Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43

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State of New-York

State of New-York

Am 24. Oktober, nachmittags fünf Uhr, ging das neue Dampfboot „DIAMANT“ von New-York nach Albany, und auf seinem Verdeck, die freie, balsamische Luft mit Wonne einatmend, stand ich und betrachtete mit entzücktem Auge die sich immer großartiger und herrlicher ausdehnende Landschaft.

Wohl mochte indessen meine Tracht, die enganschließenden ledernen Beinkleider, hohen Wasserstiefel, die kurze grüne Jagdpekesche und grüne Pelzmütze, sowie der offene Hemdkragen einem an dies alles nicht gewöhnten Auge seltsam erscheinen, wenigstens kleiden sich die Amerikaner nicht so, und manches Auge richtete sich neugierig auf den Fremden. Aber was kümmerten mich die Leute. Mit fröhlichem Wellenschlag rauschten wir an den wundervollen Ufern des Hudson hinauf, der neuen, fremden Welt rasch entgegen; von dort winkten schon die blauen dämmernden Berge lockend herüber, und ein Zauber schien über das ganze Land ausgegossen, dessen jungfräulichen Boden ich jetzt betreten sollte.

Kalt und feucht brach indes die Nacht herein, und als am anderen Morgen aus trübem Gewölk die Sonne wieder hervorschaute, schimmerten schon in ihren ersten Strahlen die Turmspitzen von Albany.

Da der Dampfwagen denselben Morgen nach Utica abging, so benutzte ich diese Gelegenheit. Die damals noch kleine Stadt Albany lockte mich auch sehr wenig, sie genauer kennen zu lernen. Das waren nur eben wieder Häuser mit Läden und Schankwirtschaften und fremden gewinnsüchtigen Menschen – nichts weiter. Die aufzusuchen, war ich nicht nach Amerika gekommen; ich suchte die Natur.

Dampfwagen – ich schreibe das jetzt so leichtsinnig hin und kann mich doch noch recht gut jenes mächtigen Eindrucks erinnern, den dies erste Befahren einer Eisenbahn auf mich machte. Das Klappern und Schnauben der Maschine, das rasche Durchschneiden der Luft, das fremde wunderbare Land, das an beiden Seiten pfeilschnell an uns vorüberflog – ich konnte mich nicht satt an dem allen sehen.

Übrigens fuhr ich meiner sehr beschränkten Kasse wegen dritter Klasse, zwischen einer keineswegs mehr gemischten Gesellschaft. Es waren fast durchschnittlich irische Arbeiter, die irgendwo in das Land hinaufgingen, am Kanal oder der Eisenbahn zu hacken und zu graben. Die Nähe dieser Leute war allerdings nicht angenehm, und ein Teil derselben, nach der gewöhnlichen Art der Iren, außerdem betrunken. Glücklicherweise saß ich aber an einem Fenster und hielt mich so viel wie möglich fern von ihnen, als plötzlich ein wilder Tumult und lautes, schallendes Gelächter aus der ärgsten Gruppe herübertönte. Ich drehte den Kopf dorthin und sah, wie der Zugführer mit einem der Schar, der ebenfalls leicht angetrunken schien, stritt und heftig gestikulierte.

Im Anfang konnte ich nicht verstehen, was die beiden miteinander hatten, aber das Lachen wurde bald allgemein, als sich herausstellte, dass der Bursche auf den falschen Zug gekommen war und nun verlangte, der Zugführer sollte anhalten und ihn aussteigen lassen. Natürlich weigerte sich dieser; der Arbeiter tobte dabei im Anfang, legte sich aber dann, als er sah, dass er damit nichts ausrichtete, aufs Bitten und erklärte, er verlöre sein Brot und mache seine Familie unglücklich, wenn er nicht augenblicklich umkehre und mit dem nächsten Zug von New-Albany, ich weiß nicht mehr wohin, fahre. Der Beamte erklärte ihm endlich, dass er unter keiner Bedingung anhalten könne, dass er aber ihm zu Gefallen etwas langsamer wolle fahren lassen; mehr könne er nicht für ihn tun, und wolle er dann herausspringen, möge er es auf die Gefahr seines eigenen Nackens versuchen.

Der Ire ging mit Freuden auf den Vorschlag ein, und der Führer ließ wirklich den Zug etwas langsamer gehen, mehr aber vielleicht, wie ich ziemlich fest überzeugt bin, den Spaß zu haben, den armen Teufel „über Bord“ springen zu sehen, als ihm irgendeinen Gefallen zu erweisen. Was liegt den Leuten dort an einem Menschenleben!

