binsenweisheit, nach der man das nicht tun durfte, sollte das Schiff nicht auf ewig vom Pech verfolgt werden. Da Old O’Flynn aber ein vom Aberglauben und seltsamen Sprüchen geplagter Mensch war, hütete er sich davor, das Unheil herbeizulocken. Bis zum Stapellauf würde er noch warten müssen. Außerdem wollte er ja nicht gleich auf der ersten Reise mit dem Schiff abblubbern, nur wegen der Galionsfigur und so.

Die „Empress of Sea“, die schon lange im Kopf des kauzigen Old O’Flynn herumspukte, war das eine Hirngespinst, wie die Arwenacks damals versichert hatten. Eine idiotische Idee war das, yes, Sir, so dachten sie alle.

Heute war das anders, heute sah das jeder in einem ganz anderen Licht. So ein Schiffchen war nicht zu verachten, es konnte ihnen allen vorzügliche Dienste im Pendelverkehr von der Schlangen-Insel nach Tortuga leisten.

Soweit war alles gut. Old O’Flynn hatte aber auch noch einen anderen Tick. Das war Tick Nummer zwei. Schon vor langem hatte er erklärt, daß auf der Schlangen-Insel eine Kneipe fehle, eine richtige Pinte, hochgezogen am Beispiel der „Bloody Mary“ in Plymouth. Da war immer was los, da wackelten die Wände, da flogen Fässer durch die Gegend, und da wackelte nicht nur der dicke Plymson mit den Ohren, da wackelte mitunter der ganze Hafen.

 

Und was wackelt hier? hatte Donegal gründlich überlegt. Hier wackelten höchstens mal die Haie mit den Flossen, oder die Palmen wackelten bei Sturm ein bißchen.

Hier mußte auch was wackeln, und zwar kräftig. So hatte Old O’Flynn nicht nur beschlossen, die „Empress“ von Ramsgate nachbauen zu lassen, sondern weiterhin hartnäckig mit dem Gedanken gespielt, eine feine Spelunke auf der Schlangen-Insel zu errichten.

Daß die Arwenacks auch darüber – über diese wirklich grandiose Idee – nur Hohn und Spott gegossen und ihn ausgelacht hatten, ließ den Alten kalt wie Gletschereis. Er hatte sich schon im Geist ein paar Namen notiert, wer alles mit Kneipenverbot belegt werden sollte, wenn die Pinte erst einmal stand. Carberry hatte er schon damit gedroht, aber der wiederum hatte eiskalt geschworen, Old O’Flynn könne ihn mal, und er werde schon mal ein bißchen an den Wänden wackeln und unter den Dielen nachsehen und so weiter, vorausgesetzt, der Laden wäre endlich fertig und Old O’Flynn hielte sein Verbot aufrecht.

Die Idee mit der Kneipe schlug jedenfalls voll ein. Plötzlich waren die Kerle alle total begeistert.

Hm, dachte der Alte, Ideen muß man haben, frischer Wind muß wehen, die müden Knochen müssen hochgepurrt werden. Von wegen Tick und so. Die Kerle würden bei ihm Schlange stehen und ihn um Bier anbetteln, das er zusammen mit anderen harten Sachen in Tortuga einkaufen wollte.

Die zwei Ticks des alten O’Flynn waren also abgehakt und zählten nicht mehr als solche. Man betrachtete sie wohlwollend als gute Einfälle.

Aber da war noch etwas: Tick drei nämlich, und schon waren die hellhörigen Kerle wieder mißtrauisch geworden. Später, das wußte das salzwassergetränkte Rauhbein mit Sicherheit, würden sie ihn wieder über den grünen Klee loben.

Eine Kneipe war ja gut und schön. Sie verursachte aber auch viel Arbeit, und die war bei dem Durst der Kerle und dem Hunger von einigen verfressenen Arwenacks kaum allein zu bewältigen.

Es fehlte also eine Beschließerin, eine Wirtschafterin, die nicht nur die Kerle mit Bier und Schnaps erfreute. Nein, sie mußte schon etwas schnuckelig sein, Format haben, deftigen Spaß verstehen und – na ja, eben auch was fürs Herz und so. Eine Lebensgefährtin, wie Old O’Flynn den Faden gründlich spann.

