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Werner von Siemens

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Unterseekabel

Obgleich die ersten Seekabel ohne die direkte Mitwirkung von Werner Siemens verlegt worden sind, und obwohl auch das gewaltige Werk der ersten telegraphischen Verbindung Europas mit Amerika ohne seine Teilnahme vor sich ging, ist er dennoch anerkanntermaßen als Begründer auch der unterseeischen Telegraphie anzusehen. Neben ihm hat sich Wilhelm Siemens dabei die größten Verdienste erworben.

Ohne die von Werner angegebene Isolierung mit Guttapercha hätte ja von einer Drahtführung durch das Wasser überhaupt nicht die Rede sein können. Seinen Überlegungen und Beobachtungen entsprang die richtige Form für die Herstellung der Kabel. Dann aber hat er auch die einzige sichere Methode der Kabelauslegung vom fahrenden Schiff her angegeben. Was vorher an Kabelführungen durch das Meer gelang – und es war nur äußerst wenig von bleibendem Wert – war Zufallserfolgen zu verdanken. Die wissenschaftliche Kabellegungstheorie von Werner Siemens erst brachte die notwendige Sicherheit auch in diese Technik.

Die bereits besprochene Beobachtung der Ladungserscheinungen in langen Kabeln hatte rechtzeitig die elektrische Methode aufgeklärt, die man zum Geben von telegraphischen Zeichen durch solche Leitungen anwenden mußte. Die Apparatur für die Kabeltelegraphie ist in Rücksicht darauf von Werner Siemens grundlegend ausgestaltet worden.

Die Geschichte der Kabellegungen ist so reich an höchst dramatischen Vorgängen wie der Werdegang keiner anderen Technik. Niemals wohl hat die Menschheit für die Erringung eines technischen Fortschritts so viel Lehrgeld bezahlen müssen wie hier. Daß die Summe nicht allzu hoch ward, daß sie nicht zu der schließlichen Einstellung der Versuche führte, ist das Verdienst der wissenschaftlichen Forschungen und praktischen Arbeiten von Werner Siemens. Auch ihm begegneten hierbei manche harten Erlebnisse, die er jedoch alle glücklich überstand, obgleich dabei selbst sein Leben mehr als einmal aufs schwerste bedroht war.

Im Jahre 1840 bereits legte der bedeutende englische Physiker Wheatstone dem Parlament den Plan für die Verlegung eines Meerkabels zwischen Dover und Calais vor. Er eilte jedoch mit dieser Absicht etwas allzu heißblütig den Zeitumständen voraus, denn damals kannte man noch keinen Stoff, der den Draht genügend sicher hätte isolieren können. Erst nachdem Werner Siemens jene berühmte Minenleitung im Kieler Hafen gelegt hatte, ging der englische Ingenieur Brett im Jahre 1850 wirklich daran, die Meerenge zwischen England und Frankreich durch ein mit Guttapercha isoliertes Kabel zu überbrücken. Er erachtete es nicht für nötig, über der Isolierung noch eine besondere feste Schutzhülle anzubringen, sondern ließ die bloße Leitung, mit Bleistücken beschwert, auf den Meeresboden nieder. Schon am Tag nach der Legung wurde der Draht durch einen Fischer zerstört. Ein zweites Kabel wurde im Jahre darauf von Crampton ausgelegt. Als es seine Güte durch eine gewisse Haltbarkeit bewiesen hatte, folgte alsbald der Bau unterseeischer Telegraphenlinien von England nach Irland und ebenso nach Belgien und Holland.

