Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Von grossen Ereignissen

Es giebt eine In­sel im Mee­re – un­weit den glück­se­li­gen In­seln Za­ra­thustra’s – auf wel­cher be­stän­dig ein Feu­er­berg raucht; von der sagt das Volk, und son­der­lich sa­gen es die al­ten Weib­chen aus dem Vol­ke, dass sie wie ein Fels­block vor das Thor der Un­ter­welt ge­stellt sei: durch den Feu­er­berg sel­ber aber füh­re der schma­le Weg ab­wärts, der zu die­sem Tho­re der Un­ter­welt ge­lei­te.

Um jene Zeit nun, als Za­ra­thustra auf den glück­se­li­gen In­seln weil­te, ge­sch­ah es, dass ein Schiff an der In­sel An­ker warf, auf wel­cher der rau­chen­de Berg steht; und sei­ne Mann­schaft gieng an’s Land, um Ka­nin­chen zu schies­sen. Ge­gen die Stun­de des Mit­tags aber, da der Ca­pi­tän und sei­ne Leu­te wie­der bei­sam­men wa­ren, sa­hen sie plötz­lich durch die Luft einen Mann auf sich zu­kom­men, und eine Stim­me sag­te deut­lich: »es ist Zeit! Es ist die höchs­te Zeit!« Wie die Ge­stalt ih­nen aber am nächs­ten war – sie flog aber schnell gleich ei­nem Schat­ten vor­bei, in der Rich­tung, wo der Feu­er­berg lag – da er­kann­ten sie mit grös­ster Be­stür­zung, dass es Za­ra­thustra sei; denn sie hat­ten ihn Alle schon ge­sehn, aus­ge­nom­men der Ca­pi­tän sel­ber, und sie lieb­ten ihn, wie das Volk liebt: also dass zu glei­chen Thei­len Lie­be und Scheu bei­sam­men sind.

»Seht mir an! sag­te der alte Steu­er­mann, da fährt Za­ra­thustra zur Höl­le!« –

Um die glei­che Zeit, als die­se Schif­fer an der Feue­r­in­sel lan­de­ten, lief das Gerücht um­her, dass Za­ra­thustra ver­schwun­den sei; und als man sei­ne Freun­de frag­te, er­zähl­ten sie, er sei bei Nacht zu Schiff ge­gan­gen, ohne zu sa­gen, wo­hin er rei­sen wol­le.

Also ent­stand eine Un­ru­he; nach drei Ta­gen aber kam zu die­ser Un­ru­he die Ge­schich­te der Schiffs­leu­te hin­zu – und nun sag­te al­les Volk, dass der Teu­fel Za­ra­thustra ge­holt habe. Sei­ne jün­ger lach­ten zwar ob die­ses Ge­re­des; und ei­ner von ih­nen sag­te so­gar: »eher glau­be ich noch, dass Za­ra­thustra sich den Teu­fel ge­holt hat.’ Aber im Grun­de der See­le wa­ren sie Alle voll Be­sorg­niss und Sehn­sucht: so war ihre Freu­de gross, als am fünf­ten Tage Za­ra­thustra un­ter ih­nen er­schi­en.

Und diess ist die Er­zäh­lung von Za­ra­thustra’s Ge­spräch mit dem Feu­er­hun­de.

Die Erde, sag­te er, hat eine Haut; und die­se Haut hat Krank­hei­ten. Eine die­ser Krank­hei­ten heisst zum Bei­spiel: »Mensch.«

Und eine an­de­re die­ser Krank­hei­ten heisst »Feu­er­hund«: über den ha­ben sich die Men­schen Viel vor­ge­lo­gen und vor­lü­gen las­sen.

Diess Ge­heim­niss zu er­grün­den gieng ich über das Meer: und ich habe die Wahr­heit nackt ge­sehn, wahr­lich! bar­fuss bis zum Hal­se.

Was es mit dem Feu­er­hund auf sich hat, weiss ich nun; und ins­glei­chen mit all den Aus­wurf- und Um­sturz-Teu­feln, vor de­nen sich nicht nur alte Weib­chen fürch­ten.

Heraus mit dir, Feu­er­hund, aus dei­ner Tie­fe! rief ich, und be­ken­ne, wie tief die­se Tie­fe ist! Wo­her ist das, was du da her­auf­schnaubst?

