Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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12

Oh mei­ne Brü­der, ich wei­he und wei­se euch zu ei­nem neu­en Adel: ihr sollt mir Zeu­ger und Züch­ter wer­den und Sä­e­män­ner der Zu­kunft, –

– wahr­lich, nicht zu ei­nem Adel, den ihr kau­fen könn­tet gleich den Krä­mern und mit Krä­mer-Gol­de: denn we­nig Werth hat Al­les, was sei­nen Preis hat.

Nicht, wo­her ihr kommt, ma­che euch für­der­hin eure Ehre, son­dern wo­hin ihr geht! Euer Wil­le und euer Fuss, der über euch sel­ber hin­aus will, – das ma­che eure neue Ehre!

Wahr­lich nicht, dass ihr ei­nem Fürs­ten ge­dient habt – was liegt noch an Fürs­ten! – oder dem, was steht, zum Boll­werk wur­det, dass es fes­ter stün­de!

Nicht, dass euer Ge­schlecht an Hö­fen hö­fisch wur­de, und ihr lern­tet, bunt, ei­nem Fla­min­go ähn­lich, lan­ge Stun­den in fla­chen Tei­chen stehn.

– Denn Ste­hen- kön­nen ist ein Ver­dienst bei Höf­lin­gen; und alle Höf­lin­ge glau­ben, zur Se­lig­keit nach dem Tode ge­hö­re – Sit­zen- dür­fen! –

Nicht auch, dass ein Geist, den sie hei­lig nen­nen, eure Vor­fah­ren in ge­lob­te Län­der führ­te, die ich nicht lobe: denn wo der schlimms­te al­ler Bäu­me wuchs, das Kreuz, – an dem Lan­de ist Nichts zu lo­ben! –

– und wahr­lich, wo­hin die­ser »hei­li­ge Geist« auch sei­ne Rit­ter führ­te, im­mer lie­fen bei sol­chen Zü­gen – Zie­gen und Gän­se und Kreuz- und Qu­er­köp­fe vor­an! –

Oh mei­ne Brü­der, nicht zu­rück soll euer Adel schau­en, son­dern hin­aus! Ver­trie­be­ne sollt ihr sein aus al­len Va­ter- und Ur­vä­ter­län­dern!

Eu­rer Kin­der Land sollt ihr lie­ben: die­se Lie­be sei euer neu­er Adel, – das un­ent­deck­te, im feins­ten Mee­re! Nach ihm heis­se ich eure Se­gel su­chen und su­chen!

An eu­ren Kin­dern sollt ihr gut­ma­chen, dass ihr eu­rer Vä­ter Kin­der seid: al­les Ver­gan­ge­ne sollt ihr so er­lö­sen! Die­se neue Ta­fel stel­le ich über euch!

13

»Wozu le­ben? Al­les ist ei­tel! Le­ben – das ist Stroh dre­schen; Le­ben – das ist sich ver­bren­nen und doch nicht warm wer­den.« –

Solch al­tert­hüm­li­ches Ge­schwätz gilt im­mer noch als »Weis­heit«; dass es aber alt ist und dump­fig riecht, da­rum wird es bes­ser ge­ehrt. Auch der Mo­der adelt. –

Kin­der durf­ten so re­den: die scheu­en das Feu­er, weil es sie brann­te! Es ist viel Kin­de­rei in den al­ten Bü­chern der Weis­heit.

Und wer im­mer »Stroh drischt«, wie soll­te der auf das Dre­schen läs­tern dür­fen! Sol­chem Nar­ren müss­te man doch das Maul ver­bin­den!

Sol­che set­zen sich zu Tisch und brin­gen Nichts mit, selbst den gu­ten Hun­ger nicht: – und nun läs­tern sie »Al­les ist ei­tel!«

Aber gut es­sen und trin­ken, oh mei­ne Brü­der, ist wahr­lich kei­ne eit­le Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Ta­feln der Nim­mer-Fro­hen!

14

»Dem Rei­nen ist Al­les rein« – so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schwei­nen wird Al­les Schwein!

