Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Vom Freunde

»Ei­ner ist im­mer zu viel um mich« – also denkt der Ein­sied­ler. »Im­mer Ein­mal Eins – das giebt auf die Dau­er Zwei!«

Ich und Mich sind im­mer zu eif­rig im Ge­sprä­che: wie wäre es aus­zu­hal­ten, wenn es nicht einen Freund gäbe?

Im­mer ist für den Ein­sied­ler der Freund der Drit­te: der Drit­te ist der Kork, der ver­hin­dert, dass das Ge­spräch der Zweie in die Tie­fe sinkt.

Ach, es giebt zu vie­le Tie­fen für alle Ein­sied­ler. Da­rum seh­nen sie sich so nach ei­nem Freun­de und nach sei­ner Höhe.

Un­ser Glau­be an And­re ver­räth, worin wir ger­ne an uns sel­ber glau­ben möch­ten. Uns­re Sehn­sucht nach ei­nem Freun­de ist un­ser Ver­räther.

Und oft will man mit der Lie­be nur den Neid über­sprin­gen. Und oft greift man an und macht sich einen Feind, um zu ver­ber­gen, dass man an­greif­bar ist.

»Sei we­nigs­tens mein Feind!« – so spricht die wah­re Ehr­furcht, die nicht um Freund­schaft zu bit­ten wagt.

Will man einen Freund ha­ben, so muss man auch für ihn Krieg füh­ren wol­len: und um Krieg zu füh­ren, muss man Feind sein kön­nen.

Man soll in sei­nem Freun­de noch den Feind eh­ren. Kannst du an dei­nen Freund dicht her­an­tre­ten, ohne zu ihm über­zu­tre­ten?

In sei­nem Freun­de soll man sei­nen bes­ten Feind ha­ben. Du sollst ihm am nächs­ten mit dem Her­zen sein, wenn du ihm wi­der­strebst.

Du willst vor dei­nem Freun­de kein Kleid tra­gen? Es soll dei­nes Freun­des Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber wünscht dich dar­um zum Teu­fel!

Wer aus sich kein Hehl macht, em­pört: so sehr habt ihr Grund, die Nackt­heit zu fürch­ten! Ja, wenn ihr Göt­ter wä­ret, da dürf­tet ihr euch eu­rer Klei­der schä­men!

Du kannst dich für dei­nen Freund nicht schön ge­nug put­zen: denn du sollst ihm ein Pfeil und eine Sehn­sucht nach dem Über­menschen sein.

Sahst du dei­nen Freund schon schla­fen, – da­mit du er­fah­rest, wie er aus­sieht? Was ist doch sonst das Ge­sicht dei­nes Freun­des? Es ist dein eig­nes Ge­sicht, auf ei­nem rau­hen und un­voll­komm­nen Spie­gel.

Sahst du dei­nen Freund schon schla­fen? Er­schrakst du nicht, dass dein Freund so aus­sieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Et­was, das über­wun­den wer­den muss.

Im Er­rat­hen und Still­schwei­gen soll der Freund Meis­ter sein: nicht Al­les musst du sehn wol­len. Dein Traum soll dir ver­rat­hen, was dein Freund im Wa­chen thut.

Ein Er­rat­hen sei dein Mit­lei­den: dass du erst wis­sest, ob dein Freund Mit­lei­den wol­le. Vi­el­leicht liebt er an dir das un­ge­broch­ne Auge und den Blick der Ewig­keit.

Das Mit­lei­den mit dem Freun­de ber­ge sich un­ter ei­ner har­ten Scha­le, an ihm sollst du dir einen Zahn aus­beis­sen. So wird es sei­ne Fein­heit und Süs­se ha­ben.

Bist du rei­ne Luft und Ein­sam­keit und Brod und Arz­nei dei­nem Freun­de? Man­cher kann sei­ne eig­nen Ket­ten nicht lö­sen und doch ist er dem Freun­de ein Er­lö­ser.

Bist du ein Scla­ve? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein Ty­rann? So kannst du nicht Freun­de ha­ben.

