Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

7

In­zwi­schen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dun­kel­heit: da ver­lief sich das Volk, denn selbst Neu­gier­de und Schrek­ken wer­de müde. Za­ra­thustra aber sass ne­ben dem Tod­ten auf der Erde und war in Ge­dan­ken ver­sun­ken: so ver­gass er die Zeit. End­lich aber wur­de es Nacht, und ein kal­ter Wind blies über den Ein­sa­men. Da er­hob sich Za­ra­thustra und sag­te zu sei­nem Her­zen:

Wahr­lich, einen schö­nen Fisch­fang that heu­te Za­ra­thustra! Kei­nen Men­schen fieng er, wohl aber einen Leich­nam.

Un­heim­lich ist das mensch­li­che Da­sein und im­mer noch ohne Sinn: ein Pos­sen­reis­ser kann ihm zum Ver­häng­niss wer­den.

Ich will die Men­schen den Sinn ih­res Seins leh­ren: wel­cher ist der Über­mensch, der Blitz aus der dunklen Wol­ke Mensch.

Aber noch bin ich ih­nen fer­ne, und mein Sinn re­det nicht zu ih­ren Sin­nen. Eine Mit­te bin ich noch den Men­schen zwi­schen ei­nem Nar­ren und ei­nem Leich­nam.

Dun­kel ist die Nacht, dun­kel sind die Wege Za­ra­thustra’s. Komm, du kal­ter und stei­fer Ge­fähr­te! Ich tra­ge dich dort­hin, wo ich dich mit mei­nen Hän­den be­gra­be.

8

Als Za­ra­thustra diess zu sei­nem Her­zen ge­sagt hat­te, lud er den Leich­nam auf sei­nem Rücken und mach­te sich auf den Weg. Und noch nicht war er hun­dert Schrit­te ge­gan­gen, da schlich ein Mensch an ihn her­an und flüs­ter­te ihm in’s Ohr – und sie­he! Der, wel­cher re­de­te, war der Pos­sen­reis­ser vom Thur­me. »Geh weg von die­ser Stadt, oh Za­ra­thustra, sprach er; es has­sen dich hier zu Vie­le. Es has­sen dich die Gu­ten und Ge­rech­ten und sie nen­nen dich ih­ren Feind und Veräch­ter; es has­sen dich die Gläu­bi­gen des rech­ten Glau­bens, und sie nen­nen dich die Ge­fahr der Men­ge. Dein Glück war es, dass man über dich lach­te: und wahr­lich, du re­de­test gleich ei­nem Pos­sen­reis­ser. Dein Glück war es, dass du dich dem tod­ten Hun­de ge­sell­test; als du dich so er­nied­rig­test, hast du dich sel­ber für heu­te er­ret­tet. Geh aber fort aus die­ser Stadt – oder mor­gen sprin­ge ich über dich hin­weg, ein Le­ben­di­ger über einen Tod­ten.« Und als er diess ge­sagt hat­te, ver­schwand der Mensch; Za­ra­thustra aber gieng wei­ter durch die dunklen Gas­sen.

Am Tho­re der Stadt be­geg­ne­ten ihm die Tod­ten­grä­ber: sie leuch­te­ten ihm mit der Fa­ckel in’s Ge­sicht, er­kann­ten Za­ra­thustra und spot­te­ten sehr über ihn. »Za­ra­thustra trägt den tod­ten Hund da­von: brav, dass Za­ra­thustra zum Tod­ten­grä­ber wur­de! Denn un­se­re Hän­de sind zu rein­lich für die­sen Bra­ten. Will Za­ra­thustra wohl dem Teu­fel sei­nen Bis­sen steh­len? Nun wohl­an! Und gut Glück zur Mahl­zeit! Wenn nur nicht der Teu­fel ein bes­se­rer Dieb ist, als Za­ra­thustra! – er stiehlt die Bei­de, er frisst sie Bei­de!« Und sie lach­ten mit ein­an­der und steck­ten die Köp­fe zu­sam­men.

Za­ra­thustra sag­te dazu kein Wort und gieng sei­nes We­ges. Als er zwei Stun­den ge­gan­gen war, an Wäl­dern und Sümp­fen vor­bei, da hat­te er zu viel das hung­ri­ge Ge­heul der Wöl­fe ge­hört, und ihm sel­ber kam der Hun­ger. So blieb er an ei­nem ein­sa­men Hau­se stehn, in dem ein Licht brann­te.

