Comanchen Mond Band 2

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4. Kapitel

In Fort Concho war vor einigen Tagen ein neuer Mann zusammen mit sechs Pawnee-Spähern und einer berittenen Abteilung Artillerie von 80 Mann eingetroffen. Statt der üblichen vier Geschütze führten sie nur zwei dabei – plus eine Gatling-Kanone. Bei dem Mann handelte sich um Oberstleutnant William Smith. Er hatte im Sezessionskrieg den Rang eines Generalmajors bekleidet und war nach seinem Übertritt zur siegreichen Armee des Nordens als Oberstleutnant übernommen worden. Sowohl der Quartiermeister als auch einige der Offiziere blickten den Ankömmlingen mit Argwohn entgegen. Oberst Ronald S. Mackenzie, Kommandeur von Fort Concho und Fort Richardson, von den Comanchen als Eagle Chief Bad Hand Mangoheute genannt, 32 Jahre alt und damals der beste Indianerkenner, den der Westen vorzuweisen hatte, lag mit einer schweren Erkältung im Lazarett. Die vierzig Gebäude des Forts beherbergten zur Zeit etwas mehr als 500 Infanteristen und Kavalleriesoldaten.

General Mackenzie hatte im Februar 1871 das Kommando des 4. US-Kavallerieregiments in diesem Fort übernommen. Im März desselben Jahres beorderte man ihn nach Fort Richardson. Nun, ein Jahr später, war er für eine Inspektion mit einer Kompanie und einer Handvoll seiner ihm treu ergebenen Tonkawa-Spähern zurückgekommen. Oberstleutnant William Smith hatte man telegrafisch als Unterstützung im Kampf gegen marodierende Comanchen herbefohlen. Eine dementsprechende Depesche mussten Mackenzie und der jetzige Befehlshaber des Forts leider akzeptieren – ob sie nun wollten oder nicht. Mackenzie wollte durchaus nicht. Was, um Himmels willen, fragte er sich, hatte sich General Sherman, der derzeitige Oberbefehlshaber der US-Armee, nur dabei gedacht? Dieser neue Mann, der sich einbildete, etwas von Kriegsführung gegen die Indianer zu verstehen, war in seinen Augen eine völlige Niete. Noch dazu hatte er sich angemaßt, 80 Mann berittene Artillerie inkl. Captain mitzubringen – dazu noch sechs Pawnee-Späher, die er ohne vorherige Absprache einfach dem Kavallerieregiment, das hier zur Zeit stationiert war, einverleibte – sehr zum Verdruss von Mackenzies bewährten Tonkawa-Spähern. Das würde unweigerlich Ärger mit sich bringen. Laut Shermans Befehl sollte er 180 Soldaten der Kavallerie hier aus dem Fort übernehmen, um mit ihnen und seiner Artillerie nach Westen aufzubrechen. Comanchen aufbringen, so hieß es – ohne auf Näheres einzugehen.

Vor dem Bürgerkrieg hatte Smith seinen Abschluss in West Point gemacht und danach auf der Seite der Rebellen gekämpft. Seinen Dienstgrad war er mit der Generalamnestie losgeworden. Nach seinem Eintritt in die US-Armee hatte man ihn zu einem Lieutenant Colonel – Oberstleutnant – heruntergesetzt und damit auch seinen Sold. Wenn es ihm nicht gelang, große Taten zu vollbringen, würde das auch noch jahrelang so bleiben. Von dem Sold, der nicht gerade üppig ausfiel, konnte er keine großen Sprünge machen. Zwar stammte er aus einer wohlhabenden Südstaatenfamilie, doch als jüngster von drei Brüdern und nach dem verlorenen Krieg war da nicht mehr viel für ihn übrig geblieben. Statt jedoch in der kämpfenden Truppe zu bleiben, hatte er sich für den Stabsdienst entschieden und es bald schon bereut. Er war von einem langweiligen Posten zum nächsten geschoben worden. Nun wollte er sich hier bewähren oder zumindest so tun. Das konnte doch nicht schwer sein, glaubte er.

„Ein gestärkter Kragen und ein Auftreten wie ein Feldherr machten noch keinen Kämpfer“, knurrte Mackenzie, als man ihm mitteilte, dass Smith für einen Einsatz in Richtung Westen vorgesehen war.

