Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Das andere Tanzlied
1

»In dein Auge schau­te ich jüngst, oh Le­ben: Gold sah ich in dei­nem Nacht-Auge blin­ken, – mein Herz stand still vor die­ser Wol­lust:

– einen gol­de­nen Kahn sah ich blin­ken auf mäch­ti­gen Ge­wäs­sern, einen sin­ken­den, trin­ken­den, wie­der win­ken­den gol­de­nen Schau­kel-Kahn!

Nach mei­nem Fus­se, dem tanzwüthi­gen, warfst du einen Blick, einen la­chen­den fra­gen­den schmel­zen­den Schau­kel-Blick:

Zwei Mal nur reg­test du dei­ne Klap­per mit klei­nen Hän­den – da schau­kel­te schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. –

Mei­ne Fer­sen bäum­ten sich, mei­ne Ze­hen horch­ten, dich zu ver­ste­hen: trägt doch der Tän­zer sein Ohr – in sei­nen Ze­hen!

Zu dir hin sprang ich: da flohst du zu­rück vor mei­nem Sprun­ge; und ge­gen mich zün­gel­te dei­nes flie­hen­den flie­gen­den Haars Zun­ge!

Von dir weg sprang ich und von dei­nen Schlan­gen: da standst du schon, halb­ge­wandt, das Auge voll Ver­lan­gen.

Mit krum­men Bli­cken – lehrst du mich krum­me Bah­nen; auf krum­men Bah­nen lernt mein Fuss – Tücken!

Ich fürch­te dich Nahe, ich lie­be dich Fer­ne; dei­ne Flucht lockt mich, dein Su­chen stockt mich: – ich lei­de, aber was litt ich um dich nicht ger­ne!

De­ren Käl­te zün­det, de­ren Hass ver­führt, de­ren Flucht bin­det, de­ren Spott – rührt:

– wer hass­te dich nicht, dich gros­se Bin­de­rin, Um­win­de­rin, Ver­su­che­rin, Su­che­rin, Fin­de­rin! Wer lieb­te dich nicht, dich un­schul­di­ge, un­ge­dul­di­ge, wind­sei­li­ge, kinds­äu­gi­ge Sün­de­rin!

Wo­hin ziehst du mich jetzt, du Aus­bund und Un­band? Und jetzt fliehst du mich wie­der, du süs­ser Wild­fang und Un­dank!

Ich tan­ze dir nach, ich fol­ge dir auch auf ge­rin­ger Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen Fin­ger nur!

Hier sind Höh­len und Dickich­te: wir wer­den uns ver­ir­ren! – Halt! Steh still! Siehst du nicht Eu­len und Fle­der­mäu­se schwir­ren?

Du Eule! Du Fle­der­maus! Du willst mich äf­fen? Wo sind wir? Von den Hun­den lern­test du diess Heu­len und Kläf­fen.

Du flet­schest mich lieb­lich an mit weis­sen Zähn­lein, dei­ne bö­sen Au­gen sprin­gen ge­gen mich aus lockich­tem Mähn­lein!

Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jä­ger, – willst du mein Hund oder mei­ne Gem­se sein?

Jetzt ne­ben mir! Und ge­schwind, du bos­haf­te Sprin­ge­rin! Jetzt hin­auf! Und hin­über! – Wehe! Da fiel ich sel­ber im Sprin­gen hin!

Oh sieh mich lie­gen, du Über­muth, und um Gna­de flehn! Ger­ne möch­te ich mit dir – lieb­li­che­re Pfa­de gehn!

– der Lie­be Pfa­de durch stil­le bun­te Bü­sche! Oder dort den See ent­lang: da schwim­men und tan­zen Gold­fi­sche!

Du bist jetzt müde? Da drü­ben sind Scha­fe und Aben­drö­then: ist es nicht schön, zu schla­fen, wenn Schä­fer flö­ten?

Du bist so arg müde? Ich tra­ge dich hin, lass nur die Arme sin­ken! Und hast du Durst, – ich hät­te wohl Et­was, aber dein Mund will es nicht trin­ken! –

– Oh die­se ver­fluch­te flin­ke ge­len­ke Schlan­ge und Schlupf-Hexe! Wo bist du hin? Aber im Ge­sicht füh­le ich von dei­ner Hand zwei Tup­fen und ro­the Kle­xe!