Das würde zwar bei Hasard, Dan und einigen anderen auf Unverständnis oder Probleme stoßen, aber Probleme waren dazu da, daß man sie überwand. Man wird ja schließlich auch nicht jünger, dachte der Alte, und das Wasser vom Jungbrunnen war auf die Dauer auch nichts für Herz und Gemüt.

Old O’Flynn fühlte sich an diesem Morgen frisch und verbraucht. Seine Laune war zwar nicht die beste, denn bisher hatte noch keiner seiner Pläne endgültige Gestalt angenommen, selbst die „Empress“ war ja noch nicht ganz fertig.

Der Alte ging weiter, blieb aber in beachtlicher Entfernung der Werft stehen und sah hinüber. Sein Herz hüpfte bereits vor Freude, als er den Prachtbau auf Slip liegen sah.

Der alte Segelmacher Will Thorne war damit beschäftigt, bereits die Segel für die Karavelle zuzuschneiden und zu nähen, während der Bruder Bens, Roger Brighton, als Takelmeister damit beschäftigt war, das Schiffchen aufzuriggen.

Leise kichernd rieb sich Old O’Flynn die Hände und verzog sein Gesicht zu einem Gebilde aus Runzeln und Falten. Absichtlich ließ er sich auf der Werft nicht blicken, denn Ramsgate hatte ihn mit einer weiteren Weisheit, die natürlich vorn und hinten nicht stimmte, davon abgehalten, ständig an Bord des Neubaues anwesend zu sein. Das bringe Unglück, hatte er gesagt, wenn der Eigner schon vor der Fertigstellung dauernd herumschnüffeln würde. Das würde fast so viel Pech bedeuten wie das heimliche Glotzen nach der Galionsfigur.

So hatten die Männer auf der Werft ihre Ruhe und brauchten sich nicht das ständige Labern des Alten anzuhören. Und O’Flynn war ebenfalls zufrieden, denn nun würde das Schiff ja wohl vom Glück nur so begünstigt sein. Daß sie ihn auf die clevere Art abserviert hatten, kam ihm nicht in den Sinn.

Jetzt wollte O’Flynn in die Felsen entern, um nach einem günstigen Standort für die Kneipe Ausschau zu halten.

Der Schiffszimmermann Ferris Tucker lief ihm über den Weg. Auch er half bei Ramsgate mit, die „Empress“ fertig zu bauen, und war mit allerlei Arbeiten beschäftigt.

Donegal war so in seine Gedanken versunken, daß er heftig zusammenzuckte, als Ferris ihn ansprach.

„Wo willst du denn hin, old Man?“

„Old Man?“ Im Nu war der Alte gereizt. „Du spinnst wohl, du rothaariger Stiesel. Was heißt hier old Man? Ich bin gerade ein paar Tage älter und vernünftiger als du. Wenn ich das noch mal höre, dann kannst du dein Bier künftig in Tortuga saufen, aber nicht in meiner Kneipe. Du bist schon der vierte, den ich auf der Latte habe.“

„Nun reg dich mal nicht auf, young Man“, sagte Ferris.

„Young Man ist erst recht eine Beleidigung!“ rief O’Flynn. „Das hört sich provozierend an, weil ich nicht mehr der Jüngste bin. Aber auch nicht der Älteste.“

„Dann einigen wir uns doch auf middle Man“, sagte Ferris anzüglich.

„Denk an das Bier“, drohte O’Flynn. „Es ist nicht schön, draußen vor der Kneipe zu stehen, wenn die anderen saufen. Du und der Profos, ihr werdet das sonst noch bereuen. Ich bin nämlich auf dem Weg zur neuen Kneipe.“

„Ah ja“, sagte Ferris erschüttert. „Und wo steht die, bitte?“

„Ich suche gerade den Platz dafür, wo sie bald stehen wird. Deshalb bin ich unterwegs.“

Ferris pfiff leicht durch die Zähne. Offenbar setzte O’Flynn seine wundersamen Pläne jetzt in die Tat um.

„Ich werde dich begleiten, Donegal“, sagte er versöhnlich, „mit deinem Holzbein in den Bergen herumzusteigen, ist gefährlich. Dann suchen wir zusammen einen Platz, und falls du Schwierigkeiten beim Laufen hast, bin ich ja in der Nähe.“

O’Flynn sah den Zimmermann an, als hätte der den Verstand verloren.

