Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Also sprach Zarathustra
Erster Theil

Zarathustra’s Vorrede.
1

Als Za­ra­thustra dreis­sig Jahr alt war, ver­liess er sei­ne Hei­mat und den See sei­ner Hei­mat und ging in das Ge­bir­ge. Hier ge­noss er sei­nes Geis­tes und sei­ner Ein­sam­keit und wur­de des­sen zehn Jahr nicht müde. End­lich aber ver­wan­del­te sich sein Herz, – und ei­nes Mor­gens stand er mit der Mor­gen­rö­the auf, trat vor die Son­ne hin und sprach zu ihr also:

»Du gros­ses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hät­test, wel­chen du leuch­test!

Zehn Jah­re kamst du hier her­auf zu mei­ner Höh­le: du wür­dest dei­nes Lich­tes und die­ses We­ges satt ge­wor­den sein, ohne mich, mei­nen Ad­ler und mei­ne Schlan­ge.

Aber wir war­te­ten dei­ner an je­dem Mor­gen, nah­men dir dei­nen Über­fluss ab und seg­ne­ten dich da­für.

Sie­he! Ich bin mei­ner Weis­heit über­drüs­sig, wie die Bie­ne, die des Ho­nigs zu viel ge­sam­melt hat, ich be­darf der Hän­de, die sich aus­stre­cken.

Ich möch­te ver­schen­ken und aus­t­hei­len, bis die Wei­sen un­ter den Men­schen wie­der ein­mal ih­rer Thor­heit und die Ar­men ein­mal ih­res Reicht­hums froh ge­wor­den sind.

Dazu muss ich in die Tie­fe stei­gen: wie du des Abends thust, wenn du hin­ter das Meer gehst und noch der Un­ter­welt Licht bringst, du über­rei­ches Gestirn!

Ich muss, gleich dir, un­ter­ge­hen, wie die Men­schen es nen­nen, zu de­nen ich hin­ab will.

So seg­ne mich denn, du ru­hi­ges Auge, das ohne Neid auch ein all­zu­gros­ses Glück se­hen kann!

Seg­ne den Be­cher, wel­che über­flies­sen will, dass das Was­ser gol­den aus ihm flies­se und über­all­hin den Ab­glanz dei­ner Won­ne tra­ge!

Sie­he! Die­ser Be­cher will wie­der leer wer­den, und Za­ra­thustra will wie­der Mensch wer­den.«

– Also be­gann Za­ra­thustra’s Un­ter­gang.

2

Za­ra­thustra stieg al­lein das Ge­bir­ge ab­wärts und Nie­mand be­geg­ne­te ihm. Als er aber in die Wäl­der kam, stand auf ein­mal ein Greis vor ihm, der sei­ne hei­li­ge Hüt­te ver­las­sen hat­te, um Wur­zeln im Wal­de zu su­chen. Und also sprach der Greis zu Za­ra­thustra:

Nicht fremd ist mir die­ser Wan­de­rer: vor man­chen Jah­re gieng er her vor­bei. Za­ra­thustra hiess er; aber er hat sich ver­wan­delt. Da­mals trugst du dei­ne Asche zu Ber­ge: willst du heu­te dein Feu­er in die Thä­ler tra­gen? Fürch­test du nicht des Brand­stif­ters Stra­fen?

Ja, ich er­ken­ne Za­ra­thustra. Rein ist sein Auge, und an sei­nem Mun­de birgt sich kein Ekel. Geht er nicht da­her wie ein Tän­zer?

Ver­wan­delt ist Za­ra­thustra, zum Kind ward Za­ra­thustra, ein Er­wach­ter ist Za­ra­thustra: was willst du nun bei den Schla­fen­den?

Wie im Mee­re leb­test du in der Ein­sam­keit, und das Meer trug dich. Wehe, du willst an’s Land stei­gen? Wehe, du willst dei­nen Leib wie­der sel­ber schlep­pen?

