Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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38.

– Ich un­ter­drücke an die­ser Stel­le einen Seuf­zer nicht. Es giebt Tage, wo mich ein Ge­fühl heim­sucht, schwär­zer als die schwär­zes­te Me­lan­cho­lie – die Men­schen-Ver­ach­tung. Und da­mit ich kei­nen Zwei­fel dar­über las­se, was ich ver­ach­te, wen ich ver­ach­te: der Mensch von Heu­te ist es, der Mensch, mit dem ich ver­häng­niß­voll gleich­zei­tig bin. Der Mensch von Heu­te – ich er­sti­cke an sei­nem un­rei­nen Athem… Ge­gen das Ver­gang­ne bin ich, gleich al­len Er­ken­nen­den, von ei­ner großen To­le­ranz, das heißt groß­müthi­gen Selbst­be­zwin­gung: ich gehe durch die Ir­ren­haus-Welt gan­zer Jahr­tau­sen­de, hei­ße sie nun »Chris­tent­hum«, »christ­li­cher Glau­be«, »christ­li­che Kir­che«, mit ei­ner düs­te­ren Vor­sicht hin­durch, – ich hüte mich, die Mensch­heit für ihre Geis­tes­krank­hei­ten ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Aber mein Ge­fühl schlägt um, bricht her­aus, so­bald ich in die neue­re Zeit, in uns­re Zeit ein­tre­te. Uns­re Zeit ist wis­sen­d… Was ehe­mals bloß krank war, heu­te ward es un­an­stän­dig, – es ist un­an­stän­dig, heu­te Christ zu sein. Und hier be­ginnt mein Ekel. – Ich sehe mich um: es ist kein Wort von Dem mehr üb­rig ge­blie­ben, was ehe­mals »Wahr­heit« hieß, wir hal­ten es nicht mehr aus, wenn ein Pries­ter das Wort »Wahr­heit« auch nur in den Mund nimmt. Selbst bei dem be­schei­dens­ten An­spruch auf Recht­schaf­fen­heit muß man heu­te wis­sen, daß ein Theo­lo­ge, ein Pries­ter, ein Papst mit je­dem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, son­dern lügt, – daß es ihm nicht mehr frei­steht, aus »Un­schuld«, aus »Un­wis­sen­heit« zu lü­gen. Auch der Pries­ter weiß, so gut es Je­der­mann weiß, daß es kei­nen »Gott« mehr giebt, kei­nen »Sün­der«, kei­nen »Er­lö­ser«, – daß »frei­er Wil­le«, »sitt­li­che Wel­t­ord­nung« Lü­gen sind: – der Ernst, die tie­fe Selb­st­über­win­dung des Geis­tes er­laubt Nie­man­dem mehr, hier­über nicht zu wis­sen… Alle Be­grif­fe der Kir­che sind er­kannt als Das, was sie sind, als die bös­ar­tigs­te Falsch­mün­ze­rei, die es giebt, zum Zweck, die Na­tur, die Na­tur-Wert­he zu ent­wert­hen; der Pries­ter selbst ist er­kannt als Das, was er ist, als die ge­fähr­lichs­te Art Pa­ra­sit, als die ei­gent­li­che Gift­spin­ne des Le­bens… Wir wis­sen, un­ser Ge­wis­sen weiß es heu­te –, was über­haupt jene un­heim­li­chen Er­fin­dun­gen der Pries­ter und der Kir­che werth sind, wozu sie dienten, mit de­nen je­ner Zu­stand von Selbst­schän­dung der Mensch­heit er­reicht wor­den ist, der Ekel vor ih­rem An­blick ma­chen kann – die Be­grif­fe »Jen­seits«, »jüngs­tes Ge­richt«, »Uns­terb­lich­keit der See­le«, die »See­le« selbst: es sind Fol­ter-In­stru­men­te, es sind Sys­te­me von Grau­sam­kei­ten, ver­mö­ge de­ren der Pries­ter Herr wur­de, Herr blie­b… Je­der­mann weiß das: und trotz­dem bleibt Al­les beim Al­ten. Wo­hin kam das letz­te Ge­fühl von An­stand, von Ach­tung vor sich selbst, wenn uns­re Staats­män­ner so­gar, eine sonst sehr un­be­fang­ne Art Mensch und An­ti­chris­ten der That durch und durch, sich heu­te noch Chris­ten nen­nen und zum Abend­mahl gehn?… Ein jun­ger Fürst an der Spit­ze sei­ner Re­gi­men­ter, pracht­voll als Aus­druck der Selbst­sucht und Selb­st­über­he­bung sei­nes Volks, – aber, ohne jede Scham, sich als Chris­ten be­ken­nend!… Wen ver­neint denn das Chris­ten­tum? was heißt es »Welt«? Daß man Sol­dat, daß man Rich­ter, daß man Pa­tri­ot ist; daß man sich wehrt; daß man auf sei­ne Ehre hält; daß man sei­nen Vort­heil will; daß man stolz ist… Jede Prak­tik je­des Au­gen­blicks, je­der In­stinkt, jede zur That wer­den­de Wert­schät­zung ist heu­te an­ti­christ­lich: was für eine Miß­ge­burt von Falsch­heit muß der mo­der­ne Mensch sein, daß er sich trotz­dem nicht schämt, Christ noch zu hei­ßen! – – –

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39.

