Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Von den Predigern des Todes

Es giebt Pre­di­ger des To­des: und die Erde ist voll von Sol­chen, de­nen Ab­kehr ge­pre­digt wer­den muss vom Le­ben.

Voll ist die Erde von Über­flüs­si­gen, ver­dor­ben ist das Le­ben durch die Viel-zu-Vie­len. Möge man sich mit dem »ewi­gen Le­ben« aus die­sem Le­ben weg­lo­cken!

»Gel­be«: so nennt man die Pre­di­ger des To­des, oder »Schwar­ze«. Aber ich will sie euch noch in an­dern Far­ben zei­gen.

Da sind die Fürch­ter­li­chen, wel­che in sich das Raubt­hier her­um­tra­gen und kei­ne Wahl ha­ben, es sei denn Lüs­te oder Selbst­zer­flei­schung. Und auch ihre Lüs­te sind noch Selbst­zer­flei­schung.

Sie sind noch nicht ein­mal Men­schen ge­wor­den, die­se Fürch­ter­li­chen: mö­gen sie Ab­kehr pre­di­gen vom Le­ben und sel­ber da­hin­fah­ren!

Da sind die Schwind­süch­ti­gen der See­le: kaum sind sie ge­bo­ren, so fan­gen sie schon an zu ster­ben und seh­nen sich nach Leh­ren der Mü­dig­keit und Ent­sa­gung.

Sie wol­len ger­ne todt sein, und wir soll­ten ih­ren Wil­len gut heis­sen! Hü­ten wir uns, die­se Tod­ten zu er­we­cken und die­se le­ben­di­gen Sär­ge zu ver­seh­ren!

Ih­nen be­geg­net ein Kran­ker oder ein Greis oder ein Leich­nam; und gleich sa­gen sie »das Le­ben ist wi­der­legt!«

Aber nur sie sind wi­der­legt und ihr Auge, wel­ches nur das Eine Ge­sicht sieht am Da­sein.

Ein­gehüllt in di­cke Schwer­muth und be­gie­rig auf die klei­nen Zu­fäl­le, wel­che den Tod brin­gen: so war­ten sie und beis­sen die Zäh­ne auf ein­an­der.

Oder aber: sie grei­fen nach Zucker­werk und spot­ten ih­rer Kin­de­rei da­bei: sie hän­gen an ih­rem Stroh­halm Le­ben und spot­ten, dass sie noch an ei­nem Stroh­halm hän­gen.

Ihre Weis­heit lau­tet: »ein Thor, der le­ben bleibt, aber so sehr sind wir Tho­ren! Und das eben ist das Thö­richts­te am Le­ben!« –

»Das Le­ben ist nur Lei­den« – so sa­gen And­re und lü­gen nicht: so sorgt doch, dass ih­r auf­hört! So sorgt doch, dass das Le­ben auf­hört, wel­ches nur Lei­den ist!

Und also lau­te die Leh­re eu­rer Tu­gend »du sollst dich sel­ber töd­ten! Du sollst dich sel­ber da­v­on­steh­len!« –

»Wol­lust ist Sün­de, – so sa­gen die Ei­nen, wel­che den Tod pre­di­gen – lasst uns bei Sei­te gehn und kei­ne Kin­der zeu­gen!«

»Ge­bä­ren ist müh­sam, – sa­gen dich An­dern – wozu noch ge­bä­ren? Man ge­biert nur Un­glück­li­che!« Und auch sie sind Pre­di­ger des To­des.

»Mit­leid thut noth – so sa­gen die Drit­ten. Nehmt hin, was ich habe! Nehmt hin, was ich bin! Um so we­ni­ger bin­det mich das Le­ben!«

Wä­ren sie Mit­lei­di­ge von Grund aus, so wür­den sie ih­ren Nächs­ten das Le­ben ver­lei­den. Böse sein – das wäre ihre rech­te Güte.

