Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Zweites Buch. Kritik der bisherigen höchsten Werthe.

I. Kritik der Religion.

All die Schön­heit und Er­ha­ben­heit, die wir den wirk­li­chen und ein­ge­bil­de­ten Din­gen ge­lie­hen ha­ben, will ich zu­rück­for­dern als Ei­gent­hum und Er­zeug­niß des Men­schen: als sei­ne schöns­te Apo­lo­gie. Der Mensch als Dich­ter, als Den­ker, als Gott, als Lie­be, als Macht: oh über sei­ne kö­nig­li­che Frei­ge­big­keit, mit der er die Din­ge be­schenkt hat, um sich zu ver­ar­men und sich elend zu füh­len! Das war bis­her sei­ne größ­te Selbst­lo­sig­keit, daß er be­wun­der­te und an­be­te­te und sich zu ver­ber­gen wuß­te, daß er es war, der Das ge­schaf­fen hat, was er be­wun­der­te. –

1. Zur Entstehung der Religionen

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135.

Vom Ur­sprung der Re­li­gion. – In der­sel­ben Wei­se, in der jetzt noch der un­ge­bil­de­te Mensch dar­an glaubt, der Zorn sei die Ur­sa­che da­von, daß er zürnt, der Geist da­von, daß er denkt, die See­le da­von, daß er fühlt, kurz, so wie auch jetzt noch un­be­denk­lich eine Mas­se von psy­cho­lo­gi­schen En­ti­tä­ten an­ge­setzt wird, wel­che Ur­sa­chen sein sol­len: so hat der Mensch auf ei­ner noch nai­ver­en Stu­fe eben die­sel­ben Er­schei­nun­gen mit Hül­fe von psy­cho­lo­gi­schen Per­so­nal-En­ti­tä­ten er­klärt. Die Zu­stän­de, die ihm fremd, hin­rei­ßend, über­wäl­ti­gend schie­nen, leg­te er sich als Ob­ses­si­on und Ver­zau­be­rung un­ter der Macht ei­ner Per­son zu­recht. (So führt der Christ, die heu­te am meis­ten nai­ve und zu­rück­ge­bil­de­te Art Mensch, die Hoff­nung, die Ruhe, das Ge­fühl der »Er­lö­sung« auf ein psy­cho­lo­gi­sches In­spir­i­ren Got­tes zu­rück: bei ihm, als ei­nem we­sent­lich lei­den­den und be­un­ru­hig­ten Ty­pus, er­schei­nen bil­li­ger­wei­se die Glücks-, Er­ge­bungs- und Ru­he­ge­füh­le als das Frem­de, als das der Er­klä­rung Be­dürf­ti­ge.) Un­ter klu­gen, star­ken und le­bens­vol­len Ras­sen er­regt am meis­ten der Epi­lep­ti­sche die Über­zeu­gung, daß hier eine frem­de Macht im Spie­le ist; aber auch jede ver­wand­te Un­frei­heit, z. B. die des Be­geis­ter­ten, des Dich­ters, des großen Ver­bre­chers, der Pas­sio­nen wie Lie­be und Ra­che dient zur Er­fin­dung von au­ßer­mensch­li­chen Mäch­ten. Man con­cre­s­cirt einen Zu­stand in eine Per­son: und be­haup­tet, die­ser Zu­stand, wenn er an uns auf­tritt, sei die Wir­kung je­ner Per­son. Mit an­dern Wor­ten: in der psy­cho­lo­gi­schen Gott­bil­dung wird ein Zu­stand, um Wir­kung zu sein, als Ur­sa­che per­so­ni­fi­cirt.

Die psy­cho­lo­gi­sche Lo­gik ist die: das Ge­fühl der Macht, wenn es plötz­lich und über­wäl­ti­gend den Men­schen über­zieht – und das ist in al­len großen Af­fek­ten der Fall –, er­regt ihm einen Zwei­fel an sei­ner Per­son: er wagt sich nicht als Ur­sa­che die­ses er­staun­li­chen Ge­fühls zu den­ken – und so setzt er eine stär­ke­re Per­son, eine Gott­heit für die­sen Fall an. In sum­ma: der Ur­sprung der Re­li­gi­on liegt in den ex­tre­men Ge­füh­len der Macht, wel­che, als frem­d, den Men­schen über­ra­schen: und dem Kran­ken gleich, der ein Glied zu schwer und selt­sam fühlt und zum Schlus­se kommt, daß ein an­de­rer Mensch über ihm lie­ge, legt sich der nai­ve ho­mo re­li­gio­sus in meh­re­re Per­so­nen aus­ein­an­der. Die Re­li­gi­on ist ein Fall der »al­téra­ti­on de la per­son­na­lité«. Eine Art Furcht- und Schreck­ge­fühl vor sich selbst … Aber eben­so ein au­ßer­or­dent­li­ches Glücks- und Hö­hen­ge­fühl… Un­ter Kran­ken ge­nügt das Ge­sund­heits­ge­fühl, um an Gott, an die Nähe Got­tes zu glau­ben.

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136.

