Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Von den Verächtern des Leibes

Den Veräch­tern des Lei­bes will ich mein Wort sa­gen. Nicht um­ler­nen und um­leh­ren sol­len sie mir, son­dern nur ih­rem eig­nen Lei­be Le­be­wohl sa­gen – und also stumm wer­den.

»Leib bin ich und See­le« – so re­det das Kind. Und warum soll­te man nicht wie die Kin­der re­den?

Aber der Er­wach­te, der Wis­sen­de sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts aus­ser­dem; und See­le ist nur ein Wort für ein Et­was am Lei­be.

Der Leib ist eine gros­se Ver­nunft, eine Viel­heit mit Ei­nem Sin­ne, ein Krieg und ein Frie­den, eine He­er­de und ein Hirt.

Werk­zeug dei­nes Lei­bes ist auch dei­ne klei­ne Ver­nunft, mein Bru­der, die du »Geist« nennst, ein klei­nes Werk- und Spiel­zeug dei­ner gros­sen Ver­nunft.

»Ich« sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grös­se­re ist, wor­an du nicht glau­ben willst, – dein Leib und sei­ne gros­se Ver­nunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.

Was der Sinn fühlt, was der Geist er­kennt, das hat nie­mals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist möch­ten dich über­re­den, sie sei­en al­ler Din­ge Ende: so ei­tel sind sie.

Werk- und Spiel­zeu­ge sind Sinn und Geist: hin­ter ih­nen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Au­gen der Sin­ne, es horcht auch mit den Ohren des Geis­tes.

Im­mer horcht das Selbst und sucht: es ver­gleicht, be­zwingt, er­obert, zer­stört. Es herrscht und ist auch des Ich’s Be­herr­scher.

Hin­ter dei­nen Ge­dan­ken und Ge­füh­len, mein Bru­der, steht ein mäch­ti­ger Ge­bie­ter, ein un­be­kann­ter Wei­ser – der heisst Selbst. In dei­nem Lei­be wohnt er, dein Leib ist er.

Es ist mehr Ver­nunft in dei­nem Lei­be, als in dei­ner bes­ten Weis­heit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib ge­ra­de dei­ne bes­te Weis­heit nö­thig hat?

Dein Selbst lacht über dein Ich und sei­ne stol­zen Sprün­ge. »Was sind mir die­se Sprün­ge und Flü­ge des Ge­dan­kens? sagt es sich. Ein Um­weg zu mei­nem Zwe­cke. Ich bin das Gän­gel­band des Ich’s und der Ein­blä­ser sei­ner Be­grif­fe.«

Das Selbst sagt zum Ich: »hier füh­le Schmerz!« Und da lei­det es und denkt nach, wie es nicht mehr lei­de – und dazu eben soll es den­ken.

Das Selbst sagt zum Ich: »hier füh­le Lust!« Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue – und dazu eben soll es den­ken.

Den Veräch­tern des Lei­bes will ich ein Wort sa­gen. Dass sie ver­ach­ten, das macht ihr Ach­ten. Was ist es, das Ach­ten und Ver­ach­ten und Werth und Wil­len schuf?

Das schaf­fen­de Selbst schuf sich Ach­ten und Ver­ach­ten, es schuf sich Lust und Weh. Der schaf­fen­de Leib schuf sich den Geist als eine Hand sei­nes Wil­lens.

Noch in eu­rer Thor­heit und Ver­ach­tung, ihr Veräch­ter des Lei­bes, dient ihr eu­rem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst sel­ber will ster­ben und kehrt sich vom Le­ben ab.

Nicht mehr ver­mag es das, was es am liebs­ten wilI: – über sich hin­aus zu schaf­fen. Das will es am liebs­ten, das ist sei­ne gan­ze In­brunst.

Aber zu spät ward es ihm jetzt da­für: – so will euer Selbst un­ter­gehn, ihr Veräch­ter des Lei­bes.

