Seewölfe - Piraten der Weltmeere 78

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 78
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-395-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Der Abend senkte sich über den Hafen von Nuevitas. Die Sonne war hinter den Bergspitzen der spanischen Siedlung verschwunden, und die Menschen atmeten auf. Denn trotz der Nähe der offenen See war es in Nuevitas heiß, die Glut der Sonne fing sich in den Felsen, den Seewind schirmte die große vorgelagerte Insel ab, die aber auch zugleich eine natürliche Schutzbarriere für die Bucht bildete. Denn das war der Vorteil der Bucht von Nuevitas: der gutgeschützte Hafen bot Zuflucht vor jedem noch so schweren Sturm, die dort ankernden Schiffe befanden sich in Sicherheit. Außerdem ließ sich die etwa zehn Meilen lange Einfahrt, die an ihrer breitesten Stelle etwa eine Meile maß, leicht kontrollieren. Ungebetene Eindringlinge hatten keine Chance, ungeschoren an den Befestigungen vorbeizusegeln.

Im Palast des Alkalden gingen die Lichter an. Don Fuega betrat den Speisesalon mit schnellen Schritten. Unter der breiten Tür blieb er stehen und blickte die Gäste, die sich zum Festmahl versammelt hatten, aus seinen kohlschwarzen Augen an. Gleichzeitig fuhren die Finger seiner Rechten durch den ebenfalls pechschwarzen Kinnbart.

Er deutete eine leichte Verneigung an, und ein Lächeln huschte über seine Züge.

„Ich freue mich, daß sie meiner Einladung gefolgt sind, Senores, Senoritas. Wie Sie wissen, ist es in Nuevitas Brauch, am Vorabend des Gerichtstages ein Festessen zu geben. Ich werde diese gute Sitte meines Vorgängers beibehalten. Außerdem befürchte ich, daß wir es alle nötig haben, uns für den morgigen Tag zu stärken. Denn sicherlich wird der morgige Tag für etliche Bösewichter der letzte sein!“ Wieder deutete er eine leichte Verneigung an, aber das Lächeln, das jetzt auf seinen Zügen lag, war grausam.

Einige der Gäste, die Don Fuega bei seiner kurzen Ansprache angesehen hatten, spürten, wie ihnen eiskalte Schauer über den Rücken krochen. Sie kannten den Alkalden, sie wußten, wie grausam dieser Mann Gericht hielt. Don Fuega ergötzte sich an den Qualen seiner Opfer. Niemand wurde jemals verurteilt, ohne vorher gefoltert zu werden. Öffentlich, unten am Hafen. Dort, wo sich auch die Richtstätte auf einem roh gezimmerten Podest aus schweren Bohlen befand.

Der Alkalde setzte sich und zog mit einer raschen Bewegung den Stuhl näher an den Tisch heran. Gleichzeitig beugte er sich zu einem Mädchen, das zu seiner Rechten saß. Die Züge des Mädchens wirkten verkrampft, obwohl sie sich Mühe gab, das zu verbergen, besonders vor Don Fuega.

„Ich freue mich ganz besonders, daß Sie nun doch meiner Einladung gefolgt sind, Maria. Ich ersehe daraus, daß Sie sich meinen Vorschlag überlegt und Vernunft angenommen haben. Ich denke, wir werden uns später über alles unterhalten und vielleicht einen Weg finden, einen gewissen José vor dem Henker zu retten. Also, Kopf hoch, Senorita, so manche Nacht hat schon ihr kleines Geheimnis gehabt!“

Er strich ihr leicht und rasch über die Schenkel, ohne daß einer der Anwesenden das sehen konnte.

Maria spürte, wie sie wieder der Ekel zu übermannen drohte. Sie haßte den Alkalden. Sie wußte auch ganz genau, daß ihr geliebter José einer Intrige zum Opfer gefallen war, und zwar zu dem Zweck, sie den Plänen Don Fuegas gefügig zu machen. Außerdem rächte sich der Alkalde auf diese Weise dafür, daß sie ihn in aller Öffentlichkeit hatte abblitzen lassen.

Don Fuega schenkte ihr Glas voll Wein. In der dunkelroten Flüssigkeit brach sich das Licht der Kerzen, die den Speisesalon erhellten. Einen Moment hatte Senorita Maria das Gefühl, als fließe Blut über den Tisch. Vor ihren Augen drehte sich alles, aber sie zwang sich eisern wieder zur Ruhe. Es hing jetzt alles davon ab, daß sie nicht die Nerven verlor.

