Comanchen Mond Band 2

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Summer-Rain hielt es vor Ungeduld kaum noch aus. Sie wollte endlich wissen, was unter ihnen vorging. Ihre Gedanken eilten bereits weit voraus. Schließlich mussten sie von hier weg. Dafür brauchten sie Pferde. Woran keine der anderen Frauen dachte, schwirrte ihr bereits seit einiger Zeit im Kopf herum. Um Gewissheit zu erlangen, wagte sie sich ungefragt ein Stück aus der Höhle. Inzwischen war es dunkel geworden, und der Mond stand schräg über ihnen im Osten. Ein Trompetensignal war zu hören; also waren die Soldaten noch in der Nähe. Summer-Rain sah die Feuer brennen, und ihr Herz klopfte laut. Die Soldaten hatten unter ihnen ihr Lager errichtet. Das hieß, dass sie noch eine Weile bleiben wollten. Auch auf der anderen Seite des Flusses waren Feuer zu sehen. Unruhig schaute sie auf die Menge der Zelte, auf die Wimpel und Fahnen, die sich im Nachtwind bewegten. Soldaten liefen dazwischen hin und her, einige waren zu Pferde, andere saßen um Feuer. Was sollten sie machen? Ratlos wandte sie sich zurück und suchte im Halbdunkel der Höhle die Augen von Großmutter, die jedoch gerade mit Dream-In-The-Day beschäftigt war.

Wieder blickte sie hinunter. Es half nichts – ihr musste etwas einfallen. Sie hatte gehofft, die Soldaten würden abziehen. Wie es aussah, dachten diese aber nicht daran. Bis zum Fluss hinunter breitete sich das Lager aus. Immer mehr Feuer brannten und erhellten die Dunkelheit. So viele Soldaten auf einmal hatte sie noch nie gesehen. Manche von ihnen trugen Verbände, einige hinkten oder stützten sich auf ihre Kameraden. Die meisten saßen an ihren Feuern, hatten aber ihre Waffen in Reichweite neben sich liegen. Schräg unter ihr erblickte Summer-Rain ein großes Zelt vor einer Senke. Davor ging ein Posten auf und ab. Soeben ritten vier Männer vom Fluss herauf auf das große Zelt zu.

Pawnee-Scouts. Wütend ballte sie die Fäuste. Pawnee und Comanchen hatten sich noch nie vertragen. Unbehelligt ritten sie durch dieses Lager, trugen Uniformjacken, sogar Soldatenmützen, und benahmen sich wie Sieger. Sie tat diese Gedanken mit einem Kopfschütteln ab. Viel wichtiger war die Frage: Wie lange hatten die Soldaten vor, hier zu bleiben?

Während Dream-In-The-Day ihr Baby zur Welt brachte, blieb Summer-Rain auf ihrem Beobachtungsposten. Soeben ritten einige Soldaten mit einer größeren Anzahl Pferde unten am Geröllfeld vorbei nach Osten und entschwanden ihren Blicken. Sie musste unbedingt wissen, was sich dort befand. In ihrem Kopf begann sich eine Idee zu entwickeln. Bevor sie die Pawnee gesehen hatte, war sie davon überzeugt gewesen, es länger hier oben aushalten zu können. Nun war sie beunruhigt. Der kleinste Hinweis würde genügen, und die Pawnee würden hier heraufkommen. Weiße waren leicht in die Irre zu führen – da genügte eine einfache List. Diese Pawnee würden nicht so leicht zu täuschen sein. Und wenn es hell wurde, kam vielleicht einer von ihnen auf den Gedanken, hier hochzusteigen. Sie wandte sich um und bemerkte die Erschöpfung in Großmutters Gesicht. Die Frauen froren und es gab kein Wasser. Das letzte hatten sie Dream-In-The-Day gegeben. ‚Hier können wir nicht bleiben‘, dachte sie gerade, als das Baby geboren wurde. Deam-In-The-Day drückte es an ihre Brüste, damit seinen ersten Schrei unterdrückend. Obwohl die Geburt im Dunkeln stattgefunden hatte und das Umfeld nicht gerade geeignet für ein Willkommen war, kam es ihnen doch wie eine große Freude vor. Es war ein Mädchen. Großmutter hob das winzige Menschlein hoch und kurz in das spärliche Licht, das der Mond durch den Eingang warf. Dabei hielt sie dem Baby die Nase zu, damit es durch den Mund atmen musste und nicht schreien konnte. Das war das Erste, was Comanchenkinder lernten: nicht zu schreien.

