Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Vom Geist der Schwere
1

Mein Mund­werk – ist des Volks: zu grob und herz­lich rede ich für die Sei­den­ha­sen. Und noch frem­der klingt mein Wort al­len Tin­ten-Fi­schen und Fe­der-Füch­sen.

Mei­ne Hand – ist eine Nar­ren­hand: wehe al­len Ti­schen und Wän­den, und was noch Platz hat für Nar­ren-Zie­rath, Nar­ren-Schmie­rath!

Mein Fuss – ist ein Pfer­de­fuss; da­mit trapp­le und tra­be ich über Stock und Stein, kreuz- und quer­feld-ein und bin des Teu­fels vor Lust bei al­lem schnel­len Lau­fen.

Mein Ma­gen – ist wohl ei­nes Ad­lers Ma­gen? Denn er liebt am liebs­ten Lamm­fleisch. Ge­wiss­lich aber ist er ei­nes Vo­gels Ma­gen.

Von un­schul­di­gen Din­gen ge­nährt und von We­ni­gem, be­reit und un­ge­dul­dig zu flie­gen, da­von­zu­flie­gen – das ist nun mei­ne Art: wie soll­te nicht Et­was dar­an von Vo­gel-Art sein!

Und zu­mal, dass ich dem Geist der Schwe­re feind bin, das ist Vo­gel-Art: und wahr­lich, tod­feind, erz­feind, ur­feind! Oh wo­hin flog und ver­flog sich nicht schon mei­ne Feind­schaft!

Da­von könn­te ich schon ein Lied sin­gen – – und will es sin­gen: ob ich gleich al­lein in lee­rem Hau­se bin und es mei­nen eig­nen Ohren sin­gen muss.

And­re Sän­ger giebt es frei­lich, de­nen macht das vol­le Haus erst ihre Keh­le wei­de, ihre Hand ge­sprä­chig, ihr Auge aus­drück­lich, ihr Herz wach: – De­nen glei­che ich nicht. –

2

Wer die Men­schen einst flie­gen lehrt, der hat alle Grenz­stei­ne ver­rückt; alle Grenz­stei­ne sel­ber wer­den ihm in die Luft flie­gen, die Erde wird er neu tau­fen – als »die Leich­te.«

Der Vo­gel Strauss läuft schnel­ler als das schnells­te Pferd, aber auch er steckt noch den Kopf schwer in schwe­re Erde: also der Mensch, der noch nicht flie­gen kann.

Schwer heisst ihm Erde und Le­ben; und so will es der Geist der Schwe­re! Wer aber leicht wer­den will und ein Vo­gel, der muss sich sel­ber lie­ben: – also leh­re ich.

Nicht frei­lich mit der Lie­be der Sie­chen und Süch­ti­gen: denn bei de­nen stinkt auch die Ei­gen­lie­be!

Man muss sich sel­ber lie­ben ler­nen – also leh­re ich – mit ei­ner hei­len und ge­sun­den Lie­be: dass man es bei sich sel­ber aus­hal­te und nicht um­her­schwei­fe.

Sol­ches Um­her­schwei­fen tauft sich »Nächs­ten­lie­be«: mit die­sem Wor­te ist bis­her am bes­ten ge­lo­gen und ge­heu­chelt wor­den, und son­der­lich von Sol­chen, die al­ler Welt schwer fie­len.

Und wahr­lich, das ist kein Ge­bot für Heu­te und Mor­gen, sich lie­ben ler­nen. Viel­mehr ist von al­len Küns­ten die­se die feins­te, lis­tigs­te, letz­te und ge­duld­sams­te.

Für sei­nen Ei­ge­ner ist näm­lich al­les Ei­ge­ne gut ver­steckt; und von al­len Schatz­gru­ben wird die eig­ne am spä­tes­ten aus­ge­gra­ben, – also schafft es der Geist der Schwe­re.

Fast in der Wie­ge giebt man uns schon schwe­re Wor­te und Wert­he mit: »gut« und »böse« – so heisst sich die­se Mit­gift. Um de­rent­wil­len ver­giebt man uns, dass wir le­ben.