Za­ra­thustra ant­wor­te­te: »Ich lie­be die Men­schen.«

Wa­rum, sag­te der Hei­li­ge, gieng ich doch in den Wald und die Ein­öde? War es nicht, weil ich die Men­schen all­zu sehr lieb­te?

Jetzt lie­be ich Gott: die Men­schen lie­be ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu un­voll­kom­me­ne Sa­che. Lie­be zum Men­schen wür­de mich um­brin­gen.

Za­ra­thustra ant­wor­te­te: »Was sprach ich von Lie­be! Ich brin­ge den Men­schen ein Ge­schenk.«

Gieb ih­nen Nichts, sag­te der Hei­li­ge. Nimm ih­nen lie­ber Et­was ab und tra­ge es mit ih­nen – das wird ih­nen am wohls­ten thun: wenn es dir nur wohl­thut!

Und willst du ih­nen ge­ben, so gieb nicht mehr, als ein Al­mo­sen, und lass sie noch dar­um bet­teln!

»Nein, ant­wor­te­te Za­ra­thustra, ich gebe kein Al­mo­sen. Dazu bin ich nicht arm ge­nug.«

Der Hei­li­ge lach­te über Za­ra­thustra und sprach also: So sieh zu, dass sie dei­ne Schät­ze an­neh­men! Sie sind miss­trau­isch ge­gen die Ein­sied­ler und glau­ben nicht, dass wir kom­men, um zu schen­ken.

Unse Schrit­te klin­gen ih­nen zu ein­sam durch die Gas­sen. Und wie wenn sie Nachts in ih­ren Bet­ten einen Mann ge­hen hö­ren, lan­ge be­vor die Son­ne auf­steht, so fra­gen sie sich wohl: wo­hin will der Dieb?

Gehe nicht zu den Men­schen und blei­be im Wal­de! Gehe lie­ber noch zu den Thie­ren! Wa­rum willst du nicht sein, wie ich, – ein Bär un­ter Bä­ren, ein Vo­gel un­ter Vö­geln?

»Und was macht der Hei­li­ge im Wal­de?« frag­te Za­ra­thustra.

Der Hei­li­ge ant­wor­te­te: Ich ma­che Lie­der und sin­ge sie, und wenn ich Lie­der ma­che, la­che, wei­ne und brum­me ich: also lobe ich Gott.

Mit Sin­gen, Wei­nen, La­chen und Brum­men lobe ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum Ge­schen­ke?

Als Za­ra­thustra die­se Wor­te ge­hört hat­te, grüss­te er den Hei­li­gen und sprach: »Was hät­te ich euch zu ge­ben! Aber lasst mich schnell da­von, dass ich euch Nichts neh­me!« – Und so trenn­ten sie sich von ein­an­der, der Greis und der Mann, la­chend, gleich­wie zwei Kna­ben la­chen.

Als Za­ra­thustra aber al­lein war, sprach er also zu sei­nem Her­zen: »Soll­te es denn mög­lich sein! Die­ser alte Hei­li­ge hat in sei­nem Wal­de noch Nichts da­von ge­hört, dass Gott todt ist!« –

3

Als Za­ra­thustra in die Nächs­te Stadt kam, die an den Wäl­dern liegt, fand er da­selbst viel Volk ver­sam­melt auf dem Mark­te: denn es war ver­heis­sen wor­den, das man einen Seil­tän­zer se­hen sol­le. Und Za­ra­thustra sprach also zum Vol­ke:

Ich leh­re euch den Über­menschen. Der Mensch ist Et­was, das über­wun­den wer­den soll. Was habt ihr gethan, ihn zu über­win­den?

Was ist der Affe für en Men­schen? Ein Ge­läch­ter oder eine schmerz­li­che Scham. Und eben­das soll der Mensch für den Über­menschen sein: ein Ge­läch­ter oder eine schmerz­li­che Scham.