Ru­di­men­tä­re Psy­cho­lo­gie des re­li­gi­ösen Men­schen: – Alle Ver­än­de­run­gen sind Wir­kun­gen: alle Wir­kun­gen sind Wil­lens-Wir­kun­gen (– der Be­griff »Na­tur«, »Na­tur­ge­setz« fehlt); zu al­len Wir­kun­gen ge­hört ein Thä­ter. Ru­di­men­tä­re Psy­cho­lo­gie: man ist sel­ber nur in dem Fal­le Ur­sa­che, wo man weiß, daß man ge­wollt hat.

Fol­ge: die Zu­stän­de der Macht im­pu­ti­ren dem Men­schen das Ge­fühl, nicht die Ur­sa­che zu sein, un­ver­ant­wort­lich da­für zu sein –: sie kom­men, ohne ge­wollt zu sein: folg­lich sind wir nicht die Ur­he­ber –: der un­freie Wil­le (d. h. das Be­wußt­sein ei­ner Ver­än­de­rung mit uns, ohne daß wir sie ge­wollt ha­ben) be­darf ei­nes frem­den Wil­lens.

Con­se­quenz: der Mensch hat alle sei­ne star­ken und er­staun­li­chen Mo­men­te nicht ge­wagt, sich zu­zu­rech­nen,– er hat sie als »pas­siv«, als »er­lit­ten«, als Über­wäl­ti­gun­gen con­ci­pirt –: die Re­li­gi­on ist eine Aus­ge­burt ei­nes Zwei­fels an der Ein­heit der Per­son, eine al­téra­tion der Per­sön­lich­keit –: in­so­fern al­les Gro­ße und Star­ke vom Men­schen als über­mensch­lich, als frem­d con­ci­pirt wur­de, ver­klei­ner­te sich der Mensch, – er leg­te die zwei Sei­ten, eine sehr er­bärm­li­che und schwa­che und eine sehr star­ke und er­staun­li­che in zwei Sphä­ren aus­ein­an­der, hieß die ers­te »Mensch«, die zwei­te »Gott«.

Er hat das im­mer fort­ge­setzt; er hat, in der Pe­ri­ode der mo­ra­li­schen Idio­syn­kra­sie sei­ne ho­hen und sub­li­men Moral-Zu­stän­de nicht als »ge­wollt«, als »Werk« der Per­son aus­ge­legt. Auch der Christ legt sei­ne Per­son in eine mes­qui­ne und schwa­che Fik­ti­on, die er Mensch nennt, und eine an­de­re, die er Gott (Er­lö­ser, Hei­land) nennt, aus­ein­an­der –

Die Re­li­gi­on hat den Be­griff »Mensch« er­nied­rigt; ihre ex­tre­me Con­se­quenz ist, daß al­les Gute, Gro­ße, Wah­re über­mensch­lich ist und nur durch eine Gna­de ge­schenkt …

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137.

Ein Weg, den Men­schen aus sei­ner Er­nied­ri­gung zu zie­hen, wel­che der Ab­gang der ho­hen und star­ken Zu­stän­de, wie als frem­der Zu­stän­de, mit sich brach­te, war die Ver­wandt­schafts-Theo­rie. Die­se ho­hen und star­ken Zu­stän­de konn­ten we­nigs­tens als Ein­wir­kun­gen uns­rer Vor­fah­ren aus­ge­legt wer­den, wir ge­hör­ten zu ein­an­der, so­li­da­risch, wir wach­sen in un­sern eig­nen Au­gen, in­dem wir nach uns be­kann­ter Norm han­deln.

Ver­such vor­neh­mer Fa­mi­li­en, die Re­li­gi­on mit ih­rem Selbst­ge­fühl aus­zu­glei­chen. – Das­sel­be thun die Dich­ter und Se­her; sie füh­len sich stolz, ge­wür­digt und au­ser­wähl­t zu sein zu sol­chem Ver­keh­re, – sie le­gen Werth dar­auf, als In­di­vi­du­en gar nicht in Be­tracht zu kom­men, blo­ße Mund­stücke zu sein (Ho­mer).

Schritt­wei­ses Be­sitz-er­grei­fen von sei­nen ho­hen und stol­zen Zu­stän­den, Be­sitz-er­grei­fen von sei­nen Hand­lun­gen und Wer­ken. Ehe­dem glaub­te man sich zu eh­ren, wenn man für die höchs­ten Din­ge, die man that, sich nicht ver­ant­wort­lich wuß­te, son­dern – Gott. Die Un­frei­heit des Wil­lens galt als Das, was ei­ner Hand­lung einen hö­he­ren Werth ver­lieh: da­mals war ein Gott zu ih­rem Ur­he­ber ge­macht.

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138.

Die Pries­ter sind die Schau­spie­ler von ir­gend et­was Über­mensch­li­chem, dem sie Sinn­fäl­lig­keit zu ge­ben ha­ben, sei es von Idea­len, sei es von Göt­tern oder von Hei­lan­den: dar­in fin­den sie ih­ren Be­ruf, da­für ha­ben sie ihre In­stink­te; um es so glaub­wür­dig wie mög­lich zu ma­chen, müs­sen sie in der An­ähn­li­chung so weit wie mög­lich ge­hen; ihre Schau­spie­ler-Klug­heit muß vor Al­lem das gute Ge­wis­sen bei ih­nen er­zie­len, mit Hül­fe des­sen erst wahr­haft über­re­det wer­den kann.

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139.

