Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Der freiwillige Bettler

Als Za­ra­thustra den häss­lichs­ten Men­schen ver­las­sen hat­te, fror ihn, und er fühl­te sich ein­sam: es gieng ihm näm­lich vie­les Kal­te und Ein­sa­me durch die Sin­ne, also, dass darob auch sei­ne Glie­der käl­ter wur­den. In­dem er aber wei­ter und wei­ter stieg, hin­auf, hin­ab, bald an grü­nen Wei­den vor­bei, aber auch über wil­de stei­nich­te La­ger, wo ehe­dem wohl ein un­ge­dul­di­ger Bach sich zu Bett ge­legt hat­te.- da wur­de ihm mit Ei­nem Male wie­der wär­mer und herz­li­cher zu Sin­ne.

»Was ge­sch­ah mir doch? frag­te er sich, et­was War­mes und Le­ben­di­ges er­quickt mich, das muss in mei­ner Nähe sein.

Schon bin ich we­ni­ger al­lein; un­be­wuss­te Ge­fähr­ten und Brü­der schwei­fen um mich, ihr war­mer Athem rührt an mei­ne See­le.«

Als er aber um sich spä­he­te und nach den Trös­tern sei­ner Ein­sam­keit such­te: sie­he, da wa­ren es Kühe, wel­che auf ei­ner An­hö­he bei ein­an­der stan­den; de­ren Nähe und Ge­ruch hat­ten sein Herz er­wärmt. Die­se Kühe aber schie­nen mit Ei­fer ei­nem Re­den­den zu­zu­hö­ren und ga­ben nicht auf Den Acht, der her­an­kam. Wie aber Za­ra­thustra ganz in ih­rer Nähe war, hör­te er deut­lich, dass eine Men­schen-Stim­me aus der Mit­te der Kühe her­aus re­de­te; und er­sicht­lich hat­ten sie al­le­sammt ihre Köp­fe dem Re­den­den zu­ge­dreht.

Da sprang Za­ra­thustra mit Ei­fer hin­auf und dräng­te die Thie­re aus­ein­an­der, denn er fürch­te­te, dass hier je­man­dem ein Leids ge­schehn sei, wel­chem schwer­lich das Mit­leid von Kü­hen ab­hel­fen moch­te. Aber dar­in hat­te er sich ge­täuscht; denn sie­he, da sass ein Mensch auf der Erde und schi­en den Thie­ren zu­zu­re­den, dass sie kei­ne Scheu vor ihm ha­ben soll­ten, ein fried­fer­ti­ger Mensch und Berg-Pre­di­ger, aus des­sen Au­gen die Güte sel­ber pre­dig­te. »Was suchst du hier?« rief Za­ra­thustra mit Be­frem­den.

»Was ich hier su­che? ant­wor­te­te er: das Sel­be, was du suchst, du Stö­ren­fried! näm­lich das Glück auf Er­den.

Dazu aber möch­te ich von die­sen Kü­hen ler­nen. Denn, weisst du wohl, einen hal­b­en Mor­gen schon rede ich ih­nen zu, und eben woll­ten sie mir Be­scheid ge­ben. Wa­rum doch störst du sie?

So wir nicht um­keh­ren und wer­den wie die Kühe, so kom­men wir nicht in das Him­mel­reich. Wir soll­ten ih­nen näm­lich Eins abler­nen: das Wie­der­käu­en.

Und wahr­lich, wenn der Mensch auch die gan­ze Welt ge­wön­ne und lern­te das Eine nicht, das Wie­der­käu­en: was hül­fe es! Er wür­de nicht sei­ne Trüb­sal los

– sei­ne gros­se Trüb­sal: die aber heisst heu­te Ekel. Wer hat heu­te von Ekel nicht Herz, Mund und Au­gen voll? Auch du! Auch du! Aber sie­he doch die­se Kühe an!« –

Also sprach der Berg-Pre­di­ger und wand­te dann sei­nen eig­nen Blick Za­ra­thustra zu, – denn bis­her hieng er mit Lie­be an den Kü­hen –: da aber ver­wan­del­te er sich. »Wer ist das, mit dem ich rede? rief er er­schreckt und sprang vom Bo­den em­por.

Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Za­ra­thustra sel­ber, der Über­win­der des gros­sen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, diess ist das Herz Za­ra­thustra’s sel­ber.«

Und in­dem er also sprach, küss­te er Dem, zu wel­chem er re­de­te, die Hän­de, mit über­strö­men­den Au­gen, und ge­bär­de­te sich ganz als Ei­ner, dem ein kost­ba­res Ge­schenk und Klein­od un­ver­se­hens vom Him­mel fällt. Die Kühe aber schau­ten dem Al­len zu und wun­der­ten sich.

»Sprich nicht von mir, du Wun­der­li­cher! Lieb­li­cher! sag­te Za­ra­thustra und wehr­te sei­ner Zärt­lich­keit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht der frei­wil­li­ge Bett­ler, der einst einen gros­sen Reicht­hum von sich warf, –

– der sich sei­nes Reicht­hums schäm­te und der Rei­chen, und zu den Ärms­ten floh, dass er ih­nen sei­ne Fül­le und sein Herz schen­ke? Aber sie nah­men ihn nicht an.«

»Aber sie nah­men mich nicht an, sag­te der frei­wil­li­ge Bett­ler, du weisst es ja. So gieng ich end­lich zu den Thie­ren und zu die­sen Kü­hen.«

»Da lern­test du, un­ter­brach Za­ra­thustra den Re­den­den, wie es schwe­rer ist, recht ge­ben als recht neh­men, und dass gut schen­ken eine Kunst ist und die letz­te lis­tigs­te Meis­ter-Kunst der Güte.«

»Son­der­lich heut­zu­ta­ge, ant­wor­te­te der frei­wil­li­ge Bett­ler: heu­te näm­lich, wo al­les Nied­ri­ge auf­stän­disch ward und scheu und auf sei­ne Art hof­fähr­tig: näm­lich auf Pö­bel-Art.

Denn es kam die Stun­de, du weisst es ja, für den gros­sen schlim­men lan­gen lang­sa­men Pö­bel- und Skla­ven-Auf­stand: der wächst und wächst!

Nun em­pört die Nied­ri­gen al­les Wohl­thun und klei­ne Weg­ge­ben; und die Über­rei­chen mö­gen auf der Hut sein!

Wer heu­te gleich bau­chich­ten Fla­schen tröp­felt aus all­zu­schma­len Häl­sen: – sol­chen Fla­schen bricht man heu­te gern den Hals.

Lüs­ter­ne Gier, gal­lich­ter Neid, ver­gräm­te Rach­sucht, Pö­bel-Stolz: das sprang mir Al­les in’s Ge­sicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Ar­men se­lig sind. Das Him­mel­reich aber ist bei den Kü­hen.«

Und warum ist es nicht bei den Rei­chen? frag­te Za­ra­thustra ver­su­chend, wäh­rend er den Kü­hen wehr­te, die den Fried­fer­ti­gen zu­trau­lich an­schnauf­ten.

»Was ver­suchst du mich? ant­wor­te­te die­ser. Du weisst es sel­ber bes­ser noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärms­ten, oh Za­ra­thustra? War es nicht der Ekel vor un­sern Reichs­ten?

– vor den Sträf­lin­gen des Reicht­hums, wel­che sich ih­ren Vort­heil aus je­dem Keh­richt auf­le­sen, mit kal­ten Au­gen, gei­len Ge­dan­ken, vor die­sem Ge­sin­del, das gen Him­mel stinkt,

– vor die­sem ver­gül­de­ten ver­fälsch­ten Pö­bel, des­sen Vä­ter Lang­fin­ger oder Aas­vö­gel oder Lum­pen­samm­ler wa­ren, mit Wei­bern will­fäh­rig, lüs­tern, ver­ge­ss­lich: – sie ha­ben’s näm­lich alle nicht weit zur Hure –

Pö­bel oben, Pö­bel un­ten! Was ist heu­te noch »Arm« und »Reich«! Die­sen Un­ter­schied ver­lern­te ich, – da floh ich da­von, wei­ter, im­mer wei­ter, bis ich zu die­sen Kü­hen kam.«

Also sprach der Fried­fer­ti­ge und schnauf­te sel­ber und schwitz­te bei sei­nen Wor­ten: also dass die Kühe sich von Neu­em wun­der­ten. Za­ra­thustra aber sah ihm im­mer mit Lä­cheln in’s Ge­sicht, als er so hart re­de­te, und schüt­tel­te dazu schwei­gend den Kopf.