Es nutzte ihm nichts. Er war durch die Krankheit außer Gefecht gesetzt – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie um ihn noch zu verhöhnen, hatte Smith die von ihm empfohlenen Männer, alles erfahrene Indianerkämpfer, zusammen mit den Tonkawa-Spähern verschmäht und sich unter den hier stationierten Truppen 180 Kavalleriesoldaten zu der von ihm mitgebrachten Batterie Artillerie für seine – wie er es nannte – Strafexpedition gegen die Comanchen – ausgesucht. Mit Mackenzies in z.T. völlig verdreckten Uniformen herumlaufenden Männern, die ihre meiste Zeit außerhalb des Forts zubrachten, wollte er nichts zu tun haben. Ausgerechnet an dem Tag, als er hier ankam, musste er miterleben, wie einer von Mackenzies Soldaten an ein Wagenrad gebunden und ausgepeitscht worden war. Sein Vergehen bestand lediglich darin, während seiner Wache geschlafen zu haben. Natürlich würde das in keinem Bericht Mackenzies erwähnt werden. Solche Vorkommnisse verschwieg er. Das Gleiche galt, wenn es um Details bei der Verfolgung und der sogenannten Aufbringung von Indianern ging. Nach Mackenzies Meinung zählte allein das Resultat. Seine Männer, die wie eine eingeschworene Truppe zu ihm hielten – alles erfahrene, hartgesottene Indianerkämpfer – legten genau wie er keinerlei Wert auf Äußerlichkeiten. Allerdings bedauerten viele von ihnen später, dass das, was sie für diese Nation geleistet hatten, niemals in einem Bericht gewürdigt worden war – geschweige denn, in einer Zeitung gestanden hatte. Custer dagegen, in Paradeuniform und mit gepflegten blonden Locken, glänzte laufend mit seinen Taten in der Öffentlichkeit. Dabei schönte er seine Berichte und nahm es nicht immer so genau mit der Wahrheit.

Als die Kavallerie, die Artillerie und die sechs Pawneescouts zusammen mit Oberstleutnant Smith das Fort verließ, konnte Mackenzie nur fassungslos den Kopf schütteln.

In einer vorbildlich geordneten Reihe verschwanden sie samt Tross langsam am schlammigen Ufer das Concho River. Die blankgeputzten Uniformknöpfe blitzten in der Sonne, die Standarten und Fahnenwimpel wehten lustig über der reitenden Truppe. So waren sie mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen und Trommelschlägen aus dem Fort gezogen. Smith hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen Säbel zum Abschied zu zücken. Auch der Adjutant, der ihn begleitete, ebenfalls ein ehemaliger Südstaatenoffizier, hatte es ihm gleichgetan.

Mackenzie, der seinen Zeigefinger im Bürgerkrieg verloren hatte und deshalb von den Indianern nur Bad Hand oder Three Fingers genannt wurde, blickte von seinem Fenster aus mit fiebrigem Gesicht auf die abziehende Truppe, bis die Staubwolke, die die Pferde aufwirbelten, sie verschluckte. Nichts Gutes ahnend, wischte er sich über die aus der Stirn zurückgekämmten spärlichen Haare. Auf seiner geraden, hohen Stirn erschien eine Zornesfalte. Er selbst verabscheute Signalhörner, Trommeln und Säbelgerassel. Darum hatte er das alles kurzerhand abgeschafft, ohne sich auch nur einen Deut um die öffentliche Meinung oder die der anderen Offiziere zu kümmern. Auf seine eigene schroffe, unnachgiebige Art behandelte er seine Leute hart, aber gerecht. Sie liebten ihn nicht gerade, trotzdem konnten sie sich auf ihn verlassen. Seine Kampfeinsätze ähnelten sehr denen der damaligen Texas Ranger, die sich außerordentlich gut bewährt hatten. Unter seinem Kommando ritten die Soldaten nicht in Reih und Glied, auch nicht mit herausgeputzten Uniformen oder gezückten Säbeln. Mackenzies Methode bestand darin, sie in mehrere Stoßtrupps aufzuteilen, die in gnadenloser Jagd die Indianer bis weit in die Plains hinein verfolgten und – wenn es sein musste – in Einzelkämpfen stellte. Egal, wie lange es dauerte, um sie endlich zu erwischen – egal, wie verdreckt die Männer dabei wurden, das Ergebnis dieser ihm eigenen Art der Zerschlagung des Widerstandes auf den Plains gab ihm recht. Das Geheimnis seines Erfolgs war eigentlich ganz einfach: Diese Soldaten kämpften wie Comanchen gegen Comanchen.