Der Hun­ger über­fällt mich, sag­te Za­ra­thustra, wie ein Räu­ber. In Wäl­dern und Sümp­fen über­fällt mich mein Hun­ger und in tiefer Nacht.

Wun­der­li­che Lau­nen hat mein Hun­ger. Oft kommt er mir erst nach der Mahl­zeit, und heu­te kam er den gan­zen Tag nicht: wo weil­te er doch?

Und da­mit schlug Za­ra­thustra an das Thor des Hau­ses. Ein al­ter Mann er­schi­en; er trug das Licht und frag­te: »Wer kommt zu mir und zu mei­nem schlim­men Schla­fe?«

»Ein Le­ben­di­ger und ein Tod­ter, sag­te Za­ra­thustra. Gebt mir zu es­sen und zu trin­ken, ich ver­gass es am Tage. Der, wel­cher den Hung­ri­gen spei­set, er­quickt sei­ne ei­ge­ne See­le: so spricht die Weis­heit.«

Der Alte gieng fort, kam aber gleich zu­rück und bot Za­ra­thustra Brod und Wein. »Eine böse Ge­gend ist’s für Hun­gern­de, sag­te er; dar­um woh­ne ich hier. Thier und Mensch kom­men zu mir, dem Ein­sied­ler. Aber heis­se auch dei­nen Ge­fähr­ten es­sen und trin­ken, er ist mü­der als du.« Za­ra­thustra ant­wor­te­te: »Todt ist mein Ge­fähr­te, ich wer­de ihn schwer­lich dazu über­re­den.« »Das geht mich Nichts an, sag­te der Alte mür­risch; wer an mei­nem Hau­se an­klopft, muss auch neh­men, was ich ihm bie­te. Esst und ge­habt euch wohl!« –

Da­rauf gieng Za­ra­thustra wie­der zwei Stun­den und ver­trau­te dem Wege und dem Lich­te der Ster­ne: denn er war ein ge­wohn­ter Nacht­gän­ger und lieb­te es, al­lem Schla­fen­den in’s Ge­sicht zu sehn. Als aber der Mor­gen grau­te, fand sich Za­ra­thustra in ei­nem tie­fen Wal­de, und kein Weg zeig­te sich ihm mehr. Da leg­te er den Tod­ten in einen hoh­len Baum sich zu Häup­ten – denn er woll­te ihn vor den Wöl­fen schüt­zen – und sich sel­ber auf den Bo­den und das Moos. Und als­bald schlief er ein, mü­den Lei­bes, aber mit ei­ner un­be­weg­ten See­le.

9

Lan­ge schlief Za­ra­thustra, und nicht nur die Mor­gen­rö­the gieng über sein Ant­litz, son­dern auch der Vor­mit­tag. End­lich aber that sein Auge sich auf: ver­wun­dert sah Za­ra­thustra in den Wald und die Stil­le, ver­wun­dert sah er in sich hin­ein. Dann er­hob er sich schnell, wie ein See­fah­rer, der mit Ei­nem Male Land sieht, und jauchz­te: denn er sah eine neue Wahr­heit. Und also re­de­te er dann zu sei­nem Her­zen:

Ein Licht gieng mir auf: Ge­fähr­ten brau­che ich und le­ben­di­ge, – nicht tod­te Ge­fähr­ten und Leich­na­me, die ich mit mir tra­ge, wo­hin ich will.

Son­dern le­ben­di­ge Ge­fähr­ten brau­che ich, die mir fol­gen, weil sie sich sel­ber fol­gen wol­len – und dort­hin, wo ich will.

Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Vol­ke rede Za­ra­thustra, son­dern zu Ge­fähr­ten! Nicht soll Za­ra­thustra ei­ner He­er­de Hirt und Hund wer­den!

Vie­le weg­zu­lo­cken von der He­er­de – dazu kam ich. Zür­nen soll mir Volk und He­er­de: Räu­ber will Za­ra­thustra den Hir­ten heis­sen.

Hir­ten sage ich, aber sie nen­nen sich die Gu­ten und Ge­rech­ten. Hir­ten sage ich: aber sie nen­nen sich die Gläu­bi­gen des rech­ten Glau­bens.