Es setzte darauf in England ein wahrer Kabeltaumel ein, und man begann auch größere Meere zu überbrücken, indem man dachte, daß das, was in den Küstengewässern gelungen war, auch weiter draußen anwendbar sein müsse. Wissenschaftliche Kenntnisse waren eben damals in der Industrie noch wenig verbreitet. Der Firma Newall & Co., die in Gateshead-on-Tyne eine Kabelfabrik besaß, gelang es auch wirklich, im Jahre 1854 ein Kabel durch das Schwarze Meer von Varna an der Balkanküste nach Balaclava auf der Krim zu legen. Die Leitung hielt aber nur ein Jahr lang, nämlich gerade bis zur Eroberung von Sebastopol. Es stellten sich hierbei auch schon Schwierigkeiten bei der Benutzung der damals in England noch gebräuchlichen Nadeltelegraphen heraus, weil die elektrostatische Kabelladung ihren hindernden Einfluß auf die Stromsendungen ausübte. Obwohl Werner Siemens seine Beobachtungen dieser Erscheinungen schon vier Jahre vorher publiziert hatte, waren sie in England doch noch nicht bekannt geworden. Nun wandte man sich an ihn und bestellte bei seiner Firma geeignete Telegraphenapparate. Da Siemens & Halske, wie wir wissen, auch in russischem Auftrag eine Linie nach Sebastopol gebaut hatten, so entstand jetzt der eigentümliche Zustand, daß in beiden feindlichen Lagern Apparate gleichen Fabrikats arbeiteten.

Brett, der schon im Kanal nicht sonderlich günstig gearbeitet hatte, machte im folgenden Jahr den Versuch, ein Kabel quer durch das Mittelländische Meer von Cagliari nach Bona in Algier zu verlegen. Aber ihm war das Glück nicht hold. Als er in tiefes Wasser kam, rollte das Kabel, weil die Trommel auf dem Schiff nicht genügend scharf gebremst werden konnte, ab und ging verloren. Ein gleiches geschah bei dem zweiten Versuch Bretts im Jahre 1856. Er gab daher weitere Versuche auf, und die Legung des Kabels wurde der Firma Newall & Co. anvertraut.

Inzwischen hatte Wilhelm Siemens dafür gesorgt, daß die Leistungen Werners auf dem Gebiet der Telegraphie in England bekannt wurden. Mittels des Kabels durch das Schwarze Meer hatte Newall ja schon eine Verbindung mit dem Berliner Haus angeknüpft, und nun ersuchte er, gewitzigt durch die Mißerfolge Bretts, Werner Siemens, die elektrische Prüfung des Mittelmeerkabels bei der Legung zu übernehmen. Denn dieser hatte inzwischen den Grundsatz aufgestellt, daß das Kabel in jedem Augenblick der Legung sorgfältigst daraufhin kontrolliert werden müsse, ob es auch fehlerfrei sei.

Im September 1857 ging Werner Siemens mit einem Gehilfen und den notwendigen elektrischen Apparaten an Bord einer sardinischen Korvette, die alle an der Kabellegung Beteiligten nach Bona brachte. Obgleich Siemens nicht die Absicht hatte, sich um den mechanischen Teil der Kabellegung zu kümmern, konnte er doch nicht umhin, an den Unterhaltungen über die beste hierfür anzuwendende Methode teilzunehmen und schließlich auseinanderzusetzen, daß ein Mißerfolg bei dieser Legung sicher sei, wenn man dabei beharre, die im seichten Wasser gebräuchliche Methode auch bei größeren Meerestiefen zu benutzen. Er stellte schon damals seine Kabellegungstheorie auf, die in der Hauptsache darin bestand, daß das Kabel an Bord des legenden Schiffs durch Bremsvorrichtungen mit einer Kraft zurückgehalten werden müsse, die dem Gewicht eines senkrecht zum Meeresboden hinabreichenden Kabelstücks im Wasser entspricht. Er hat diese improvisierte Darlegung dann später zu einer geschlossenen wissenschaftlichen Theorie ausgebaut, die er im Jahre 1874 der Akademie der Wissenschaften in Berlin vorlegte. Sie ist, wie schon bemerkt, für alle Zeiten grundlegend geworden.