Du trinkst reich­lich am Mee­re: das ver­räth dei­ne ver­salz­te Be­red­sam­keit! Für­wahr, für einen Hund der Tie­fe nimmst du dei­ne Nah­rung zu sehr von der Ober­flä­che!

Höchs­tens für den Bauch­red­ner der Erde hal­t’ ich dich: und im­mer, wenn ich Um­sturz- und Aus­wurf-Teu­fel re­den hör­te, fand ich sie gleich dir: ge­sal­zen, lüg­ne­risch und flach.

Ihr ver­steht zu brül­len und mit Asche zu ver­dun­keln! Ihr seid die bes­ten Gross­mäu­ler und lern­tet satt­sam die Kunst, Schlamm heiss zu sie­den.

Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel Schwam­mich­tes, Höh­lich­tes, Ein­ge­zwäng­tes: das will in die Frei­heit.

»Frei­heit« brüllt ihr Alle am liebs­ten: aber ich ver­lern­te den Glau­ben an »gros­se Er­eig­nis­se,« so­bald viel Ge­brüll und Rauch um sie her­um ist.

Und glau­be mir nur, Freund Höl­len­lärm! Die gröss­ten Er­eig­nis­se – das sind nicht uns­re lau­tes­ten, son­dern uns­re stills­ten Stun­den.

Nicht um die Er­fin­der von neu­em Lär­me: um die Er­fin­der von neu­en Wert­hen dreht sich die Welt; un­hör­bar dreht sie sich.

Und ge­steh es nur! We­nig war im­mer nur ge­schehn, wenn dein Lärm und Rauch sich ver­zog. Was liegt dar­an, dass eine Stadt zur Mu­mie wur­de, und eine Bild­säu­le im Schlam­me liegt!

Und diess Wort sage ich noch den Um­stür­zern von Bild­säu­len. Das ist wohl die gröss­te Thor­heit, Salz in’s Meer und Bild­säu­len in den Schlamm zu wer­fen.

Im Schlam­me eu­rer Ver­ach­tung lag die Bild­säu­le: aber das ist ge­ra­de ihr Ge­setz, dass ihr aus der Ver­ach­tung wie­der Le­ben und le­ben­de Schön­heit wächst!

Mit gött­li­che­ren Zü­gen steht sie nun auf und lei­dend­ver­füh­re­risch; und wahr­lich! sie wird euch noch Dank sa­gen, dass ihr sie um­stürz­tet, ihr Um­stür­zer!

Die­sen Rath aber rat­he ich Kö­ni­gen und Kir­chen und Al­lem, was al­ters- und tu­gend­schwach ist – lasst euch nur um­stür­zen! Dass ihr wie­der zum Le­ben kommt, und zu euch – die Tu­gend! –

Also re­de­te ich vor dem Feu­er­hun­de: da un­ter­brach er mich mür­risch und frag­te: »Kir­che? Was ist denn das?«

Kir­che? ant­wor­te­te ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die ver­lo­gens­te. Doch schweig still, du Heu­chel­hund! Du kennst dei­ne Art wohl am bes­ten schon!

Gleich dir sel­ber ist der Staat ein Heu­chel­hund; gleich dir re­det er gern mit Rauch und Ge­brül­le, – dass er glau­ben ma­che, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Din­ge.

Denn er will durch­aus das wich­tigs­te Thier auf Er­den sein, der Staat; und man glaub­t’s ihm auch. –

Als ich das ge­sagt hat­te, ge­bär­de­te sich der Feu­er­hund wie un­sin­nig vor Neid. »Wie? schrie er, das wich­tigs­te Thier auf Er­den? Und man glaub­t’s ihm auch?« Und so viel Dampf und gräss­li­che Stim­men ka­men ihm aus dem Sch­lun­de, dass ich mein­te, er wer­de vor Ar­ger und Neid er­sti­cken.

End­lich wur­de er stil­ler, und sein Keu­chen liess nach; so­bald er aber stil­le war, sag­te ich la­chend:

»Du är­gerst dich, Feu­er­hund: also habe ich über dich Recht!

Und dass ich auch noch Recht be­hal­te, so höre von ei­nem an­dern Feu­er­hun­de: der spricht wirk­lich aus dem Her­zen der Erde.