Sie­he die Gu­ten und Ge­rech­ten! Wen has­sen sie am meis­ten? Den, der zer­bricht ihre Ta­feln der Wert­he, den Bre­cher, den Ver­bre­cher: – das aber ist der Schaf­fen­de.

Sie­he die Gläu­bi­gen al­ler Glau­ben! Wen has­sen sie am meis­ten? Den, der zer­bricht ihre Ta­feln der Wert­he, den Bre­cher, den Ver­bre­cher: – das aber ist der Schaf­fen­de.

Ge­fähr­ten sucht der Schaf­fen­de und nicht Leich­na­me, und auch nicht He­er­den und Gläu­bi­ge. Die Mit­schaf­fen­den sucht der Schaf­fen­de, Die, wel­che neue Wert­he auf neue Ta­feln schrei­ben.

Ge­fähr­ten sucht der Schaf­fen­de, und Mi­tern­ten­de: denn Al­les steht bei ihm reif zur Ern­te. Aber ihm feh­len die hun­dert Si­cheln: so rauft er Ähren aus und ist är­ger­lich.

Ge­fähr­ten sucht der Schaf­fen­de, und sol­che, die ihre Si­cheln zu wet­zen wis­sen. Ver­nich­ter wird man sie heis­sen und Veräch­ter des Gu­ten und Bö­sen. Aber die Ern­ten­den sind es und die Fei­ern­den.

Mit­schaf­fen­de sucht Za­ra­thustra, Mi­tern­ten­de und Mit­fei­ern­de sucht Za­ra­thustra: was hat er mit He­er­den und Hir­ten und Leich­na­men zu schaf­fen!

Und du, mein ers­ter Ge­fähr­te, ge­hab dich wohl! Gut be­grub ich dich in dei­nem hoh­len Bau­me, gut barg ich dich vor den Wöl­fen.

Aber ich schei­de von dir, die Zeit ist um. Zwi­schen Mor­gen­rö­the und Mor­gen­rö­the kam mir eine neue Wahr­heit.

Nicht Hirt soll ich sein, nicht Tod­ten­grä­ber. Nicht re­den ein­mal will ich wie­der mit dem Vol­ke; zum letz­ten Male sprach ich zu ei­nem Tod­ten.

Den Schaf­fen­den, den Ern­ten­den, den Fei­ern­den will ich mich zu­ge­sel­len: den Re­gen­bo­gen will ich ih­nen zei­gen und alle die Trep­pen des Über­menschen.

Den Ein­sied­lern wer­de ich mein Lied sin­gen und den Zwei­sied­lern; und wer noch Ohren hat für Un­er­hör­tes, dem will ich sein Herz schwer ma­chen mit mei­nem Glücke.

Zu mei­nem Zie­le will ich, ich gehe mei­nen Gang; über die Zö­gern­den und Saum­se­li­gen wer­de ich hin­weg­s­prin­gen. Also sei mein Gang ihr Un­ter­gang!

10

Diess hat­te Za­ra­thustra zu sei­nem Her­zen ge­spro­chen, als die Son­ne im Mit­tag stand: da blick­te er fra­gend in die Höhe – denn er hör­te über sich den schar­fen Ruf ei­nes Vo­gels. Und sie­he! Ein Ad­ler zog in wei­ten Krei­sen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlan­ge, nicht ei­ner Beu­te gleich, son­dern ei­ner Freun­din: denn sie hielt sich um sei­nen Hals ge­rin­gelt.

»Es sind mei­ne Thie­re!« sag­te Za­ra­thustra und freu­te sich von Her­zen.

Das stol­zes­te Thier un­ter der Son­ne und das klügs­te Thier un­ter der Son­ne – sie sind aus­ge­zo­gen auf Kund­schaft.

Er­kun­den wol­len sie, ob Za­ra­thustra noch lebe. Wahr­lich, lebe ich noch?

Ge­fähr­li­cher fand ich’s un­ter Men­schen als un­ter Thie­ren, ge­fähr­li­cher Wege geht Za­ra­thustra. Mö­gen mich mei­ne Thie­re füh­ren!«

Als Za­ra­thustra diess ge­sagt hat­te, ge­dach­te er der Wor­te des Hei­li­gen im Wal­de, seufz­te und sprach also zu sei­nem Her­zen:

Möch­te ich klü­ger sein! Möch­te ich klug von Grund aus sein, gleich mei­ner Schlan­ge!