Da­rum pre­di­gen die Schwär­mer und Kopf­hän­ger, de­nen auch das Herz nie­der­hängt: »die Welt sel­ber ist ein ko­thi­ges Un­ge­heu­er.«

Denn die­se Alle sind un­säu­ber­li­chen Geis­tes; son­der­lich aber Jene, wel­che nicht Ruhe, noch Rast ha­ben, es sei denn, sie se­hen die Welt von hin­ten, – die Hin­ter­welt­ler!

De­nen sage ich in’s Ge­sicht, ob es gleich nicht lieb­lich klingt: die Welt gleicht dar­in dem Men­schen, dass sie einen Hin­tern hat, – so Viel ist wahr!

Es giebt in der Welt viel Koth: so Viel ist wahr! Aber dar­um ist die Welt sel­ber noch kein ko­thi­ges Un­ge­heu­er!

Es ist Weis­heit dar­in, dass Vie­les in der Welt übel riecht: der Ekel sel­ber schafft Flü­gel und quel­le­nah­nen­de Kräf­te!

An dem Bes­ten ist noch Et­was zum Ekeln; und der Bes­te ist noch Et­was, das über­wun­den wer­den muss! –

Oh mei­ne Brü­der, es ist viel Weis­heit dar­in, dass viel Koth in der Welt ist! –

15

Sol­che Sprü­che hör­te ich from­me Hin­ter­welt­ler zu ih­rem Ge­wis­sen re­den; und wahr­lich, ohne Arg und Falsch, – ob es Schon nichts Fal­sche­res in der Welt giebt, noch Är­ge­res.

»Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe da­wi­der auch nicht Ei­nen Fin­ger auf!«

»Lass, wer da wol­le, die Leu­te wür­gen und ste­chen und schnei­den und scha­ben: hebe da­wi­der auch nicht Ei­nen Fin­ger auf! Darob ler­nen sie noch der Welt ab­sa­gen.«

»Und dei­ne eig­ne Ver­nunft – die sollst du sel­ber gör­geln und wür­gen; denn es ist eine Ver­nunft von die­ser Welt, – darob lernst du sel­ber der Welt ab­sa­gen.« –

– Zerbrecht, zerbrecht mir, oh mei­ne Brü­der, die­se al­ten Ta­feln der From­men! Zer­sprecht mir die Sprü­che der Welt-Ver­leum­der!

16

»Wer viel lernt, der ver­lernt al­les hef­ti­ge Be­geh­ren« – das flüs­tert man heu­te sich zu auf al­len dunklen Gas­sen.

»Weis­heit macht müde, es lohnt sich – Nichts; du sollst nicht be­geh­ren!« – die­se neue Ta­fel fand ich hän­gen selbst auf off­nen Märk­ten.

Zerbrecht mir, oh mei­ne Brü­der, zerbrecht mir auch die­se neu­e Ta­fel! Die Welt-Mü­den häng­ten sie hin und die Pre­di­ger des To­des, und auch die Stock­meis­ter: denn seht, es ist auch eine Pre­digt zur Knecht­schaft! –

Dass sie schlecht lern­ten und das Bes­te nicht, und Al­les zu früh und Al­les zu ge­schwind: dass sie schlecht as­sen, da­her kam ih­nen je­ner ver­dor­be­ne Ma­gen, –

– ein ver­dor­be­ner Ma­gen ist näm­lich ihr Geist: der räth zum Tode! Denn wahr­lich, mei­ne Brü­der, der Geist ist ein Ma­gen!

Das Le­ben ist ein Born der Lust: aber aus wem der ver­dor­be­ne Ma­gen re­det, der Va­ter der Trüb­sal, dem sind alle Quel­len ver­gif­tet.

Er­ken­nen: das ist Lust dem Lö­wen-wil­li­gen! Aber wer müde wur­de, der wird sel­ber nur »ge­wollt«, mit dem spie­len alle Wel­len.