Smith dagegen war all seinen guten Ratschlägen gegenüber taub gewesen. Uneinsichtig hatte er darauf bestanden, dass die berittene Batterie Artillerie die Kavallerie in diesen Einsatz begleiten sollte. Das Material, das sie mitführten, bestand aus zwei Dreißigpfünder-Haubitzen und einer sechsläufigen Gatling-Gun. Die Gatling stammte noch aus dem Bürgerkrieg und war eine der wenigen gewesen, die dort zum Einsatz gekommen waren. Wo der Captain der Artillerie sie aufgetrieben hatte, blieb sein Geheimnis. Allerdings würde sie dieser ganze Aufwand am schnelleren Vorankommen hindern. Mackenzie führte bei seinen Einsätzen höchstens Dragoner mit sich.

Oberstleutnant William Smith, ein Mann um die dreißig mit schütterem, hellem Haar, hatte nach dem Bürgerkrieg, in dem er bei der Artillerie gedient hatte, Schwierigkeiten gehabt, irgendwo in der sich neu orientierenden Armee Fuß zu fassen. Es war ihm mehr schlecht als recht ergangen. Da sein Büroposten für ihn allmählich unerträglich wurde und er ohne Aussicht auf Beförderung war, meldete er sich kurz entschlossen zur Kavallerie. Das war die einzige Truppe, bei der er für sich Chancen sah, weiterzukommen. Er, ein ehemaliger Südstaatenoffizier, fand dort bald Gleichgesinnte. Für viele seiner Herkunft galt das als einzige Möglichkeit, nach dem Krieg irgendwo unterzukommen. Die Männer aus dem Süden waren berühmt für ihre Reitkünste. Vielleicht ergab sich ja hier, weitab von der Kontrolle besserwisserischer Vorgesetzter, für ihn endlich eine gute Gelegenheit, seine Fähigkeiten zu beweisen. So von sich selbst überzeugt, wollte er mit diesem Einsatz glänzen.

Er hatte kerzengerade im Sattel gesessen, seinen Kavalleriesäbel an der Seite, um Mackenzie, der am Fenster des Lazaretts stand, zum Abschied hochmütig zu grüßen. Seinem Befehl, ein Lied anzustimmen, waren seine Männer ein wenig lustlos nachgekommen. Nicht gerade die besten Sänger, klang es nicht einmal melodisch – auch ein wenig durcheinander. Die beiden Trompeter, die die Truppe begleiteten, schmetterten los, als gelte es, einen Preis zu gewinnen. Es wirkte beinahe so, als ritten sie zu einer Parade. Erst nachdem sie die erste Kurve hinter sich gelassen hatten, verstummten sie. Smith hatte, als er sicher war, durch die Staubwolke hinter ihnen nicht mehr gesehen zu werden, seinen Säbel wieder zurückgesteckt.

 

Mit ihren ausgeruhten Pferden überquerte die ganze Truppe samt Tross zügig den Concho River. Dann wandten sie sich mit wehenden Fahnen, von denen einige das Kennzeichen der US-Armee mit der Nummer ihrer Kompanie in einer Ecke trugen, der vor ihnen liegenden Ebene zu. Sie kamen überraschend schnell voran und rasteten am ersten Abend am Fuße eines flach auslaufenden Hügels vor dem Concho. Oberstleutnant Smith rechnete damit, jeden Tag bei langsamem Trab etwa 60 Meilen zurückzulegen. Natürlich mussten sie sich dem Tempo der Artillerie anpassen. Doch das machte nichts. Für ihn war nur wichtig, diese mitgeführten Waffen irgendwann erfolgreich einsetzen zu können. In der Nacht zündeten sie überall im Lager vor ihren mitgeführten Zelten Feuer an. Einige der erfahreneren Männer dachten über diesen Leichtsinn anders. Doch Smith war der Meinung, hier – so nahe beim Fort – gäbe es keinen Grund, ängstlich zu sein. Seiner Überzeugung nach würden sie erst viel weiter westlich auf Indianer stoßen. Über diese offensichtliche Weisheit konnten die, die es besser wussten, nur die Köpfe schütteln. Vorsichtshalber schickte Smith dann doch seine Pawnee los. Sie kamen in der Nacht zurück, nur um ihm zu berichten, dass sie keine Spuren von Indianern entdeckt hatten.