Der Alkalde hatte einen schweren Fehler begangen, José in den Gefängnisturm werfen zu lassen. Denn er hatte nichts weiter getan, als ein blutjunges Indianermädchen am vergangenen Markttag vor den Zudringlichkeiten einiger Soldaten zu schützen. Unter den Indios, die am meisten unter der Grausamkeit des Alkalden zu leiden hatten, gärte und brodelte es seit langem. Jenes Mädchen aber, das José beschützt hatte, war die Tochter eines alten Mayapriesters, dessen Herkunft in einem geheimnisvollen Dunkel lag. Aber die Indios verehrten den Alten, der außerhalb der spanischen Siedlung in einer Höhle wohnte. Er heilte sie, wenn sie von Krankheiten befallen wurden, er half den Sterbenden, und er rief die Indios immer wieder auf, nicht den Mut sinken zu lassen. Die weißen Teufel würden eines Tages auch wieder verschwinden, man müsse alles tun, um ihnen heimlich zu schaden, man müsse sie bekämpfen, aber auf eine Art, die sie nicht kannten. Und bald, sehr bald würde die Stunde der Vergeltung über die fremden Eindringlinge hereinbrechen.

Von alledem ahnte Don Fuega nichts.

Gleichfalls ahnte er nicht, daß sich ihm das Verhängnis noch von einer ganz anderen Seite her näherte, und daß es von nun an unerbittlich seinen Lauf nehmen würde.

Wieder prostete er der blutjungen und atemberaubend schönen Senorita an seiner Seite zu. Und schon malte er sich in Gedanken aus, wie er sie in seine Arme nehmen, wie er sie küssen und ihr die Kleider vom Leib streifen würde, wenn dieses verdammte Mahl erst beendet war. Inzwischen wollte er allerdings dafür sorgen, daß sie genügend Wein zu trinken kriegte.

Zu dieser Stunde sichtete der Posten an der Einfahrt einen Verband von drei Schiffen, die sich unter vollen Segeln der vorgelagerten Insel näherten und auf die Felsnase zuhielten, die den Beginn der schmalen Einfahrt bildete.

Als die Schiffe nahe genug heran waren, erkannte er, daß es sich um eine schwerarmierte Galeone und zwei ebenfalls ungewöhnlich gut bestückte Karavellen handelte.

Sofort gab der Posten Alarm. Denn in der Hafenbucht von Nuevitas ankerten ein paar große Galeonen, die bis oben hin mit Schätzen aus der Neuen Welt beladen waren und auf das Geleit nach Havanna warteten.

Natürlich konnten die drei Schiffe dieses Geleit sein, das der Alkalde wegen der verheerenden Verluste, die unbekannte Freibeuter den Spaniern in letzter Zeit immer wieder zugefügt hatten, angefordert hatte. Es war vom spanischen Gouverneur in Havanna striktes Verbot ergangen, daß Kauffahrer künftig ohne Geleit segelten, sei es auch nur, um zum Sammelpunkt zu gelangen. Zuwiderhandlungen bedrohten Kapitän und Steuermann mit der Todesstrafe.

Eben wollte der Posten einen seiner Meldereiter losjagen, um das in der Einfahrt gelegene Fort zu alarmieren, als die Galeone Böllerschüsse in einem ganz bestimmten Rhythmus abfeuerte.

„Halt, warte, Juan!“ Der Posten griff dem Meldereiter in die Zügel. „Das sind Schiffe von uns!“

Er kniff die Augen zusammen, um die bereits herrschende Dämmerung besser zu durchdringen, während sich die Galeone näher und näher an die Einfahrt heran schob.

„Das Schiff kenne ich doch“, sagte er schließlich, „das ist die ‚Sevilla‘, eins der stärksten Schiffe, über die unsere Leute in Havanna verfügen. Ich habe auf dem Schiff während der Überfahrt in die Neue Welt Dienst getan. Sein Kommandant ist Capitan Roca, einer der schärfsten Hunde, die ich je kennengelernt habe. Wenn der hier auftaucht, dann bedeutet das nichts Gutes, darauf kannst du Gift nehmen!“

Juan sah seinen Sergeanten an.

„Vielleicht will der nur die Kauffahrer abholen …“

Aber der Sergeant unterbrach ihn sofort.