Ich bin es wahr­lich müde, im­mer dein scha­fich­ter Schä­fer zu sein! Du Hexe, habe ich dir bis­her ge­sun­gen, nun sollst du mir – schrein!

Nach dem Takt mei­ner Peit­sche sollst du mir tan­zen und schrein! Ich ver­gass doch die Peit­sche nicht? – Nein!« –

2

Da ant­wor­te­te mir das Le­ben also und hielt sich da­bei die zier­li­chen Ohren zu:

»Oh Za­ra­thustra! Klat­sche doch nicht so fürch­ter­lich mit dei­ner Peit­sche! Du weisst es ja: Lärm mor­det Ge­dan­ken, – und eben kom­men mir so zärt­li­che Ge­dan­ken.

Wir sind Bei­de zwei rech­te Thu­nicht­gu­te und Thu­nicht­bö­se. Jen­seits von Gut und Böse fan­den wir un­ser Ei­land und uns­re grü­ne Wie­se – wir Zwei al­lein! Da­rum müs­sen wir schon ein­an­der gut sein!

Und lie­ben wir uns auch nicht von Grund aus –, muss man sich denn gram sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt?

Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund ist, dass ich auf dei­ne Weis­heit ei­fer­süch­tig bin. Ah, die­se tol­le alte När­rin von Weis­heit!

Wenn dir dei­ne Weis­heit ein­mal da­von­lie­fe, ach! da lie­fe dir schnell auch mei­ne Lie­be noch da­von.« –

Da­rauf blick­te das Le­ben nach­denk­lich hin­ter sich und um sich und sag­te lei­se: »Oh Za­ra­thustra, du bist mir nicht treu ge­nug!

Du liebst mich lan­ge nicht so sehr wie du re­dest; ich weiss, du denkst dar­an, dass du mich bald ver­las­sen willst.

Es giebt eine alte schwe­re schwe­re Brumm-Glo­cke: die brummt Nachts bis zu dei­ner Höh­le hin­auf: –

– hörst du die­se Glo­cke Mit­ter­nachts die Stun­de schla­gen, so denkst du zwi­schen Eins und Zwölf dar­an –

– du denkst dar­an, oh Za­ra­thustra, ich weiss es, dass du mich bald ver­las­sen willst!« –

»Ja, ant­wor­te­te ich zö­gernd, aber du weisst es auch –« Und ich sag­te ihr Et­was in’s Ohr, mit­ten hin­ein zwi­schen ihre ver­wirr­ten gel­ben thö­rich­ten Haar-Zot­teln.

Du weisst Das, oh Za­ra­thustra? Das weiss Nie­mand. – –

Und wir sa­hen uns an und blick­ten auf die grü­ne Wie­se, über wel­che eben der küh­le Abend lief, und wein­ten mit ein­an­der. – Da­mals aber war mir das Le­ben lie­ber, als je alle mei­ne Weis­heit. –

Also sprach Za­ra­thustra.

3

Eins!

Oh Mensch! Gieb Acht!

Zwei!

Was spricht die tie­fe Mit­ter­nacht?

Drei!

»Ich schlief, ich schlief –,

Vier!

»Auf tie­fen Traum bin ich er­wacht:-

Fünf!

»Die Welt ist tief,

Sechs!

»Und tiefer als der Tag ge­dacht.

Sie­ben!

»Tief ist ihr Weh –,

Acht!

»Lust – tiefer noch als Her­ze­leid:

Neun!

»Weh spricht: Ver­geh!

Zehn!

»Doch alle Lust will Ewig­keit –,

Elf!

»- will tie­fe, tie­fe Ewig­keit!

Zwölf!