Ihr habt den Weg vom Wur­me zum Men­schen ge­macht, und Vie­les ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Af­fen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als ir­gend ein Affe.

Wer aber der Wei­ses­te von euch ist, der ist auch nur ein Zwie­spalt und Zwit­ter von Pflan­ze und von Ge­s­penst. Aber heis­se ich euch zu Ge­s­pens­tern oder Pflan­zen wer­den?

Seht, ich leh­re euch den Über­menschen!

Der Über­mensch ist der Sinn der Erde. Euer Wil­le sage: der Über­mensch sei der Sinn der Erde!

Ich be­schwö­re euch, mei­ne Brü­der, bleibt der Erde treu und glaubt De­nen nicht, wel­che euch von über­ir­di­schen Hoff­nun­gen re­den! Gift­mi­scher sind es, ob sie es wis­sen oder nicht.

Veräch­ter des Le­bens sind es, Abster­ben­de und sel­ber Ver­gif­te­te, de­ren die Erde müde ist: so mö­gen sie da­hin­fah­ren!

Einst war der Fre­vel an Gott der gröss­te Fre­vel, aber Gott starb, und da­mit auch die­se Fre­vel­haf­ten. An der Erde zu fre­veln ist jetzt das Furcht­bars­te und die Ein­ge­wei­de des Uner­forsch­li­chen hö­her zu ach­ten, als der Sinn der Erde!

Einst blick­te die See­le ver­ächt­lich auf den Leib: und da­mals war die­se Ver­ach­tung das Höchs­te: – sie woll­te ihn ma­ger, gräss­lich, ver­hun­gert. So dach­te sie ihm und der Erde zu ent­schlüp­fen.

Oh die­se See­le war selbst noch ma­ger, gräss­lich und ver­hun­gert: und Grau­sam­keit war die Wol­lust die­ser See­le!

Aber auch ihr noch, mei­ne Brü­der, sprecht mir: was kün­det euer Leib von eu­rer See­le? Ist eure See­le nicht Ar­muth und Schmutz und ein er­bärm­li­ches Be­ha­gen?

Wahr­lich, ein schmut­zi­ger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmut­zi­gen Strom auf­neh­men zu kön­nen, ohne un­rein zu wer­den.

Seht, ich leh­re euch den Über­menschen: der ist diess Meer, in ihm kann eure gros­se Ver­ach­tung un­ter­gehn.

Was ist das Gröss­te, das ihr er­le­ben könnt? Das ist die Stun­de der gros­sen Ver­ach­tung. Die Stun­de, in der euch auch euer Glück zum Ekel wird und eben­so eure Ver­nunft und eure Tu­gend.

Die Stun­de, wo ihr sagt: »Was liegt an mei­nem Glücke! Es ist Ar­muth und Schmutz, und ein er­bärm­li­ches Be­ha­gen. Aber mein Glück soll­te das Da­sein sel­ber recht­fer­ti­gen!«

Die Stun­de, wo ihr sagt: »Was liegt an mei­ner Ver­nunft! Be­gehrt sie nach Wis­sen wie der Löwe nach sei­ner Nah­rung? Sie ist Ar­muth und Schmutz und ein er­bärm­li­ches Be­ha­gen!«

Die Stun­de, wo ihr sagt: »Was liegt an mei­ner Tu­gend! Noch hat sie mich nicht ra­sen ge­macht. Wie müde bin ich mei­nes Gu­ten und mei­nes Bö­sen! Al­les das ist Ar­muth und Schmutz und ein er­bärm­li­ches Be­ha­gen!«

Die Stun­de, wo ihr sagt: »Was liegt an mei­ner Ge­rech­tig­keit! Ich sehe nicht, dass ich Gluth und Koh­le wäre. Aber der Ge­recht ist Gluth und Koh­le!«

 

Die Stun­de, wo ihr sagt: »Was liegt an mei­nem Mit­lei­den! Ist nicht Mit­leid das Kreuz, an das Der ge­na­gelt wird, der die Men­schen liebt? Aber mein Mit­lei­den ist kei­ne Kreu­zi­gung.«

Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon so schrei­en ge­hört hat­te!