Werner Siemens wurde nun ersucht, außer der elektrischen Überwachung auch die mechanische Auslegung des Kabels leitend zu übernehmen, und trotz der nur provisorisch nach seinen Angaben zusammengestellten Einrichtungen hierfür gelang es ihm in der Tat, das Kabel glücklich von einem Landungspunkt zum anderen hinüberzubringen, noch dazu ohne »slack«, das heißt, ohne mehr Kabel zu gebrauchen, als der überschrittenen Bodenlänge entsprach. Es war dies das erste Kabel, das über größere Tiefen glücklich gelegt wurde.

Durch die Arbeit, die Werner Siemens während der Legung leistete, fühlte er sich außerordentlich angegriffen. Er hatte sich keinen Augenblick der Ruhe und Erholung gegönnt und sich nur durch häufigen Genuß von starkem schwarzen Kaffee aufrecht zu erhalten vermocht. Nach Beendigung der Expedition gebrauchte er mehrere Tage zur Wiedererlangung seiner Kräfte.

Der Sieg der Deutschen war damit vollkommen. Und als noch in demselben Jahr Newall & Co. mit der Legung von Kabeln zwischen Cagliari und Malta sowie Korfu beauftragt wurden, waren es wiederum Ingenieure von Siemens & Halske, welche die elektrischen Prüfungen bei der Verlegung ausführten. Es konnte nicht lange dauern, bis unter diesen Umständen das Verhältnis mit der englischen Firma recht unangenehm zu werden begann. Die Engländer versuchten Siemens' Verdienste zu verkleinern, und dieser ging daher bald daran, ein eigenes Haus in England zu begründen. Denn dieses Land mußte, wie er wohl einsah, noch für lange Zeit das Hauptausgangsgebiet für Kabelverlegungen bleiben. Am 1. Oktober 1858 wurde die Firma Siemens, Halske & Co. in London gegründet, und an ihre Spitze trat der vielbewährte und in England bereits hochangesehene Bruder Wilhelm.

Schon im Jahre 1858 hatte die neue Firma Gelegenheit, sich lebhaft zu betätigen. Damals erhielten Newall & Co. den Auftrag, ein Kabel durch das Rote Meer von Suez nach Aden und dann weiter durch den Indischen Ozean bis nach Karatschi in Indien zu legen. Das Haus Siemens übernahm nun selbständig die elektrische Überwachung der Kabellegung sowie die Lieferung und Aufstellung der Apparate. Dieses Kabel hatte eine besondere Bedeutung aus dem Grund, weil es die außerordentliche Länge von 3500 Seemeilen hatte, während die Mittelmeerkabel nur höchstens 700 Seemeilen lang gewesen waren. Werner Siemens arbeitete daher eine neue Theorie aus, die er innerhalb eines Aufsatzes »Apparate für den Betrieb langer Unterseelinien« veröffentlichte, und die ihn zu besonderen Konstruktionen veranlaßte; diese sind unter dem Namen »Rotes-Meer-System« bekannt geworden. Siemens brachte hier zum erstenmal den Kondensator bei der Kabeltelegraphie in Anwendung, der für die transatlantische Nachrichtengebung von größter Bedeutung geworden ist.

Die Auslegung des Kabels gelang wiederum gut. Aber weil es schon in der Fabrik nicht mit vollster Sorgfalt hergestellt worden war, und da auch die hohe Temperatur des Roten Meers die Guttapercha erweichte, wurde nach der Ankunft in Aden ein Fehler festgestellt, der das Telegraphieren unmöglich machte. Die Engländer waren sehr unglücklich darüber und glaubten schon, das ganze Kabel wieder aufnehmen zu müssen, da man ja, wie sie meinten, nicht wissen könne, an welcher Stelle sich der Fehler befände.

