Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Aufsätze und Vorreden aus dem Nachlaß




Der griechische Staat.



Vor­re­de zu ei­nem un­ge­schrie­be­nen Buch



(1871.)



Wir Neue­ren ha­ben vor den Grie­chen zwei Be­grif­fe vor­aus, die gleich­sam als Trost­mit­tel ei­ner durch­aus skla­visch sich ge­büh­ren­den und da­bei das Wort »Skla­ve« ängst­lich scheu­en­den Welt ge­ge­ben sind: wir re­den von der »Wür­de des Men­schen« und von der »Wür­de der Ar­beit«. Al­les quält sich, um ein elen­des Le­ben elend zu per­pe­tu­i­ren; die­se furcht­ba­re Noth zwingt zu ver­zeh­ren­der Ar­beit, die nun der vom »Wil­len« ver­führ­te Mensch (oder, rich­ti­ger, mensch­li­che In­tel­lekt) ge­le­gent­lich als et­was Wür­de­vol­les an­staunt. Da­mit aber die Ar­beit einen An­spruch auf eh­ren­de Ti­tel habe, wäre es doch vor Al­lem nö­thig, daß das Da­sein selbst, zu dem sie doch nur ein qual­vol­les Mit­tel ist, et­was mehr Wür­de und Werth habe, als dies ernst mei­nen­den Phi­lo­so­phien und Re­li­gio­nen bis­her er­schie­nen ist. Was dür­fen wir an­ders in der Ar­beits­noth al­ler der Mil­lio­nen fin­den als den Trieb, um je­den Preis da­zu­sein, den­sel­ben all­mäch­ti­gen Trieb, durch den ver­küm­mer­te Pflan­zen ihre Wur­zeln in erd­lo­ses Ge­stein stre­cken!



Aus die­sem ent­setz­li­chen Exis­tenz-Kamp­fe kön­nen nur die Ein­zel­nen auf­tau­chen, die nun so­fort wie­der durch die edeln Wahn­bil­der der künst­le­ri­schen Cul­tur be­schäf­tigt wer­den, da­mit sie nur nicht zum prak­ti­schen Pes­si­mis­mus kom­men, den die Na­tur als die wah­re Un­na­tur ver­ab­scheut. In der neue­ren Welt, die, zu­sam­men­ge­hal­ten mit der grie­chi­schen, zu­meist nur Ab­nor­mi­tä­ten und Ken­tau­ren schafft, in der der ein­zel­ne Mensch, gleich je­nem fa­bel­haf­ten We­sen im Ein­gan­ge der ho­ra­zi­schen Poe­tik, aus Stücken bunt zu­sam­men­ge­setzt ist, zeigt sich oft an dem­sel­ben Men­schen zu­gleich die Gier des Exis­tenz-Kamp­fes und des Kunst­be­dürf­nis­ses: aus wel­cher un­na­tür­li­chen Ver­schmel­zung die Noth ent­stan­den ist, jene ers­te­re Gier vor dem Kunst­be­dürf­nis­se zu ent­schul­di­gen und zu wei­hen. Des­halb glaubt man an die »Wür­de des Men­schen« und die »Wür­de der Ar­beit«.



Die Grie­chen brau­chen sol­che Be­griffs-Hal­lu­ci­na­tio­nen nicht, bei ih­nen spricht sich mit er­schre­cken­der Of­fen­heit aus, daß die Ar­beit eine Schmach sei – und eine ver­bor­ge­ne­re und selt­ner re­den­de, aber über­all le­ben­di­ge Weis­heit füg­te hin­zu, daß auch das Men­schen­ding ein schmäh­li­ches und kläg­li­ches Nichts und ei­nes »Schat­tens Traum« sei. Die Ar­beit ist eine Schmach, weil das Da­sein kei­nen Werth an sich hat: wenn aber eben die­ses Da­sein im ver­füh­ren­den Schmuck künst­le­ri­scher Il­lu­sio­nen er­glänzt und jetzt wirk­lich einen Werth an sich zu ha­ben scheint, so gilt auch dann noch je­ner Satz, daß die Ar­beit eine Schmach sei – und zwar im Ge­füh­le der Un­mög­lich­keit, daß der um das nack­te Fort­le­ben kämp­fen­de Mensch Künst­ler sein kön­ne. In der neue­ren Zeit be­stimmt nicht der kunst­be­dürf­ti­ge Mensch, son­dern der Skla­ve die all­ge­mei­nen Vor­stel­lun­gen: als wel­cher sei­ner Na­tur nach alle sei­ne Ver­hält­nis­se mit trü­ge­ri­schen Na­men be­zeich­nen muß, um le­ben zu kön­nen. Sol­che Phan­to­me, wie die Wür­de des Men­schen, die Wür­de der Ar­beit, sind die dürf­ti­gen Er­zeug­nis­se des sich vor sich selbst ver­ste­cken­den Skla­vent­hums. Un­se­li­ge Zeit, in der der Skla­ve sol­che Be­grif­fe braucht, in der er zum Nach­den­ken über sich und über sich hin­aus auf­ge­reizt wird! Un­se­li­ge Ver­füh­rer, die den Un­schuld­stand des Skla­ven durch die Frucht vom Bau­me der Er­kennt­niß ver­nich­tet ha­ben! Jetzt muß die­ser sich mit sol­chen durch­sich­ti­gen Lü­gen von ei­nem Tage zum an­dern hin­hal­ten, wie sie in der an­geb­li­chen »Gleich­be­rech­ti­gung Al­ler« oder in den so­ge­nann­ten »Grund­rech­ten des Men­schen«, des Men­schen als sol­chen, oder in der Wür­de der Ar­beit für je­den tiefer Bli­cken­den er­kenn­bar sind. Er darf ja nicht be­grei­fen, auf wel­cher Stu­fe und in wel­cher Höhe erst un­ge­fähr von »Wür­de« ge­spro­chen wer­den kann, dort näm­lich wo das In­di­vi­du­um völ­lig über sich hin­aus geht und nicht mehr im Diens­te sei­nes in­di­vi­du­el­len Wei­ter­le­bens zeu­gen und ar­bei­ten muß.