Dann bat sie den Großen Geist, es zu beschützen. Es wurde nicht viel gesprochen. Leise murmelten sie Gebete, dann wickelten sie das Kind rasch in eine der Decken, die sie dafür mitgenommen hatten. Das Mädchen schien gesund zu sein – mehr war nicht wichtig. Schon nach kurzer Zeit nahm Summer-Rain wieder ihren Beobachtungsposten ein. Jetzt jedoch, da sie die Pawnee fürchten musste, mit noch mehr Aufmerksamkeit. Bei dem großen Zelt vor der Senke tat sich etwas. Großmutter hatte ihr gesagt, dass dort vor gar nicht langer Zeit Light-Cloud mit Icy-Wind gekämpft hatte.

Die vier Pawnee warteten anscheinend auf jemanden. Dann sah sie einen weißen Mann mit diesem Ding an der Seite, von dem John Black gesagt hatte, dass das ein Säbel sei. War das ihr Kriegshäuptling? Jemand brachte ihm ein Pferd, und er ritt mit den Pawnee unter dem Geröllfeld entlang. Gebannt beobachtete sie die Reitergruppe. Auf einmal hörte sie das Neugeborene hinter ihr. Nur ein kleiner, unterdrückter Schrei – mehr ein Luftschnappen. Sofort drückte Dream-In-The-Day ihrer Kleinen die Hand auf den Mund. Summer-Rain starrte erschrocken nach unten auf die Reitergruppe, denn der Wind wehte genau in ihre Richtung. Einer der Pawnee schaute hoch. Hatte er etwas gehört? Wie zur Bestätigung ihrer Befürchtung zeigte er mit ausgestrecktem Arm auf die Felsen.

Summer-Rains Herz schlug schneller. Drei der Pawnee ritten mit dem weißen Soldaten weiter. Schon wollte sie aufatmen, doch da fiel ihr ein, dass es zuvor vier gewesen waren. Wo aber war dieser Pawnee? Er musste direkt unterhalb von ihnen sein. Eine Warnung zu den Frauen hin flüsternd, zog sie sich etwas zurück. Sie war sich sicher, dass er immer noch unter ihnen war. Wenn sie sein Misstrauen erregt hatten, konnten sie nicht länger hierbleiben. „Wir müssen weg“, hauchte sie in die Dunkelheit. „Sofort“, flüsterte sie bestimmt. „Bei den weißen Kriegern sind Pawnee. Einer wartet direkt unter uns. Wenn die Sonne den neuen Tag begrüßt, ist es für eine Flucht zu spät. Dann werden sie heraufkommen.“

Sie hatte sich um einen sachlichen Ton bemüht, um die Frauen nicht unnötig zu ängstigen.

Großmutter warf einen besorgten Blick auf Dream-In-The-Day. Die lag – in eine der Decken gewickelt, ihr Baby an der Brust – gegen die Felswand gelehnt und bemühte sich, in eine bequemere Stellung zu kommen. Ihr Gesicht war entspannt; die roten Flecken, die noch vor kurzem dort zu sehen waren, hatten sich aufgelöst. Für diese Verhältnisse hier und angesichts der erst vor kurzem überstandenen Geburt sah sie sogar hübsch aus. Nach vorn gebeugt, mit dem Gesicht im Mondlicht, konnten alle sie sehen, als sie sich mit schwacher Stimme an Summer-Rain wandte. „Dann müssen wir gehen. Comes-Through-The-Summer-Rain, du warst schon immer die Mutigere von uns allen. Sag du uns, was wir tun sollen.“