„Nein, glaube ich nicht. Roca ist der militärische Befehlshaber von Havanna. Die ‚Sevilla‘ ist sein Flagschiff, das überläßt er keinem. Weißt du, der Kerl ist von der Sorte, die sich nicht mit ihrem Hintern in einen Palast setzen, er gehört zu denen, die alles selber tun wollen. Er hat schon viele Piraten zur Strecke gebracht, aber Gefangene gibt es keine bei ihm. In diesem Punkt hält er es genauso wie die Halsabschneider von Tortuga und wie diese verdammten Piratennester alle heißen. Er sollte Caligu jagen, aber den hat ja irgend so ein anderer Bursche erledigt.“

„Du meinst den Seewolf?“ fragte Juan, und seine Augen weiteten sich vor Furcht. Er hatte von diesem unheimlichen Korsaren bereits so viel Legenden gehört, daß ihn die Furcht schon bei bloßer Nennung dieses Namens packte.

„Ja, ja, genau den. Man hört da so Gerüchte, der soll neulich wieder ein paar Goldschiffe von uns geschnappt haben, und er soll hier irgendwo einen geheimen Schlupfwinkel haben, den niemand kennt und den man auch nicht finden kann.“

Wieder lösten sich Böllerschüsse, und diesmal antworteten ein paar Kanonen des Forts.

„Los, Juan, reite, oder der Alkalde macht uns die Hölle heiß. Ich fürchte, er wird seine verdammte Fresserei mit den Weibern, die er immer dabei hat, und mit diesem Affenvolk, das sich bei ihm vollfrißt, vorzeitig beenden müssen. Roca fackelt nicht lange. Und der ist bestimmt nicht hier, um sich bei Don Fuega den Wanst vollzustopfen!“

 

Juan grinste. Dann schwang er sich auf sein Pferd und jagte den Pfad zwischen den Felsen entlang, der am Fort vorbei nach Nuevitas führte.

Er hatte etwa die halbe Strecke zurückgelegt, da scheute sein Pferd plötzlich. Juan war zwar ein leidlich guter Reiter, trotzdem flog er aus dem Sattel und landete ziemlich unsanft auf dem harten Felsgestein.

Benommen richtete er sich auf, anschließend begann er zu fluchen.

„Verfluchte Schindermähre!“ schrie er und rieb sich sein Hinterteil. „Was für ein Satan ist in dich gefahren, daß du mich einfach abwirfst, he?“

Er rappelte sich auf, blickte sich um und gewahrte in einiger Entfernung die Umrisse seines Pferdes. Fluchend und ächzend humpelte er den Pfad entlang. Er sah nicht die dunklen Gestalten, die hinter den Felsen kauerten und aus ihren schwarzen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten. Er sah auch nicht, wie einer der Indios sein Blasrohr hob.

Aber Juan hatte Glück, denn ein anderer Indio fiel seinem Gefährten in den Arm.

„Halt, laß ihn. Es ist Juan, er hat noch niemandem etwas zuleide getan. Außerdem würde man sein Ausbleiben bald entdecken, er soll dem verfluchten Alkalden die Ankunft der Schiffe melden. Wir lassen ihn durch, denn dann wird sich die Aufmerksamkeit der Spanier auf die einlaufenden Schiffe richten, und wir haben leichteres Spiel.“

Der Indio setzte sein Blasrohr wieder ab.

„Er ist ein weißer Teufel, wir sollten ihn töten“, sagte er. Aus seinen dunklen Augen starrte er Juan nach, dessen Umrisse langsam in der Dunkelheit verschwammen. Doch dann gehorchte er dem Befehl seines Anführers. Denn eins stimmte – der Soldat Juan war bei den Indios beliebt, er hatte schon manchem von ihnen geholfen.

Juan erreichte sein Pferd. Ächzend zog er sich am Sattel hoch und setzte dann, Verwünschungen ausstoßend, seinen Weg fort.

Die Indios, die den Pfad überwachten, um vor Überraschungen sicher zu sein, kauerten sich wieder hinter die Felsen. Noch war die Zeit zum Handeln nicht da, und die unerwartete Ankunft der drei Schiffe, die die Indios auch bereits erspäht hatten, konnte noch vieles ändern. Wenn sie Erfolg haben wollten, mußten sie sehr vorsichtig zu Werke gehen.