Am nächsten Morgen ritten sie die ersten vier Meilen im Schritt weiter, dann ließ Smith in langsamen Trab überwechseln und schließlich in wechselnden Trab. Dann wiederholte er das Ganze. Nur selten gab er den Befehl für gestreckten Galopp. Bald schon mussten sie wieder im Schritt reiten, um den Abstand zur Artillerie nicht allzu groß werden zu lassen. Ab und zu schickte Smith seine Pawnee voraus, um die genaue Beschaffenheit des Geländes zu sondieren. Schließlich gab es hier noch keinerlei zuverlässige militärische Aufzeichnungen, geschweige denn Karten, nach denen man sich richten konnte. So weit nach Westen in Richtung des Llano Estacado hatte sich bisher nur Mackenzie mit seinen eingeschworenen Männern gewagt. Die Soldaten folgten dem jetzt nicht mehr so schlammigen Flusslauf. Smith hatte vor, zunächst westwärts zu reiten, dann nach Norden und zurück ostwärts zum Colorado River. Die verdammten Comanchen würden schon irgendwo dort draußen sein. Er würde siegreich zurück nach Fort Concho kommen – davon war er überzeugt.

Doch schon nach einem Tag änderte er seinen Plan. Er war sich nicht über die Strapazen klargewesen, die ein Ritt in diesem Klima mit sich brachte. Schon jetzt hatte er die Nase voll. Das Klima hier entsprach nicht seinen Vorstellungen. Nicht nur die Trockenheit machte ihm zu schaffen – auch wollte er nicht zugeben, wie recht Mackenzie wegen der mitgeführten Artillerie hatte. Jetzt fragte er sich, wie dieser in seinen Augen lächerlich wirkende Mann und seine Männer dieses Klima nur aushalten konnten. Die Sonne stand gleißend hell am Himmel, und sie mussten die Pferde bis weit hinein in den Concho führen, damit sie an besseres Wasser herankamen. Nachdem sie sie getränkt und ihre eigenen Wasservorräte aufgefüllt hatten, ritten sie weiter. Am Abend rasteten sie mitten in einem weitläufigen Canyon. Der Himmel war voller Sterne, und es herrschte eine unheimliche Stille. Die erfahrenen Soldaten unter ihnen meinten, all die Tiere, die es sonst hier im Überfluss geben sollte, würden sich vor ihnen verkriechen, weil sie wie eine Elefantenherde durch die Gegend trampelten. Sie spielten dabei vor allem auf den Trupp mit den Wagen und den Geschützen an.

Am nächsten Morgen überquerten sie den Concho, der irgendwo weiter westlich entspringen musste. Smith gab den Befehl, nach Norden zu reiten. Er hatte sich entschlossen, nicht weiter in dieses unzugängliche Gebiet vorzudringen. Von einer Landkarte, die in Fort Concho hing, wusste er in etwa, wo der Colorado River entlangführte. Sie mussten erst nach Norden, um dann nach Osten abzubiegen. Er wollte auf keinen Fall die gleiche Strecke wie auf dem Herweg nehmen. Wenigstens konnte er so behaupten, auf Comanchenjagd gewesen zu sein. Nach einem weiteren Tag in diesem fast unerträglichen Klima und mit dem wenigen Wasser, das sie inzwischen nur noch hatten, ließ Smith am Abend doppelte Rationen ausgeben. Damit wollte er die Moral der Truppe verbessern.

Am nächsten Tag zogen sie weiter. Keine Spur von Indianern – nichts. Smith war am Verzweifeln. Nun war er schon so weit gekommen und immer noch ohne Resultat. Doch er wollte das Risiko nicht eingehen, noch weiter nach Norden zu reiten, tiefer in die Llanos hinein. Also ließ er die Männer bereits am Nachmittag dieses Tages Rast machen. Am nächsten Tag ritten sie – in der Hoffnung, irgendwann auf den Colorado zu stoßen – nach Osten. Noch einen weiteren Tag ins Ungewisse, dann schlugen sie ihr Lager hinter einem flachen Hügel auf. Die Pferde waren unruhig; das lag wahrscheinlich daran, dass sie Wasser witterten. Konnte der Colorado bereits so nahe sein?

Oberstleutnant Smith hatte nichts dagegen, als die Whiskeyflaschen von Mann zu Mann wanderten. Die Stimmung war so schon schlecht genug. Ihm selber machte der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht zu schaffen. Nichts konnte die Moral der Truppe mehr erschüttern, als wenn es an ihrem Wohlergehen mangelte; das war seine feste Überzeugung. Sie hatten nur ihre Rationen dabei und konnten sich keine warmen Mahlzeiten zubereiten – deshalb hatte er auch nichts gegen Lagerfeuer, an denen sie wenigstens Kaffee kochen konnten. Doch die wenigsten machten Feuer an – zu groß war ihre Angst vor den Comanchen. Sie mussten sich die missbilligenden Blicke ihrer Kameraden gefallen lassen. Der nächste Tag brachte eine Veränderung des Geländes. Bald ritten sie an einer Anzahl kleiner Canyons vorüber.

