Draußen rauchen ist Mord am ungeborenen Baum

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Aschermittwochsbrief aus Westfalen

Liebe Rheinländer!

Ich weiß, Ihr singt lieber andere Lieder. Ich aber mag Musik und deswegen lasst es mich mit dem Urvater des US-amerikanischen Straßenkarnevals, lasst es mich mit Bob Dylan sagen: It’s all over now, Baby Blue.

Manche nennen es Kater, manche sagen Melancholie, die einen liegen in Essig, die anderen gehen in Asche und die meisten eint das Gefühl, dass an diesem traurigen Mittwoch nicht nur der Nubbel, sondern mit ihm auch der letzte Witz gestorben ist. Liebe Rheinländer, es ist mir vollkommen klar: Was Ihr jetzt am dringendsten braucht, ist erstens ein Kopfschmerzpulver aus Leverkusen, zweitens etwas sauer Eingelegtes auf der Zunge und drittens, falls Ihr heute durch Eure Innenstädte gehen müsst, eine Nasenklammer. Und natürlich: Das wenigste, was Euch jetzt trösten kann, ist ein fröhlicher Gruß aus Westfalen. Deswegen schicke ich Euch einen Eurer Verfassung angemessenen, einen verhaltenen, einen leisen grauen Gruß aus der Karnevals-Diaspora westliches Westfalen, also östliches Ruhrgebiet, was im übrigen aufs selbe rauskommt.

Liebe Rheinländer, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie vielen von Euch heute zumute ist. Und zwar nicht obwohl, sondern weil ich Westfale bin. Schwermut und Blues sind für uns keine Unbekannten. Hier bei uns kommen die beiden nämlich wesentlich häufiger vorbei als bei Euch. Wir brauchen keine tollen Tage, um aschermittwochs traurig zu sein. Wir sind da nicht so kalenderhörig, wir haben das auch schon mal dienstags oder donnerstags und wenn’s sein muss, auch im August bei 28 Grad im Schatten in der Eisdiele.

Ihr merkt hoffentlich, dass ich an Eurem heutigen höchsten Trauertag nicht die Gegensätze, sondern unsere Gemeinsamkeiten betonen will. Außerdem will ich als Westfale nicht verhehlen, dass ich Euch manchmal bewundere. Ja schon – auch ich kann mit Alkohol lustig sein. Und ja: Auch ich kann mich schon mal freuen, manchmal sogar verhältnismäßig begeistern. Das Doofe ist nur: Ich brauch’ dafür ‘n Grund.

Mit neidischen Grüßen

F.E.

Rund fünf Millionen Humoristen
Eine Annäherung

Was wäre die Ruhr-Region ohne ihren Humor? Sie wäre vor allem menschenleer. Der Mensch kann Humor haben, eine Region nicht. Wie denn bitte? Region besteht doch vor allem aus Gegend, also aus unbebauten, dafür aber bebaumten Flächen, aus Wäldern und, in für Normalwüchsige überschaubarer Ausfertigung, aus Asphaltrandbestrauchung, die je nach Hundeausscheidungsaufkommen ebenso dem baldigen Dahinscheiden geweiht ist wie die jede Normbestrauchung gemeinhin umrandende Berasung. Schön ist jedenfalls anders. Es sei denn, es ist Winter und die Laterne ist kaputt. Dann geht’s.

Solchermaßen ausgestatteter Region kann man sicherlich einiges zusprechen, zum Beispiel Gewöhnlichkeit, nicht aber Humor. Hat man denn je eine Lärche, einen Liguster oder eine Laterne lachen hören? Na siehste. Und wenn es sich doch mal ein klein wenig so anhörte wie, dann war es wohl doch nur wieder das vom strammen Südwest verursachte Quietschen im Wind, ganz bestimmt aber nicht das den wahren Humor kennzeichnende »Lachen über sich selbst«.

Ergo: Gegend hat keinen Humor. Weder das erwähnte Inventar, noch die die Gegend vervollständigenden, also in ihr herumstehenden umbauten Räume. Obwohl gerade die ihn am nötigs­ten hätten.