Die Kriegsgaleone „Sevilla“ glitt als erste in die Bucht. Auf den aus schweren Bohlen gezimmerten Piers drängten sich Neugierige, die den Schiffen entgegenstarrten. Die Meldung, die Juan dem Alkalden überbracht hatte, war wie ein Lauffeuer in der Siedlung herumgegangen, außerdem waren die Spanier durch die Böllerschüsse der „Sevilla“ und der Forts an der Einfahrt aufgeschreckt worden.

Etwas im Hintergrund stand Don Fuega. Er beherrschte sich nur mühsam. Aber er durfte sich keinesfalls anmerken lassen, daß er vor Wut über diesen unerwarteten Besuch kochte. Das zerstörte seine Pläne bezüglich der hübschen Senorita für diese Nacht unter Garantie. Don Fuega kannte die „Sevilla“, und er kannte auch Capitan Roca. Daß man Roca inzwischen zum Generalkapitän in Havanna ernannt hatte, wußte Don Fuega noch nicht. Es hätte seine Laune endgültig auf den Nullpunkt gebracht.

Don Fuega starrte der einlaufenden „Sevilla“ aus schmalen Augen entgegen. Dieser Roca war genau das, was er zutiefst verabscheute: ein riesiger Kerl, dessen Narben im Gesicht deutliches Zeugnis der Kämpfe ablegten, die er bereits durchgestanden hatte. Zudem war Roca völlig unbestechlich und unzugänglich und wegen seiner unglaublichen Härte, die er aber auch von sich selbst verlangte, bei allen, die mit ihm zu tun hatten, gefürchtet.

Don Fuega wußte genau, daß Roca ihn, wenn er herausbrachte, auf welche Weise er hier regierte, sofort in Ketten legen, wenn nicht sogar aufhängen lassen würde. Capitan Roca hatte schon des öfteren mit harter Hand der Selbstherrlichkeit so manches Alkalden ein jähes Ende bereitet. Aber die Spanische Krone schien sein Vorgehen zu billigen – warum, das mochte der Satan wissen. Wahrscheinlich sorgte Roca dafür, daß die Bäuche der Schiffe, die seinem Kommando unterstanden, randvoll mit Gold, Silber und Edelsteinen beladen waren. Das aber, wußte Don Fuega, war bei Hof seiner Allerkatholischsten Majestät immer ein gewichtiges Argument.

Der Alkalde beobachtete, wie auf der „Sevilla“ die Segel geborgen wurden und der schwere Anker ins Wasser klatschte. Weiter hinten tauchten nun auch die beiden Karavellen des kleinen Geschwaders auf, die von Roca im Kampf immer als Fühlungshalter und Jäger benutzt wurden. Der Capitan hatte diese Kampftechnik bis zur Perfektion entwickelt.

„Verdammt“, murmelte Don Fuega, als die Sevilla ein Boot aussetzte, „das alles bedeutet nichts Gutes. Aber wenn ich dieses Flittchen Maria heute nicht in mein Bett kriege, stirbt ihr José morgen früh!“

Don Fuega sah, wie das Boot von der „Sevilla“ ablegte und dann zur Pier hinübergepullt wurde. Es glitt durch die Lichtreflexe, die die lodernden Feuer, die nachts die Bucht beleuchteten, über die Wasseroberfläche tanzen ließen. Undeutlich erkannte er Rocas massige Gestalt. Neben ihm, auch auf der Achterducht, saß ein ebenfalls großer, aber offenbar sehr schlanker Mann. Wahrscheinlich sein erster Offizier, der fast so gefürchtet war, wie der Capitan selber.

Verzweifelt versuchte Don Fuega, sich seines Namens zu erinnern. Endlich fiel er ihm wieder ein: Ramirez Mateo, ebenfalls Capitan. Schon das war ungewöhnlich, aber bei diesem Roca paßte sowieso nichts ins übliche Schema.

Wenig später legte das Boot an, und Don Fuega beeilte sich, den Capitan zu begrüßen.

„Welche hohe Ehre, Senor Capitan, Sie hier in Nuevitas zu …“

Roca richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

„Sparen Sie sich Ihre verdammten Floskeln, Don Fuega. Führen Sie mich in den Palast, und sorgen Sie dafür, daß man die notwendigsten Sachen für Sie zusammenpackt und Ihr Stellvertreter erscheint. Er wird für einige Zeit Ihr Amt verwalten.“

Don Fuega wurde bleich. Sein Magen krampfte sich zusammen.

