Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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ERSTER TAG
P e r s o n e n :Salviati, Sagredo und Simplicio.

Kopernikus betrachtet die Erde als einen Ball gleich den Planeten.

Himmlische Substanzen notwendig unveränderlich, elementare veränderlich nach Ansicht des Aristoteles.

Salv. Bei unseren gestrigen Gesprächen sind wir schließlich übereingekommen, heute so klar und eingehend als möglich diejenigen natürlichen Gründe6 auf ihre Beweiskraft hin zu prüfen, welche zu Gunsten der einen und der anderen Ansicht von den Verehrern der aristotelisch-ptolemäischen Lehre einerseits und von den Anhängern des kopernikanischen Systems andererseits bisher vorgebracht worden sind. Da nun Kopernikus die Erde zu den bewegten Himmelskörpern rechnet und demgemäß sie als einen Ball gleich den Planeten betrachtet, so werden wir zweckmäßig zunächst untersuchen, wie es um die Triftigkeit und Überzeugungskraft derjenigen peripatetischen Schlüsse steht, welche erweisen sollen, eine solche Annahme sei schlechthin unmöglich, insofern in der Natur zweierlei verschiedene Substanzen zu unterscheiden seien, eine himmlische und eine elementare7, jene unveränderlich und unzerstörbar, diese veränderlich und vergänglich. Diesen Gegenstand behandelt er8 in der Schrift »Über den Himmel«, indem er zuerst seine Ansicht von gewissen allgemeinen Gesichtspunkten aus wahrscheinlich zu machen sucht und sie dann durch speziellere Erfahrungen und Beweise stützt. Ich will den Gegenstand in der nämlichen Reihenfolge behandeln und dann meine Ansicht freimütig mitteilen; ich lasse mir dabei gerne Eure Kritik gefallen, insbesondere die des Signore Simplicio, eines so eifrigen Kämpen und Verteidigers der aristotelischen Lehre.

Aristoteles hält die Welt für vollkommen, weil sie dreidimensional ist.

Das erste Glied in der Schlusskette der Peripatetiker besteht darin, dass Aristoteles die Vollständigkeit und Vollkommenheit der Welt durch den Hinweis dartut, dieselbe sei nicht eine einfache Linie noch auch eine bloße Fläche, sondern ein Körper mit Länge, Breite und Tiefe; da es nun nicht mehr als diese drei Ausdehnungen gebe und die Welt dieselben besitze, so besitze sie alle und sei aus eben diesem Grunde vollkommen. – Dass nun aber aus der Linie, welche definiert ist als eine bloß der Länge nach ausgedehnte Größe, durch Hinzufügung der Breite sich die Fläche ergibt und durch weitere Hinzufügung der Höhe oder Tiefe daraus der Körper entsteht, dass sodann über diese drei Ausdehnungen hinaus kein Übergang zu einer weiteren möglich ist, mit diesen dreien also die Vollständigkeit, ich möchte sagen die Allheit, erschöpft ist: Dafür hätte ich von Aristoteles gerne einen strengen Beweis gehört, umso mehr als sich ein solcher recht klar und ohne Schwierigkeit führen lässt.

Aristotelische Beweise dafür, dass es nicht mehr als drei Ausdehnungen gibt.

Berühmtheit der Dreizahl bei den Pythagoreern.