– Ich keh­re zu­rück, ich er­zäh­le die ech­te Ge­schich­te des Chris­tent­hums. – Das Wort schon »Chris­tent­hum« ist ein Miß­ver­ständ­niß –, im Grun­de gab es nur Ei­nen Chris­ten, und der starb am Kreuz. Das »Evan­ge­li­um« starb am Kreuz. Was von die­sem Au­gen­blick an »Evan­ge­li­um« heißt, war be­reits der Ge­gen­satz Des­sen, was er ge­lebt: eine » schlim­me Bot­schaft«, ein Dysan­ge­li­um. Es ist falsch bis zum Un­sinn, wenn man in ei­nem »Glau­ben«, etwa im Glau­ben an die Er­lö­sung durch Chris­tus das Ab­zei­chen des Chris­ten sieht: bloß die christ­li­che Prak­tik, ein Le­ben so wie Der, der am Kreu­ze starb, es leb­te, ist christ­lich… Heu­te noch ist ein sol­ches Le­ben mög­lich, für ge­wis­se Men­schen so­gar nothwen­dig: das ech­te, das ur­sprüng­li­che Chris­tent­hum wird zu al­len Zei­ten mög­lich sein… Nicht ein Glau­ben, son­dern ein Thun, ein Vie­les- nicht-thun vor Al­lem, ein andres Sein… Be­wußt­seins-Zu­stän­de, ir­gend ein Glau­ben, ein Für-wahr-hal­ten zum Bei­spiel – je­der Psy­cho­log weiß das – sind ja voll­kom­men gleich­gül­tig und fünf­ten Ran­ges ge­gen den Werth der In­stink­te: stren­ger ge­re­det, der gan­ze Be­griff geis­ti­ger Ur­säch­lich­keit ist falsch. Das Christ-sein, die Christ­lich­keit auf ein Für-wahr-hal­ten, auf eine blo­ße Be­wußt­seins-Phä­no­me­na­li­tät re­du­ci­ren heißt die Christ­lich­keit ne­gi­ren. In der That gab es gar kei­ne Chris­ten. Der »Christ«, Das, was seit zwei Jahr­tau­sen­den Christ heißt, ist bloß ein psy­cho­lo­gi­sches Selbst-Miß­ver­ständ­niß. Ge­nau­er zu­ge­sehn, herrsch­ten in ihm, trotz al­lem »Glau­ben«, bloß die In­stink­te – und was für In­stink­te! – Der »Glau­be« war zu al­len Zei­ten, bei­spiels­wei­se bei Luther, nur ein Man­tel, ein Vor­wand, ein Vor­hang, hin­ter dem die In­stink­te ihr Spiel spiel­ten –, eine klu­ge Blind­heit über die Herr­schaft ge­wis­ser In­stink­te… Der »Glau­be« – ich nann­te ihn schon die ei­gent­li­che christ­li­che Klug­heit, – man sprach im­mer vom »Glau­ben«, man that im­mer nur vom In­stink­te… In der Vor­stel­lungs­welt des Chris­ten kommt Nichts vor, was die Wirk­lich­keit auch nur an­rühr­te: da­ge­gen er­kann­ten wir im In­stinkt-Haß ge­gen jede Wirk­lich­keit das trei­ben­de, das ein­zig trei­ben­de Ele­ment in der Wur­zel des Chris­tent­hums. Was folgt dar­aus? Daß auch in psy­cho­lo­gi­cis hier der Irr­thum ra­di­kal, das heißt we­sen-be­stim­mend, das heißt Sub­stanz ist. Ein Be­griff hier weg, eine ein­zi­ge Rea­li­tät an des­sen Stel­le – und das gan­ze Chris­ten­tum rollt in’s Nichts! – Aus der Höhe ge­sehn, bleibt die­se fremd­ar­tigs­te al­ler That­sa­chen, eine durch Irr­t­hü­mer nicht nur be­ding­te, son­dern nur in schäd­li­chen, nur in le­ben- und herz­ver­gif­ten­den Irr­t­hü­mern er­fin­de­ri­sche und selbst ge­nia­le Re­li­gi­on ein Schau­spiel für Göt­ter, – für jene Gott­hei­ten, wel­che zu­gleich Phi­lo­so­phen sind, und de­nen ich zum Bei­spiel bei je­nen be­rühm­ten Zwie­ge­sprä­chen auf Na­xos be­geg­net bin. Im Au­gen­blick, wo der Ekel von ih­nen weicht (– und von uns!), wer­den sie dank­bar für das Schau­spiel des Chris­ten: das er­bärm­li­che klei­ne Gestirn, das Erde heißt, ver­dient viel­leicht al­lein um die­ses cu­rio­sen Falls wil­len einen gött­li­chen Blick, eine gött­li­che Ant­heil­nah­me … Un­ter­schät­zen wir näm­lich den Chris­ten nicht: der Christ, falsch bis zur Un­schuld, ist weit über dem Af­fen, – in Hin­sicht auf Chris­ten wird eine be­kann­te Her­kunfts-Theo­rie zur blo­ßen Ar­tig­keit …

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40.

