Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Das Nachtlied

Nacht ist es: nun re­den lau­ter alle sprin­gen­den Brun­nen. Und auch mei­ne See­le ist ein sprin­gen­der Brun­nen.

Nacht ist es: nun erst er­wa­chen alle Lie­der der Lie­ben­den. Und auch mei­ne See­le ist das Lied ei­nes Lie­ben­den.

Ein Un­ge­still­tes, Un­still­ba­res ist in mir; das will laut wer­den. Eine Be­gier­de nach Lie­be ist in mir, die re­det sel­ber die Spra­che der Lie­be.

Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist mei­ne Ein­sam­keit, dass ich von Licht um­gür­tet bin.

Ach, dass ich dun­kel wäre und näch­tig! Wie woll­te ich an den Brüs­ten des Lichts sau­gen!

Und euch sel­ber woll­te ich noch seg­nen, ihr klei­nen Fun­kels­ter­ne und Leucht­wür­mer dro­ben! – und se­lig sein ob eu­rer Licht-Ge­schen­ke.

Aber ich lebe in mei­nem eig­nen Lich­te, ich trin­ke die Flam­men in mich zu­rück, die aus mir bre­chen.

Ich ken­ne das Glück des Neh­men­den nicht; und oft träum­te mir da­von, dass Steh­len noch se­li­ger sein müs­se, als Neh­men.

Das ist mei­ne Ar­muth, dass mei­ne Hand nie­mals aus­ruht vom Schen­ken; das ist mein Neid, dass ich war­ten­de Au­gen sehe und die er­hell­ten Näch­te der Sehn­sucht.

Oh Un­se­lig­keit al­ler Schen­ken­den! Oh Ver­fins­te­rung mei­ner Son­ne! Oh Be­gier­de nach Be­geh­ren! Oh Heiss­hun­ger in der Sät­ti­gung!

Sie neh­men von mir: aber rüh­re ich noch an ihre See­le? Eine Kluft ist zwi­schen Ge­ben und Neh­men; und die kleins­te Kluft ist am letz­ten zu über­brücken.

Ein Hun­ger wächst aus mei­ner Schön­heit: we­he­thun möch­te ich De­nen, wel­chen ich leuch­te, be­rau­ben möch­te ich mei­ne Be­schenk­ten: – also hun­ge­re ich nach Bos­heit.

Die Hand zu­rück­zie­hend, wenn sich schon ihr die Hand ent­ge­gen­streckt; dem Was­ser­fäl­le gleich zö­gernd, der noch im Stur­ze zö­gert: – also hun­ge­re ich nach Bos­heit.

Sol­che Ra­che sinnt mei­ne Fül­le aus; sol­che Tücke quillt aus mei­ner Ein­sam­keit.

Mein Glück im Schen­ken erstarb im Schen­ken, mei­ne Tu­gend wur­de ih­rer sel­ber müde an ih­rem Über­flus­se!

Wer im­mer schenkt, des­sen Ge­fahr ist, dass er die Scham ver­lie­re; wer im­mer aus­t­heilt, des­sen Hand und Herz hat Schwie­len vor lau­ter Aust­hei­len.

Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bit­ten­den; mei­ne Hand wur­de zu hart für das Zit­tern ge­füll­ter Hän­de.

Wo­hin kam die Thrä­ne mei­nem Auge und der Flaum mei­nem Her­zen? Oh Ein­sam­keit al­ler Schen­ken­den! Oh Schweig­sam­keit al­ler Leuch­ten­den!

Viel Son­nen krei­sen im öden Räu­me: zu Al­lem, was dun­kel ist, re­den sie mit ih­rem Lich­te, – mir schwei­gen sie.

Oh diess ist die Feind­schaft des Lichts ge­gen Leuch­ten­des, er­bar­mungs­los wan­delt es sei­ne Bah­nen.

Un­bil­lig ge­gen Leuch­ten­des im tiefs­ten Her­zen: kalt ge­gen Son­nen, – also wan­delt jede Son­ne.

Ei­nem Stur­me gleich flie­gen die Son­nen ihre Bah­nen, das ist ihr Wan­deln. Ihrem un­er­bitt­li­chen Wil­len fol­gen sie, das ist ihre Käl­te.

Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Näch­ti­gen, die ihr Wär­me schafft aus Leuch­ten­dem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Lab­sal aus des Lich­tes Eu­tern!

Ach, Eis ist um mich, mei­ne Hand ver­brennt sich an Ei­si­gem! Ach, Durst ist in mir, der schmach­tet nach eu­rem Durs­te!

Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Näch­ti­gem! Und Ein­sam­keit!

Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Ver­lan­gen, – nach Rede ver­langt mich.

Nacht ist es: nun re­den lau­ter alle sprin­gen­den Brun­nen. Und auch mei­ne See­le ist ein sprin­gen­der Brun­nen.

Nacht ist es: nun erst er­wa­chen alle Lie­der der Lie­ben­den. Und auch mei­ne See­le ist das Lied ei­nes Lie­ben­den. –

Also sang Za­ra­thustra.

Das Tanzlied

Ei­nes Abends gieng Za­ra­thustra mit sei­nen Jün­gern durch den Wald; und als er nach ei­nem Brun­nen such­te, sie­he, da kam er auf eine grü­ne Wie­se, die von Bäu­men und Ge­büsch still um­stan­den war: auf der tanz­ten Mäd­chen mit ein­an­der. So­bald die Mäd­chen Za­ra­thustra er­kann­ten, lies­sen sie vom Tan­ze ab; Za­ra­thustra aber trat mit freund­li­cher Ge­bär­de zu ih­nen und sprach die­se Wor­te:

»Lasst vom Tan­ze nicht ab, ihr lieb­li­chen Mäd­chen! Kein Spiel­ver­der­ber kam zu euch mit bö­sem Blick, kein Mäd­chen-Feind.

Got­tes Für­spre­cher bin ich vor dem Teu­fel: der aber ist der Geist der Schwe­re. Wie soll­te ich, ihr Leich­ten, gött­li­chen Tän­zen feind sein? Oder Mäd­chen-Füs­sen mit schö­nen Knö­cheln?

Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunk­ler Bäu­me: doch wer sich vor mei­nem Dun­kel nicht scheut, der fin­det auch Ro­sen­hän­ge un­ter mei­nen Cy­pres­sen.

Und auch den klei­nen Gott fin­det er wohl, der den Mäd­chen der liebs­te ist: ne­ben dem Brun­nen liegt er, still, mit ge­schlos­se­nen Au­gen.

Wahr­lich, am hel­len Tage schlief er mir ein, der Ta­ge­dieb! Hasch­te er wohl zu viel nach Schmet­ter­lin­gen?

Zürnt mir nicht, ihr schö­nen Tan­zen­den, wenn ich den klei­nen Gott ein We­nig züch­ti­ge! Schrei­en wird er wohl und wei­nen, – aber zum La­chen ist er noch im Wei­nen!

Und mit Thrä­nen im Auge soll er euch um einen Tanz bit­ten; und ich sel­ber will ein Lied zu sei­nem Tan­ze sin­gen:

Ein Tanz- und Spott­lied auf den Geist der Schwe­re, mei­nen al­ler­höchs­ten gross­mäch­tigs­ten Teu­fel, von dem sie sa­gen, dass er »der Herr der Welt« sei.« –

Und diess ist das Lied, wel­ches Za­ra­thustra sang, als Cu­pi­do und die Mäd­chen zu­sam­men tanz­ten.

In dein Auge schau­te ich jüngst, oh Le­ben! Und in’s Uner­gründ­li­che schi­en ich mir da zu sin­ken.

Aber du zogst mich mit gold­ner An­gel her­aus; spöt­tisch lach­test du, als ich dich un­er­gründ­lich nann­te.

»So geht die Rede al­ler Fi­sche, sprachst du; was sie nicht er­grün­den, ist un­er­gründ­lich.

»Aber ver­än­der­lich bin ich nur und wild und in Al­lem ein Weib, und kein tu­gend­haf­tes:

»Ob ich schon euch Män­nern »die Tie­fe« heis­se oder »die Treue«, »die Ewi­ge«, »die Ge­heim­niss­vol­le.« –

»Doch ihr Män­ner be­schenkt uns stets mit den eig­nen Tu­gen­den – ach, ihr Tu­gend­haf­ten!«

Also lach­te sie, die Un­glaub­li­che; aber ich glau­be ihr nie­mals und ih­rem La­chen, wenn sie bös von sich sel­ber spricht.