Nicht eure Sün­de – eure Ge­nüg­sam­keit schreit gen Him­mel, euer Geiz selbst in eu­rer Sün­de schreit gen Him­mel!

Wo ist doch der Blitz, der euch mit sei­ner Zun­ge le­cke? Wo ist der Wahn­sinn, mit dem ihr ge­impft wer­den müss­tet?

Seht, ich leh­re euch den Über­menschen: der ist die­ser Blitz, der ist die­ser Wahn­sinn! –

Als Za­ra­thustra so ge­spro­chen hat­te, schrie Ei­ner aus dem Vol­ke: »Wir hör­ten nun ge­nug von dem Seil­tän­zer; nun lasst uns ihn auch se­hen!« Und al­les Volk lach­te über Za­ra­thustra. Der Seil­tän­zer aber, wel­cher glaub­te, dass das Wort ihm gäl­te, mach­te sich an sein Werk.

4

Za­ra­thustra aber sahe das Volk an und wun­der­te sich. Dann sprach er also:

Der Mensch ist ein Seil, ge­knüpft zwi­schen Thier und Über­mensch, – ein Seil über ei­nem Ab­grun­de.

Ein ge­fähr­li­ches Hin­über, ein ge­fähr­li­ches Auf-dem-Wege, ein ge­fähr­li­ches Zu­rück­bli­cken, ein ge­fähr­li­ches Schau­dern und Ste­hen­blei­ben.

Was gross ist am Men­schen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was ge­liebt wer­den kann am Men­schen, das ist, dass er ein Ü­ber­gang und ein Un­ter­gang ist.

Ich lie­be Die, wel­che nicht zu le­ben wis­sen, es sei denn als Un­ter­ge­hen­de, denn es sind die Hin­über­ge­hen­den.

Ich lie­be die gros­sen Ver­ach­ten­den, weil sie die gros­sen Ver­eh­ren­den sind und Pfei­le der Sehn­sucht nach dem an­dern Ufer.

Ich lie­be Die, wel­che nicht erst hin­ter den Ster­nen einen Grund su­chen, un­ter­zu­ge­hen und Op­fer zu sein: son­dern die sich der Erde op­fern, dass die Erde einst der Über­menschen wer­de.

Ich lie­be Den, wel­cher lebt, da­mit er er­ken­ne, und wel­cher er­ken­nen will, da­mit einst der Über­mensch lebe. Und so will er sei­nen Un­ter­gang.

Ich lie­be Den, wel­cher ar­bei­tet und er­fin­det, dass er dem Über­menschen das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflan­ze vor­be­rei­te: denn so will er sei­nen Un­ter­gang.

Ich lie­be Den, wel­cher sei­ne Tu­gend liebt: denn Tu­gend ist Wil­le zum Un­ter­gang und ein Pfeil der Sehn­sucht.

Ich lie­be Den, wel­cher nicht einen Trop­fen Geist für sich zu­rück­be­hält, son­dern ganz der Geist sei­ner Tu­gend sein will: so schrei­tet er als Geist über die Brücke.

Ich lie­be Den, wel­cher aus sei­ner Tu­gend sei­nen Hang und sein Ver­häng­niss macht: so will er um sei­ner Tu­gend wil­len noch le­ben und nicht mehr le­ben.

Ich lie­be Den, wel­cher nicht zu vie­le Tu­gen­den ha­ben will. Eine Tu­gend ist mehr Tu­gend, als zwei, weil sie mehr Kno­ten ist, an den sich das Ver­häng­niss hängt.

Ich lie­be Den, des­sen See­le sich ver­schwen­det, der nicht Dank ha­ben will und nicht zu­rück­giebt: denn er schenkt im­mer und will sich nicht be­wah­ren.