Der Pries­ter will durch­set­zen, daß er als höchs­ter Ty­pus des Men­schen gilt, daß er herrscht, – auch noch über Die, wel­che die Macht in den Hän­den ha­ben, daß er un­ver­letz­lich ist, un­an­greif­bar –, daß er die stärks­te Macht in der Ge­mein­de ist, ab­so­lut nicht zu er­set­zen und zu un­ter­schät­zen.

Mit­tel: er al­lein ist der Wis­sen­de; er al­lein ist der Tu­gend­haf­te; er al­lein hat die höchs­te Herr­schaft über sich; er al­lein ist in ei­nem ge­wis­sen Sin­ne Gott und geht zu­rück in die Gott­heit; er al­lein ist die Zwi­schen­per­son zwi­schen Gott und den An­dern; die Gott­heit straft je­den Nacht­heil, je­den Ge­dan­ken wi­der einen Pries­ter ge­rich­tet.

Mit­tel: die Wahr­heit existirt. Es giebt nur Eine Form, sie zu er­lan­gen: Pries­ter wer­den. Al­les, was gut ist, in der Ord­nung, in der Na­tur, in dem Her­kom­men, geht auf die Weis­heit der Pries­ter zu­rück. Das hei­li­ge Buch ist ihr Werk. Die gan­ze Na­tur ist nur eine Aus­füh­rung der Sat­zun­gen dar­in. Es giebt kei­ne an­de­re Quel­le des Gu­ten, als den Pries­ter. Alle an­de­re Art von Vor­treff­lich­keit ist rang­ver­schie­den von der des Pries­ters, z.B. die des Krie­ger­s.

C­on­se­quenz: wenn der Pries­ter der höchs­te Ty­pus sein soll, so muß die Gra­da­tion zu sei­nen Tu­gen­den die Wert­h­gra­da­ti­on der Men­schen aus­ma­chen. Das Stu­di­um, die Ent­sinn­li­chung, das Nicht-Ak­ti­ve, das Im­pas­si­ble, Af­fekt­lo­se, das Fei­er­li­che; – Ge­gen­satz: die tiefs­te Gat­tung Mensch.

Der Pries­ter hat Eine Art Moral ge­lehrt: um selbst als höchs­ter Ty­pus emp­fun­den zu wer­den. Er con­ci­pirt einen Ge­gen­satz-Ty­pus: den Tschan­da­la. Die­sen mit al­len Mit­teln ver­ächt­lich zu ma­chen giebt die Fo­lie ab für die Kas­ten-Ord­nung. – Die ex­tre­me Angst des Pries­ters vor der Sinn­lich­keit ist zu­gleich be­dingt durch die Ein­sicht, daß hier die Kas­ten-Ord­nung (das heißt die Ord­nung über­haupt) am schlimms­ten be­droht ist… Jede »freie­re Ten­denz« in punc­to punc­ti wirft die Ehe­ge­setz­ge­bung über den Hau­fen

 

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140.

Der Phi­lo­so­ph als Wei­ter-Ent­wick­lung des pries­ter­li­chen Ty­pus: – hat des­sen Erb­schaft im Lei­be; – ist, selbst noch als Ri­val, ge­nö­thigt, um Das­sel­be mit den­sel­ben Mit­teln zu rin­gen wie der Pries­ter sei­ner Zeit; – er aspir­irt zur höchs­ten Au­to­ri­tät.

Was giebt Au­to­ri­tät, wenn man nicht die phy­si­sche Macht in den Hän­den hat (kei­ne Hee­re, kei­ne Waf­fen über­haup­t…)? Wie ge­winnt man na­ment­lich die Au­to­ri­tät über Die, wel­che die phy­si­sche Ge­walt und die Au­to­ri­tät be­sit­zen? (sie con­curr­i­ren mit der Ehr­furcht vor dem Fürs­ten, vor dem sieg­rei­chen Ero­be­rer, dem wei­sen Staats­mann.)

Nur in­dem sie den Glau­ben er­we­cken, eine hö­he­re stär­ke­re Ge­walt in den Hän­den zu ha­ben, – Got­t –. Es ist Nichts stark ge­nug: man hat die Ver­mitt­lung und die Diens­te der Pries­ter nö­thig. Sie stel­len sich als un­ent­behr­lich da­zwi­schen: sie ha­ben als Exis­tenz­be­din­gung nö­thig, 1) daß an die ab­so­lu­te Über­le­gen­heit ih­res Got­tes, daß an ih­ren Got­t ge­glaubt wird, 2) daß es kei­ne an­dern, kei­ne di­rek­ten Zu­gän­ge zu Gott giebt. Die zwei­te For­de­rung al­lein schafft den Be­griff der »He­te­ro­do­xie«; die ers­te den des »Ungläu­bi­gen« (d. h. der an einen an­dern Gott glaubt –).

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141.

Kri­tik der hei­li­gen Lü­ge. – Daß zu from­men Zwe­cken die Lüge er­laubt ist, das ge­hört zur Theo­rie al­ler Pries­ter­schaf­ten, – wie weit es zu ih­rer Pra­xis ge­hört, soll der Ge­gen­stand die­ser Un­ter­su­chung sein.