Un­ter­gehn will euer Selbst, und dar­um wur­det ihr zu Veräch­tern des Lei­bes! Denn nicht mehr ver­mögt ihr über euch hin­aus zu schaf­fen.

Und dar­um zürnt ihr nun dem Le­ben und der Erde. Ein un­ge­wus­s­ter Neid ist im schee­len Blick eu­rer Ver­ach­tung.

Ich gehe nicht eu­ren Weg, ihr Veräch­ter des Lei­bes! Ihr seid mir kei­ne Brücken zum Über­menschen! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den Freuden- und Leidenschaften

Mein Bru­der, wenn du eine Tu­gend hast, und es dei­ne Tu­gend ist, so hast du sie mit Nie­man­dem ge­mein­sam.

Frei­lich, du willst sie bei Na­men nen­nen und lieb­ko­sen; du willst sie am Ohre zup­fen und Kurzweil mit ihr trei­ben.

Und sie­he! Nun hast du ih­ren Na­men mit dem Vol­ke ge­mein­sam und bist Volk und He­er­de ge­wor­den mit dei­ner Tu­gend!

Bes­ser thä­test du, zu sa­gen: »un­aus­sprech­bar ist und na­men­los, was mei­ner See­le Qual und Süs­se macht und auch noch der Hun­ger mei­ner Ein­ge­wei­de ist.«

Dei­ne Tu­gend sei zu hoch für die Ver­trau­lich­keit der Na­men: und musst du von ihr re­den, so schä­me dich nicht, von ihr zu stam­meln.

So sprich und stamm­le: »Das ist mein Gu­tes, das lie­be ich, so ge­fällt es mir ganz, so al­lein will ich das Gute.

Nicht will ich es als ei­nes Got­tes Ge­setz, nicht will ich es als eine Men­schen-Sat­zung und –No­th­durft: kein Weg­wei­ser sei es mir für Über-Er­den und Pa­ra­die­se.

Eine ir­di­sche Tu­gend ist es, die ich lie­be: we­nig Klug­heit ist dar­in und am we­nigs­ten die Ver­nunft Al­ler.

Aber die­ser Vo­gel bau­te bei mir sich das Nest: dar­um lie­be und her­ze ich ihn, – nun sit­ze er bei mir auf sei­nen gold­nen Ei­ern.«

So sollst du stam­meln und dei­ne Tu­gend lo­ben.

Einst hat­test du Lei­den­schaf­ten und nann­test sie böse. Aber jetzt hast du nur noch dei­ne Tu­gen­den: die wuch­sen aus dei­nen Lei­den­schaf­ten.

Du leg­test dein höchs­tes Ziel die­sen Lei­den­schaf­ten an’s Herz: da wur­den sie dei­ne Tu­gen­den und Freu­den­schaf­ten.

Und ob du aus dem Ge­schlech­te der Jäh­zor­ni­gen wä­rest oder aus dem der Wol­lüs­ti­gen oder der Glau­bens-Wüthi­gen oder der Rach­süch­ti­gen:

Am Ende wur­den alle dei­ne Lei­den­schaf­ten zu Tu­gen­den und alle dei­ne Teu­fel zu En­geln.

Einst hat­test du wil­de Hun­de in dei­nem Kel­ler: aber am Ende ver­wan­del­ten sie sich zu Vö­geln und lieb­li­chen Sän­ge­rin­nen.

Aus dei­nen Gif­ten brau­test du dir dei­nen Bal­sam; dei­ne Kuh Trüb­sal melk­test du, – nun trinkst du die süs­se Milch ih­res Eu­ters.

Und nichts Bö­ses wächst mehr für­der­hin aus dir, es sei denn das Böse, das aus dem Kamp­fe dei­ner Tu­gen­den wächst.

Mein Bru­der, wenn du Glück hast, so hast du Eine Tu­gend und nicht mehr: so gehst du leich­ter über die Brücke.