Smith hatte die Hoffnung, auf ein Indianerlager zu stoßen, noch immer nicht aufgegeben. Die Vorstellung, die er davon hatte, entsprang lediglich seiner Phantasie oder einem Bericht, den er in seinem Büro gelesen hatte. Auch Hörensagen von anderen Offizieren, die mit ihren Erfolgen prahlten, gehörte dazu. In diesen Berichten spielte es für ihn keine Rolle, ob es sich um Sioux, Osage oder sonstwelche Indianer handelte; Indianer waren Indianer.

Manchmal – selten – hatte ihn die Kaltblütigkeit erschreckt, mit der diese Offiziere von ihren Schreckenstaten erzählten. Zwar war er nicht gänzlich unbedarft, was Indianer betraf, denn im Bürgerkrieg hatte er gesehen, mit welcher Todesverachtung ein Trupp Cherokees auf Seiten der Rebellen gekämpft hatte. Doch hier ging es schließlich um primitive Wilde – raubende, mordende Barbaren.

Die Pawnee-Scouts, die er eigentlich ebenfalls als Indianer ansah und auch wieder nicht, nahmen in seinen Vorstellungen eine Sonderstellung ein. Sie mussten nun den ganzen Tag über vorausreiten und ständig Meldung machen. So weit hinein in den südlichen Llano Estacado war wahrscheinlich nicht einmal Mackenzie gekommen, machten sich die Männer klar. Hier war eindeutig Comanchenland. Und sie konnten jeden Moment auf sie stoßen. Hatte Smith das nicht gewollt?

Langsam wuchs die Spannung unter den Soldaten. Einige der neuen, völlig unerfahrenen Freiwilligen – sogenannten Zeitsoldaten, die sich wegen des Soldes zur Armee gemeldet hatten – sahen sich nach allen Richtungen um. Unter ihnen herrschte eine seltsame Stimmung. Smith hatte dazu nicht unwesentlich beigetragen. Immer wieder gab er seine Überzeugung kund, dass sie hier bald auf Comanchen stoßen würden. Er, der davon nur wenig Ahnung hatte, spielte sich jetzt als Indianerkenner auf. Am Schlimmsten empfanden viele der Soldaten die Stille, die über der Landschaft lag. Laut zu singen trauten sie sich schon seit einiger Zeit nicht mehr. So weit war keiner von ihnen jemals gekommen, und die Freiwilligen kannten nicht mal den besiedelten Westen. Auch der Zusammenhalt untereinander hatte sich verändert. Die meisten von ihnen fanden schon gleich zu Beginn dieses Feldzuges heraus, mit was für einer Art Mensch sie es bei Oberstleutnant Smith zu tun hatten. Er war nicht nach ihrem Geschmack. Großspurig, angeberisch, völlig von seiner Meinung überzeugt, ließ er sich von niemandem etwas sagen. Das hatte auch der Adjutant, der aus Fort Concho stammte, zu spüren bekommen. Mackenzie dagegen verlangte nie etwas von seinen Leuten, was er nicht auch selbst tun würde.

Als sie am nächsten Tag weiterzogen, bewegte sich die Kavallerie inzwischen nicht viel schneller als die Artillerie. Schwer beladen rumpelten die Wagen und die Geschütze hinter ihnen her. Die vor die beiden Haubitzen gespannten Pferde mussten sich oft in dem unwegsamen Gelände, durch das sie jetzt kamen, gewaltig in die Gurte legen. Einige der Männer halfen schieben. Mackenzie hätte sich diesen ganzen unnützen Ballast erspart. Hier ging es in die Plains, auf die Suche nach Indianern, sagten sich die alten Hasen, die sich damit auskannten. Wenn sie mit einem genauen Ziel vor Augen losgezogen wären, könnte man das ja noch verstehen. Hier ging es nicht auf ein Indianerlager zu – hier mussten sie erst einmal eins suchen. In einem unübersichtlichen Gelände nach der Nadel im Heuhaufen. Und das mit der Belastung einer Artillerie im Schlepp.