Und so ist es im­mer schwa­cher Men­schen Art: sie ver­lie­ren sich auf ih­ren We­gen. Und zu­letzt fragt noch ihre Mü­dig­keit: »wozu gien­gen wir je­mals Wege! Es ist Al­les gleich!«

De­nen klingt es lieb­lich zu Ohren, dass ge­pre­digt wird: »Es ver­lohnt sich Nichts! Ihr sollt nicht wol­len!« Diess aber ist eine Pre­digt zur Knecht­schaft.

Oh mei­ne Brü­der, ein fri­scher Brau­se-Wind kommt Za­ra­thustra al­len Weg-Mü­den; vie­le Na­sen wird er noch nie­sen ma­chen!

Auch durch Mau­ern bläst mein frei­er Athem, und hin­ein in Ge­fäng­nis­se und ein­ge­fang­ne Geis­ter!

Wol­len be­freit: denn Wol­len ist Schaf­fen: so leh­re ich. Und nur zum Schaf­fen sollt ihr ler­nen!

Und auch das Ler­nen sollt ihr erst von mir ler­nen, das Gut-Ler­nen! – Wer Ohren hat, der höre!

17

Da steht der Na­chen, – dort hin­über geht es viel­leicht in’s gros­se Nichts. – Aber wer will in diess »Vi­el­leicht« ein­stei­gen?

Nie­mand von euch will in den To­des-Na­chen ein­stei­gen! Wie­so wollt ihr dann Welt-Mü­de sein!

Welt­mü­de! Und noch nicht ein­mal Erd-Ent­rück­te wur­det ihr! Lüs­tern fand ich euch im­mer noch nach Erde, ver­liebt noch in die eig­ne Erd-Mü­dig­keit!

Nicht um­sonst hängt euch die Lip­pe her­ab: – ein klei­ner Er­den-Wunsch sitzt noch dar­auf! Und im Auge – schwimmt da nicht ein Wölk­chen un­ver­ge­ss­ner Er­den-Lust?

Es giebt auf Er­den viel gute Er­fin­dun­gen, die einen nütz­lich, die an­dern an­ge­nehm: de­rent­we­gen ist die Erde zu lie­ben.

Und man­cher­lei so gut Er­fun­de­nes giebt es da, dass es ist wie des Wei­bes Bu­sen: nütz­lich zu­gleich und an­ge­nehm.

Ihr Welt-Mü­den aber! Ihr Er­den-Fau­len! Euch soll man mit Ruthen strei­chen! Mit Ruthen­strei­chen soll man euch wie­der mun­tre Bei­ne ma­chen.

Denn: seid ihr nicht Kran­ke und ver­leb­te Wich­te, de­ren die Erde müde ist, so seid ihr schlaue Faul­thie­re oder nasch­haf­te ver­kro­che­ne Lust-Kat­zen. Und wollt ihr nicht wie­der lus­tig lau­fen, so sollt ihr – da­hin­fah­ren!

An Un­heil­ba­ren soll man nicht Arzt sein wol­len: also lehrt es Za­ra­thustra: – so sollt ihr da­hin­fah­ren!

Aber es ge­hört mehr Muth dazu, ein Ende zu ma­chen, als einen neu­en Vers: das wis­sen alle Ärz­te und Dich­ter. –

18

Oh mei­ne Brü­der, es giebt Ta­feln, wel­che die Er­mü­dung, und Ta­feln, wel­che die Faul­heit schuf, die fau­li­ge: ob sie schon gleich re­den, so wol­len sie doch un­gleich ge­hört sein. –

Seht hier die­sen Ver­schmach­ten­den! Nur eine Span­ne weit ist er noch von sei­nem Zie­le, aber vor Mü­dig­keit hat er sich trot­zig hier in den Staub ge­legt: die­ser Tap­fe­re!

Vor Mü­dig­keit gähnt er Weg und Erde und Ziel und sich sel­ber an: kei­nen Schritt will er noch wei­ter thun, – die­ser Tap­fe­re!