All­zu­lan­ge war im Wei­be ein Scla­ve und ein Ty­rann ver­steckt. Dess­halb ist das Weib noch nicht der Freund­schaft fä­hig: es kennt nur die Lie­be.

In der Lie­be des Wei­bes ist Un­ge­rech­tig­keit und Blind­heit ge­gen Al­les, was es nicht liebt. Und auch in der wis­sen­den Lie­be des Wei­bes ist im­mer noch Über­fall und Blitz und Nacht ne­ben dem Lich­te.

Nodl ist das Weib nicht der Freund­schaft fä­hig: Kat­zen sind im­mer noch die Wei­ber, und Vö­gel. Oder, bes­ten Fal­les, Kühe.

Noch ist das Weib nicht der Freund­schaft fä­hig. Aber sagt mir, ihr Män­ner, wer von euch ist denn fä­hig der Freund­schaft?

Oh über eure Ar­muth, ihr Män­ner, und eu­ren Geiz der See­le! Wie viel ihr dem Freun­de gebt, das will ich noch mei­nem Fein­de ge­ben, und will auch nicht är­mer da­mit ge­wor­den sein.

Es giebt Ka­me­rad­schaft: möge es Freund­schaft ge­ben!

Also sprach Za­ra­thustra.

Von tausend und Einem Ziele

Vie­le Län­der sah Za­ra­thustra und vie­le Völ­ker: so ent­deck­te er vie­ler Völ­ker Gu­tes und Bö­ses. Kei­ne grös­se­re Macht fand Za­ra­thustra auf Er­den, als gut und böse.

Le­ben könn­te kein Volk, das nicht erst schätz­te; will es sich aber er­hal­ten, so darf es nicht schät­zen, wie der Nach­bar schätzt.

Vie­les, das die­sem Vol­ke gut hiess, hiess ei­nem an­dern Hohn und Schmach: also fand ich’s. Vie­les fand ich hier böse ge­nannt und dort mit pur­pur­nen Ehren ge­putzt.

Nie ver­stand ein Nach­bar den an­dern: stets ver­wun­der­te sich sei­ne See­le ob des Nach­barn Wahn und Bos­heit.

Eine Ta­fel der Gü­ter hängt über je­dem Vol­ke. Sie­he, es ist sei­ner Über­win­dun­gen Ta­fel; sie­he, es ist die Stim­me sei­nes Wil­lens zur Macht.

Löb­lich ist, was ihm schwer gilt; was un­er­läss­lich und schwer, heisst gut, und was aus der höchs­ten Noth noch be­freit, das Sel­te­ne, Schwers­te, – das preist es hei­lig.

Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, sei­nem Nach­barn zu Grau­en und Nei­de: das gilt ihm das Hohe, das Ers­te, das Mes­sen­de, der Sinn al­ler Din­ge.

Wahr­lich, mein Bru­der, er­kann­test du erst ei­nes Vol­kes Noth und Land und Him­mel und Nach­bar: so er­räthst du wohl das Ge­setz sei­ner Über­win­dun­gen und warum es auf die­ser Lei­ter zu sei­ner Hoff­nung steigt.

»Im­mer sollst du der Ers­te sein und den An­dern vor­ra­gen: Nie­man­den soll dei­ne ei­fer­süch­ti­ge See­le lie­ben, es sei denn den Freund« – diess mach­te ei­nem Grie­chen die See­le zit­tern: da­bei gieng er sei­nen Pfad der Grös­se.

»Wahr­heit re­den und gut mit Bo­gen und Pfeil ver­keh­ren« – so dünk­te es je­nem Vol­ke zu­gleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt – der Name, wel­cher mir zu­gleich lieb und schwer ist.

»Va­ter und Mut­ter eh­ren und bis in die Wur­zel der See­le hin­ein ih­nen zu Wil­len sein«: die­se Ta­fel der Über­win­dung häng­te ein andres Volk über sich auf und wur­de mäch­tig und ewig da­mit.

»Treue üben und um der Treue Wil­len Ehre und Blut auch an böse und fähr­li­che Sa­chen set­zen«: also sich leh­rend be­zwang sich ein an­de­res Volk, und also sich be­zwin­gend wur­de es schwan­ger und schwer von gros­sen Hoff­nun­gen.