Aus­zeich­nend ist es, vie­le Tu­gen­den zu ha­ben, aber ein schwe­res Loos; und Man­cher gieng in die Wüs­te und töd­te­te sich, weil er müde war, Schlacht und Schlacht­feld von Tu­gen­den zu sein.

Mein Bru­der, ist Krieg und Schlacht böse? Aber nothwen­dig ist diess Böse, nothwen­dig ist der Neid und das Miss­trau­en und die Ver­leum­dung un­ter dei­nen Tu­gen­den.

Sie­he, wie jede dei­ner Tu­gen­den be­gehr­lich ist nach dem Höchs­ten: sie will dei­nen gan­zen Geist, dass er ih­r He­rold sei, sie will dei­ne gan­ze Kraft in Zorn, Hass und Lie­be.

Ei­fer­süch­tig ist jede Tu­gend auf die and­re, und ein furcht­ba­res Ding ist Ei­fer­sucht. Auch Tu­gen­den kön­nen an der Ei­fer­sucht zu Grun­de gehn.

Wen die Flam­me der Ei­fer­sucht um­ringt, der wen­det zu­letzt, gleich dem Scor­pio­ne, ge­gen sich sel­ber den ver­gif­te­ten Sta­chel.

Ach, mein Bru­der, sahst du noch nie eine Tu­gend sich sel­ber ver­leum­den und er­ste­chen?

Der Mensch ist Et­was, das über­wun­den wer­den muss: und dar­um sollst du dei­ne Tu­gen­den lie­ben, – denn du wirst an ih­nen zu Grun­de gehn. –

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom bleichen Verbrecher

Ihr wollt nicht töd­ten, ihr Rich­ter und Op­fe­rer, be­vor das Thier nicht ge­nickt hat? Seht, der blei­che Ver­bre­cher hat ge­nickt: aus sei­nem Auge re­det die gros­se Ver­ach­tung.

»Mein Ich ist Et­was, das über­wun­den wer­den soll: mein Ich ist mir die gros­se Ver­ach­tung des Men­schen«: so re­det es aus die­sem Auge.

Dass er sich sel­ber rich­te­te, war sein höchs­ter Au­gen­blick: lasst den Er­ha­be­nen nicht wie­der zu­rück in sein Nie­de­res!

Es giebt kei­ne Er­lö­sung für Den, der so an sich sel­ber lei­det, es sei denn der schnel­le Tod.

Euer Töd­ten, ihr Rich­ter, soll ein Mit­leid sein und kei­ne Ra­che. Und in­dem ihr töd­tet, seht zu, dass ihr sel­ber das Le­ben recht­fer­ti­get!

Es ist nicht ge­nug, dass ihr euch mit Dem ver­söhnt, den ihr töd­tet. Eure Trau­rig­keit sei Lie­be zum Über­menschen: so recht­fer­tigt ihr euer Noch-Le­ben!

»Feind« sollt ihr sa­gen, aber nicht »Bö­se­wicht«; »Kran­ker« sollt ihr sa­gen, aber nicht »Schuft«; »Thor« sollt ihr sa­gen, aber nicht »Sün­der«.

Und du, ro­ther Rich­ter, wenn du laut sa­gen woll­test, was du Al­les schon in Ge­dan­ken gethan hast: so wür­de Je­der­mann schrei­en: »Weg mit die­sem Un­flath und Gift­wurm!«

Aber ein An­de­res ist der Ge­dan­ke, ein An­de­res die That, ein An­de­res das Bild der That. Das Rad des Grun­des rollt nicht wi­schen ih­nen.

Ein Bild mach­te die­sen blei­chen Men­schen bleich. Gleich­wüch­sig war er sei­ner That, als er sie that: aber ihr Bild er­trug er nicht, als sie gethan war.

Im­mer sah er sich nun als Ei­ner That Thä­ter. Wahn­sinn heis­se ich diess: die Aus­nah­me ver­kehr­te sich ihm zum We­sen.