In der Höhle konnte man nur das leise schmatzende Geräusch hören, das das Baby beim Trinken machte. Zärtlich strich Dream-In-The-Day ihm über das kleine, mit dunklem Flaum bedeckte Köpfchen. Summer-Rain dachte kurz nach. Konnte sie das, was ihr, seit sie die Pawnee entdeckt hatte, durch den Kopf ging, den Frauen zumuten? Ihrer Großmutter würde das überhaupt nicht gefallen. „Wir brauchen Pferde“, raunte sie. Dann, sich wieder auf ihren Beobachtungsposten begebend, doch nach hinten gewandt: „Ich werde sie für uns besorgen.“

Niemand sagte etwas, auch Großmutter nicht. Summer-Rain schaute wieder nach unten. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor. Jetzt war der Schatten des Pferdes mit dem Pawnee zu sehen. Jedes kleinste Steinchen, das den Abhang hinunterrollte, würde sie verraten. „Ich gehe runter“, flüsterte sie, ihren Zeigefinger hebend. Niemand sollte ihr widersprechen, nicht einmal Großmutter.

„Wenn ich unten bin, werde ich nach Sonnenaufgang gehen“, erklärte sie ihnen ihren Plan. „Ich habe gesehen, wie die Soldaten Pferde nach dort gebracht haben.“ Dieses Sommerlager hier war ihr nicht vertraut. Deshalb wandte sie sich jetzt an Dark-Night, die am nächsten von ihr hockte. „Sag mir, was dort unten ist; beschreib mir alles, und ich brauche außerdem einen sicheren Ort, wo ich drei Pferde verstecken kann.“

Dark-Night rückte noch näher an sie heran und begann, ihr die Gegebenheiten zuzuflüstern. „Hinter dem Wald, auf der anderen Seite, gibt es einen kleinen Birkenhain“, kam sie zum Schluss. „Dort kannst du die Pferde verstecken.“

Summer-Rain nickte. Niemand wagte einen Einwand, und doch wussten alle, welches Wagnis sie einzugehen bereit war. Es blieb ihnen nur diese eine Nacht zur Flucht. Wenn die Sonne aufging, wäre es längst zu spät. Summer-Rain machte es kurz. „Ich muss versuchen, die Soldaten und besonders diesen einen Pawnee, abzulenken, damit ihr hinten an den Felsen vorbei in den Wald und dann auf die andere Seite zu den Pferden gelangen könnt.“

Großmutters Gesicht fiel in sich zusammen. Ihre weit aufgerissenen Augen starrte Summer-Rain entsetzt an. Es war dunkel in der Höhle; trotzdem spürten die Frauen, dass sie damit ganz und gar nicht einverstanden war. Doch niemand fragte nach ihrer Meinung. Ihr Mund öffnete sich, dann schloss sie ihn wieder. Angesichts ihrer jetzigen Situation blieb ihnen keine Wahl.

„Der Pawnee“, fuhr Summer-Rain ungerührt fort, „wird sich nicht von der Stelle rühren. Niemand von euch wird von hier fortkönnen, solange er dort Wache hält.“ Fürsorglich griff sie nach Großmutters Hand und drückte sie fest. „Ich verspreche dir, so vorsichtig zu sein wie eine Wildkatze – wie mein Bruder mich manchmal nennt. Ich habe schon einmal die Pawnee überlistet. Mir, Comes-Through-The-Summer-Rain, wird das auch diesmal gelingen. Diese Pawnee sind nur Büffelscheiße – und vor Büffelscheiße habe ich keine Angst.“

Trotz ihrer Bedenken nickte die alte Frau. „Ich weiß, Kleines“, flüsterte sie in die Dunkelheit. „Dein großer Bruder Light-Cloud hat dir mehr beigebracht, als ich hätte zulassen dürfen. Nie hast du um Erlaubnis gefragt. Statt dich zu bestrafen, habe ich deine Wunden verbunden. Nun, das habe ich nun davon. Sei vorsichtig, mein Kleines – etwas anderes zu sagen bleibt mir nicht übrig. Zeig dieser Büffelscheiße dort unten, dass Summer-Rain eine Comanche ist.“ Zwar seufzte sie schwer und war doch ein bisschen stolz auf ihr Mädchen.