 

Aber Siemens wandte sich wiederum an die Zauberin Wissenschaft und untersuchte das Kabel nach einer schon früher von ihm erdachten Methode. Damit vermochte er die Fehlerlage ziemlich genau zu bestimmen. Er behauptete, daß die schadhafte Stelle ganz in der Nähe von Aden, noch in der Meerenge von Bab-el-Mandeb liegen müsse. Die Engländer lachten zwar über diesen »scientific humbug«, aber als man das Kabel an der angegebenen Stelle aufgefischt und geschnitten hatte, ergab sich, daß der Rest fehlerfrei war. Die Genauigkeit der Messung war dadurch möglich geworden, daß Werner Siemens zum erstenmal an die Stelle der unsicheren Strommessung die weit genauere Widerstandsmessung gesetzt hatte. Wir werden seinen Bemühungen um die allgemeine Einführung dieser Widerstandsmessung noch bei der Zusammenfassung seiner wissenschaftlichen Meisterarbeiten begegnen.

Leider aber blieb dieser so schnell behobene Fehler nicht der einzige in dem Kabel durch das Rote Meer. Nachdem es kurze Zeit im Gebrauch gewesen, trat immer deutlicher das Vorhandensein vieler schlecht isolierter Stellen hervor. Sie konnten zum größten Teil nicht mehr ausgebessert werden, weil das Kabel durch Korallenbildung auf dem Meeresboden festgehalten wurde. Es ging schließlich gänzlich zugrunde, und Siemens weist in seinen Schriften darauf hin, daß mangelnde Sorgfalt bei der Fabrikation und schlechte Auswahl der Lage der Grund für den Untergang dieses sowie fast sämtlicher bis zu jener Zeit gelegten Kabel gewesen sind.

Erst nachdem vom Jahre 1859 ab die englische Regierung der Firma Siemens, Halske & Co. die Kontrolle der Kabel schon bei der Anfertigung und alle weiteren Prüfungen übertragen hatte, hörten die schweren Verluste auf. Seit jener Zeit setzte sich der von Werner Siemens aufgestellte Grundsatz durch, daß nicht die Billigkeit, sondern die Güte bei der Fabrikation von Unterseekabeln ausschlaggebend sein müsse. Im Juli 1860 hielt Wilhelm Siemens vor der British Association einen Vortrag mit dem Titel »Umriß der Prinzipien und des praktischen Verfahrens bei der Prüfung submariner Telegraphenlinien auf ihren Leitungszustand«. Damit wurden die Siemensschen Erfahrungen Allgemeinbesitz, und seit jener Zeit sind keine fehlerhaften Kabel mehr verlegt worden.

Die Kabellegung im Roten Meer sollte für die Beteiligten noch ein seltsames Nachspiel haben. Die Mitglieder der Expedition gingen nach Erledigung der Geschäfte an Bord des Dampfers »Alma« von der Peninsular and Oriental Company. Sie trafen auf dem Schiff eine höchst elegante Gesellschaft an, von der die neu hinzugekommenen Reisenden wegen ihrer stark abgenutzten Kleidung ziemlich über die Achsel angesehen wurden. Aber bald sollte ein unerwartetes Ereignis alle scheinbaren Standesunterschiede gründlichst verwischen. Wir lesen darüber in den »Lebenserinnerungen«:

»Wir hatten erst einige Stunden geschlafen, als wir auf eine rauhe Weise aus unseren Träumen geweckt wurden. Ein heftiger Stoß machte das ganze Schiff erzittern, ihm folgten zwei andere noch heftigere, und als wir entsetzt aufgesprungen waren, fühlten wir auch schon, wie das Schiff sich zur Seite neigte. Ich hatte glücklicherweise meine Stiefel nicht ausgezogen, nur Hut und Brille abgelegt. Als ich mich nach diesen umsah, bemerkte ich meinen Hut bereits auf dem Wege zum niedersinkenden Schiffsbord und folgte ihm unfreiwillig in gleicher Richtung.