Was soll´s, sagte sich Smith. Wir haben es jedenfalls versucht. Hoffentlich würden sie gegen Abend am Colorado sein. Sie waren bestimmt weiter westlich gewesen, als sich selbst Mackenzie bisher gewagt hatte, und das war doch schon mal was. Das mussten sogar die erfahrenen Männer mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zugeben. Sei‘s drum – Smith brauchte den Erfolg. Er musste auf ein Comanchenlager treffen – er musste einfach. Vielleicht schon hinter dem nächsten Canyon, an irgendeinem Bach, der zum Colorado floss und aus den Bergen kam. Oder direkt am Colorado oder, oder, oder. Immer musste man hier darauf gefasst sein, Comanchen zu begegnen. Die meisten der Männer wollten endlich etwas zu tun haben. Dem Rest wäre es lieber gewesen, dass es nicht so war. Dieser ganze trostlose Marsch hinein ins Ungewisse legte ihre Nerven inzwischen blank. Die Moral der Truppe sank auf den Nullpunkt. Die Zeitsoldaten waren das Klima nicht gewohnt – schon gar nicht die Entbehrungen, die ein solcher Ritt mit sich brachte. Sie murrten als Erste. Heimlich zwar, doch Smith entgingen die Blicke nicht, mit denen sie ihn maßen. Wenn dann noch eines der Pferde verrückt spielte und sie es aus Mangel an Ausbildung nicht gleich wieder in ihre Gewalt bekamen, war der Ärger vorprogrammiert.

Wenigstens die Artillerie, die einen eigenen Tross mit sich führte, funktionierte reibungslos. Deren Captain hatte seine Männer fest im Griff. Sie waren eine eingeschworene Truppe und standen füreinander ein. Sehr zu seinem Leidwesen musste Smith gleich zu Beginn ihrer Exkursion begreifen, dass er sich dort nicht einzumischen hatte – wenigstens, was ihren Umgang miteinander oder mit ihren Geschützen betraf. Diese Männer ignorierten ihn vollkommen, ja, blickten sogar geringschätzig auf ihn herab, wenn er mit seinen blankgeputzten Stiefeln ihre Reihen abschritt. Die tägliche Routine machte sich in Langeweile bemerkbar, und das war nicht gut, was Smith durchaus klar war. ‚Ich muss mir was einfallen lassen‘, dachte er voller Unbehagen. Aber ihm fiel weiter nichts ein, als sie zu einer schnelleren Gangart anzutreiben. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Artillerie weit hinter die Kavallerie zurückfiel. Dafür erntete er nicht nur von den einfachen Soldaten wütende Blicke, sondern auch vom Captain der Artillerie.

Bevor er sich weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, kam gegen Mittag dieses Tages einer der Pawnee-Späher zurück. Er habe Spuren gefunden, meldete er – Spuren von einem Comanchenlager am Colorado. Um dort hin zu gelangen, versuchte einer der Scouts, Smith in seinem schlechten Englisch den Weg zu beschreiben. Am Ende zeichnete er mit einem Finger einige wenige Anhaltspunkte auf die Erde. Obwohl die Angaben ziemlich vage waren, genügten sie Smith fürs Erste. Vielleicht wussten die anderen Späher ja mehr. Na also! Hatte er doch den richtigen Riecher gehabt! Fast hätte er sich bereits selber auf die Schultern geklopft. Nach dieser hoffnungsvollen Meldung ritt der Pawnee erst einmal weiter, um sich Proviant zu holen. Smith gab den Befehl zum Halt. Der eine der beiden Trompeter blies die allgemein bekannte Tonfolge. Die lauten, unmelodischen Klänge, obwohl allen vertraut, schreckten viele von ihnen auf. Einige schüttelten die Köpfe. Ein einziger Ruf hätte auch genügt. Der ganze Trupp kam zum Stehen, sie saßen ab und blickten sich um. Sobald sie die Ursache erfuhren, wurde ein Lager aufgeschlagen und gerastet. Smith wollte erst auf neue, genauere Nachrichten der anderen Späher warten.

Er holte sein Fernrohr heraus und begann, die Landschaft damit abzusuchen. Baumgruppen wuchsen unterhalb felsiger, sich vor ihnen aneinanderreihender Hügelketten. Diese seltsamen Tafelberge, die das Bild der Llanos bestimmten, musste man doch schon sehen können? Aber nein. Enttäuscht schob er das Instrument wieder zusammen. Die niedrig hängende Wolkendecke war lichtdurchflutet und strahlend hell. Die Sonne knallte unbarmherzig auf sie herab. Nach zwei Stunden war noch keiner der anderen Pawnee zurück. Da gab Smith enttäuscht den Befehl, wieder aufzusitzen.