 

Summer-Rain wandte sich wieder den Anderen zu. „Wenn ihr dreimal den Ruf einer Eule hört, dann macht euch bereit. Wartet nicht auf mich – nehmt die Pferde und reitet so schnell ihr könnt; ich werde nachkommen.“ Nach dem Messer in ihrem Stiefel tastend, überzeugte sie sich, dass es noch dort steckte. Schnell zurrte sie ihre Haare mit einem der Bänder von Sally Kamp hinten im Nacken zusammen, damit sie sie nicht verraten konnten, wenn der Wind hineinfuhr. Ein letztes Mal blickte sie sich nach den anderen Frauen um – prägte sich ihre Gesichter ein, schloss die Augen, vertraute sie und sich selber dem Schutz ihres Tiergeistes an. Dann strich sie dem Baby, das warm und geborgen an der Brust seiner Mutter lag, zärtlich über die Wange. So nahm sie Abschied von ihnen allen. „Egal, was auch passiert, ihr schaut nicht zurück“, schärfte sie ihnen noch einmal ein. „Reitet so schnell ihr könnt – ich will, dass ihr mir das versprecht.“

In die Stille, die darauf folgte, konnten die Frauen nur nicken. Die aufkommenden Tränen hinunterschluckend, vertrieben sie die Angst aus ihren Köpfen.

Wortlos schlüpfte Summer-Rain aus der Höhle. Der Mond stand jetzt so dicht hinter den Wolken versteckt, dass er die Felsen mit der Höhle hinter ihr nicht mehr erreichte. Trotzdem musste sie sichergehen. Das Geröllfeld war hier, so weit oben, besonders dicht mit kleinen Steinen bedeckt. Mit äußerster Vorsicht auftretend, tastete sie sich Schritt für Schritt voran. Erst, wenn sie festen Halt fand, ging sie weiter. Sie wünschte sich Flügel wie ein Schmetterling, ein Nachtfalter oder wäre wenigstens so leicht wie ein Grashüpfer oder eine Grille. Trotz aller Vorsicht konnte sie nicht verhindern, dass einige Steinchen abwärts rollten. Nach einigen Schritten bis zu den Rand des Geröllfeldes begrenzenden Felsen musste sie sich, um in den Wald nach Osten zu gelangen, wie es Dark-Night ihr beschrieben hatte, nach links wenden. Hier lagen größere Steine, war ein festerer Untergrund. Auch machte es ihr dichtes Dornengestrüpp leichter, Deckung zu finden. Sie traute dem Pawnee durchaus zu, seinen Standort zu wechseln, um mit mehr Abstand weiter nach oben blicken zu können. Hinter einem Dornenbusch verharrte sie, um zu lauschen. Die herabrollenden Steinchen hatten irgendwo Halt gefunden. Und doch war es ihr vorgekommen, als hätte sie einen Steinschlag losgetreten.

Das war der Zeitpunkt, als der Pawnee abermals aufmerksam wurde und nach oben horchte. Summer-Rain konnte ihn nicht sehen – nicht einmal mehr seinen Schatten. Doch dort unter ihr musste er noch immer sein.

Genau so war es. Er saß auf seinem Pferd, den Kopf nach oben gerichtet, die Militärmütze abgesetzt und unter seinen Sattel gesteckt, jetzt als Pawnee zu erkennen. Das Geräusch der Steine war verebbt. Enttäuscht schnaubte er durch die Nase, als da nichts mehr nachkam. Doch sein Misstrauen war abermals geweckt.