– Das Ver­häng­nis; des Evan­ge­li­ums ent­schied sich mit dem Tode, – es hieng am »Kreuz« … Erst der Tod, die­ser un­er­war­te­te schmäh­li­che Tod, erst das Kreuz,, das im All­ge­mei­nen bloß für die Ca­nail­le auf­ge­spart blieb, – erst die­se schau­er­lichs­te Pa­ra­do­xie brach­te die Jün­ger vor das ei­gent­li­che Räth­sel: »wer war das? was war das?«– Das er­schüt­ter­te und im Tiefs­ten be­lei­dig­te Ge­fühl, der Arg­wohn, es möch­te ein sol­cher Tod die Wi­der­le­gung ih­rer Sa­che sein, das schreck­li­che Fra­ge­zei­chen »warum ge­ra­de so?« – die­ser Zu­stand be­greift sich nur zu gut. Hier muß­te Al­les nothwen­dig sein, Sinn, Ver­nunft, höchs­te Ver­nunft ha­ben, die Lie­be ei­nes Jün­gers kennt kei­nen Zu­fall. Erst jetzt trat die Kluft aus­ein­an­der: »wer hat ihn ge­töd­tet? wer war sein na­tür­li­cher Feind?«– die­se Fra­ge sprang wie ein Blitz her­vor. Ant­wort: das herr­schen­de Ju­den­tum, sein obers­ter Stand. Man emp­fand sich von die­sem Au­gen­blick im Aufruhr ge­gen die Ord­nung, man ver­stand hin­ter­drein Je­sus als im Aufruhr ge­gen die Ord­nung. Bis da­hin fehl­te die­ser krie­ge­ri­sche, die­ser Nein-sa­gen­de, Nein-thuen­de Zug in sei­nem Bil­de; mehr noch, er war des­sen Wi­der­spruch. Of­fen­bar hat die klei­ne Ge­mein­de ge­ra­de die Haupt­sa­che nicht ver­stan­den, das Vor­bild­li­che in die­ser Art zu ster­ben, die Frei­heit, die Über­le­gen­heit über je­des Ge­fühl von res­sen­ti­ment: – ein Zei­chen da­für, wie we­nig über­haupt sie von ihm ver­stand! An sich konn­te Je­sus mit sei­nem Tode nichts wol­len, als öf­fent­lich die stärks­te Pro­be, den Be­weis sei­ner Leh­re zu ge­ben … Aber sei­ne Jün­ger wa­ren fer­ne da­von, die­sen Tod zu ver­zei­hen, – was evan­ge­lisch im höchs­ten Sin­ne ge­we­sen wäre; oder gar sich zu ei­nem glei­chen Tode in sanf­ter und lieb­li­cher Ruhe des Her­zens an­zu­bie­ten… Gera­de das am meis­ten un­evan­ge­li­sche Ge­fühl, die Ra­che, kam wie­der oben­auf. Un­mög­lich konn­te die Sa­che mit die­sem Tode zu Ende sein: man brauch­te »Ver­gel­tung«, »Ge­richt« (– und doch, was kann noch un­evan­ge­li­scher sein, als »Ver­gel­tung«, »Stra­fe«, »Ge­richt-Hal­ten«!). Noch ein­mal kam die po­pu­lä­re Er­war­tung ei­nes Mes­si­as in den Vor­der­grund; ein his­to­ri­scher Au­gen­blick wur­de in’s Auge ge­faßt: das »Reich Got­tes« kommt zum Ge­richt über sei­ne Fein­de… Aber da­mit ist Al­les miß­ver­stan­den: das »Reich Got­tes« als Schluß­akt, als Ver­hei­ßung! Das Evan­ge­li­um war doch ge­ra­de das Da­sein, das Er­füllt­sein, die Wirk­lich­keit die­ses »Reichs« ge­we­sen. Gera­de ein sol­cher Tod war eben die­ses »Reich Got­tes«. Jetzt erst trug man die gan­ze Ver­ach­tung und Bit­ter­keit ge­gen Pha­ri­sä­er und Theo­lo­gen in den Ty­pus des Meis­ters ein, – man mach­te da­mit aus ihm einen Pha­ri­sä­er und Theo­lo­gen! And­rer­seits hielt die wild­ge­w­ord­ne Ver­eh­rung die­ser ganz aus den Fu­gen ge­rat­he­nen See­len jene evan­ge­li­sche Gleich­be­rech­ti­gung von Je­der­mann zum Kind Got­tes, die Je­sus ge­lehrt hat­te, nicht mehr aus; ihre Ra­che war, auf eine aus­schwei­fen­de Wei­se Je­sus em­por­zu­he­ben, von sich ab­zu­lö­sen: ganz so, wie ehe­dem die Ju­den aus Ra­che an ih­ren Fein­den ih­ren Gott von sich los­ge­trennt und in die Höhe ge­ho­ben ha­ben. Der Eine Gott und der Eine Sohn Got­tes: Bei­des Er­zeug­nis­se des res­sen­ti­ment

 

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41.

– Und von nun an tauch­te ein ab­sur­des Pro­blem auf: »wie konn­te Gott das zu­las­sen!« Da­rauf fand die ge­stör­te Ver­nunft der klei­nen Ge­mein­schaft eine ge­ra­de­zu schreck­lich ab­sur­de Ant­wort: Gott gab sei­nen Sohn zur Ver­ge­bung der Sün­den, als Op­fer. Wie war es mit Ei­nem Male zu Ende mit dem Evan­ge­li­um! Das Schul­dop­fer, und zwar in sei­ner wi­der­lichs­ten, bar­ba­rischs­ten Form, das Op­fer des Un­schul­di­gen für die Sün­den der Schul­di­gen! Wel­ches schau­der­haf­te Hei­dent­hum! – Je­sus hat­te ja den Be­griff »Schuld« selbst ab­ge­schafft, – er hat jede Kluft zwi­schen Gott und Mensch ge­leug­net, er leb­te die­se Ein­heit von Gott und Mensch als sei­ne »fro­he Bot­schaft« … Und nicht als Vor­recht! – Von nun an tritt schritt­wei­se in den Ty­pus des Er­lö­sers hin­ein: die Leh­re vom Ge­richt und von der Wie­der­kunft, die Leh­re vom Tod als ei­nem Op­fer­to­de, die Leh­re von der Au­fer­ste­hung, mit der der gan­ze Be­griff »Se­lig­keit«, die gan­ze und ein­zi­ge Rea­li­tät des Evan­ge­li­ums, es­ka­mo­tirt ist – zu Guns­ten ei­nes Zu­stan­des nach dem Tode! … Pau­lus hat die­se Auf­fas­sung, die­se Un­zucht von Auf­fas­sung mit je­ner rab­bi­ner­haf­ten Frech­heit, die ihn in al­len Stücken aus­zeich­net, da­hin lo­gi­sirt: » wenn Chris­tus nicht auf­er­stan­den ist von den Tod­ten, so ist un­ser Glau­be ei­tel«. – Und mit Ei­nem Male wur­de aus dem Evan­ge­li­um die ver­ächt­lichs­te al­ler un­er­füll­ba­ren Ver­spre­chun­gen, die un­ver­schäm­te Leh­re von der Per­so­nal-Uns­terb­lich­keit … Pau­lus selbst lehr­te sie noch als Lohn! …

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42.