Aber Un­mög­li­ches bit­te ich da: so bit­te ich denn mei­nen Stolz, dass er im­mer mit mei­ner Klug­heit gehe!

Und wenn mich einst mei­ne Klug­heit ver­lässt: – ach, sie liebt es, da­von­zu­flie­gen! – möge mein Stolz dann noch mit mei­ner Thor­heit flie­gen!

 

– Also be­gann Za­ra­thustra’s Un­ter­gang.

Die Reden Zarathustra’s

Von den drei Verwandlungen

Drei Ver­wand­lun­gen nen­ne ich euch des Geis­tes: wie der Geist zum Ka­mee­le wird, und zum Lö­wen das Ka­meel, und zum Kin­de zu­letzt der Löwe.

Vie­les Schwe­re giebt es dem Geis­te, dem star­ken, trag­sa­men Geis­te, dem Ehr­furcht in­ne­wohnt: nach dem Schwe­ren und Schwers­ten ver­langt sei­ne Stär­ke.

Was ist schwer? so fragt der trag­sa­me Geist, so kniet er nie­der, dem Ka­mee­le gleich, und will gut be­la­den sein.

Was ist das Schwers­te, ihr Hel­den? so fragt der trag­sa­me Geist, dass ich es auf mich neh­me und mei­ner Stär­ke froh wer­de.

Ist es nicht das: sich er­nied­ri­gen, um sei­nem Hoch­muth wehe zu thun? Sei­ne Thor­heit leuch­ten las­sen, um sei­ner Weis­heit zu spot­ten?

Oder ist es das: von un­se­rer Sa­che schei­den, wenn sie ih­ren Sieg fei­ert? Auf hohe Ber­ge stei­gen, um den Ver­su­cher zu ver­su­chen?

Oder ist es das: sich von Ei­cheln und Gras der Er­kennt­niss näh­ren und um der Wahr­heit wil­len an der See­le Hun­ger lei­den?

Oder ist es das: krank sein und die Trös­ter heim­schi­cken und mit Tau­ben Freund­schaft schlies­sen, die nie­mals hö­ren, was du willst?

Oder ist es das: in schmut­zi­ges Was­ser stei­gen, wenn es das Was­ser der Wahr­heit ist, und kal­te Frösche und heis­se Krö­ten nicht von sich wei­sen?

Oder ist es das: Die lie­ben, die uns ver­ach­ten, und dem Ge­s­pens­te die Hand rei­chen, wenn es uns fürch­ten ma­chen will?

Al­les diess Schwers­te nimmt der trag­sa­me Geist auf sich: dem Ka­mee­le gleich, das be­la­den in die Wüs­te eilt, also eilt er in sei­ne Wüs­te.

Aber in der ein­sams­ten Wüs­te ge­schieht die zwei­te Ver­wand­lung: zum Lö­wen wird hier der Geist, Frei­heit will er sich er­beu­ten und Herr sein in sei­ner eig­nen Wüs­te.

Sei­nen letz­ten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm wer­den und sei­nem letz­ten Got­te, um Sieg will er mit dem gros­sen Dra­chen rin­gen.

Wel­ches ist der gros­se Dra­che, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heis­sen mag? »Du-sollst« heisst der gros­se Dra­che. Aber der Geist des Lö­wen sagt »Ich will«.

»Du-sollst« liegt ihm am Wege, gold­fun­kelnd, ein Schup­pent­hier, und auf je­der Schup­pe glänzt gol­den »Du-sollst!«

Tau­send­jäh­ri­ge Wert­he glän­zen an die­sen Schup­pen, und also spricht der mäch­tigs­te al­ler Dra­chen »al­ler Werth der Din­ge – der glänzt an mir.«

»Al­ler Werth ward schon ge­schaf­fen, und al­ler ge­schaf­fe­ne Werth – das bin ich. Wahr­lich, es soll kein »Ich will« mehr ge­ben!« Also spricht der Dra­che.

Mei­ne Brü­der, wozu be­darf es des Lö­wen im Geis­te? Was ge­nügt nicht das last­ba­re Thier, das ent­sagt und ehr­fürch­tig ist?

Neue Wert­he schaf­fen – das ver­mag auch der Löwe noch nicht: aber Frei­heit sich schaf­fen zu neu­em Schaf­fen – das ver­mag die Macht des Lö­wen.