Simpl. Was habt Ihr denn an den wunderschönen Beweisen auszusetzen, die im zweiten, dritten und vierten Paragraphen gleich auf die Definition der Stetigkeit folgen?9 Steht da nicht erstlich, dass es keine anderen als jene drei Ausdehnungen gibt, weil die Drei alles, die Dreiheit allseitig ist?10 Wird dies nicht durch die Autorität und die Lehre der Pythagoreer bekräftigt, wonach alles durch die Drei, nämlich durch Anfang, Mitte und Ende bestimmt ist, diese also anzusehen ist als die Zahl der Allheit? Und vergesst Ihr denn ganz den weiteren Grund, dass nämlich gewissermaßen nach einem Naturgesetz besagte Zahl bei den Opfern für die Götter Anwendung findet, dass man, der Weisung der Natur vollkommen entsprechend, bei Dingen, die in der Dreizahl vorkommen, nicht aber bei einer geringeren Zahl, vona l l e nspricht? Denn wenn es sich um zwei Dinge handelt, sagt manb e i d eund nichta l l e ;wohl aber sagt man so bei dreien. Diese ganze Entwicklung findet Ihr im zweiten Paragraphen. Im dritten liest man ad pleniorem scientiam10, dass die BegriffeJ e d e s ,A l lundV o l l k o m m e n e sbegrifflich identisch sind, dass also von den ausgedehnten Größen der Körper allein vollkommen ist, da nur er durch die Drei bestimmt ist, welche der Ausdruck der Allheit ist. Da er ferner in dreierlei Richtung geteilt werden kann, so ist er in allen Richtungen teilbar, während von den beiden anderen Größen die eine bloß auf eine, die andere auf zwei Weisen teilbar ist. Es entspricht nämlich die Teilbarkeit und Stetigkeit der Zahl der Dimensionen; daher ist die Linie nur in einer Richtung, die Fläche in zweien stetig, der Körper hingegen in allen. Gibt er sodann für die in Rede stehende Behauptung im vierten Paragraphen, nach einigen anderen Lehrsätzen, nicht noch einen weiteren Grund an? Jeder Fortschritt, sagt er, hat einen bisher vorhandenen Mangel zur Voraussetzung – und daher ist es ein Fortschritt, wenn man von der Linie zur Fläche übergeht, da jene der Breite ermangelt –, das Vollkommene kann aber nicht mangelhaft sein, da es allseitig ist; man kann also unmöglich von den Körpern zu einem höheren Gebilde fortschreiten. Scheint Euch nun nicht von all diesen Gesichtspunkten aus zur Genüge erwiesen, dass es über die drei Ausdehnungen der Länge, Breite und Tiefe hinaus einen Übergang zu einer weiteren nicht gibt und dass darum der Körper, der sie sämtlich besitzt, vollkommen ist?

Salv. Bei all diesen Erörterungen habe ich mich, offen gesagt, höchstens zu dem einen Zugeständnis bewogen gefühlt, dass dasjenige, was Anfang, Mitte und Ende hat, vollkommen zu nennen ist. Dass aber darum, weil Anfang, Mitte und Ende eine Dreiheit bilden, die Zahl Drei vollkommen wäre und die Fähigkeit besäße, diese Vollkommenheit auf jede Dreiheit von Dingen zu übertragen, dies zuzugeben fühle ich mich nicht im Mindesten bewogen. Ich kann z. B. nicht fassen und verstehen, dass etwa in Ansehung der Beine die Zahl Drei vollkommener wäre als Vier oder Zwei, oder dass die Zahl Vier als Zahl der Elemente unvollkommen sei, der Drei hingegen eine höhere Vollkommenheit zukäme. Besser wäre es also, man überließe derlei Nichtigkeiten Schönrednern und begründete seine Behauptung mit einem strengen Beweise, wie es sich in den deduktiven Wissenschaften gehört.

Simpl. Ihr nehmt wohl diese Gründe nicht ernsthaft, und doch gehen all derartige Betrachtungen auf die Pythagoreer zurück, die den Zahlen eine so hohe Bedeutung beilegten. Es scheint, als ob Ihr, der Ihr Mathematiker seid und, wie ich glaube, in vielen Fragen Anhänger der pythagoreischen Schule, auf einmal deren Mysterien geringschätzig behandelt.

Göttlichkeit des menschlichen Intellekts, weil er das Wesen der Zahlen begreift, nach Ansicht Platos.

Die pythagoreischen Zahlengeheimnisse sind Märchen.

Salv. Dass bei den Pythagoreern die Wissenschaft von den Zahlen im höchsten Ansehen stand, und sogar Plato11 den menschlichen Intellekt bloß darum bewunderte und ihn als gleichartig mit der göttlichen Vernunft betrachtete, weil er das Wesen der Zahlen begreife, ist mir wohlbekannt, ja ich neige der nämlichen Ansicht zu. Aber ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass die geheimnisvollen Eigenschaften, derentwegen Pythagoras und seine Schule die Zahlenlehre so hoch schätzten, jene Albernheiten sein sollten, die im Volksmunde und in den landläufigen Büchern spuken. Ich weiß vielmehr, dass sie jene Wunder nicht den Schmähungen und der Verachtung des großen Haufens preisgeben wollten, dass sie die Veröffentlichung der tief verborgenen Zahleneigenschaften und der von ihnen entdeckten inkommensurabeln und irrationalen Größen als eine Profanation verurteilten und lehrten, dass, wer sie offenbare, dafür im Jenseits zu büßen habe. Einer oder der andere mag daher, um den gemeinen Mann abzuspeisen und sich seinen Fragen zu entziehen, ihm gesagt haben, die Zahlengeheimnisse bestünden in jenen Spielereien, die sich nachher im Volke verbreiteten. Es war das ebenso vorsichtig und bedacht, wie das Verfahren jenes klugen jungen Mannes, der seiner Mutter oder seiner neugierigen Frau – ich weiß nicht mehr sicher –, die ihn bestürmte, ihr die geheimen Verhandlungen des Senats mitzuteilen, ein Märchen aufband, um ihre lästigen Fragen los zu werden, so dass sie nebst vielen anderen Weibern vor selbigem Senate sich aufs Höchste lächerlich machten.12