Man sieht, was mit dem Tode am Kreuz zu Ende war: ein neu­er, ein durch­aus ur­sprüng­li­cher An­satz zu ei­ner bud­dhis­ti­schen Frie­dens­be­we­gung, zu ei­nem that­säch­li­chen, nicht bloß ver­hei­ße­nen Glück auf Er­den. Denn dies bleibt – ich hob es schon her­vor – der Grund­un­ter­schied zwi­schen den bei­den dé­ca­dence-Re­li­gio­nen: der Bud­dhis­mus ver­spricht nicht, son­dern hält, das Chris­ten­tum ver­spricht Al­les, aber hält Nichts. – Der »fro­hen Bot­schaft« folg­te auf dem Fuß die al­ler­schlimms­te: die des Pau­lus. In Pau­lus ver­kör­pert sich der Ge­gen­satz-Ty­pus zum »fro­hen Bot­schaf­ter«, das Ge­nie im Haß, in der Vi­si­on des Has­ses, in der un­er­bitt­li­chen Lo­gik des Has­ses. Was hat die­ser Dysan­ge­list Al­les dem Has­se zum Op­fer ge­bracht! Vor Al­lem den Er­lö­ser: er schlug ihn an sein Kreuz. Das Le­ben, das Bei­spiel, die Leh­re, der Tod, der Sinn und das Recht des gan­zen Evan­ge­li­ums – Nichts war mehr vor­han­den, als die­ser Falsch­mün­zer aus Haß be­griff, was al­lein er brau­chen konn­te. Nicht die Rea­li­tät, nicht die his­to­ri­sche Wahr­heit! … Und noch ein­mal ver­üb­te der Pries­ter-In­stinkt des Ju­den das glei­che große Ver­bre­chen an der His­to­rie, – er strich das Ges­tern, das Vor­ges­tern des Chris­ten­tums ein­fach durch, er er­fand sich eine Ge­schich­te des ers­ten Chris­ten­tums. Mehr noch: er fälsch­te die Ge­schich­te Is­raels noch­mals um, um als Vor­ge­schich­te für sei­ne That zu er­schei­nen: alle Pro­phe­ten ha­ben von sei­nem »Er­lö­ser« ge­re­det … Die Kir­che fälsch­te spä­ter so­gar die Ge­schich­te der Mensch­heit zur Vor­ge­schich­te des Chris­tent­hums… Der Ty­pus des Er­lö­sers, die Leh­re, die Prak­tik, der Tod, der Sinn des To­des, selbst das Nach­her des To­des – Nichts blieb un­an­ge­tas­tet, Nichts blieb auch nur ähn­lich der Wirk­lich­keit. Pau­lus ver­leg­te ein­fach das Schwer­ge­wicht je­nes gan­zen Da­seins hin­ter dies Da­sein, – in die Lüge vom »wie­der­au­fer­stan­de­nen« Je­sus. Er konn­te im Grun­de das Le­ben des Er­lö­sers über­haupt nicht brau­chen, – er hat­te den Tod am Kreuz nö­thig und et­was mehr noch… Ei­nen Pau­lus, der sei­ne Hei­math an dem Haupt­sitz der stoi­schen Auf­klä­rung hat­te, für ehr­lich hal­ten, wenn er sich aus ei­ner Hal­lu­ci­na­ti­on den Be­weis vom Noch-Le­ben des Er­lö­sers zu­recht macht, oder auch nur sei­ner Er­zäh­lung, daß er die­se Hal­lu­ci­na­ti­on ge­habt hat, Glau­ben schen­ken, wäre eine wah­re niai­se­rie sei­tens ei­nes Psy­cho­lo­gen: Pau­lus woll­te den Zweck, folg­lich woll­te er auch die Mit­tel… Was er selbst nicht glaub­te, die Idio­ten, un­ter die er sei­ne Leh­re warf, glaub­ten es. – Sein Be­dürf­niß war die Macht; mit Pau­lus woll­te noch­mals der Pries­ter zur Macht, – er konn­te nur Be­grif­fe, Leh­ren, Sym­bo­le brau­chen, mit de­nen man Mas­sen ty­ran­ni­sirt, He­er­den bil­det. Was al­lein ent­lehn­te spä­ter Mu­ham­med dem Chris­ten­tum? Die Er­fin­dung des Pau­lus, sein Mit­tel zur Pries­ter-Ty­ran­nei, zur He­er­den-Bil­dung: den Uns­terb­lich­keits-Glau­ben – das heißt die Leh­re vom »Ge­richt«…

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43.