»Du thust dir Ge­walt an, du Berg-Pre­di­ger, wenn du sol­che har­te Wor­te brauchst. Für sol­che Här­te wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge.

Auch, wie mich dünkt, dein Ma­gen sel­ber nicht: dem wi­der­steht all sol­ches Zür­nen und Has­sen und Über­schäu­men. Dein Ma­gen will sanf­te­re Din­ge: du bist kein Flei­scher.

Viel­mehr dünkst du mich ein Pflanz­ler und Wur­zel­mann. Vi­el­leicht malmst du Kör­ner. Si­cher­lich aber bist du fleisch­li­chen Freu­den ab­hold und liebst den Ho­nig.«

»Du er­riethst mich gut, ant­wor­te­te der frei­wil­li­ge Bett­ler, mit er­leich­ter­tem Her­zen. Ich lie­be den Ho­nig, ich mal­me auch Kör­ner, denn ich such­te, was lieb­lich mun­det und rei­nen Athem macht:

– auch was lan­ge Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanf­te Müs­sig­gän­ger und Ta­ge­die­be.

Am wei­tes­ten frei­lich brach­ten es die­se Kühe: die er­fan­den sich das Wie­der­käu­en und In-der-Son­ne-Lie­gen. Auch ent­hal­ten sie sich al­ler schwe­ren Ge­dan­ken, wel­che das Herz blähn.«

– Wohl­an! sag­te Za­ra­thustra: du soll­test auch mei­ne Thie­re sehn, mei­nen Ad­ler und mei­ne Schlan­ge, – ih­res Glei­chen giebt es heu­te nicht auf Er­den.

Sie­he, dort­hin führt der Weg zu mei­ner Höh­le: sei die­se Nacht ihr Gast. Und rede mit mei­nen Thie­ren vom Glück der Thie­re, –

– bis ich sel­ber heim­kom­me. Denn jetzt ruft ein Noth­schrei Mich ei­lig weg von dir. Auch fin­dest du neu­en Ho­nig bei mir, eis­fri­schen Wa­ben-Gold­ho­nig: den iss!

Jetzt aber nimm flugs Ab­schied von dei­nen Kü­hen, du Wun­der­li­cher! Lieb­li­cher! ob es dir schon schwer wer­den mag. Denn es sind dei­ne wärms­ten Freun­de und Lehr­meis­ter!« –

»- Ei­nen aus­ge­nom­men, den ich noch lie­ber habe, ant­wor­te­te der frei­wil­li­ge Bett­ler. Du sel­ber bist gut und bes­ser noch als eine Kuh, oh Za­ra­thustra!«

»Fort, fort mit dir! du ar­ger Schmeich­ler! schrie Za­ra­thustra mit Bos­heit, was verdirbst du mich mit sol­chem Lob und Schmei­chel-Ho­nig?«

»Fort, fort von mir!« schrie er noch Ein Mal und schwang sei­nen Stock nach dem zärt­li­chen Bett­ler: der aber lief hur­tig da­von.

Der Schatten

Kaum aber war der frei­wil­li­ge Bett­ler da­von­ge­lau­fen und Za­ra­thustra wie­der mit sich al­lein, da hör­te er hin­ter sich eine neue Stim­me: die rief »Halt! Za­ra­thustra! So war­te doch! Ich bin’s ja, oh Za­ra­thustra, ich, dein Schat­ten!« Aber Za­ra­thustra war­te­te nicht, denn ein plötz­li­cher Ver­druss über­kam ihn ob des vie­len Zu­drangs und Ge­drängs in sei­nen Ber­gen. »Wo ist mei­ne Ein­sam­keit hin? sprach er.