„Glaubst du vielleicht, ich brauche ein Kindermädchen?“ rief er aufgebracht. „Ich kann mit meinem Holzbein noch höher hinauf als du mit deinen roten Borsten. Verschwinde, kümmere dich um die ‚Empress‘ und paß auf, daß alles richtig getan wird. Hau jetzt ab, Mister Tucker, und laß mich in Ruhe. Außerdem bestimme ich den Platz selbst, wo meine Kneipe stehen wird.“

„Mann, der spinnt ja mal wieder total“, sagte Ferris verwundert und blickte dem davonhumpelnden Alten kopfschüttelnd nach. Er winkte mit der Hand entsagungsvoll ab und kehrte zur Werft zurück.

Old O’Flynn aber bereitete sich jetzt auf seine Kletterpartie vor. In der Ostseite der Bucht stieg er langsam auf. Unter ihm befand sich der langgezogene Strand mit der großen Innenbucht, und vor ihm, noch hoch in den Felsen, standen die ersten Hütten. Dazwischen und davor gab es unbebaute Plätze, Felsen, Felsbrocken und große Steine.

Die Sonne brannte heiß herab. Wabernde Glut wurde von den Felsen gespeichert und allmählich zurückgestrahlt.

Aber der mühevolle Aufstieg entschädigte O’Flynn durch den einmaligen Ausblick, den er von hier genoß.

Das Wasser der Bucht schimmerte blau, der Strand war fast weiß, und er konnte von hier aus schräg durch die Einfahrt der Insel sehen.

Auf der Werft arbeiteten die Männer, und von hinten aus der Bucht schimmerte etwas grell herauf. Erst nach einer Weile merkte O’Flynn, daß es der Helm des Wikingers Thorfin Njal war, der grell in der Sonne funkelte.

Etwas langsamer kletterte der Alte weiter. Es war doch verdammt anstrengend, und die ersten Schweißtropfen erschienen auf seiner Stirn.

Er erreichte eine felsige Plattform, wollte ein bißchen verschnaufen und sah sich um. Während er den herrlichen Ausblick wiederum genoß, stellte er auch gleichzeitig fest, daß sich diese felsige Plattform vorzüglich eignen würde, um darauf eine Kneipe zu errichten. Nicht übel, dachte er, wie geschaffen dafür. Der Aufstieg war auch nicht so schlimm, ganz besonders für die anderen nicht, und später konnte man dann einen herrlichen Pfad mit ein paar Treppen in die Felsen schlagen. Na ja, und ein Geländer vielleicht auch. Doch, ganz bestimmt sogar, denn so manch einer würde sich festhalten müssen, wenn er wieder nach unten törnte. Vielleicht sollte man die Kerle auch abseilen, überlegte er.

Händereibend und immer noch schwitzend, ging er auf der Plattform weiter, die von einem weiteren Felsen abgeschlossen wurde. Dort ging es noch höher hinauf.

Old O’Flynn setzte sich mit dem Rücken gegen den hinter ihm ansteigenden Felsen und malte sich in Gedanken aus, wie es wohl sein würde, wenn die Kneipe erst einmal stand. Er befand sich jetzt ungefähr hundertsechzig Fuß hoch über der Bucht. Ein Klacks für die Kerle, die richtigen Durst hatten.

Ein paar Minuten verschnaufte er noch, bis der Atem wieder ruhiger wurde und seine Lungen nicht mehr stachen.

Dann stemmte er sich hoch, drückte mit der Hand hinter sich gegen die Felsenwand, um sich abzustützen, und wollte hoch.

Es war nicht viel Kraft dazu nötig, und er hätte darauf geschworen, daß er wirklich nicht hart zugedrückt hatte.

Und doch zerbarst die Felswand unter seinen haltsuchenden Händen und splitterte auseinander.

Old O’Flynn brachte vor Entsetzen nicht mal einen Fluch über die Lippen, denn ein großer Teil der Felswand krachte weg.

Die Felswand war keine Felswand, aber das wußte der Alte natürlich nicht. Das wußte überhaupt niemand auf der Schlangen-Insel, die immer wieder für Überraschungen gut war.

