Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Zweiter Theil

»- und erst, wenn ihr mich Alle ver­leug­net habt, will ich euch wie­der­keh­ren.

Wahr­lich, mit an­dern Au­gen, mei­ne Brü­der, wer­de ich mir dann mei­ne Ver­lo­re­nen su­chen; mit ei­ner an­dern Lie­be wer­de ich euch dann lie­ben«.

Za­ra­thustra, von der schen­ken­den Tu­gend

Das Kind mit dem Spiegel

Hier­auf gieng Za­ra­thustra wie­der zu­rück in das Ge­bir­ge und in die Ein­sam­keit sei­ner Höh­le und ent­zog sich den Men­schen: war­tend gleich ei­nem Sä­e­mann, der sei­nen Sa­men aus­ge­wor­fen hat. Sei­ne See­le aber wur­de voll von Un­ge­duld und Be­gier­de nach De­nen, wel­che er lieb­te: denn er hat­te ih­nen noch Viel zu ge­ben. Diess näm­lich ist das Schwers­te, aus Lie­be die off­ne Hand schlies­sen und als Schen­ken­der die Scham be­wah­ren.

Also ver­gien­gen dem Ein­sa­men Mon­de und Jah­re; sei­ne Weis­heit aber wuchs und mach­te ihm Schmer­zen durch ihre Fül­le.

Ei­nes Mor­gens aber wach­te er schon vor der Mor­gen­rö­the auf, be­sann sich lan­ge auf sei­nem La­ger und sprach end­lich zu sei­nem Her­zen:

»Was er­schrak ich doch so in mei­nem Trau­me, dass ich auf­wach­te? Trat nicht ein Kind zu mir, das einen Spie­gel trug?

»Oh Za­ra­thustra – sprach das Kind zu mir – schaue Dich an im Spie­gel!«

Aber als ich in den Spie­gel schau­te, da schrie ich auf, und mein Herz war er­schüt­tert: denn nicht mich sahe ich dar­in, son­dern ei­nes Teu­fels Frat­ze und Hohn­la­chen.

Wahr­lich, all­zu­gut ver­ste­he ich des Trau­mes Zei­chen und Mah­nung: mei­ne Leh­re ist in Ge­fahr, Un­kraut will Wei­zen heis­sen!

Mei­ne Fein­de sind mäch­tig wor­den und ha­ben mei­ner Leh­re Bild­niss ent­stellt, also, dass mei­ne Liebs­ten sich der Ga­ben schä­men müs­sen, die ich ih­nen gab.

Ver­lo­ren gien­gen mir mei­ne Freun­de; die Stun­de kam mir, mei­ne Ver­lor­nen zu su­chen!’ –

Mit die­sen Wor­ten sprang Za­ra­thustra auf, aber nicht wie ein Ge­ängs­tig­ter, der nach Luft sucht, son­dern eher wie ein Se­her und Sän­ger, wel­chen der Geist an­fällt. Ver­wun­dert sa­hen sein Ad­ler und sei­ne Schlan­ge auf ihn hin: denn gleich dem Mor­gen­ro­the lag ein kom­men­des Glück auf sei­nem Ant­lit­ze.

Was ge­sch­ah mir doch, mei­ne Thie­re? – sag­te Za­ra­thustra. Bin ich nicht ver­wan­delt! Kam mir nicht die Se­lig­keit wie ein Sturm­wind?

»Thö­richt ist mein Glück und Thö­rich­tes wird es re­den: zu jung noch ist es – so habt Ge­duld mit ihm!

Ver­wun­det bin ich von mei­nem Glücke: alle Lei­den­den sol­len mir Arz­te sein!

Zu mei­nen Freun­den darf ich wie­der hin­ab und auch zu mei­nen Fein­den! Za­ra­thustra darf wie­der re­den und schen­ken und Lie­ben das Liebs­te thun!

Mei­ne un­ge­dul­di­ge Lie­be fliesst über in Strö­men, ab­wärts, nach Auf­gang und Nie­der­gang. Aus schweig­sa­mem Ge­bir­ge und Ge­wit­tern des Schmer­zes rauscht mei­ne See­le in die Thä­ler.