Es wird mir wahr­lich zu viel; diess Ge­bir­ge wim­melt, mein Reich ist nicht mehr von die­ser Welt, ich brau­che neue Ber­ge.

Mein Schat­ten ruft mich? Was liegt an mei­nem Schat­ten! Mag er mir nach­lau­fen! ich – lau­fe ihm da­von. –

Also sprach Za­ra­thustra zu sei­nem Her­zen und lief da­von. Aber Der, wel­cher hin­ter ihm war, folg­te ihm nach: so dass als­bald drei Lau­fen­de hin­ter ein­an­der her wa­ren, näm­lich vor­an der frei­wil­li­ge Bett­ler, dann Za­ra­thustra und zu­dritt und -hin­terst sein Schat­ten. Nicht lan­ge lie­fen sie so, da kam Za­ra­thustra zur Be­sin­nung über sei­ne Thor­heit und schüt­tel­te mit Ei­nem Ru­cke al­len Ver­druss und Über­druss von sich.

 

»Wie! sprach er, ge­sch­a­hen nicht von je die lä­cher­lichs­ten Din­ge bei uns al­ten Ein­sied­lern und Hei­li­gen?

Wahr­lich, mei­ne Thor­heit wuchs hoch in den Ber­gen! Nun höre ich sechs alte Nar­ren-Bei­ne hin­ter ein­an­der her klap­pern!

Darf aber Za­ra­thustra sich wohl vor ei­nem Schat­ten fürch­ten? Auch dünkt mich zu gu­ter­letzt, dass er län­ge­re Bei­ne hat als ich.«

Also sprach Za­ra­thustra, la­chend mit Au­gen und Ein­ge­wei­den, blieb ste­hen und dreh­te sich schnell her­um – und sie­he, fast warf er da­bei sei­nen Nach­fol­ger und Schat­ten zu Bo­den: so dicht schon folg­te ihm der­sel­be auf den Fer­sen, und so schwach war er auch. Als er ihn näm­lich mit Au­gen prüf­te, er­schrak er wie vor ei­nem plötz­li­chen Ge­s­pens­te: so dünn, schwärz­lich, hohl und über­lebt sah die­ser Nach­fol­ger aus.

»Wer bist du? frag­te Za­ra­thustra hef­tig, was treibst du hier? Und wess­halb heis­sest du dich mei­nen Schat­ten? Du ge­fällst mir nicht.«

»Ver­gieb mir, ant­wor­te­te der Schat­ten, dass ich’s bin; und wenn ich dir nicht ge­fal­le, wohl­an, oh Za­ra­thustra! dar­in lobe ich dich und dei­nen gu­ten Ge­schmack.

Ein Wan­de­rer bin ich, der viel schon hin­ter dei­nen Fer­sen her gieng: im­mer un­ter­wegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahr­lich we­nig zum ewi­gen Ju­den fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin.

Wie? Muss ich im­mer­dar un­ter­wegs sein? Von je­dem Win­de ge­wir­belt, un­stät, fort­ge­trie­ben? Oh Erde, du wardst mir zu rund!

Auf je­der Ober­flä­che sass ich schon, gleich mü­dem Stau­be schlief ich ein auf Spie­geln und Fens­ter­schei­ben: Al­les nimmt von mir, Nichts giebt, ich wer­de dünn, – fast glei­che ich ei­nem Schat­ten.

Dir aber, oh Za­ra­thustra, flog und zog ich am längs­ten nach, und, ver­barg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bes­ter Schat­ten: wo du nur ge­ses­sen hast, sass ich auch.

Mit dir bin ich in ferns­ten, käl­tes­ten Wel­ten um­ge­gan­gen, ei­nem Ge­s­pens­te gleich, das frei­wil­lig über Win­ter­dä­cher und Schnee läuft.

Mit dir streb­te ich in je­des Ver­bo­te­ne, Schlimms­te, Ferns­te: und wenn ir­gend Et­was an mir Tu­gend ist, so ist es, dass ich vor kei­nem Ver­bo­te Furcht hat­te.