Und selbst auf die­ser Höhe der »Ar­beit« über­kommt die Grie­chen mit­un­ter ein Ge­fühl, das wie Scham aus­sieht. Plut­arch sagt ein­mal mit alt­grie­chi­schem In­stink­te, kein edel­ge­bor­ner Jüng­ling wer­de, wenn er den Zeus in Pisa schaue, das Ver­lan­gen ha­ben, selbst ein Phi­di­as, oder wenn er die Hera in Ar­gos sehe, selbst ein Po­ly­klet zu wer­den: und eben­so we­nig wür­de er wün­schen, Ana­kre­on, Phi­le­tas oder Archi­lo­chus zu sein, so sehr er sich auch an ih­ren Dich­tun­gen er­ge­he. Das künst­le­ri­sche Schaf­fen fällt für den Grie­chen eben­so sehr un­ter den un­ehr­wür­di­gen Be­griff der Ar­beit, wie je­des ba­nau­si­sche Hand­werk. Wenn aber die zwin­gen­de Kraft des künst­le­ri­schen Trie­bes in ihm wirkt, dann muß er schaf­fen und sich je­ner Noth der Ar­beit un­ter­ziehn. Und wie ein Va­ter die Schön­heit und Be­ga­bung sei­nes Kin­des be­wun­dert, an den Akt der Ent­ste­hung aber mit scham­haf­tem Wi­der­wil­len denkt, so er­gieng es dem Grie­chen. Das lust­vol­le Stau­nen über das Schö­ne hat ihn nicht über sein Wer­den ver­blen­det – das ihm wie al­les Wer­den in der Na­tur er­schi­en, als eine ge­wal­ti­ge Noth, als ein Sich­drän­gen zum Da­sein. Das­sel­be Ge­fühl, mit dem der Zeu­gungs­pro­ceß als et­was scham­haft zu Ver­ber­gen­des be­trach­tet wird, ob­wohl in ihm der Mensch ei­nem hö­he­ren Zie­le dient als sei­ner in­di­vi­du­el­len Er­hal­tung: das­sel­be Ge­fühl um­schlei­er­te auch die Ent­ste­hung der großen Kunst­wer­ke, trotz­dem daß durch sie eine hö­he­re Da­seins­form in­au­gur­irt wird, wie durch je­nen Akt eine neue Ge­ne­ra­ti­on. Die Scham scheint so­mit dort ein­zu­tre­ten, wo der Mensch nur noch Werk­zeug un­end­lich grö­ße­rer Wil­lenser­schei­nun­gen ist, als er sich selbst, in der Ein­zel­ge­stalt des In­di­vi­du­ums, gel­ten darf.



Jetzt ha­ben wir den all­ge­mei­nen Be­griff, un­ter den die Emp­fin­dun­gen zu ord­nen sind, die die Grie­chen in Be­treff der Ar­beit und der Skla­ve­rei hat­ten. Bei­de gal­ten ih­nen als eine nothwen­di­ge Schmach, vor der man Scham emp­fin­det, zu­gleich Schmach, zu­gleich No­thwen­dig­keit. In die­sem Scham­ge­fühl birgt sich die un­be­wuß­te Er­kennt­niß, daß das ei­gent­li­che Ziel je­ner Voraus­set­zun­gen be­darf, daß aber in je­nem Be­dürf­nis­se das Ent­setz­li­che und Raubt­hier­ar­ti­ge der Sphinx Na­tur liegt, die in der Ver­herr­li­chung des künst­le­risch frei­en Kul­tur­le­bens so schön den Jung­frau­en­leib vor­streckt. Die Bil­dung, die vor­nehm­lich wahr­haf­tes Kunst­be­dürf­niß ist, ruht auf ei­nem er­schreck­li­chen Grun­de: die­ser aber giebt sich in der däm­mern­den Emp­fin­dung der Scham zu er­ken­nen. Da­mit es einen brei­ten tie­fen und er­gie­bi­gen Erd­bo­den für eine Kunst­ent­wick­lung gebe, muß die un­ge­heu­re Mehr­zahl im Diens­te ei­ner Min­der­zahl, über das Maß ih­rer in­di­vi­du­el­len Be­dürf­tig­keit hin­aus, der Le­bens­noth skla­visch un­ter­wor­fen sein. Auf ihre Un­kos­ten, durch ihre Mehr­ar­beit soll jene be­vor­zug­te Klas­se dem Exis­tenz­kämp­fe ent­rückt wer­den, um nun eine neue Welt des Be­dürf­nis­ses zu er­zeu­gen und zu be­frie­di­gen.