Frei­heit sich schaf­fen und ein hei­li­ges Nein auch vor der Pf­licht: dazu, mei­ne Brü­der be­darf es des Lö­wen.

Recht sich neh­men zu neu­en Wert­hen – das ist das furcht­bars­te Neh­men für einen trag­sa­men und ehr­fürch­ti­gen Geist. Wahr­lich, ein Rau­ben ist es ihm und ei­nes rau­ben­den Thie­res Sa­che.

Als sein Hei­ligs­tes lieb­te er einst das »Du-sollst«: nun muss er Wahn und Will­kür auch noch im Hei­ligs­ten fin­den, dass er sich Frei­heit rau­be von sei­ner Lie­be: des Lö­wen be­darf es zu die­sem Rau­be.

Aber sagt, mei­ne Brü­der, was ver­mag noch das Kind, das auch der Löwe nicht ver­moch­te? Was muss der rau­ben­de Löwe auch noch zum Kin­de wer­den?

Un­schuld ist das Kind und Ver­ges­sen, ein Neu­be­gin­nen, ein Spiel, ein aus sich rol­len­des Rad, eine ers­te Be­we­gung, ein hei­li­ges Ja-sa­gen.

Ja, zum Spie­le des Schaf­fens, mei­ne Brü­der, be­darf es ei­nes hei­li­gen Ja-sa­gens: sei­nen Wil­len will nun der Geist, sei­ne Welt ge­winnt sich der Welt­ver­lo­re­ne.

Drei Ver­wand­lun­gen nann­te ich euch des Geis­tes: wie der Geist zum Ka­mee­le ward, und zum Lö­wen das Ka­meel, und der Löwe zu­letzt zum Kin­de. –-

Also sprach Za­ra­thustra. Und da­mals weil­te er in der Stadt, wel­che ge­nannt wird: die bun­te Kuh.

Von den Lehrstühlen der Tugend

Man rühm­te Za­ra­thustra einen Wei­sen, der gut vom Schla­fe und von der Tu­gend zu re­den wis­se: sehr wer­de er ge­ehrt und ge­lohnt da­für, und alle Jüng­lin­ge säs­sen vor sei­nem Lehr­stuh­le. Zu ihm gieng Za­ra­thustra, und mit al­len Jüng­lin­gen sass er vor sei­nem Lehr­stuh­le. Und also sprach der Wei­se:

Ehre und Scham vor dem Schla­fe! Das ist das Ers­te! Und Al­len aus dem Wege gehn, die schlecht schla­fen und Nachts wa­chen!

Scham­haft ist noch der Dieb vor dem Schla­fe: stets stiehlt er sich lei­se durch die Nacht. Scham­los aber ist der Wäch­ter der Nacht, scham­los trägt er sein Horn.

Kei­ne ge­rin­ge Kunst ist schla­fen: es thut schon Noth, den gan­zen Tag dar­auf hin zu wa­chen.

Zehn Mal musst du des Ta­ges dich sel­ber über­win­den: das macht eine gute Mü­dig­keit und ist Mohn der See­le.

Zehn Mal musst du dich wie­der dir sel­ber ver­söh­nen; denn Über­win­dung ist Bit­ter­niss, und schlecht schläft der Un­ver­söhn­te.

Zehn Wahr­hei­ten musst du des Ta­ges fin­den: sonst suchst du noch des Nachts nach Wahr­heit, und dei­ne See­le blieb hung­rig.

Zehn Mal musst du la­chen am Tage und hei­ter sein: sonst stört dich der Ma­gen in der Nacht, die­ser Va­ter der Trüb­sal.

We­ni­ge wis­sen das: aber man muss alle Tu­gen­den ha­ben, um gut zu schla­fen. Wer­de ich falsch Zeug­niss re­den? Wer­de ich ehe­bre­chen?

Wer­de ich mich ge­lüs­ten las­sen mei­nes Nächs­ten Magd? Das Al­les ver­trü­ge sich schlecht mit gu­tem Schla­fe.

Und selbst wenn man alle Tu­gen­den hat, muss man sich noch auf Eins ver­stehn: sel­ber die Tu­gen­den zur rech­ten Zeit schla­fen schi­cken.

Dass sie sich nicht mit ein­an­der zan­ken, die ar­ti­gen Weib­lein! Und über dich, du Un­glück­se­li­ger!