„Bitte, Senor, ich verstehe nicht ganz, wieso …“

„Keine Fragen, Sie erfahren alles früh genug. Und noch etwas, Sie verfügen über Männer, die sich in ganz besonderem Maße auf das hochnotpeinliche Verhör verstehen. Veranlassen Sie, daß auch diese Männer gerufen werden, und zwar sofort!“

Don Fuega spürte, wie seine Knie nachzugeben drohten.

„Senor – ich – morgen ist Gerichtstag, wir – ich meine …“ stotterte er und bemerkte gleichzeitig den eiskalten Blick, der ihn aus den rauchgrauen Augen des Capitans traf.

„Wir segeln nach Sonnenaufgang. Die dringendsten Fälle werden noch vorher erledigt, ich übernehme das. Bitte ein vollständiges Protokoll aller Anklagen und Angeklagten bis morgen früh, eine Stunde vor Sonnenaufgang.“

Er wandte sich seinem ersten Offizier zu.

„Senor Mateo, veranlassen Sie, daß alle meine Befehle genau befolgt werden, Sie sind mir dafür persönlich verantwortlich. Und jetzt Schluß mit dem Palaver. Folgen Sie mir, Don Fuega, ich habe nicht die Absicht, meine Zeit hier zu verplempern!“

Der Capitan stampfte los. Don Fuega folgte ihm, und ein paarmal erwog er, ob er nicht einfach irgendwo in die Dunkelheit fliehen sollte. Er hegte die allerschlimmsten Befürchtungen, denn wenn der Capitan tatsächlich den Gerichtstag am nächsten Morgen persönlich abhielt, dann würde er einiges zu hören kriegen, was ihm, Don Fuega, bestimmt nicht gut bekam. Und was, um Himmels willen, sollten die Folterknechte, die dieser Capitan sofort sehen wollte? Galt diese Maßnahme schon seinem eigenen Verhör?

Er sah sich gehetzt um, aber an Flucht war nicht mehr zu denken. Ein Trupp von Seesoldaten hatte ihn längst in die Mitte genommen. Er und die beiden Offiziere wurden sorgfältig eskortiert. Nein, das Verhängnis nahm seinen Lauf, und er, Don Fuega, konnte nichts dagegen tun.

2.

Sie waren keine Wilden mehr. Jedenfalls äußerlich nicht, Außerdem hatten die Spanier sie bei Androhung der Folter gezwungen, sich taufen zu lassen. Erreicht hatten sie damit allerdings nur das Gegenteil, und Pater Joseph wußte das genau. Die erzwungene Taufe hatte nur bewirkt, daß sie im Verborgenen ihrem alten Kult um so mehr huldigten, auch wenn keiner der Spanier so recht wußte, wer die Triebfeder zu diesem Tun war. Es gab dunkle Gerüchte. Pater Joseph hatte von jenem alten Indianerpriester gehört, auf dessen Ergreifung eine hohe Belohnung von Don Fuega ausgesetzt worden war. Aber niemand wußte, ob es ihn wirklich gab und wo er sich versteckt hielt.

Der Alkalde hatte schon versucht, einigen Indios durch die Folter die Zunge zu lösen, aber auch das war mißglückt, denn die Indios waren tot, noch bevor der Folterknecht sein Ziel erreicht hatte. Gift, hieß es. Ein geheimnisvolles Gift, das die Eingeweihten stets bei sich führten.

Anuk, wie sein indianischer Name lautete, gab den Seinen ein Zeichen. Pedro hatten ihn die Spanier getauft, aber dafür hatte er nur ein verächtliches Lächeln übrig.

Von allen Seiten schoben sich die dunklen Körper hinter den Felsen hervor, kaum zu unterscheiden von dem Untergrund, auf dem sie sich bewegten.

Vor Anuk und seinen Gefährten ragte der alte Pulverturm in den Nachthimmel. Er war von den ersten Spaniern gebaut worden, die mit ihren Schiffen in die einst so stille und damals auch friedliche Bucht eingedrungen waren. Aber seit man das Fort an der Einfahrt errichtet hatte, diente der Pulverturm nur noch als Kerker. Er galt als absolut ausbruchssicher, und das war er auch. Wer sich einmal in seinen engen, vermoderten Zellen befand, der konnte mit seinem Leben abschließen, so oder so.

Der Turm wurde scharf bewacht. Jedenfalls immer dann, wenn sich Gefangene in seinen Zellen befanden. Anuk konnte sich nicht daran erinnern, daß das irgendwann einmal nicht der Fall gewesen wäre.