Und dazu lässt man die Kind­lein zu sich kom­men, dass man ih­nen bei Zei­ten weh­re, sich sel­ber zu lie­ben: also schafft es der Geist der Schwe­re.

Und wir – wir schlep­pen treu­lich, was man uns mit­giebt, auf har­ten Schul­tern und über rau­he Ber­ge! Und schwit­zen wir, so sagt man uns: »Ja, das Le­ben ist schwer zu tra­gen!«

Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tra­gen! Das macht, er schleppt zu vie­les Frem­de auf sei­nen Schul­tern. Dem Ka­mee­le gleich kniet er nie­der und lässt sich gut auf­la­den.

Son­der­lich der star­ke, trag­sa­me Mensch, dem Ehr­furcht in­ne­wohnt: zu vie­le frem­de schwe­re Wor­te und Wert­he lädt er auf sich, – nun dünkt das Le­ben ihm eine Wüs­te!

Und wahr­lich! Auch man­ches Ei­ge­ne ist schwer zu tra­gen! Und viel In­wen­di­ges am Men­schen ist der Aus­ter gleich, näm­lich ekel und schlüpf­rig und schwer er­fass­lich –,

– also dass eine edle Scha­le mit ed­ler Zie­rath für­bit­ten muss. Aber auch die­se Kunst muss man ler­nen: Scha­le ha­ben und schö­nen Schein und klu­ge Blind­heit!

Aber­mals trügt über Man­ches am Men­schen, dass man­che Scha­le ge­ring und trau­rig und zu sehr Scha­le ist. Viel ver­bor­ge­ne Güte und Kraft wird nie er­rat­hen; die köst­lichs­ten Lecker­bis­sen fin­den kei­ne Schme­cker!

Die Frau­en wis­sen das, die köst­lichs­ten: ein We­nig fet­ter, ein We­nig ma­ge­rer – oh wie viel Schick­sal liegt in so We­ni­gem!

Der Mensch ist schwer zu ent­de­cken und sich sel­ber noch am schwers­ten; oft lügt der Geist über die See­le. Also schafft es der Geist der Schwe­re.

Der aber hat sich sel­ber ent­deckt, wel­cher spricht: Das ist mein Gu­tes und Bö­ses: da­mit hat er den Maul­wurf und Zwerg stumm ge­macht, wel­cher spricht »Al­len gut, Al­len bös.«

Wahr­lich, ich mag auch Sol­che nicht, de­nen jeg­li­ches Ding gut und die­se Welt gar die bes­te heisst. Sol­che nen­ne ich die All­ge­nüg­sa­men.

All­ge­nüg­sam­keit, die Al­les zu schme­cken weiss: das ist nicht der bes­te Ge­schmack! Ich ehre die wi­der­späns­ti­gen wäh­le­ri­schen Zun­gen und Mä­gen, wel­che »Ich« und »Ja« und »Nein« sa­gen lern­ten.

Al­les aber kau­en und ver­dau­en – das ist eine rech­te Schwei­ne-Art! Im­mer I-a sa­gen – das lern­te al­lein der Esel, und wer sei­nes Geis­tes ist! –

Das tie­fe Gelb und das heis­se Roth: so will es mein Ge­schmack, – der mischt Blut zu al­len Far­ben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der ver­räth mir eine weiss­ge­tünch­te See­le.

In Mu­mi­en ver­liebt die Ei­nen, die An­dern in Ge­s­pens­ter; und Bei­de gleich feind al­lem Fleisch und Blu­te – oh wie ge­hen Bei­de mir wi­der den Ge­schmack! Denn ich lie­be Blut.

Und dort will ich nicht woh­nen und wei­len, wo Je­der­mann spuckt und speit: das ist nun mein Ge­schmack, – lie­ber noch leb­te ich un­ter Die­ben und Mein­ei­di­gen. Nie­mand trägt Gold im Mun­de.