Hier geht es aber nicht um »Wohnbebauung« genannten Zynismus, also um Architektur, sondern um Menschlichkeit. Denn wenn es in einer Region Humor gibt, dann nur, weil sie bewohnt, vor allem aber beseelt ist. Im Falle des Ruhrgebietes von derzeit rund fünf Millionen Humoris­ten.

Denn wahrlich, ich sage euch: Die Menschen im Ruhrgebiet haben das Herz auf dem rechten Fleck. Ausnahmslos alle. Diese also durch und durch unkomplizierten, aufgeschlossenen, sympathischen, uneitlen, von harter körperlicher Arbeit geprägten, sich durch die Unbilden des Lebens nicht aus der Bahn werfen lassenden, also nach dem Hinfallen immer wieder aufstehenden, wie gesagt zu einhundert Prozent mit lebensbe-jahender Herzensbildung ausgestatteten und deswegen so liebenswerten Ruhries sind ja vor allem deswegen so liebenswert, weil sie ein so außerordentlich unkomplizierter, aufgeschlossener, uneitler, von harter Arbeit geprägter Menschenschlag sind, der durch die Bank das Herz auf dem rechten Fleck hat und sich nicht unterkriegen lässt.

Es sind vor allem solche von keinem weitergehenden Gedanken befeuerten Zuschreibungen, die die in der Ruhrregion ansässigen Menschen seit einigen Epochen über sich ergehen lassen, ohne erkennbar unter der Belastung zusammenzubrechen. Nicht wenige haben es sogar geschafft, die Vorurteile über sich so anzunehmen, dass sie nun selber glauben, wer, was und wie sie angeblich sind. Ahnungslose Schlaumeier halten das für einen psychischen Defekt. Dass wir es aber hier mit unabweisbaren Indizien für tief in den Menschen verwurzeltem Humor zu tun haben, erkennen die wirklichen Fachleute.

So etwa der große amerikanische Volksschriftsteller Mark Twain. Er wusste: »Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer.«

Heimatloses Osterei
(auf Norderney)

Im Januar wurd ich gesichtet

als selten schickes Einzelstück,

wer mich bekäme, wurd berichtet,

hätt fast schon unverschämtes Glück.

Im Februar war ich verschwunden,

»verzogen«, wurde kolportiert,

nach »unbekannt«, nach »falsch verbunden«,

nach »weißderteufel« emigriert.

Bereits im März war ich vergessen,

kein Schwein fragt seither, wo ich bin,

als Thema sowas von gegessen,

aus dem Sichtfeld, aus dem Sinn.

So kam ich im April zu dir,

in schäbbig braunem Packpapier,

als blinder Nordseepassagier

frierend auf der Frisia IV.

Als heimatloses Osterei

stelle ich auf Norderney

die hoffnungsvollste aller Fragen:

Willst du mich nach Hause tragen?

Obenrum runtergekommen

Der Personenkreis, bei dem ich mir einigermaßen sicher bin, wenigstens ungefähr zu wissen, mit welchen Vorstellungen, Erwartungen und Hoffnungen er durchs Dasein strunkelt, ist sehr überschaubar. Doch selbst von dieser kleinen Gesellschaft würde ich mich derzeit nicht zum Vorstandssprecher ernennen lassen. Bedenkenlos könnte ich nur verkünden, dass in einer guten und gerechten Welt selbstverständlich immer »wir«, also »nur der BVB«, Deutscher Fußballmeister sein muss. Für allgemeingültige Aussagen zu Themen von vergleichbarer gesellschaftlicher Re­le­vanz fehlt mir momentan die Traute.

Ein vollmundiges »wir« kann ich also guten Gewissens nicht anbieten. Dazu mangelt es mir zu sehr an Selbstgewissheit. Der inter­ne Diskus­sionsbedarf ist groß, von einer klaren Beschluss­lage kann nicht die Rede sein. Es scheint mir, dass mein Koordinatensystem gehörig aus den Fugen geraten ist. Ich will mich nicht verallgemeinern, doch wenn mich nicht alles täuscht, bin ich nicht der einzige, der sich gerade öfter mal siezt, weil er sich selbst etwas fremd ist.