Zu lan­ge sehn­te ich mich und schau­te in die Fer­ne. Zu lan­ge ge­hör­te ich der Ein­sam­keit: so ver­lern­te ich das Schwei­gen.

Mund bin ich wor­den ganz und gar, und Brau­sen ei­nes Bachs aus ho­hen Fel­sen: hin­ab will ich mei­ne Rede stür­zen in die Thä­ler.

Und mag mein Strom der Lie­be in Un­weg­sa­mes stür­zen! Wie soll­te ein Strom nicht end­lich den Weg zum Mee­re fin­den!

Wohl ist ein See in mir, ein ein­sied­le­ri­scher, selbst­ge­nug­sa­mer; aber mein Strom der Lie­be reisst ihn mit sich hin­ab – zum Mee­re!

Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wur­de ich, gleich al­len Schaf­fen­den, der al­ten Zun­gen. Nicht will mein Geist mehr auf ab­ge­l­auf­nen Soh­len wan­deln.

Zu lang­sam läuft mir al­les Re­den: – in dei­nen Wa­gen sprin­ge ich, Sturm! Und auch dich will ich noch peit­schen mit mei­ner Bos­heit!

Wie ein Schrei und ein jauch­zen will ich über wei­te Mee­re hin­fah­ren, bis ich die glück­se­li­gen In­seln fin­de, wo mei­ne Freun­de wei­len: –

Und mei­ne Fein­de un­ter ih­nen! Wie lie­be ich nun je­den, zu dem ich nur re­den darf! Auch mei­ne Fein­de ge­hö­ren zu mei­ner Se­lig­keit.

Und wenn ich auf mein wil­des­tes Pferd stei­gen will, so hilft mir mein Speer im­mer am bes­ten hin­auf: der ist mei­nes Fus­ses all­zeit be­rei­ter Die­ner: –

Der Speer, den ich ge­gen mei­ne Fein­de schleu­de­re! Wie dan­ke ich es mei­nen Fein­den, dass ich end­lich ihn schleu­dern darf!

Zu gross war die Span­nung mei­ner Wol­ke: zwi­schen Ge­läch­tern der Blit­ze will ich Ha­gel­schau­er in die Tie­fe wer­fen.

Ge­wal­tig wird sich da mei­ne Brust he­ben, ge­wal­tig wird sie ih­ren Sturm über die Ber­ge hin­bla­sen: so kommt ihr Er­leich­te­rung.

Wahr­lich, ei­nem Stur­me gleich kommt mein Glück und mei­ne Frei­heit! Aber mei­ne Fein­de sol­len glau­ben, der Bö­se rase über ih­ren Häup­tern.

Ja, auch ihr wer­det er­schreckt sein, mei­ne Freun­de, ob mei­ner wil­den Weis­heit; und viel­leicht flieht ihr da­von sammt mei­nen Fein­den.

Ach, dass ich’s ver­stün­de, euch mit Hir­ten­flö­ten zu­rück zu lo­cken! Ach, dass mei­ne Lö­win Weis­heit zärt­lich brül­len lern­te! Und Vie­les lern­ten wir schon mit ein­an­der!

Mei­ne wil­de Weis­heit wur­de träch­tig auf ein­sa­men Ber­gen; auf rau­hen Stei­nen ge­bar sie ihr Jun­ges, Jüngs­tes.

Nun läuft sie när­risch durch die har­te Wüs­te und sucht und sucht nach sanf­tem Ra­sen – mei­ne alte wil­de Weis­heit!

Auf eu­rer Her­zen sanf­ten Ra­sen, mei­ne Freun­de! – auf eure Lie­be möch­te sie ihr Liebs­tes bet­ten!

Also sprach Za­ra­thustra.

Auf den glückseligen Inseln

Die Fei­gen fal­len von den Bäu­men, sie sind gut und süss; und in­dem sie fal­len, reisst ih­nen die ro­the Haut. Ein Nord­wind bin ich rei­fen Fei­gen.

Also, gleich Fei­gen, fal­len euch die­se Leh­ren zu, mei­ne Freun­de: nun trinkt ih­ren Saft und ihr süs­ses Fleisch! Herbst ist es um­her und rei­ner Him­mel und Nach­mit­tag.