Wi­d­ri­ger aber sind mir noch alle Spei­chel­le­cker; und das wid­rigs­te Thier von Mensch, das ich fand, das tauf­te ich Schma­rot­zer: das woll­te nicht lie­ben und doch von Lie­be le­ben.

Un­se­lig heis­se ich Alle, die nur Eine Wahl ha­ben: böse Thie­re zu wer­den oder böse Thier­bän­di­ger: bei Sol­chen wür­de ich mir kei­ne Hüt­ten bau­en.

Un­se­lig heis­se ich auch Die, wel­che im­mer war­ten müs­sen, – die ge­hen mir wi­der den Ge­schmack: alle die Zöll­ner und Krä­mer und Kö­ni­ge und and­ren Län­der- und La­den­hü­ter.

Wahr­lich, ich lern­te das War­ten auch und von Grund aus,

– aber nur das War­ten auf mich. Und über Al­lem lern­te ich stehn und gehn und lau­fen und sprin­gen und klet­tern und tan­zen.

Das ist aber mei­ne Leh­re: wer einst flie­gen ler­nen will, der muss erst stehn und gehn und lau­fen und klet­tern und tan­zen ler­nen: – man er­fliegt das Flie­gen nicht!

Mit Strick­lei­tern lern­te ich man­ches Fens­ter er­klet­tern, mit hur­ti­gen Bei­nen klomm ich auf hohe Mas­ten: auf ho­hen Mas­ten der Er­kennt­niss sit­zen dünk­te mich kei­ne ge­rin­ge Se­lig­keit, –

– gleich klei­nen Flam­men fla­ckern auf ho­hen Mas­ten: ein klei­nes Licht zwar, aber doch ein gros­ser Trost für ver­schla­ge­ne Schif­fer und Schiff­brü­chi­ge! –

Auf vie­ler­lei Weg und Wei­se kam ich zu mei­ner Wahr­heit; nicht auf Ei­ner Lei­ter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in mei­ne Fer­ne schweift.

Und un­gern nur frag­te ich stets nach We­gen, – das gieng mir im­mer wi­der den Ge­schmack! Lie­ber frag­te und ver­such­te ich die Wege sel­ber.

Ein Ver­su­chen und Fra­gen war all mein Ge­hen: – und wahr­lich, auch ant­wor­ten muss man ler­nen auf sol­ches Fra­gen! Das aber – ist mein Ge­schmack:

– kein gu­ter, kein schlech­ter, aber mein Ge­schmack, des­sen ich we­der Scham noch Hehl mehr habe.

»Das – ist nun mein Weg, – wo ist der eure?« so ant­wor­te­te ich De­nen, wel­che mich »nach dem Wege« frag­ten. Den Weg näm­lich – den giebt es nicht!

Also sprach Za­ra­thustra.

Von alten und neuen Tafeln
1

Hier sit­ze ich und war­te, alte zer­bro­che­ne Ta­feln um mich und auch neue halb be­schrie­be­ne Ta­feln. Wann kommt mei­ne Stun­de?

– die Stun­de mei­nes Nie­der­gan­ges, Un­ter­gan­ges: denn noch Ein Mal will ich zu den Men­schen gehn.

Dess war­te ich nun: denn erst müs­sen mir die Zei­chen kom­men, dass es mei­ne Stun­de sei, – näm­lich der la­chen­de Löwe mit dem Tau­ben­schwar­me.

In­zwi­schen rede ich als Ei­ner, der Zeit hat, zu mir sel­ber. Nie­mand er­zählt mir Neu­es: so er­zäh­le ich mir mich sel­ber. –

2

Als ich zu den Men­schen kam, da fand ich sie sit­zen auf ei­nem al­ten Dün­kel: Alle dünk­ten sich lan­ge schon zu wis­sen, was dem Men­schen gut und böse sei.

Eine alte müde Sa­che dünk­te ih­nen al­les Re­den von Tu­gend; und wer gut schla­fen woll­te, der sprach vor Schla­fen­ge­hen noch von »Gut« und »Böse«.