Und als ich un­ter vier Au­gen mit mei­ner wil­den Weis­heit re­de­te, sag­te sie mir zor­nig: »Du willst, du be­gehrst, du liebst, dar­um al­lein lobst du das Le­ben!«

Fast hät­te ich da bös geant­wor­tet und der Zor­ni­gen die Wahr­heit ge­sagt; und man kann nicht bö­ser ant­wor­ten, als wenn man sei­ner Weis­heit »die Wahr­heit sagt.«

So näm­lich steht es zwi­schen uns Drei­en. Von Grund aus lie­be ich nur das Le­ben – und, wahr­lich, am meis­ten dann, wenn ich es has­se!

Dass ich aber der Weis­heit gut bin und oft zu gut: das macht, sie er­in­nert mich gar sehr an das Le­ben!

Sie hat ihr Auge, ihr La­chen und so­gar ihr gold­nes An­gel­rüth­chen: was kann ich da­für, dass die Bei­den sich so ähn­lich se­hen?

Und als mich ein­mal das Le­ben frag­te: Wer ist denn das, die Weis­heit? – da sag­te ich eif­rig: »Ach ja! die Weis­heit!

Man dürs­tet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schlei­er, man hascht durch Net­ze.

Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die äl­tes­ten Kar­pfen wer­den noch mit ihr ge­kö­dert.

Verän­der­lich ist sie und trot­zig; oft sah ich sie sich die Lip­pe beis­sen und den Kamm wi­der ih­res Haa­res Strich füh­ren.

Vi­el­leicht ist sie böse und falsch, und in Al­lem ein Frau­en­zim­mer; aber wenn sie von sich sel­ber schlecht spricht, da ge­ra­de ver­führt sie am meis­ten.«

Als ich diess zu dem Le­ben sag­te, da lach­te es bos­haft und mach­te die Au­gen zu. Von wem re­dest du doch? sag­te sie, wohl von mir?

Und wenn du Recht hät­test, – sagt man das mir so in’s Ge­sicht! Aber nun sprich doch auch von dei­ner Weis­heit!«

Ach, und nun mach­test du wie­der dein Auge auf, oh ge­lieb­tes Le­ben! Und in’s Uner­gründ­li­che schi­en ich mir wie­der zu sin­ken. –

Also sang Za­ra­thustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Mäd­chen fort­ge­gan­gen wa­ren, wur­de er trau­rig.

»Die Son­ne ist lan­ge schon hin­un­ter, sag­te er end­lich; die Wie­se ist feucht, von den Wäl­dern her kommt Küh­le.

Ein Un­be­kann­tes ist um mich und blickt nach­denk­lich. Was! Du lebst noch, Za­ra­thustra?

Wa­rum? Wo­für? Wo­durch? Wo­hin? Wo? Wie? Ist es nicht Thor­heit, noch zu le­ben? –

Ach, mei­ne Freun­de, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Ver­gebt mir mei­ne Trau­rig­keit!

Abend ward es: ver­gebt mir, dass es Abend ward!«

Also sprach Za­ra­thustra.

Das Grablied

»Dort ist die Grä­be­r­in­sel, die schweig­sa­me; dort sind auch die Grä­ber mei­ner Ju­gend. Da­hin will ich einen im­mer­grü­nen Kranz des Le­bens tra­gen.«

Also im Her­zen be­schlies­send fuhr ich über das Meer. –

Oh ihr, mei­ner Ju­gend Ge­sich­te und Er­schei­nun­gen! Oh, ihr Bli­cke der Lie­be alle, ihr gött­li­chen Au­gen­bli­cke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich ge­den­ke eu­rer heu­te wie mei­ner Tod­ten.

Von euch her, mei­nen liebs­ten Tod­ten, kommt mir ein süs­ser Ge­ruch, ein herz- und thrä­nen­lö­sen­der. Wahr­lich, er er­schüt­tert und löst das Herz dem ein­sam Schif­fen­den.