An diesem Abend beherbergte der Turm einen Weißen namens José, der es gewagt hatte, ein Indio-Mädchen vor den Zudringlichkeiten einiger Soldaten zu schützen. Daß dieses Mädchen die Tochter des alten Priesters war, wußte außer Anuk und seinen Gefährten niemand, denn das wäre für Anara tödlich gewesen. Außer José befanden sich im Turm noch ein paar Indios, die gestohlen haben sollten. Sie würde man am nächsten Morgen erst foltern und dann hängen. Ein weiterer Gefangener war ein Portugiese, der sich geweigert hatte, an einer Strafexpedition gegen ein Dorf der Indios teilzunehmen, weil sein christlicher Glaube ihm ein derartiges Handeln verbot. Auch er würde sterben müssen, um so mehr, als der Alkalde seine nicht unbeträchtliche Habe bereits konfisziert hatte, nachdem er ihn des Verrats an der spanischen Krone angeklagt hatte.

Anuk warf einen schnellen Blick zum Hafen hinunter. Dort herrschte in diesem Moment lebhaftes Treiben. Leider verhinderte es den zweiten Teil ihres Planes, nämlich die dort ankernden Schatzgaleonen in Brand zu stekken. Das war unter diesen Umständen zu riskant und ohne jede Aussicht auf Erfolg. Denn die Wachen der drei in die Bucht eingelaufendenen Kriegsschiffe würden es sofort bemerken.

Abermals gab Anuk seinen Gefährten ein Zeichen, und die Indios krochen weiter. Die Ankunft der Kriegsschiffe war für sie von Nutzen, denn auch die beiden Wachen am Turm wurden durch den Trubel im Hafen abgelenkt. Sie hatten sogar ihre Musketen an die dicke Mauer gelehnt, die den Turm wie ein Festungswall umgab. Sie starrten zum Hafen und diskutierten lautstark über die Ankunft der drei Schiffe.

Anuk bedeutete seinen Gefährten, sich ruhig zu verhalten. Danach verständigte er die beiden Indios, die unmittelbar neben ihm kauerten.

„Sie müssen sterben, ohne daß sie einen Laut von sich geben können. Einer von ihnen hat den Schlüssel für den Turm. Die Schlüssel für die Eisen und Ketten, mit denen die Gefangenen an die Kerkerwände angeschlossen sind, befinden sich bei dem dritten, der sich im Innern des Turms aufhält. Wir müssen schnell sein, es darf ihm nicht gelingen, jene kleine Kanone abzufeuern, mit der er Hilfe herbeiholen kann!“

Anuk hatte nur geflüstert. Die beiden anderen nickten ihm zu. Ein letzter Blick, und die drei Indios sprangen auf. In langen Sätzen stürmten sie zum Turm hinüber, die Messer bereits in ihren Händen.

Sie erreichten die beiden Soldaten, noch bevor die überhaupt etwas davon bemerkten, was in ihrem Rükken vorging. Sie starben unter den Klingen der drei Indios, ohne auch nur einen einzigen Laut auszustoßen.

Anuk richtete sich hoch auf, nachdem er den einen der Soldaten hatte zu Boden gleiten lassen.

 

Die anderen Indios huschten heran, ebenfalls auf nackten Sohlen, völlig unhörbar.

„Den Schlüssel, rasch!“ drängte Anuk, und einer seiner Gefährten reichte das klobige Ding.

„Sobald ich die Tür geöffnet habe, dringt ihr mit mir ein. Der Wächter im Turm bleibt am Leben, er soll die Gefangenen losschließen, anschließend sperren wir ihn ein.“

Einer der Indios trat auf Anuk zu.

„Nein“, erwiderte er. „Der Wächter stirbt. Ich habe gehört, was er mit den Gefangenen treibt und wie er sie quält. Außerdem erkennt er uns vielleicht später, dann sind wir alle des Todes. Nein, wir können ihn nicht am Leben lassen, mit den Fesseln kenne ich mich aus, und den Turm kenne ich auch genau, ich war dabei, als man ihn zum Kerker umbaute.“

Einen Moment herrschte Schweigen, aber dann stimmte Anuk durch kurzes Kopfnicken zu.

Behutsam führte er den Schlüssel in das schwere Eisenschloß. Er bemühte sich dabei, jedes Geräusch zu vermeiden. Noch einmal stoppte ihn der Indio, ein schon etwas älterer Krieger.