 

Nach einer halben Stunde im langsamen Schritt sahen sie von einem Hügel aus weit vor sich endlich das dunkle Band des Colorado River und begrüßten es mit lauten, freudigen Rufen. In eine schnellere Gangart überwechselnd durchquerten sie einige tiefliegende Senken, an deren Rändern blühende Sträucher wuchsen. Wilde Rosen ließen blassrosa Blüten auf sie herabregnen.

Ihr Ritt führte sie an wie Oasen anmutenden Gruppen wilder Pflaumen-, Nussbäumen sowie andere ihnen unbekannte Gehölze vorbei. In der Ferne wurden jetzt immer deutlicher Felsformationen sichtbar, vor denen sich kleinere Wäldchen hinzogen. Hohes, wogendes Gras, das schon gelb zu werden begann, wurde vom lauen Wind bewegt. Oft reichte es ihren Pferden bis an die Bäuche. Nach einer ganzen Strecke, die nur aus dieser Graslandschaft bestand, ragten dann wieder vor ihnen riesige Felsen auf, die von Eichen und Eschen eingerahmt wurden.

Nach Smiths Berechnungen entfernten sie sich jedoch wieder vom Colorado. Sie kamen an schlanken Kiefern, Zedern, Fichten, Erlen und Maulbeerbäumen vorbei bis in eine schlammige Senke.

Dort fanden sie sogar eng beieinanderstehende Weiden in größerer Zahl, deren überhängende Äste bis hinunter in ein trübes Wasser reichten – jedenfalls nicht der Colorado. Gabelböcke sprangen erschrocken flüchtend in Sichtweite vorüber. Das waren die ersten Tiere, die sie seit langem zu sehen bekamen. Irgendwo kläfften Kojoten. Zwischen einem großen, aufgehäuften Steinberg wuselten Murmeltiere umher, und einmal sahen sie sogar eine kleine Antilopenherde am Horizont verschwinden.

Endlich kehrte einer der ausgesandten Späher zurück und meldete, dass sich weiter nach Osten – der aufgehenden Sonne zu, wie er es ausdrückte, ein Canyon befand, durch den der Colorado River floss. Dort vermutete er ein Indianerlager. Um da hinzugelangen, müssten sie allerdings durch einen dicht zugewachsenen Wald. Man könnte auch über eine langgezogene Hügelkette von Osten her reiten – das wäre dann aber ein großer Umweg. Wir reiten durch den Wald. Das stand für Smith fest, sobald er sich die Meldung angehört hatte. Das Ziel vor Augen, setzten sie ihren Marsch fort. Sie kamen über einen Hügel und auf der anderen Seite zwischen Bäumen hindurch wieder heraus – da tauchte ein kleiner Canyon plötzlich wie aus dem Nichts vor ihnen auf. Es konnte unmöglich schon der von dem Späher angekündigte sein; außerdem gab es hier keinen Fluss. Gegen Abend-–Smith hatte nicht gedacht, dass es noch so lange dauern würde – entdeckten sie ein schmales Rinnsal zwischen verstreut wachsenden Bäumen. Brackiges, flaches Wasser spiegelte unter ihnen das Sonnenlicht. War das der Colorado? Sie ritten hinunter, tränkten ihre Pferde, füllten ihre Wasservorräte auf, so gut es ging, und ritten weiter nach Osten. Dann kamen sie aus einem kleinen Wäldchen heraus, und da lag vor ihnen eine mehrere Meilen breite offene Prärie. Mittlerweile war es fast Nacht. Zwei seiner Pawnee-Späher ritten heran, um Smith lediglich das zu bestätigen, was er schon von ihrem Kameraden gehört hatte. Sie waren also auf dem richtigen Weg. Doch jetzt konnten sie nicht mehr weiter. Sie mussten warten, bis der neue Tag begann. Also schlugen sie ein Nachtlager auf – diesmal jedoch ohne Feuer, ja, sie vermieden sogar jedes Geräusch. Am frühen Morgen des nächsten Tages ritten sie weiter.