Ich sollte vielleicht nicht jeden Quatsch mitmachen. Ich sitze ja auch dauernd an diesem unseligen Newsticker und drück’ die Maus. Habe schon überlegt, meine diversen Monitore mit Warnhinweisen zu verdunkeln: »Aktualisieren gefährdet Ihre seelische Gesundheit. Fangen Sie erst gar nicht damit an!« Ist aber naiv. Ich hänge schon zu sehr in der Suchtschleife.

Und hastenichtgesehn erwische ich mich dabei, dass ich auf einmal erschüttert bin oder sogar empört und ungewohnte Gedanken denke. Gedanken, die mich überrumpeln, aber doch offensichtlich meine eigenen sind. Plötzlich und unerwartet entfährt mir ein zu lautes »Hallo? Das wird man ja wohl nochmal denken dürfen!« In klareren Momenten reiße ich mich dann zusammen und denke: »Na gut, denken kannst du es ja, aber du musst ja nicht alles auch sofort sagen, was du so denkst. Kannst ja erstmal drüber nachdenken.«

Doch hier kann ich es ruhig mal wagen, es zu sagen. Es verlässt ja nicht das Buch. Nur mal so als Beispiel: Ich habe mich eine Zeitlang mehrfach dabei ertappt, dass ich das Bedürfnis hatte, Angela Merkel in Schutz zu nehmen. Vor den zu vielen anderen von diesem öffentlichen Personal. Diesen Reflex hatte ich früher nie. Was ist passiert? Ich hatte doch mal ganz andere Ansprüche. Sind das noch Gedanken oder ist das schon Gefühl? Ich will es nicht geistige Verwahrlosung nennen, aber ich bin obenrum doch ziemlich runtergekommen. Ich freue mich heute schon darüber, dass es mit dieser Kanzlerin wenigstens eine Person in leitender Funktion gibt, die hin und wieder relativ gelassen ein paar Selbstverständlichkeiten von sich gibt. Etwa, dass man Menschen, denen es dreckig geht, gefälligst zu helfen hat.

Ich hoffe, dass es in diesem Land noch eine Mehrheit dafür gibt, das als zivilisatorischen Min­deststandard festzulegen. Und zwar auch, nachdem Frau Merkel ihre Rhetorik aufgrund der sinkenden Umfragewerte aktualisiert hat.

angelaminusmerkel@SAT1.de

Betr.: Hauptrolle

Herzlichen Glückwunsch, Frau Merkel.

Seitdem der TV-Sender SAT 1 die Filmrechte an Ihnen erworben hat, lassen Sie sich von Veronika Ferres doubeln. Eine ausgezeichnete Wahl. Nicht nur wegen der frappierenden äußerlichen Ähnlichkeit. Es lag nahe, dass die Rolle der mächtigsten deutschen Frau der Welt nur von der besten deutschen Schauspielerin der Welt übernommen werden konnte. Die Verfilmung Ihrer leidenschaftlichen Affäre mit dem französischen Staatspräsidenten Monsieur Hollande alias Monsieur Dupont überzeugte vor allem durch die realistische Zeichnung Ihres Charakters und wegen der frappierenden äußerlichen Ähnlichkeit, nicht nur, aber auch im Unterwäschebereich. Da konnte das französische Double jedenfalls für keine zwei Croissants mithalten.

 

Sollte es zu einer Fortsetzung kommen, Frau Ferres, äh pardon, Frau Merkel, würde ich an Ihrer Stelle darauf bestehen, dass Monsieur le Président François Hollande auf jeden Fall von Monsieur »Le Vin Rouge« Gérard Depardieu gespielt wird. Erstens wegen der frappierenden äußerlichen Ähnlichkeit und zweitens, weil Veronika Ferres einen Gegendarsteller braucht, der ihr schauspielerisch einigermaßen ebenbürtig ist. Sollte Monsieur Depardieu aus politischen Gründen derzeit nicht infrage kommen, immerhin ist er ein Kumpel Ihres russischen Widersachers Wladimir Putin, wäre selbstverständlich auch Til Schweiger eine Option, vor allem wegen seines typischen unverständlichen Akzentes. Andererseits wäre Schweiger auch die Idealbesetzung für die Rolle Ihres russischen Widersachers Puschkin, pardon, Putin, beziehungsweise Ihrer innerparteilichen Widersacherin Ursula von der Leyen. Schweiger hat ja wie von der Leyen Fronterfahrung. Allerdings müsste er für den deutschsprachigen Raum wegen seines unverständlichen Akzentes synchronisiert werden, vielleicht von Frau von der Leyen, oder von Ronald Pofalla. Und mit der Frisur müsste man natürlich auch was machen.