Wahr­lich, die Men­schen ga­ben sich al­les ihr Gu­tes und Bö­ses. Wahr­lich, sie nah­men es nicht, sie fan­den es nicht, nicht fiel es ih­nen als Stim­me vom Him­mel.

Wert­he leg­te erst der Mensch in die Din­ge, sich zu er­hal­ten, – er schuf erst den Din­gen Sinn, einen Men­schen-Sinn! Da­rum nennt er sich »Mensch«, das ist: der Schät­zen­de.

Schät­zen ist Schaf­fen: hört es, ihr Schaf­fen­den! Schät­zen sel­ber ist al­ler ge­schätz­ten Din­ge Schatz und Klein­od.

Durch das Schät­zen erst giebt es Werth: und ohne das Schät­zen wäre die Nuss des Da­seins hohl. Hört es, ihr Schaf­fen­den!

Wan­del der Wert­he, – das ist Wan­del der Schaf­fen­den. Im­mer ver­nich­tet, wer ein Schöp­fer sein muss.

Schaf­fen­de wa­ren erst Völ­ker und spät erst Ein­zel­ne; wahr­lich, der Ein­zel­ne sel­ber ist noch die jüngs­te Schöp­fung.

Völ­ker häng­ten sich einst eine Ta­fel des Gu­ten über sich. Lie­be, die herr­schen will, und Lie­be, die ge­hor­chen will, er­schu­fen sich zu­sam­men sol­che Ta­feln.

Äl­ter ist an der He­er­de die Lust, als die Lust am Ich: und so lan­ge das gute Ge­wis­sen He­er­de heisst, sagt nur das schlech­te Ge­wis­sen: Ich.

Wahr­lich, das schlaue Ich, das lieb­lo­se, das sei­nen Nut­zen im Nut­zen Vie­ler will: das ist nicht der He­er­de Ur­sprung, son­dern ihr Un­ter­gang.

Lie­ben­de wa­ren es stets und Schaf­fen­de, die schu­fen Gut und Böse. Feu­er der Lie­be glüht in al­ler Tu­gen­den Na­men und Feu­er des Zorns.

Vie­le Län­der sah Za­ra­thustra und vie­le Völ­ker: kei­ne grös­se­re Macht fand Za­ra­thustra auf Er­den, als die Wer­ke der Lie­ben­den: »gut« und »böse« ist ihr Name.

Wahr­lich, ein Un­get­hüm ist die Macht die­ses Lo­bens und Ta­delns. Sagt, wer be­zwingt es mir, ihr Brü­der? Sagt, wer wirft die­sem Thier die Fes­sel über die tau­send Na­cken?

Tau­send Zie­le gab es bis­her, denn tau­send Völ­ker gab es. Nur die Fes­sel der tau­send Na­cken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Mensch­heit kein Ziel.

Aber sagt mir doch, mei­ne Brü­der: wenn der Mensch­heit das Ziel noch fehlt, fehlt da nicht auch – sie sel­ber noch? –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von der Nächstenliebe

Ihr drängt euch um den Nächs­ten und habt schö­ne Wor­te da­für. Aber ich sage euch: eure Nächs­ten­lie­be ist eure schlech­te Lie­be zu euch sel­ber.

Ihr flüch­tet zum Nächs­ten vor euch sel­ber und möch­tet euch dar­aus eine Tu­gend ma­chen: aber ich durch­schaue euer »Selbst­lo­ses«.

Das Du ist äl­ter als das Ich; das Du ist hei­lig ge­spro­chen, aber noch nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächs­ten.

Ra­the ich euch zur Nächs­ten­lie­be? Lie­ber noch rat­he ich euch zur Nächs­ten-Flucht und zur Ferns­ten-Lie­be!

Hö­her als die Lie­be zum Nächs­ten ist die Lie­be zum Ferns­ten und Künf­ti­gen; hö­her noch als die Lie­be zu Men­schen ist die Lie­be zu Sa­chen und Ge­s­pens­tern.