Aber auch die Phi­lo­so­phen, so­bald sie mit pries­ter­li­chen Hin­ter­ab­sich­ten die Lei­tung der Men­schen in die Hand zu neh­men be­ab­sich­ti­gen, ha­ben so­fort auch sich ein Recht zur Lüge zu­recht ge­macht: Pla­to vor­an. Am groß­ar­tigs­ten ist die dop­pel­te durch die ty­pisch-ari­schen Phi­lo­so­phen des Ve­dân­ta ent­wi­ckel­te: zwei Sys­te­me, in al­len Haupt­punk­ten wi­der­sprüch­lich, aber aus Er­zie­hungs­zwe­cken sich ab­lö­send, aus­fül­lend, er­gän­zend. Die Lüge des einen soll einen Zu­stand schaf­fen, in dem die Wahr­heit des an­dern erst hör­bar wird …

Wie weit geht die from­me Lüge der Pries­ter und der Phi­lo­so­phen? – Man muß hier fra­gen, wel­che Voraus­set­zun­gen zur Er­zie­hung sie ha­ben, wel­che Dog­men sie er­fin­den müs­sen, um die­sen Voraus­set­zun­gen ge­nug zu thun?

Ers­tens: sie müs­sen die Macht, die Au­to­ri­tät, die un­be­ding­te Glaub­wür­dig­keit auf ih­rer Sei­te ha­ben.

Zwei­tens: sie müs­sen den gan­zen Na­tur­ver­lauf in Hän­den ha­ben, so­daß Al­les, was den Ein­zel­nen trifft, als be­dingt durch ihr Ge­setz er­scheint.

Drit­tens: sie müs­sen auch einen wei­ter rei­chen­den Macht­be­reich ha­ben, des­sen Con­tro­le sich den Bli­cken ih­rer Un­ter­wor­fe­nen ent­zieht: das Straf­maaß für das Jen­seits, das »Nach-dem-Tode«, – wie bil­lig auch die Mit­tel, zur Se­lig­keit den Weg zu wis­sen.

– Sie ha­ben den Be­griff des na­tür­li­chen Ver­laufs zu ent­fer­nen: da sie aber klu­ge und nach­denk­li­che Leu­te sind, so kön­nen sie eine Men­ge Wir­kun­gen ver­spre­chen, na­tür­lich als be­dingt durch Ge­be­te oder durch strik­te Be­fol­gung ih­res Ge­set­zes. – Sie kön­nen ins­glei­chen eine Men­ge Din­ge ver­ord­nen, die ab­so­lut ver­nünf­tig sind, – nur daß sie nicht die Er­fah­rung, die Em­pi­rie als Quel­le die­ser Weis­heit nen­nen dür­fen, son­dern eine Of­fen­ba­rung oder die Fol­ge »här­tes­ter Buß­übun­gen«.

Die hei­li­ge Lü­ge be­zieht sich also prin­ci­pi­ell: auf den Zweck der Hand­lung (– der Na­tur­zweck, die Ver­nunft wird un­sicht­bar ge­macht: ein Moral-Zweck, eine Ge­set­ze­s­er­fül­lung, eine Got­tes­dienst­lich­keit er­scheint als Zweck –): auf die Fol­ge der Hand­lung (– die na­tür­li­che Fol­ge wird als über­na­tür­li­che aus­ge­legt, und, um sich­rer zu wir­ken, es wer­den un­con­tro­lir­ba­re and­re, über­na­tür­li­che Fol­gen in Aus­sicht ge­stellt).

Auf die­se Wei­se wird ein Be­griff von Gut und Bö­se ge­schaf­fen, der ganz und gar los­ge­löst von dem Na­tur­be­griff »nütz­lich«, »schäd­lich«, »le­ben­för­dernd«, »le­ben­ver­min­dernd« er­scheint, – er kann, in­so­fern ein an­de­res Le­ben er­dacht ist, so­gar di­rekt feind­se­lig dem Na­tur­be­griff von Gut und Böse wer­den.

Auf die­se Wei­se wird end­lich das be­rühm­te »Ge­wis­sen« ge­schaf­fen: eine in­ne­re Stim­me, wel­che bei je­der Hand­lung nicht den Werth der Hand­lung an ih­ren Fol­gen mißt, son­dern in Hin­sicht auf die Ab­sicht und Con­for­mi­tät die­ser Ab­sicht mit dem »Ge­setz«.

Die hei­li­ge Lüge hat also 1) einen stra­fen­den und be­loh­nen­den Got­t er­fun­den, der ex­akt das Ge­setz­buch der Pries­ter an­er­kennt und ex­akt sie als sei­ne Mund­stücke und Be­voll­mäch­tig­ten in die Welt schickt; – 2) ein Jen­seits des Le­bens, in dem die große Straf-Ma­schi­ne erst wirk­sam ge­dacht wird, – zu die­sem Zwe­cke die Uns­terb­lich­keit der See­le; – 3) das Ge­wis­sen im Men­schen, als das Be­wußt­sein da­von, daß Gut und Böse fest­steht, – daß Gott selbst hier re­det, wenn es die Con­for­mi­tät mit der pries­ter­li­chen Vor­schrift an­räth; – 4) die Moral als Leug­nung al­les na­tür­li­chen Ver­laufs, als Re­duk­ti­on al­les Ge­sche­hens auf ein mo­ra­lisch-be­ding­tes Ge­sche­hen, die Moral­wir­kung (d.h. die Straf- und Lohn-Idee) als die Welt durch­drin­gend, als ein­zi­ge Ge­walt, als crea­tor von al­lem Wech­sel; – 5) die Wahr­heit als ge­ge­ben, als geof­fen­bart, als zu­sam­men­fal­lend mit der Leh­re der Pries­ter: als Be­din­gung al­les Heils und Glücks in die­sem und je­nem Le­ben.