Wünschenswert wäre im übrigen, Frau Merkel, wenn zukünftige Streifen der weltpolitischen Bedeutung der mächtigsten Frau der Welt angemessener wären. Frau Ferres muss ja nicht immer was mit dem französischen Präsidenten haben. Denken Sie doch mal transatlantisch. Wie wär’s mit Clint Eastwood als Barack Obama? Schon wegen der frappierenden äußerlichen Ähnlichkeit.

Mit einem dreifach-kräftigen »make my day«

fritz@eckenga.de

joachimminusgauck@bundespraesidialamt.de

Betr.: Uns

Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck, und ich, wir zwei beiden also haben ganz viel gemeinsam: Zum Beispiel das CK in unseren Nachnamen. Sie am Ende, ich weiter vorne. Außerdem haben wir die gleiche Staatsangehörigkeit und dieses ganz große Verantwortungsgefühl fürs Großeundganze. Sie können das nicht wissen, weil Sie von mir ja nicht so viel mitbekommen wie umgekehrt ich von Ihnen. Deswegen schreib’ ich Ihnen ja. Ich bin schließlich ein Bürger dieses Landes und Sie, das haben Sie oft genug gesagt, Sie sind ja ein Bürgerpräsident. Es wird Sie also hoffentlich freuen, wenn ein Bürger seinem Präsidenten so ähnlich ist, dass man praktisch keinen Unterschied mehr erkennen kann.

Genau wie Sie, mein Präsident, bin ich ein großer Anhänger der Freiheit. Ich sag’ das auch mindestens so oft wie Sie. »Die Freiheit«, sagte ich letztens noch in geselliger Runde, wir haben abends gegrillt und dann Fußball gekuckt, da sagte ich noch, »die Freiheit, Jungs, die ist ja durch nix anderes zu ersetzen. Also wenn wir die Freiheit nicht hätten, puh, da hätten wir aber bestimmt viel weniger Spaß.«

Und genau so, Herr Bundespräsident, genau so ist es mit der Verantwortung. Die ist mir auch mindestens so wichtig wie Ihnen. Sie sagen ja immer: »Wir haben eine große Verantwortung, der wir uns stellen müssen!« Sie werden’s nicht glauben: Genau meine Worte! Dieser Tage noch sag’ ich zu meinem Nachbarn, wir kärchern immer zusammen die Garageneinfahrt, sag’ ich noch zu dem: »Eins will ich dir mal sagen: Wir haben eine große Verantwortung, und der müssen wir uns aber auch stellen, sonst hat’s ja gar keinen Zweck.«

Solche Beispiele könnt’ ich Ihnen noch Dutzende nennen, Herr Gauck. Um nur mal zwei zu nennen: »Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfen kein Tabu sein!« Als wär’s ein Text von mir. Sagte ich noch neulich zu meiner Frau: »Sobald Herr Gauck sich zu den Waffen meldet, tu ich’s auch. Da steh’ ich in der Verantwortung!«

Und neulich, wurd’ ja überall drüber berichtet, neulich haben Sie gesagt: »Wir nehmen viel zu wenig Flüchtlinge bei uns auf!« Also Herr Gauck, ich hätt’s wirklich nicht besser ausdrücken können.

Deswegen: Sollten Sie Platzprobleme im Schloss Bellevue bekommen, weil Sie da jetzt noch mehr Flüchtlinge als sowieso schon bei sich wohnen lassen, sagen Sie einfach Bescheid. Dann stelle ich Ihnen mein Arbeitszimmer zur Verfügung. Irgendwo müssen Sie ja auch die Freiheit haben, um Ihre Reden zu schreiben. Nicht, dass das eines Tages so ’n x-beliebiges Geschwafel wird.

Immer für Sie da!

fritz@eckenga.de

karsten-muehlenfeld@großflughafen-berlin.de

Betr.: Kein Witz!