Diess Ge­s­penst, das vor dir her­läuft, mein Bru­der, ist schö­ner als du; warum giebst du ihm nicht dein Fleisch und dei­ne Kno­chen? Aber du fürch­test dich und läufst zu dei­nem Nächs­ten.

Ihr hal­tet es mit euch sel­ber nicht aus und liebt euch nicht ge­nug: nun wollt ihr den Nächs­ten zur Lie­be ver­füh­ren und euch mit sei­nem Irr­thum ver­gol­den.

 

Ich woll­te, ihr hiel­tet es nicht aus mit al­ler­lei Nächs­ten und de­ren Nach­barn; so müss­tet ihr aus euch sel­ber eu­ren Freund und sein über­wal­len­des Herz schaf­fen.

Ihr la­det euch einen Zeu­gen ein, wenn ihr von euch gut re­den wollt; und wenn ihr ihn ver­führt habt, gut von euch zu den­ken, denkt ihr sel­ber gut von euch.

Nicht nur Der lügt, wel­cher wi­der sein Wis­sen re­det, son­dern erst recht Der, wel­cher wi­der sein Nicht­wis­sen re­det. Und so re­det ihr von euch im Ver­keh­re und be­lügt mit euch den Nach­bar.

Also spricht der Narr: »der Um­gang mit Men­schen verdirbt den Cha­rak­ter, son­der­lich wenn man kei­nen hat.«

Der Eine geht zum Nächs­ten, weil er sich sucht, und der And­re, weil er sich ver­lie­ren möch­te. Eure schlech­te Lie­be zu euch sel­ber macht euch aus der Ein­sam­keit ein Ge­fäng­niss.

Die Fer­ne­ren sind es, wel­che eure Lie­be zum Nächs­ten be­zah­len; und schon wenn ihr zu fün­fen mit ein­an­der seid, muss im­mer ein sechs­ter ster­ben.

Ich lie­be auch eure Fes­te nicht: zu viel Schau­spie­ler fand ich da­bei, und auch die Zuschau­er ge­bär­de­ten sich oft gleich Schau­spie­lern.

Nicht den Nächs­ten leh­re ich euch, son­dern den Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und ein Vor­ge­fühl des Über­menschen.

Ich leh­re euch den Freund und sein über­vol­les Herz. Aber man muss ver­stehn, ein Schwamm zu sein, wenn man von über­vol­len Her­zen ge­liebt sein will.

Ich leh­re euch den Freund, in dem die Welt fer­tig da­steht, eine Scha­le des Gu­ten, – den schaf­fen­den Freund, der im­mer eine fer­ti­ge Welt zu ver­schen­ken hat.

Und wie ihm die Welt aus­ein­an­der roll­te, so rollt sie ihm wie­der in Rin­gen zu­sam­men, als das Wer­den des Gu­ten durch das Böse, als das Wer­den der Zwe­cke aus dem Zu­fal­le.

Die Zu­kunft und das Ferns­te sei dir die Ur­sa­che dei­nes Heu­te: in dei­nem Freun­de sollst du den Über­menschen als dei­ne Ur­sa­che lie­ben.

Mei­ne Brü­der, zur Nächs­ten­lie­be rat­he ich euch nicht: ich rat­he euch zur Ferns­ten-Lie­be.

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom Wege des Schaffenden

Willst du, mein Bru­der, in die Ver­ein­sa­mung ge­hen? Willst du den Weg zu dir sel­ber su­chen? Zau­de­re noch ein We­nig und höre mich.

»Wer sucht, der geht leicht sel­ber ver­lo­ren. Alle Ver­ein­sa­mung ist Schuld«: also spricht die He­er­de. Und du ge­hör­test lan­ge zur He­er­de.

Die Stim­me der He­er­de wird auch in dir noch tö­nen. Und wenn du sa­gen wirst »ich habe nicht mehr Ein Ge­wis­sen mit euch«, so wird es eine Kla­ge und ein Schmerz sein.