Die­se Schlä­fe­rei stör­te ich auf, als ich lehr­te: was gut und böse ist, das weiss noch Nie­man­d: – es sei denn der Schaf­fen­de!

– Das aber ist Der, wel­cher des Men­schen Ziel schafft und der Erde ih­ren Sinn giebt und ihre Zu­kunft: Die­ser erst schafft es, dass Et­was gut und böse ist.

Und ich hiess sie ihre al­ten Lehr-Stüh­le um­wer­fen, und wo nur je­ner alte Dün­kel ge­ses­sen hat­te; ich hiess sie la­chen über ihre gros­sen Tu­gend-Meis­ter und Hei­li­gen und Dich­ter und Welt-Er­lö­ser.

 

Über ihre düs­te­ren Wei­sen hiess ich sie la­chen, und wer je als schwar­ze Vo­gel­scheu­che war­nend auf dem Bau­me des Le­bens ge­ses­sen hat­te.

An ihre gros­se Grä­ber­stras­se setz­te ich mich und sel­ber zu Aas und Gei­ern – und ich lach­te über all ihr Einst und sei­ne mür­be ver­fal­len­de Herr­lich­keit.

Wahr­lich, gleich Buss­pre­di­gern und Narrn schrie ich Zorn und Ze­ter über all ihr Gros­ses und Klei­nes –, dass ihr Bes­tes so gar klein ist! Dass ihr Bö­ses­tes so gar klein ist! – also lach­te ich.

Mei­ne wei­se Sehn­sucht schrie und lach­te also aus mir, die auf Ber­gen ge­bo­ren ist, eine wil­de Weis­heit wahr­lich! – mei­ne gros­se flü­gelbrau­sen­de Sehn­sucht.

Und oft riss sie mich fort und hin­auf und hin­weg und mit­ten im La­chen: da flog ich wohl schau­dernd, ein Pfeil, durch son­nen­trun­ke­nes Ent­zücken:

– hin­aus in fer­ne Zu­künf­te, die kein Traum noch sah, in heis­se­re Sü­den, als je sich Bild­ner träum­ten: dort­hin, wo Göt­ter tan­zend sich al­ler Klei­der schä­men: –

– dass ich näm­lich in Gleich­nis­sen rede und gleich Dich­tern hin­ke und stamm­le: und wahr­lich, ich schä­me mich, dass ich noch Dich­ter sein muss! –

Wo al­les Wer­den mich Göt­ter-Tanz und Göt­ter-Muthwil­len dünk­te, und die Welt los- und aus­ge­las­sen und zu sich sel­ber zu­rück­flie­hend: –

– als ein ewi­ges Sich-fliehn und –Wie­der­su­chen vie­ler Göt­ter, als das se­li­ge Sich-Wi­der­spre­chen, Sich-Wie­der-hö­ren, Sich-Wie­der-Zu­ge­hö­ren vie­ler Göt­ter: –

Wo alle Zeit mich ein se­li­ger Hohn auf Au­gen­bli­cke dünk­te, wo die No­thwen­dig­keit die Frei­heit sel­ber war, die se­lig mit dem Sta­chel der Frei­heit spiel­te: –

Wo ich auch mei­nen al­ten Teu­fel und Erz­feind wie­der­fand, den Geist der Schwe­re und Al­les, was er schuf: Zwang, Sat­zung, Noth und Fol­ge und Zweck und Wil­le und Gut und Böse: –

Denn muss nicht da­sein, über das ge­tanzt, hin­weg­ge­tanzt wer­de? Müs­sen nicht um der Leich­ten, Leich­tes­ten wil­len – Maul­wür­fe und schwe­re Zwer­ge da­sein? – –

3

Dort war’s auch, wo ich das Wort »Über­mensch« vom Wege auf­las, und dass der Mensch Et­was sei, das über­wun­den wer­den müs­se,

– dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich se­lig prei­send ob sei­nes Mit­tags und Abends, als Weg zu neu­en Mor­gen­rö­then:

– das Za­ra­thustra-Wort vom gros­sen Mit­ta­ge, und was sonst ich über den Men­schen auf­häng­te, gleich pur­pur­nen zwei­ten Aben­drö­then.