Simpl. Ich gehöre nicht zu denen, welche nach den Mysterien der Pythagoreer sonderlich lüstern sind. Aber ich entgegne, um auf unseren Gegenstand zurückzukommen: Die von Aristoteles vorgebrachten Gründe dafür, dass die Anzahl der Dimensionen mehr als drei weder beträgt, noch betragen kann, erscheinen mir zwingend; auch glaube ich, dass, wenn es einen strengeren Beweis gäbe, Aristoteles ihn nicht verschwiegen hätte.

Sagr. Setzt wenigstens hinzu, wenn er ihn gekannt oder sich seiner erinnert hätte. Aber Ihr, Signore Salviati, würdet mir einen großen Gefallen tun, wenn Ihr einen augenscheinlichen Beweis beibringen wolltet; nur muss er so fasslich sein, dass ich ihn verstehen kann.

Salv. Nicht nur Ihr, auch Signore Simplicio wird ihn verstehen, ja er ist Euch, wenn auch unbewussterweise längst bekannt.13 Zu besserem Verständnis wollen wir Papier und Feder benutzen, die ich für solche Gelegenheiten hier schon bereit sehe, und eine kleine Zeichnung entwerfen. Wir markieren zunächst zwei Punkte A und B; verbinde ich dieselben einmal durch die krummen Linien A C B und A D B, dann durch die Gerade A B, so frage ich Euch, welche dieser Linien nach Eurer Meinung die Entfernung zwischen den Endpunkten A und B bestimmt und weshalb?


Sagr. Nach meiner Meinung die gerade Linie und nicht die krummen, teils weil jene die kürzeste ist, teils weil sie einzig in ihrer Art und bestimmt ist, während es von den anderen unzählige gibt, die untereinander ungleich und länger als die gerade Linie sind; jede Messung aber muss nach meiner Ansicht von dem ausgehen, was einzig in seiner Art und selber bestimmt ist.

 

Salv. Wir haben also in der geraden Linie ein Maß für die Strecke zwischen zwei Punkten. Fügen wir jetzt eine andere gerade Linie hinzu, welche der Linie A B parallel ist und C D heißen möge, so dass zwischen beiden eine Fläche gelegen ist; ich möchte, dass Ihr mir die Breite derselben angeben wolltet. Sagt mir also, nach welchem Punkte und in welcher Weise Ihr, von dem Endpunkte A ausgehend, zu der Linie C D gelangen wollt, um mir die Breite des zwischen beiden Linien enthaltenen Flächenstücks anzugeben; ich meine, ob Ihr dieselbe bestimmen wollt mittels der Länge der Kurve A E oder der Geraden A F oder ...

Simpl. Mittels der Geraden A F und nicht mittels der krummen Linie, da die krummen Linien zu solchem Zweck bereits als untauglich sich erwiesen haben.


Sagr. Was mich betrifft, so würde ich weder die eine noch die andere benutzen; denn, wie ich sehe, geht die Gerade A F in schiefer Richtung. Ich möchte vielmehr eine Linie ziehen, die rechtwinklig auf C D steht; denn diese und diese allein scheint mir die kürzeste zu sein im Gegensatz zu den unendlich vielen größeren und unter sich ungleichen, welche von dem Endpunkte A nach anderen und anderen Punkten der gegenüberliegenden Linie C D sich ziehen lassen.