Die sieben Siegel

(Oder: das Ja- und Amen-Lied)
1

Wenn ich ein Wahr­sa­ger bin und voll je­nes wahr­sa­ge­ri­schen Geis­tes, der auf ho­hem Jo­che zwi­schen zwei Mee­ren wan­delt, –

zwi­schen Ver­gan­ge­nem und Zu­künf­ti­gem als schwe­re Wol­ke wan­delt, – schwü­len Nie­de­run­gen feind und Al­lem, was müde ist und nicht ster­ben, noch le­ben kann.-

zum Blit­ze be­reit im dunklen Bu­sen und zum er­lö­sen­den Licht­strah­le, schwan­ger von Blit­zen, die Ja! sa­gen, Ja! la­chen, zu wahr­sa­ge­ri­schen Blitz­strah­len: –

– se­lig aber ist der also Schwan­ge­re! Und wahr­lich, lan­ge muss als schwe­res Wet­ter am Ber­ge hän­gen, wer einst das Licht der Zu­kunft zün­den soll! –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

2

Wenn mein Zorn je Grä­ber brach, Grenz­stei­ne rück­te und alte Ta­feln zer­bro­chen in stei­le Tie­fen roll­te:

Wenn mein Hohn je ver­mo­der­te Wor­te zer­blies, und ich wie ein Be­sen kam den Kreuz­spin­nen und als Fe­ge­wind al­ten ver­dumpf­ten Grab­kam­mern:

Wenn ich je frohlo­ckend sass, wo alte Göt­ter be­gra­ben lie­gen, welt­seg­nend, welt­lie­bend ne­ben den Denk­ma­len al­ter Welt-Ver­leum­der: –

– denn selbst Kir­chen und Got­tes-Grä­ber lie­be ich, wenn der Him­mel erst rei­nen Au­ges durch ihre zer­bro­che­nen De­cken blickt; gern sit­ze ich gleich Gras und ro­them Moh­ne auf zer­broch­nen Kir­chen –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

3

Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schöp­fe­ri­schen Hau­che und von je­ner himm­li­schen Noth, die noch Zu­fäl­le zwingt, Ster­nen-Rei­gen zu tan­zen:

Wenn ich je mit dem La­chen des schöp­fe­ri­schen Blit­zes lach­te, dem der lan­ge Don­ner der That grol­lend, aber ge­hor­sam nach­folgt:

Wenn ich je am Göt­ter­tisch der Erde mit Göt­tern Wür­fel spiel­te, dass die Erde beb­te und brach und Feu­er­flüs­se her­auf­schnob: –

– denn ein Göt­ter­tisch ist die Erde, und zit­ternd von schöp­fe­ri­schen neu­en Wor­ten und Göt­ter-Wür­fen: –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

 

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

4

Wenn ich je vol­len Zu­ges trank aus je­nem schäu­men­den Würz- und Misch­kru­ge, in dem alle Din­ge gut ge­mischt sind:

Wenn mei­ne Hand je Ferns­tes zum Nächs­ten goss und Feu­er zu Geist und Lust zu Leid und Schlimms­tes zum Gü­tigs­ten:

Wenn ich sel­ber ein Korn bin von je­nem er­lö­sen­den Sal­ze, wel­ches macht, dass alle Din­ge im Misch­kru­ge gut sich mi­schen: –

– denn es giebt ein Salz, das Gu­tes mit Bö­sem bin­det; und auch das Bö­ses­te ist zum Wür­zen wür­dig und zum letz­ten Über­schäu­men: –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

5

Wenn ich dem Mee­re hold bin und Al­lem, was Mee­res-Art ist, und am hol­des­ten noch, wenn es mir zor­nig wi­der­spricht:

Wenn jene su­chen­de Lust in mir ist, die nach Unent­deck­tem die Se­gel treibt, wenn eine See­fah­rer-Lust in mei­ner Lust ist:

Wenn je mein Frohlo­cken rief: »die Küs­te schwand, – nun fiel mir die letz­te Ket­te ab –

– das Gren­zen­lo­se braust um mich, weit hin­aus glänzt mir Raum und Zeit, wohl­an! wohl­auf! al­tes Herz!« –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

6

Wenn mei­ne Tu­gend ei­nes Tän­zers Tu­gend ist, und ich oft mit bei­den Füs­sen in gold-sma­rag­de­nes Ent­zücken sprang:

Wenn mei­ne Bos­heit eine la­chen­de Bos­heit ist, hei­misch un­ter Ro­sen­hän­gen und Li­li­en-He­cken:

– im La­chen näm­lich ist al­les Böse bei ein­an­der, aber hei­lig- und los­ge­spro­chen durch sei­ne eig­ne Se­lig­keit: –