Aber sie wol­len los­kom­men vom Le­ben: was schiert es sie, dass sie And­re mit ih­ren Ket­ten und Ge­schen­ken noch fes­ter bin­den! –

Und auch ihr, de­nen das Le­ben wil­de Ar­beit und Un­ru­he ist: seid ihr nicht sehr müde des Le­bens? Seid ihr nicht sehr reif für die Pre­digt des To­des?

Ihr Alle, de­nen die wil­de Ar­beit lieb ist und das Schnel­le, Neue, Frem­de, – ihr er­tragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wil­le, sich sel­ber zu ver­ges­sen.

Wenn ihr mehr an das Le­ben glaub­tet, wür­det ihr we­ni­ger euch dem Au­gen­bli­cke hin­wer­fen. Aber ihr habt zum War­ten nicht In­halt ge­nug in euch – und selbst zur Faul­heit nicht!

Über­all er­tönt die Stim­me De­rer, wel­che den Tod pre­di­gen: und die Erde ist voll von Sol­chen, wel­chen der Tod ge­pre­digt wer­den muss.

Oder »das ewi­ge Le­ben«: das gilt mir gleich, – wo­fern sie nur schnell da­hin­fah­ren!

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom Krieg und Kriegsvolke

Von un­sern bes­ten Fein­den wol­len wir nicht ge­schont sein, und auch von De­nen nicht, wel­che wir von Grund aus lie­ben. So lasst mich denn euch die Wahr­heit sa­gen!

Mei­ne Brü­der im Krie­ge! Ich lie­be euch von Grund aus, ich bin und war Eu­res­glei­chen. Und ich bin auch euer bes­ter Feind. So lasst mich denn euch die Wahr­heit sa­gen!

Ich weiss um den Hass und Neid eu­res Her­zens. Ihr seid nicht gross ge­nug, um Hass und Neid nicht zu ken­nen. So seid denn gross ge­nug, euch ih­rer nicht zu schä­men!

Und wenn ihr nicht Hei­li­ge der Er­kennt­niss sein könnt, so seid mir we­nigs­tens de­ren Kriegs­män­ner. Das sind die Ge­fähr­ten und Vor­läu­fer sol­cher Hei­lig­keit.

Ich sehe viel Sol­da­ten: möch­te ich viel Kriegs­män­ner sehn! »Ein-form« nennt man’s, was sie tra­gen: möge es nicht Ein-form sein, was sie da­mit ver­ste­cken!

Ihr sollt mir Sol­che sein, de­ren Auge im­mer nach ei­nem Fein­de sucht – nach eu­rem Fein­de. Und bei Ei­ni­gen von euch giebt es einen Hass auf den ers­ten Blick.

Eu­ren Feind sollt ihr su­chen, eu­ren Krieg sollt ihr füh­ren und für eure Ge­dan­ken! Und wenn euer Ge­dan­ke un­ter­liegt, so soll eure Red­lich­keit dar­über noch Tri­umph ru­fen!

Ihr sollt den Frie­den lie­ben als Mit­tel zu neu­en Krie­gen. Und den kur­z­en Frie­den mehr, als den lan­gen.

Euch rat­he ich nicht zur Ar­beit, son­dern zum Kamp­fe. Euch rat­he ich nicht zum Frie­den, son­dern zum Sie­ge. Eure Ar­beit sei ein Kampf, euer Frie­de sei ein Sieg!

Man kann nur schwei­gen und still­sit­zen, wenn man Pfeil und Bo­gen hat: sonst schwätzt und zankt man. Euer Frie­de sei ein Sieg!

Ihr sagt, die gute Sa­che sei es, die so­gar den Krieg hei­li­ge? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sa­che hei­ligt.

Der Krieg und der Muth ha­ben mehr gros­se Din­ge gethan, als die Nächs­ten­lie­be. Nicht euer Mit­lei­den, son­dern eure Tap­fer­keit ret­te­te bis­her die Ve­r­un­glück­ten.

Was ist gut? fragt ihr. Tap­fer sein ist gut. Lasst die klei­nen Mäd­chen re­den: »gut sein ist, was hübsch zu­gleich und rüh­rend ist.«

Man nennt euch herz­los: aber euer Herz ist ächt, und ich lie­be die Scham eu­rer Herz­lich­keit. Ihr schämt euch eu­rer Fluth, und And­re schä­men sich ih­rer Ebbe.