Gold haucht sein Athem und gol­di­gen Re­gen: so will’s das Herz ihm. Was ist ihm Asche und Rauch und heis­ser Schleim noch!

La­chen flat­tert aus ihm wie ein bun­tes Ge­wöl­ke; ab­güns­tig ist er dei­nem Gur­geln und Spei­en und Grim­men der Ein- ge­wei­de!

Das Gold aber und das La­chen – das nimmt er aus dem Her­zen der Erde: denn dass du’s nur weisst, – das Herz der Erde ist von Gold

Als diess der Feu­er­hund ver­nahm, hielt er’s nicht mehr aus, mir zu­zu­hö­ren. Be­schämt zog er sei­nen Schwanz ein, sag­te auf eine klein­lau­te Wei­se Wau! Wau! und kroch hin­ab in sei­ne Höh­le. –

Also er­zähl­te Za­ra­thustra. Sei­ne Jün­ger aber hör­ten ihm kaum zu: so gross war ihre Be­gier­de, ihm von den Schiffs­leu­ten, den Ka­nin­chen und dem flie­gen­den Man­ne zu er­zäh­len.

»Was soll ich da­von den­ken! sag­te Za­ra­thustra. Bin ich denn ein Ge­s­penst?

Aber es wird mein Schat­ten ge­we­sen sein. Ihr hör­tet wohl schon Ei­ni­ges vom Wan­de­rer und sei­nem Schat­ten?

Si­cher aber ist das: ich muss ihn kür­zer hal­ten, – er verdirbt mir sonst noch den Ruf.«

Und noch­mals schüt­tel­te Za­ra­thustra den Kopf und wun­der­te sich. »Was soll ich da­von den­ken!« sag­te er noch­mals.

»Wa­rum schrie denn das Ge­s­penst: es ist Zeit! Es ist die höchs­te Zeit!

Wo­zu ist es denn – höchs­te Zeit?« –

Also sprach Za­ra­thustra.

Der Wahrsager

»- und ich sahe eine gros­se Trau­rig­keit über die Men­schen kom­men. Die Bes­ten wur­den ih­rer Wer­ke müde.

Eine Leh­re er­gieng, ein Glau­ben lief ne­ben ihr: »Al­les ist leer, Al­les ist gleich, Al­les war!«

Und von al­len Hü­geln klang es wie­der: »Al­les ist leer, Al­les ist gleich, Al­les war!«

Wohl ha­ben wir ge­ern­tet: aber warum wur­den alle Früch­te uns faul und braun? Was fiel vom bö­sen Mon­de bei der letz­ten Nacht her­nie­der?

Um­sonst war alle Ar­beit, Gift ist un­ser Wein ge­wor­den, bö­ser Blick seng­te uns­re Fel­der und Her­zen gelb.

Tro­cken wur­den wir Alle; und fällt Feu­er auf uns, so stäu­ben wir der Asche gleich: – ja das Feu­er sel­ber mach­ten wir müde.

Alle Brun­nen ver­sieg­ten uns, auch das Meer wich zu­rück. Al­ler Grund will reis­sen, aber die Tie­fe will nicht schlin­gen!

»Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man er­trin­ken könn­te«: so klingt uns­re Kla­ge – hin­weg über fla­che Sümp­fe.

Wahr­lich, zum Ster­ben wur­den wir schon zu müde; nun wa­chen wir noch und le­ben fort – in Grab­kam­mern!« –

Also hör­te Za­ra­thustra einen Wahr­sa­ger re­den; und sei­ne Weis­sa­gung gieng ihm zu Her­zen und ver­wan­del­te ihn. Trau­rig gieng er um­her und müde; und er wur­de De­nen gleich, von wel­chen der Wahr­sa­ger ge­re­det hat­te.

Wahr­lich, so sag­te er zu sei­nen Jün­gern, es ist um ein Klei­nes, so kommt die­se lan­ge Däm­me­rung. Ach, wie soll ich mein Licht hin­über ret­ten!

Dass es mir nicht er­sti­cke in die­ser Trau­rig­keit! Fer­ne­ren Wel­ten soll es ja Licht sein und noch ferns­ten Näch­ten!