Dem­ge­mäß müs­sen wir uns dazu ver­ste­hen, als grau­sam klin­gen­de Wahr­heit hin­zu­stel­len, daß zum We­sen ei­ner Cul­tur das Skla­vent­hum ge­hö­re: eine Wahr­heit frei­lich, die über den ab­so­lu­ten Werth des Da­seins kei­nen Zwei­fel üb­rig laßt. Sie ist der Gei­er, der dem pro­me­thei­schen För­de­rer der Cul­tur an der Le­ber nagt. Das Elend der müh­sam le­ben­den Men­schen muß noch ge­stei­gert wer­den, um ei­ner ge­rin­gen An­zahl olym­pi­scher Men­schen die Pro­duk­ti­on der Kunst­welt zu er­mög­li­chen. Hier liegt der Quell je­nes In­grimms, den die Kom­mu­nis­ten und So­cia­lis­ten und auch ihre blas­se­ren Ab­kömm­lin­ge, die wei­ße Ras­se der »Li­be­ra­len«, je­der Zeit ge­gen die Küns­te, aber auch ge­gen das clas­si­sche Al­ter­thum ge­nährt ha­ben. Wenn wirk­lich die Cul­tur im Be­lie­ben ei­nes Vol­kes stün­de, wenn hier nicht un­ent­rinn­ba­re Mäch­te wal­te­ten, die dem Ein­zel­nen Ge­setz und Schran­ke sind, so wäre die Ver­ach­tung der Cul­tur, die Ver­herr­li­chung der Ar­muth des Geis­tes, die bil­der­stür­me­ri­sche Ver­nich­tung der Kunst­an­sprü­che mehr als eine Auf­leh­nung der un­ter­drück­ten Mas­se ge­gen droh­nen­ar­ti­ge Ein­zel­ne: es wäre der Schrei des Mit­lei­dens, der die Mau­ern der Cul­tur um­ris­se; der Trieb nach Ge­rech­tig­keit, nach Gleich­maß des Lei­dens wür­de alle an­de­ren Vor­stel­lun­gen über­flu­then. Wirk­lich hat ein über­schwäng­li­cher Grad des Mit­lei­dens auf kur­ze Zeit hier und da ein­mal alle Däm­me des Cul­tur­le­bens zer­bro­chen; ein Re­gen­bo­gen der mit­lei­di­gen Lie­be und des Frie­dens er­schi­en mit dem ers­ten Auf­glän­zen des Chris­tent­hums, und un­ter ihm wur­de sei­ne schöns­te Frucht, das Jo­han­nes­evan­ge­li­um, ge­bo­ren. Es giebt aber auch Bei­spie­le, daß mäch­ti­ge Re­li­gio­nen auf lan­ge Pe­ri­oden hin­aus einen be­stimm­ten Cul­tur­grad ver­stei­nern und Al­les, was noch kräf­tig wei­ter wu­chern will, mit un­er­bitt­li­cher Si­chel ab­schnei­den. Eins näm­lich ist nicht zu ver­ges­sen: die­sel­be Grau­sam­keit, die wir im We­sen je­der Cul­tur fan­den, liegt auch im We­sen je­der mäch­ti­gen Re­li­gi­on und über­haupt in der Na­tur der Macht, die im­mer böse ist: so daß wir eben­so gut es ver­ste­hen wer­den, wenn eine Cul­tur mit dem Schrei nach Frei­heit oder min­des­tens Ge­rech­tig­keit ein all­zu hoch get­hürm­tes Boll­werk re­li­gi­öser An­sprü­che zer­bricht. Was in die­ser ent­setz­li­chen Con­stel­la­ti­on der Din­ge le­ben will, das heißt le­ben muß, ist im Grun­de sei­nes We­sens Ab­bild des Ur­schmer­zes und Ur­wi­der­spru­ches, muß also in un­frei Au­gen »welt- und erd­ge­mäß Or­gan« fal­len als un­er­sätt­li­che Gier zum Da­sein und ewi­ges Sich­wi­der­spre­chen in der Form der Zeit, also als Wer­den. Je­der Au­gen­blick frißt den Vor­her­ge­hen­den, jede Ge­burt ist der Tod un­zäh­li­ger We­sen, Zeu­gen Le­ben und Mor­den ist eins. Des­halb dür­fen wir auch die herr­li­che Cul­tur mit ei­nem blut­trie­fen­den Sie­ger ver­glei­chen, der bei sei­nem Tri­umph­zu­ge die an sei­nen Wa­gen ge­fes­sel­ten Be­sieg­ten als Skla­ven mit­schleppt: als wel­chen eine wohlt­hä­ti­ge Macht die Au­gen ver­blen­det hat, so daß sie, von den Rä­dern des Wa­gens fast zer­malmt, doch noch ru­fen: »Wür­de der Ar­beit!« »Wür­de des Men­schen!« Die üp­pi­ge Kleo­pa­tra Cul­tur wirft im­mer wie­der die un­schätz­bars­ten Pei­len in ih­ren gol­de­nen Be­cher: die­se Per­len sind die Thrä­nen des Mit­lei­dens mit dem Skla­ven und mit dem Skla­ve­ne­len­de. Aus der Ver­zär­te­lung des neue­ren Men­schen sind die un­ge­heu­ren so­cia­len Noth­stän­de der Ge­gen­wart ge­bo­ren, nicht aus dem wah­ren und tie­fen Er­bar­men mit je­nem Elen­de; und wenn es wahr sein soll­te, daß die Grie­chen an ih­rem Skla­vent­hum zu Grun­de ge­gan­gen sind, so ist das An­de­re viel ge­wis­ser, daß wir an dem Man­gel des Skla­vent­hums zu Grun­de ge­hen wer­den: als wel­ches we­der dem ur­sprüng­li­chen Chris­tent­hum, noch dem Ger­man­en­t­hum ir­gend­wie an­stö­ßig, ge­schwei­ge denn ver­werf­lich zu sein dünk­te. Wie er­he­bend wirkt auf uns die Be­trach­tung des mit­tel­al­ter­li­chen Hö­ri­gen, mit dem in­ner­lich kräf­ti­gen und zar­ten Rechts- und Sit­ten­ver­hält­nis­se zu dem hö­her Ge­ord­ne­ten, mit der tief­sin­ni­gen Um­frie­dung sei­nes en­gen Da­seins – wie er­he­bend – und wie vor­wurfs­voll!