Ihr seid häss­lich? Nun wohl­an, mei­ne Brü­der! So nehmt das Er­hab­ne um euch, den Man­tel des Häss­li­chen!

Und wenn eure See­le gross wird, so wird sie über­müthig, und in eu­rer Er­ha­ben­heit ist Bos­heit. Ich ken­ne euch.

In der Bos­heit be­geg­net sich der Über­müthi­ge mit dem Schwäch­lin­ge. Aber sie miss­ver­ste­hen ein­an­der. Ich ken­ne euch.

Ihr dürft nur Fein­de ha­ben, die zu has­sen sind, aber nicht Fein­de zum Ver­ach­ten. Ihr müsst stolz auf eu­ern Feind sein: dann sind die Er­fol­ge eu­res Fein­des auch eure Er­fol­ge.

Auf­leh­nung – das ist die Vor­nehm­heit am Scla­ven. Eure Vor­nehm­heit sei Ge­hor­sam! Euer Be­feh­len sel­ber sei ein Ge­hor­chen!

Ei­nem gu­ten Kriegs­man­ne klingt »du sollst« an­ge­neh­mer, als »ich will«. Und Al­les, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch be­feh­len las­sen.

Eure Lie­be zum Le­ben sei Lie­be zu eu­rer höchs­ten Hoff­nung: und eure höchs­te Hoff­nung sei der höchs­te Ge­dan­ke des Le­bens!

Eu­ren höchs­ten Ge­dan­ken aber sollt ihr euch von mir be­feh­len las­sen – und er lau­tet: der Mensch ist Et­was, das über­wun­den wer­den soll.

So lebt euer Le­ben des Ge­hor­sams und des Krie­ges! Was liegt am Lang-Le­ben! Wel­cher Krie­ger will ge­schont sein!

Ich scho­ne euch nicht, ich lie­be euch von Grund aus, mei­ne Brü­der im Krie­ge! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom neuen Götzen

Ir­gend­wo giebt es noch Völ­ker und He­er­den, doch nicht bei uns, mei­ne Brü­der: da giebt es Staa­ten.

Staat? Was ist das? Wohl­an! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort vom Tode der Völ­ker.

Staat heisst das käl­tes­te al­ler kal­ten Un­ge­heu­er. Kalt lügt es auch; und die­se Lüge kriecht aus sei­nem Mun­de: »Ich, der Staat, bin das Volk.«

Lüge ist’s! Schaf­fen­de wa­ren es, die schu­fen die Völ­ker und häng­ten einen Glau­ben und eine Lie­be über sie hin: also dienten sie dem Le­ben.

Ver­nich­ter sind es, die stel­len Fal­len auf für Vie­le und heis­sen sie Staat: sie hän­gen ein Schwert und hun­dert Be­gier­den über sie hin.

Wo es noch Volk giebt, da ver­steht es den Staat nicht und hasst ihn als bö­sen Blick und Sün­de an Sit­ten und Rech­ten.

Die­ses Zei­chen gebe ich euch: je­des Volk spricht sei­ne Zun­ge des Gu­ten und Bö­sen: die ver­steht der Nach­bar nicht. Sei­ne Spra­che er­fand es sich in Sit­ten und Rech­ten.

Aber der Staat lügt in al­len Zun­gen des Gu­ten und Bö­sen; und was er auch re­det, er lügt – und was er auch hat, ge­stoh­len hat er’s.

Falsch ist Al­les an ihm; mit ge­stoh­le­nen Zäh­nen bei­sst er, der Bis­si­ge. Falsch sind selbst sei­ne Ein­ge­wei­de.

Sprach­ver­wir­rung des Gu­ten und Bö­sen: die­ses Zei­chen gebe ich euch als Zei­chen des Staa­tes. Wahr­lich, den Wil­len zum Tode deu­tet die­ses Zei­chen! Wahr­lich, es winkt den Pre­di­gern des To­des!