Summer-Rain, die ihn sich vorstellen konnte, sich in ihn hineinversetzte, griff zu einer List. „Unterschätze niemals einen Gegner“, hatte Light-Cloud ihr immer wieder eingeschärft. „Wenn du sein Misstrauen erregt hast, verwirre ihn, lasse seine Gedanken andere Wege gehen.“ Also griff sie nach einem großen Stein, wog ihn abschätzend in der Hand und warf ihn nach dem bogenförmigen Durchgang, in eine andere Richtung, als sie gehen wollte. Dort prallte er gegen einen der Felsen.

Es wirkte. Im selben Moment hörte sie das Pferd des Pawnee sich mit ihm nach dort in Bewegung setzend. Die Zeit, die er dafür brauchte, nutzte sie, indem sie oben an den Felsen entlanghuschte. Der Mond kam wieder hinter der Wolke hervor, aber das war nicht mehr von Bedeutung. Unten hielt der Scout jetzt vor dem Bogen. Sie stellte ihn sich vor, wie er nach der Ursache suchte – vielleicht sogar den Stein, der dort eigentlich nicht hingehörte, fand. Als ihr dieser Gedanke kam, biss sie sich auf die Unterlippe. Na gut, dann hatte sie eben einen Fehler gemacht. Das Geröllfeld lag bereits hinter ihr, und sie tauchte im angrenzenden Wald unter. Kurz darauf fand sie einen Abhang, an dem sie hinunterglitt. Hier brauchte sie nicht mehr so vorsichtig zu sein, denn es waren keine Wachen aufgestellt, wie sie mit einem Blick in die Runde feststellen konnte.

Noch immer stand der Pawnee nachdenklich vor dem Durchgang. Er konnte die Ursache des Geräusches nicht finden. Vielleicht war es doch nur ein Tier auf der Jagd gewesen? Also ritt er zurück und begab sich abermals auf seinen Wachposten.

Unterdessen befand sich Summer-Rain bereits unterhalb des Waldes vor der von Dark-Night beschriebenen flachen Mulde, in der brackiges Wasser stand. Gebückt lief sie weiter, die vom Mondschein beleuchtete Ebene hinter dem Wald absuchend. Unruhiges Schnauben und Stampfen kündigten ihr an, dass sie hier richtig war. Die Soldaten hatten etwa 20 ihrer Pferde in eine Koppel gebracht, die sie aus zerbrochenen Zeltstangen und Seilen errichtet hatten. Einige Pferde waren jedoch außerhalb untergebracht. Ihnen hatte man die Vorderfüße gefesselt oder sie mit einem langen Zügel an die dort stehenden Bäume gebunden.

Summer-Rain schaute sich wieder nach einer Wache um. Vorsichtig durchquerte sie das hohe Gras am Rande eines kleinen Walls, der bis hinunter in die Mulde reichte. Beinahe wäre sie einem der drei Männer, die dort in ihre Decken gehüllt lagen, auf die Füße getreten. Sie hatten sich die Mützen tief in die Stirn gezogen, und zwei von ihnen schnarchten.

Der dritte lag auf der Seite; das glühende Ende einer Zigarette erhellte kurz sein bärtiges Gesicht.

Summer-Rain kroch in einem weiten Bogen an ihnen vorbei. An der nächsten Baumgruppe aus schlanken Kiefern erhob sie sich und suchte drei Pferde aus. Über den Ästen hingen Halfter und Zügel – wahrscheinlich hatte die Wache sie ihren Pferden abgenommen und dort aufgehängt. Sie griff sich drei Halfter, um sie den erbeuteten Pferden umzulegen, löste die Seile, mit dem zwei andere an einen Baum gebunden waren, und verband ihre damit. Ungehindert kam sie mit ihrer Beute bis zu dem versteckt liegenden Birkenhain. Sie konnte nicht anders – sie musste noch einmal zurück, um auch die Seile der anderen angebundenen Pferde zu lösen und die Koppel zu öffnen. Kurz sah sie zu, wie sich die Pferde gemächlich hinter den Hügeln zerstreuten. Dann schlich sie im Schutze der Dunkelheit unten am Wald entlang bis zur Senke mit dem Geröllfeld. Es war ganz einfach gewesen.