Der Zug ging jetzt nicht mehr so rasch, aber doch immer noch schneller als vier Pferde in gestreckter Karriere einen leichten Wagen fortreißen könnten, und der Ire schaute unschlüssig aus der halbgeöffneten Tür.

„Jetzt springt oder eure Zeit ist vorbei!“ rief der Zugführer.

„Aber ich breche den Hals“, sagte der Mann; „könnt ihr nicht langsamer fahren?“

„Wenn ihr nicht wollte, lässt 's bleiben“, brummte der andere – „'s wird gleich wieder rascher gehen“, und dabei wollte er die Tür schließen.

„Halt – ich will!“ rief aber der Mann, – „lässt mich hinaus – da kommt Gras –“

„Halt um Gottes willen!“ schrien ein paar Stimmen und fassten ihn am Kragen, – „da unten liegt Holz und ihr brecht Hals und Beine.“

„Jetzt kommt Rasen!“ rief der Führer, – „eins, zwei –“

„Drei!“ schrie der Mann, indem er sich von denen, die ihn halten wollten, losriss, und flog im nächsten Augenblick aus der Tür hinaus, die sich rasch wieder hinter ihm schloss. Ich steckte den Kopf aus dem Fenster, zu sehen, was aus ihm würde, konnte aber nur noch die auf dem Rasen lang ausgestreckte dunkle Gestalt erkennen; denn der Zug schoss in diesem Augenblicke wieder mit rasender Schnelle vorwärts.

„Hol's der Teufel, er hat den Hals gebrochen!“ rief einer der Leute.

„Und was läg' daran?“ sagte der Führer, der sich lachend abwandte, seinem Geschäfte nachzugehen.

Ich habe später nie erfahren können, was aus dem Manne geworden ist.

In der Nacht kamen wir nach Utica, einem damals noch kleinen Städtchen im New-York-Staat, wie denn die meisten amerikanischen Ortschaften, und wenn sie nur aus ein paar Häusern bestehen, gern hochtrabende Namen führen.

Ich stieg aus und trat auf die Straße, wo einige Männer mit einem Wagen hielten. Ich fragte sie nach einem abgehenden Kanalboot, und sie nötigten mich sehr freundlich in den Wagen, wobei mir jeder von ihnen unter einen Arm griff; ich aber, alter Warnungen eingedenk, setzte den Fuß gegen den Schlag und fragte nach der Bezahlung.

„Keine Bezahlung, keine Bezahlung!“ riefen beide, und mit einem Satze saß ich im Wagen, der bald vor einem sehr eleganten Hause still hielt. Mir war nicht wohl bei dieser Gastfreundschaft, denn jedes Licht im weiten Gebäude schien mir zuzurufen: „money is the principal thing, therefore get Money“ wie ich bei Herrn Dr. Flügel in Leipzig so oft übersetzen musste, doch trat ich ein und fragte nach dem ersten abgehenden Kanalboot nach Buffalo (beiläufig gesagt, war meine Ahnung nicht ganz unrichtig, denn ich musste für eine Tasse Tee und ein kleines Butterbrot 50 Cents, ungefähr 20 Gr., bezahlen.) Außerdem war ich übrigens hier in das rechte Haus gekommen, denn die Bootsakkorde wurden hier abgeschlossen und man forderte mir, Kost mit eingerechnet, 6 Dollars bis Buffalo am Eriesee ab. Von dort aus sollte wieder ein Schienenweg nach den Niagarafällen gehen.

Der Preis schien mir etwas teuer, und ich überlegte mir eben, ob ich die ganze Tour nicht am Ende ebenso rasch und weit billiger zu Fuß machen könne, als ein Deutscher, jedenfalls jüdischer Abkunft, der mit den Leuten gut bekannt schien, meine Partie nahm und die Passage für mich mit 4 Dollar ausmachte.

Nun ging ich an Bord, denn die Abfahrt des Bootes sollte gleich stattfinden, und der warme, behagliche Raum, den ich dort traf, tat mir, durchgefroren wie ich war, ungemein wohl.

Der nächste Morgen kam trüb und regnerisch angeschlichen und die Frühstücksglocke rief uns fast zu früh vom Lager.