In sum­ma: wo­mit ist die mo­ra­li­sche Bes­se­rung be­zahlt? – Aus­hän­gung der Ver­nunft, Re­duk­ti­on al­ler Mo­ti­ve auf Furcht und Hoff­nung (Stra­fe und Lohn); Ab­hän­gig­keit von ei­ner pries­ter­li­chen Vor­mund­schaft, von ei­ner For­ma­li­en-Ge­nau­ig­keit, wel­che den An­spruch macht, einen gött­li­chen Wil­len aus­zu­drücken; die Ein­pflan­zung ei­nes »Ge­wis­sens«, wel­ches ein falsches Wis­sen an Stel­le der Prü­fung und des Ver­suchs setzt: wie als ob es be­reits fest­stün­de, was zu thun und was zu las­sen wäre, – eine Art Ca­stra­ti­on des su­chen­den und vor­wärts­s­tre­ben­den Geis­tes; – in sum­ma: die ärgs­te Ver­stüm­me­lung des Men­schen, die man sich vor­stel­len kann, an­geb­lich als der »gute Mensch«.

In pra­xi ist die gan­ze Ver­nunft, die gan­ze Erb­schaft von Klug­heit, Fein­heit, Vor­sicht, wel­che die Voraus­set­zung des pries­ter­li­chen Ka­n­ons ist, will­kür­lich hin­ter­drein auf eine blo­ße Mecha­ni­k re­du­cirt: die Con­for­mi­tät mit dem Ge­setz gilt be­reits als Ziel, als obers­tes Ziel, das Le­ben hat kei­ne Pro­ble­me mehr; – die gan­ze Welt-Con­cep­ti­on ist be­schmutzt mit der Stra­fi­de­e; – das Le­ben selbst ist, mit Hin­sicht dar­auf, das pries­ter­li­che Le­ben als das non plus ul­tra der Voll­kom­men­heit dar­zu­stel­len, in eine Ver­leum­dung und Be­schmut­zung des Le­bens um­ge­dacht; – der Be­griff »Gott« stellt eine Ab­kehr vom Le­ben, eine Kri­tik, eine Ver­ach­tung selbst des Le­bens dar; – die Wahr­heit ist um­ge­dacht als die pries­ter­li­che Lüge, das Stre­ben nach Wahr­heit als Stu­di­um der Schrift, als Mit­tel, Theo­log zu wer­den

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142.

Zur Kri­tik des Manu-Ge­setz­bu­ches. – Das gan­ze Buch ruht auf der hei­li­gen Lüge. Ist es das Wohl der Mensch­heit, wel­ches die­ses gan­ze Sys­tem in­spir­irt hat? Die­se Art Mensch, wel­che an die In­ter­es­sirt­heit je­der Hand­lung glaubt, war sie in­ter­es­sirt oder nicht, die­ses Sys­tem durch­zu­set­zen? Die Mensch­heit zu ver­bes­sern – wo­her ist die­se Ab­sicht in­spir­irt? Wo­her ist der Be­griff des Bes­sern ge­nom­men?

Wir fin­den eine Art Mensch, die pries­ter­li­che, die sich als Norm, als Spit­ze, als höchs­ten Aus­druck des Ty­pus Mensch fühlt: von sich aus nimmt sie den Be­griff des »Bes­sern«. Sie glaubt an ihre Über­le­gen­heit, sie will sie auch in der That: die Ur­sa­che der hei­li­gen Lüge ist der Wil­le zur Macht

Auf­rich­tung der Herr­schaft: zu die­sem Zwe­cke die Herr­schaft von Be­grif­fen, wel­che in der Pries­ter­schaft ein non plus ul­tra von Macht an­set­zen. Die Macht durch die Lüge – in Ein­sicht dar­über, daß man sie nicht phy­sisch, mi­li­tä­risch be­sitz­t… Die Lüge als Supp­le­ment der Macht, – ein neu­er Be­griff der »Wahr­heit«. Man irrt sich, wenn man hier un­be­wuß­te und nai­ve Ent­wick­lung vor­aus­setzt, eine Art Selbst­be­trug … Die Fa­na­ti­ker sind nicht die Er­fin­der sol­cher durch­dach­ten Sys­te­me der Un­ter­drückung … Hier hat die kalt­blü­tigs­te Be­son­nen­heit ge­ar­bei­tet; die­sel­be Art Be­son­nen­heit, wie sie ein Pla­to hat­te, als er sich sei­nen »Staat« aus­dach­te. – »Man muß die Mit­tel wol­len, wenn man das Ziel will« – über die­se Po­li­ti­ker-Ein­sicht wa­ren alle Ge­setz­ge­ber bei sich klar.

Wir ha­ben das clas­si­sche Mus­ter als spe­ci­fisch a­risch: wir dür­fen also die best­aus­ge­stat­te­te und be­son­nens­te Art Mensch ver­ant­wort­lich ma­chen für die grund­sätz­lichs­te Lüge, die je ge­macht wor­den ist … Man hat das nach­ge­macht, über­all bei­na­he: der a­ri­sche Ein­fluß hat alle Welt ver­dor­ben …

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143.