Viel zu Vie­le wer­den ge­bo­ren: für die Über­flüs­si­gen ward der Staat er­fun­den!

Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vie­len! Wie er sie schlingt und kaut und wie­der­käut!

»Auf der Erde ist nichts Grös­se­res als ich: der ord­nen­de Fin­ger bin ich Got­tes« – also brüllt das Unt­hier. Und nicht nur Lang­geohr­te und Kurz­ge­äug­te sin­ken auf die Kniee!

Ach, auch in euch, ihr gros­sen See­len, raunt er sei­ne düs­te­ren Lü­gen! Ach, er er­räth die rei­chen Her­zen, die ger­ne sich ver­schwen­den!

Ja, auch euch er­räth er, ihr Be­sie­ger des al­ten Got­tes! Müde wur­det ihr im Kamp­fe, und nun dient eure Mü­dig­keit noch dem neu­en Göt­zen!

 

Hel­den und Ehren­haf­te möch­te er um sich auf­stel­len, der neue Göt­ze! Ger­ne sonnt er sich im Son­nen­schein gu­ter Ge­wis­sen, – das kal­te Unt­hier!

Al­les will er euch ge­ben, wenn ih­r ihn an­be­tet, der neue Göt­ze: also kauft er sich den Glanz eu­rer Tu­gend und den Blick eu­rer stol­zen Au­gen.

Kö­dern will er mit euch die Viel-zu-Vie­len! Ja, ein Höl­len­kunst­stück ward da er­fun­den, ein Pferd des To­des, klir­rend im Putz gött­li­cher Ehren!

Ja, ein Ster­ben für Vie­le ward da er­fun­den, das sich sel­ber als Le­ben preist: wahr­lich, ein Her­zens­dienst al­len Pre­di­gern des To­des!

Staat nen­ne ich’s, wo Alle Gift­trin­ker sind, Gute und Schlim­me: Staat, wo Alle sich sel­ber ver­lie­ren, Gute und Schlim­me: Staat, wo der lang­sa­me Selbst­mord Al­ler – »das Le­ben« heisst.

Seht mir doch die­se Über­flüs­si­gen! Sie steh­len sich die Wer­ke der Er­fin­der und die Schät­ze der Wei­sen: Bil­dung nen­nen sie ih­ren Dieb­stahl – und Al­les wird ih­nen zu Krank­heit und Un­ge­mach!

Seht mir doch die­se Über­flüs­si­gen! Krank sind sie im­mer, sie er­bre­chen ihre Gal­le und nen­nen es Zei­tung. Sie ver­schlin­gen ein­an­der und kön­nen sich nicht ein­mal ver­dau­en.

Seht mir doch die­se Über­flüs­si­gen! Reicht­hü­mer er­wer­ben sie und wer­den är­mer da­mit. Macht wol­len sie und zu­erst das Brech­ei­sen der Macht, viel Geld, – die­se Un­ver­mö­gen­den!

Seht sie klet­tern, die­se ge­schwin­den Af­fen! Sie klet­tern über ein­an­der hin­weg und zer­ren sich also in den Schlamm und die Tie­fe.

Hin zum Thro­ne wol­len sie Alle: ihr Wahn­sinn ist es, – als ob das Glück auf dem Thro­ne säs­se! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron – und oft auch der Thron auf dem Schlam­me.

Wahn­sin­ni­ge sind sie mir Alle und klet­tern­de Af­fen und Über­heis­se. Übel riecht mir ihr Göt­ze, das kal­te Unt­hier: übel rie­chen sie mir alle zu­sam­men, die­se Göt­zen­die­ner.

Mei­ne Brü­der, wollt ihr denn er­sti­cken im Duns­te ih­rer Mäu­ler und Be­gier­den! Lie­ber zerbrecht doch die Fens­ter und springt in’s Freie!

Geht doch dem schlech­ten Ge­ru­che aus dem Wege! Geht fort von der Göt­zen­die­ne­rei der Über­flüs­si­gen!

Geht doch dem schlech­ten Ge­ru­che aus dem Wege! Geht fort von dem Damp­fe die­ser Men­schen­op­fer!