Nun glüht die Son­ne auf ihn, und die Hun­de le­cken nach sei­nem Sch­weis­se: aber er liegt da in sei­nem Trot­ze und will lie­ber ver­schmach­ten: –

– eine Span­ne weit von sei­nem Zie­le ver­schmach­ten! Wahr­lich, ihr wer­det ihn noch an den Haa­ren in sei­nen Him­mel zie­hen müs­sen, – die­sen Hel­den!

Bes­ser noch, ihr lasst ihn lie­gen, wo­hin er sich ge­legt hat, dass der Schlaf ihm kom­me, der Trös­ter, mit küh­len­dem Rau­sche-Re­gen:

Lasst ihn lie­gen, bis er von sel­ber wach wird, bis er von sel­ber alle Mü­dig­keit wi­der­ruft und was Mü­dig­keit aus ihm lehr­te!

 

Nur, mei­ne Brü­der, dass ihr die Hun­de von ihm scheucht, die fau­len Schlei­cher, und all das schwär­me­n­de Ge­schmeiss: –

– all das schwär­me­n­de Ge­schmeiss der »Ge­bil­de­ten«, das sich am Sch­weis­se je­des Hel­den – güt­lich thut! –

19

Ich schlies­se Krei­se um mich und hei­li­ge Gren­zen; im­mer We­ni­ge­re stei­gen mit mir auf im­mer hö­he­re Ber­ge, – ich baue ein Ge­bir­ge aus im­mer hei­li­ge­ren Ber­gen. –

Wo­hin ihr aber auch mit mir stei­gen mögt, oh mei­ne Brü­der: seht zu, dass nicht ein Schma­rot­zer mit euch stei­ge!

Schma­rot­zer: das ist ein Ge­würm, ein krie­chen­des, ge­schmieg­tes, das fett wer­den will an eu­ren kran­ken wun­den Win­keln.

Und das ist sei­ne Kunst, dass er stei­gen­de See­len er­räth, wo sie müde sind: in eu­ren Gram und Un­muth, in eure zar­te Scham baut er sein ekles Nest.

Wo der Star­ke schwach, der Edle all­zu­mild ist, – da­hin­ein baut er sein ekles Nest: der Schma­rot­zer wohnt, wo der Gros­se klei­ne wun­de Win­kel hat.

Was ist die höchs­te Art al­les Sei­en­den und was die ge­rings­te? Der Schma­rot­zer ist die ge­rings­te Art; wer aber höchs­ter Art ist, der er­nährt die meis­ten Schma­rot­zer.

Die See­le näm­lich, wel­che die längs­te Lei­ter hat und am tiefs­ten hin­un­ter kann: wie soll­ten nicht an der die meis­ten Schma­rot­zer sit­zen? –

– die um­fäng­lichs­te See­le, wel­che am wei­tes­ten in sich lau­fen und ir­ren und schwei­fen kann; die nothwen­digs­te, wel­che sich aus Lust in den Zu­fall stürzt: –

– die sei­en­de See­le, wel­che in’s Wer­den taucht; die ha­ben­de, wel­che in’s Wol­len und Ver­lan­gen will: –

– die sich sel­ber flie­hen­de, die sich sel­ber im wei­tes­ten Krei­se ein­holt; die wei­ses­te See­le, wel­cher die Narr­heit am süs­ses­ten zu­re­det: –

– die sich sel­ber lie­bends­te, in der alle Din­ge ihr Strö­men und Wie­der­strö­men und Ebbe und Fluth ha­ben: – oh wie soll­te die höchs­te See­le nicht die schlimms­ten Schma­rot­zer ha­ben?

20

Oh mei­ne Brü­der, bin ich denn grau­sam? Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stos­sen!

Das Al­les von Heu­te – das fällt, das ver­fällt: wer woll­te es hal­ten! Aber ich – ich will es noch stos­sen!

Kennt ihr die Wol­lust, die Stei­ne in stei­le Tie­fen rollt? – Die­se Men­schen von heu­te: seht sie doch, wie sie in mei­ne Tie­fen rol­len!