Ich lie­be Den, wel­cher sich schämt, wenn der Wür­fel zu sei­nem Glücke fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spie­ler? – denn er will zu Grun­de ge­hen.

Ich lie­be Den, wel­cher gold­ne Wor­te sei­nen Tha­ten vor­aus wirft und im­mer noch mehr hält, als er ver­spricht: denn er will sei­nen Un­ter­gang.

Ich lie­be Den, wel­cher die Zu­künf­ti­gen recht­fer­tigt und die Ver­gan­ge­nen er­löst: denn er will an den Ge­gen­wär­ti­gen zu Grun­de ge­hen.

Ich lie­be Den, wel­cher sei­nen Gott züch­tigt, weil er sei­nen Gott liebt: denn er muss am Zor­ne sei­nes Got­tes zu Grun­de ge­hen.

Ich lie­be Den, des­sen See­le tief ist auch in der Ver­wun­dung, und der an ei­nem klei­nen Er­leb­nis­se zu Grun­de ge­hen kann: so geht er ger­ne über die Brücke.

Ich lie­be Den, des­sen See­le über­voll ist, so dass er sich sel­ber ver­gisst, und alle Din­ge in ihm sind: so wer­den alle Din­ge sein Un­ter­gang.

Ich lie­be Den, der frei­en Geis­tes und frei­en Her­zes ist: so ist sein Kopf nur das Ein­ge­wei­de sei­nes Her­zens, sein Herz aber treibt ihn zum Un­ter­gang.

Ich lie­be alle Die, wel­che schwe­re Trop­fen sind, ein­zeln fal­lend aus der dunklen Wol­ke, die über den Men­schen hängt: sie ver­kün­di­gen, dass der Blitz kommt, und gehn als Ver­kün­di­ger zu Grun­de.

Seht, ich bin ein Ver­kün­di­ger des Blit­zes und ein schwe­rer Trop­fen aus der Wol­ke: die­ser Blitz aber heisst Über­mensch. –

5

Als Za­ra­thustra die­se Wor­te ge­spro­chen hat­te, sahe er wie­der das Volk an und schwieg. »Da ste­hen sie«, sprach er zu sei­nem Her­zen, »da la­chen sie: sie ver­ste­hen mich nicht, ich bin nicht der Mund für die­se Ohren.

Muss man ih­nen erst die Ohren zer­schla­gen, dass sie ler­nen, mit den Au­gen hö­ren. Muss man ras­seln gleich Pau­ken und Buss­pre­di­gern? Oder glau­ben sie nur dem Stam­meln­den?

Sie ha­ben et­was, wor­auf sie stolz sind. Wie nen­nen sie es doch, was sie stolz macht? Bil­dung nen­nen sie’s, es zeich­net sie aus vor den Zie­gen­hir­ten.

Drum hö­ren sie un­gern von sich das Wort »Ver­ach­tung«. So will ich denn zu ih­rem Stol­ze re­den.

So will ich ih­nen vom Verächt­lichs­ten spre­chen: das aber ist der letz­te Men­sch

Und also sprach Za­ra­thustra zum Vol­ke:

Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel ste­cke. Es ist an der Zeit, dass der Mensch den Keim sei­ner höchs­ten Hoff­nung pflan­ze.

Noch ist sein Bo­den dazu reich ge­nug. Aber die­ser Bo­den wird einst arm und zahm sein, und kein ho­her Baum wird mehr aus ihm wach­sen kön­nen.

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil sei­ner Sehn­sucht über den Men­schen hin­aus wirft, und die Seh­ne sei­nes Bo­gens ver­lernt hat, zu schwir­ren!

Ich sage euch: man muss noch Cha­os in sich ha­ben, um einen tan­zen­den Stern ge­bä­ren zu kön­nen. Ich sage euch: ihr habt noch Cha­os in euch.