Sie­he, die­sen Schmerz sel­ber ge­bar noch das Eine Ge­wis­sen: und die­ses Ge­wis­sens letz­ter Schim­mer glüht noch auf dei­ner Trüb­sal.

Aber du willst den Weg dei­ner Trüb­sal ge­hen, wel­ches ist der Weg zu dir sel­ber? So zei­ge mir dein Recht und dei­ne Kraft dazu!

Bist du eine neue Kraft und ein neu­es Recht? Eine ers­te Be­we­gung? Ein aus sich rol­len­des Rad? Kannst du auch Ster­ne zwin­gen, dass sie um dich sich dre­hen?

Ach, es giebt so viel Lüs­tern­heit nach Höhe! Es giebt so viel Krämp­fe der Ehr­gei­zi­gen! Zei­ge mir, dass du kei­ner der Lüs­ter­nen und Ehr­gei­zi­gen bist!

Ach, es giebt so viel gros­se Ge­dan­ken, die thun nicht mehr als ein Bla­se­balg: sie bla­sen auf und ma­chen lee­rer.

Frei nennst du dich? Dei­nen herr­schen­den Ge­dan­ken will ich hö­ren und nicht, dass du ei­nem Jo­che ent­ron­nen bist.

Bist du ein Sol­cher, der ei­nem Jo­che ent­rin­nen durf­te ? Es giebt Man­chen, der sei­nen letz­ten Werth weg­warf, als er sei­ne Dienst­bar­keit weg­warf.

Frei wo­von? Was schiert das Za­ra­thustra! Hell aber soll mir dein Auge kün­den: frei wo­zu ?

Kannst du dir sel­ber dein Bö­ses und dein Gu­tes ge­ben und dei­nen Wil­len über dich auf­hän­gen wie ein Ge­setz? Kannst du dir sel­ber Rich­ter sein und Rä­cher dei­nes Ge­set­zes?

Furcht­bar ist das Al­lein­sein mit dem Rich­ter und Rä­cher des eig­nen Ge­set­zes. Also wird ein Stern hin­aus­ge­wor­fen in den öden Raum und in den ei­si­gen Athem des Al­lein­seins.

Heu­te noch lei­dest du an den Vie­len, du Ei­ner: heu­te noch hast du dei­nen Muth ganz und dei­ne Hoff­nun­gen.

Aber einst wird dich die Ein­sam­keit müde ma­chen, einst wird dein Stolz sich krüm­men und dein Muth knir­schen. Schrei­en wirst du einst »ich bin al­lein!«

Einst wirst du dein Ho­hes nicht mehr sehn und dein Nied­ri­ges all­zu­na­he; dein Er­hab­nes selbst wird dich fürch­ten ma­chen wie ein Ge­s­penst. Schrei­en wirst du einst: »Al­les ist falsch!«

Es giebt Ge­füh­le, die den Ein­sa­men töd­ten wol­len; ge­lingt es ih­nen nicht, nun, so müs­sen sie sel­ber ster­ben! Aber ver­magst du das, Mör­der zu sein?

Kennst du, mein Bru­der, schon das Wort »Ver­ach­tung«? Und die Qual dei­ner Ge­rech­tig­keit, Sol­chen ge­recht zu sein, die dich ver­ach­ten?

Du zwingst Vie­le, über dich um­zu­ler­nen; das rech­nen sie dir hart an. Du kamst ih­nen nahe und giengst doch vor­über: das ver­zei­hen sie dir nie­mals.

Du gehst über sie hin­aus: aber je hö­her du steigst, um so klei­ner sieht dich das Auge des Nei­des. Am meis­ten aber wird der Flie­gen­de ge­hasst.

»Wie woll­tet ihr ge­gen mich ge­recht sein! – musst du spre­chen – ich er­wäh­le mir eure Un­ge­rech­tig­keit als den mir zu­ge­mess­nen Theil.«

Un­ge­rech­tig­keit und Schmutz wer­fen sie nach dem Ein­sa­men: aber, mein Bru­der, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ih­nen dess­halb nicht we­ni­ger leuch­ten!