Im­mer noch bin ich der Reichs­te und Best­zu­be­nei­den­de – ich der Ein­sams­te! Denn ich hat­te euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fie­len, wie mir, sol­che Ro­senäp­fel vom Bau­me?

 

Im­mer noch bin ich eu­rer Lie­be Erbe und Erd­reich, blü­hend zu eu­rem Ge­dächt­nis­se von bun­ten wild­wach­se­nen Tu­gen­den, oh ihr Ge­lieb­tes­ten!

Ach, wir wa­ren ge­macht, ein­an­der nahe zu blei­ben, ihr hol­den frem­den Wun­der; und nicht schüch­ter­nen Vö­geln gleich kamt ihr zu mir und mei­ner Be­gier­de – nein, als Trau­en­de zu dem Trau­en­den!

Ja, zur Treue ge­macht, gleich mir, und zu zärt­li­chen Ewig­kei­ten: muss ich nun euch nach eu­rer Un­treue heis­sen, ihr gött­li­chen Bli­cke und Au­gen­bli­cke: kei­nen an­dern Na­men lern­te ich noch.

Wahr­lich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flücht­lin­ge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch: un­schul­dig sind wir ein­an­der in uns­rer Un­treue.

Mich zu töd­ten, er­würg­te man euch, ihr Sing­vö­gel mei­ner Hoff­nun­gen! Ja, nach euch, ihr Liebs­ten, schoss im­mer die Bos­heit Pfei­le – mein Herz zu tref­fen!

Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herz­lichs­tes, mein Be­sitz und mein Be­ses­sen-sein: da­rum muss­tet ihr jung ster­ben und all­zu frü­he!

Nach dem Ver­wund­bars­ten, das ich be­sass, schoss man den Pfeil: das wa­ret ihr, de­nen die Haut ei­nem Flau­me gleich ist und mehr noch dem Lä­cheln, das an ei­nem Blick erstirbt!

Aber diess Wort will ich zu mei­nen Fein­den re­den: was ist al­les Men­schen-Mor­den ge­gen Das, was ihr mir tha­tet!

Bö­se­res tha­tet ihr mir, als al­ler Men­schen-Mord ist; Un­wie­der­bring­li­ches nahmt ihr mir: – also rede ich zu euch, mei­ne Fein­de!

Mor­de­tet ihr doch mei­ner Ju­gend Ge­sich­te und liebs­te Wun­der! Mei­ne Ge­spie­len nahmt ihr mir, die se­li­gen Geis­ter! Ihrem Ge­dächt­nis­se lege ich die­sen Kranz und die­sen Fluch nie­der.

Die­sen Fluch ge­gen euch, mei­ne Fein­de! Mach­tet ihr doch mein Ewi­ges kurz, wie ein Ton zer­bricht in kal­ter Nacht! Kaum als Auf­blin­ken gött­li­cher Au­gen kam es mir nur, – als Au­gen­blick!

Also sprach zur gu­ten Stun­de einst mei­ne Rein­heit: »gött­lich sol­len mir alle We­sen sein.«

Da über­fielt ihr mich mit schmut­zi­gen Ge­s­pens­tern; ach, wo­hin floh nun jene gute Stun­de!

»Alle Tage sol­len mir hei­lig sein« – so re­de­te einst die Weis­heit mei­ner Ju­gend: wahr­lich, ei­ner fröh­li­chen Weis­heit Rede!

Aber da stahlt ihr Fein­de mir mei­ne Näch­te und ver­kauf­tet sie zu schlaflo­ser Qual: ach, wo­hin floh nun jene fröh­li­che Weis­heit?

Einst be­gehr­te ich nach glück­li­chen Vo­gel­zei­chen: da führ­tet ihr mir ein Eu­len-Unt­hier über den Weg, ein wid­ri­ges. Ach, wo­hin floh da mei­ne zärt­li­che Be­gier­de?

Al­lem Ekel ge­lob­te ich einst zu ent­sa­gen: da ver­wan­del­tet ihr mei­ne Na­hen und Nächs­ten in Ei­ter­beu­len. Ach, wo­hin floh da mein edels­tes Gelöb­niss«

Als Blin­der gieng ich einst se­li­ge Wege: da warft ihr Un­flath auf den Weg des Blin­den: und nun ekel­te ihn des al­ten Blin­den-Fuss­steigs.