 



Wer nun über die Con­fi­gu­ra­ti­on der Ge­sell­schaft nicht ohne Schwer­muth nach­den­ken kann, wer sie als die fort­wäh­ren­de schmerz­haf­te Ge­burt je­ner exi­mir­ten Cul­tur­menschen zu be­grei­fen ge­lernt hat, in de­ren Dienst sich al­les An­de­re ver­zeh­ren muß, der wird auch von je­nem er­lo­ge­nen Glan­ze nicht mehr ge­täuscht wer­den, den die Neue­ren über Ur­sprung und Be­deu­tung des Staa­tes ge­brei­tet ha­ben. Was näm­lich kann uns der Staat be­deu­ten, wenn nicht das Mit­tel, mit dem je­ner vor­hin ge­schil­der­te Ge­sell­schaftspro­ceß in Fluß zu brin­gen und in sei­ner un­ge­hemm­ten Fort­dau­er zu ver­bür­gen ist? Mag der Trieb zur Ge­sel­lig­keit in den ein­zel­nen Men­schen auch noch so stark sein, erst die ei­ser­ne Klam­mer des Staa­tes zwängt die grö­ße­ren Mas­sen so an­ein­an­der, daß jetzt jene che­mi­sche Schei­dung der Ge­sell­schaft, mit ih­rem neu­en py­ra­mi­da­len Auf­bau, vor sich ge­hen muß. Wo­her aber ent­springt die­se plötz­li­che Macht des Staa­tes, des­sen Ziel weit über die Ein­sicht und über den Ego­is­mus des Ein­zel­nen hin­aus­liegt? Wie ent­stand der Skla­ve, der blin­de Maul­wurf der Kul­tur? Die Grie­chen ha­ben es uns in ih­rem völ­ker­recht­li­chen In­stink­te ver­rat­hen, der, auch in der reifs­ten Fül­le ih­rer Ge­sit­tung und Men­sch­lich­keit, nicht auf­hör­te, aus er­ze­nem Mun­de sol­che Wor­te aus­zu­ru­fen: »dem Sie­ger ge­hört der Be­sieg­te, mit Weib und Kind, Gut und Blut. Die Ge­walt giebt das ers­te Recht, und es giebt kein Recht, das nicht in sei­nem Fun­da­men­te An­ma­ßung Usur­pa­ti­on Ge­walt­t­hat ist.«



Hier se­hen wir wie­der­um, mit wel­cher mit­leid­lo­sen Starr­heit die Na­tur, um zur Ge­sell­schaft zu kom­men, sich das grau­sa­me Werk­zeug des Staa­tes schmie­det – näm­lich je­nen Ero­be­rer mit der ei­ser­nen Hand, der Nichts als die Ob­jek­ti­va­ti­on des be­zeich­ne­ten In­stink­tes ist. An der un­de­fi­nir­ba­ren Grö­ße und Macht sol­cher Ero­be­rer spürt der Be­trach­ter, daß sie nur Mit­tel ei­ner in ih­nen sich of­fen­ba­ren­den und doch vor ih­nen sich ver­ber­gen­den Ab­sicht sind. Gleich als ob ein ma­gi­scher Wil­le von ih­nen aus­gien­ge, so räth­sel­haft schnell schlie­ßen sich die schwä­che­ren Kräf­te an sie an, so wun­der­bar ver­wan­deln sie sich, bei dem plötz­li­chen An­schwel­len je­ner Ge­walt­la­wi­ne, un­ter dem Zau­ber je­nes schöp­fe­ri­schen Ker­nes, zu ei­ner bis da­hin nicht vor­han­de­nen Af­fi­ni­tät.