Dieser E-Mail, sehr geehrter Herr Mühlenfeld, liegt ein Irrtum zugrunde. Ich hatte nämlich gedacht, dass ich in der Angelegenheit Großflughafen Berlin-Brandenburg nie jemals wieder irgendjemandem eine Mitteilung schreiben müsste, weil ich nicht gedacht habe, dass das Projekt Berliner Großflughafen überhaupt noch existiert.

Deswegen hatten wir beide, sehr geehrter Herr Mühlenfeld, bis vor kurzem sogar eine Gemeinsamkeit. Wir wussten gar nicht, dass es uns gibt. Das hat sich aber jetzt einseitig geändert, denn nun weiß ich, wer Sie sind. Sie sind tatsächlich der Geschäftsführer einer gewissen »Flughafen GmbH Berlin-Brandenburg«. Und das ist, ich betone das in aller Form ausdrücklich in dieser auch einer größeren Öffentlichkeit zugänglichen E-Mail: Das ist kein Witz! Erstens ist die Information seriös recherchiert und zweitens werde ich den Teufel tun und mich dieser Angelegenheit noch ein einziges Mal in scherzhafter Absicht nähern. In meiner Branche wird das Witzeerzählen über Berliner Großflughafen­projekte bereits seit einigen Epochen mit Berliner-Großkomiker-Vergleichen nicht unter drei

»pass­aufpassaufjetztkommts weesteweestewees­te« geahndet.

Es wäre sehr hilfreich, sehr geehrter Herr Mühlenfeld, wenn Sie sich als verantwortlicher Geschäftsführer der beschränkt haftenden Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg in Zukunft ebenfalls bemühten, das Thema so humorlos wie möglich zu behandeln. Wenn Sie also nochmal eine Pressekonferenz geben, dann unterlassen Sie doch bitte Aussagen wie: »Wir halten am Eröffnungstermin 2017 fest.« Das ist nicht lustig, sehr geehrter Herr Mühlenfeld. Sämtliche in dieser Angelegenheit jemals abgesetzten Pointen wurden bereits vor langer Zeit beerdigt. Respektieren Sie bitte die Totenruhe.

Witzlose Grüße

fritz@eckenga.de

Mit dem Zweithirn aus dem Pansen posten

Es gibt, ich habe mir das letztens beim Pils trinken von einem IT-Junior-Consultant erklären las­sen, »hocheffiziente Informations-Management-Sys­teme«. Sie sorgen dafür, dass »eine wichtige Datei, eine entscheidende Information unmittelbar zur Verfügung steht«. Amateurhaft ausgedrückt handelt es sich um digitale Mülltrennungs- und Archivierungsprogramme, die selbstverständlich nicht so heißen. Sie heißen »xbound invoicemanagement« und »maxflow« und so ähnlich. Mit einer Thekenbekanntschaft, die etwas über Computer weiß, ein Pils trinken und ein bisschen quatschen heißt ja auch nicht »mit einer Thekenbekanntschaft, die etwas über Computer weiß, ein Pils trinken und ein bisschen quatschen«, sondern »Networking«.

Ich kann diese Begriffe übrigens nur hier hinschreiben, weil ich sie zufällig wiedergefunden habe. Ich arbeitete gerade für eine Gourmet-Zeitschrift an einem Hirnsuppenrezept und suchte ein mir entfallenes Wort. Ich verlege dauernd Wörter. Es ist schrecklich. In einem letzten verzweifelten Akt schüttete ich den wochenlang nicht geleerten Papierkorb meines PCs aus und hatte Glück. Das Wort lag obenauf und lautete »Wortfindungsstörung«. Direkt neben ihm fand ich den Bierdeckel aus der Kneipe, auf dem ich mir einige Networking-Notizen gemacht hatte.

Ich sollte mir besser so ein Wortmüllmanagement-System zulegen. Schreibarbeit ist das eine, ihre Organisation das andere. Ich schreibe. Ich archiviere das Geschriebene. Ich überarbeite das Archivierte und archiviere das Überarbeitete. So geht das in einem fort. Wort für Wort fort. Was aber bleibt? Die Erfahrung lehrt: Manches. Manches aber auch nicht. Manches verirrt oder verliert sich während des Bearbeitungsvorganges irgendwo in der digitalen Hölle.