»Von allen Seiten erscholl ein wilder, angsterfüllter, ohrenzerreißender Aufschrei, dann ein allgemeines Gepolter, da alles auf Deck Befindliche den Weg in die Tiefe antrat. Instinktiv strebte jeder dem höheren Schiffsbord zu, die meisten vermochten ihn zu erreichen. Mir ging es schlechter, da ich beim Suchen nach Hut und Brille Zeit verlor. Schon strömte das Wasser über die Bordkante und mahnte mich, an die eigene Rettung zu denken. Das Deck war in wenigen Sekunden in eine so schräge Lage gekommen, daß es nicht mehr möglich war, auf ihm emporzuklimmen. Doch die Not macht riesenstark! Ich stellte Tische und Stühle so übereinander, daß ich ein im hellen Mondschein sichtbares Schiffstau, das vom hochliegenden Bord herunterhing, erreichen und an ihm emporklimmen konnte.

»Dort oben fand ich fast die ganze Schiffsgesellschaft schon versammelt und mit bewunderungswürdiger Ruhe die Entwicklung des Dramas erwartend … Das Schiff lag bald ganz auf der Seite, und die große Frage, an der jetzt Leben und Tod alles Lebendigen auf ihm hing, war die, ob es eine Ruhelage finden oder kentern und uns sämtlich in die Tiefe schleudern würde.«

Auch hier, in dieser höchsten Notlage, verzichtete Werner Siemens nicht darauf, in aller Ruhe eine wissenschaftliche Methode anzuwenden.

»Ich errichtete mir,« so schreibt er weiter, »eine kleine Beobachtungsstation, mit deren Hilfe ich die weitere Neigung des Schiffes an der Stellung eines besonders glänzenden Sternes verfolgen konnte, und proklamierte von Minute zu Minute das Resultat meiner Beobachtungen. Alles lauschte mit Spannung diesen Mitteilungen. Der Ruf »Stillstand!« wurde mit kurzem, freudigem Gemurmel begrüßt, der Ruf »Weitergesunken!« mit vereinzelten Schmerzenslauten beantwortet. Endlich war kein weiteres Sinken mehr zu beobachten, und die lähmende Todesfurcht machte energischen Rettungsbestrebungen Platz.«

Es gelang schließlich, bei ruhiger See die ganze Schiffsgesellschaft in Booten auf einen Korallenfelsen der Harnischinselgruppe zu schaffen. Da die meisten keine Schuhe anhatten, und der Felsen mit scharfen Korallenspitzen übersät war, so war es Siemens' erste Sorge, hier Ersatz zu schaffen. Er fuhr noch einmal nach dem Wrack zurück und holte eine Linoleummatte. Unter Verwendung seines ebenfalls geretteten Taschenmessers eröffnete er nun am Ufer eine Sandalenwerkstatt und brachte so freudigst begrüßte Hilfe.

Fünf Tage lang mußten nun die 500 Geretteten auf dem etwa einen Hektar großen Koralleneiland zubringen. Die Sonne brannte mit furchtbarer Glut hernieder, und das Wasser fing an zu mangeln. Dazu kam, daß die Schiffsbesatzung zu meutern begann. Die Offiziere hatten wegen der schlechten Führung des Fahrzeugs alle Autorität verloren; es mußte deshalb aus den jüngeren Passagieren eine Wachmannschaft gebildet werden. Nachdem alle schwere Qualen ausgestanden hatten, kam endlich ein englisches Kriegsschiff in Sicht, das die Schiffbrüchigen zunächst mit dem heiß begehrten Trinkwasser versorgte und dann zur Weiterbeförderung aufnahm. —

Die Brüder Siemens wollten fortab in noch stärkerem Maß in dem Kabelgeschäft unabhängig sein. Insbesondere auf das Betreiben von Wilhelm wurde darum im Jahre 1863 eine eigene Kabelfabrik in Charlton bei Woolwich gegründet. Der erste Auftrag für diese kam von der französischen Regierung, die ein Kabel für eine neue Verbindung mit ihrer wichtigsten Kolonie, Algier, bestellte. Der Anfangspunkt in Europa sollte Cartagena in Spanien sein, bis wohin eine Landlinie lief, und drüben sollte es in Oran landen. Obgleich die Strecke recht kurz war, und obwohl die Brüder Siemens ihre ganze Kunst auf dieses Kabel verwendeten, sollte die Legung aus äußeren Gründen doch die unglücklichste von allen werden, die sie je ausgeführt haben.