Wenn man das Schwer­ge­wicht des Le­bens nicht in’s Le­ben, son­dern in’s »Jen­seits« ver­legt – in’s Nichts –, so hat man dem Le­ben über­haupt das Schwer­ge­wicht ge­nom­men. Die große Lüge von der Per­so­nal-Uns­terb­lich­keit zer­stört jede Ver­nunft, jede Na­tur im In­stink­te, – Al­les, was wohlt­hä­tig, was le­ben­för­dernd, was zu­kunft­ver­bür­gend in den In­stink­ten ist, er­regt nun­mehr Miß­trau­en. So zu le­ben, daß es kei­nen Sinn mehr hat, zu le­ben, das wird jetzt zum »Sinn« des Le­bens… Wozu Ge­mein­sinn, wozu Dank­bar­keit noch für Her­kunft und Vor­fah­ren, wozu mit­ar­bei­ten, zu­trau­en, ir­gend ein Ge­sammt­wohl för­dern und im Auge ha­ben?… Eben­so­vie­le »Ver­su­chun­gen«, eben­so­vie­le Ablen­kun­gen vom »rech­ten Weg« – »Eins ist noth«… Daß Je­der als »un­s­terb­li­che See­le« mit Je­dem glei­chen Rang hat, daß in der Ge­sammt­heit al­ler We­sen das »Heil« je­des Ein­zel­nen eine ewi­ge Wich­tig­keit in An­spruch neh­men darf, daß klei­ne Mu­cker und Drei­vier­tels-Ver­rück­te sich ein­bil­den dür­fen, daß um ih­ret­wil­len die Ge­set­ze der Na­tur be­stän­dig durch­bro­chen wer­den, – eine sol­che Stei­ge­rung je­der Art Selbst­sucht in’s Unend­li­che, in’s Un­ver­schäm­te kann man nicht mit ge­nug Ver­ach­tung brand­mar­ken. Und doch ver­dankt das Chris­ten­tum die­ser er­bar­mungs­wür­di­gen Schmei­che­lei vor der Per­so­nal-Ei­tel­keit sei­nen Sieg, – ge­ra­de al­les Miß­rat­he­ne, Auf­stän­disch-Ge­sinn­te, Schlecht-weg-ge­komm­ne, den gan­zen Aus­wurf und Ab­hub der Mensch­heit hat es da­mit zu sich über­re­det. Das »Heil der See­le« – auf deutsch: »die Welt dreht sich um mich«… Das Gift der Leh­re »glei­che Rech­te für Alle« – das Chris­ten­tum hat es am grund­sätz­lichs­ten aus­ge­sät; das Chris­tent­hum hat je­dem Ehr­furchts- und Di­stanz-Ge­fühl zwi­schen Mensch und Mensch, das heißt der Voraus­set­zung zu je­der Er­hö­hung, zu je­dem Wachst­hum der Cul­tur einen Tod­krieg aus den heim­lichs­ten Win­keln schlech­ter In­stink­te ge­macht, – es hat aus dem res­sen­ti­ment der Mas­sen sich sei­ne Haupt­waf­fe ge­schmie­det ge­gen uns, ge­gen al­les Vor­neh­me, Fro­he, Hoch­her­zi­ge auf Er­den, ge­gen un­ser Glück auf Er­den … Die »Uns­terb­lich­keit« je­dem Pe­trus und Pau­lus zu­ge­stan­den, war bis­her das größ­te, das bös­ar­tigs­te At­ten­tat auf die vor­neh­me Men­sch­lich­keit, – Und un­ter­schät­zen wir das Ver­häng­niß nicht, das vom Chris­tent­hum aus sich bis in die Po­li­tik ein­ge­schli­chen hat! Nie­mand hat heu­te mehr den Muth zu Son­der­rech­ten, zu Herr­schafts­rech­ten, zu ei­nem Ehr­furchts­ge­fühl vor sich und sei­nes Glei­chen, – zu ei­nem Pa­thos der Di­stanz … Uns­re Po­li­tik ist krank an die­sem Man­gel an Muth! – Der Ari­sto­kra­tis­mus der Ge­sin­nung wur­de durch die See­len-Gleich­heits-Lüge am un­ter­ir­dischs­ten un­ter­gra­ben; und wenn der Glau­be an das »Vor­recht der Meis­ten« Re­vo­lu­tio­nen macht und ma­chen wird, – das Chris­tent­hum ist es, man zweifle nicht dar­an, christ­li­che Wer­thurt­hei­le sind es, wel­che jede Re­vo­lu­ti­on bloß in Blut und Ver­bre­chen über­setzt! Das Chris­tent­hum ist ein Auf­stand al­les Am-Bo­den-Krie­chen­den ge­gen Das, was Höhe hat: das Evan­ge­li­um der »Nied­ri­gen« macht nied­rig…

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44.