Frie­de mit Gott und dem Nach­bar: so will es der gute Schlaf. Und Frie­de auch noch mit des Nach­bars Teu­fel! Sonst geht er bei dir des Nachts um.

Ehre der Ob­rig­keit und Ge­hor­sam, und auch der krum­men Ob­rig­keit! So will es der gute Schlaf. Was kann ich da­für, dass die Macht ger­ne auf krum­men Bei­nen Wan­delt?

Der soll mir im­mer der bes­te Hirt heis­sen, der sein Schaf auf die grüns­te Aue führt: so ver­trägt es sich mit dem gu­tem Schla­fe.

Viel Ehren will ich nicht, noch gros­se Schät­ze: das ent­zün­det die Milz. Aber schlecht schläft es sich ohne einen gu­ten Na­men und einen klei­nen Schatz.

Eine klei­ne Ge­sell­schaft ist mir will­kom­me­ner als eine böse: doch muss sie gehn und kom­men zur rech­ten Zeit. So ver­trägt es sich mit gu­tem Schla­fe.

Sehr ge­fal­len mir auch die Geis­tig-Ar­men: sie för­dern den Schlaf. Se­lig sind die, son­der­lich, wenn man ih­nen im­mer Recht giebt.

Also läuft der Tag dem Tu­gend­sa­men. Kommt nun die Nacht, so hüte ich mich wohl, den Schlaf zu ru­fen! Nicht will er ge­ru­fen sein, der Schlaf, der der Herr der Tu­gen­den ist!

Son­dern ich den­ke, was ich des Ta­ges gethan und ge­dacht. Wie­der­käu­end fra­ge ich mich, ge­duld­sam gleich ei­ner Kuh: wel­ches wa­ren doch dei­ne zehn Über­win­dun­gen?

Und wel­ches wa­ren die zehn Ver­söh­nun­gen und die zehn Wahr­hei­ten und die zehn Ge­läch­ter, mit de­nen sich mein Herz güt­lich that?

Sol­cher­lei er­wä­gend und ge­wiegt von vier­zig Ge­dan­ken, über­fällt mich auf ein­mal der Schlaf, der Un­ge­ruf­ne, der Herr der Tu­gen­den.

Der Schlaf klopft mir auf mei­ne Auge: da wird es schwer. Der Schlaf be­rührt mir den Mund: da bleibt er of­fen.

Wahr­lich, auf wei­chen Soh­len kommt er mir, der liebs­te der Die­be, und stiehlt mir mei­ne Ge­dan­ken: dumm ste­he ich da wie die­ser Lehr­stuhl.

Aber nicht lan­ge mehr ste­he ich dann: da lie­ge ich schon. –

Als Za­ra­thustra den Wei­sen also spre­chen hör­te, lach­te er bei sich im Her­zen: denn ihm war da­bei ein Licht auf­ge­gan­gen. Und also sprach er zu sei­nem Her­zen:

Ein Narr ist mir die­ser Wei­se da mit sei­nen vier­zig Ge­dan­ken: aber ich glau­be, dass er sich wohl auf das Schla­fen ver­steht.

Glück­lich schon, wer in der Nähe die­ses Wei­sen wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine di­cke Wand hin­durch steckt er an.

Ein Zau­ber wohnt selbst in sei­nem Lehr­stuh­le. Und nicht ver­ge­bens sas­sen die Jüng­lin­ge vor dem Pre­di­ger der Tu­gend.

Sei­ne Weis­heit heisst: wa­chen, um gut zu schla­fen. Und wahr­lich, hät­te das Le­ben kei­nen Sinn und müss­te ich Un­sinn wäh­len, so wäre auch mir diess der wäh­lens­wür­digs­te Un­sinn.

Jet­zo ver­ste­he ich klar, was einst man vor Al­lem such­te, wenn man Leh­rer der Tu­gend such­te. Gu­ten Schlaf such­te man sich und mohn­blu­mi­ge Tu­gen­den dazu!

Al­len die­sen ge­lob­ten Wei­sen der Lehr­stüh­le war Weis­heit der Schlaf ohne Träu­me: sie kann­ten kei­nen bes­sern Sinn des Le­bens.

Auch noch heu­te wohl giebt es Ei­ni­ge, wie die­sen Pre­di­ger der Tu­gend, und nicht im­mer so Ehr­li­che: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lan­ge ste­hen sie noch: da lie­gen sie schon.