Ein Vor­spiel bin ich bes­se­rer Spie­ler, oh mei­ne Brü­der! Ein Bei­spiel! Thut nach mei­nem Bei­spie­le!

Und wen ihr nicht flie­gen lehrt, den lehrt mir – schnel­ler fal­len! –

21

Ich lie­be die Tap­fe­ren: aber es ist nicht ge­nug, Hau-De­gen sein, – man muss auch wis­sen Hau-schau- Wen !

Und oft ist mehr Tap­fer­keit dar­in, dass Ei­ner an sich hält und vor­über­geht: da­mit er sich dem wür­di­ge­ren Fein­de auf­spa­re!

Ich sollt nur Fein­de ha­ben, die zu has­sen sind, aber nicht Fein­de zum Ver­ach­ten: ihr müsst stolz auf eu­ren Feind sein: also lehr­te ich schon Ein Mal.

Dem wür­di­ge­ren Fein­de, oh mei­ne Freun­de, sollt ihr euch auf­spa­ren: dar­um müsst ihr an Vie­lem vor­über­gehn, –

– son­der­lich an vie­lem Ge­sin­del, das euch in die Ohren lärmt von Volk und Völ­kern.

Hal­tet euer Auge rein von ih­rem Für und Wi­der! Da giebt es viel Recht, viel Un­recht: wer da zu­sieht, wird zor­nig.

Dr­ein­schaun, drein­haun – das ist da Eins: dar­um geht weg in die Wäl­der und legt euer Schwert schla­fen!

Geht eu­re Wege! Und lasst Volk und Völ­ker die ih­ren gehn! – dunkle Wege wahr­lich, auf de­nen auch nicht Eine Hoff­nung mehr wet­ter­leuch­tet!

Mag da der Krä­mer herr­schen, wo Al­les, was noch glänzt – Krä­mer-Gold ist! Es ist die Zeit der Kö­ni­ge nicht mehr: was sich heu­te Volk heisst, ver­dient kei­ne Kö­ni­ge.

Seht doch, wie die­se Völ­ker jetzt sel­ber den Krä­mern gleich thun: sie le­sen sich die kleins­ten Vort­hei­le noch aus je­dem Keh­richt!

Sie lau­ern ein­an­der auf, sie lau­ern ein­an­der Et­was ab, – das heis­sen sie »gute Nach­bar­schaft.« Oh se­li­ge fer­ne Zeit, wo ein Volk sich sag­te: »ich will über Völ­ker – Herr sein!«

Denn, mei­ne Brü­der: das Bes­te soll herr­schen, das Bes­te will auch herr­schen! Und wo die Leh­re an­ders lau­tet, da – fehl­t es am Bes­ten.

22

Wenn Die – Brod um­sonst hät­ten, wehe! Wo­nach wür­den Die schrein! Ihr Un­ter­halt – das ist ihre rech­te Un­ter­hal­tung; und sie sol­len es schwer ha­ben!

Raubt­hie­re sind es.- in ih­rem »Ar­bei­ten« – da ist auch noch Rau­ben, in ih­rem »Ver­die­nen« – da ist auch noch Über­lis­ten! Da­rum sol­len sie es schwer ha­ben!

Bes­se­re Raubt­hie­re sol­len sie also wer­den, fei­ne­re, klü­ge­re, men­schen-ähn­li­che­re: der Mensch näm­lich ist das bes­te Raubt­hier.

Al­len Thie­ren hat der Mensch schon ihre Tu­gen­den ab­ge­raubt: das macht, von al­len Thie­ren hat es der Mensch am schwers­ten ge­habt.

Nur noch die Vö­gel sind über ihm. Und wenn der Mensch noch flie­gen lern­te, wehe! wo­hin­auf – wür­de sei­ne Rau­blust flie­gen!

23

So will ich Mann und Weib: kriegs­tüch­tig den Ei­nen, ge­bär­tüch­tig das And­re, bei­de aber tanz­tüch­tig mit Kopf und Bei­nen.