Man re­det heu­te viel von dem se­mi­ti­schen Geist des neu­en Te­sta­ments: aber was man so nennt, ist bloß pries­ter­lich, – und im ari­schen Ge­setz­buch reins­ter Ras­se, im Manu, ist die­se Art »Se­mi­tis­mus«, d.h. Pries­ter-Geist, schlim­mer als ir­gend­wo.

Die Ent­wick­lung des jü­di­schen Pries­ter­staa­tes ist nicht ori­gi­nal: sie ha­ben das Sche­ma in Ba­by­lon ken­nen ge­lernt: das Sche­ma ist arisch. Wenn das­sel­be spä­ter wie­der, un­ter dem Über­ge­wicht des ger­ma­ni­schen Blu­tes, in Eu­ro­pa do­mi­nir­te, so war dies dem Geis­te der herr­schen­den Ras­se ge­mäß: ein großer Ata­vis­mus. Das ger­ma­ni­sche Mit­tel­al­ter war auf Wie­der­her­stel­lung der a­ri­schen Kas­ten-Ord­nung aus.

Der Mu­ham­me­da­nis­mus hat wie­der­um vom Chris­tent­hum ge­lernt: die Be­nut­zung des »Jen­seits« als Straf-Or­gan.

Das Sche­ma ei­nes un­ver­än­der­li­chen Ge­mein­we­sens, mit Pries­tern an der Spit­ze– die­ses äl­tes­te, große Cul­tur-Pro­dukt Asi­ens im Ge­bie­te der Or­ga­ni­sa­ti­on – muß na­tür­lich in je­der Be­zie­hung zum Nach­den­ken und Nach­ma­chen auf­ge­for­dert ha­ben. – Noch Pla­to: aber vor Al­len die Ägyp­ter.

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144.

Die Mora­len und Re­li­gio­nen sind die Haupt­mit­tel, mit de­nen man aus dem Men­schen ge­stal­ten kann, was Ei­nem be­liebt: vor­aus­ge­setzt, daß man einen Über­schuß von schaf­fen­den Kräf­ten hat und sei­nen Wil­len über lan­ge Zeiträu­me durch­set­zen kann.

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145.

Wie eine Ja-sa­gen­de ari­sche Re­li­gi­on, die Aus­ge­burt der herr­schen­den Klas­se, aus­sieht: das Ge­setz­buch Ma­nu’s. (Die Ver­gött­li­chung des Macht­ge­fühls im Brah­ma­nen: in­ter­essant, daß es in der Krie­ger-Kas­te ent­stan­den und erst über­ge­gan­gen ist auf die Pries­ter.)

Wie eine Ja-sa­gen­de se­mi­ti­sche Re­li­gi­on, die Aus­ge­burt der herr­schen­den Klas­se, aus­sieht: das Ge­setz­buch Mu­ham­me­d’s, das alte Te­sta­ment in den äl­te­ren Thei­len. (Der Mu­ham­me­da­nis­mus, als eine Re­li­gi­on für Män­ner, hat eine tie­fe Ver­ach­tung für die Sen­ti­men­ta­li­tät und Ver­lo­gen­heit des Chris­tent­hums… ei­ner Weibs-Re­li­gi­on, als wel­che er sie fühlt –.)

Wie eine Nein-sa­gen­de se­mi­ti­sche Re­li­gi­on, die Aus­ge­burt der un­ter­drück­ten Klas­se, aus­sieht: das neue Te­sta­ment (– nach in­disch-ari­schen Be­grif­fen: eine Tschan­da­la-Re­li­gion). Wie eine Nein-sa­gen­de ari­sche Re­li­gi­on aus­sieht, ge­wach­sen un­ter den herr­schen­den Stän­den: der Bud­dhis­mus.

Es ist voll­kom­men in Ord­nung, daß wir kei­ne Re­li­gi­on un­ter­drück­ter ari­scher Ras­sen ha­ben: denn das ist ein Wi­der­spruch: eine Her­ren­ras­se ist oben­auf oder geht zu Grun­de.

 

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146.

An sich hat eine Re­li­gi­on Nichts mit der Moral zu thun: aber die bei­den Ab­kömm­lin­ge der jü­di­schen Re­li­gi­on sind bei­de we­sent­lich mo­ra­li­sche Re­li­gio­nen, – sol­che, die Vor­schrif­ten dar­über ge­ben, wie ge­lebt wer­den soll, und mit Lohn und Stra­fe ih­ren For­de­run­gen Ge­hör schaf­fen.

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147.

Heid­nisch – christ­lich. – Heid­nisch ist das Ja­sa­gen zum Na­tür­li­chen, das Un­schulds­ge­fühl im Na­tür­li­chen, »die Na­tür­lich­keit«. Christ­lich ist das Nein­sa­gen, zum Na­tür­li­chen, das Un­wür­dig­keits-Ge­fühl im Na­tür­li­chen, die Wi­der­na­tür­lich­keit.