Die heißt jetzt auch anders. Hölle heißt jetzt »Cloud«. Cloud ist die Fortsetzung des Informa­tionsmanagements mit religiösen Mitteln. Wir müssen dran glauben. Ahhh – das Dokument ist in der Cloud. Ganz nah beim Herrn. Lieber Gott, mach’ mich fromm, dass ich an die Wörter komm’. Und wenn der Allmächtige einen sehr gnädigen Tag hat, lässt er sie einen wiederfinden.

»Cloud«, so hatte es mir der Junior Consultant ins fünfte Glas Pils erklärt, »Cloud ist so was wie brain, aber outgesourct«. Also praktisch eine gigantische, externe – tja – was eigentlich? Festplatte? Dann wär’s ja kein brain, also Hirn. Hirn ist ja nicht fest. Hirn wabert ja. Oder wabbelt. Oder geliert. Wir haben uns ab Pils sieben undeutlich darauf geeinigt, dass diese Cloud-Brain-Angelegenheit zwar irgendwie im virtuellen Cyberspace stattfindet und einen tollen modernen Sound hat, in Wahrheit aber nichts Neues ist.

Outgesourcte Gehirne gab es schon vor 150 Millionen Jahren, im Erdmittelalter. Der Stegosaurus hatte so was. Der Stego war ein neun Meter langer Saurier mit einem ganz kleinen Kopf, in dem sein Ersthirn aufgebahrt war. Es hatte mal gerade die Größe einer Walnuss. Die reichte nicht fürs ganze Tier. Nur für vorne. Hintenrum war der Dino mental minderbemittelt. Deswegen hat die Evolution ihm noch ein zweites Aggregat zur Verfügung gestellt. Und zwar weit ab von der Primär-Nuss, im hinteren Drittel des Rückenmarks, in einer Körperregion, die das Tier vorher gar nicht kannte, von der es noch nicht einmal etwas ahnte. Womit auch? Ein Territorium also, dass das Tier gedanklich selbst nie betreten hatte. So entfernt, dass man von einer externen, einer outgesourcten Einheit sprechen kann. Zumindest dann, wenn man beim Networking in den zweistelligen Pilsbereich vorgedrungen ist.

Der Stegosaurus ist aus Gründen, die er selbst nicht zu verantworten hatte, vor langer Zeit ausgestorben. Die Evolutionsidee des Zweithirns hat sich aber in Teilbereichen bis heute gehalten und als segensreich erwiesen. Ein Bundesliga-Fuß­balltrainer hat mir über einen seiner Spieler mal gesagt: »Der Soundso ist nicht besonders helle im Kopp, aber das macht nix. Mit dem muss er nur wissen, wie er zum Friseur kommt. Aber täusch’ dich nicht. Der ist ein hochbegabter Fußballer. Der hat sein Gehirn im Knie.«

Auf anderen gesellschaftlich relevanten Spielfeldern ist die Sache nicht so erfolgreich gelaufen. Im modernen Kommunikationssektor muss man sogar deutlich von einer Fehlentwicklung sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass viele schrift­liche Mitteilungen, die mich über moderne Daten­übertragungssysteme erreichen, von Absendern stammen, die ihre Texte von ausgelagerten hirn­ähnlichen Strukturen schreiben lassen. Vieles liest sich so, als käme es direkt aus dem Bauch, aus dem inneren Organbereich, daher, wo auch ver­daut wird. Wahrscheinlich gibt es bereits Kom­munikatoren, die über ein rudimentär schreib­fähiges Vormagensystem verfügen, in dem vorverdauter Sprachbrei hochgewürgt und unmittelbar per sms, tweet oder mail versendet werden kann.

Viele Kulturpessimisten beklagen diese Entwicklung. Speziell die Smartphone-Technik befördere die Rasanz des Sprachverfalls. In diesem Chor will ich gar nicht mitheulen. Ich versuche doch immer, auch im Schlechten etwas Gutes zu entdecken. Und so finde ich es zum Beispiel ganz gut, dass ich das, was mich auf elektronischem Weg mehrfach täglich ankotzt, nur lesen, und nicht auch noch riechen muss. Seitdem die Menschen direkt aus dem Pansen posten, mailen und simsen, seitdem bin ich dankbar für jedes luftdicht versiegelte Display, das den Ausbruch der Buchstaben unmöglich macht.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?