Und wenn Das mein A und O ist, dass al­les Schwe­re leicht, al­ler Leib Tän­zer, al­ler Geist Vo­gel wer­de: und wahr­lich, Das ist mein A und O! –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

7

Wenn ich je stil­le Him­mel über mir aus­spann­te und mit eig­nen Flü­geln in eig­ne Him­mel flog:

Wenn ich spie­lend in tie­fen Licht-Fer­nen schwamm, und mei­ner Frei­heit Vo­gel-Weis­heit kam: –

– so aber spricht Vo­gel-Weis­heit: »Sie­he, es giebt kein Oben, kein Un­ten! Wirf dich um­her, hin­aus, zu­rück, du Leich­ter! Sin­ge! sprich nicht mehr!

– »sind alle Wor­te nicht für die Schwe­ren ge­macht? Lü­gen dem Leich­ten nicht alle Wor­te! Sin­ge! sprich nicht mehr!« –

Oh wie soll­te ich nicht nach der Ewig­keit brüns­tig sein und nach dem hoch­zeit­li­chen Ring der Rin­ge, – dem Ring de Wie­der­kunft!

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kin­der moch­te, sei denn die­ses Weib, das ich lieb: denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Denn ich lie­be dich, oh Ewig­keit!

Vierter und letzter Theil

Ach, wo in der Welt ge­sch­a­hen grös­se­re Thor­hei­ten, als bei den Mit­lei­di­gen? Und was in der Welt stif­te­te mehr Leid, als die Thor­hei­ten der Mit­lei­di­gen?

Wehe al­len Lie­ben­den, die nicht noch eine Höhe ha­ben, wel­che über ih­rem Mit­lei­den ist!

Also sprach der Teu­fel einst zu mir: »auch Gott hat sei­ne Höl­le: das ist sei­ne Lie­be zu den Men­schen.«

Und jüngst hör­te ich ihn diess Wort sa­gen: »Gott ist todt; an sei­nem Mit­lei­den mit den Men­schen ist Gott ge­stor­ben.«

Za­ra­thustra, Von den Mit­lei­di­gen

Das Honig-Opfer

– Und wie­der lie­fen Mon­de und Jah­re über Za­ra­thustra’s See­le, und er ach­te­te des­sen nicht; sein Haar aber wur­de weiss. Ei­nes Ta­ges, als er auf ei­nem Stei­ne vor sei­ner Höh­le sass und still hin­aus­schau­te, – man schaut aber dort auf das Meer hin­aus, und hin­weg über ge­wun­de­ne Ab­grün­de – da gien­gen sei­ne Thie­re nach­denk­lich um ihn her­um und stell­ten sich end­lich vor ihn hin.

»Oh Za­ra­thustra, sag­ten sie, schaust du wohl aus nach dei­nem Glücke?« – »Was liegt am Glücke! ant­wor­te­te er, ich trach­te lan­ge nicht mehr nach Glücke, ich trach­te nach mei­nem Wer­ke.« – »Oh Za­ra­thustra, re­de­ten die Thie­re aber­mals, Das sagst du als Ei­ner, der des Gu­ten über­ge­nug hat. Liegst du nicht in ei­nem him­melblau­en See von Glück?« – Ihr Schalks-Nar­ren, ant­wor­te­te Za­ra­thustra und lä­chel­te, wie gut wähl­tet ihr das Gleich­niss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück schwer ist und nicht wie eine flüs­si­ge Was­ser­wel­le: es drängt mich und will nicht von mir und thut gleich ge­schmol­ze­nem Pe­che.« –