»Un­schul­dig« ist z.B. Pe­tro­ni­us: ein Christ hat im Ver­gleich mit die­sem Glück­li­chen ein für alle Mal die Un­schuld ver­lo­ren. Da aber zu­letzt auch der christ­li­che sta­tus bloß ein Na­tur­zu­stand sein muß, sich aber nicht als sol­chen be­grei­fen darf, so be­deu­tet »christ­lich« eine zum Prin­cip er­ho­be­ne Falsch­mün­ze­rei der psy­cho­lo­gi­schen In­ter­pre­ta­tion..

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148.

Der christ­li­che Pries­ter ist von An­fang an der Tod­feind der Sinn­lich­keit: man kann sich kei­nen grö­ße­ren Ge­gen­satz den­ken, als die un­schul­dig-ah­nungs­vol­le und fei­er­li­che Hal­tung, mit der z. B. in den ehr­wür­digs­ten Frau­en­cul­ten Athens die Ge­gen­wart der ge­schlecht­li­chen Sym­bo­le emp­fun­den wur­de. Der Akt der Zeu­gung ist das Ge­heim­niß an sich in al­len nicht-as­ke­ti­schen Re­li­gio­nen: eine Art Sym­bol der Vollen­dung und der ge­heim­niß­vol­len Ab­sicht der Zu­kunft: der Wie­der­ge­burt, Uns­terb­lich­keit.

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149.

Der Glau­be an uns ist die stärks­te Fes­sel und der höchs­te Peit­schen­schlag – und der stärks­te Flü­gel. Das Chris­tent­hum hät­te die Un­schuld des Men­schen als Glau­bens­ar­ti­kel auf­stel­len sol­len – die Men­schen wä­ren Göt­ter ge­wor­den: da­mals konn­te man noch glau­ben.

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150.

Die große Lü­ge in der His­to­rie: als ob es die Ver­derb­niß des Hei­dent­hums ge­we­sen wäre, die dem Chris­tent­hum die Bahn ge­macht habe! Aber es war die Schwä­chung und Ver­mo­ra­li­si­rung des an­ti­ken Men­schen! Die Um­deu­tung der Na­tur­trie­be in Las­ter war schon vor­her­ge­gan­gen!

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151.

Die Re­li­gio­nen ge­hen am Glau­ben an die Moral zu Grun­de. Der christ­lich-mo­ra­li­sche Gott ist nicht halt­bar: folg­lich »Athe­is­mus« – wie als ob es kei­ne an­de­re Art Göt­ter ge­ben kön­ne.

Des­glei­chen geht die Cul­tur am Glau­ben an die Moral zu Grun­de. Denn wenn die nothwen­di­gen Be­din­gun­gen ent­deckt sind, aus de­nen al­lein sie wächst, so will man sie nicht mehr (Bud­dhis­mus).

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152.

Phy­sio­lo­gie der ni­hi­lis­ti­schen Re­li­gio­nen. – Die ni­hi­lis­ti­schen Re­li­gio­nen al­le­sammt: sys­te­ma­ti­sir­te Krank­heits-Ge­schich­ten un­ter ei­ner re­li­gi­ös-mo­ra­li­schen No­men­kla­tur.

In den heid­nischen Cul­ten ist es der große Jah­res­kreis­lauf, um des­sen Aus­deu­tung sich der Cul­tus dreht. Im christ­li­chen Cul­tus ein Kreis­lauf pa­ra­ly­ti­scher Phä­no­me­ne, um die sich der Cul­tus dreht…

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153.

Die­se ni­hi­lis­ti­sche Re­li­gi­on sucht sich die dé­ca­dence-Ele­men­te und Ver­wand­tes im Al­ter­thum zu­sam­men; näm­lich:

a) die Par­tei der Schwa­chen und Miß­rat­he­nen (den Aus­schuß der an­ti­ken Welt: Das, was sie am kräf­tigs­ten von sich stieß …);

b) die Par­tei der Ver­mo­ra­li­sir­ten und An­ti­heid­nischen;

c) die Par­tei der Po­li­tisch-Er­mü­de­ten und In­dif­fe­ren­ten (bla­sir­te Rö­mer …), der Ent­na­tio­na­li­sir­ten, de­nen eine Lee­re ge­blie­ben war;

d) die Par­tei De­rer, die sich satt ha­ben, – die gern an ei­ner un­ter­ir­di­schen Ver­schwö­rung mit­ar­bei­ten –

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154.

Bud­dha ge­gen den »Ge­kreu­zig­ten«. – In­ner­halb der ni­hi­lis­ti­schen Re­li­gio­nen darf man im­mer noch die christ­li­che und die bud­dhis­ti­sche scharf aus­ein­an­der­hal­ten. Die bud­dhis­ti­sche drückt einen schö­nen Aben­d aus, eine vollen­de­te Sü­ßig­keit und Mil­de, – es ist Dank­bar­keit ge­gen Al­les, was hin­ten liegt; mit ein­ge­rech­net, was fehlt: die Bit­ter­keit, die Ent­täu­schung, die Ran­cu­ne; zu­letzt: die hohe geis­ti­ge Lie­be; das Raf­fi­ne­ment des phi­lo­so­phi­schen Wi­der­spruchs ist hin­ter ihm, auch da­von ruht es aus: aber von die­sem hat es noch sei­ne geis­ti­ge Glo­rie und Son­nen­un­ter­gangs-Gluth. (– Her­kunft aus den obers­ten Kas­ten –.)