Werner Siemens mußte, um an der Verlegung teilnehmen zu können, ganz Europa durchqueren, denn er befand sich zu jener Zeit in Moskau. In fünf Tagen fuhr er über Petersburg, Berlin und Paris nach Madrid. Dort traf er neben den anderen Teilnehmern an der Expedition seinen Bruder Wilhelm mit seiner jungen Gattin Anne, die gleichfalls mit zu Schiff ging.

In den »Lebenserinnerungen« sagt Werner Siemens, daß, vom Standpunkt des vorgeschrittenen Alters betrachtet, jene Kabellegung ein großer Leichtsinn gewesen sei, da Schiff und Legungsmethode durchaus unzweckmäßig waren. Als Entschuldigung dafür, daß das Unternehmen trotzdem versucht wurde, könne nur angeführt werden, daß sie damals unter allen Umständen ein eigenes Kabel legen wollten. Wilhelm hatte unglücklicherweise darauf gedrungen, daß ein neuer, von ihm erdachter Mechanismus für die Kabellegung angewendet würde, eine Trommel mit stehender Achse, deren Konstruktion zwar sehr geistreich ersonnen war, sich jedoch nicht bewähren sollte.

Als man das Kabel von Oran aus zu legen begann, zeigte sich, daß es trotz der ausgezeichneten Fabrikationsmethode, mit der man es hergestellt hatte, doch mechanisch nicht völlig zuverlässig geblieben war, da es sich seitdem stark verändert hatte. Man hatte damals eben noch nicht genügend Erfahrungen. Die Festigkeit des Kabels hatte gelitten. Doch da das Wetter ruhig und schön war, wollte man trotzdem den Versuch machen. Aber nachdem die Uferstrecke gelegt war, riß das Kabel plötzlich und sank in die Tiefe, von wo es wegen des am Meeresboden befindlichen Steingerölls nicht mehr aufgefischt werden konnte.

Man war jedoch nicht allzu traurig darüber, da man einen ausreichenden Überschuß an Kabel auf dem Schiff hatte, und es wurde nur beschlossen, an Stelle von Cartagena den näher liegenden Ort Almeria als Landungspunkt in Spanien zu benutzen. Um die Situation dort aufzuklären, mußte man vorerst hinüberfahren. Dies geschah, und die Schiffsgesellschaft, die von den Ortsbewohnern sehr freundlich aufgenommen und durch ein Fest in den Räumen des Theaters geehrt wurde, verlebte in der spanischen Stadt einen sehr angenehmen Tag.

Aber als man am nächsten Morgen wieder abgefahren war, änderte sich das bisher so günstige Wetter plötzlich, nachdem die offene See erreicht war. Es blies ein lebhafter Südwest, und eine tiefgehende Wolke streckte einen seltsamen Rüssel bis zum Meer hinab, wo das Wasser unter dem Rüssel mächtig aufschäumte.

Bald kam man mit dem schlechten Schiff, das ein englischer Küstenfahrer und für das offene Meer wenig geeignet war, in den Teil der See, den die Wasserhose kräftig aufgewühlt hatte. Das Schiff begann hier mächtig zu schwanken, und plötzlich hörte man dumpfe, kurze Schläge aus dem Innern herauftönen. Die Kabeltrommel hatte sich gelöst.