Es handelte sich um übereinandergeschichtete Holzstämme, die den Eingang in den Berg geschickt verbargen und haargenau eingepaßt waren. Im Laufe vieler Jahre aber hatten die Stämme Moos und Flechten angesetzt, so daß sie sich von dem Felsen durch nichts unterschieden.

Jetzt, morsch, brüchig, verfault und von den Moosen und Flechten durchdrungen, gaben die Holzstämme nach.

Old O’Flynn sauste rückwärts durch ein dunkel gähnendes Loch, segelte über ein paar grobbehauene Stufen und landete hart auf dem Boden.

Erst jetzt stieß er einen gotteslästerlichen und ellenlangen Fluch aus.

Dann stand er mühsam auf, immer noch laut schimpfend.

2.

„Da soll mich doch der Satan braten“, knurrte er. Er rieb sich seinen Achtersteven und sah sich verblüfft und erstaunt um. Seine Augen wurden immer größer. „Das gibt’s doch nicht.“

Verdattert ging er ein paar der Stufen zurück und sah auf die morschen Holztrümmer, die mit heruntergefallen waren. Kopfschüttelnd stellte er fest, daß es wirklich faules Holz war. Früher einmal mußte diese Grotte – oder was immer das sein mochte – so verkeilt gewesen sein, daß man von außen nichts sah.

„Das gibt’s doch nicht“, sagte er noch einmal, „hier hat es schon andere Besucher gegeben.“

Ein paar Augenblicke stand er unschlüssig herum. Dann erwachte seine Neugier, und er humpelte tiefer in die Kaverne. Man konnte sehr bequem aufrecht darin gehen, ohne sich den Kopf zu stoßen.

Zu seinem allergrößten Erstaunen gab es in der Kaverne zahlreiche Nischen und fast glattbehauene Wände.

Old O’Flynn wurde das Gefühl nicht los, als hätte vor ihm schon einmal jemand den feinen Gedanken gehabt, hier eine Kneipe einzurichten. Nur hatte der Unbekannte das bereits geschafft, wie der Alte vermutete.

Das sieht ja fast so aus wie bei Diego in der „Schildkröte“ auf Tortuga, dachte er benommen. Nur ein wenig kleiner.

Er ging in die Nischen, klopfte die Wände ab und grinste über das ganze runzelige Granitgesicht. Er stand vor einer unglaublichen Entdeckung.

„Na, die werden aber die Klüsen aufreißen“, sagte er halblaut, „wenn die feststellen, daß meine Kneipe schon fast fertig ist. Der Kerl hätte auch gleich die Einrichtung dalassen können.“ Und das Bier auch, setzte er in Gedanken hinzu. Jetzt hätte er einen kühlen Schluck brauchen können.

Wie ein grinsender Kobold stand er da, betrachtete „sein“ Reich und malte sich bereits in Gedanken aus, wie die Kerle hier soffen, wenn erst einmal Bänke, Tische und Stühle in der Kneipe standen. Er suchte auch schon krampfhaft nach einem Namen, doch ihm fiel keiner ein. Ja, das war genau das, was ihm vorschwebte, das war ein Geschenk des Himmels, extra für Old O’Flynn vom Herrgott persönlich angefertigt und auf die Schlangen-Insel gestellt.

 

Jetzt packte ihn ein regelrechtes Entdeckerfieber, denn er sah, daß „seine“ Kneipe nicht auf den vorderen Teil beschränkt war, sondern noch tiefer in den Felsen führte.

Er wurde immer erregter, humpelte weiter, sah sich um und begann zu schnaufen. Das kann ja wirklich und wahrhaftig nicht wahr sein, dachte er benommen, denn nun tat sich am Ende der Kaverne ein höhlenartiger Gang auf. Er sah aus wie ein mannshoher Schlauch. Zwei Männer konnten gerade noch nebeneinander hergehen.

Dieser Höhlengang knickte mit seinem letzten Ende der Kaverne leicht nach Norden ab. O’Flynn humpelte aufgeregt hinein, durchquerte den Gang und fand sich zu seiner grenzenlosen Verblüffung in einer weiteren Kaverne wieder.

Das Licht fiel hier nur noch schummrig ein, und er peilte aufgeregt nach rechts und links, wo es ebenfalls wieder Nischen gab.

Dann stieß der Alte einen überraschten Schrei aus, als er dorthin blickte, wo die Kaverne offenbar endgültig zu Ende war und eine roh behauene Felsenwand sie abschloß.