Se­lig sind die­se Schläf­ri­gen: denn sie sol­len bald ein­ni­cken. –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den Hinterweltlern

Einst warf auch Za­ra­thustra sei­nen Wahn jen­seits des Men­schen, gleich al­len Hin­ter­welt­lern. Ei­nes lei­den­den und zer­quäl­ten Got­tes Werk schi­en mir da die Welt.

Traum schi­en mir da die Welt und Dich­tung ei­nes Got­tes; far­bi­ger Rauch vor den Au­gen ei­nes gött­lich Un­zu­fried­nen.

Gut und böse und Lust und Leid und Ich und Du – far­bi­ger Rauch dünk­te mich’s vor schöp­fe­ri­schen Au­gen. Weg­sehn woll­te der Schöp­fer von sich, – da schuf er die Welt.

Trun­kne Lust ist’s dem Lei­den­den, weg­zu­sehn von sei­nem Lei­den und sich zu ver­lie­ren. Trun­kne Lust Und Selbst-sich-Ver­lie­ren dünk­te mich einst die Welt.

Die­se Welt, die ewig un­voll­kom­me­ne, ei­nes ewi­gen Wi­der­spru­ches Ab­bild und un­voll­komm­nes Ab­bild – eine trun­kne Lust ih­rem un­voll­komm­nen Schöp­fer: – also dünk­te mich einst die Welt.

Also warf auch ich einst mei­nen Wahn jen­seits des Men­schen, gleich al­len Hin­ter­welt­lern. Jen­seits des Men­schen in Wahr­heit?

Ach, ihr Brü­der, die­ser Gott, den ich schuf, war Men­schen-Werk und –Wahn­sinn, gleich al­len Göt­tern!

Mensch war er, und nur ein ar­mes Stück Mensch und Ich: aus der ei­ge­nen Asche und Gluth kam es mir, die­ses Ge­s­penst, und wahr­lich! Nicht kam es mir von Jen­seits!

Was ge­sch­ah, mei­ne Brü­der? Ich über­wand mich, den Lei­den­den, ich trug mei­ne eig­ne Asche zu Ber­ge, eine hel­le­re Flam­me er­fand ich mir. Und sie­he! Da wich das Ge­s­penst von mir!

Lei­den wäre es mir jetzt und Qual dem Ge­ne­se­nen, sol­che Ge­s­pens­ter zu glau­ben: Lei­den wäre es mir jetzt und Er­nied­ri­gung. Also rede ich zu den Hin­ter­welt­lern.

Lei­den war’s und Un­ver­mö­gen – das schuf alle Hin­ter­wel­ten; und je­ner kur­ze Wahn­sinn des Glücks, den nur der Lei­dends­te er­fährt.

Mü­dig­keit, die mit Ei­nem Sprun­ge zum Letz­ten will, mit ei­nem To­dess­prun­ge, eine arme un­wis­sen­de Mü­dig­keit, die nicht ein­mal mehr wol­len will: die schuf alle Göt­ter und Hin­ter­wel­ten.

Glaubt es mir, mei­ne Brü­der! Der Leib war’s, der am Lei­be ver­zwei­fel­te, – der tas­te­te mit den Fin­gern des bet­hör­ten Geis­tes an die letz­ten Wän­de.

Glaubt es mir, mei­ne Brü­der! Der Leib war’s, der an der Erde ver­zwei­fel­te, – der hör­te den Bauch des Seins zu sich re­den.

Und da woll­te er mit dem Kop­fe durch die letz­ten Wän­de, und nicht nur mit dem Kop­fe, – hin­über zu »je­ner Welt«.

Aber »jene Welt« ist gut ver­bor­gen vor dem Men­schen, jene ent­mensch­te un­mensch­li­che Welt, die ein himm­li­sches Nichts ist; und der Bauch des Seins re­det gar nicht zum Men­schen, es sei denn als Mensch.

Wahr­lich, schwer zu be­wei­sen ist al­les Sein und schwer zum Re­den zu brin­gen. Sagt mir, ihr Brü­der, ist nicht das Wun­der­lichs­te al­ler Din­ge noch am bes­ten be­wie­sen?

 

Ja, diess Ich und des Ich’s Wi­der­spruch und Wirr­sal re­det noch am red­lichs­ten von sei­nem Sein, die­ses schaf­fen­de, wol­len­de, wert­hen­de Ich, wel­ches das Maass und der Werth der Din­ge ist.