Während sie hinter Gebüsch am Rande Deckung suchte, konnte sie den Pawnee auf seinem Pferd sitzen sehen.

Die Zelte, in acht Reihen hintereinander aufgereiht, reichten bis hinunter zum Fluss. Noch immer brannten einige Feuer, aber nicht mehr so viele wie zuvor. Soldaten sah sie kaum noch. Die meisten schienen bereits zu schlafen – schließlich hatten sie alle einen harten Tag hinter sich. Die lauten Geräusche des Lagers waren verstummt. Einige ruhelose oder vielleicht sogar betrunkene Soldaten, die noch immer unterwegs waren, würden sich auch bald zur Ruhe begeben. Soeben bog Oberstleutnant Smith mit einem ihn begleitenden Pawnee-Scout um ein Dickicht, das sein großes Zelt von der Senke etwas abschirmte. Sie ritten in geringer Entfernung an ihr vorbei. Der weiße Soldatenhäuptling sagte etwas zu dem Pawnee, der sich daraufhin entfernte. Sein Pferd einem vor dem großen Zelt stehenden Mann übergebend, schlüpfte er hinein.

Summer-Rain ließ den Pawnee nicht aus den Augen, bis er zum Fluss hinunter verschwunden war.

Erst dann schlich sie bis an den Rand der Senke. Als hätte man sie für sie bereitgelegt, griff sie nach einem der dort liegenden Äste. Zehn Schritte weiter glomm noch ein Feuer vor einem der Zelte. Es dauerte nur Augenblicke, dann brannte der Ast. Ein letzter prüfenden Blick – niemand war zu sehen – schon hockte sie vor einem Zelt, zündete es an, lief zum nächsten, zum übernächsten und so weiter. Während sie das tat, drehte sie sich in Richtung Geröllfeld und ahmte dreimal den Schrei einer Eule nach.

Die ersten Männer sprangen aus den brennenden Zelten, aber da war sie bereits verschwunden. Augenblicke später war das halbe Lager alarmiert. Die brennenden Zelte zu löschen, war verlorene Mühe. Also versuchte man nur noch, die in der Nähe stehenden zu retten. Von überall eilten Soldaten herbei. Oberstleutnant Smith erschien vor seinem eigenen Zelt. Nicht gerade erfreut, in seiner Nachtruhe gestört zu werden, erteilte er überflüssige Befehle.

Summer-Rains Plan war, in dem Aufruhr auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Dark-Night hatte ihr die Furt beschrieben. Dort, wo der Fluss aus dem Canyon kam, konnte sie unbemerkt verschwinden. Es war der Weg, den auch die Pferdeherde genommen hatte. Hinter einem bis ins Wasser ragenden entwurzelten Baum fand sie Deckung. Doch wo war die Furt? Dark-Night hatte gesagt – aber hier war sie anscheinend falsch. Jetzt wusste sie nicht mehr weiter. Sie hatte zu viel Zeit verloren – inzwischen war auch das Lager auf der anderen Flussseite hellwach. Von ihrem Versteck aus sah sie, wie eine Handvoll Soldaten mit zwei Pawnee-Scouts von Zelt zu Zelt durch das Lager ritten. Der Oberstleutnant, dem jetzt nicht mehr nach Schlaf zumute war, rief immer noch laute Befehle. Summer-Rain beobachtete hinter ihrer Deckung im Schein der huschenden Fackeln, wie der vor dem Geröllfeld wachende Pawnee zu ihm ritt. Da entschloss sie sich, durch den Fluss zu schwimmen. So eine weite Strecke hatte sie noch nie geschafft. Zögernd hielt sie abermals nach einer flachen Stelle Ausschau – hoffend, dass ihre Lieben längst in Sicherheit waren – Großmutter, Dark-Night, Dream-In-The-Day und das Baby. Gerade, als sie sich von einer der in die Luft ragenden Wurzeln des Baumes lösen wollte, ertönte durch den Tumult des Lagers eine laute Männerstimme, die nach einer Fackel rief. „Hierher, Männer, hierher! Bringt Fackeln mit, hier hoch.“