Der­ge­stalt im Her­zen be­küm­mert gieng Za­ra­thustra um­her; und drei Tage lang nahm er nicht Trank und Spei­se zu sich, hat­te kei­ne Ruhe und ver­lor die Rede. End­lich ge­sch­ah es, dass er in einen tie­fen Schlaf ver­fiel. Sei­ne jün­ger aber sas­sen um ihn in lan­gen Nacht­wa­chen und war­te­ten mit Sor­ge, ob er wach wer­de und wie­der rede und ge­ne­sen sei von sei­ner Trüb­sal.

 

Diess aber ist die Rede, wel­che Za­ra­thustra sprach, als er auf­wach­te; sei­ne Stim­me aber kam zu sei­nen Jün­gern wie aus wei­ter Fer­ne.

Hört mir doch den Traum, den ich träum­te, ihr Freun­de, und helft mir sei­nen Sinn rat­hen!

Ein Räth­sel ist er mir noch, die­ser Traum; sein Sinn ist ver­bor­gen in ihm und ein­ge­fan­gen und fliegt noch nicht über ihn hin mit frei­en Flü­geln.

Al­lem Le­ben hat­te ich ab­ge­sagt, so träum­te mir. Zum Nacht- und Gr­ab­wäch­ter war ich wor­den, dort auf der ein­sa­men Berg-Burg des To­des.

Dro­ben hü­te­te ich sei­ne Sär­ge: voll stan­den die dump­fen Ge­wöl­be von sol­chen Sie­ges­zei­chen. Aus glä­ser­nen Sär­gen blick­te mich über­wun­de­nes Le­ben an.

Den Ge­ruch ver­staub­ter Ewig­kei­ten ath­me­te ich: schwül und ver­staubt lag mei­ne See­le. Und wer hät­te dort auch sei­ne See­le lüf­ten kön­nen!

Hel­le der Mit­ter­nacht war im­mer um mich, Ein­sam­keit kau­er­te ne­ben ihr; und, zu­dritt, rö­cheln­de To­des­s­til­le, die schlimms­te mei­ner Freun­din­nen.

Schlüs­sel führ­te ich, die ros­tigs­ten al­ler Schlüs­sel; und ich ver­stand es, da­mit das knar­rends­te al­ler Tho­re zu öff­nen.

Ei­nem bit­ter­bö­sen Ge­kräch­ze gleich lief der Ton durch die lan­gen Gän­ge, wenn sich des Tho­res Flü­gel ho­ben: un­hold schrie die­ser Vo­gel, un­gern woll­te er ge­weckt sein.

Aber furcht­ba­rer noch und herz­zu­schnü­ren­der war es, wenn es wie­der schwieg und rings stil­le ward, und ich al­lein sass in die­sem tücki­schen Schwei­gen.

So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich da­von! Aber end­lich ge­sch­ah das, was mich weck­te.

Drei­mal schlu­gen Schlä­ge an’s Thor, gleich Don­nern, es hall­ten und heul­ten die Ge­wöl­be drei­mal wie­der: da gieng ich zum Tho­re.

Alpa! rief ich, wer trägt sei­ne Asche zu Ber­ge? Alpa! Alpa! Wer trägt sei­ne Asche zu Ber­ge?

Und ich drück­te den Schlüs­sel und hob am Tho­re und müh­te mich. Aber noch kei­nen Fin­ger­breit stand es of­fen:

Da riss ein brau­sen­der Wind sei­ne Flü­gel aus­ein­an­der: pfei­fend, schril­lend und schnei­dend warf er mir einen schwar­zen Sarg zu:

Und im Brau­sen und Pfei­fen und Schril­len zer­barst der Sarg und spie tau­send­fäl­ti­ges Ge­läch­ter aus.

Und aus tau­send Frat­zen von Kin­dern, En­geln, Eu­len, Nar­ren und kin­der­gros­sen Schmet­ter­lin­gen lach­te und höhn­te und braus­te es wi­der mich.

Gräss­lich er­schrak ich darob: es warf mich nie­der. Und ich schrie vor Grau­sen, wie nie ich schrie.

Aber der eig­ne Schrei weck­te mich auf: – und ich kam zu mir. –

Also er­zähl­te Za­ra­thustra sei­nen Traum und schwieg dann: denn er wuss­te noch nicht die Deu­tung sei­nes Trau­mes. Aber der jün­ger, den er am meis­ten lieb hat­te, er­hob sich schnell, fass­te die Hand Za­ra­thustra’s und sprach:

»Dein Le­ben sel­ber deu­tet uns die­sen Traum, oh Za­ra­thustra!