Da gien­gen die Thie­re wie­der nach­denk­lich um ihn her­um und stell­ten sich dann aber­mals vor ihn hin. »Oh Za­ra­thustra, sag­ten sie, da­her also kommt es, dass du sel­ber im­mer gel­ber und dunk­ler wirst, ob­schon dein Haar weiss und fläch­sern aus­se­hen will? Sie­he doch, du sit­zest in dei­nem Pe­che!« – Was sagt ihr da, mei­ne Thie­re, sag­te Za­ra­thustra und lach­te dazu, wahr­lich, ich läs­ter­te als ich von Pe­che sprach. Wie mir ge­schieht, so geht es al­len Früch­ten, die reif wer­den. Es ist der Ho­nig in mei­nen Adern, der mein Blut di­cker und auch mei­ne See­le stil­ler macht.« – »So wird es sein, oh Za­ra­thustra, ant­wor­te­ten die Thie­re und dräng­ten sich an ihn; willst du aber nicht heu­te auf einen ho­hen Berg stei­gen? Die Luft ist rein, und man sieht heu­te mehr von der Welt als je­mals.« – »Ja, mei­ne Thie­re, ant­wor­te­te er, ihr rat­het treff­lich und mir nach dem Her­zen: ich will heu­te auf einen ho­hen Berg stei­gen! Aber sorgt, dass dort Ho­nig mir zur Hand sei, gel­ber, weis­ser, gu­ter, eis­fri­scher Wa­ben-Gold­ho­nig. Denn wis­set, ich will dro­ben das Ho­nig-Op­fer brin­gen.« –

Als Za­ra­thustra aber oben auf der Höhe war, sand­te er die Thie­re heim, die ihn ge­lei­tet hat­ten, und fand, dass er nun­mehr al­lein sei: – da lach­te er aus gan­zem Her­zen, sah sich um und sprach also:

Dass ich von Op­fern sprach und Ho­nig-Op­fern, eine List war’s nur mei­ner Rede und, wahr­lich, eine nütz­li­che Thor­heit! Hier oben darf ich schon frei­er re­den, als vor Ein­sied­ler-Höh­len und Ein­sied­ler-Haust­hie­ren.

Was op­fern! Ich ver­schwen­de, was mir ge­schenkt wird, ich Ver­schwen­der mit tau­send Hän­den: wie dürf­te ich Das noch – Op­fern heis­sen!

Und als ich nach Ho­nig be­gehr­te, be­gehr­te ich nur nach Kö­der und süs­sem Sei­me und Schlei­me, nach dem auch Brumm­bä­ren und wun­der­li­che mür­ri­sche böse Vö­gel die Zun­ge le­cken:

– nach dem bes­ten Kö­der, wie er Jä­gern und Fisch­fän­gern notht­hut. Denn wenn die Welt wie ein dunk­ler Thier­wald ist und al­ler wil­den Jä­ger Lust­gar­ten, so dünkt sie mich noch mehr und lie­ber ein ab­gründ­li­ches rei­ches Meer,

– ein Meer voll bun­ter Fi­sche und Kreb­se, nach dem es auch Göt­ter ge­lüs­ten möch­te, dass sie an ihm zu Fi­schern wür­den und zu Netz-Aus­wer­fern: so reich ist die Welt an Wun­der­li­chem, gros­sem und klei­nem!

Son­der­lich die Men­schen-Welt, das Men­schen-Meer: – nach dem wer­fe ich nun mei­ne gol­de­ne An­gel­ru­the aus und spre­che: thue dich auf, du Men­schen-Ab­grund!

Thue dich auf und wirf mir dei­ne Fi­sche und Glit­zer-Kreb­se zu! Mit mei­nem bes­ten Kö­der kö­de­re ich mir heu­te die wun­der­lichs­ten Men­schen-Fi­sche!

– mein Glück sel­ber wer­fe ich hin­aus in alle Wei­ten und Fer­nen, zwi­schen Auf­gang, Mit­tag und Nie­der­gang, ob nicht an mei­nem Glücke vie­le Men­schen-Fi­sche zerrn und zap­peln ler­nen.

Bis sie, an­beis­send an mei­ne spit­zen ver­bor­ge­nen Ha­ken, hin­auf müs­sen in mei­ne Höhe, die bun­tes­ten Ab­grund-Gründ­lin­ge zu dem bos­haf­tigs­ten al­ler Men­schen- Fisch­fän­ger.

Der näm­lich bin ich von Grund und An­be­ginn, zie­hend, her­an­zie­hend, hin­auf­zie­hend, auf­zie­hend, ein Zie­her, Züch­ter und Zucht­meis­ter, der sich nicht um­sonst einst­mals zu­sprach: »Wer­de, der du bist!«

Also mö­gen nun­mehr die Men­schen zu mir hin­auf kom­men: denn noch war­te ich der Zei­chen, dass es Zeit sei zu mei­nem Nie­der­gan­ge, noch gehe ich sel­ber nicht un­ter, wie ich muss, un­ter Men­schen.