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch kei­nen Stern mehr ge­bä­ren wird. Wehe! Es kommt die Zeit des ver­ächt­lichs­ten Men­schen, der sich sel­ber nicht mehr ver­ach­ten kann.

Seht! Ich zei­ge euch den letz­ten Men­schen.

»Was ist Lie­be? Was ist Schöp­fung? Was ist Sehn­sucht? Was ist Stern« – so fragt der letz­te Mensch und blin­zelt.

Die Erde ist dann klein ge­wor­den, und auf ihr hüpft der letz­te Mensch, der Al­les klein macht. Sein Ge­schlecht ist un­au­stilg­bar, wie der Erd­floh; der letz­te Mensch lebt am längs­ten.

»Wir ha­ben das Glück er­fun­den« – sa­gen die letz­ten Men­schen und blin­zeln.

Sie ha­ben den Ge­gen­den ver­las­sen, wo es hart war zu le­ben: denn man braucht Wär­me. Man liebt noch den Nach­bar und reibt sich an ihm: denn man braucht Wär­me.

Krank­wer­den und Miss­trau­en-ha­ben gilt ih­nen sünd­haft: man geht acht­sam ein­her. Ein Thor, der noch über Stei­ne oder Men­schen stol­pert!

Ein we­nig Gift ab und zu: das macht an­ge­neh­me Träu­me. Und viel Gift zu­letzt, zu ei­nem an­ge­neh­men Ster­ben.

Man ar­bei­tet noch, denn Ar­beit ist eine Un­ter­hal­tung. Aber man sorgt dass die Un­ter­hal­tung nicht an­grei­fe.

Man wird nicht mehr arm und reich: Bei­des ist zu be­schwer­lich. Wer will noch re­gie­ren? Wer noch ge­hor­chen? Bei­des ist zu be­schwer­lich.

Kein Hirt und Eine He­er­de! Je­der will das Glei­che, Je­der ist gleich: wer an­ders fühlt, geht frei­wil­lig in’s Ir­ren­haus.

»Ehe­mals war alle Welt irre« – sa­gen die Feins­ten und blin­zeln.

Man ist klug und weiss Al­les, was ge­schehn ist: so hat man kein Ende zu spot­ten. Man zankt sich noch, aber man ver­söhnt sich bald – sonst verdirbt es den Ma­gen.

Man hat sein Lüst­chen für den Tag und sein Lüst­chen für die Nacht: aber man ehrt die Ge­sund­heit.

»Wir ha­ben das Glück er­fun­den« – sa­gen die letz­ten Men­schen und blin­zeln –

Und hier en­de­te die ers­te Rede Za­ra­thustra’s, wel­che man auch »die Vor­re­de« heisst: denn an die­ser Stel­le un­ter­brach ihn das Ge­schrei und die Lust der Men­ge. »Gieb uns die­sen letz­ten Men­schen, oh Za­ra­thustra, – so rie­fen sie – ma­che uns zu die­sen letz­ten Men­schen! So schen­ken wir dir den Über­menschen!« Und al­les Volk ju­bel­te und schnalz­te mit der Zun­ge. Za­ra­thustra aber wur­de trau­rig und sag­te zu sei­nem Her­zen:

Sie ver­ste­hen mich nicht: ich bin nicht den Mund für die­se Ohren.

Zu lan­ge wohl leb­te ich im Ge­bir­ge, zu viel horch­te ich auf Bä­che und Bäu­me: nun rede ich ih­nen gleich den Zie­gen­hir­ten.

Un­be­wegt ist mei­ne See­le und hell wie das Ge­bir­ge am Vor­mit­tag. Aber sie mei­nen, ich sei kalt und ein Spöt­ter in furcht­ba­ren Späs­sen.

Und nun bli­cken sie mich an und la­chen: und in­dem sie la­chen, has­sen sie mich noch. Es ist Eis in ih­rem La­chen.