Seht, wel­che Fül­le ist um uns! Und aus dem Über­flus­se her­aus ist es schön hin­aus zu bli­cken auf fer­ne Mee­re.

Einst sag­te man Gott, wenn man auf fer­ne Mee­re blick­te; nun aber lehr­te ich euch sa­gen: Über­mensch.

Gott ist eine Muth­maas­sung; aber ich will, dass euer Muth­maas­sen nicht wei­ter rei­che, als euer schaf­fen­der Wil­le.

Könn­tet ihr einen Gott schaf­fen ? – So schweigt mir doch von al­len Göt­tern! Wohl aber könn­tet ihr den Über­menschen schaf­fen.

Nicht ihr viel­leicht sel­ber, mei­ne Brü­der! Aber zu Vä­tern und Vor­fah­ren könn­tet ihr euch um­schaf­fen des Über­menschen: und Diess sei euer bes­tes Schaf­fen! –

Gott ist eine Muth­maas­sung: aber ich will, dass euer Muth­maas­sen be­grenzt sei in der Denk­bar­keit.

Könn­tet ihr einen Gott den­ken ? – Aber diess be­deu­te euch Wil­le zur Wahr­heit, dass Al­les ver­wan­delt wer­de in Men­schen – Denk­ba­res, Men­schen – Sicht­ba­res, Men­schen – Fühl­ba­res! Eure eig­nen Sin­ne sollt ihr zu Ende den­ken!

Und was ihr Welt nann­tet, das soll erst von euch ge­schaf­fen wer­den: eure Ver­nunft, euer Bild, euer Wil­le, eure Lie­be soll es sel­ber wer­den! Und wahr­lich, zu eu­rer Se­lig­keit, ihr Er­ken­nen­den!

Und wie woll­tet ihr das Le­ben er­tra­gen ohne die­se Hoff­nung, ihr Er­ken­nen­den? We­der in’s Un­be­greif­li­che dürf­tet ihr ein­ge­bo­ren sein, noch in’s Un­ver­nünf­ti­ge.

Aber dass ich euch ganz mein Herz of­fen­ba­re, ihr Freun­de: wenn es Göt­ter gäbe, wie hiel­te ich’s aus, kein Gott zu sein! Al­so giebt es kei­ne Göt­ter.

Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. –

Gott ist eine Muth­maas­sung: aber wer trän­ke alle Qual die­ser Muth­maas­sung, ohne zu ster­ben? Soll dem Schaf­fen­den sein Glau­be ge­nom­men sein und dem Ad­ler sein Schwe­ben in Ad­ler-Fer­nen?

Gott ist ein Ge­dan­ke, der macht al­les Gera­de krumm und Al­les, was steht, dre­hend. Wie? Die Zeit wäre hin­weg, und al­les Ver­gäng­li­che nur Lüge?

Diess zu den­ken ist Wir­bel und Schwin­del mensch­li­chen Ge­bei­nen und noch dem Ma­gen ein Er­bre­chen: wahr­lich, die dre­hen­de Krank­heit heis­se ich’s, Sol­ches zu muth­maas­sen.

Böse heis­se ich’s und men­schen­feind­lich: all diess Leh­ren vom Ei­nen und Vol­len und Un­be­weg­ten und Sat­ten und Un­ver­gäng­li­chen!

Al­les Un­ver­gäng­li­che – das ist nur ein Gleich­niss! Und die Dich­ter lü­gen zu­viel. –

Aber von Zeit und Wer­den sol­len die bes­ten Gleich­nis­se re­den: ein Lob sol­len sie sein und eine Recht­fer­ti­gung al­ler Ver­gäng­lich­keit!

Schaf­fen – das ist die gros­se Er­lö­sung vom Lei­den, und des Le­bens Leicht­wer­den. Aber dass der Schaf­fen­de sei, dazu sel­ber thut Leid noth und viel Ver­wan­de­lung.

Ja, viel bit­te­res Ster­ben muss in eu­rem Le­ben sein, ihr Schaf­fen­den! Also seid ihr Für­spre­cher und Recht­fer­ti­ger al­ler Ver­gäng­lich­keit.

Dass der Schaf­fen­de sel­ber das Kind sei, das neu ge­bo­ren wer­de, dazu muss er auch die Ge­bä­re­rin sein wol­len und der Schmerz der Ge­bä­re­rin.