Bist du nicht sel­ber der Wind mit schril­lem Pfei­fen, der den Bur­gen des To­des die Tho­re auf­rei­sst?

Bist du nicht sel­ber der Sarg voll bun­ter Bos­hei­ten und En­gels­frat­zen des Le­bens?

Wahr­lich, gleich tau­send­fäl­ti­gem Kinds­ge­läch­ter kommt Za­ra­thustra in alle Tod­ten­kam­mern, la­chend über die­se Nacht- und Gr­ab­wäch­ter, und wer sonst mit düs­tern Schlüs­seln ras­selt.

Schre­cken und um­wer­fen wirst du sie mit dei­nem Ge­läch­ter; Ohn­macht und Wach­wer­den wird dei­ne Macht über sie be­wei­sen.

Und auch, wenn die lan­ge Däm­me­rung kommt und die To­des­mü­dig­keit, wirst du an un­serm Him­mel, nicht un­ter­gehn, du Für­spre­cher des Le­bens!

Neue Ster­ne lies­sest du uns se­hen und neue Nacht­herr­lich­kei­ten; wahr­lich, das La­chen sel­ber spann­test du wie ein bun­tes Ge­zelt über uns.

Nun wird im­mer Kin­des-La­chen aus Sär­gen quel­len; nun wird im­mer sieg­reich ein star­ker Wind kom­men al­ler To­des­mü­dig­keit: des­sen bist du uns sel­ber Bür­ge und Wahr­sa­ger!

Wahr­lich, sie sel­ber träum­test du, dei­ne Fein­de: das war dein schwers­ter Traum!

Aber wie du von ih­nen auf­wach­test und zu dir kamst, also sol­len sie sel­ber von sich auf­wa­chen – und zu dir kom­men!« –

So sprach der jün­ger; und alle An­de­ren dräng­ten sich nun um Za­ra­thustra und er­grif­fen ihn bei den Hän­den und woll­ten ihn be­re­den, dass er vom Bet­te und von der Trau­rig­keit las­se und zu ih­nen zu­rück­keh­re. Za­ra­thustra aber sass auf­ge­rich­tet auf sei­nem La­ger, und mit frem­dem Bli­cke. Gleich­wie Ei­ner, der aus lan­ger Frem­de heim­kehrt, sah er auf sei­ne Jün­ger und prüf­te ihre Ge­sich­ter; und noch er­kann­te er sie nicht. Als sie aber ihn ho­ben und auf die Füs­se stell­ten, sie­he, da ver­wan­del­te sich mit Ei­nem Male sein Auge; er be­griff Al­les, was ge­sche­hen war, strich sich den Bart und sag­te mit star­ker Stim­me:

»Wohl­an! Diess nun hat sei­ne Zeit; sorgt mir aber da­für, mei­ne jün­ger, dass wir eine gute Mahl­zeit ma­chen, und in Kür­ze! Also ge­den­ke ich Bus­se zu thun für schlim­me Träu­me!

Der Wahr­sa­ger aber soll an mei­ner Sei­te es­sen und trin­ken: und wahr­lich, ich will ihm noch ein Meer zei­gen, in dem er er­trin­ken kann!«

Also sprach Za­ra­thustra. Da­rauf aber blick­te er dem jün­ger, wel­cher den Traum­deu­ter ab­ge­ge­ben hat­te, lan­ge in’s Ge­sicht und schüt­tel­te da­bei den Kopf. –

Von der Erlösung

Als Za­ra­thustra ei­nes Tags über die gros­se Brücke gieng, um­ring­ten ihn die Krüp­pel und Bett­ler, und ein Buck­lich­ter re­de­te also zu ihm:

»Sie­he, Za­ra­thustra! Auch das Volk lernt von dir und ge­winnt Glau­ben an dei­ne Leh­re: aber dass es ganz dir glau­ben soll, dazu be­darf es noch Ei­nes – du musst erst noch uns Krüp­pel über­re­den! Hier hast du nun eine schö­ne Aus­wahl und wahr­lich, eine Ge­le­gen­heit mit mehr als Ei­nem Schop­fe! Blin­de kannst du hei­len und Lah­me lau­fen ma­chen; und Dem, der zu­viel hin­ter sich hat, könn­test du wohl auch ein We­nig ab­neh­men: – das, mei­ne ich, wäre die rech­te Art, die Krüp­pel an Za­ra­thustra glau­ben zu ma­chen!«