Und als ich mein Schwers­tes that und mei­ner Über­win­dun­gen Sieg fei­er­te: da mach­tet ihr Die, wel­che mich lieb­ten, schrein, ich thue ih­nen am we­he­s­ten.

Wahr­lich, das war im­mer euer Thun: ihr ver­gäll­tet mir mei­nen bes­ten Ho­nig und den Fleiss mei­ner bes­ten Bie­nen.

Mei­ner Mildt­hä­tig­keit sand­tet ihr im­mer die frechs­ten Bett­ler zu; um mein Mit­lei­den dräng­tet ihr im­mer die un­heil­bar Scham­lo­sen. So ver­wun­de­tet ihr mei­ne Tu­gend in ih­rem Glau­ben.

Und leg­te ich noch mein Hei­ligs­tes zum Op­fer hin: flugs stell­te eure »Fröm­mig­keit« ihre fet­te­ren Ga­ben dazu: also dass im Damp­fe eu­res Fet­tes noch mein Hei­ligs­tes er­stick­te.

Und einst woll­te ich tan­zen, wie nie ich noch tanz­te: über alle Him­mel weg woll­te ich tan­zen. Da über­re­de­tet ihr mei­nen liebs­ten Sän­ger.

Und nun stimm­te er eine schau­ri­ge dump­fe Wei­se an; ach, er tu­te­te mir, wie ein düs­te­res Horn, zu Ohren!

Mör­de­ri­scher Sän­ger, Werk­zeug der Bos­heit, Un­schul­digs­ter! Schon stand ich be­reit zum bes­ten Tan­ze: da mor­de­test du mit dei­nen Tö­nen mei­ne Ver­zückung!

Nur im Tan­ze weiss ich der höchs­ten Din­ge Gleich­niss zu re­den: – und nun blieb mir mein höchs­tes Gleich­niss un­ge­re­det in einen Glie­dern!

Un­ge­re­det und un­er­löst blieb mir die höchs­te Hoff­nung! Und es star­ben mir alle Ge­sich­te und Trös­tun­gen mei­ner Ju­gend!

Wie er­trug ich’s nur? Wie ver­wand und über­wand ich sol­che Wun­den? Wie er­stand mei­ne See­le wie­der aus die­sen Grä­bern?

Ja, ein Un­ver­wund­ba­res, Un­be­grab­ba­res ist an mir, ein Fel­sen­spren­gen­des: das heisst mein Wil­le. Schweig­sam schrei­tet es und un­ver­än­dert durch die Jah­re.

Sei­nen Gang will er gehn auf mei­nen Füs­sen, mein al­ter Wil­le; her­zens­hart ist ihm der Sinn und un­ver­wund­bar.

Un­ver­wund­bar bin ich al­lein an mei­ner Fer­se. Im­mer noch lebst du da und bist dir gleich, Ge­dul­digs­ter! Im­mer noch brachst du dich durch alle Grä­ber!

In dir lebt auch noch das Uner­lös­te mei­ner Ju­gend; und als Le­ben und Ju­gend sit­zest du hof­fend hier auf gel­ben Grab-Trüm­mern.

Ja, noch bist du mir al­ler Grä­ber Zer­trüm­me­rer: Heil dir, mein Wil­le! Und nur wo Grä­ber sind, giebt es Au­fer­ste­hun­gen. –

Also sang Za­ra­thustra. –

Von der Selbst-Ueberwindung

»Wil­le zur Wahr­heit« heisst ih­r’s, ihr Wei­ses­ten, was euch treibt und brüns­tig macht?

Wil­le zur Denk­bar­keit al­les Sei­en­den: also heis­se ich eu­ren Wil­len!

Al­les Sei­en­de wollt ihr erst denk­bar ma­chen : denn ihr zwei­felt mit gu­tem Miss­trau­en, ob es schon denk­bar ist.

Aber es soll sich euch fü­gen und bie­gen! So will’s euer Wil­le. Glatt soll es wer­den und dem Geis­te un­terthan, als sein Spie­gel und Wi­der­bild.