Ein amerikanisches Frühstück aber ist für den erst kürzlich angekommenen Deutschen ein höchst merkwürdiger Gegenstand. Mit Erstaunen sieht er Kaffee, fettes Schweinefleisch und saure Gurken, mit Kartoffeln, Rüben und Eiern, nebst Butter und Käse hier zusammengestellt, und der Magen muss sich wirklich erst an diese sonderbare Zusammenstellung gewöhnen. Ist das aber einmal geschehen, dann behagt es, wie ich offen bekenne, einem recht hungrigen Christenmenschen besser als trockenes Weißbrot zum dünnen Kaffee.

Nach dem Essen hatte ich vollkommen Zeit, meine Reisegefährten, mit denen ich den engen Raum eines Kanalbootes bewohnte, genauer zu betrachten.

Es waren ungefähr zehn Herren mit drei Damen. Die letzteren wohnten in einem durch einen roten Vorhang von unserer Kajüte getrennten Raume, der die Überschrift „ladies cabin“ nebst der freundlichen Erinnerung „no admittance“ führte.

Unsere Damen bestanden aus zwei alten und einer nicht mehr jungen Frau. Die Bekanntschaft war übrigens, so gern ich sonst in Damengesellschaft bin, eben keine angenehme, denn ich lernte hier eine Unart der Amerikanerinnen kennen, die einen fatalen, ja widerlichen Eindruck auf mich machte. Die Damen schienen keineswegs den unteren Ständen anzugehören, genierten sich aber nicht im mindesten, in fast regelmäßigen Zwischenräumen dermaßen laut aufzustoßen, dass ich mich im Anfang ein paarmal ordentlich erschreckt nach ihnen umschaute. Rührend war in der Tat die Unbefangenheit, mit der sie dabeisaßen, und die übrigen Passagiere nahmen ebenfalls nicht die mindeste Notiz davon. Sie waren jedenfalls schon vollkommen daran gewöhnt.

Ein Kanalboot ist ein sehr langes, schmales Boot, das ungefähr 6 Fuß hoch außer dem Wasser geht, ganz bedeckt und durchaus zur Bequemlichkeit, oder eigentlich Unbequemlichkeit von Passagieren ausgerüstet ist. Es ist rund umher mit Fenstern versehen und kann eine große Menge Leute und in der Mitte auch eine tüchtige Ladung Fracht fassen. Doch geht es sehr langsam, und unser Boot besonders wand sich, von zwei Pferden in gemütlichem Schritt gezogen, schneckenartig durch die Landschaft. Niedere Brücken gehen überall über die Kanäle, oft nur wenige Zoll über das Dach des Bootes erhaben, so dass man, wenn man auf dem Verdeck ist, fortwährend aufpassen muss, nicht über Bord gefegt zu werden, wie ich dies selbst einmal mit angesehen habe. Man muss sich beizeiten flach hinlegen. Ist das Boot aber sehr leicht geladen, dass es recht hoch aus dem Wasser geht, so kann man dabei auch schlecht wegkommen. Ein Passagier hatte vor ganz kurzer Zeit solcher Art ein trauriges Schicksal, indem das hohe Deck des Bootes unter der Brücke zu wenig Raum für ihn bot und ihn auf eine jämmerliche Art zerquetschte.

 

Langsam und äußerst eintönig ging die Fahrt vonstatten, und die Ufer, die meist durch sumpfiges und Waldland führten, boten gerade nicht viel Interessantes. Bewundernswert erschien mir eine Stelle, ich glaube am Mohwack oder einem anderen kleinen Strome dort in der Nähe, über den der Kanal 20 oder 25 Fuß hoch weglief. Es war ein eigentümliches Gefühl, oben auf dem Wasser zu fahren, und tief unter sich, ganz unabhängig von der Flut, auf der man sich befand, einen anderen Wasserlauf querdurch strömen zu sehen.