Entsetzt stürzte Werner Siemens in die Kajüte zu seinem Bruder Wilhelm, der schwer mit der Seekrankheit kämpfte. Nur dieser kannte die Konstruktion der Trommel genügend und vermochte allein, das Ungetüm wieder zu fesseln, das die Schiffswände im nächsten Augenblick zu zerschmettern drohte. Das gelang denn auch mit großer Mühe. Mit einem Gefühl der Befreiung suchten alle, als es dunkel wurde, ihr Lager auf. Aber bald sollten sie durch ein neues schreckliches Begebnis geweckt werden.

»Ich hatte,« so schildert Werner Siemens den Vorgang, »noch nicht lange geschlafen, als mich lautes Kommando und Schreckensrufe auf Deck jäh erweckten; unmittelbar darauf legte sich das Schiff in einer Weise auf die Seite, wie ich es sonst nie erlebt habe und auch heute noch kaum für möglich halten kann. Die Menschen wurden aus ihren Betten geworfen und rollten auf dem ganz schräg stehenden Fußboden der großen Kajüte in die gegenüberliegenden Kabinen. Ihnen folgte alles, was beweglich auf dem Schiff war, und gleichzeitig erlosch alles Licht, da die Hängelampen gegen die Kajütendecke geschleudert und zertrümmert wurden. Dann erfolgte nach kurzer Angstpause eine Rückschwankung und noch einige weitere von nahezu gleicher Stärke.

»Es gelang mir, gleich nach den ersten Stößen, das Deck zu gewinnen. Ich erkannte im Halbdunkel den Kapitän, der auf meinen Zuruf nur nach dem Hinterdeck zeigte mit dem Rufe: »Voilà la terre!« In der Tat schien eine hohe, in der Dunkelheit schwach leuchtende Felswand hinter dem Schiff zu stehen. Der Kapitän hatte, als er sie gesehen, das Schiff ganz plötzlich gewendet, und dadurch waren die gewaltigen Schwankungen hervorgerufen. Er meinte, wir müßten abgetrieben sein und befänden uns dicht vor den Felsen des Cap des Lions.

»Plötzlich rief eine Stimme im Dunkeln: »La terre avance!«, und wirklich stand die hohe, unheimlich leuchtende Wand jetzt dicht hinter dem Schiff und rückte mit einem eigentümlichen, brausenden Geräusch heran.

»Dann kam ein Moment so schrecklich und überwältigend, daß er nicht zu schildern ist.

»Es ergossen sich über das Schiff gewaltige Fluten, die von allen Seiten heranzustürmen schienen, mit einer Kraft, der ich nur durch krampfhaftes Festhalten an dem eisernen Geländer des oberen Decks widerstehen konnte. Dabei fühlte ich, wie das ganze Schiff durch heftige, kurze Wellenschläge gewaltsam hin und her geworfen wurde. Ob man sich über oder unter Wasser befand, war kaum zu unterscheiden. Es schien Schaum zu sein, den man mühsam atmete. Wie lange dieser Zustand dauerte, darüber konnte sich später niemand Rechenschaft geben. Auch die in der Kajüte Gebliebenen hatten mit den heftigen Stößen zu kämpfen, die sie hin und her warfen, und waren zu Tode erschreckt durch das prasselnde Geräusch der auf Deck niederfallenden Wassermassen. Die Zeitangaben schwankten zwischen zwei und fünf Minuten.

 

»Dann war ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte, alles vorüber, aber die leuchtende Wand stand jetzt vor dem Schiffe und entfernte sich langsam von ihm.

»Als nach kurzer Zeit die ganze Schiffsgesellschaft sich mit neugestärktem Lebensmute auf dem Schiffsdeck zusammenfand und die überstandenen Schrecken und Wunder besprach, meinten die französischen Offiziere, das unglaublichste Wunder sei doch gewesen, daß unsere Dame gar nicht geschrien habe. Die echt englische, mit steigender Gefahr wachsende Ruhe meiner Schwägerin schien den lebhaften Franzosen ganz unbegreiflich.«

Die Wasserhose war mit ihrer ganzen Gewalt über das Schiff hinweggegangen, und die Passagiere hatten nur einem Wunder die Rettung zu verdanken. Doch das Phänomen gewährte ihnen, nachdem es sie erschreckt, auch eine Erquickung dadurch, daß es das lebhaftest bewegte Meer in herrlichstem Glanz aufleuchten ließ. Werner Siemens erzählt, das Meeresleuchten sei so lebhaft gewesen, daß man dabei selbst kleine Schrift deutlich habe lesen können.