Der Strich bannt die Hen­ne; der Streich, den er führ­te, bann­te sei­ne arme Ver­nunft – den Wahn­sinn nach der That heis­se ich diess.

Hört, ihr Rich­ter! Ei­nen an­de­ren Wahn­sinn giebt es noch: und der ist vor der That. Ach, ihr krocht mir nicht tief ge­nug in die­se See­le!

So spricht der ro­the Rich­ter: »was mor­de­te doch die­ser Ver­bre­cher? Er woll­te rau­ben.« Aber ich sage euch: sei­ne See­le woll­te Blut, nicht Raub: er dürs­te­te nach dem Glück des Mes­sers!

Sei­ne arme Ver­nunft aber be­griff die­sen Wahn­sinn nicht und über­re­de­te ihn. »Was liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum min­des­ten einen Raub da­bei ma­chen? Eine Ra­che neh­men?«

 

Und er horch­te auf sei­ne arme Ver­nunft: wie Blei lag ihre Rede auf ihm, – da raub­te er, als er mor­de­te. Er woll­te sich nicht sei­nes Wahn­sinns schä­men.

Und nun wie­der liegt das Blei sei­ner Schuld auf ihm, und wie­der ist sei­ne arme Ver­nunft so steif, so ge­lähmt, so schwer.

Wenn er nur den Kopf schüt­teln könn­te, so wür­de sei­ne Last her­ab­rol­len: aber wer schüt­telt die­sen Kopf?

Was ist die­ser Mensch? Ein Hau­fen von Krank­hei­ten, wel­che durch den Geist in die Welt hin­aus­grei­fen: da wol­len sie ihre Beu­te ma­chen.

Was ist die­ser Mensch? Ein Knäu­el wil­der Schlan­gen, wel­che sel­ten bei ein­an­der Ruhe ha­ben, – da gehn sie für sich fort und su­chen Beu­te in der Welt.

Seht die­sen ar­men Leib! Was er litt und be­gehr­te, das deu­te­te sich die­se arme See­le, – sie deu­te­te es als mör­de­ri­sche Lust und Gier nach dem Glück des Mes­sers.

Wer jetzt krank wird, den über­fällt das Böse, das jetzt böse ist: wehe will er thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab and­re Zei­ten und ein andres Bö­ses und Gu­tes.

Einst war der Zwei­fel böse und der Wil­le zum Selbst. Da­mals wur­de der Kran­ke zum Ket­zer und zur Hege: als Ket­zer und Hexe litt er und woll­te lei­den ma­chen.

Aber diess will nicht in eure Ohren: eu­ren Gu­ten scha­de es, sagt ihr mir. Aber was liegt mir an eu­ren Gu­ten!

Vie­les an eu­ren Gu­ten macht mir Ekel, und wahr­lich nicht ihr Bö­ses. Woll­te ich doch, sie hät­ten einen Wahn­sinn, an dem sie zu Grun­de gien­gen, gleich die­sem blei­chen Ver­bre­cher!

Wahr­lich, ich woll­te, ihr Wahn­sinn hies­se Wahr­heit oder Treue oder Ge­rech­tig­keit: aber sie ha­ben ihre Tu­gend, um lan­ge zu le­ben und in ei­nem er­bärm­li­chen Be­ha­gen.

Ich bin ein Ge­län­der am Stro­me: fas­se mich, wer mich fas­sen kann! Eure Krücke aber bin ich nicht. –

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom Lesen und Schreiben

Von al­lem Ge­schrie­be­nen lie­be ich nur Das, was Ei­ner mit sei­nem Blu­te schreibt. Schrei­be mit Blut: und du wirst er­fah­ren, dass Blut Geist ist.

Es ist nicht leicht mög­lich, frem­des Blut zu ver­ste­hen: ich has­se die le­sen­den Müs­sig­gän­ger.