Wahr­lich, auch neue Ster­ne liess ich sie sehn sammt neu­en Näch­ten; und über Wol­ken und Tag und Nacht spann­te ich noch das La­chen aus wie ein bun­tes Ge­zelt.

Ich lehr­te sie all mein Dich­ten und Trach­ten: in Eins zu dich­ten und zu­sam­men zu tra­gen, was Bruch­stück ist am Men­schen und Räth­sel und grau­ser Zu­fall, –

– als Dich­ter, Räth­sel­rat­her und Er­lö­ser des Zu­falls lehr­te ich sie an der Zu­kunft schaf­fen, und Al­les, das war –, schaf­fend zu er­lö­sen.

Das Ver­gang­ne am Men­schen zu er­lö­sen und al­les »Es war« um­zu­schau­en, bis der Wil­le spricht: »Aber so woll­te ich es! So wer­de ich’s wol­len –«

– Diess hiess ich ih­nen Er­lö­sung, Diess al­lein lehr­te ich sie Er­lö­sung heis­sen. – –

Nun war­te ich mei­ner Er­lö­sung –, dass ich zum letz­ten Male zu ih­nen gehe.

Denn noch Ein Mal will ich zu den Men­schen: un­ter ih­nen will ich un­ter­ge­hen, ster­bend will ich ih­nen mei­ne reichs­te Gabe ge­ben!

Der Son­ne lern­te ich Das ab, wenn sie hin­ab­ge­ht, die Über­rei­che: Gold schüt­tet sie da in’s Meer aus un­er­schöpf­li­chem Reicht­hu­me, –

– also, dass der ärms­te Fi­scher noch mit gol­de­nem Ru­der ru­dert! Diess näm­lich sah ich einst und wur­de der Thrä­nen nicht satt im Zuschau­en. – –

Der Son­ne gleich will auch Za­ra­thustra un­ter­gehn: nun sitzt er hier und war­tet, alte zer­broch­ne Ta­feln um sich und auch neue Ta­feln, – halb­be­schrie­be­ne.

4

Sie­he, hier ist eine neue Ta­fel: aber wo sind mei­ne Brü­der, die sie mit mir zu Tha­le und in flei­scher­ne Her­zen tra­gen? –

Also heischt es mei­ne gros­se Lie­be zu den Ferns­ten: scho­ne dei­nen Nächs­ten nicht! Der Mensch ist Et­was, das über­wun­den wer­den muss.

Es giebt vie­ler­lei Weg und Wei­se der Über­win­dung.- da sie­he du zu! Aber nur ein Pos­sen­reis­ser denkt: »der Mensch kann auch über­sprun­gen wer­den.«

Über­win­de dich sel­ber noch in dei­nem Nächs­ten: und ein Recht, das du dir rau­ben kannst, sollst du dir nicht ge­ben las­sen!

Was du thust, das kann dir Kei­ner wie­der thun. Sie­he, es giebt kei­ne Ver­gel­tung.

Wer sich nicht be­feh­len kann, der soll ge­hor­chen. Und Man­cher kann sich be­feh­len, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch ge­hor­che!

5

Also will es die Art ed­ler See­len: sie wol­len Nichts um­sonst ha­ben, am we­nigs­ten das Le­ben.

Wer vom Pö­bel ist, der will um­sonst le­ben; wir An­de­ren aber, de­nen das Le­ben sich gab, – wir sin­nen im­mer dar­über, was wir am bes­ten da­ge­gen ge­ben!

Und wahr­lich, diess ist eine vor­neh­me Rede, wel­che spricht: »was uns das Le­ben ver­spricht, das wol­len wir – dem Le­ben hal­ten!«

Man soll nicht ge­nies­sen wol­len, wo man nicht zu ge­nies­sen giebt. Und – man soll nicht ge­nies­sen wol­len!