– Die Evan­ge­li­en sind un­schätz­bar als Zeug­niß für die be­reits un­auf­halt­sa­me Cor­rup­ti­on in­ner­halb der ers­ten Ge­mein­de. Was Pau­lus spä­ter mit dem Lo­gi­ker-Cy­nis­mus ei­nes Rab­bi­ners zu Ende führ­te, war trotz­dem bloß der Ver­falls-Pro­ceß, der mit dem Tode des Er­lö­sers be­gann. – Die­se Evan­ge­li­en kann man nicht be­hut­sam ge­nug le­sen; sie ha­ben ihre Schwie­rig­kei­ten hin­ter je­dem Wort. Ich be­ken­ne, man wird es mir zu Gute hal­ten, daß sie eben­da­mit für einen Psy­cho­lo­gen ein Ver­gnü­gen ers­ten Ran­ges sind, – als Ge­gen­satz al­ler nai­ven Ver­derb­niß, als das Raf­fi­ne­ment par ex­cel­lence, als Künst­ler­schaft in der psy­cho­lo­gi­schen Ver­derb­niß. Die Evan­ge­li­en stehn für sich. Die Bi­bel über­haupt ver­trägt kei­nen Ver­gleich. Man ist un­ter Ju­den: ers­ter Ge­sichts­punkt, um hier nicht völ­lig den Fa­den zu ver­lie­ren. Die hier ge­ra­de­zu Ge­nie wer­den­de Selbst­ver­stel­lung in’s »Hei­li­ge«, un­ter Bü­chern und Men­schen nie an­nä­hernd sonst er­reicht, die­se Wort- und Ge­bär­den-Falsch­mün­ze­rei als Kunst ist nicht der Zu­fall ir­gend wel­cher Ein­zel-Be­ga­bung, ir­gend wel­cher Aus­nah­me-Na­tur. Hier­zu ge­hört Ras­se. Im Chris­tent­hum, als der Kunst, hei­lig zu lü­gen, kommt das gan­ze Ju­dent­hum, eine mehr­hun­dert­jäh­ri­ge jü­di­sche al­ler­ernst­haf­tes­te Vor­übung und Tech­nik zur letz­ten Meis­ter­schaft. Der Christ, die­se ul­ti­ma ra­tio der Lüge, ist der Jude noch ein­mal – drei Mal selbst… Der grund­sätz­li­che Wil­le, nur Be­grif­fe, Sym­bo­le, At­ti­tü­den an­zu­wen­den, wel­che aus der Pra­xis des Pries­ters be­wie­sen sind, die In­stinkt-Ab­leh­nung je­der and­ren Pra­xis, je­der and­ren Art Werth- und Nütz­lich­keits-Per­spek­ti­ve – das ist nicht nur Tra­di­ti­on, das ist Erb­schaft: nur als Erb­schaft wirkt es wie Na­tur. Die gan­ze Mensch­heit, die bes­ten Köp­fe der bes­ten Zei­ten so­gar (Ei­nen aus­ge­nom­men, der viel­leicht bloß ein Un­mensch ist –) ha­ben sich täu­schen las­sen. Man hat das Evan­ge­li­um als Buch der Un­schuld ge­le­sen… kein klei­ner Fin­ger­zeig da­für, mit wel­cher Meis­ter­schaft hier ge­schau­spie­lert wor­den ist. – Frei­lich: be­kämen wir sie zu se­hen, auch nur im Vor­über­gehn, alle die­se wun­der­li­chen Mu­cker und Kunst-Hei­li­gen, so wäre es am Ende, – und ge­nau des­halb, weil ich kei­ne Wor­te lese, ohne Ge­bär­den zu sehn, ma­che ich mit ih­nen ein En­de… Ich hal­te eine ge­wis­se Art, die Au­gen auf­zu­schla­gen, an ih­nen nicht aus. – Zum Glück sind Bü­cher für die Al­ler­meis­ten bloß Lit­te­ra­tur – – Man muß sich nicht ir­re­füh­ren las­sen: »rich­tet nicht!« sa­gen sie, aber sie schi­cken Al­les in die Höl­le, was ih­nen im Wege steht. In­dem sie Gott rich­ten las­sen, rich­ten sie sel­ber; in­dem sie Gott ver­herr­li­chen, ver­herr­li­chen sie sich sel­ber; in­dem sie die Tu­gen­den for­dern, de­ren sie ge­ra­de fä­hig sind – mehr noch, die sie nö­thig ha­ben, um über­haupt oben zu blei­ben –, ge­ben sie sich den großen An­schein ei­nes Rin­gens um die Tu­gend, ei­nes Kamp­fes um die Herr­schaft der Tu­gend. »Wir le­ben, wir ster­ben, wir op­fern uns für das Gute« (– »die Wahr­heit«, »das Licht«, das »Reich Got­tes«): in Wahr­heit thun sie, was sie nicht las­sen kön­nen. In­dem sie nach Art von Duck­mäu­sern sich durch­drücken, im Win­kel sit­zen, im Schat­ten schat­ten­haft da­hin­le­ben, ma­chen sie sich eine Pf­licht dar­aus: als Pf­licht er­scheint ihr Le­ben der De­muth, als De­muth ist es ein Be­weis mehr für Fröm­mig­keit … Ah die­se de­müthi­ge, keu­sche, barm­her­zi­ge Art von Ver­lo­gen­heit! »Für uns soll die Tu­gend selbst Zeug­niß ab­le­gen« … Man lese die Evan­ge­li­en als Bü­cher der Ver­füh­rung mit Moral: die Moral wird von die­sen klei­nen Leu­ten mit Be­schlag be­legt, – sie wis­sen, was es auf sich hat mit der Moral! Die Mensch­heit wird am bes­ten ge­nas­führt mit der Moral! – Die Rea­li­tät ist, daß hier der be­wuß­tes­te Au­ser­wähl­ten-Dün­kel die Be­schei­den­heit spielt: man hat sich, die »Ge­mein­de«, die »Gu­ten und Ge­rech­ten« ein für alle Mal auf die Eine Sei­te ge­stellt, auf die »der Wahr­heit« – und den Rest, »die Welt«, auf die an­dre… Das war die ver­häng­niß­volls­te Art Grö­ßen­wahn, die bis­her auf Er­den da­ge­we­sen ist: klei­ne Miß­ge­bur­ten von Mu­ckern und Lüg­nern fien­gen an, die Be­grif­fe »Gott«, »Wahr­heit«, »Licht«, »Geist«, »Lie­be«, »Weis­heit«, »Le­ben« für sich in An­spruch zu neh­men, gleich­sam als Syn­ony­ma von sich, um da­mit die »Welt« ge­gen sich ab­zu­gren­zen, klei­ne Su­per­la­tiv-Ju­den, reif für jede Art Ir­ren­haus, dreh­ten die Wei­che über­haupt nach sich um, wie als ob erst »der Christ« der Sinn, das Salz, das Maaß, auch das letz­te Ge­richt vom gan­zen Rest wäre … Das gan­ze Ver­häng­niß wur­de da­durch al­lein er­mög­licht, daß schon eine ver­wand­te, ras­sen­ver­wand­te Art von Grö­ßen­wahn in der Welt war, der jü­di­sche: so­bald ein­mal die Kluft zwi­schen Ju­den und Ju­den­chris­ten sich auf­riß, blieb letz­te­ren gar kei­ne Wahl, als die­sel­ben Pro­ce­du­ren der Selbs­t­er­hal­tung, die der jü­di­sche In­stinkt an­rieth, ge­gen die Ju­den sel­ber an­zu­wen­den, wäh­rend die Ju­den sie bis­her bloß ge­gen al­les Nicht-Jü­di­sche an­ge­wen­det hat­ten. Der Christ ist nur ein Jude » freie­ren« Be­kennt­nis­ses. –

 

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45.