Frei steht gros­sen See­len auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch vie­le Sit­ze für Ein­sa­me und Zwei­sa­me, um die der Ge­ruch stil­ler Mee­re weht.

Frei steht noch gros­sen See­len ein frei­es Le­ben. Wahr­lich, wer we­nig be­sitzt, wird um so we­ni­ger be­ses­sen: ge­lobt sei die klei­ne Ar­muth!

Dort, wo der Staat auf­hört, da be­ginnt erst der Mensch, der nicht über­flüs­sig ist: da be­ginnt das Lied des No­thwen­di­gen, die ein­ma­li­ge und un­er­setz­li­che Wei­se.

Dort, wo der Staat auf­hör­t, – so seht mir doch hin, mei­ne Brü­der! Seht ihr ihn nicht, den Re­gen­bo­gen und die Brü­k­ken des Über­menschen? –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den Fliegen des Marktes

Flie­he, mein Freund, in dei­ne Ein­sam­keit! Ich sehe dich be­täubt vom Lär­me der gros­sen Män­ner und zer­sto­chen von den Sta­cheln der klei­nen.

Wür­dig wis­sen Wald und Fels mit dir zu schwei­gen. Glei­che wie­der dem Bau­me, den du liebst, dem breitäs­ti­gen: still und auf­hor­chend hängt er über dem Mee­re.

Wo die Ein­sam­keit auf­hört, da be­ginnt der Markt; und wo der Markt be­ginnt, da be­ginnt auch der Lärm der gros­sen Schau­spie­ler und das Ge­schwirr der gif­ti­gen Flie­gen.

In der Welt tau­gen die bes­ten Din­ge noch Nichts, ohne Ei­nen, der sie erst auf­führt: gros­se Män­ner heisst das Volk die­se Auf­füh­rer.

We­nig be­greift das Volk das Gros­se, das ist: das Schaf­fen­de. Aber Sin­ne hat es für alle Auf­füh­rer und Schau­spie­ler gros­ser Sa­chen.

Um die Er­fin­der von neu­en Wert­hen dreht sich die Welt: – un­sicht­bar dreht sie sich. Doch um die Schau­spie­ler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist es der Welt Lauf.

Geist hat der Schau­spie­ler, doch we­nig Ge­wis­sen des Geis­tes. Er glaubt im­mer an Das, wo­mit er am stärks­ten glau­ben macht, – glau­ben an sich macht!

Mor­gen hat er einen neu­en Glau­ben und über­mor­gen einen neue­ren. Ra­sche Sin­ne hat er, gleich dem Vol­ke, und ver­än­der­li­che Wit­te­run­gen.

Um­wer­fen – das heisst ihm: be­wei­sen. Toll ma­chen – das heisst ihm: über­zeu­gen. Und Blut gilt ihm als al­ler Grün­de bes­ter.

Eine Wahr­heit, die nur in fei­ne Ohren schlüpft, nennt er Lüge und Nichts. Wahr­lich, er glaubt nur an Göt­ter, die gros­sen Lärm in der Welt ma­chen!

Voll von fei­er­li­chen Pos­sen­reis­sern ist der Markt – und das Volk rühmt sich sei­ner gros­sen Män­ner! das sind ihm die Herrn der Stun­de.

Aber die Stun­de drängt sie: so drän­gen sie dich. Und auch von dir wol­len sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwi­schen Für und Wi­der dei­nen Stuhl set­zen?

Die­ser Un­be­ding­ten und Drän­gen­den hal­ber sei ohne Ei­fer­sucht, du Lieb­ha­ber der Wahr­heit! Nie­mals noch häng­te sich die Wahr­heit an den Arm ei­nes Un­be­ding­ten.

Die­ser Plötz­li­chen hal­ber gehe zu­rück in dei­ne Si­cher­heit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder Nein? über­fal­len.

Lang­sam ist das Er­le­ben al­len tie­fen Brun­nen: lan­ge müs­sen sie war­ten, bis sie wis­sen, was in ihre Tie­fe fiel.