Mit dir zer­brach ich, was je mein Herz ver­ehr­te, alle Grenz­stei­ne und Bil­der warf ich um, den ge­fähr­lichs­ten Wün­schen lief ich nach, – wahr­lich, über jed­we­des Ver­bre­chen lief ich ein­mal hin­weg.

Mit dir ver­lern­te ich den Glau­ben an Wor­te und Wert­he und gros­se Na­men. Wenn der Teu­fel sich häu­tet, fällt da nicht auch sein Name ab? der ist näm­lich auch Haut. Der Teu­fel sel­ber ist viel­leicht – Haut.

»Nichts ist wahr, Al­les ist er­laubt«: so sprach ich mir zu. In die käl­tes­ten Was­ser stürz­te ich mich, mit Kopf und Her­zen. Ach, wie oft stand ich darob nackt als ro­ther Krebs da!

Ach, wo­hin kam mir al­les Gute und alle Scham und al­ler Glau­be an die Gu­ten! Ach, wo­hin ist jene ver­lo­gne Un­schuld, die ich einst be­sass, die Un­schuld der Gu­ten und ih­rer ed­len Lü­gen!

Zu oft, wahr­lich, folg­te ich der Wahr­heit dicht auf dem Fus­se: da trat sie mir vor den Kopf. Manch­mal mein­te ich zu lü­gen, und sie­he! da erst traf ich – die Wahr­heit.

Zu Viel klär­te sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts lebt mehr, das ich lie­be, – wie soll­te ich noch mich sel­ber lie­ben?

»Le­ben, wie ich Lust habe, oder gar nicht le­ben«: so will ich’s, so will’s auch der Hei­ligs­te. Aber, wehe! wie habe ich noch – Lust?

Habe ich – noch ein Ziel? Ei­nen Ha­fen, nach dem mein Se­gel läuft?

Ei­nen gu­ten Wind? Ach, nur wer weiss, wo­hin er fährt, weiss auch, wel­cher Wind gut und sein Fahr­wind ist.

Was blieb mir noch zu­rück? Ein Herz müde und frech; ein un­stä­ter Wil­le; Flat­ter-Flü­gel; ein zer­broch­nes Rück­grat.

Diess Su­chen nach mei­nem Heim: oh Za­ra­thustra, weisst du wohl, diess Su­chen war mei­ne Heim­su­chung, es frisst mich auf.

»Wo ist – mein Heim?« Dar­nach fra­ge und su­che und such­te ich, das fand ich nicht. Oh ewi­ges Über­all, oh ewi­ges Nir­gend­wo, oh ewi­ges – Um­sonst!«

Also sprach der Schat­ten, und Za­ra­thustra’s Ge­sicht ver­län­ger­te sich bei sei­nen Wor­ten. »Du bist mein Schat­ten! sag­te er end­lich, mit Trau­rig­keit.

Dei­ne Ge­fahr ist kei­ne klei­ne, du frei­er Geist und Wan­de­rer! Du hast einen schlim­men Tag ge­habt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlim­me­rer Abend kommt!

Sol­chen Un­stä­ten, wie du, dünkt zu­letzt auch ein Ge­fäng­niss se­lig. Sahst du je, wie ein­ge­fang­ne Ver­bre­cher schla­fen? Sie schla­fen ru­hig, sie ge­mes­sen ihre neue Si­cher­heit.

Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein en­ger Glau­be ein­fängt, ein har­ter, stren­ger Wahn! Dich näm­lich ver­führt und ver­sucht nun­mehr Jeg­li­ches, das eng und fest ist.

Du hast das Ziel ver­lo­ren: wehe, wie wirst du die­sen Ver­lust ver­scher­zen und ver­schmer­zen? Da­mit – hast du auch den Weg ver­lo­ren!

Du ar­mer Schwei­fen­der, Schwär­me­n­der, du mü­der Schmet­ter­ling! willst du die­sen Abend eine Rast und Heim­stät­te ha­ben? So gehe hin­auf zu mei­ner Höh­le!

Dor­thin führt der Weg zu mei­ner Höh­le. Und jet­zo will ich Schnell wie­der von dir da­von­lau­fen. Schon liegt es wie ein Schat­ten auf mir.