Er zwinkerte ein paarmal und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Dann schloß er ungläubig beide Augen und war gespannt, ob das Bild wohl verschwand, wenn er sie wieder öffnete. Er öffnete nur das rechte Auge und blinzelte wieder. Aber das Bild blieb.

Direkt an der hinteren Felswand, am Abschluß der Kaverne, stand eine große eisenbeschlagene Holztruhe. O’Flynn schluckte krampfhaft, denn diese Truhe sah verlockend aus und war sozusagen die Krönung des Ganzen. Eine Zeitlang stand er wie erschlagen in der Kaverne, musterte die Truhe, kicherte leise, schüttelte den Kopf und wunderte sich.

Himmlische Überraschungen stehen mir bevor, dachte er, und damit hatte er recht, es standen ihm wirklich ein paar Überraschungen bevor, wenn sie auch nicht gerade himmlischer Art waren.

Jetzt gab es für ihn kein Halten mehr, denn die Truhe stand ganz sicher nicht leer herum. Und der Unbekannte hatte den Eingang auch nicht wegen einer leeren Truhe getarnt.

Da war was drin. Klunkerchen, Edelsteine, Gold, Perlen, Silber, die ganze Hinterlassenschaft eines Piraten, wie er vermutete.

Mit ausgestreckten Händen humpelte er auf die Truhe zu. Das war die nächste Überraschung. Der Klunkerkasten mit den Eisenbeschlägen blieb unerreichbar.

Unter Old O’Flynn, fast genau einen Schritt vor der Truhe, gab plötzlich der Boden nach, und der alte Donegal begab sich auf eine Höllenreise, die ihm noch lange unangenehm in Erinnerung bleiben sollte.

Mit den Füßen voran, das Holzbein waagerecht von sich gestreckt, sauste er in einer Art Röhre blitzschnell abwärts. Er kam auch nicht mehr zum Fluchen, er kriegte kaum noch Luft. Er hatte lediglich ein paar Augenblicke Zeit, sich mächtig über die Heimtücke zu empören, mit der es ihm jetzt ans Leder ging.

Immer sausender, immer schneller wurde die Höllenfahrt. Er flitzte wie auf der berüchtigten Totenrutsche von Tortuga schräg in die Tiefe.

Er griff in seiner Angst wild um sich, doch da gab es nichts zum Halten. Alles um ihn herum war glatt und wie poliert. Und es war dunkel wie in König Artus’ Grab.

Dann schimmerte ganz schwach das Licht am Ende der Röhre. Der Alte auf seiner Höllenrutsche sah, daß die verdammte Röhre jetzt zu Ende war und daß er gleich mitten in der Luft hängen würde. Aber die würde ihn nicht lange tragen, und so machte er sich auf etwas gefaßt.

Dann spie ihn die Röhre aus, und ein warmer Wind blies Old O’Flynn sekundenlang um die Ohren. Immer noch mit waagerecht vorgestrecktem Holzbein und total verbiestert und verärgert, sauste er schräg durch die Luft.

Unter ihm war eine blaue Wand, die er sich im ersten Augenblick nicht erklären konnte. Er war so verwirrt, daß er nicht wußte, was nun oben oder unten war. Das Blau konnte das Wasser sein – oder auch der Himmel. Aber der Himmel war ziemlich unwahrscheinlich.

Es war das Wasser. Noch bevor O’Flynn Luft holen konnte, schoß er dort wie eine Kanonenkugel hinein. Es schäumte hoch auf, O’Flynn ging auf Tauchstation und begann, wie ein Irrer mit den Armen zu rudern.

Gurgelnd, wasserspuckend, laut fluchend und prustend gelangte er nach Ewigkeiten, in denen er sich halberstickt glaubte, endlich wieder an die Oberfläche. Für seine wundersame Rettung hatte er jedoch nicht ein Wort des Dankes übrig. Er zeterte und brüllte, schlug um sich und verfluchte lauthals die ganze Schlangen-Insel samt ihren „Scheißhöhlen“ und „lausigen Totenrutschen“. Nein, Dankbarkeit konnte man das ganz gewiß nicht nennen. Dazu war O’Flynn nicht in der richtigen Stimmung.