Za­ra­thustra aber er­wi­der­te Dem, der da re­de­te, also: »Wenn man dem Buck­lich­ten sei­nen Bu­ckel nimmt, so nimmt man ihm sei­nen Geist – also lehrt das Volk. Und wenn man dem Blin­den sei­ne Au­gen giebt, so sieht er zu­viel schlim­me Din­ge auf Er­den: also dass er Den ver­flucht, der ihn heil­te. Der aber, wel­cher den Lah­men lau­fen macht, der thut ihm den gröss­ten Scha­den an: denn kaum kann er lau­fen, so gehn sei­ne Las­ter mit ihm durch – also lehrt das Volk über Krüp­pel. Und warum soll­te Za­ra­thustra nicht auch vom Vol­ke ler­nen, wenn das Volk von Za­ra­thustra lernt?

Das ist mir aber das Ge­rings­te, seit ich un­ter Men­schen bin, dass ich sehe: »Die­sem fehlt ein Auge und je­nem ein Ohr und ei­nem Drit­ten das Bein, und And­re giebt es, die ver­lo­ren die Zun­ge oder die Nase oder den Kopf.«

Ich sehe und sah Schlim­me­res und man­cher­lei so Ab­scheu­li­ches, dass ich nicht von Jeg­li­chem re­den und von Ei­ni­gem nicht ein­mal schwei­gen möch­te: näm­lich Men­schen, de­nen es an Al­lem fehlt, aus­ser dass sie Eins zu­viel ha­ben – Men­schen, wel­che Nichts wei­ter sind als ein gros­ses Auge, oder ein gros­ses Maul oder ein gros­ser Bauch oder ir­gend et­was Gros­ses, – um­ge­kehr­te Krüp­pel heis­se ich Sol­che.

Und als ich aus mei­ner Ein­sam­keit kam und zum ers­ten Male über die­se Brücke gieng: da trau­te ich mei­nen Au­gen nicht und sah hin, und wie­der hin, und sag­te end­lich: »das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein Mensch!« Ich sah noch bes­ser hin: und wirk­lich, un­ter dem Ohre be­weg­te sich noch Et­was, das zum Er­bar­men klein und ärm­lich und schmäch­tig war. Und wahr­haf­tig, das un­ge­heu­re Ohr sass auf ei­nem klei­nen dün­nen Stie­le, – der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, konn­te so­gar noch ein klei­nes nei­di­sches Ge­sicht­chen er­ken­nen; auch, dass ein ge­dun­se­nes Seel­chen am Stie­le bau­mel­te. Das Volk sag­te mir aber, das gros­se Ohr sei nicht nur ein Mensch, son­dern ein gros­ser Mensch, ein Ge­nie. Aber ich glaub­te dem Vol­ke nie­mals, wenn es von gros­sen Men­schen re­de­te – und be­hielt mei­nen Glau­ben bei, dass es ein um­ge­kehr­ter Krüp­pel sei, der an Al­lem zu we­nig und an Ei­nem zu viel habe.«

Als Za­ra­thustra so zu dem Buck­lich­ten ge­re­det hat­te und zu De­nen, wel­chen er Mund­stück und Für­spre­cher war, wand­te er sich mit tie­fem Un­mu­the zu sei­nen Jün­gern und sag­te:

»Wahr­lich, mei­ne Freun­de, ich wand­le un­ter den Men­schen wie un­ter den Bruch­stücken und Glied­maas­sen von Men­schen!

Diess ist mei­nem Auge das Fürch­ter­li­che, dass ich den Men­schen zer­trüm­mert fin­de und zer­streu­et wie über ein Schlacht- und Schläch­ter­feld hin.

Und flüch­tet mein Auge vom Jetzt zum Ehe­mals: es fin­det im­mer das Glei­che: Bruch­stücke und Glied­maas­sen und grau­se Zu­fäl­le – aber kei­ne Men­schen!

Das jetzt und das Ehe­mals auf Er­den – ach! mei­ne Freun­de – das, ist mein Uner­träg­lichs­tes; und ich wüss­te nicht zu le­ben, wenn ich nicht noch ein Se­her wäre, des­sen, was kom­men muss.