Ab­seits vom Mark­te und Ruh­me be­giebt sich al­les Gros­se: ab­seits vom Mark­te und Ruh­me wohn­ten von je die Er­fin­der neu­er Wert­he.

Flie­he, mein Freund, in dei­ne Ein­sam­keit: ich sehe dich von gif­ti­gen Flie­gen zer­sto­chen. Flie­he dort­hin, wo rau­he, star­ke Luft weht!

Flie­he in dei­ne Ein­sam­keit! Du leb­test den Klei­nen und Er­bärm­li­chen zu nahe. Flie­he vor ih­rer un­sicht­ba­ren Ra­che! Ge­gen dich sind sie Nichts als Ra­che.

Hebe nicht mehr den Arm ge­gen sie! Un­zähl­bar sind sie, und es ist nicht dein Loos, Flie­gen­we­del zu sein.

Un­zähl­bar sind die­se Klei­nen und Er­bärm­li­chen; und man­chem stol­zen Baue ge­reich­ten schon Re­gen­trop­fen und Un­kraut zum Un­ter­gan­ge.

Du bist kein Stein, aber schon wur­dest du hohl von vie­len Trop­fen. Zer­bre­chen und zer­bers­ten wirst du mir noch von vie­len Trop­fen.

Er­mü­det sehe ich dich durch gif­ti­ge Flie­gen, blu­tig ge­ritzt sehe ich dich an hun­dert Stel­len; und dein Stolz will nicht ein­mal zür­nen.

Blut möch­ten sie von dir in al­ler Un­schuld, Blut be­geh­ren ihre blut­lo­sen See­len – und sie ste­chen da­her in al­ler Un­schuld.

Aber, du Tie­fer, du lei­dest zu tief auch an klei­nen Wun­den; und ehe du dich noch ge­heilt hast, kroch dir der glei­che Gift­wurm über die Hand.

Zu stolz bist du mir da­für, die­se Nasch­haf­ten zu töd­ten. Hüte dich aber, dass es nicht dein Ver­häng­niss wer­de, all ihr gif­ti­ges Un­recht zu tra­gen!

Sie sum­men um dich auch mit ih­rem Lobe: Zu­dring­lich­keit ist ihr Lo­ben. Sie wol­len die Nähe dei­ner Haut und dei­nes Blu­tes.

Sie schmei­cheln dir wie ei­nem Got­te oder Teu­fel; sie win­seln vor dir wie vor ei­nem Got­te oder Teu­fel. Was macht es ! Schmeich­ler sind es und Wins­ler und nicht mehr.

Auch ge­ben sie sich dir oft als Lie­bens­wür­di­ge. Aber das war im­mer die Klug­heit der Fei­gen. Ja, die Fei­gen sind klug!

Sie den­ken viel über dich mit ih­rer en­gen See­le, – be­denk­lich bist du ih­nen stets! Al­les, was viel be­dacht wird, wird be­denk­lich.

Sie be­stra­fen dich für alle dei­ne Tu­gen­den. Sie ver­zei­hen dir von Grund aus nur – dei­ne Fehl­grif­fe.

Weil du mil­de bist und ge­rech­ten Sin­nes, sagst du: »un­schul­dig sind sie an ih­rem klei­nen Da­sein.« Aber ihre enge See­le denkt: »Schuld ist al­les gros­se Da­sein.«

Auch wenn du ih­nen mil­de bist, füh­len sie sich noch von dir ver­ach­tet; und sie ge­ben dir dei­ne Wohl­that zu­rück mit ver­steck­ten Wehtha­ten.

Dein wort­lo­ser Stolz geht im­mer wi­der ih­ren Ge­schmack; sie frohlo­cken, wenn du ein­mal be­schei­den ge­nug bist, ei­tel zu sein.

Das, was wir an ei­nem Men­schen er­ken­nen, das ent­zün­den wir an ihm auch. Also hüte dich vor den Klei­nen !

Vor dir füh­len sie sich klein, und ihre Nied­rig­keit glimmt und glüht ge­gen dich in un­sicht­ba­rer Ra­che.