Wahr­lich, durch hun­dert See­len gieng ich mei­nen Weg und durch hun­dert Wie­gen und Ge­burts­we­hen. Man­chen Ab­schied nahm ich schon, ich ken­ne die herz­bre­chen­den letz­ten Stun­den.

Aber so will’s mein schaf­fen­der Wil­le, mein Schick­sal. Oder, dass ich’s euch red­li­cher sage: sol­ches Schick­sal ge­ra­de – will mein Wil­le.

Al­les Füh­len­de lei­det an mir und ist in Ge­fäng­nis­sen: aber mein Wol­len kommt mir stets als mein Be­frei­er und Freu­de­brin­ger.

 

Wol­len be­freit: das ist die wah­re Leh­re von Wil­le und Frei­heit – so lehrt sie euch Za­ra­thustra.

Nicht-mehr-wol­len und Nicht-mehr-schät­zen und Nicht-mehr-schaf­fen! ach, dass die­se gros­se Mü­dig­keit mir stets fer­ne blei­be!

Auch im Er­ken­nen füh­le ich nur mei­nes Wil­lens Zeu­ge- und Wer­de-Lust; und wenn Un­schuld in mei­ner Er­kennt­niss ist, so ge­schieht diess, weil Wil­le zur Zeu­gung in ihr ist.

Hin­weg von Gott und Göt­tem lock­te mich die­ser Wil­le; was wäre denn zu schaf­fen, wenn Göt­ter – da wä­ren!

Aber zum Men­schen treibt er mich stets von Neu­em, mein in­brüns­ti­ger Schaf­fens-Wil­le; so treib­t’s den Ham­mer hin zum Stei­ne.

Ach, ihr Men­schen, im Stei­ne schläft mir ein Bild, das Bild mei­ner Bil­der! Ach, dass es im här­tes­ten, häss­lichs­ten Stei­ne schla­fen muss!

Nun wü­thet mein Ham­mer grau­sam ge­gen sein Ge­fäng­niss. Vom Stei­ne stäu­ben Stücke: was schiert mich das?

Vol­len­den will ich’s: denn ein Schat­ten kam zu mir – al­ler Din­ge Stills­tes und Leich­tes­tes kam einst zu mir!

Des Über­menschen Schön­heit kam zu mir als Schat­ten. Ach, mei­ne Brü­der! Was ge­hen mich noch – die Göt­ter an! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den Mitleidigen

Mei­ne Freun­de, es kam eine Spott­re­de zu eu­rem Freun­de: »seht nur Za­ra­thustra! Wan­delt er nicht un­ter uns wie un­ter Thie­ren?«

Aber so ist es bes­ser ge­re­det: »der Er­ken­nen­de wan­delt un­ter Men­schen als un­ter Thie­ren.«

Der Mensch sel­ber aber heisst dem Er­ken­nen­den: das Thier, das ro­the Ba­cken hat.

Wie ge­sch­ah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schä­men müs­sen?

Oh mei­ne Freun­de! So spricht der Er­ken­nen­de: Scham, Scham, Scham – das ist die Ge­schich­te des Men­schen!

Und dar­um ge­beut sich der Edle, nicht zu be­schä­men: Scham ge­beut er sich vor al­lem Lei­den­den.

Wahr­lich, ich mag sie nicht, die Barm­her­zi­gen, die se­lig sind in ih­rem Mit­lei­den: zu sehr ge­bricht es ih­nen an Scham.

Muss ich mit­lei­dig sein, so will ich’s doch nicht heis­sen; und wenn ich’s bin, dann gern aus der Fer­ne.

Ger­ne ver­hül­le ich auch das Haupt und flie­he da­von, be­vor ich noch er­kannt bin: und also heis­se ich euch thun, mei­ne Freun­de!

Möge mein Schick­sal mir im­mer Leid­lo­se, gleich euch, über den Weg füh­ren, und Sol­che, mit de­nen mir Hoff­nung und Mahl und Ho­nig ge­mein sein dar­f!

Wahr­lich, ich that wohl Das und je­nes an Lei­den­den: aber Bes­se­res schi­en ich mir stets zu thun, wenn ich lern­te, mich bes­ser freu­en.