– Ich gebe ein paar Pro­ben von Dem, was sich die­se klei­nen Leu­te in den Kopf ge­setzt, was sie ih­rem Meis­ter in den Mund ge­legt ha­ben: lau­ter Be­kennt­nis­se »schö­ner See­len«. –

»Und wel­che euch nicht auf­neh­men noch hö­ren, da ge­het von dan­nen hin­aus und schüt­telt den Staub ab von eu­ren Fü­ßen, zu ei­nem Zeug­niß über sie. Ich sage euch: Wahr­lich, es wird So­dom und Go­mor­rha am jüngs­ten Ge­richt er­träg­li­cher er­gehn, denn sol­cher Stadt« (Mar­cus 6, 11). – Wie evan­ge­lisch! …

»Und wer der Klei­nen Ei­nen är­gert, die an mich glau­ben, dem wäre es bes­ser, daß ihm ein Mühl­stein an sei­nen Hals ge­hängt wür­de und er in das Meer ge­wor­fen wür­de« (Mar­cus 9, 42).– Wie evan­ge­lisch!…

»Är­gert dich dein Auge, so wirf es von dir. Es ist dir bes­ser, daß du ein­äu­gig in das Reich Got­tes ge­hest, denn daß du zwei Au­gen ha­best und wer­dest in das höl­li­sche Feu­er ge­wor­fen; da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feu­er nicht er­lischt« (Mar­cus 9, 47). – Es ist nicht ge­ra­de das Auge ge­meint…

»Wahr­lich, ich sage euch, es ste­hen Et­li­che hier, die wer­den den Tod nicht schme­cken, bis daß sie se­hen das Reich Got­tes mit Kraft kom­men« (Mar­cus 9,1). – Gut ge­lo­gen, Lö­we…

»Wer mir will nach­fol­gen, der ver­leug­ne sich selbst und neh­me sein Kreuz auf sich und fol­ge mir nach. Denn …« (An­mer­kung ei­nes Psy­cho­lo­gen. Die christ­li­che Moral wird durch ihre Denn’s wi­der­legt: ihre »Grün­de« wi­der­le­gen, – so ist es christ­lich.) Mar­cus 8, 34. –

»Rich­tet nicht, auf daß ihr nicht ge­rich­tet wer­det. Mit wel­cher­lei Maaß ihr mes­set, wird euch ge­mes­sen wer­den« (Mat­thä­us 7,1). – Wel­cher Be­griff von Ge­rech­tig­keit, von ei­nem »ge­rech­ten« Rich­ter!…

»Denn so ihr lie­bet, die euch lie­ben, was wer­det ihr für Lohn ha­ben? Thun nicht das­sel­be auch die Zöll­ner? Und so ihr nur zu eu­ren Brü­dern freund­lich thut, was thut ihr Son­der­li­ches? Thun nicht die Zöll­ner auch also?« (Mat­thä­us 5, 46.) – Prin­cip der »christ­li­chen Lie­be«: sie will zu­letzt gut be­zahlt sein…

»Wo ihr aber den Men­schen ihre Feh­ler nicht ver­ge­bet, so wird euch euer Va­ter eure Feh­ler auch nicht ver­ge­ben« (Mat­thä­us 6, 15). – Sehr com­pro­mit­ti­rend für den ge­nann­ten »Va­ter«…

»Trach­tet am ers­ten nach dem Rei­che Got­tes und nach sei­ner Ge­rech­tig­keit, so wird euch sol­ches Al­les zu­fal­len« (Mat­thä­us 6, 33). – Sol­ches Al­les: näm­lich Nah­rung, Klei­dung, die gan­ze No­th­durft des Le­bens. Ein Irr­thum, be­schei­den aus­ge­drück­t… Kurz vor­her er­scheint Gott als Schnei­der, we­nigs­tens in ge­wis­sen Fäl­len…

»Freu­et euch als­dann und hüp­fet: denn sie­he, euer Lohn ist groß im Him­mel. Des­glei­chen tha­ten ihre Vä­ter den Pro­phe­ten auch« (Lu­cas 6,23), – Un­ver­schäm­tes Ge­sin­del! Es ver­gleicht sich be­reits mit den Pro­phe­ten …

»Wis­set ihr nicht, daß ihr Got­tes Tem­pel seid und der Geist Got­tes in euch woh­net? So Je­mand den Tem­pel Got­tes ver­der­bet, den wird Gott ver­der­ben: denn der Tem­pel Got­tes ist hei­lig, der seid ihr« (Pau­lus 1. Ko­rin­ther 3,16). – Der­glei­chen kann man nicht ge­nug ver­ach­ten …

»Wis­set ihr nicht, daß die Hei­li­gen die Welt rich­ten wer­den? So denn nun die Welt soll von euch ge­rich­tet wer­den: seid ihr denn nicht gut ge­nug, ge­rin­ge­re Sa­chen zu rich­ten?« (Pau­lus 1. Ko­rin­ther 6,2.) – Lei­der nicht bloß die Rede ei­nes Ir­ren­häus­lers … Die­ser fürch­ter­li­che Be­trü­ger fährt wört­lich fort: »Wis­set ihr nicht, daß wir über die En­gel rich­ten wer­den? Wie viel mehr über die zeit­li­chen Gü­ter!« …

»Hat nicht Gott die Weis­heit die­ser Welt zur Thor­heit ge­macht? Denn die­weil die Welt durch ihre Weis­heit Gott in sei­ner Weis­heit nicht er­kann­te, ge­fiel es Gott wohl, durch thö­rich­te Pre­digt se­lig zu ma­chen Die, so dar­an glau­ben …; nicht viel Wei­se nach dem Fleisch, nicht viel Ge­wal­ti­ge, nicht viel Edle sind be­ru­fen. Son­dern was thö­richt ist vor der Welt, das hat Gott er­wäh­let, daß er die Wei­sen zu Schan­den ma­che; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott er­wäh­let, daß er zu Schan­den ma­che, was stark ist; und das Uned­le vor der Welt und das Ver­ach­te­te hat Gott er­wäh­let, und das da Nichts ist, daß er zu Nich­te ma­che, was Et­was ist. Auf daß sich vor ihm kein Fleisch rüh­me« (Pau­lus 1. Ko­rin­ther 1,20 ff.). – Um die­se Stel­le, ein Zeug­niß al­ler­ers­ten Ran­ges für die Psy­cho­lo­gie je­der Tschan­da­la-Moral, zu ver­stehn, lese man die ers­te Ab­hand­lung mei­ner Ge­nea­lo­gie der Moral: in ihr wur­de zum ers­ten Mal der Ge­gen­satz ei­ner vor­neh­men und ei­ner aus res­sen­ti­ment und ohn­mäch­ti­ger Ra­che ge­bor­nen Tschan­da­la-Moral an’s Licht ge­stellt. Pau­lus war der größ­te al­ler Apos­tel der Ra­che …

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46.