Das Wasser schäumte immer noch an jener Stelle, die seinen Sturz gebremst hatte. Er warf einen schnellen Blick nach oben und stellte erschrocken fest, daß er mindestens fünfzig Fuß durch die Luft geflogen war. Das ließ ihn noch nachträglich zusammenzucken.

Verdammt, eben war er noch hoch oben auf dem Berg gewesen, und jetzt befand er sich in der östlichen Außenbucht der Schlangen-Insel tief im Wasser. Das wollte ihm einfach nicht in den Schädel.

Aber er mußte schleunigst wieder an Land.

Merkwürdigerweise brodelte das Wasser immer noch an jener Stelle, in die er hineingedonnert war. Er hatte alles gut überstanden, seine Knochen waren noch heil, und er mußte nur ein in der Bucht liegendes Riff umschwimmen, dann war er wieder an Land.

Doch heute war ein Tag, da war der Satan offenbar persönlich auf Erden erschienen, um Old O’Flynn in Angst und Schrecken zu versetzen. Vielleicht mußte er jetzt auch für die Kneipe bezahlen, die er ja umsonst gekriegt hatte.

Als an der brodelnden Stelle nacheinander zwei gezackte Flossen auf dem Wasser erschienen, wußte O’Flynn, wo heute die Glocken hingen.

Er stieß einen spitzen Schrei aus und wollte zum Strand der kleinen Bucht paddeln. Doch der war zu weit entfernt, das Riff war näher, und die Haie hatten so eine Art, ihm den Weg abzuschneiden, als wüßten sie ganz genau, was er vorhatte.

Vergessen waren für Augenblicke die Rutsche, die Kaverne und selbst die Truhe des unbekannten Piraten. Old O’Flynn empfand nackte Angst, fast Panik. Eine dritte Flosse tauchte auf und pfeilte durch das Wasser auf Old O’Flynn zu. In seiner Angst stieß und schlug er um sich, und neben der höllischen Angst empfand er auch eine grenzenlose Wut auf die freßbegierigen Biester. Die waren in der Lage und vermasselten ihm die ganze Sache mit der Kneipe, und dann würde der Profos sie vielleicht übernehmen. Oder Will Thorne, während Old O’Flynn in einem Haifischmagen ruhelos durch die Meere schwamm.

Wut und Angst verliehen ihm Kräfte. Er schwamm auf das Riff zu, brüllte zweimal laut um Hilfe, um die Biester abzuschrecken, und zog sich hastig hinauf.

Dort mußte er eine ganze Weile verschnaufen, denn er hatte in der kurzen Zeit mehr Strapazen hinter sich als sonst in einem Monat.

Er hockte auf dem Riff und fluchte, drohte den Haien, die das Riff umkreisten, wütend mit der Faust und sah dann nach oben. Das Loch in der Felswand war deutlich zu sehen. Es war eine ziemlich große Röhre, vielleicht vom Regenwasser im Laufe der Jahrtausende geschaffen oder …

Mit einem Schreckensschrei fuhr Old O’Flynn hoch und zog sich etwas weiter auf das Riff zurück. Aber das Riff war klein und ließ ihm nicht viel Spielraum.

Einer der Haie war jetzt so nahe, daß Old O’Flynn deutlich sein Auge sah. Das Biest war riesig groß und angriffslustig. Es schnappte aus dem Wasser heraus nach dem Alten, der wütend losfluchte, um seine Angst zu verbergen. Ja, Angst hatte er zweifellos, aber Old O’Flynn war auch einer von der harten Sorte, und jetzt packte ihn eine unglaubliche Wut, weil die Haie ihn ständig umkreisten und nach ihm schnappten.

Eine feine Situation war das. An Land konnte er nicht, und ob sein Brüllen und Zetern jemand hörte, war sehr fraglich. Aber zur Wehr setzen mußte er sich gegen die Biester.

Old O’Flynn schnallte sein Holzbein ab und nahm es wie einen Prügel in die Hand. Einer der Haie kam ganz dicht heran, und da schlug der Alte mit voller Kraft und brüllender Stimme zu. Der Schlag erwischte den Hai auf seinem empfindlichsten Körperteil, genau auf der vorgereckten Nase.

„Ha!“ brüllte Old Donegal. „Das schmeckt euch nicht, was? Euch werde ich es zeigen! Platsch und platsch!“

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