Seit es Men­schen giebt, hat der Mensch sich zu we­nig ge­freut: Das al­lein, mei­ne Brü­der, ist uns­re Erb­sün­de!

Und ler­nen wir bes­ser uns freu­en, so ver­ler­nen wir am bes­ten, An­dern wehe zu thun und We­hes aus­zu­den­ken.

Da­rum wa­sche ich mir die Hand, die dem Lei­den­den half, dar­um wi­sche ich mir auch noch die See­le ab.

Denn dass ich den Lei­den­den lei­dend sah, des­sen schäm­te ich mich um sei­ner Scham wil­len; und als ich ihm half, da ver­gieng ich mich hart an sei­nem Stol­ze.

Gros­se Ver­bind­lich­kei­ten ma­chen nicht dank­bar, son­dern rach­süch­tig; und wenn die klei­ne Wohl­that nicht ver­ges­sen wird, so wird noch ein Nage-Wurm dar­aus.

»Seid sprö­de im An­neh­men! Zeich­net aus da­mit, dass ihr an­nehmt!« – also rat­he ich De­nen, die Nichts zu ver­schen­ken ha­ben.

Ich aber bin ein Schen­ken­der: ger­ne schen­ke ich, als Freund den Freun­den. Frem­de aber und Arme mö­gen sich die Frucht sel­ber von mei­nem Bau­me pflücken: so be­schämt es we­ni­ger.

Bett­ler aber soll­te man ganz ab­schaf­fen! Wahr­lich, man är­gert sich ih­nen zu ge­ben und, är­gert sich ih­nen nicht zu ge­ben.

Und ins­glei­chen die Sün­der und bö­sen Ge­wis­sen! Glaubt mir, mei­ne Freun­de: Ge­wis­sens­bis­se er­ziehn zum Beis­sen.

Das Schlimms­te aber sind die klei­nen Ge­dan­ken. Wahr­lich, bes­ser noch bös gethan, als klein ge­dacht!

Zwar ihr sagt: »die Lust an klei­nen Bos­hei­ten er­spart uns man­che gros­se böse That.« Aber hier soll­te man nicht spa­ren wol­len.

Wie ein Ge­schwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht her­aus, – sie re­det ehr­lich.

»Sie­he, ich bin Krank­heit« – so re­det die böse That; das ist ihre Ehr­lich­keit.

Aber dem Pil­ze gleich ist der klei­ne Ge­dan­ke: er kriecht und duckt sich und will nir­gends­wo sein – bis der gan­ze Leib morsch und welk ist vor klei­nen Pil­zen.

Dem aber, der vom Teu­fel be­ses­sen ist, sage ich diess Wort in’s Ohr: »bes­ser noch, du zie­hest dei­nen Teu­fel gross! Auch für dich giebt es noch einen Weg der Grös­se!« –

Ach, mei­ne Brü­der! Man weiss von Je­der­mann Et­was zu viel! Und Man­cher wird uns durch­sich­tig, aber dess­halb kön­nen wir noch lan­ge nicht durch ihn hin­durch.

Es ist schwer, mit Men­schen zu le­ben, weil Schwei­gen so schwer ist.

Und nicht ge­gen Den, der uns zu­wi­der ist, sind wir am un­bil­ligs­ten, son­dern ge­gen Den, wel­cher uns gar Nichts an­geht.

Hast du aber einen lei­den­den Freund, so sei sei­nem Lei­den eine Ru­he­stät­te, doch gleich­sam ein har­tes Bett, ein Feld­bett: so wirst du ihm am bes­ten nüt­zen.

Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: »ich ver­ge­be dir, was du mir tha­test; dass du es aber dir tha­test, – wie könn­te ich das ver­ge­ben!«

Also re­det alle gros­se Lie­be: die über­win­det auch noch Ver­ge­bung und Mit­lei­den.

Man soll sein Herz fest­hal­ten; denn lässt man es gehn, wie bald geht Ei­nem da der Kopf durch!

Ach, wo in der Welt ge­sch­a­hen grös­se­re Thor­hei­ten, als bei den Mit­lei­di­gen? Und was in der Welt stif­te­te mehr Leid, als die Thor­hei­ten der Mit­lei­di­gen?