Salv. Eure Wahl und der Grund, den Ihr dafür anführt, scheinen mir vortrefflich. Wir haben also bis jetzt das Ergebnis, dass die erste Dimension durch eine gerade Linie bestimmt wird; die zweite, nämlich die Breite, ebenfalls durch eine gerade Linie, die mit jener anderen, die Länge bestimmenden einen rechten Winkel bildet. So also haben wir die zwei Dimensionen der Fläche bestimmt, die Länge und Breite. Wenn Ihr nun aber eine Höhe zu bestimmen habt, wie hoch z. B. die Decke dieses Zimmers über dem Fußboden sich befindet, so kann man doch von einem beliebigen Punkte der Decke unendlich viele teils gerade, teils krumme Linien, alle von verschiedener Länge, nach unendlich vielen Punkten des darunter befindlichen Bodens ziehen. Welche von genannten Linien würdet Ihr nun zu Eurem Zwecke benutzen?

Sagr. Ich würde an der Decke einen Faden befestigen und ihn durch eine daran hängende Bleikugel sich ungehindert ausdehnen lassen, bis er den Boden berührt. Die Länge dieses Fadens, als einer geraden Linie und zwar der kürzesten von allen Linien, die von selbigem Punkte nach dem Boden sich ziehen lassen, würde ich als die wahre Höhe des Zimmers betrachten.

Salv. Ganz richtig. Wenn Ihr dann von dem Punkte des Fußbodens, der durch das Ende des hängenden Fadens bezeichnet ist – der Boden als waagrecht angenommen, nicht etwa als geneigt – zwei andere gerade Linien ausgehen lasset, eine in Richtung der Länge, die andere in Richtung der Breite des Bodens, welche Winkel werden diese mit dem Faden bilden?

Sagr. Sie werden selbstverständlich rechte Winkel bilden, wenn der Faden lotrecht und der Boden ganz eben und genau waagrecht ist.

Salv. Wenn Ihr also irgendeinen Punkt zum Anfang und Ausgangspunkt der Messung macht und von ihm eine gerade Linie ausgehen lasst, die zur Bestimmung der ersten Ausdehnung, der Länge, dienen soll, so wird notwendigerweise diejenige, welche die Breite definieren soll, rechtwinklig zur ersten abgehen und die, welche die Höhe, also die dritte Ausdehnung, bezeichnet, ebenfalls mit den beiden anderen nicht schiefe, sondern rechte Winkel bilden. So seht Ihr denn durch die drei Perpendikel, als drei in ihrer Art einzige, bestimmte und kürzeste Linien, die drei Dimensionen festgesetzt: A B die Länge, A C die Breite, A D die Höhe. Da nun offenbar durch denselben Punkt keine weitere Linie gehen kann, welche mit diesen rechte Winkel einschließt und die Dimensionen doch allein durch gerade, aufeinander rechtwinklige Linien bestimmt werden dürfen, so gibt es nicht mehr als drei Dimensionen. Ein Ding also, das diese drei besitzt, besitzt sie alle, und wenn es alle besitzt, ist es nach allen Richtungen teilbar, und wenn dem so ist, ist es vollkommen u. s. w.


Simpl. So? Wer sagt denn, dass man keine anderen Linien ziehen kann? Warum sollte es denn unmöglich sein, von unten her noch eine weitere Linie im Punkte A anlangen zu lassen, die mit den übrigen rechte Winkel bildet?

Salv. Ihr könnt doch wahrhaftig nicht durch einen Punkt mehr als drei aufeinander rechtwinklige Linien legen.

Sagr. Ja; denn die, welche Signore Simplicio meint, scheint mir dieselbe Linie wie D A zu sein, nur nach unten verlängert. Auf diese Art könnte man noch zwei andere ziehen; es wären aber die nämlichen drei wie zuvor, nur mit dem Unterschiede, dass sie dann sich schnitten, während sie jetzt sich bloß berühren. Neue Dimensionen würde man aber dadurch nicht erhalten.

Bei naturwissenschaftlichen Beweisen ist mathematische Strenge nicht erforderlich.

Simpl. Ich will nicht sagen, dass dieser Euer Beweis der Strenge ermangele; wohl aber kann ich mit Aristoteles14 sagen, dass man in den Naturwissenschaften nicht immer Beweise von mathematischer Strenge zu suchen braucht.