Summer Rain erstarrte. Aus Richtung Geröllfeld kamen deutliche Geräusche, wie wenn große Mengen Steine herunterrollten. Soldaten, die in der Nähe waren, liefen mit brennenden Fackeln los. Wo waren die Frauen? Waren sie noch immer dort oben? Sich zur Ruhe zwingend, wartete sie und horchte – unsicher, was sie tun sollte, denn sehen konnte sie nicht viel. Schüsse krachten. Der helle Schein von Fackeln zerriss das Dunkel, zog das Geröllfeld hinauf. Kurz darauf riefen Männer von dort aus nach unten. Da schrie eine Frau. Dream-In-The-Day. Das war unverkennbar Dream-In-The-Day. Dann war alles still. Ohne auf ihre Sicherheit zu achten, reckte sich Summer-Rain aus ihrer Deckung heraus. Es hörte sich so an, als kletterten jetzt weitere Männer den steinigen Abhang aufwärts. Der Schein hin und her schwingender Fackeln markierte ihren Weg. Was auch immer dort gerade passierte, es klang nicht gut. Den Gedanken an ihre eigene Sicherheit verwarf sie. Zuerst musste sie wissen, was mit Großmutter und den anderen Frauen passiert war. Also watete sie geduckt zurück ans Ufer, fest davon überzeugt, dass sie alle bei ihrer Flucht entdeckt worden waren. Es blieb nur eine Möglichkeit, ihnen jetzt noch zu helfen. Sie musste die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Hoffend, dass ihr Plan doch noch funktionieren würde, richtete sie sich auf. Mit dem Mut der Verzweiflung begann sie die ihr zunächst stehende Gruppe Soldaten laut zu beschimpfen. Sie schrie ihre Beleidigungen nicht auf Comanche, sondern fluchte auf Taibo-Tekwapu, amerikanisches Englisch – radebrechte, was ihr gerade einfiel.

Sofort verstummten die Männer. Die ersten kamen vom Geröllfeld zurück, andere, die weiter weg waren, griffen sich ihre Pferde und ritten auf sie zu. Oberstleutnant Smith versuchte, Ordnung in seinen Haufen zu bekommen – vergeblich; niemand achtete auf ihn. Summer-Rain, die erkannte, dass die Fackeln wieder den Abhang herunterkamen, watete so schnell sie konnte zurück in den Fluss, hinein in die Dunkelheit – und hoffte und hoffte. Bis zu den Augen im Wasser liegend, sah sie, wie sich die leuchtenden Punkte der Fackeln auf das Ufer zubewegten, weg von dem Geröllfeld. Vielleicht hatte die Zeit doch gereicht, um den Frauen durch ihre Aktion einen Vorsprung zu verschaffen. Vielleicht hatten die Soldaten auch oben nichts entdeckt. Diese Vielleichts im Kopf, horchte sie weiter in die Nacht hinein, denn viel sehen konnte sie nicht. Stimmen näherten sich und entfernten sich wieder. Dann verlosch eine Fackel nach der anderen flussabwärts, und auch die Stimmen ließen nach. Erleichtert watete sie durch das flache Wasser in entgegengesetzter Richtung, zurück auf ihre erste Deckung zu. Der Pawnee fiel ihr wieder ein. Würde er so einfach aufgeben? Wohl kaum. Er hatte die ganze Zeit über Hartnäckigkeit bewiesen; sie sollte ihn also nicht unterschätzen.

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