Wehe al­len Lie­ben­den, die nicht noch eine Höhe ha­ben, wel­che über ih­rem Mit­lei­den ist!

Also sprach der Teu­fel einst zu mir: »auch Gott hat sei­ne Höl­le: das ist sei­ne Lie­be zu den Men­schen.«

Und jüngst hör­te ich ihn diess Wort sa­gen: »Gott ist todt; an sei­nem Mit­lei­den mit den Men­schen ist Gott ge­stor­ben.« –

So seid mir ge­warnt vor­dem Mit­lei­den: da­her kommt noch den Men­schen eine schwe­re Wol­ke! Wahr­lich, ich ver­ste­he mich auf Wet­ter­zei­chen!

Mer­ket aber auch diess Wort: alle gros­se Lie­be ist noch über all ih­rem Mit­lei­den: denn sie will das Ge­lieb­te noch – schaf­fen!

»Mich sel­ber brin­ge ich mei­ner Lie­be dar, und mei­nen Nächs­ten gleich mir« – so geht die Rede al­len Schaf­fen­den.

Alle Schaf­fen­den aber sind hart. –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den Priestern

Und einst­mals gab Za­ra­thustra sei­nen Jün­gern ein Zei­chen und sprach die­se Wor­te zu ih­nen:

»Hier sind Pries­ter: und wenn es auch mei­ne Fein­de sind, geht mir still an ih­nen vor­über und mit schla­fen­dem Schwer­te!

Auch un­ter ih­nen sind Hel­den; Vie­le von ih­nen lit­ten zu­viel –: so wol­len sie And­re lei­den ma­chen.

Böse Fein­de sind sie: Nichts ist rach­süch­ti­ger als ihre De­muth. Und leicht be­su­delt sich Der, wel­cher sie an­greift.

Aber mein Blut ist mit dem ih­ren ver­wandt; und ich will mein Blut auch noch in dem ih­ren ge­ehrt wis­sen.« –

Und als sie vor­über ge­gan­gen wa­ren, fiel Za­ra­thustra der Schmerz an; und nicht lan­ge hat­te er mit sei­nem Schmer­ze ge­run­gen, da hub er also an zu re­den:

Es jam­mert mich die­ser Pries­ter. Sie ge­hen mir auch wi­der den Ge­schmack; aber das ist mir das Ge­rings­te, seit ich un­ter Men­schen bin.

Aber ich lei­de und litt mit ih­nen: Ge­fan­ge­ne sind es mir und Ab­ge­zeich­ne­te. Der, wel­chen sie Er­lö­ser nen­nen, schlug sie in Ban­den: –

In Ban­den falscher Wert­he und Wahn-Wor­te! Ach dass Ei­ner sie noch von ih­rem Er­lö­ser er­lös­te!

Auf ei­nem Ei­lan­de glaub­ten sie einst zu lan­den, als das Meer sie her­um­riss; aber sie­he, es war ein schla­fen­des Un­ge­heu­er!

Fal­sche Wert­he und Wahn-Wor­te: das sind die schlimms­ten Un­ge­heu­er für Sterb­li­che, – lan­ge schläft und war­tet in ih­nen das Ver­häng­niss.

Aber end­lich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm sich Hüt­ten bau­te.

Oh seht mir doch die­se Hüt­ten an, die sich die­se Pries­ter bau­ten! Kir­chen heis­sen sie ihre süss­duf­ten­den Höh­len.

Oh über diess ver­fälsch­te Licht, die­se ver­sumpf­te Luft! Hier, wo die See­le zu ih­rer Höhe hin­auf – nicht flie­gen darf!

Son­dern also ge­bie­tet ihr Glau­be: »auf den Kni­en die Trep­pe hin­an, ihr Sün­der!«

Wahr­lich, lie­ber sehe ich noch den Scham­lo­sen, als die ver­renk­ten Au­gen ih­rer Scham und An­dacht!

Wer schuf sich sol­che Höh­len und Buss-Trep­pen? Wa­ren es nicht Sol­che, die sich ver­ber­gen woll­ten und sich vor dem rei­nen Him­mel schäm­ten?