Ein Se­her, ein Wol­len­der, ein Schaf­fen­der, eine Zu­kunft sel­ber und eine Brücke zur Zu­kunft – und ach, auch noch gleich­sam ein Krüp­pel an die­ser Brücke: das Al­les ist Za­ra­thustra.

Und auch ihr frag­tet euch oft: »wer ist uns Za­ra­thustra? Wie soll er uns heis­sen?« Und gleich mir sel­ber gabt ihr euch Fra­gen zur Ant­wort.

Ist er ein Ver­spre­chen­der? Oder ein Er­fül­ler? Ein Erobern­der? Oder ein Er­ben­der? Ein Herbst? Oder eine Pflug­schar? Ein Arzt? Oder ein Ge­ne­se­ner?

Ist er ein Dich­ter? Oder ein Wahr­haf­ti­ger? Ein Be­frei­er? Oder ein Bän­di­ger? Ein Gu­ter? Oder ein Bö­ser?

Ich wand­le un­ter Men­schen als den Bruch­stücken der Zu­kunft: je­ner Zu­kunft, die ich schaue.

Und das ist all mein Dich­ten und Trach­ten, dass ich in Eins dich­te und zu­sam­men­tra­gen was Bruch­stück ist und Räth­sel und grau­ser Zu­fall.

Und wie er­trü­ge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dich­ter und Räth­sel­rat­her und der Er­lö­ser des Zu­falls wäre!

Die Ver­gang­nen zu er­lö­sen und al­les »Es war« um­zu­schaf­fen in ein »So woll­te ich es!« – das hies­se mir erst Er­lö­sung!

Wil­le – so heisst der Be­frei­er und Freu­de­brin­ger: also lehr­te ich euch, mei­ne Freun­de! Und nun lernt diess hin­zu: der Wil­le sel­ber ist noch ein Ge­fan­ge­ner.

Wol­len be­freit: aber wie heisst Das, was auch den Be­frei­er noch in Ket­ten schlägt?

»Es war«: also heisst des Wil­lens Zäh­ne­knir­schen und ein­sams­te Trüb­sal. Ohn­mäch­tig ge­gen Das, was gethan ist – ist er al­lem Ver­gan­ge­nen ein bö­ser Zuschau­er.

Nicht zu­rück kann der Wil­le wol­len; dass er die Zeit nicht bre­chen kann und der Zeit Be­gier­de, – das ist des Wil­lens ein­sams­te Trüb­sal.

Wol­len be­freit: was er­sinnt sich das Wol­len sel­ber, dass es los sei­ner Trüb­sal wer­de und sei­nes Ker­kers spot­te?

Ach, ein Narr wird je­der Ge­fan­ge­ne! När­risch er­löst sich auch der ge­fan­ge­ne Wil­le.

Dass die Zeit nicht zu­rück­läuft, das ist sein In­grimm; »Das, was war« – so heisst der Stein, den er nicht wäl­zen kann.

Und so wälzt er Stei­ne aus In­grimm und Un­muth und übt Ra­che an dem, was nicht gleich ihm Grimm und Un­muth fühlt.

Also wur­de der Wil­le, der Be­frei­er, ein We­he­t­hä­ter: und an Al­lem, was lei­den kann, nimmt er Ra­che da­für, dass er nicht zu­rück kann.

Diess, ja diess al­lein ist Ra­che sel­ber: des Wil­lens Wi­der­wil­le ge­gen die Zeit und ihr »Es war.«

Wahr­lich, eine gros­se Narr­heit wohnt in un­serm Wil­len; und zum Flu­che wur­de es al­lem Men­sch­li­chen, dass die­se Narr­heit Geist lern­te!

Der Geist der Ra­che: mei­ne Freun­de, das war bis­her der Men­schen bes­tes Nach­den­ken; und wo Leid war, da soll­te im­mer Stra­fe sein.

»Stra­fe« näm­lich, so heisst sich die Ra­che sel­ber: mit ei­nem Lü­gen­wort heu­chelt sie sich ein gu­tes Ge­wis­sen.

Und weil im Wol­len­den sel­ber Leid ist, darob dass es nicht zu­rück wol­len kann, – also soll­te Wol­len sel­ber und al­les Le­ben – Stra­fe sein!