Allmählich wurde das Gelände unzugänglicher. Sie mussten zerklüftete Felsen umrunden und durch Canyons reiten, deren Wände steil vor ihnen aufragten. Schließlich tauchten sie in den von dem Pawnee angekündigten dichten Wald ein, der mit Unterholz zugewachsen war. Anfangs ging es ja noch gut voran, doch dann versperrten ihnen immer öfter Nadelbäume den Weg. Es sah so aus, als käme man da nur schwer hindurch. Besonders die Artillerie mit ihren Wagen und den Geschützen musste sich wieder um Hindernisse herumkämpfen. Oberstleutnant Smith hatte es eilig und wollte auf keinen Fall den anderen Weg über die Hügel im Osten nehmen. Zwar hatte er sie kurz durch sein Fernrohr betrachtet, dann jedoch diese Möglichkeit endgültig verworfen. Die Nachricht von einem Comanchenlager hinter diesem verdammten Wald machte ihn leichtsinnig.

Der Captain der Artillerie fluchte, als sie ein ums andere Mal umgestürzte Bäume erst zur Seite räumen mussten. Die Hügelkette im Osten wäre besser geeignet gewesen. Wahrscheinlich hätten sie damit sogar Zeit gespart. Doch Smith hatte darauf bestanden, dass sie alle zusammenbleiben sollten.

Für die Soldaten bisher nicht zu sehen, ragte ein hohes Geröllfeld im Süden auf, an dessen Südwestseite dunkelrote, mit gelbem Quarz durchzogene Felsen in den Himmel ragten. Zwischen diesem Geröllfeld und dem Beginn eines weitläufigen, hoch aufragenden Canyons, durch den der Fluss kam, tat sich ein Felsenbogen auf, unter dem drei, vier Reiter bequem nebeneinander hindurchpassten.

Die Pawneespäher hatten recht gehabt. Direkt vor ihnen befand sich ein Comanchenlager. Doch ihre Berichte waren nur vage gewesen. Smith war von ihnen lediglich mit Beobachtungen versorgt worden, die eher Mutmaßungen ähnelten. Die alte Furcht dieser Pawnee vor den Comanchen – sie hatten schlechte, sehr schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht – hielt sie davon ab, nahe an das Lager heranzukommen. Ihre Informationen waren deshalb nur äußerst spärlich und mit Vorsicht zu genießen. Smith sah das anders. „Hier sind wir richtig“, rief er seinen Männern zuversichtlich zu. „Wir müssen durch das Dickicht. Dahinter sind der Fluss und das Lager der verdammten Comanchen.“

Ihre Alarmbereitschaft wuchs mit jedem Schritt, den sie sich weiter durch das dichte Unterholz vorwärtskämpften – jeden Moment damit rechnend, auf den Feind zu stoßen. Plötzlich war der Fluss da. Er schimmerte etwa eine halbe Meile vor ihnen zwischen Bäumen hindurch. Sein Fernrohr zu Hilfe nehmend, erkannte Smith davor das kurze Stück eines breiten Pfades, der sich durch dichtes Unterholz nach Süden wand. Dort schien auch der Kiefernwald zu enden, denn er sah Laubbäume, die weiter auseinander standen. Dass dieser Pfad, von dem er nur eine kurze Strecke sehen konnte, der Hauptweg der Comanchen war, der die gesamte Flussstrecke, an der die Tipis standen, bis zur Ebene vor dem Geröllfeld durchmaß, wusste er nicht. Er wusste so vieles nicht.

Die Artillerie tat sich weiterhin schwer, mit ihren Geschützen durch das dichte Unterholz zu kommen. Fluchend schoben sie sich an Gestrüpp vorbei, stiegen über vermoderte Bäume, blieben am Ende in dichtem Dornengestrüpp stecken. Der Kavallerie erging es auch nicht viel besser. Nur, dass sie keine schweren Geschütze mitführen mussten. Da der Wald noch dichter wurde, weigerten sich die Pferde, weiterzugehen. Einige Männer saßen bereits ab, um sie zu führen. Die Geräusche, die vor allem die Artillerie machte, beunruhigten Smith nicht im Geringsten. Sie gingen in der Dichte des Waldes und des feuchten, jungen Unterholzes unter. Der Fluss, den sie gesehen hatten, war noch mindestens eine halbe Meile entfernt – und damit auch das Lager der Comanchen, wenn es denn wirklich dort war. Vorsichtshalber gab er den Befehl aus, wenn möglich jedes laute Geräusch zu vermeiden. Sowie seine Pawnee die ersten Tipis sichteten, würde er mehr wissen. In dem Glauben, diesen Wilden militärisch überlegen zu sein, überkam ihn nicht einen Moment das Gefühl von Furcht. Wenn hier irgendwo Comanchen waren, dann sollten sie sich gefälligst zeigen.