Und ver­lo­ren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal ge­tanzt wur­de! Und falsch heis­se uns jede Wahr­heit, bei der es nicht Ein Ge­läch­ter gab!

24

Euer Ehe­schlies­sen: seht zu, dass es nicht ein schlech­tes Sch­lies­sen sei! Ihr schlos­set zu schnell: so folg­t dar­aus – Ehe­bre­chen!

Und bes­ser noch Ehe­bre­chen als Ehe-bie­gen, Ehe­lü­gen! – So sprach mir ein Weib: »wohl brach ich die Ehe, aber zu­erst brach die Ehe – mich!«

Schlimm-Ge­paar­te fand ich im­mer als die schlimms­ten Rach­süch­ti­gen: sie las­sen es al­ler Welt ent­gel­ten, dass sie nicht mehr ein­zeln lau­fen.

Dess­wil­len will ich, dass Red­li­che zu ein­an­der re­den: »wir lie­ben uns: lasst uns zu­sehn, dass wir uns lieb be­hal­ten! Oder soll un­ser Ver­spre­chen ein Ver­se­hen sein?«

– »Gebt uns eine Frist und klei­ne Ehe, dass wir zu­sehn, ob wir zur gros­sen Ehe tau­gen! Es ist ein gros­ses Ding, im­mer zu Zwein sein!«

Also rat­he ich al­len Red­li­chen; und was wäre denn mei­ne Lie­be zum Über­menschen und zu Al­lem, was kom­men soll, wenn ich an­ders rie­the und re­de­te!

Nicht nur fort euch zu pflan­zen, son­dern hin­auf – dazu, oh mei­ne Brü­der, hel­fe euch der Gar­ten der Ehe!

25

Wer über alte Ur­sprün­ge wei­se wur­de, sie­he, der wird zu­letzt nach Quel­len der Zu­kunft su­chen und nach neu­en Ur­sprün­gen. –

Oh mei­ne Brü­der, es ist nicht über lan­ge, da wer­den neue Völ­ker ent­sprin­gen und neue Quel­len hin­ab in neue Tie­fen rau­schen.

Das Erd­be­ben näm­lich – das ver­schüt­tet viel Brun­nen, das schafft viel Ver­schmach­ten: das hebt auch in­n­re Kräf­te und Heim­lich­kei­ten an’s Licht.

Das Erd­be­ben macht neue Quel­len of­fen­bar. Im Erd­be­ben al­ter Völ­ker bre­chen neue Quel­len aus.

Und wer da ruft: »Sie­he hier ein Brun­nen für vie­le Durs­ti­ge, Ein Herz für vie­le Sehn­süch­ti­ge, Ein Wil­le für vie­le Werk­zeu­ge«: – um den sam­melt sich ein Vol­k, das ist: viel Ver­su­chen­de.

Wer be­feh­len kann, wer ge­hor­chen muss – Das wird da ver­sucht! Ach, mit welch lan­gem Su­chen und Ra­then und Miss­rat­hen und Ler­nen und Neu-Ver­su­chen!

Die Men­schen-Ge­sell­schaft: die ist ein Ver­such, so leh­re ich’s, – ein lan­ges Su­chen: sie sucht aber den Be­feh­len­den! –

– ein Ver­such, oh mei­ne Brü­der! Und k­ein »Ver­trag«! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der Weich-Her­zen und Halb- und Hal­ben!

26

Oh mei­ne Brü­der! Bei Wel­chen liegt doch die gröss­te Ge­fahr al­ler Men­schen-Zu­kunft? Ist es nicht bei den Gu­ten und Ge­rech­ten? –

– als bei De­nen, die spre­chen und im Her­zen füh­len: »wir wis­sen schon, was gut ist und ge­recht, wir ha­ben es auch; wehe De­nen, die hier noch su­chen!« –

Und was für Scha­den auch die Bö­sen thun mö­gen: der Scha­den der Gu­ten ist der schäd­lichs­te Scha­den!