Und nun wälz­te sich Wol­ke auf Wol­ke über den Geist: bis end­lich der Wahn­sinn pre­dig­te: »Al­les ver­geht, dar­um ist Al­les werth zu ver­gehn!«

 

»Und diess ist sel­ber Ge­rech­tig­keit, je­nes Ge­setz der Zeit, dass sie ihre Kin­der fres­sen muss«: also pre­dig­te der Wahn­sinn.

»Sitt­lich sind die Din­ge ge­ord­net nach Recht und Stra­fe. Oh wo ist die Er­lö­sung vom Fluss der Din­ge und der Stra­fe Da­sein«? Also pre­dig­te der Wahn­sinn.

»Kann es Er­lö­sung ge­ben, wenn es ein ewi­ges Recht giebt? Ach, un­wälz­bar ist der Stein »Es war«: ewig müs­sen auch alle Stra­fen sein!« Also pre­dig­te der Wahn­sinn.

»Kei­ne That kann ver­nich­tet wer­den: wie könn­te sie durch die Stra­fe un­gethan wer­den! Diess, diess ist das Ewi­ge an der Stra­fe »Da­sein«, dass das Da­sein auch ewig wie­der That und Schuld sein muss!

»Es sei denn, dass der Wil­le end­lich sich sel­ber er­lös­te und Wol­len zu Nicht-Wol­len wür­de –«: doch ihr kennt, mei­ne Brü­der, diess Fa­bel­lied des Wahn­sinns!

Weg führ­te ich euch von die­sen Fa­bel­lie­dern, als ich euch lehr­te: »der Wil­le ist ein Schaf­fen­der.«

Al­les »Es war« ist ein Bruch­stück, ein Räth­sel, ein grau­ser Zu­fall – bis der schaf­fen­de Wil­le dazu sagt: aber so woll­te ich es!«

Bis der schaf­fen­de Wil­le dazu sagt: »Aber so will ich es! So wer­de ich’s wol­len!«

Aber sprach er schon so? Und wann ge­schieht diess? Ist der Wil­le schon ab­ge­schirrt von sei­ner eig­nen Thor­heit?

Wur­de der Wil­le sich sel­ber schon Er­lö­ser und Freu­de­brin­ger? Ver­lern­te er den Geist der Ra­che und al­les Zäh­ne­knir­schen?

Und wer lehr­te ihn Ver­söh­nung mit der Zeit, und Hö­he­res als alle Ver­söh­nung ist?

Hö­he­res als alle Ver­söh­nung muss der Wil­le wol­len, wel­cher der Wil­le zur Macht ist –: doch wie ge­schieht ihm das? Wer lehr­te ihn auch noch das Zu­rück­wol­len?«

– Aber an die­ser Stel­le sei­ner Rede ge­sch­ah es, dass Za­ra­thustra plötz­lich in­ne­hielt und ganz ei­nem Sol­chen gleich sah, der auf das Äus­sers­te erschrickt. Mit er­schreck­tem Auge blick­te er auf sei­ne Jün­ger; sein Auge durch­bohr­te wie mit Pfei­len ihre Ge­dan­ken und Hin­ter­ge­dan­ken. Aber nach ei­ner klei­nen Wei­le lach­te er schon wie­der und sag­te be­gü­tigt:

»Es ist schwer, mit Men­schen zu le­ben, weil Schwei­gen so schwer ist. Son­der­lich für einen Ge­schwät­zi­gen.« –

Also sprach Za­ra­thustra. Der Buck­lich­te aber hat­te dem Ge­sprä­che zu­ge­hört und sein Ge­sicht da­bei be­deckt; als er aber Za­ra­thustra la­chen hör­te, blick­te er neu­gie­rig auf und sag­te lang­sam:

»Aber warum re­det Za­ra­thustra an­ders zu uns als zu sei­nen Jün­gern?«

Za­ra­thustra ant­wor­te­te: »Was ist da zum Ver­wun­dern! Mit Buck­lich­ten darf man schon buck­licht re­den!«

»Gut, sag­te der Buck­lich­te; und mit Schü­lern darf man schon aus der Schu­le schwät­zen.

Aber warum re­det Za­ra­thustra an­ders zu sei­nen Schü­lern – als zu sich sel­ber?« –