Eines schönen Tages saß unser Boot plötzlich mit einem furchtbaren Krach fest, und alles sprang hinaus, zu sehen, was es gäbe. Wir waren denn auch richtig mit einem anderen ganz ähnlichen Boot an einer schmalen Stelle des Kanals, gerade unter einer Brücke zusammengelaufen und hatten dem anderen einige Rippen im Leibe zerbrochen. Wir saßen wie festgemauert, und vergebens waren alle Bemühungen, das Boot wieder rückwärts zu bringen, da die Pferde in dem knietiefen Schlamme nicht zusammen anziehen wollten. Da erbarmte ich mich denn, auf meine großen Wasserstiefel mich verlassend, sprang, mit der großen Peitsche bewaffnet, hinaus, und den beiden Pferden damit einige derbe Hiebe versetzend, machte ich ihnen begreiflich, dass sie wohl könnten, wenn sie nur wollten. Siehe da, sie wollten; im Anziehen aber schlug das eine Pferd hinten aus, gerade in den Schlamm hinein, so dass ich über und über mit der roten Masse bespritzt ward und nun eher einer Forelle als einem Menschen ähnlich sah. Ich kroch zurück und beschloss, das nächste Mal etwas weniger dienstfertig zu sein.

Am 29. Oktober forderte endlich der Kapitän des Kanalbootes die bedungene Bezahlung. Ich kam ganz ruhig mit meinen 4 Dollars an, erstaunte aber nicht wenig, als ich erfuhr, dass der in Utica von einem Fremden gemachte Akkord keineswegs den Kapitän etwas angehe, sondern ich so gut wie jeder andere Passagier 6 Dollars zu bezahlen habe. Das war wieder eine Erfahrung mehr, zwar mit zwei Dollars, aber doch wohl nicht zu teuer erkauft. Überhaupt mag das dem deutschen Einwanderer zur Warnung dienen, sich um Gottes willen nicht mit dritten Personen, sie mögen noch so gut autorisiert scheinen, in den Abschluss irgend eines Vertrags einzulassen. Es ist immer zehn gegen eins zu wetten, dass sie angeführt werden, da solche Leute nicht selten, wenn sie die Sache nicht auf eigene Hand betreiben, von den Beteiligten gemietet sind, um den Fremden zu beschwichtigen, dass sie ihn nur erst einmal in ihr Garn bekommen. Gegen sie klagen kann er nachher nicht, das wissen sie recht gut.

Wir hatten uns bis jetzt ziemlich wohl befunden, da nicht sehr viele Reisende in dem engen Raume mitfuhren. Jetzt dagegen kamen noch fünfzehn Passagiere mehr hinzu, die sämtlich mit unserem Boote nach Buffalo fahren wollten.

So lange es Tag war, ging die Sache noch an; als aber der Abend kam, wusste ich wahrlich nicht, wohin die Leute alle gepackt werden sollten; doch hatte ich ja die Passagierladung des Bremer Eberführers noch in frischem Gedächtnis und hielt von der Zeit an alles für möglich.

Die Schlafstellen auf dem Kanalboote bestanden aus langen viereckigen Rahmen, die abends hängemattenartig an der Decke, einer neben den anderen, die ganzen Wände entlang, angebracht wurden. Jetzt war die Zahl der Passagiere noch gestiegen, und wir wurden daher schichtweise gepackt. Die Rahmen sind mit sehr starkem, grobem Leinenzeuge überzogen, und auf diese kommt gewöhnlich eine kleine schmale Matratze, die wir von Utica Mitgegangenen noch alle hatten, die aber einige der Neuangekommenen entbehren mussten. So der Mann, der über mir schlafen sollte; ich sah wenigstens keine Matratze auf dem oberen Rahmen liegen und kroch also in mein schwankendes Bett, nachdem ich vorher die Stricke untersucht hatte, zu sehen, ob sie auch fest wären, damit ich nicht nachts in die Presse käme. Die zuletzt angekommenen Passagiere blieben noch auf und spielten Karte.

Ein furchtbar beängstigendes, erstickendes Gefühl weckte mich in der Nacht; kalter Angstschweiß stand auf meiner Stirn, und ich konnte keinen Atem holen. Wie Blei lag es auf meinem Magen, auf meiner Brust. Ich versuchte zu schreien, – ich konnte nicht. Fast ohne Besinnung lag ich so mehrere Minuten, ehe ich recht erwachte und klar denken konnte, wo und in welchen Verhältnissen ich sei. Aber das Gewicht blieb auf mir und wich und wankte nicht, und dicht über mir tönte und rauschte es wie ferner Donner. Es war mein Schlafkamerad, der da oben schnarchte, und dass das Gewicht, welches auf meinem Magen lag, auch mein Schlafkamerad sein musste, unterstand jetzt gar keinem Zweifel mehr.