Ge­nuss und Un­schuld näm­lich sind die scham­haf­tes­ten Din­ge: Bei­de wol­len nicht ge­sucht sein. Man soll sie ha­ben –, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmer­zen su­chen! –

6

Oh mei­ne Brü­der, wer ein Erst­ling ist, der wird im­mer ge­op­fert. Nun aber sind wir Erst­lin­ge.

Wir blu­ten Alle an ge­hei­men Op­fer­ti­schen, wir bren­nen und bra­ten Alle zu Ehren al­ter Göt­zen­bil­der.

Un­ser Bes­tes ist noch jung: das reizt alte Gau­men. Un­ser Fleisch ist zart, un­ser Fell ist nur ein Lamm-Fell: – wie soll­ten wir nicht alte Göt­zen­pries­ter rei­zen!

In uns sel­ber wohnt er noch, der alte Göt­zen­pries­ter, der un­ser Bes­tes sich zum Schmau­se brät. Ach, mei­ne Brü­der, wie soll­ten Erst­lin­ge nicht Op­fer sein!

Aber so will es uns­re Art; und ich lie­be Die, wel­che sich nicht be­wah­ren wol­len. Die Un­ter­ge­hen­den lie­be ich mit mei­ner gan­zen Lie­be: denn sie gehn hin­über. –

7

Wahr sein – das kön­nen We­ni­ge! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am we­nigs­ten aber kön­nen es die Gu­ten.

Oh die­se Gu­ten! – Gu­te Men­schen re­den nie die Wahr­heit; für den Geist ist sol­cher­maas­sen gut sein eine Krank­heit.

Sie ge­ben nach, die­se Gu­ten, sie er­ge­ben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund ge­horcht; wer aber ge­horcht, der hört sich sel­ber nicht!

Al­les, was den Gu­ten böse heisst, muss zu­sam­men kom­men, dass Eine Wahr­heit ge­bo­ren wer­de: oh mei­ne Brü­der, seid ihr auch böse ge­nug zu die­ser Wahr­heit?

Das ver­we­ge­ne Wa­gen, das lan­ge Miss­trau­en, das grau­sa­me Nein, der Über­druss, das Schnei­den in’s Le­ben­di­ge – wie sel­ten kommt das zu­sam­men! Aus sol­chem Sa­men aber wird Wahr­heit ge­zeugt!

Ne­ben dem bö­sen Ge­wis­sen wuchs bis­her al­les Wis­sen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Er­ken­nen­den, die al­ten Ta­feln!

8

Wenn das Was­ser Bal­ken hat, wenn Ste­ge und Ge­län­der über den Fluss sprin­gen: wahr­lich, da fin­det Kei­ner Glau­ben, der da spricht: »Al­les ist im Fluss.«

Son­dern sel­ber die Töl­pel wi­der­spre­chen ihm. »Wie? sa­gen die Töl­pel, Al­les wäre im Flus­se? Bal­ken und Ge­län­der sind doch über dem Flus­se!«

»Ü­ber dem Flus­se ist Al­les fest, alle die Wert­he der Din­ge, die Brücken, Be­grif­fe, al­les »Gut« und »Böse«: das ist Al­les fest!« –

Kommt gar der har­te Win­ter, der Fluss-Thier­bän­di­ger: dann ler­nen auch die Wit­zigs­ten Miss­trau­en; und, wahr­lich, nicht nur die Töl­pel spre­chen dann: »Soll­te nicht Al­les – stil­le stehn

»Im Grun­de steht Al­les stil­le« –, das ist eine rech­te Win­ter-Leh­re, ein gut Ding für un­frucht­ba­re Zeit, ein gu­ter Trost für Win­ter­schlä­fer und Ofen­ho­cker.

»Im Grund steht Al­les still« –: da­ge­gen aber pre­digt der Thau­wind!