Das ist euer gan­zer Wil­le, ihr Wei­ses­ten, als ein Wil­le zur Macht; und auch wenn ihr vom Gu­ten und Bö­sen re­det und von den Wert­h­schät­zun­gen. Schaf­fen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr kni­en könnt: so ist es eure letz­te Hoff­nung und Trun­ken­heit.

Die Un­wei­sen frei­lich, das Volk, – die sind gleich dem Flus­se, auf dem ein Na­chen wei­ter schwimmt: und im Na­chen sit­zen fei­er­lich und ver­mummt die Wert­h­schät­zun­gen.

Eu­ren Wil­len und eure Wert­he setz­tet ihr auf den Fluss des Wer­dens; einen al­ten Wil­len zur Macht ver­räth mir, was vom Vol­ke als gut und böse ge­glaubt wird.

Ihr wart es, ihr Wei­ses­ten, die sol­che Gäs­te in die­sen Na­chen setz­ten und ih­nen Prunk und stol­ze Na­men ga­ben, – ihr und euer herr­schen­der Wil­le!

Wei­ter trägt nun der Fluss eu­ren Na­chen: er muss ihn tra­gen. We­nig thut’s, ob die ge­bro­che­ne Wel­le schäumt und zor­nig dem Kie­le wi­der­spricht!

Nicht der Fluss ist eure Ge­fahr und das Ende eu­res Gu­ten und Bö­sen, ihr Wei­ses­ten: son­dern je­ner Wil­le sel­ber, der Wil­le zur Macht, – der un­er­schöpf­te zeu­gen­de Le­bens-Wil­le.

Aber da­mit ihr mein Wort ver­steht vom Gu­ten und Bö­sen: dazu will ich euch noch mein Wort vom Le­ben sa­gen und von der Art al­les Le­ben­di­gen.

Dem Le­ben­di­gen gieng ich nach, ich gieng die gröss­ten und die kleins­ten Wege, dass ich sei­ne Art er­ken­ne.

Mit hun­dert­fa­chem Spie­gel fieng ich noch sei­nen Blick auf, wenn ihm der Mund ge­schlos­sen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge re­de­te mir.

Aber, wo ich nur Le­ben­di­ges fand, da hör­te ich auch die Rede vom Ge­hor­sa­me. Al­les Le­ben­di­ge ist ein Ge­hor­chen­des.

Und diess ist das Zwei­te: Dem wird be­foh­len, der sich nicht sel­ber ge­hor­chen kann. So ist es des Le­ben­di­gen Art.

Diess aber ist das Drit­te, was ich hör­te: dass Be­feh­len schwe­rer ist, als Ge­hor­chen. Und nicht nur, dass der Be­feh­len­de die Last al­ler Ge­hor­chen­den trägt, und dass leicht ihn die­se Last zer­drückt: –

Ein Ver­such und Wa­g­niss er­schi­en mir in al­lem Be­feh­len; und stets, wenn es be­fiehlt, wagt das Le­ben­di­ge sich sel­ber dran.

Ja noch, wenn es sich sel­ber be­fiehlt: auch da noch muss es sein Be­feh­len büs­sen. Sei­nem eig­nen Ge­set­ze muss es Rich­ter und Rä­cher und Op­fer wer­den.

Wie ge­schieht diess doch! so frag­te ich mich. Was über­re­det das Le­ben­di­ge, dass es ge­horcht und be­fiehlt und be­feh­lend noch Ge­hor­sam übt?

Hört mir nun mein Wort, ihr Wei­ses­ten! Prüft es ernst­lich, ob ich dem Le­ben sel­ber in’s Herz kroch und bis in die Wur­zeln sei­nes Her­zens!

Wo ich Le­ben­di­ges fand, da fand ich Wil­len zur Macht; und noch im Wil­len des Die­nen­den fand ich den Wil­len, Herr zu sein.

Dass dem Stär­ke­ren die­ne das Schwä­che­re, dazu über­re­det es sein Wil­le, der über noch Schwä­che­res Herr sein will: die­ser Lust al­lein mag es nicht ent­rat­hen.

Und wie das Klei­ne­re sich dem Grös­se­ren hin­giebt, dass es Lust und Macht am Kleins­ten habe: also giebt sich auch das Gröss­te noch hin und setzt um der Macht wil­len – das Le­ben dran.