Wer den Le­ser kennt, der thut Nichts mehr für den Le­ser. Noch ein Jahr­hun­dert Le­ser – und der Geist sel­ber wird stin­ken.

Dass Je­der­mann le­sen ler­nen darf, verdirbt auf die Dau­er nicht al­lein das Schrei­ben, son­dern auch das Den­ken.

Einst war der Geist Gott, dann wur­de er zum Men­schen und jetzt wird er gar noch Pö­bel.

Wer in Blut und Sprü­chen schreibt, der will nicht ge­le­sen, son­dern aus­wen­dig ge­lernt wer­den.

Im Ge­bir­ge ist der nächs­te Weg von Gip­fel zu Gip­fel: aber dazu musst du lan­ge Bei­ne ha­ben. Sprü­che sol­len Gip­fel sein: und Die, zu de­nen ge­spro­chen wird, Gros­se und Hoch­wüch­si­ge.

Die Luft dünn und rein, die Ge­fahr nahe und der Geist voll ei­ner fröh­li­chen Bos­heit: so passt es gut zu ein­an­der.

Ich will Ko­bol­de um mich ha­ben, denn ich bin muthig. Muth, der die Ge­s­pens­ter ver­scheucht, schafft sich sel­ber Ko­bol­de, – der Muth will la­chen.

Ich emp­fin­de nicht mehr mit euch: die­se Wol­ke, die ich un­ter mir sehe, die­se Schwär­ze und Schwe­re, über die ich la­che, – ge­ra­de das ist eure Ge­wit­ter­wol­ke.

Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Er­he­bung ver­langt. Und ich sehe hin­ab, weil ich er­ho­ben bin.

Wer von euch kann zu­gleich la­chen und er­ho­ben sein?

Wer auf den höchs­ten Ber­gen steigt, der lacht über alle Trau­er-Spie­le und Trau­er-Erns­te.

Muthig, un­be­küm­mert, spöt­tisch, ge­waltt­hä­tig – so will uns die Weis­heit: sie ist ein Weib und liebt im­mer nur einen Kriegs­mann.

Ihr sagt mir: »das Le­ben ist schwer zu tra­gen.« Aber wozu hät­tet ihr Vor­mit­tags eu­ren Stolz und Abends eure Er­ge­bung?

Das Le­ben ist schwer zu tra­gen: aber so thut mir doch nicht so zärt­lich! Wir sind al­le­sammt hüb­sche last­ba­re Esel und Ese­lin­nen.

Was ha­ben wir ge­mein mit der Ro­sen­knos­pe, wel­che zit­tert, weil ihr ein Trop­fen Thau auf dem Lei­be liegt?

Es ist wahr: wir lie­ben das Le­ben, nicht, weil wir an’s Le­ben, son­dern weil wir an’s Lie­ben ge­wöhnt sind.

Es ist im­mer et­was Wahn­sinn in der Lie­be. Es ist aber im­mer auch et­was Ver­nunft im Wahn­sinn.

Und auch mir, der ich dem Le­ben gut bin, schei­nen Schmet­ter­lin­ge und Sei­fen­bla­sen und was ih­rer Art un­ter Men­schen ist, am meis­ten vom Glücke zu wis­sen.

Die­se leich­ten thö­rich­ten zier­li­chen be­weg­li­chen Seel­chen flat­tern zu se­hen – das ver­führt Za­ra­thustra zu Thrä­nen und Lie­dern.

Ich wür­de nur an einen Gott glau­ben, der zu tan­zen ver­stün­de.

Und als ich mei­nen Teu­fel sah, da fand ich ihn ernst, gründ­lich, tief, fei­er­lich: es war der Geist der Schwe­re, – durch ihn fal­len alle Din­ge.

Nicht durch Zorn, son­dern durch La­chen töd­tet man. Auf, lasst uns den Geist der Schwe­re töd­ten!