Wenn wir nun se­hen, wie we­nig sich als­bald die Un­ter­wor­fe­nen um den ent­setz­li­chen Ur­sprung des Staa­tes be­küm­mern, so daß im Grun­de über kei­ne Art von Er­eig­nis­sen uns die His­to­rie schlech­ter un­ter­rich­tet als über das Zu­stan­de­kom­men je­ner plötz­li­chen ge­walt­sa­men blu­ti­gen und min­des­tens an ei­nem Punk­te un­er­klär­li­chen Usur­pa­tio­nen: wenn viel­mehr der Ma­gie des wer­den­den Staa­tes die Her­zen un­will­kür­lich ent­ge­gen­schwel­len, mit der Ah­nung ei­ner un­sicht­bar tie­fen Ab­sicht, dort wo der rech­nen­de Ver­stand nur eine Ad­di­ti­on von Kräf­ten zu se­hen be­fä­higt ist: wenn jetzt so­gar der Staat mit In­brunst als Ziel und Gip­fel der Auf­op­fe­run­gen und Pf­lich­ten des Ein­zel­nen be­trach­tet wird: so spricht aus Al­le­dem die un­ge­heu­re No­thwen­dig­keit des Staa­tes, ohne den es der Na­tur nicht ge­lin­gen möch­te, durch die Ge­sell­schaft zu ih­rer Er­lö­sung im Schei­ne, im Spie­gel des Ge­ni­us, zu kom­men. Was für Er­kennt­nis­se über­win­det nicht die in­stink­ti­ve Lust am Staa­te! Man soll­te doch den­ken, daß ein We­sen, wel­ches in die Ent­ste­hung des Staa­tes hin­ein­schaut, für­der­hin nur in schau­er­vol­ler Ent­fer­nung von ihm sein Heil su­chen wer­de; und wo kann man nicht die Denk­ma­le sei­ner Ent­ste­hung se­hen, ver­wüs­te­te Län­der, zer­stör­te Städ­te, ver­wil­der­te Men­schen, ver­zeh­ren­den Völ­ker­haß! Der Staat, von schmäh­li­cher Ge­burt, für die meis­ten Men­schen eine fort­wäh­ren­de flie­ßen­de Quel­le der Müh­sal, in häu­fig wie­der­kom­men­den Pe­ri­oden die fres­sen­de Fa­ckel des Men­schen­ge­schlechts – und den­noch ein Klang, bei dem wir uns ver­ges­sen, ein Schlacht­ruf, der zu zahl­lo­sen wahr­haft he­ro­i­schen Tha­ten be­geis­tert hat, viel­leicht der höchs­te und ehr­wür­digs­te Ge­gen­stand für die blin­de und egois­ti­sche Mas­se, die auch nur in den un­ge­heu­ren Mo­men­ten des Staats­le­bens den be­fremd­li­chen Aus­druck von Grö­ße auf ih­rem Ge­sich­te hat!



Die Grie­chen aber ha­ben wir uns, im Hin­blick auf die ein­zi­ge Son­nen­hö­he ih­rer Kunst, schon

a prio­ri

 als die »po­li­ti­schen Men­schen an sich« zu con­strui­ren; und wirk­lich kennt die Ge­schich­te kein zwei­tes Bei­spiel ei­ner so furcht­ba­ren Ent­fes­se­lung des po­li­ti­schen Trie­bes, ei­ner so un­be­ding­ten Hinop­fe­rung al­ler an­de­ren In­ter­es­sen im Diens­te die­ses Staa­ten­in­stink­tes – höchs­tens daß man ver­glei­chungs­wei­se und aus ähn­li­chen Grün­den die Men­schen der Re­naissance in Ita­li­en mit ei­nem glei­chen Ti­tel aus­zeich­nen könn­te. So über­la­den ist bei den Grie­chen je­ner Trieb, daß er im­mer von Neu­em wie­der ge­gen sich selbst zu wüthen an­fängt und die Zäh­ne in das eig­ne Fleisch schlägt. Die­se blu­ti­ge Ei­fer­sucht von Stadt auf Stadt, von Par­tei auf Par­tei, die­se mör­de­ri­sche Gier je­ner klei­nen Krie­ge, der ti­ger­ar­ti­ge Tri­umph auf dem Leich­nam des er­leg­ten Fein­des, kurz die un­abläs­si­ge Er­neue­rung je­ner tro­ja­ni­schen Kampf- und Greu­el­sce­nen, in de­ren An­blick Ho­mer lust­voll ver­sun­ken, als ech­ter Hel­le­ne, vor uns steht – wo­hin deu­tet die­se nai­ve Bar­ba­rei des grie­chi­schen Staa­tes, wo­her nimmt er sei­ne Ent­schul­di­gung vor dem Richter­stuh­le der ewi­gen Ge­rech­tig­keit? Stolz und ru­hig tritt der Staat vor ihn hin: und an der Hand führt er das herr­lich blü­hen­de Weib, die grie­chi­sche Ge­sell­schaft. Für die­se He­le­na fühl­te er jene Krie­ge – wel­cher grau­bär­ti­ge Rich­ter dürf­te hier ver­urt­hei­len? –