Und hüte dich vor den Gu­ten und Ge­rech­ten! Sie kreu­zi­gen ger­ne Die, wel­che sich ihre eig­ne Tu­gend er­fin­den, – sie has­sen den Ein­sa­men.

Hüte dich auch vor der hei­li­gen Ein­falt! Al­les ist ihr un­hei­lig, was nicht ein­fäl­tig ist; sie spielt auch ger­ne mit dem Feu­er – der Schei­ter­hau­fen.

Und hüte dich auch vor den An­fäl­len dei­ner Lie­be! Zu schnell streckt der Ein­sa­me Dem die Hand ent­ge­gen, der ihm be­geg­net.

Man­chem Men­schen darfst du nicht die Hand ge­ben, son­dern nur die Tat­ze: und ich will, dass dei­ne Tat­ze auch Kral­len habe.

Aber der schlimms­te Feind, dem du be­geg­nen kannst, wirst du im­mer dir sel­ber sein; du sel­ber lau­erst dir auf in Höh­len und Wäl­dern.

Ein­sa­mer, du gehst den Weg zu dir sel­ber! Und an dir sel­ber fuhrt dein Weg vor­bei und an dei­nen sie­ben Teu­feln!

Ket­zer wirst du dir sel­ber sein und Hexe und Wahr­sa­ger und Narr und Zweif­ler und Un­hei­li­ger und Bö­se­wicht.

Ver­bren­nen musst du dich wol­len in dei­ner eig­nen Flam­me: wie woll­test du neu wer­den, wenn du nicht erst Asche ge­wor­den bist!

Ein­sa­mer, du gehst den Weg des Schaf­fen­den: einen Gott willst du dir schaf­fen aus dei­nen sie­ben Teu­feln!

Ein­sa­mer, du gehst den Weg des Lie­ben­den: dich selbst liebst du und dess­halb ver­ach­test du dich, wie nur Lie­ben­de ver­ach­ten.

Schaf­fen will der Lie­ben­de, weil er ver­ach­tet! Was weiss Der von Lie­be, der nicht ge­ra­de ver­ach­ten muss­te, was er lieb­te!

Mit dei­ner Lie­be gehe in dei­ne Ver­ein­sa­mung und mit dei­nem Schaf­fen, mein Bru­der; und spät erst wird die Ge­rech­tig­keit dir nach­hin­ken.

Mit mei­nen Thrä­nen gehe in dei­ne Ver­ein­sa­mung, mein Bru­der. Ich lie­be Den, der über sich sel­ber hin­aus schaf­fen will und so zu Grun­de geht. –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von alten und jungen Weiblein

»Was schleichst du so scheu durch die Däm­me­rung, Za­ra­thustra? Und was birgst du be­hut­sam un­ter dei­nem Man­tel?

»Ist es ein Schatz, der dir ge­schenkt? Oder ein Kind, das dir ge­bo­ren wur­de? Oder gehst du jetzt sel­ber auf den We­gen der Die­be, du Freund der Bö­sen?« –

Wahr­lich, mein Bru­der! sprach Za­ra­thustra, es ist ein Schatz, der mir ge­schenkt wur­de: eine klei­ne Wahr­heit ist’s, die ich tra­ge.

Aber sie ist un­ge­bär­dig wie ein jun­ges Kind; und wenn ich ihr nicht den Mund hal­te, so schreit sie über­laut.

Als ich heu­te al­lein mei­nes We­ges gieng, zur Stun­de, wo die Son­ne sinkt, be­geg­ne­te mir ein al­tes Weib­lein und re­de­te also zu mei­ner See­le:

»Vie­les sprach Za­ra­thustra auch zu uns Wei­bern, doch nie sprach er uns über das Weib.«

Und ich ent­geg­ne­te ihr: »über das Weib soll man nur zu Män­nern re­den.«

»Rede auch zu mir vom Wei­be, sprach sie; ich bin alt ge­nug, um es gleich wie­der zu ver­ges­sen.«

Und ich will­fahr­te dem al­ten Weib­lein und sprach also zu ihm:

Al­les am Wei­be ist ein Räth­sel, und Al­les am Wei­be hat Eine Lö­sung: sie heisst Schwan­ger­schaft.