– Was folgt dar­aus? Daß man gut thut, Hand­schu­he an­zu­ziehn, wenn man das neue Te­sta­ment liest. Die Nähe von so viel Un­rein­lich­keit zwingt bei­na­he dazu. Wir wür­den uns »ers­te Chris­ten« so we­nig wie pol­ni­sche Ju­den zum Um­gang wäh­len: nicht daß man ge­gen sie auch nur einen Ein­wand nö­thig hät­te … Sie rie­chen bei­de nicht gut. – Ich habe ver­ge­bens im neu­en Te­sta­men­te auch nur nach Ei­nem sym­pa­thi­schen Zuge aus­ge­späht; Nichts ist dar­in, was frei, gü­tig, of­fen­her­zig, recht­schaf­fen wäre. Die Men­sch­lich­keit hat hier noch nicht ih­ren ers­ten An­fang ge­macht, – die In­stink­te der Rein­lich­keit feh­len … Es giebt nur schlech­te In­stink­te im neu­en Te­sta­ment, es giebt kei­nen Muth selbst zu die­sen schlech­ten In­stink­ten. Al­les ist Feig­heit, Al­les ist Au­gen-schlie­ßen und Selbst­be­trug dar­in. Je­des Buch wird rein­lich, wenn man eben das neue Te­sta­ment ge­le­sen hat: ich las, um ein Bei­spiel zu ge­ben, mit Ent­zücken un­mit­tel­bar nach Pau­lus je­nen an­muthigs­ten, über­müthigs­ten Spöt­ter Pe­tro­ni­us, von dem man sa­gen könn­te, was Do­me­ni­co Boc­cac­cio über Ce­sa­re Bor­gia an den Her­zog von Par­ma schrieb: »è tut­to fe­sto« – un­s­terb­lich ge­sund, un­s­terb­lich hei­ter und wohl­ge­rat­hen … Die­se klei­nen Mu­cker ver­rech­nen sich näm­lich in der Haupt­sa­che. Sie grei­fen an, aber Al­les, was von ih­nen an­ge­grif­fen wird, ist da­mit aus­ge­zeich­net. Wen ein »ers­ter Christ« an­greift, den be­su­delt er nicht … Um­ge­kehrt: es ist eine Ehre, »ers­te Chris­ten« ge­gen sich zu ha­ben. Man liest das neue Te­sta­ment nicht ohne eine Vor­lie­be für Das, was dar­in miß­han­delt wird, – nicht zu re­den von der »Weis­heit die­ser Welt«, wel­che ein fre­cher Wind­ma­cher »durch thö­rich­te Pre­digt« um­sonst zu Schan­den zu ma­chen sucht … Aber selbst die Pha­ri­sä­er und Schrift­ge­lehr­ten ha­ben ih­ren Vort­heil von ei­ner sol­chen Geg­ner­schaft: sie müs­sen schon et­was werth ge­we­sen sein, um auf eine so un­an­stän­di­ge Wei­se ge­haßt zu wer­den. Heu­che­lei – das wäre ein Vor­wurf, den »ers­te Chris­ten« ma­chen dürf­ten! – Zu­letzt wa­ren es die Pri­vi­le­gir­ten: dies ge­nügt, der Tschan­da­la-Haß braucht kei­ne Grün­de mehr. Der »ers­te Christ« – ich fürch­te, auch der »letz­te Christ«, den ich viel­leicht noch er­le­ben wer­de – ist Re­bell ge­gen al­les Pri­vi­le­gir­te aus un­ters­tem In­stink­te, – er lebt, er kämpft im­mer für » glei­che Rech­te« … Ge­nau­er zu­ge­sehn, hat er kei­ne Wahl. Will man, für sei­ne Per­son, ein »Au­ser­wähl­ter Got­tes« sein– oder ein »Tem­pel Got­tes«, oder ein »Rich­ter der En­gel« –, so ist je­des and­re Prin­cip der Aus­wahl, zum Bei­spiel nach Recht­schaf­fen­heit, nach Geist, nach Männ­lich­keit und Stolz, nach Schön­heit und Frei­heit des Her­zens, ein­fach »Welt«, – das Böse an sich … Moral: je­des Wort im Mun­de ei­nes »ers­ten Chris­ten« ist eine Lüge, jede Hand­lung, die er thut, eine In­stinkt-Falsch­heit, – alle sei­ne Wert­he, alle sei­ne Zie­le sind schäd­lich, aber wen er haßt, was er haßt, das hat Werth … Der Christ, der Pries­ter–Christ in Son­der­heit, ist ein Kri­te­ri­um für Wert­he – – Habe ich noch zu sa­gen, daß im gan­zen neu­en Te­sta­ment bloß eine ein­zi­ge Fi­gur vor­kommt, die man eh­ren muß? Pila­tus, der rö­mi­sche Statt­hal­ter. Ei­nen Ju­den­han­del ernst zu neh­men – dazu über­re­det er sich nicht. Ein Jude mehr oder we­ni­ger – was liegt dar­an? … Der vor­neh­me Hohn ei­nes Rö­mers, vor dem ein un­ver­schäm­ter Miß­brauch mit dem Wort »Wahr­heit« ge­trie­ben wird, hat das neue Te­sta­ment mit dem ein­zi­gen Wort be­rei­chert, das Werth hat, – das sei­ne Kri­tik, sei­ne Ver­nich­tung selbst ist: »was ist Wahr­heit!« …