6

Da aber ge­sch­ah Et­was, das je­den Mund stumm und je­des Auge starr mach­te. In­zwi­schen näm­lich hat­te der Seil­tän­zer sein Werk be­gon­nen: er war aus ei­ner klei­ner Thür hin­aus­ge­tre­ten und gieng über das Seil, wel­ches zwi­schen zwei Thür­men ge­spannt war, also, dass es über dem Mark­te und dem Vol­ke hieng. Als er eben in der Mit­te sei­nes We­ges war, öff­ne­te sich die klei­ne Thür noch ein­mal, und ein bun­ter Ge­sell, ei­nem Pos­sen­reis­ser gleich, sprang her­aus und gieng mit schnel­len Schrit­ten dem Ers­ten nach. »Vor­wärts, Lahm­fuss, rief sei­ne fürch­ter­li­che Stim­me, vor­wärts Faul­thier, Schleich­händ­ler, Bleich­ge­sicht! Dass ich dich nicht mit mei­ner Fer­se kitz­le! Was treibst du hier zwi­schen Thür­men? In den Thurm ge­hörst du, ein­sper­ren soll­te man dich, ei­nem Bes­sern, als du bist, sperrst du die freie Bahn!« – Und mit je­dem Wor­te kam er ihm nä­her und nä­her: als er aber nur noch einen Schritt hin­ter ihm war, da ge­sch­ah das Er­schreck­li­che, das je­den Mund stumm und je­des Auge starr mach­te: – er stiess ein Ge­schrei aus wie ein Teu­fel und sprang über Den hin­weg, der ihm im Wege war. Die­ser aber, als er so sei­nen Ne­ben­buh­ler sie­gen sah, ver­lor da­bei den Kopf und das Seil; er warf sei­ne Stan­ge weg und schoss schnel­ler als die­se, wie ein Wir­bel von Ar­men und Bei­nen, in die Tie­fe. Der Markt und das Volk glich dem Mee­re, wenn der Sturm hin­ein­fährt: Al­les floh aus ein­an­der und über­ein­an­der, und am meis­ten dort, wo der Kör­per nie­der­schla­gen muss­te.

Za­ra­thustra aber blieb ste­hen, und ge­ra­de ne­ben ihn fiel der Kör­per hin, übel zu­ge­rich­tet und zer­bro­chen, aber noch nicht todt. Nach ei­ner Wei­le kam dem Zer­schmet­ter­ten das Be­wusst­sein zu­rück, und er sah Za­ra­thustra ne­ben sich knie­en. »Was machst du da? sag­te er end­lich, ich wuss­te es lan­ge, dass mir der Teu­fel ein Bein stel­len wer­de. Nun schleppt er mich zur Höl­le: willst du’s ihm weh­ren?«

»Bei mei­ner Ehre, Freund, ant­wor­te­te Za­ra­thustra, das giebt es Al­les nicht, wo­von du sprichst: es giebt kei­nen Teu­fel und kei­ne Höl­le. Dei­ne See­le wird noch schnel­ler todt sein als dein Leib: fürch­te nun Nichts mehr!«

Der Mann blick­te miss­trau­isch auf. »Wenn du die Wahr­heit sprichst, sag­te er dann, so ver­lie­re ich Nichts, wenn ich das Le­ben ver­lie­re. Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tan­zen ge­lehrt hat, durch Schlä­ge und schma­le Bis­sen.«

»Nicht doch, sprach Za­ra­thustra; du hast aus der Ge­fahr dei­nen Be­ruf ge­macht, dar­an ist Nichts zu ver­ach­ten. Nun gehst du an dei­nem Be­ruf zu Grun­de: da­für will ich dich mit mei­nen Hän­den be­gra­ben.«

Als Za­ra­thustra diess ge­sagt hat­te, ant­wor­te­te der Ster­ben­de nicht mehr; aber er be­weg­te die Hand, wie als ob er die Hand Za­ra­thustra’s zum Dan­ke su­che. –