Ich will al­lein lau­fen, dass es wie­der hell um mich wer­de. Dazu muss ich noch lan­ge lus­tig auf den Bei­nen sein. Des Abends aber wird bei mir – ge­tanzt!« – –

Also sprach Za­ra­thustra.

Mittags

– Und Za­ra­thustra lief und lief und fand Nie­man­den mehr und war al­lein und fand im­mer wie­der sich und ge­noss und schlürf­te sei­ne Ein­sam­keit und dach­te an gute Din­ge, – stun­den­lang. Um die Stun­de des Mit­tags aber, als die Son­ne ge­ra­de über Za­ra­thustra’s Haup­te stand, kam er an ei­nem al­ten krum­men und knor­rich­ten Bau­me vor­bei, der von der rei­chen Lie­be ei­nes Wein­stocks rings um­armt und vor sich sel­ber ver­bor­gen war: von dem hien­gen gel­be Trau­ben in Fül­le dem Wan­dern­den ent­ge­gen. Da ge­lüs­te­te ihn, einen klei­nen Durst zu lö­schen und sich eine Trau­be ab­zu­bre­chen; als er aber schon den Arm dazu aus­streck­te, da ge­lüs­te­te ihn et­was An­de­res noch mehr: näm­lich sich ne­ben den Baum nie­der­zu­le­gen, um die Stun­de des voll­komm­nen Mit­tags, und zu schla­fen.

Diess that Za­ra­thustra; und so­bald er auf dem Bo­den lag, in der Stil­le und Heim­lich­keit des bun­ten Gra­ses, hat­te er auch schon sei­nen klei­nen Durst ver­ges­sen und schlief ein. Denn, wie das Sprich­wort Za­ra­thustra’s sagt: Eins ist nothwen­di­ger als das And­re. Nur dass sei­ne Au­gen of­fen blie­ben: – sie wur­den näm­lich nicht satt, den Baum und die Lie­be des Wein­stocks zu sehn und zu prei­sen. Im Ein­schla­fen aber sprach Za­ra­thustra also zu sei­nem Her­zen:

Still! Still! Ward die Welt nicht eben voll­kom­men? Was ge­schieht mir doch?

Wie ein zier­li­cher Wind, un­ge­sehn, auf ge­tä­fel­tem Mee­re tanzt, leicht, fe­der­leicht: so – tanzt der Schlaf auf mir,

Kein Auge drückt er mir zu, die See­le lässt er mir wach. Leicht ist er, wahr­lich! fe­der­leicht.

Er über­re­det mich, ich weiss nicht wie?, er be­tupft mich in­ne­wen­dig mit schmei­cheln­der Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass mei­ne See­le sich aus­streckt: –

– wie sie mir lang und müde wird, mei­ne wun­der­li­che See­le! Kam ihr ei­nes sie­ben­ten Ta­ges Abend ge­ra­de am Mit­ta­ge? Wan­del­te sie zu lan­ge schon se­lig zwi­schen gu­ten und rei­fen Din­gen?

Sie streckt sich lang aus, lang, – län­ger! sie liegt stil­le, mei­ne wun­der­li­che See­le. Zu viel Gu­tes hat sie schon ge­schmeckt, die­se. gol­de­ne Trau­rig­keit drückt sie, sie ver­zieht den Mund.

– Wie ein Schiff, das in sei­ne stills­te Bucht ein­lief: – nun lehnt es sich an die Erde, der lan­gen Rei­sen müde und der un­ge­wis­sen Mee­re. Ist die Erde nicht treu­er?

Wie solch ein Schiff sich dem Lan­de an­legt, an­schmiegt: – da ge­nüg­t’s, dass eine Spin­ne vom Lan­de her zu ihm ih­ren Fa­den spinnt. Kei­ner stär­ke­ren Taue be­darf es da.

Wie solch ein mü­des Schiff in der stills­ten Bucht: so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zu­trau­end, war­tend, mit den lei­ses­ten Fä­den ihr an­ge­bun­den.

Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl sin­gen, oh mei­ne See­le? Du liegst im Gra­se. Aber das ist die heim­li­che fei­er­li­che Stun­de, wo kein Hirt sei­ne Flö­te bläst.