Der Thau­wind, ein Stier, der kein pflü­gen­der Stier ist, – ein wüthen­der Stier, ein Zer­stö­rer, der mit zor­ni­gen Hör­nern Eis bricht! Eis aber – – bricht Ste­ge!

Oh mei­ne Brü­der, ist jetz­t nicht Al­les im Flus­se? Sind nicht alle Ge­län­der und Ste­ge in’s Was­ser ge­fal­len? Wer hiel­te sich noch an »Gut« und »Böse«?

»Wehe uns! Heil uns! Der Thau­wind weht!« – Also pre­digt mir, oh mei­ne Brü­der, durch alle Gas­sen!

9

Es giebt einen al­ten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahr­sa­ger und Stern­deu­ter dreh­te sich bis­her das Rad die­ses Wahns.

Einst glaub­te man an Wahr­sa­ger und Stern­deu­ter: und dar­um glaub­te man »Al­les ist Schick­sal: du sollst, denn du musst!«

Dann wie­der miss­trau­te man al­len Wahr­sa­gern und Stern­deu­tern: und da­rum glaub­te man »Al­les ist Frei­heit: du kannst, denn du willst!«

Oh mei­ne Brü­der, über Ster­ne und Zu­kunft ist bis­her nur ge­wähnt, nicht ge­wusst wor­den: und da­rum ist über Gut und Böse bis­her nur ge­wähnt, nicht ge­wusst wor­den!

10

»Du sollst nicht rau­ben! Du sollst nicht todt­schla­gen!« – sol­che Wor­te hiess man einst hei­lig; vor ih­nen beug­te man Knie und Köp­fe und zog die Schu­he aus.

Aber ich fra­ge euch: wo gab es je bes­se­re Räu­ber und Todt­schlä­ger in der Welt, als es sol­che hei­li­ge Wor­te wa­ren?

Ist in al­lem Le­ben sel­ber nicht – Rau­ben und Todt­schla­gen? Und dass sol­che Wor­te hei­lig hies­sen, wur­de da­mit die Wahr­heit sel­ber nicht – todt­ge­schla­gen?

Oder war es eine Pre­digt des To­des, dass hei­lig hiess, was al­lem Le­ben wi­der­sprach und wi­der­rieth? – Oh mei­ne Brü­der, zerbrecht, zerbrecht mir die al­ten ta­feln!

11

Diess ist mein Mit­leid mit al­lem Ver­gan­ge­nen, dass ich sehe: es ist preis­ge­ge­ben, –

– der Gna­de, dem Geis­te, dem Wahn­sin­ne je­des Ge­schlech­tes preis­ge­ge­ben, das kommt und Al­les, was war, zu sei­ner Brücke um­deu­tet!

Ein gros­ser Ge­walt-Herr könn­te kom­men, ein ge­witz­ter Un­hold, der mit sei­ner Gna­de und Un­gna­de al­les Ver­gan­ge­ne zwän­ge und zwäng­te: bis es ihm Brücke wür­de und Vor­zei­chen und He­rold und Hah­nen­schrei.

Diess aber ist die and­re Ge­fahr und mein andres Mit­lei­den: – wer vom Pö­bel ist, des­sen Ge­den­ken geht zu­rück bis zum Gross­va­ter, – mit dem Gross­va­ter aber hört die Zeit auf.

Also ist al­les Ver­gan­ge­ne preis­ge­ge­ben: denn es könn­te ein­mal kom­men, dass der Pö­bel Herr wür­de und in seich­ten Ge­wäs­sern alle Zeit er­trän­ke.

Da­rum, oh mei­ne Brü­der, be­darf es ei­nes neu­en Adels, der al­lem Pö­bel und al­lem Ge­walt-Her­ri­schen Wi­der­sa­cher ist und auf neue Ta­feln neu das Wort schreibt »edel«.

Vie­ler Ed­len näm­lich be­darf es und vie­ler­lei Ed­len, dass es Adel ge­be! Oder, wie ich einst im Gleich­niss sprach: »Das eben ist Gött­lich­keit, dass es Göt­ter, aber kei­nen Gott giebt!«