Dazu war­te ich hier, lis­tig und spöt­tisch auf ho­hen Ber­gen, kein Un­ge­dul­di­ger, kein Ge­dul­di­ger, viel­mehr Ei­ner, der auch die Ge­duld ver­lernt hat, – weil er nicht mehr »dul­det.«

Mein Schick­sal näm­lich lässt mir Zeit: es ver­gass mich wohl? Oder sitzt es hin­ter ei­nem gros­sen Stei­ne im Schat­ten und fängt Flie­gen?

Und wahr­lich, ich bin ihm gut darob, mei­nem ewi­gen Schick­sa­le, dass es mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Pos­sen lässt und Bos­hei­ten: also dass ich heu­te zu ei­nem Fisch­fan­ge auf die­sen ho­hen Berg stieg.

Fieng wohl je ein Mensch auf ho­hen Ber­gen Fi­sche? Und wenn es auch eine Thor­heit ist, was ich hier oben will und trei­be: bes­ser noch Diess, als dass ich da un­ten fei­er­lich wür­de vor War­ten und grün und gelb –

– ein ge­spreitz­ter Zorn­schnau­ber vor War­ten, ein hei­li­ger Heu­le-Sturm aus Ber­gen, ein Un­ge­dul­di­ger, der in die Thä­ler hin­a­b­ruft: »Hört, oder ich peit­sche euch mit der Geis­sel Got­tes!«

Nicht dass ich sol­chen Zür­nern darob gram wür­de: zum La­chen sind sie mir gut ge­nung! Un­ge­dul­dig müs­sen sie schon sein, die­se gros­sen Lärm­trom­meln, wel­che heu­te oder nie­mals zu Wor­te kom­men!

Ich aber und mein Schick­sal – wir re­den nicht zum Heu­te, wir re­den auch nicht zum Nie­mals: wir ha­ben zum Re­den schon Ge­duld und Zeit und Über­zeit. Denn einst muss er doch kom­men und darf nicht vor­über­gehn.

Wer muss einst kom­men und darf nicht vor­über­gehn? Un­ser gros­ser Ha­zar, das ist un­ser gros­ses fer­nes Men­schen-Reich, das Za­ra­thustra-Reich von tau­send Jah­ren – –

Wie fer­ne mag sol­ches »Fer­ne« sein? was geht’s mich an! Aber dar­um steht es mir doch nicht min­der fest –, mit bei­den Füs­sen ste­he ich si­cher auf die­sem Grun­de,

– auf ei­nem ewi­gen Grun­de, auf har­tem Ur­ge­stei­ne, auf die­sem höchs­ten här­tes­ten Ur­ge­bir­ge, zu dem alle Win­de kom­men als zur Wet­ter­schei­de, fra­gend nach Wo? und Wo­her? und Wo­hin­aus?

Hier la­che, la­che mei­ne hel­le hei­le Bos­heit! Von ho­hen Ber­gen wirf hin­ab dein glit­zern­des Spott-Ge­läch­ter! Kö­de­re mit dei­nem Glit­zern mir die schöns­ten Men­schen-Fi­sche!

Und was in al­len Mee­ren mir zu­ge­hört, mein An-und-für-mich in al­len Din­gen – Das fi­sche mir her­aus, Das füh­re zu mir her­auf: dess war­te ich, der bos­haf­tigs­te al­ler Fisch­fän­ger.

Hin­aus, hin­aus, mei­ne An­gel! Hin­ein, hin­ab, Kö­der mei­nes Glücks! Träuf­le dei­nen süs­ses­ten Thau, mein Her­zens-Ho­nig! Beis­se, mei­ne An­gel, in den Bauch al­ler schwar­zen Trüb­sal!

Hin­aus, hin­aus, mein Auge! Oh wel­che vie­len Mee­re rings um mich, welch däm­mern­de Men­schen-Zu­künf­te! Und über mir – welch ro­sen­ro­the Stil­le! Welch ent­wölk­tes Schwei­gen!