Merk­test du nicht, wie oft sie stumm wur­den, wenn du zu ih­nen tra­test, und wie ihre Kraft von ih­nen gieng wie der Rauch von ei­nem er­lö­schen­den Feu­er?

Ja, mein Freund, das böse Ge­wis­sen bist du dei­nen Nächs­ten: denn sie sind dei­ner un­werth. Also has­sen sie dich und möch­ten ger­ne an dei­nem Blu­te sau­gen.

Dei­ne Nächs­ten wer­den im­mer gif­ti­ge Flie­gen sein; Das, was gross an dir ist, – das sel­ber muss sie gif­ti­ger ma­chen und im­mer flie­gen­haf­ter.

Flie­he, mein Freund, in dei­ne Ein­sam­keit und dort­hin, wo eine rau­he, star­ke Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Flie­gen­we­del zu sein. –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von der Keuschheit

Ich lie­be den Wald. In den Städ­ten ist schlecht zu le­ben: da giebt es zu Vie­le der Brüns­ti­gen.

Ist es nicht bes­ser, in die Hän­de ei­nes Mör­ders zu ge­rat­hen, als in die Träu­me ei­nes brüns­ti­gen Wei­bes?

Und seht mir doch die­se Män­ner an: ihr Auge sagt es – sie wis­sen nichts Bes­se­res auf Er­den, als bei ei­nem Wei­be zu lie­gen.

Schlamm ist auf dem Grun­de ih­rer See­le; und wehe, wenn ihr Schlamm gar noch Geist hat!

Dass ihr doch we­nigs­tens als Thie­re voll­kom­men wä­ret! Aber zum Thie­re ge­hört die Un­schuld.

Ra­the ich euch, eure Sin­ne zu töd­ten? Ich rat­he euch zur Un­schuld der Sin­ne.

Ra­the ich euch zur Keusch­heit? Die Keusch­heit ist bei Ei­ni­gen eine Tu­gend, aber bei Vie­len bei­na­he ein Las­ter.

Die­se ent­hal­ten sich wohl: aber die Hün­din Sinn­lich­keit blickt mit Neid aus Al­lem, was sie thun.

Noch in die Hö­hen ih­rer Tu­gend und bis in den kal­ten Geist hin­ein folgt ih­nen diess Gethier und sein Un­frie­den.

Und wie ar­tig weiss die Hün­din Sinn­lich­keit um ein Stück Geist zu bet­teln, wenn ihr ein Stuck Fleisch ver­sagt wird!

Ihr liebt Trau­er­spie­le und Al­les, was das Herz zer­bricht? Aber ich bin miss­trau­isch ge­gen eure Hün­din.

Ihr habt mir zu grau­sa­me Au­gen und blickt lüs­tern nach Lei­den­den. Hat sich nicht nur eure Wol­lust ver­klei­det und heisst sich Mit­lei­den?

Und auch diess Gleich­niss gebe ich euch: nicht We­ni­ge, die ih­ren Teu­fel aus­trei­ben woll­ten, fuh­ren da­bei sel­ber in die Säue.

Wem die Keusch­heit schwer fällt, dem ist sie zu wi­der­rat­hen: dass sie nicht der Weg zur Höl­le wer­de – das ist zu Schlamm und Brunst der See­le.

Rede ich von schmut­zi­gen Din­gen? Das ist mir nicht das Schlimms­te.

Nicht, wenn die Wahr­heit schmut­zig ist, son­dern wenn sie seicht ist, steigt der Er­ken­nen­de un­gern in ihr Was­ser.

Wahr­lich, es giebt Keu­sche von Grund aus: sie sind mil­der von Her­zen, sie la­chen lie­ber und reich­li­cher als ihr.

Sie la­chen auch über die Keusch­heit und fra­gen: »was ist Keusch­heit!

»Ist Keusch­heit nicht Thor­heit? Aber die­se Thor­heit kam zu uns und nicht wir zur ihr.

»Wir bo­ten die­sem Gas­te Her­ber­ge und Herz: nun wohnt er bei uns, – mag er blei­ben, wie lan­ge er will!«

Also sprach Za­ra­thustra.