Ich versuchte nun, den Koloss zu bewegen; es war aber eine Unmöglichkeit. Ich stieß, ich rief, – alles umsonst. Wie ein Fels lag er, wenigstens teilweise, auf meiner Brust und schien ganz gefühllos zu sein. Als alle bis dahin gemachten Versuche, ihn zu wecken, erfolglos blieben, erinnerte ich mich zum Glück meiner Halstuchnadel, die ich den Abend vorher nicht abgenommen hatte; mit Mühe brachte ich den Arm herum, nahm die Nadel aus dem Tuche und stach sie mit fester Hand in den auf mir liegenden Fleischklumpen. Ein plötzliches gewaltiges Strecken und Dehnen, das mir augenblickliche Linderung verschaffte, war der Erfolg meines Angriffs, die Bewegungen aber wurden schwächer und schwächer, das Gewicht auf mir ward mit jedem Augenblicke wieder schwerer und unerträglicher, und um nicht eine vollständige zweite Auflage zu erleiden, musste ich meinen Angriff erneuern.

„What the devil is Tat? help, murder!“ schrie eine tiefe Bassstimme über mir, und durch einen plötzlichen Ruck meiner Last fühlte ich mich frei. Wie ein Aal schlüpfte ich unter dem Gewichte hervor und sah nun bei dem matten Scheine der von der Decke herunterhängenden Lampe ein so komisches Bild, wie mir wohl bis dahin nie vorgekommen war.

Der starke schwerfällige Mann, der im oberen Rahmen ohne Matratze schlief, war zu gewichtig für die schon lange Jahre gebrauchte Leinwand gewesen und im Schlafe mit dem schwersten Teile seines Körpers durchgebrochen, der dann den ersten festen Anhaltspunkt auf meinem Magen fand. Durch meinen Nadelstich aufgeschreckt, hatte er sich gedehnt und mich dadurch für einen Augenblick befreit, den ich auch nicht unbenutzt ließ . Als er aber jetzt in seine alte Lage, mit womöglich noch etwas größerer Stärke und Schwere, zurückfiel, war die Stütze verschwunden, die Leinwand gab nach, und der noch nicht ganz Erwachte saß auf meinem Bett, während sein Oberkörper nebst den Füßen noch in seinem eigenen hing, und schrie Mord und Zeter.

Alles sprang auf, zu sehen, was es gäbe, und groß war der Jubel, als man den Dicken so gefangen sah.

Gegen Morgen kamen wir nach Lockport, wo der Kanal einige 60 Fuß steigt, und wo fünf doppelte Schleusen angebracht sind; an einer Seite zum Hinaufgehen, an der anderen zum Herunterkommen der Kanalboote.

In Lockport hörte ich jetzt, dass ich, um den Niagarafall zu besuchen, viel besser tun würde, gleich hier das Boot zu verlassen und zu Fuß nach den gar nicht mehr so weit entfernten Fällen hinüberzugehen. Von Buffalo aus sollte ich viel weiter haben und könnte dorthin später immer kommen. Dem Rat folgte ich und erreichte auch schon nachmittags um zwei Uhr dieses kolossalste Wasserwunder der Erde.

Ich erlasse mir aber jede Schilderung; kalte Zeichnungen und Tausende von guten und schlechten Beschreibungen dieses göttlichen Schauspiels sind schon in alle Weltgegenden ausgegangen – ich will ihre Zahl nicht vermehren. Aber einen gewaltigen Eindruck machte es auf mich; ich konnte nur staunen und beten; es war zu gewaltig groß.

Das Herz noch von dem herrlichen Naturwunder voll, wollte ich nicht in der kleinen Stadt Manchester, die dicht am Falle liegt, übernachten und verfolgte den ersten sich mir zeigenden Weg ins Land hinein, teils um zu jagen, teils um ein Haus für Nachtherberge aufzusuchen.

Dunkler und immer dunkler wurde die Welt, tiefer und immer tiefer der Kot, als ich endlich zum guten Glück den Schein eines Lichtes bemerkte, der wie ein leitender Stern durch die dichter und dichter werdende Finsternis brach. Es war die stille, freundliche Wohnung eines pennsylvanischen Schmieds, der sich hier im Staate New-York angesiedelt hatte, und der mit wohltuender Gastfreundschaft den Hungrigen speiste und dem Müden ein warmes Bett bereitete. Hier sowohl wie bei mehreren anderen Farmern hörte ich, dass Kanada ein schönes Land sei, dass Wild dort im Überfluss die Wälder fülle und Bären und Wölfe nicht selten dem kühnen Jäger zu schaffen machten.