Die christ­li­che Be­we­gung ist eine De­ge­ne­re­scenz-Be­we­gung aus Ab­falls- und Aus­schuß-Ele­men­ten al­ler Art: sie drückt nicht den Nie­der­gang ei­ner Ras­se aus, sie ist von An­fang an eine Ag­gre­gat-Bil­dung aus sich zu­sam­mendrän­gen­den und sich su­chen­den Krank­heits-Ge­bil­den… Sie ist des­halb nicht na­tio­nal, nicht ras­se­be­dingt: sie wen­det sich an die Ent­erb­ten von Über­all; sie hat die Ran­cu­ne auf dem Grun­de ge­gen al­les Wohl­ge­rat­he­ne und Herr­schen­de: sie braucht ein Sym­bol, wel­ches den Fluch auf die Wohl­ge­rat­he­nen und Herr­schen­den dar­stellt … Sie steht im Ge­gen­satz auch zu al­ler geis­ti­gen Be­we­gung, zu al­ler Phi­lo­so­phie: sie nimmt die Par­tei der Idio­ten und spricht einen Fluch ge­gen den Geist aus. Ran­cu­ne ge­gen die Be­gab­ten, Ge­lehr­ten, Geis­tig-Un­ab­hän­gi­gen: sie er­räth in ih­nen das Wohl­ge­rat­he­ne, das Herr­schaft­li­che.

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155.

Im Bud­dhis­mus über­wiegt die­ser Ge­dan­ke: »Alle Be­gier­den, Al­les was Af­fekt, was Blut macht, zieht zu Hand­lun­gen fort« – nur in­so­fern wird ge­warnt vor dem Bö­sen. Denn Han­deln – das hat kei­nen Sinn, Han­deln hält im Da­sein fest: al­les Da­sein aber hat kei­nen Sinn. Sie se­hen im Bö­sen den An­trieb zu et­was Un­lo­gi­schem: zur Be­ja­hung von Mit­teln, de­ren Zweck man ver­neint. Sie su­chen nach ei­nem Wege zum Nicht­sein und des­halb per­hor­re­s­ci­ren sie al­le An­trie­be sei­tens der Af­fek­te. Z. B. ja nicht sich rä­chen! ja nicht feind sein! – Der He­do­nis­mus der Mü­den giebt hier die höchs­ten Wert­h­maa­ße ab. Nichts ist dem Bud­dhis­ten fer­ner als der jü­di­sche Fa­na­tis­mus ei­nes Pau­lus: Nichts wür­de mehr sei­nem In­stinkt wi­der­stre­ben als die­se Span­nung, Flam­me, Un­ru­he des re­li­gi­ösen Men­schen, vor Al­lem jene Form der Sinn­lich­keit, wel­che das Chris­tent­hum mit dem Na­men der »Lie­be« ge­hei­ligt hat. Zu al­le­dem sind es die ge­bil­de­ten und so­gar über­geis­tig­ten Stän­de, die im Bud­dhis­mus ihre Rech­nung fin­den: eine Ras­se, durch einen Jahr­hun­der­te lan­gen Phi­lo­so­phen-Kampf ab­ge­sot­ten und müde ge­macht, nicht aber un­ter­halb al­ler Cul­tur wie die Schich­ten, aus de­nen das Chris­tent­hum ent­steht… Im Ide­al des Bud­dhis­mus er­scheint das Lo­skom­men auch von Gut und Böse we­sent­lich: es wird da eine raf­fi­nir­te Jen­sei­tig­keit der Moral aus­ge­dacht, die mit dem We­sen der Voll­kom­men­heit zu­sam­men­fällt, un­ter der Voraus­set­zung, daß man auch die gu­ten Hand­lun­gen bloß zeit­wei­lig nö­thig hat, bloß als Mit­tel, – näm­lich um von al­lem Han­deln los­zu­kom­men.

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156.

Eine ni­hi­lis­ti­sche Re­li­gi­on wie das Chris­tent­hum, ei­nem grei­sen­haft-zä­hen, alle star­ken In­stink­te über­lebt ha­ben­den Vol­ke ent­sprun­gen und ge­mäß – Schritt für Schritt in and­re Mi­lieu’s über­tra­gen, end­lich in die, jun­gen, noch gar nicht ge­lebt ha­ben­den Völ­ker ein­tre­tend – sehr selt­sam! Eine Schluß-, Hir­ten-, Abend-Glück­se­lig­keit Bar­ba­ren, Ger­ma­nen ge­pre­digt! Wie muß­te das Al­les erst ger­ma­ni­sirt, bar­ba­ri­sirt wer­den! Sol­chen, die ein Wal­hall ge­träumt hat­ten –: die al­les Glück im Krie­ge fan­den! – Eine über­na­tio­na­le Re­li­gi­on in ein Cha­os hin­ein­ge­pre­digt, wo noch nicht ein­mal Na­tio­nen da wa­ren –.

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157.

Das Mit­tel, Pries­ter und Re­li­gio­nen zu wi­der­le­gen, ist im­mer nur dies: zei­gen, daß ihre Irr­t­hü­mer auf­ge­hört ha­ben, wohlt­hä­tig zu sein, – daß sie mehr scha­den, kurz daß ihr eig­ner »Be­weis der Kraft« nicht mehr Stich hält …