Sagr. Allerdings vielleicht dann nicht, wenn sie unerreichbar ist; wenn sie hier aber möglich ist, warum nicht Gebrauch von ihr machen? Doch es wird gut sein, auf diese Einzelheit nicht noch mehr Worte zu verschwenden, weil meiner Meinung nach Signore Salviati dem Aristoteles und Euch ohne jeden Beweis zugegeben hätte, dass die Welt ein Körper sei und dass sie Vollkommenheit und zwar die höchste Vollkommenheit besitze, wie sie ja das höchste Werk Gottes ist.

Nach Aristoteles zwei einander entgegengesetzte Teile der Welt, ein himmlischer und ein elementarer.

Salv. So ist es in der Tat. Lassen wir also die allgemeinen Betrachtungen des Weltganzen und gehen wir über zu der Betrachtung seiner Teile, deren Aristoteles im ersten Abschnitt zwei sehr verschiedene, gewissermaßen einander entgegengesetzte annimmt, nämlich einen himmlischen und einen elementaren: jener unentstanden, unzerstörbar, unveränderlich, unbeeinflussbar; dieser beständigem Wechsel und fortwährender Änderung unterworfen. Diesen Unterschied schöpft er aus seinem Grundprinzipe, nämlich aus der Verschiedenheit der Ortsveränderungen.15 Seine Schlüsse sind dabei folgende:

Drei Arten der Ortsbewegung, geradlinige, kreisförmige und gemischte.

Geradlinige und kreisförmige Bewegungen einfach, weil längs einfacher Linien erfolgend.

Aus der sinnlichen Welt sozusagen heraustretend und in eine ideale sich versetzend, unternimmt er es, den Bauplan des Weltalls zu entwerfen und demgemäß zu erwägen, dass die Natur die Ursache der Bewegung ist16, die Naturkörper mithin der Ortsveränderung fähig sind. Er erklärt sodann, dass die Bewegungen von dreierlei Art sind, nämlich kreisförmig, geradlinig oder aus diesen gemischt. Die beiden ersten Bewegungsarten nennt er einfach, weil von allen Linien der Kreis und die Gerade allein einfach sind. Hierauf definiert er, die bisherige Allgemeinheit bedeutend einschränkend, von den einfachen Bewegungen sei die erste die Kreisbewegung, d. h. dieu mdie Mitte stattfindende, die beiden anderen seien gerade nach oben und nach unten gerichtet, nämlich nach oben die von dem Mittelpunkt sich entfernende, nach unten die dem Mittelpunkt zustrebende. Daraus nun schließt er, dass notwendigerweise die einfachen Bewegungen mit diesen drei Arten erschöpft sind, dass es also nur Bewegungen nach der Mitte, von der Mitte und um die Mitte gebe. Dieses steht, wie er sagt, in schönem Einklange mit dem früher über den Körper Gesagten, der ganz wie die ihm zukommende Bewegung in dreierlei Hinsicht vollkommen sei. Nach Feststellung dieser Bewegungsarten fährt er fort und sagt: Da von den Naturkörpern einige einfach, andere aus diesen zusammengesetzt seien – und zwar nennt er einfache Körper solche, die von Natur einen Antrieb zur Bewegung haben, wie das Feuer und die Erde –, so müssen die einfachen Bewegungen den einfachen Körpern, die gemischten den zusammengesetzten Körpern zukommen, derart jedoch, dass die zusammengesetzten dem vorherrschenden Bestandteile folgen.

Sagr. Haltet gütigst einen Augenblick ein, Signore Salviati. Denn ich verspüre in mir eine solche Menge von Zweifeln sich regen, dass ich mich ihrer entledigen muss, wenn ich Eurem ferneren Vortrag aufmerksam soll folgen können; ich müsste sonst, um meine Einwürfe nicht zu vergessen, darauf verzichten, dem folgenden meine Aufmerksamkeit zu widmen.

Salv. Ich mache sehr gern eine Ruhepause; denn auch mir ergeht es ähnlich. Ich laufe jeden Augenblick Gefahr, mich zu verirren, während ich durch Klippen und stürmische Wogen segeln soll, die mich, mit dem Sprichwort zu reden, den Kurs verlieren lassen. Bringt also nur Eure Einwürfe vor, ehe ihre Menge zu groß geworden ist.

Die von Aristoteles aufgestellte Definition der Natur entweder mangelhaft oder zur Unzeit angewandt.

Zylindrische Schraubenlinie kann als einfache Linie gelten.