Hier war Aussicht auf ein interessantes Leben. – Kanada – Bärenjagd – schon die beiden Worte genügten, neue fröhliche Bilder vor mir aufzurollen. Wohin ich ging, blieb sich ja überhaupt ganz gleich. Das Land wollte ich kennen lernen, und ob ich damit im Norden oder Süden begann, kam auf eins heraus.

So besann ich mich denn auch nicht lange, und schon am 1. November brachte mich ein Dampfboot von Lewisville, einem kleinen Städtchen am Niagara, nach Toronto, wo ich aber nur eine Nacht verweilte, indem ich sehr spät ankam und gleich am nächsten Morgen früh mit einem anderen Boote weiter nach Hamilton ging.

Hamilton ist ein freundliches Städtchen am Ontariosee in Kanada, und obgleich es nur eine kurze Strecke von der Grenze der Vereinigten Staaten entfernt liegt, kann man doch einen großen Unterschied, sowohl im Allgemeinen als in vielen Kleinigkeiten erkennen. Der größte Teil der in Kanada Angesiedelten besteht aus Engländern, Schotten oder Iren, und diese haben meistens, wie es mir wenigstens in der sehr kurzen Zeit, in der ich dort war und beobachten konnte, vorkam, ihre alten Gewohnheiten beibehalten. Auch ist das Geld dort englisch, obgleich das amerikanische ebenfalls gangbar ist, und umsonst würde man auf der anderen Seite des Sees nach Zepter und Kronen suchen, die hier so häufig wie im Vaterlande Aushängeschilder und Wappen zieren.

Ich hatte mir in Hamilton den Fuß vertreten und musste Freitag, den 3. November, so unangenehm es mir auch war, dort liegen bleiben; doch am Sonnabend früh zog ich, genesen und jubelnd, beim schönsten Wetter wieder hinaus in die liebe herrliche Gotteswelt und hatte, wie das vergnügte Schulmeisterlein Wuz, Mitleiden mit den Leuten in allen Gassen, dass sie dableiben mussten. Von Hamilton ging ich nach Dundas, auch am Ontario, nahm von da nördlichen Kurs an und wanderte auf die Stadt Preston zu, bog jedoch zwei Meilen vorher rechts ab, um nach New-Hope zu marschieren, wo, wie ich gehört hatte, ein alter deutscher Jäger wohnen sollte.

Am Sonntagnachmittag kam ich glücklich nach New-Hope, und dort die Wohnung des alten Deutschen erfragend, langte ich den Abend mit Dunkelwerden, bei derselben an. Er war nicht zu Hause, aber sechs Kinder von jeder Größe schauten mit ihren klaren Augen verwundert zu dem Fremden und seiner ausländischen Tracht empor. Der Wirt mit seiner Hausfrau war in der Kirche, und die älteste Tochter, ein Mädchen von sechzehn Jahren, lehrte die kleineren Geschwister Buchstabieren und Lesen aus einem alten vergriffenen, wer weiß ob begriffenen, Katechismus. Ich setzte mich ruhig in eine Ecke, die Ankunft der Alten erwartend, und lauschte dem Geplauder der Kinder.

Endlich erschienen die beiden Häupter der Familie – der alte Mann gehörte zur Religion der Tunker und ließ den vollen Bart unter dem Kinne wachsen – und begrüßten, als sie nur erst einmal die an ihnen hinaufspringenden Kinder abgewehrt hatten, den Fremdling auf das Herzlichste.

Zuerst schien mich der Alte allerdings meiner Bewaffnung halber mit etwas misstrauischen Augen zu betrachten, denn Kanada stand am Vorabend der nur wenige Wochen später ausbrechenden Revolution, und diese „ruhigen Deutschen“ schienen keine besondere Freude an der wachsenden Unruhe zu finden. Als ich ihm aber sagte, was die Ursache meines Besuches war, wurde er rasch zutraulich, legte seinen Kirchenstaat ab, und wir setzten uns dann zu dem warmen Ofen, den man in Kanada der großen Kälte wegen häufig statt der Kamine findet.