„Hör zu, Anuk, es kann sein, daß im Turm Pulver aufbewahrt wird. Vor zwei Monden liefen eine Reihe von Schiffen ein, alle brachten sie Pulver und Musketen. Soweit ich weiß, konnte man nicht alles im Fort lagern, dazu ist es zu beengt, denn man hat die schweren Geschütze in Kavernen untergebracht, die man sich erst mühsam in die Felsen sprengen mußte. Aber dafür kann jetzt auch kein Schiff passieren, ohne daß es zusammengeschossen wird.“

Anuk hielt inne.

„Warum sagst du das erst jetzt?“ fragte er, und in seiner Stimme schwang Unwillen.

„Ich habe es erst vorhin von Aina erfahren, sie mußte für die weißen Teufel die Schiffe entladen und alles in den Turm schaffen. Ich weiß nur nicht, ob die Soldaten es von dort weggebracht haben. Aber wir sollten den Turm genau untersuchen.“

Anuk nickte abermals, dann drehte er den Schlüssel herum. Das Schloß quietschte infernalisch, aber der Wächter, der das hörte, kümmerte sich nicht darum. Er glaubte, daß es einer seiner Kameraden war, der in den Turm wollte.

Er sah die dunklen Schatten erst, als es zu spät war. Zwar griff er noch nach seiner Muskete, aber abzufeuern vermochte er sie nicht mehr. Die Klinge eines schweren Wurfmessers durchbohrte seine Brust. Röchelnd sank der Wächter zu Boden.

Anuk starrte ihn an. Er war kein Mörder, er tötete nicht gern. Aber er hatte schon zu viele Menschen, zumeist Indios, in Nuevitas sterben sehen. Grausam und lange. Deshalb empfand er auch kein Bedauern.

„Los, weiter! Du befreist die Gefangenen, nimm dir ein paar Krieger mit“, sagte er zu dem älteren Indio. „Ich werde den Turm durchsuchen. Und zwei von uns übernehmen die Wache, obwohl ich nicht glaube, daß irgend etwas passieren wird. Die weißen Teufel sind zu beschäftigt.“

Die Indios arbeiteten schnell. Die Gefangenen hatten sie innerhalb einer knappen Viertelstunde befreit. José starrte seine Befreier an.

„Was ist mit Maria?“ fragte er.

Aber der Indio schüttelte den Kopf. „Du kannst ihr nicht helfen, du würdest nichts erreichen. Sorge jetzt für dein eigenes Leben, oder du stirbst dennoch durch die Folterknechte Don Fuegas.“

José sah den Indio an. Dann drückte er ihm die Hand, aber gleichzeitig schüttelte er den Kopf.

„Würdet ihr jemanden von euch im Stich lassen? Ich kann Maria diesem Teufel nicht überlassen, ich werde sie herausholen oder sterben!“

Er lief davon, noch bevor die Indios ihn umstimmen konnten. Sie achteten und verstanden ihn, denn sie kannten den Alkalden noch weit besser als José.

Anuk stellte sich José in den Weg. Er erkannte sofort, was in ihm vorging.

„Warte, wir werden dir helfen. Es wird bei den weißen Teufeln große Verwirrung geben. Die werden wir ausnutzen, und vielleicht kann ich dann noch etwas tun.“

José wollte sich losreißen, aber Anuk hielt ihn fest.

„Ohne uns wirst du alles verderben, José. Ich verspreche dir, daß ich die Senorita mit dir befreien werde, wenn das möglich ist. Du kannst mir und meinen Gefühlen vertrauen. Wir müssen sie befreien, denn wenn du geflohen bist, dann ist sie sowieso der Rache des Alkalden ausgeliefert, und du weißt, was das bedeutet.“

José atmete schwer.

„Gut“, sagte er dann. „Was habt ihr vor? Bei der heiligen Jungfrau, beeilt euch!“

Anuk erklärte es ihm, und plötzlich erkannte José die einmalige Chance, die das Vorhaben der Indios für die Befreiung Marias bot.

„Ich glaube, ich kann euch helfen“, sagte er nach einem kurzen Moment des Überlegens. „Los, Anuk, dieses verfluchte Schwein von einem Alkalden soll sich wundern!“

Capitan Roca und Don Fuega hatten den Palazzo erreicht. Capitan Mateo ebenfalls, sogar etwas früher als sie.

Roca blieb stehen.