Aristoteles passt den Bauplan dem Weltgebäude an, nicht das Gebäude dem Plane.

Die geradlinige Bewegung nach Aristoteles bisweilen einfach, bisweilen gemischt.

Sagr. Dem Beispiele des Aristoteles folgend, habt Ihr mich zuerst der sinnlichen Welt weit entrückt, um mir den Bauplan zu zeigen, nach dem sie ausgeführt werden soll. Ihr ginget zu meiner Zufriedenheit von dem Satze aus, dass die Naturkörper von Natur aus beweglich sind, da anderwärts die Natur als Ursache der Bewegung definiert worden ist. Hier kam mich ein kleines Bedenken an: Warum nämlich sagte Aristoteles nicht, dass von den Naturkörpern einige von Natur beweglich, andere unbeweglich sind, während es doch in der Definition heißt, die Natur sei die Ursache der Bewegung und der Ruhe? Wenn die Naturkörper alle den Trieb zur Bewegung haben, so war es entweder unstatthaft, die Ruhe in die Definition der Natur mit aufzunehmen oder es war unstatthaft, eine solche Definition an dieser Stelle einzuführen.17 Wenn er mir nachher auseinandersetzt, was er unter einfachen Bewegungen verstanden wissen will und wie er diese nach den zurückgelegten Wegen bestimmt, indem er nämlich einfache Bewegungen diejenigen nennt, die längs einfacher Linien stattfinden, wenn er ferner sagt, dass solche einfache Linien bloß der Kreis und die gerade Linie sind, so will ich das ruhig hinnehmen und nicht spitzfindig ihm das Beispiel der um einen Zylinder gewundenen Schraubenlinie entgegenhalten, wiewohl diese wegen der Gleichartigkeit ihrer Teile auch, wie mir scheint, zu den einfachen Linien gerechnet werden könnte. Hingegen will es mir gar nicht gefallen, dass ich ihn plötzlich unter Beeinträchtigung der Allgemeinheit – während er scheinbar die nämlichen Definitionen nur mit anderen Worten wiederholt – die eine Bewegung eine solche um den Mittelpunkt nennen höre, die anderen sursum et deorsum, d. h. aufwärts und abwärts gerichtet, alles Ausdrücke, die sich nicht außerhalb der schon fertigen Welt anwenden lassen, sondern diese als schon geschaffen, ja sogar als schon von uns bewohnt voraussetzen. Wenn aber die geradlinige Bewegung einfach ist bloß wegen der Einfachheit der geraden Linie und wenn die einfache Bewegung natürlich ist, nach welcher Seite sie auch gerichtet sei, aufwärts oder abwärts, vorwärts oder rückwärts, nach rechts oder nach links oder nach irgendeiner anderen denkbaren Richtung, vorausgesetzt nur, dass sie geradlinig ist, so wird auch eine solche Bewegung manchen Naturkörpern zukommen müssen, wenn anders nicht die Grundannahme des Aristoteles mangelhaft ist. Überdies deutet Aristoteles offenbar an, es gebe in der Welt nur eine einzige kreisförmige Bewegung und demzufolge nur einen einzigen Mittelpunkt, auf welchen allein die auf- und abwärts gerichteten Bewegungen sich beziehen: alles Anzeichen, dass er die Absicht hat, uns falsche Karten in die Hände zu spielen, den Bauplan dem fertigen Gebäude anzupassen, nicht aber das Gebäude nach den Vorschriften des Planes aufzurichten. Sobald ich nämlich sage, dass im Weltall tausenderlei Kreisbewegungen möglich sind und folglich tausend Mittelpunkte, so wird es auch tausenderlei auf- und abwärts gerichtete Bewegungen geben. Außerdem nimmt er, wie wir hörten, einfache und gemischte Bewegungen an, indem er als einfach die kreisförmige und die geradlinige Bewegung bezeichnet, während er gemischt die aus jenen zusammengesetzte nennt. Entsprechend nennt er von den Naturkörpern die einen einfach – nämlich die, welche von Natur einen Trieb zu den einfachen Bewegungen haben –, andere zusammengesetzt. Dabei weist er die einfachen Bewegungen den einfachen Körpern zu, die zusammengesetzte den zusammengesetzten. Unter zusammengesetzter Bewegung versteht er aber nun nicht mehr die Mischung geradliniger und kreisförmiger Bewegung, wie eine solche tatsächlich stattfinden kann; er führt vielmehr eine neue, völlig unmögliche gemischte Bewegung ein: so wenig möglich, als es möglich ist, entgegengesetzte Bewegungen innerhalb derselben geraden Linie derart zu mischen, das daraus eine teils nach oben, teils nach unten gerichtete Bewegung hervorginge. Um das Unpassende und die Unmöglichkeit dieser Behauptungen zu mildern, beschränkt er sich darauf, derartige gemischte Körper sich dem vorwaltenden Bestandteil gemäß bewegen zu lassen. Man sieht sich schließlich also genötigt, auch die Bewegung längs derselben geraden Linie bald als einfach, bald als zusammengesetzt anzusehen; die Einfachheit der Bewegung ist also nicht mehr ausschließlich durch die Einfachheit des zurückgelegten Weges bedingt.