Bei die­sem ge­heim­niß­vol­len Zu­sam­men­hang, den wir hier zwi­schen Staat und Kunst, po­li­ti­scher Gier und künst­le­ri­scher Zeu­gung, Schlacht­feld und Kunst­werk ah­nen, ver­ste­hen wir, wie ge­sagt, un­ter Staat nur die ei­ser­ne Klam­mer, die den Ge­sell­schaftspro­ceß er­zwingt: wäh­rend ohne Staat, im na­tür­li­chen

bel­lum om­ni­um con­tra om­nes

, die Ge­sell­schaft über­haupt nicht in grö­ße­rem Maße und über das Be­reich der Fa­mi­lie hin­aus Wur­zel schla­gen kann. Jetzt, nach der all­ge­mein ein­ge­tre­te­nen Staa­ten­bil­dung, con­cen­trirt sich je­ner Trieb des

bel­lum om­ni­um con­tra om­nes

 von Zeit zu Zeit zum schreck­li­chen Kriegs­ge­wölk der Völ­ler und ent­la­det sich gleich­sam in selt­ne­ren, aber um so stär­ke­ren Schlä­gen und Wet­ter­strah­len. In den Zwi­schen­pau­sen aber ist der Ge­sell­schaft doch Zeit ge­las­sen, un­ter der nach in­nen ge­wen­de­ten zu­sam­men­ge­dräng­ten Wir­kung je­nes

bel­lum

, al­ler­orts zu kei­men und zu grü­nen, um, so­bald es ei­ni­ge wär­me­re Tage giebt, die leuch­ten­den Blüthen des Ge­ni­us her­vor­sprie­ßen zu las­sen.