Scheue dich! Heis­ser Mit­tag schläft auf den Flu­ren. Sin­ge. nicht! Still! Die Welt ist voll­kom­men.

Sin­ge nicht, du Gras-Ge­flü­gel, oh mei­ne See­le! Flüs­te­re nicht ein­mal! Sieh doch – still! der alte Mit­tag schläft, er be­wegt den Mund: trinkt er nicht eben einen Trop­fen Glücks –

– einen al­ten brau­nen Trop­fen gol­de­nen Glücks, gol­de­nen Weins? Es huscht über ihn hin, sein Glück lacht. So – lacht ein Gott. Still! –

– »Zum Glück, wie we­nig ge­nügt schon zum Glücke!« So sprach ich einst, und dünk­te mich klug. Aber es war eine Läs­te­rung: das lern­te ich nun. Klu­ge Narrn re­den bes­ser.

Das We­nigs­te ge­ra­de, das Lei­ses­te, Leich­tes­te, ei­ner Ei­dech­se Ra­scheln, ein Hauch, ein Husch, ein Au­gen-Blidk – We­nig macht die Art des bes­ten Glücks. Still!

– Was ge­sch­ah mir: Horch! Flog die Zeit wohl da­von? Fal­le ich nicht? Fiel ich nicht – horch! in den Brun­nen der Ewig­keit?

– Was ge­schieht mir? Still! Es sticht mich – wehe – in’s Herz? In’s Herz! Oh zer­brich, zer­brich, Herz, nach sol­chem Glücke, nach sol­chem Sti­che!

– Wie? Ward die Welt nicht eben voll­kom­men? Rund und reif? Oh des gol­de­nen run­den Reifs – wo­hin fliegt er wohl? Lau­fe ich ihm nach! Husch!

Still – – (und hier dehn­te sich Za­ra­thustra und fühl­te, dass er schla­fe.) –

Auf! sprach er zu sich sel­ber, du Schlä­fer! Du Mit­tags­schlä­fer! Wohl­an, wohl­auf, ihr al­ten Bei­ne! Zeit ist’s und Über­zeit, manch gut Stück Wegs blieb euch noch zu­rück –

Nun schlieft ihr euch aus, wie lan­ge doch? Eine hal­be Ewig­keit! Wohl­an, wohl­auf nun, mein al­tes Herz! Wie lan­ge erst darfst du nach sol­chem Schlaf – dich aus­wa­chen?

(Aber da schlief er schon von Neu­em ein, und sei­ne See­le sprach ge­gen ihn und wehr­te sich und leg­te sich wie­der hin) – »Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben voll­kom­men? Oh des gold­nen run­den Balls!« –

»Steh auf, sprach Za­ra­thustra, du klei­ne Die­bin, du Ta­ge­die­bin! Wie? Im­mer noch sich stre­cken, gäh­nen, seuf­zen, hin­un­ter­fal­len in tie­fe Brun­nen?

Wer bist du doch! Oh mei­ne See­le!« (und hier er­schrak er, denn ein Son­nen­strahl fiel vom Him­mel her­un­ter auf sein Ge­sicht)

»Oh Him­mel über mir, sprach er seuf­zend und setz­te sich auf­recht, du schaust mir zu? Du horchst mei­ner wun­der­li­chen See­le zu?

Wann trinkst du die­sen Trop­fen Thau’s, der auf alle Er­den-Din­ge nie­der­fiel, – wann trinkst du die­se wun­der­li­che See­le –

– wann, Brun­nen der Ewig­keit! du hei­te­rer schau­er­li­cher Mit­tags-Ab­grund! wann trinkst du mei­ne See­le in dich zu­rück?«

Also sprach Za­ra­thustra und er­hob sich von sei­nem La­ger am Bau­me wie aus ei­ner frem­den Trun­ken­heit: und sie­he, da stand die Son­ne im­mer noch ge­ra­de über sei­nem Haup­te. Es möch­te aber Ei­ner dar­aus mit Recht ab­neh­men, dass Za­ra­thustra da­mals nicht lan­ge ge­schla­fen habe.