 

Simpl. Haltet Ihr es denn nicht für einen ausreichenden Unterschied, wenn die absolut einfache Bewegung sehr viel schneller vor sich geht als die durch den vorwiegenden Bestandteil bedingte? Wieviel schneller bewegt sich ein Stück reiner Erde abwärts als ein Stückchen Holz!

Sagr. Gut, Signore Simplicio; wenn nun aber aus diesem Grunde der Begriff der Einfachheit anders gefasst werden muss, so werden erstlich hunderttausenderlei gemischte Bewegungen existieren; sodann aber werdet Ihr nicht mehr imstande sein, die einfache zu definieren. Ja noch mehr: Wenn die größere oder geringere Geschwindigkeit die Einfachheit der Bewegung beeinflusst, so wird niemals ein einfacher Körper eine einfache Bewegung ausführen. Denn bei allen natürlichen geradlinigen Bewegungen nimmt die Geschwindigkeit fortwährend zu und ändert folglich ihre Einfachheit, die, um Einfachheit zu sein, doch unveränderlich sein müsste. Was noch wichtiger ist, Ihr heftet dem Aristoteles einen weiteren Tadel an, dass er nämlich bei der Definition der zusammengesetzten Bewegung der Langsamkeit und Schnelligkeit keine Erwähnung tut, welche Ihr jetzt als ein notwendiges und wesentliches Erfordernis hinstellt. Ein solches Kriterium lässt sich überdies nicht fruchtbar verwerten, weil es gemischte Körper, und zwar recht zahlreiche, geben wird, die sich teils schneller, teils langsamer bewegen als ein einfacher, wie z. B. das Blei und das Holz im Vergleich zur Erde. Welche dieser Bewegungen wollt Ihr da einfach, welche zusammengesetzt nennen?

Simpl. Einfach soll die heißen, welche von einem einfachen Körper, und gemischt die, welche von einem zusammengesetzten Körper ausgeführt wird.

Sagr. Ausgezeichnet fürwahr, was Ihr da sagt, Signore Simplicio! Vor einer Weile habt Ihr festgesetzt, dass die einfache und die zusammengesetzte Bewegung mir darüber Auskunft geben sollen, ob ein Körper einfach oder zusammengesetzt sei, und jetzt soll ich aus der Einfachheit oder Zusammengesetztheit der Körper mir Aufschluss über die Einfachheit oder Zusammengesetztheit der Bewegungen verschaffen: eine vortreffliche Regel, um schließlich weder über die Bewegungen noch über die Körper zur Klarheit zu gelangen. Es genügt Euch nun auch zur Feststellung des Begriffs der einfachen Bewegung nicht mehr die größere Geschwindigkeit; Ihr geht vielmehr so weit, dass Ihr noch eine dritte Bedingung erfüllt wissen wollt, während Aristoteles sich zu diesem Zwecke mit einer einzigen begnügt, nämlich der Einfachheit des zurückgelegten Weges. Nach Eurer Ansicht nämlich ist nunmehr die einfache Bewegung eine solche, welche längs einer einfachen Linie, mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit von einem einfachen beweglichen Körper ausgeführt wird. Nun mag meinetwegen Eure Ansicht richtig sein; wenden wir uns aber zu Aristoteles zurück, der mich belehrt hat, die gemischte Bewegung sei diejenige, welche sich aus der geradlinigen und kreisförmigen zusammensetze, der mir dann aber keinen Körper hat ausfindig machen können, der von Natur eine solche Bewegung ausführte.