An­ge­sichts der po­li­ti­schen Welt der Hel­le­nen will ich nicht ver­ber­gen, in wel­chen Er­schei­nun­gen der Ge­gen­wart ich ge­fähr­li­che, für Kunst und Ge­sell­schaft gleich be­denk­li­che Ver­küm­me­run­gen der po­li­ti­schen Sphä­re zu er­ken­nen glau­be. Wenn es Men­schen ge­ben soll­te, die durch Ge­burt gleich­sam au­ßer­halb der Volks- und Staa­ten­in­stink­te ge­stellt sind, die so­mit den Staat nur so weit gel­ten zu las­sen ha­ben, als sie ihn in ih­rem ei­ge­nen In­ter­es­se be­grei­fen: so wer­den der­ar­ti­ge Men­schen nothwen­dig als das letz­te staat­li­che Ziel sich das mög­lichst un­ge­stör­te Ne­ben­ein­an­der­le­ben großer po­li­ti­scher Ge­mein­sam­kei­ten vor­stel­len, in de­nen den ei­ge­nen Ab­sich­ten nach­zu­ge­hen ih­nen vor Al­len ohne Be­schrän­kung er­laubt sein dürf­te. Mit die­ser Vor­stel­lung im Kop­fe wer­den sie die Po­li­tik för­dern, die die­sen Ab­sich­ten die größ­te Si­cher­heit bie­tet, wäh­rend es un­denk­bar ist, daß sie ge­gen ihre Ab­sich­ten, etwa durch einen un­be­wuß­ten In­stinkt ge­lei­tet, der Staats­ten­denz sich zum Op­fer brin­gen soll­ten, un­denk­bar, weil sie eben je­nes In­stink­tes er­man­geln. Alle an­de­ren Bür­ger des Staa­tes sind über Das, was die Na­tur mit ih­rem Staats­in­stink­te bei ih­nen be­ab­sich­tigt, im Dun­keln und fol­gen blind­lings; nur jene au­ßer­halb die­ses In­stink­tes Ste­hen­den wis­sen, was sie vom Staa­te wol­len und was ih­nen der Staat ge­wäh­ren soll. Des­halb ist es ge­ra­de­zu un­ver­meid­lich, daß sol­che Men­schen einen großen Ein­fluß auf den Staat ge­win­nen, weil sie ihn als Mit­tel be­trach­ten dür­fen, wäh­rend alle an­de­ren un­ter der Macht je­ner un­be­wuß­ten Ab­sich­ten des Staa­tes selbst nur Mit­tel des Staats­zwecks sind. Um nun, durch das Mit­tel des Staa­tes, höchs­te För­de­rung ih­rer ei­gen­nüt­zi­gen Zie­le zu er­rei­chen, ist vor Al­lem nö­thig, daß der Staat von je­nen schreck­lich un­be­re­chen­ba­ren Kriegs­zu­ckun­gen gänz­lich be­freit wer­de, da­mit er ra­tio­nell be­nutzt wer­den kön­ne; und da­mit stre­ben sie, so be­wußt als mög­lich, einen Zu­stand an, in dem der Krieg eine Un­mög­lich­keit ist. Hier­zu gilt es nun zu­erst die po­li­ti­schen Son­der­trie­be mög­lichst zu be­schnei­den und ab­zu­schwä­chen und durch Her­stel­lung großer gleich­wie­gen­der Staa­ten­kör­per und ge­gen­sei­ti­ger Si­cher­stel­lung der­sel­ben den güns­ti­gen Er­folg ei­nes An­griffs­kriegs und da­mit den Krieg über­haupt zur größ­ten Un­wahr­schein­lich­keit zu ma­chen: wie sie an­de­rer­seits die Fra­ge über Krieg und Frie­den der Ent­schei­dung ein­zel­ner Macht­ha­ber zu ent­rei­ßen su­chen, um viel­mehr an den Ego­is­mus der Mas­se oder de­ren Ver­tre­ter ap­pel­li­ren zu kön­nen: wozu sie wie­der­um nö­thig ha­ben, die mon­ar­chi­schen In­stink­te der Völ­ker lang­sam auf­zu­lö­sen. Die­sem Zwe­cke ent­spre­chen sie durch die all­ge­meins­te Ver­brei­tung der li­be­ral-op­ti­mis­ti­schen Welt­be­trach­tung, wel­che ihre Wur­zeln in den Leh­ren der fran­zö­si­schen Auf­klä­rung und Re­vo­lu­ti­on, das heißt in ei­ner gänz­lich un­ger­ma­ni­schen, acht ro­ma­nisch fla­chen und un­me­ta­phy­si­schen Phi­lo­so­phie hat. Ich kann nicht um­hin, in der ge­gen­wär­tig herr­schen­den Na­tio­na­li­tä­ten­be­we­gung und der gleich­zei­ti­gen Ver­brei­tung des all­ge­mei­nen Stimm­rechts vor Al­lem die Wir­kun­gen der Kriegs­furcht zu se­hen, ja im Hin­ter­grün­de die­ser Be­we­gun­gen, als die ei­gent­lich Fürch­ten­den, jene wahr­haft in­ter­na­tio­na­len Hei­mat­lo­sen Geld­ein­sied­ler zu er­bli­cken, die, bei ih­rem na­tür­li­chen Man­gel des staat­li­chen In­stink­tes, es ge­lernt ha­ben, die Po­li­tik zum Mit­tel der Bör­se und Staat und Ge­sell­schaft als Be­rei­che­rungs­ap­pa­ra­te ih­rer selbst zu miß­brau­chen. Ge­gen die von die­ser Sei­te zu be­fürch­ten­de Ablen­kung der Staats­ten­denz zur Geld­ten­denz ist das ein­zi­ge Ge­gen­mit­tel der Krieg und wie­der­um der Krieg: in des­sen Er­re­gun­gen we­nigs­tens doch so­viel klar wird, daß der Staat nicht auf der Furcht vor dem Kriegs­dä­mon, als Schutz­an­stalt egois­ti­scher Ein­zel­ner, ge­grün­det ist, son­dern in Va­ter­lands- und Fürs­ten­lie­be einen ethi­schen Schwung aus sich er­zeugt, der auf eine viel hö­he­re Be­stim­mung hin­weist. Wenn ich also als ge­fähr­li­ches Cha­rak­te­ris­ti­kum der po­li­ti­schen Ge­gen­wart die Ver­wen­dung der Re­vo­lu­ti­ons­ge­dan­ken im Diens­te ei­ner ei­gen­süch­ti­gen staat­lo­sen Gelda­ri­sto­kra­tie be­zeich­ne, wenn ich die un­ge­heu­re Ver­brei­tung des li­be­ra­len Op­ti­mis­mus zu­gleich als Re­sul­tat der in son­der­ba­re Hän­de ge­rat­he­nen mo­der­nen Geld­wirth­schaft be­grei­fe und alle Übel der so­cia­len Zu­stän­de, sammt dem nothwen­di­gen Ver­fall der Küns­te, ent­we­der aus je­ner Wur­zel ent­keimt oder mit ihr ver­wach­sen sehe: so wird man mir einen ge­le­gent­lich an­zu­stim­men­den Päan auf den Krieg zu gute hal­ten müs­sen. Fürch­ter­lich er­klingt sein sil­ber­ner Bo­gen: und kommt er gleich da­her wie die Nacht, so ist er doch Apol­lo, der rech­te Wei­he- und Rei­ni­gungs­gott des Staa­tes. Zu­erst aber, wie es im Be­gin­ne der Ili­as heißt, schnellt er den Pfeil auf die Maul­thie­re und Hun­de. So­dann trifft er die Men­schen selbst, und über­all lo­dern die Holz­sto­ße mit Leich­na­men. So sei es denn aus­ge­spro­chen, daß der Krieg für den Staat eine eben­sol­che No­thwen­dig­keit ist, wie der Skla­ve für die Ge­sell­schaft: und wer möch­te sich die­sen Er­kennt­nis­sen ent­ziehn kön­nen, wenn er sich ehr­lich nach den Grün­den der un­er­reich­ten grie­chi­schen Kunst­vollen­dung fragt?