Der Mann ist für das Weib ein Mit­tel: der Zweck ist im­mer das Kind. Aber was ist das Weib für den Mann?

Zwei­er­lei will der äch­te Mann: Ge­fahr und Spiel. Dess­halb will er das Weib, als das ge­fähr­lichs­te Spiel­zeug.

Der Mann soll zum Krie­ge er­zo­gen wer­den und das Weib zur Er­ho­lung des Krie­gers: al­les And­re ist Thor­heit.

All­zu­süs­se Früch­te – die mag der Krie­ger nicht. Da­rum mag er das Weib; bit­ter ist auch noch das süs­ses­te Weib.

Bes­ser als ein Mann ver­steht das Weib die Kin­der, aber der Mann ist kind­li­cher als das Weib.

Im äch­ten Man­ne ist ein Kind ver­steckt: das will spie­len. Auf, ihr Frau­en, so ent­deckt mir doch das Kind im Man­ne!

Ein Spiel­zeug sei das Weib, rein und fein, dem Edel­stei­ne gleich, be­strahlt von den Tu­gen­den ei­ner Welt, wel­che noch nicht da ist.

Der Strahl ei­nes Ster­nes glän­ze in eu­rer Lie­be! Eure Hoff­nung heis­se: »möge ich den Über­menschen ge­bä­ren!«

In eu­rer Lie­be sei Tap­fer­keit! Mit eu­rer Lie­be sollt ihr auf Den los­gehn, der euch Furcht ein­flösst!

In eu­rer Lie­be sei eure Ehre! We­nig ver­steht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber diess sei eure Ehre, im­mer mehr zu lie­ben, als ihr ge­liebt wer­det, und nie die Zwei­ten zu sein.

Der Mann fürch­te sich vor dem Wei­be, wenn es liebt: da bringt es je­des Op­fer, und je­des and­re Ding gilt ihm ohne Werth.

Der Mann fürch­te sich vor dem Wei­be, wenn es hasst: denn der Mann ist im Grun­de der See­le nur böse, das Weib aber ist dort schlecht.

Wen hasst das Weib am meis­ten? – Also sprach das Ei­sen zum Ma­gne­ten: »ich has­se dich am meis­ten, weil du an­ziehst, aber nicht stark ge­nug bist, an dich zu zie­hen.«

Das Glück des Man­nes heisst: ich will. Das Glück des Wei­bes heisst: er will.

»Sie­he, jetzt eben ward die Welt voll­kom­men!« – also denkt ein je­des Weib, wenn es aus gan­zer Lie­be ge­horcht.

Und ge­hor­chen muss das Weib und eine Tie­fe fin­den zu sei­ner Ober­flä­che. Ober­flä­che ist des Wei­bes Ge­müth, eine be­weg­li­che stür­mi­sche Haut auf ei­nem seich­ten Ge­wäs­ser.

Des Man­nes Ge­müth aber ist tief, sein Strom rauscht in un­ter­ir­di­schen Höh­len: das Weib ahnt sei­ne Kraft, aber be­greift sie nicht. –

Da ent­geg­ne­te mir das alte Weib­lein: »Vie­les Ar­ti­ge sag­te Za­ra­thustra und son­der­lich für Die, wel­che jung ge­nug dazu sind.

»Selt­sam ist’s, Za­ra­thustra kennt we­nig die Wei­ber, und doch hat er über sie Recht! Ge­schieht diess dess­halb, weil beim Wei­be kein Ding un­mög­lich ist?

»Und nun nimm zum Dan­ke eine klei­ne Wahr­heit! Bin ich doch alt ge­nug für sie!

»Wick­le sie ein und hal­te ihr den Mund: sonst schreit sie über­laut, die­se klei­ne Wahr­heit.«

»Gieb mir, Weib, dei­ne klei­ne Wahr­heit!« sag­te ich. Und also sprach das alte Weib­lein:

»Du gehst zu Frau­en? Ver­giss die Peit­sche nicht!« –

Also sprach Za­ra­thustra.