Einige Stunden später landete man in Oran, und trotz der durchgemachten Aufregung mußte doch daran gedacht werden, das Kabel nach Almeria auszulegen. Es wurde auf eine andere Trommel gewickelt, und bei wiederum sehr schönem Wetter fuhr man ab.

Alles ging sehr gut, und schon hatte man den Küstenstrich bei Cartagena dicht vor Augen. Da sahen die Beobachter des Kabels plötzlich, wie dieses ganz sanft auseinanderging und in der Tiefe verschwand.

Das bedeutete einen Verlust von 150000 Mark. In einem an seinen Bruder Karl gerichteten Brief schrieb Werner bald darauf: »Wie die Untersuchung ergab, war der Hanf an der Bruchstelle gebräunt, was uns einen Augenblick an Bosheit glauben ließ. Doch es scheint eine Schwächung durch Eisenrost gewesen zu sein. Du hast keine Idee, wie ein solcher Ruck einem durch die Glieder fährt! – Bei dem großen Sturme hatte Anne sich mit bewundertem Mute in ihr Schicksal ergeben; als aber das Kabel riß, war ihre Selbstbeherrschung nicht ausreichend; das wirkte stärker wie die Todesfurcht! Wir sind doch sonderbare Geschöpfe!«

Noch schwerer als der finanzielle Verlust traf ihn das technische Fiasko. »Die Arbeit von Monaten, alle Mühe und Gefahr, die nicht wir allein, sondern auch alle unsere Begleiter des Kabels wegen erlitten hatten, waren in einem Augenblick, einiger verstockter Hanffäden wegen unwiederbringlich verloren. Dazu das unangenehme Gefühl, Gegenstand des Mitleids der ganzen Schiffsgesellschaft zu sein. Es war eine harte Strafe für unsere Waghalsigkeit.«

Noch in demselben Jahr wurde, um die Scharte möglichst schnell auszuwetzen, wiederum eine Legung mit einem neu angefertigten und verstärkten Kabel vorgenommen. Diesmal ging alles glücklich vonstatten, und Werner Siemens erhielt von Wilhelm, der wiederum die Legung leitete, aus Cartagena die ersehnte Mitteilung, daß bereits Telegramme zwischen Oran und Paris gewechselt worden seien. Nach wenigen Stunden folgte dann aber die betrübliche Nachricht, daß das Kabel an der spanischen Küste gebrochen sei. Ein Aufnehmen wurde versucht, blieb aber vergeblich, und so war auch das zweite Kabel verloren. Es hatte sich über zwei Felsen gelagert, die hoch über dem Meeresboden standen. So freischwebend bildete es eine »Kettenlinie«, deren Spannung so groß war, daß das Kabel unter dem Zug der eigenen Schwere riß. Zum Glück war die Firma Siemens, Halske & Co. durch die Tatsache, daß zwischen Paris und Oran wirklich Telegramme gewechselt worden waren, von der Verpflichtung entbunden, noch eine dritte Legung zu unternehmen.

Die sehr schweren Verluste, die durch diese unglückliche Unternehmung verursacht waren, führten zu einer Krisis im Geschäft. Halske trat damals aus dem Unternehmen aus, und das Londoner Haus wurde unter der Firma Siemens Brothers selbständig gemacht. Diese Periode ist als die Lehrzeit der Siemens auf dem Gebiet der Kabeltelegraphie aufzufassen, denn die Erfahrungen, die sie hierbei machten, befähigten sie zu den großen und grundlegenden Erfolgen, die sie fortab davontrugen.

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