Ich habe ge­hen ge­lernt: seit­dem las­se ich mich lau­fen. Ich habe flie­gen ge­lernt: seit­dem will ich nicht erst ge­stos­sen sein, um von der Stel­le zu kom­men.

Jetzt bin ich leicht, jetzt flie­ge ich, jetzt sehe ich mich un­ter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich.

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom Baum am Berge

Za­ra­thustra’s Auge hat­te ge­sehn, dass ein Jüng­ling ihm aus­wich. Und als er ei­nes Abends al­lein durch die Ber­ge gieng, wel­che die Stadt um­schlies­sen, die ge­nannt wird »die bun­te Kuh«: sie­he, da fand er im Ge­hen die­sen Jüng­ling, wie er an einen Baum ge­lehnt sass und mü­den Blickes in das Thal schau­te. Za­ra­thustra fass­te den Baum an, bei wel­chem der Jüng­ling sass, und sprach also:

Wenn ich die­sen Baum da mit mei­nen Hän­den schüt­teln woll­te, ich wür­de es nicht ver­mö­gen.

Aber der Wind, den wir nicht se­hen, der quält und biegt ihn, wo­hin er will. Wir wer­den am schlimms­ten von un­sicht­ba­ren Hän­den ge­bo­gen und ge­quält.

Da er­hob sich der Jüng­ling be­stürzt und sag­te: »ich höre Za­ra­thustra und eben dach­te ich an ihn.« Za­ra­thustra ent­geg­ne­te:

»Was erschrickst du dess­halb? – Aber es ist mit dem Men­schen wie mit dem Bau­me.

Je mehr er hin­auf in die Höhe und Hel­le will, um so stär­ker stre­ben sei­ne Wur­zeln erd­wärts, ab­wärts, in’s Dunkle, Tie­fe, – in’s Böse.«

»Ja in’s Böse! rief der Jüng­ling. Wie ist es mög­lich, dass du mei­ne See­le ent­deck­test?«

Za­ra­thustra lä­chel­te und sprach: »Man­che See­le wird man nie ent­de­cken, es sei denn, dass man sie zu­erst er­fin­det.« »Ja in’s Böse! rief der Jüng­ling noch­mals.

Du sag­test die Wahr­heit, Za­ra­thustra. Ich traue mir sel­ber nicht mehr, seit­dem ich in die Höhe will, und Nie­mand traut mir mehr, – wie ge­schieht diess doch?

Ich ver­wan­de­le mich zu schnell: mein Heu­te wi­der­legt mein Ges­tern. Ich über­sprin­ge oft die Stu­fen, wenn ich stei­ge, – das ver­zeiht mir kei­ne Stu­fe.

Bin ich oben, so fin­de ich mich im­mer al­lein. Nie­mand re­det mit mir, der Frost der Ein­sam­keit macht mich zit­tern. Was will ich doch in der Höhe?

Mei­ne Ver­ach­tung und mei­ne Sehn­sucht wach­sen mit ein­an­der; je hö­her ich stei­ge, um so mehr ver­ach­te ich Den, der steigt. Was will er doch in der Höhe?

Wie schä­me ich mich mei­nes Stei­gens und Stol­perns! Wie spot­te ich mei­nes hef­ti­gen Schnau­bens! Wie has­se ich den Flie­gen­den! Wie müde bin ich in der Höhe!«

Hier schwieg der Jüng­ling. Und Za­ra­thustra be­trach­te­te den Baum, an dem sie stan­den, und sprach also:

Die­ser Baum steht ein­sam hier am Ge­bir­ge; er wuchs hoch hin­weg über Mensch und Thier.

Und wenn er re­den woll­te, er wür­de Nie­man­den ha­ben, der ihn ver­stün­de: so hoch wuchs er.

Nun war­tet er und war­tet, – wor­auf war­tet er doch? Er wohnt dem Sit­ze der Wol­ken zu nahe: er war­tet wohl auf den ers­ten Blitz?