Und diess red­lichs­te Sein, das Ich – das re­det vom Lei­be, und es will noch den Leib, selbst wenn es dich­tet und schwärmt und mit zer­broch­nen Flü­geln flat­tert.

Im­mer red­li­cher lernt es re­den, das Ich: und je mehr es lernt, um so mehr fin­det es Wor­te und Ehren für Leib und Erde.

Ei­nen neu­en Stolz lehr­te mich mein Ich, den leh­re ich die Men­schen: – nicht mehr den Kopf in den Sand der himm­li­schen Din­ge zu ste­cken, son­dern frei ihn zu tra­gen, einen Er­den-Kopf, der der Erde Sinn schafft!

Ei­nen neu­en Wil­len leh­re ich die Men­schen: die­sen Weg wol­len, den blind­lings der Mensch ge­gan­gen, und gut ihn heis­sen und nicht mehr von ihm bei Sei­te schlei­chen, gleich den Kran­ken und Abster­ben­den!

Kran­ke und Abster­ben­de wa­ren es, die ver­ach­te­ten Leib und Erde und er­fan­den das Himm­li­sche und die er­lö­sen­den Bluts­trop­fen: aber auch noch die­se süs­sen und düs­tern Gif­te nah­men sie von Leib und Erde!

Ihrem Elen­de woll­ten sie ent­lau­fen, und die Ster­ne wa­ren ih­nen zu weit. Da seufz­ten sie: »Oh dass es doch himm­li­sche Wege gäbe, sich in ein andres Sein und Glück zu schlei­chen!« – da er­fan­den sie sich ihre Sch­li­che und blu­ti­gen Tränk­lein!

Ihrem Lei­be und die­ser Erde nun ent­rückt wähn­ten sie sich, die­se Un­dank­ba­ren. Doch wem dank­ten sie ih­rer Ent­rückung Krampf und Won­ne? Ihrem Lei­be und die­ser Erde.

Mil­de ist Za­ra­thustra den Kran­ken. Wahr­lich, er zürnt nicht ih­ren Ar­ten des Tros­tes und Un­danks. Mö­gen sie Ge­ne­sen­de wer­den und Über­win­den­de und einen hö­he­ren Leib sich schaf­fen!

Nicht auch zürnt Za­ra­thustra dem Ge­ne­sen­den, wenn er zärt­lich nach sei­nem Wah­ne blickt und Mit­ter­nachts um das Grab sei­nes Got­tes schleicht: aber Krank­heit und kran­ker Leib blei­ben mir auch sei­ne Thrä­nen noch.

Vie­les krank­haf­te Volk gab es im­mer un­ter De­nen, wel­che dich­ten und gott­süch­tig sind; wüthend has­sen sie den Er­ken­nen­den und jene jüngs­te der Tu­gen­den, wel­che heisst: Red­lich­keit.

Rück­wärts bli­cken sie im­mer nach dunklen Zei­ten: da frei­lich war Wahn und Glau­be ein an­der Ding; Ra­se­rei der Ver­nunft war Gott­ähn­lich­keit, und Zwei­fel Sün­de.

All­zu­gut ken­ne ich die­se Gott­ähn­li­chen: sie wol­len, dass an sie ge­glaubt wer­de, und Zwei­fel Sün­de sei. All­zu­gut weiss ich auch, wor­an sie sel­ber am bes­ten glau­ben.

Wahr­lich nicht an Hin­ter­wel­ten und er­lö­sen­de Bluts­trop­fen: son­dern an den Leib glau­ben auch sie am bes­ten, und ihr ei­ge­ner Leib ist ih­nen ihr Ding an sich.

Aber ein krank­haf­tes Ding ist er ih­nen: und ger­ne möch­ten sie aus der Haut fah­ren. Da­rum hor­chen sie nach den Pre­di­gern des To­des und pre­di­gen sel­ber Hin­ter­wel­ten.

Hört mir lie­ber, mei­ne Brü­der, auf die Stim­me des ge­sun­den Lei­bes: eine red­li­che­re und rei­ne­re Sim­me ist diess.

Red­li­cher re­det und rei­ner der ge­sun­de Leib, der voll­komm­ne und recht­wink­li­ge: und er re­det vom Sinn der Erde.

Also sprach Za­ra­thustra.