Und was für Scha­den auch die Welt-Ver­leum­der thun mö­gen: der Scha­den der Gu­ten ist der schäd­lichs­te Scha­den.

Oh mei­ne Brü­der, den Gu­ten und Ge­rech­ten sah Ei­ner ein­mal in’s Herz, der da sprach: »es sind die Pha­ri­sä­er.« Aber man ver­stand ihn nicht.

Die Gu­ten und Ge­rech­ten sel­ber durf­ten ihn nicht ver­ste­hen: ihr Geist ist ein­ge­fan­gen in ihr gu­tes Ge­wis­sen. Die Dumm­heit der Gu­ten ist un­er­gründ­lich klug.

Das aber ist die Wahr­heit: die Gu­ten müs­sen Pha­ri­sä­er sein, – sie ha­ben kei­ne Wahl!

Die Gu­ten müs­sen Den kreu­zi­gen, der sich sei­ne eig­ne Tu­gend er­fin­det! Das ist die Wahr­heit!

Der Zwei­te aber, der ihr Land ent­deck­te, Land, Herz und Erd­reich der Gu­ten und Ge­rech­ten: das war, der da frag­te: »wen has­sen sie am meis­ten?«

Den Schaf­fen­den has­sen sie am meis­ten: den, der Ta­feln bricht und alte Wert­he, den Bre­cher – den heis­sen sie Ver­bre­cher.

Die Gu­ten näm­lich – die kön­nen nicht schaf­fen: die sind im­mer der An­fang vom Ende:-

– sie kreu­zi­gen Den, der neue Wert­he auf neue Ta­feln schreibt, sie op­fern sich die Zu­kunft, – sie kreu­zi­gen alle Men­schen-Zu­kunft!

Die Gu­ten – die wa­ren im­mer der An­fang vom Ende. –

27

Oh mei­ne Brü­der, ver­stan­det ihr auch diess Wort? Und was ich einst sag­te vom »letz­ten Men­schen«? – –

Bei Wel­chen liegt die gröss­te Ge­fahr al­ler Men­schen-Zu­kunft? Ist es nicht bei den Gu­ten und Ge­rech­ten?

Zerbrecht, zerbrecht mir die Gu­ten und Ge­rech­ten! – Oh mei­ne Brü­der, ver­stan­det ihr auch diess Wort?

28

Ihr flieht von mir? Ihr seid er­schreckt? Ihr zit­tert vor die­sem Wor­te?

Oh mei­ne Brü­der, als ich euch die Gu­ten zer­bre­chen hiess und die Ta­feln der Gu­ten: da erst schiff­te ich den Men­schen ein auf sei­ne hohe See.

Und nun erst kommt ihm der gros­se Schre­cken, das gros­se Um-sich-sehn, die gros­se Krank­heit, der gros­se Ekel, die gros­se See-Krank­heit.

Fal­sche Küs­ten und falsche Si­cher­hei­ten lehr­ten euch die Gu­ten; in Lü­gen der Gu­ten wart ihr ge­bo­ren und ge­bor­gen. Al­les ist in den Grund hin­ein ver­lo­gen und ver­bo­gen durch die Gu­ten.

Aber wer das Land »Mensch« ent­deck­te, ent­deck­te auch das Land »Men­schen-Zu­kunft«. Nun sollt ihr mir See­fah­rer sein, wa­cke­re, ge­duld­sa­me!

Auf­recht geht mir bei Zei­ten, oh mei­ne Brü­der, lernt auf­recht gehn! Das Meer stürmt: Vie­le wol­len an euch sich wie­der auf­rich­ten.

Das Meer stürmt: Al­les ist im Mee­re. Wohl­an! Wohl­auf! Ihr al­ten See­manns-Her­zen!

Was Va­ter­land! Dor­thin will un­ser Steu­er, wo un­ser Kin­der-Lan­d ist! Dor­thin­aus, stür­mi­scher als das Meer, stürmt uns­re gros­se Sehn­sucht! –