Die Kreislinie nach Aristoteles vollkommen, die gerade Linie unvollkommen, und weswegen.

Der Verfasser nimmt an, die Welt sei vollkommen geordnet.

Salv. Ich kehre also zu Aristoteles zurück, der seine Untersuchung so schön und methodisch begonnen hat. Da er aber mehr die Absicht hatte, auf ein seinem Geiste schon vorschwebendes Ziel loszusteuern und es zu erreichen, als dahin zu gelangen, wohin ihn geradewegs seine Schlüsse führten, reißt er den Faden ab und schlägt einen Seitenpfad ein. Er teilt uns als etwas allgemein Bekanntes und Zugestandenes mit, dass die auf- und abwärts gerichteten Bewegungen dem Feuer und der Erde eigen sind; es müsse also notwendigerweise außer jenen uns zugänglichen Körpern noch ein anderer in der Natur vorhanden sein, dem die Kreisbewegung zukomme. Dieser sei sodann in demselben Maße vollkommener, als die Kreisbewegung im Vergleich zu der geradlinigen vollkommener sei. Wieviel mal aber jene die letztere an Vollkommenheit übertreffe, bemisst er nach der Vollkommenheit des Kreises gegenüber der geraden Linie, wobei er jenen vollkommen, diese unvollkommen nennt: darum nämlich unvollkommen, weil sie entweder im Falle der Unendlichkeit keinen Abschluss und keine Grenze hat, oder im Falle der Endlichkeit nach einem außerhalb derselben gelegenen Punkte verlängert werden kann. Das ist der Grundstein, die Basis, das Fundament des ganzen aristotelischen Weltgebäudes, worauf sich alle die übrigen Merkmale gründen, des Nicht-Leichten und Nicht-Schweren, des Unentstandenen, des Unvergänglichen und – abgesehen von der Ortsveränderung – des Unveränderlichen u. s. w. Alle diese Eigenschaften, versichert er, kommen dem einfachen, kreisförmig sich bewegenden Körper zu, während er die entgegengesetzten Affektionen der Schwere, Leichtigkeit, Vergänglichkeit u. s. w. den von Natur sich geradlinig bewegenden Körpern zuweist. Sobald also in dem bisher Festgestellten sich ein Mangel zeigt, darf man begründeterweise an allem Übrigen, das sich darauf aufbaut, Zweifel hegen. Ich stelle nicht in Abrede, dass die von Aristoteles bisher aus allgemeinen Grundprinzipien gewonnenen Ergebnisse im weiteren Fortgang durch spezielle Gründe und Erfahrungen nochmals bekräftigt werden; diese müssen sämtlich einzeln geprüft und erwogen werden. Da aber schon bei dem bisher Vorgebrachten sich viele nicht unbedeutende Schwierigkeiten in den Weg stellen – und doch sollten die ersten Prinzipien und Grundlagen unerschütterlich fest und sicher sein, damit man ohne Zagen auf ihnen weiterbauen kann –, so wird es wohl am geratensten sein, bevor die Menge der Zweifel zu sehr anwächst, einmal auf gut Glück zu versuchen – und ich glaube, es ist möglich – auf anderem Wege vorzudringen, auf dem es sich kürzer und sicherer geht, und nach besser erwogenen Bauregeln die ersten Fundamente zu legen. In dem Augenblicke jedoch, wo wir einstweilen die Entwicklungen des Aristoteles verlassen, um sie seiner Zeit wieder aufzunehmen und eingehend zu prüfen18, erkläre ich mich einverstanden mit einer seiner bisherigen Behauptungen, dass nämlich die Welt mit allen Dimensionen ausgestattet und darum von höchster Vollkommenheit ist. Ich setze hinzu, dass sie als solche durchaus gesetzmäßig ist, d. h. aus Teilen besteht, die nach höchsten und vollkommensten Gesetzen angeordnet sind. Ich glaube, dieser Annahme werdet weder Ihr noch sonst jemand widersprechen.

Simpl. Wer sollte da widersprechen! Denn erstens rührt sie von Aristoteles selbst her; dann aber scheint schon der Name Kosmos von nichts Anderem hergenommen zu sein, als von der im Weltall herrschenden höchsten Ordnung.19

In der wohlgeordneten Welt kann es unmöglich eine geradlinige Bewegung geben.