„Wo sind wir ungestört, Fuega?“ fragte er, und die Art, wie er diese Frage stellte, zeigte dem Alkalden, daß es diesem Mann gegenüber keine Ausflüchte gab.

„In meinem Arbeitszimmer, Senor Capitan. Aber würden Sie mir nicht erklären, was das alles zu bedeuten hat?“

Don Fuega konnte nicht verhindern, daß seine Stimme bei dieser Frage zitterte, und dem Capitan entging das nicht.

„Hören Sie, Don Fuega“, erwiderte er und warf dem Alkalden dabei einen scharfen Blick zu, der dem Don durch und durch ging. „Ich kenne genügend Leute Ihres Schlages. Sie haben keine reine Weste, Senor, das merke ich aus Ihrem ganzen Verhalten.“

Wieder warf er dem Alkalden einen scharfen Blick zu.

„Ich sollte Sie einer strengen Überprüfung unterziehen, wahrscheinlich würden Sie dann am nächsten Morgen neben einigen anderen Angeklagten am Galgen hängen. Sie haben bestimmt genug von mir gehört, um zu wissen, daß das keine leere Drohung ist. Aber Sie haben Glück, Senor: Ich bin nicht hier, um eine Untersuchung gegen Sie zu führen, es geht um eine andere Sache, bei der Sie mir helfen werden. Und jetzt genug von diesem Geschwätz, führen Sie mich in Ihr Arbeitszimmer, damit wir endlich weiterkommen!“

Der Alkalde war totenblaß. Er starrte den Capitan aus großen Augen an, und eben dieser Blick verriet seine Gedankengänge überdeutlich. Voller Entsetzen dachte er daran, daß Maria, jene junge Frau, die neben ihm an der Tafel gesessen hatte, in seinem Schlafgemach gefangengehalten wurde. Aber dann faßte er sich, denn eine unmittelbare Gefahr schien nicht zu bestehen.

„Selbstverständlich, Senor Capitan!“ stieß er erleichtert hervor und dienerte dabei. „Wenn Sie mir bitte folgen würden, Senor Capitan …“

Er eilte voran, und Roca marschierte hinter ihm her. In seinem Gesicht wetterleuchtete es. Er nahm sich vor, diesem verdammten Alkalden noch gehörig auf den Zahn zu fühlen, sobald seine eigentliche Aufgabe gelöst war.

Roca betrat das geräumige Arbeitszimmer. Ihm entging nicht, mit welchem Aufwand und mit welcher Pracht es eingerichtet worden war. Zorn stieg in ihm hoch, denn zu diesem Pomp hätten die Mittel des Alkalden niemals ausgereicht. Er hatte also wieder einen dieser verfluchten Blutsauger vor sich, die das Ansehen der Spanischen Krone bei den Bewohnern der Neuen Welt schädigten, die Schuld daran trugen, daß es immer und immer wieder zu blutigen Aufständen kam. Roca gehörte nicht zu der Sorte, die die Probleme der Eingeborenen ignorierte.

Don Fuega schob ihm einen der kostbaren Stühle zurecht und nahm selber Platz, nachdem der Capitan sich gesetzt hatte.

Einen Moment herrschte peinliches Schweigen. Die geladenen Gäste, die zum Teil noch anwesend waren, starrten die beiden Männer neugierig an.

Roca quittierte das mit einem unwilligen Stirnrunzeln.

„Schaffen Sie diese verdammten Gaffer weg, Don Fuega. Ich hatte Sie gefragt, wo wir ungestört miteinander verhandeln könnten! Und, verdammt noch mal, beeilen Sie sich. Ich habe keine Lust, in diesem verdammten Hafen solange herumzuliegen, bis meine Schiffe Muscheln ansetzen, klar?“

Don Fuega sprang sofort auf. Er klatschte ein paarmal in die Hände, und sofort stürzten ein paar Bedienstete herbei. Gleichzeitig mit ihnen betraten jedoch Capitan Mateo und die Folterknechte des Alkalden das Arbeitszimmer, das unmittelbar neben dem großen Salon lag, in dem noch immer die reich gedeckte Tafel stand.

Capitan Roca blickte Mateo an.

„Lassen Sie diesen und den angrenzenden Raum räumen, Mateo. Und dann lassen Sie die Wache vor dem Arbeitszimmer aufziehen. Die anderen“, er deutete auf die Folterknechte, die den Alkalden schon lüstern anstarrten, „warten in einem der anderen Räume, halten sich aber zur sofortigen Verfügung! Vorwärts!“

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