Als Za­ra­thustra diess ge­sagt hat­te, rief der Jüng­ling mit hef­ti­gen Ge­bär­den: »Ja, Za­ra­thustra, du sprichst die Wahr­heit. Nach mei­nem Un­ter­gan­ge ver­lang­te ich, als ich in die Höhe woll­te, und du bist der Blitz, auf den ich war­te­te! Sie­he, was bin ich noch, seit­dem du uns er­schie­nen bist? Der Nei­d auf dich ist’s, der mich zer­stört hat!« – So sprach der Jüng­ling und wein­te bit­ter­lich. Za­ra­thustra aber leg­te sei­nen Arm um ihn und führ­te ihn mit sich fort.

Und als sie eine Wei­le mit ein­an­der ge­gan­gen wa­ren, hob Za­ra­thustra also an zu spre­chen:

Es zer­reisst mir das Herz. Bes­ser als dei­ne Wor­te es sa­gen, sagt mir dein Auge alle dei­ne Ge­fahr.

Noch bist du nicht frei, du suchst noch nach Frei­heit. Über­näch­tig mach­te dich dein Su­chen und über­wach.

In die freie Höhe willst du, nach Ster­nen dürs­tet dei­ne See­le. Aber auch dei­ne schlim­men Trie­be dürs­ten nach Frei­heit.

Dei­ne wil­den Hun­de wol­len in die Frei­heit; sie bel­len vor Lust in ih­rem Kel­ler, wenn dein Geist alle Ge­fäng­nis­se zu lö­sen trach­tet.

Noch bist du mir ein Ge­fang­ner, der sich Frei­heit er­sinnt: ach, klug wird sol­chen Ge­fang­nen die See­le, aber auch arg­lis­tig und schlecht.

Rei­ni­gen muss sich noch der Be­frei­te des Geis­tes. Viel Ge­fäng­niss und Mo­der ist noch in ihm zu­rück: rein muss noch sein Auge wer­den.

Ja, ich ken­ne dei­ne Ge­fahr. Aber bei mei­ner Lie­be und Hoff­nung be­schwö­re ich dich: wirf dei­ne Lie­be und Hoff­nung nicht weg!

Edel fühlst du dich noch, und edel füh­len dich auch die An­dern noch, die dir gram sind und böse Bli­cke sen­den. Wis­se, dass Al­len ein Ed­ler im Wege steht.

Auch den Gu­ten steht ein Ed­ler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen Gu­ten nen­nen, so wol­len sie ihn da­mit bei Sei­te brin­gen.

Neu­es will der Edle schaf­fen und eine neue Tu­gend. Al­tes will der Gute, und dass Al­tes er­hal­ten blei­be.

Aber nicht das ist die Ge­fahr des Ed­len, dass er ein Gu­ter wer­de, son­dern ein Fre­cher, ein Höh­nen­der, ein Ver­nich­ter.

Ach, ich kann­te Edle, die ver­lo­ren ihre höchs­te Hoff­nung. Und nun ver­leum­de­ten sie alle ho­hen Hoff­nun­gen.

Nun leb­ten sie frech in kur­z­en Lüs­ten, und über den Tag hin war­fen sie kaum noch Zie­le.

»Geist ist auch Wol­lust« – so sag­ten sie. Da zer­bra­chen ih­rem Geis­te die Flü­gel: nun kriecht er her­um und be­schmutzt im Na­gen.

Einst dach­ten sie Hel­den zu wer­den: Lüst­lin­ge sind es jetzt. Ein Gram und ein Grau­en ist ih­nen der Held.

Aber bei mei­ner Lie­be und Hoff­nung be­schwö­re ich dich: wirf den Hel­den in dei­ner See­le nicht weg! Hal­te hei­lig dei­ne höchs­te Hoff­nung! –

Also sprach Za­ra­thustra.