Das Gespräch drehte sich meistens um den Ackerbau und die Jagd. Der Alte schien den ersten aus dem Grunde zu verstehen und liebte die zweite leidenschaftlich. Das war der Mann für mich. Er erzählte mir viel von dem früheren Reichtum an Wild, der aber jetzt der stärkeren Bevölkerung wiche, und klagte über die vielen Jagdverderber, die in den Wald gingen und durch vieles Schießen das Wild verscheuchten, ohne je mehr zu bezwecken, als dass sie einen armen Hirsch verkrüppelten. Ich glaube, er stichelte. Auch rühmte er sich, beim Truthahnschießen selten gefehlt zu haben. Das Truthahnschießen findet hier noch ganz so statt, wie es Cooper so trefflich in seinem „Ansiedler“ beschreibt. Da die Nacht schon weit vorgerückt war, wies mir der Alte ein Lager unter dem Dache an, dem es wahrlich nicht an Luft fehlte; doch schlief ich herrlich.

 

Er hatte mir am Abend von einem nur wenige Meilen entfernten See gesagt, wo sich eine ungeheure Menge von Enten aufhalten sollte, und mit Tagesanbruch machte ich mich auf, mir einige Braten zu holen.

Mein neuer Bekannter hatte mir wohl ungefähr die Richtung angegeben, in der ich den See finden könne, an einen Weg aber war gar nicht zu denken; doch glaubte ich, das Wasser auch ohne einen Kompass finden zu können, und schritt frisch darauf los; aber immer dichter wurde der Wald, immer häufiger lagen die umgestürzten Bäume querüber und durcheinander, und hoch stand die Sonne schon, als ich endlich den Kompass aus der Tasche nahm, mit seiner Hilfe eine gerade Richtung verfolgte und glücklicherweise an den See gelangte. Ich fand eine große Menge Enten, doch hielten sie sich, wahrscheinlich durch andere Jäger scheu gemacht, sehr in der Mitte auf, wenige nur schwammen um Rande herum.

Das war wieder ein Strich durch die Rechnung, doch schien mir der See nicht groß; ich beschloss daher, ihn zu umgehen.

Ich hatte nach und nach drei Enten geschossen und, ein wenig hitzig geworden, die Tageszeit ganz aus den Augen gelassen; jetzt bemerkte ich plötzlich, wie sich die Sonne schon sehr stark nach Westen neigte. Den See zu umgehen, war, wie ich wohl einsah, vor Sonnenuntergang nicht mehr möglich, denn wie ich an einigen lichten Stellen erkennen konnte, hatte ich noch nicht die Hälfte zurückgelegt, und in Nordosten waren dicke Wolkenmassen zusammengeballt, die die fliehende Sonne fast schon eingeholt hatten und den Wind brausend und pfeifend voranschickten.

Ich sah keine andere Rettung, als hier zu biwakieren; auch konnten meinen Hunger einige Stücke hartes Brot, das ich in der Tasche hatte, wenig stillen, und eine der Enten zu braten, hatte ich mir die Zeit nicht genommen. Außerdem schien das Wetter höchst unbehaglich werden zu wollen. Schon in recht verdrießlicher Stimmung fand ich gerade noch zur rechten Zeit, als ich langsam am Ufer hinzog, ein aus einem Baumstamme ausgehauenes Kanu, das an eine Wurzel befestigt war. Ohne mich zu besinnen, stieg ich ein und ruderte auf das ungefähr 2½ englische Meilen entfernte andere Ufer zu, wobei ein ungeheuer hoher, abgestorbener Baum mir zur Richtschnur diente.

Der Wind blies heftig, und die Wellen schaukelten das nur roh gefertigte und unbehilfliche Fahrzeug dermaßen, dass ich alle Kraft und Geschicklichkeit aufbieten musste, es im Gleichgewicht zu erhalten und durch die Wogen zu führen. Unterdessen fing der liebe Himmel an dermaßen mit Schneeflocken um sich zu werfen, dass ich in kurzer Zeit davon bedeckt war und nur mit Mühe noch den dürren Baum im Auge und dadurch meine Richtung beibehalten konnte. Endlich landete ich, befestigte den Nachen am Ufer und suchte nun einen Weg nach einer Ansiedelung zu finden.

Während der Zeit war es ganz finster geworden, aber kurz vorher hatte ich glücklicherweise einen kleinen Fußpfad entdeckt, von dem der Schnee infolge der Nässe wegschmolz, und der als eine dunkle Linie mich durch den Wald führte. Dem folgte ich denn auch getrost, und nach ungefähr 1½ Stunden blinkte mir endlich der Schein eines fernen Lichtes entgegen, dem ich rasch und freudig zueilte. Bald hatte ich es erreicht und pochte nun an die niedere Haus- und zugleich Stubentür einer Farmerwohnung.