 



Wer den Krieg und sei­ne uni­for­mir­te Mög­lich­keit, den Sol­da­ten­stand, in Be­zug auf das bis­her ge­schil­der­te We­sen des Staa­tes be­trach­tet, muß zu der Ein­sicht kom­men, daß durch den Krieg und im Sol­da­ten­stan­de uns ein Ab­bild, oder gar viel­leicht das Ur­bild des Staa­tes vor Au­gen ge­stellt wird. Hier se­hen wir, als all­ge­meins­te Wir­kung der Kriegs­ten­denz, eine so­for­ti­ge Schei­dung und Zert­hei­lung der chao­ti­schen Mas­se in mi­li­tä­ri­sche Kas­ten, aus de­nen sich py­ra­mi­den­för­mig, auf ei­ner al­ler­brei­tes­ten skla­ven­ar­ti­gen un­ters­ten Schicht, der Bau der »krie­ge­ri­schen Ge­sell­schaft« er­hebt. Der un­be­wuß­te Zweck der gan­zen Be­we­gung zwingt je­den Ein­zel­nen un­ter sein Joch und er­zeugt auch bei he­te­ro­ge­nen Na­tu­ren eine gleich­sam che­mi­sche Ver­wand­lung ih­rer Ei­gen­schaf­ten, bis sie mit je­nem Zwe­cke in Af­fi­ni­tät ge­bracht sind. In den hö­he­ren Kas­ten spürt man schon et­was mehr, um was es sich, bei die­sem in­ner­li­chen Pro­ces­se, im Grun­de han­delt, näm­lich um die Er­zeu­gung des mi­li­tä­ri­schen Ge­ni­us – den wir als den ur­sprüng­li­chen Staa­ten­grün­der ken­nen ge­lernt ha­ben. An man­chen Staa­ten z. B. an der ly­kur­gi­schen Ver­fas­sung Spar­ta’s kann man deut­lich den Ab­druck je­ner Grun­di­dee des Staa­tes, der Er­zeu­gung des mi­li­tä­ri­schen Ge­ni­us, wahr­neh­men. Den­ken wir uns jetzt den mi­li­tä­ri­schen Ur­staat in leb­haf­tes­ter Reg­sam­keit, in sei­ner ei­gent­li­chen »Ar­beit«, und füh­ren wir uns die gan­ze Tech­nik des Kriegs vor Au­gen, so kön­nen wir uns nicht ent­bre­chen, un­se­re über­all­her ein­ge­so­gnen Be­grif­fe von der »Wür­de des Men­schen« und der »Wür­de der Ar­beit« durch die Fra­ge zu cor­ri­gi­ren, ob denn auch zu der Ar­beit, die die Ver­nich­tung von »wür­de­vol­len« Men­schen zum Zwe­cke hat, ob auch zu dem Men­schen, der mit je­ner »wür­de­vol­len Ar­beit« be­traut ist, der Be­griff von Wür­de stimmt, oder ob nicht, in die­ser krie­ge­ri­schen Auf­ga­be des Staa­tes, jene Be­grif­fe, als un­ter ein­an­der wi­der­spruchs­vol­le, sich ge­gen­sei­tig auf­he­ben. Ich däch­te, der krie­ge­ri­sche Mensch wäre ein Mit­tel des mi­li­tä­ri­schen Ge­ni­us und sei­ne Ar­beit wie­der­um nur ein Mit­tel des­sel­ben Ge­ni­us; und nicht ihm, als ab­so­lu­tem Men­schen und Nicht­ge­ni­us, son­dern ihm als Mit­tel des Ge­ni­us – der auch sei­ne Ver­nich­tung als Mit­tel des krie­ge­ri­schen Kunst­werks be­lie­ben kann – kom­me ein Grad von Wür­de zu, je­ner Wür­de näm­lich, zum Mit­tel des Ge­ni­us ge­wür­digt zu sein. Was aber hier an ei­nem ein­zel­nen Bei­spiel ge­zeigt ist, gilt im all­ge­meins­ten Sin­ne: je­der Mensch, mit sei­ner ge­samm­ten Thä­tig­keit, hat nur so­viel Wür­de, als er, be­wußt oder un­be­wußt, Werk­zeug des Ge­ni­us ist; wor­aus so­fort die ethi­sche Con­se­quenz zu er­schlie­ßen ist, daß der »Mensch an sich«, der ab­so­lu­te Mensch, we­der Wür­de, noch Rech­te, noch Pf­lich­ten be­sitzt: nur als völ­lig de­ter­mi­nir­tes, un­be­wuß­ten Zwe­cken die­nen­des We­sen kann der Mensch sei­ne Exis­tenz ent­schul­di­gen.



Der voll­komm­ne Staat Pla­to’s ist nach die­sen Be­trach­tun­gen ge­wiß noch et­was Grö­ße­res als selbst die Warm­blü­ti­gen un­ter sei­nen Ver­eh­rern glau­ben, gar nicht zu re­den von der lä­cheln­den Über­le­gen­heits­mie­ne, mit der uns­re »his­to­risch« Ge­bil­de­ten eine sol­che Frucht des Al­ter­thums ab­zu­leh­nen wis­sen. Das ei­gent­li­che Ziel des Staa­tes, die olym­pi­sche Exis­tenz und im­mer er­neu­te Zeu­gung und Vor­be­rei­tung des Ge­ni­us, dem ge­gen­über al­les An­de­re nur Werk­zeu­ge, Hülfs­mit­tel und Er­mög­li­chun­gen sind, ist hier durch eine dich­te­ri­sche In­tui­ti­on ge­fun­den und mit Derb­heit hin­ge­malt. Pla­to sah durch die schreck­lich ver­wüs­te­te Her­me des da­ma­li­gen Staats­le­bens hin­durch und ge­wahr­te auch jetzt noch et­was Gött­li­ches in ih­rem In­ne­ren. Er glaub­te dar­an, daß man dies Göt­ter­bild