Und erst wenn der rei­ne Him­mel wie­der durch zer­broch­ne De­cken blickt, und hin­ab auf Gras und ro­then Mohn an zer­broch­nen Mau­ern, – will ich den Stät­ten die­ses Got­tes wie­der mein Herz zu­wen­den.

Sie nann­ten Gott, was ih­nen wi­der­sprach und wehe that: und wahr­lich, es war viel Hel­den-Art in ih­rer An­be­tung!

Und nicht an­ders wuss­ten sie ih­ren Gott zu lie­ben, als in­dem sie den Men­schen an’s Kreuz schlu­gen!

Als Leich­na­me ge­dach­ten sie zu le­ben, schwarz schlu­gen sie ih­ren Leich­nam aus; auch aus ih­ren Re­den rie­che ich noch die üble Wür­ze von Tod­ten­kam­mern.

Und wer ih­nen nahe lebt, der lebt schwar­zen Tei­chen nahe, aus de­nen her­aus die Unke ihr Lied mit süs­sem Tief­sin­ne singt.

Bes­se­re Lie­der müss­ten sie mir sin­gen, dass ich an ih­ren Er­lö­ser glau­ben ler­ne: er­lös­ter müss­ten mir sei­ne jün­ger aus­se­hen!

Nackt möch­te ich sie sehn: denn al­lein die Schön­heit soll­te Bus­se pre­di­gen. Aber wen über­re­det wohl die­se ver­mumm­te Trüb­sal!

Wahr­lich, ihre Er­lö­ser sel­ber ka­men nicht aus der Frei­heit und der Frei­heit sie­ben­tem Him­mel! Wahr­lich, sie sel­ber wan­del­ten nie­mals auf den Tep­pi­chen der Er­kennt­niss!

Aus Lücken be­stand der Geist die­ser Er­lö­ser; aber in jede Lücke hat­ten sie ih­ren Wahn ge­stellt, ih­ren Lücken­büs­ser, den sie Gott nann­ten.

In ih­rem Mit­lei­den war ihr Geist er­trun­ken, und wenn sie schwol­len und über­schwol­len von Mit­lei­den, schwamm im­mer oben­auf eine gros­se Thor­heit.

Eif­rig trie­ben sie und mit Ge­schrei ihre He­er­de über ih­ren Steg: wie als ob es zur Zu­kunft nur Ei­nen Steg gäbe! Wahr­lich, auch die­se Hir­ten ge­hör­ten noch zu den Scha­fen!

Klei­ne Geis­ter und um­fäng­li­che See­len hat­ten die­se Hir­ten: aber, mei­ne Brü­der, was für klei­ne Län­der wa­ren bis­her auch die um­fäng­lichs­ten See­len!

Blut­zei­chen schrie­ben sie auf den Weg, den sie gien­gen, und ihre Thor­heit lehr­te, dass man mit Blut die Wahr­heit be­wei­se.

Aber Blut ist der schlech­tes­te Zeu­ge der Wahr­heit; Blut ver­gif­tet die reins­te Leh­re noch zu Wahn und Hass der Her­zen.

Und wenn Ei­ner durch­’s Feu­er geht für sei­ne Leh­re, – was be­weist diess! Mehr ist’s wahr­lich, dass aus eig­nem Bran­de die eig­ne Leh­re kommt!

Schwü­les Herz und kal­ter Kopf: wo diess zu­sam­men­trifft, da ent­steht der Brau­se­wind, der »Er­lö­ser«.

Grös­se­re gab es wahr­lich und Hö­her-Ge­bo­re­ne, als Die, wel­che das Volk Er­lö­ser nennt, die­se hin­reis­sen­den Brau­se­win­de!

Und noch von Grös­se­ren, als alle Er­lö­ser wa­ren, müsst ihr, mei­ne Brü­der, er­löst wer­den, wollt ihr zur Frei­heit den Weg fin­den!

Nie­mals noch gab es einen Über­menschen. Nackt sah ich Bei­de, den gröss­ten und den kleins­ten Men­schen: –

All­zu­ähn­lich sind sie noch ein­an­der. Wahr­lich, auch den Gröss­ten fand ich – all­zu­mensch­lich!

Also sprach Za­ra­thustra.