Das ist die Hin­ge­bung des Gröss­ten, dass es Wa­g­niss ist und Ge­fahr und um den Tod ein Wür­fel­spie­len.

Und wo Op­fe­rung und Diens­te und Lie­bes­bli­cke sind: auch da ist Wil­le, Herr zu sein. Auf Schleich­we­gen schleicht sich da der Schwä­che­re in die Burg und bis in’s Herz dem Mäch­ti­ge­ren – und stiehlt da Macht.

Und diess Ge­heim­niss re­de­te das Le­ben sel­ber zu mir. Sie­he, sprach es, ich bin das, was sich im­mer sel­ber über­win­den muss.

»Frei­lich, ihr heisst es Wil­le zur Zeu­gung oder Trieb zum Zwe­cke, zum Hö­he­ren, Fer­ne­ren, Viel­fa­che­ren: aber all diess ist Eins und Ein Ge­heim­niss.

»Lie­ber noch gehe ich un­ter, als dass ich die­sem Ei­nen ab­sag­te; und wahr­lich, wo es Un­ter­gang giebt und Blät­ter­fal­len, sie­he, da op­fert sich Le­ben – um Macht!

»Dass ich Kampf sein muss und Wer­den und Zweck und der Zwe­cke Wi­der­spruch: ach, wer mei­nen Wil­len er­räth, er­räth wohl auch, auf wel­chen krum­men We­gen er ge­hen muss!

»Was ich auch schaf­fe und wie ich’s auch lie­be, – bald muss ich Geg­ner ihm sein und mei­ner Lie­be: so will es mein Wil­le.

»Und auch du, Er­ken­nen­der, bist nur ein Pfad und Fus­stap­fen mei­nes Wil­lens: wahr­lich, mein Wil­le zur Macht wan­delt auch auf den Füs­sen dei­nes Wil­lens zur Wahr­heit!

»Der traf frei­lich die Wahr­heit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom »Wil­len zum Da­sein«: die­sen Wil­len – giebt es nicht!

»Denn: was nicht ist, das kann nicht wol­len; was aber im Da­sein ist, wie könn­te das noch zum Da­sein wol­len!

»Nur, wo Le­ben ist, da ist auch Wil­le: aber nicht Wil­le zum Le­ben, son­dern – so leh­re ich’s dich – Wil­le zur Macht!

»Vie­les ist dem Le­ben­den hö­her ge­schätzt, als Le­ben sel­ber; doch aus dem Schät­zen sel­ber her­aus re­det – der Wil­le zur Macht!« –

Also lehr­te mich einst das Le­ben: und dar­aus löse ich euch, ihr Wei­ses­ten, noch das Räth­sel eu­res Her­zens.

Wahr­lich, ich sage euch: Gu­tes und Bö­ses, das un­ver­gäng­lich wäre – das giebt es nicht! Aus sich sel­ber muss es sich im­mer wie­der über­win­den.

Mit eu­ren Wert­hen und Wor­ten von Gut und Böse übt ihr Ge­walt, ihr Wert­h­schät­zen­den: und diess ist eure ver­bor­ge­ne Lie­be und eu­rer See­le Glän­zen, Zit­tern und Über­wal­len.

Aber eine stär­ke­re Ge­walt wächst aus eu­ren Wert­hen und eine neue Über­win­dung: an der zer­bricht Ei und Eier­scha­le.

Und wer ein Schöp­fer sein muss im Gu­ten und Bö­sen: wahr­lich, der muss ein Ver­nich­ter erst sein und Wert­he zer­bre­chen.

Also ge­hört das höchs­te Böse zur höchs­ten Güte: die­se aber ist die schöp­fe­ri­sche. –

Re­den wir nur da­von, ihr Wei­ses­ten, ob es gleich schlimm ist. Schwei­gen ist schlim­mer; alle ver­schwie­ge­ne­re Wahr­hei­ten wer­den gif­tig.

Und mag doch Al­les zer­bre­chen, was an un­se­ren Wahr­hei­ten zer­bre­chen – kann! Man­ches Haus giebt es noch zu bau­en!

Also sprach Za­ra­thustra.