Eine deutsche Stimme fragte: „Wer ist da?“ und wie Balsam träufelte das auf alle meine Organe, vorzüglich aber auf den Magen.

Es war die Frau eines deutschen Wagenmachers, die mir öffnete, deren Mann in das kleine, wenige Meilen entfernte Städtchen geritten war, von ihr aber jeden Augenblick zurückerwartet wurde. Der warme Ofen rief meine schon fast erstarrten Lebensgeister zu neuer Tätigkeit zurück, und eine Tasse warmen Kaffees, den sie mir vorsetzte, brachte mich wieder ganz ins alte Gleis. Ungefähr nach Verlauf einer Stunde kam der Mann, ein freundlicher Deutscher. Er war drei Jahre im Lande und ohne einen roten Pfennig herübergekommen; doch jetzt hatte er schon ein recht hübsches Häuschen, ein Stück Land und genug Arbeit.

Da es die Nacht hindurch sehr stark geschneit hatte, versprach ich mir eine gute Jagd und zog gar bald aus. Weil mein Wirt auf keinen Fall Geld für seine Gastfreundschaft nehmen wollte, überließ ich ihm meine gestrige Jagdbeute. Den linken Lauf meines Jagdgewehres lud ich für diesen Tag mit Rehposten, den rechten mit grobem Schrot, und frische Zündhütchen aufsetzend, trat ich aus dem backofenartig geheizten Zimmer in die frische, kühle Morgenluft hinaus, dieselbe in langen, durstigen Zügen einatmend.

Ich mochte etwas über eine Stunde gewandert sein, ohne mehr als ein Kaninchen und einen Fasan geschossen zu haben, als mir plötzlich ein Mann entgegenkam, aus dem ich von weitem nicht klug werden konnte, den ich aber bald als einen etwas kultivierten Indianer erkannte.

Er war in einen kurzen wollenen Rock gekleidet, in dunkelblaue Tuchhosen, deren breite Nähte nach außen gingen; die Füße hatte er mit Mokassins bedeckt und den Kopf mit einer rotwollenen Schärpe turbanartig umwunden. Die schwarzen, feurigen Augen blitzten darunter hervor, und das schlichte schwarze Haar hing an den Schläfen nieder. In den Ohren hatte er ein paar kristallene Ohrgehänge, der indianische, mit Perlen gezierte Gürtel hielt einen Tomahawk, an der rechten Seite hing ein schlichtes Pulverhorn und eine Kugeltasche, und der lange amerikanische Reifel (die Büchse) gab der ganzen Gestalt ein kühn romantisches Aussehen.

Nach einer kurzen, freundlichen Begrüßung und einem Handdruck versuchten wir uns einander zu verständigen, was gerade keine so leichte Aufgabe war, da er nur gebrochen Englisch sprach und ich von dieser Sprache ebenfalls nur geringe Kenntnis besaß. Auf meine Frage, ob er viel Wild gesehen habe, zeigte er vor sich hin auf den Boden, wo sich eine noch ganz frische Bärenfährte durch den Schnee zog. Er winkte mir mitzugehen, und ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass ich ihm mit vor Freude und Ungeduld klopfendem Herzen folgte.

Die Jagd zeichnete sich durch nichts Besonderes als das Erlegen eines ganz jungen, etwa acht oder neun Monate alten Bären aus, dem kurz vorher wahrscheinlich die Alten weggeschossen waren. Ich selber tat dabei in allem Jagdeifer dem kleinen schwarzen Burschen mit meiner Schrotflinte wenig zuleide. Der Indianer verkaufte das kleine Ding später in Preston für 4 Dollars und vertrank dort wahrscheinlich das Geld; ich verließ ihn wenigstens in solcher Beschäftigung, als ich Abschied von ihm nahm.

Nach dieser Jagd durchstreifte ich wieder eine Zeitlang allein die Waldung, jedoch mit nur sehr geringem Erfolge, denn nicht bekannt mit dem Walde selber und nicht imstande, mich ordentlich zurecht zu finden, durfte ich es nicht wagen, mich sehr weit aus besiedelten Gegenden zu entfernen. Außerdem war ich auch als sehr junger Jäger noch wirklich kaum in der Lage, mir jeden Tag, was ich selber brauchte, sicher und gewiss zu erlegen.