Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Geradlinige Bewegung ihrer Natur nach unendlich.

Geradlinige Bewegungen von Natur unmöglich.

Die Natur versucht nicht zu leisten, was unmöglich zu leisten ist.

Geradlinige Bewegung vielleicht im Urchaos.

Geradlinige Bewegung geeignet, die verkehrt angeordneten Körper zu ordnen.

Die Weltkörper nach Plato anfangs geradlinig, später kreisförmig bewegt.

Ein in Ruhe befindlicher Körper wird sich nicht bewegen, wenn er nicht Vorliebe für irgendeinen besonderen Ort hat.

Der bewegliche Körper beschleunigt seine Bewegung, wenn er sich nach dem Orte seiner Wahl begibt.

Der vom Ruhezustand ausgehende Körper geht durch alle Stufen der Langsamkeit hindurch. Der Ruhezustand ist die Stufe unendlicher Langsamkeit.

Der Körper beschleunigt seine Bewegung nur, wenn er näher dem Ziele rückt.

Um dem Körper einen gewissen Grad von Geschwindigkeit einzupflanzen, lässt ihn die Natur sich geradlinig bewegen.

Gleichförmige Geschwindigkeit kommt der kreisförmigen Bewegung zu.

Salv. Nach Feststellung eines solchen Prinzips lässt sich ohne Weiteres schließen, dass, wenn die Hauptmassen des Weltalls vermöge ihrer Natur beweglich sind, ihre Bewegungen unmöglich geradlinig oder anders als kreisförmig sein können.20 Der Grund ist ganz einfach und liegt auf der Hand. Denn was sich geradlinig bewegt, verändert seinen Ort und entfernt sich im Fortgang der Bewegung mehr und mehr von dem Ausgangspunkt und von allen im Lauf der Bewegung erreichten Punkten. Käme nun einem Körper solche Bewegung von Natur aus zu, so wäre er von Anfang an nicht an seiner natürlichen Stelle, mithin die Anordnung der Teile der Welt keine vollkommene. Wir setzen aber voraus, dass ihre Ordnung vollkommen sei, demgemäß können sie nicht von Natur dazu bestimmt sein, ihre Stelle zu wechseln und folglich auch nicht, sich geradlinig zu bewegen. Da außerdem die geradlinige Bewegung ihrer Natur nach unendlich ist – denn die gerade Linie ist unendlich und von unbestimmter Länge –, so kann kein beweglicher Körper den natürlichen Trieb haben, sich in gerader Linie dahin zu bewegen, wohin er unmöglich gelangen kann, insofern einer solchen Bewegung kein Ziel gesetzt ist. Und die Natur, wie Aristoteles selbst sehr richtig bemerkt, versucht nicht, was unmöglich zu leisten ist, versucht also nicht dahin zu treiben, wohin zu gelangen unmöglich ist.21 Wollte man aber behaupten, die Natur habe, obgleich die gerade Linie und die geradlinige Bewegung ins Unendliche, d. h. ins Ziellose, fortsetzbar ist, dennoch gewissermaßen willkürlich ihr bestimmte Grenzen gesteckt und den Naturkörpern den natürlichen Trieb eingepflanzt, sich zu diesen hin zu bewegen, so entgegne ich, dass man vielleicht in Phantasien sich ergehen darf, die Sache habe sich in dieser Weise aus dem Urchaos entwickelt, wo verschwommene Materien verworren und ungeordnet umherschwebten. Um diese zu ordnen, mag dann die Natur sich sehr geschickt der geradlinigen Bewegungen bedient haben; wie diese nämlich einerseits wohlgeordnete Körper in Unordnung zu bringen vermögen, so sind sie im Gegenteile geeignet, die verkehrt angeordneten in Ordnung zu bringen. Ist aber einmal die beste Verteilung und Stellung herbeigeführt, so kann unmöglich in ihnen die natürliche Neigung bestehen bleiben, sich auch fernerhin in gerader Linie zu bewegen, was nunmehr bloß die Wiederentfernung vom gehörigen und natürlichen Orte, also die Unordnung im Gefolge haben würde.22 Wir können demnach sagen, es diene die geradlinige Bewegung dazu, die Baustoffe für das Werk herbeizuschaffen; ist dieses aber einmal fertig gestellt, so bewegt es sich entweder nicht, oder wenn es sich bewegt, so bewegt es sich kreisförmig. Es sei denn, dass wir noch weiter gehend mit Plato23 sagen wollten, dass auch die Weltkörper nach ihrer Schöpfung und ihrer endgültigen Fertigstellung eine gewisse Zeit hindurch von ihrem Schöpfer in gerader Linie bewegt wurden, dass sie aber, angelangt an dem bestimmten, ihnen zugewiesenen Orte, der Reihe nach in Drehung versetzt wurden und so von der geraden Bewegung zur kreisförmigen übergingen, in welcher sie sich dann behauptet haben und bis auf den heutigen Tag beharren. Ein erhabener Gedanke und Platos wohl würdig. Ich entsinne mich darüber unseren gemeinsamen Freund von der Accademia dei Lincei24 reden gehört zu haben und, wenn ich mich recht erinnere, war seine Ansicht diese. Jeder von Natur bewegliche Körper, der durch irgendwelche Ursache in den Zustand der Ruhe gebracht worden ist, wird freigelassen, sich in Bewegung setzen; freilich nur dann, wenn er von Natur eine Vorliebe für irgendeinen besonderen Ort hat. Denn wenn er sich allen gegenüber gleichmäßig verhielte, würde er in seiner Ruhe verharren, da er nicht mehr Ursache hat nach diesem als nach jenem sich hin zu bewegen. Hat er aber diesen Trieb, so ergibt sich mit Notwendigkeit, dass er bei seiner Bewegung eine fortwährende Beschleunigung erfährt. Da er nämlich mit der langsamsten Bewegung beginnt, wird er keine Stufe der Geschwindigkeit erreichen, er sei denn zuvor durch alle Stufen geringerer Geschwindigkeit oder meinethalben größerer Langsamkeit hindurchgegangen. Denn da er vom Zustand der Ruhe als von der Stufe unendlicher Langsamkeit ausgeht, so ist kein Grund für ihn vorhanden, in die und die bestimmte Stufe der Geschwindigkeit einzutreten, ohne zuvor in eine niedrigere einzutreten und in eine noch niedrigere, bevor in diese. Es ist vielmehr nur vernünftig anzunehmen, dass er erst durch die Stufen hindurchgeht, die der Anfangsstufe zunächst liegen, und von diesen aus erst zu den entfernter liegenden gelangt; die Stufe aber, mit der er seine Bewegung beginnt, ist die der höchsten Langsamkeit, nämlich die der Ruhe. Nun kann aber diese Beschleunigung nur zustande kommen, wenn der Körper bei seiner Bewegung eine Förderung erfährt, und diese Förderung besteht in nichts Anderem als in der Annäherung an das angestrebte Ziel, d. h. an denjenigen Ort, wohin ihn der natürliche Trieb zieht; dabei wird er sich auf dem kürzesten, also dem geraden Wege dorthin begeben. Wir können mithin die begründete Vermutung aussprechen, dass die Natur, um einem beweglichen Körper, der zuvor sich in Ruhe befand, eine bestimmte Geschwindigkeit mitzuteilen, sich des Mittels bedient, ihn eine gewisse Zeit und eine gewisse Strecke hindurch in gerader Richtung zu bewegen. Besteht diese Erörterung zu Recht, so dürfen wir uns vorstellen, Gott habe die Masse z. B. des Jupiter erschaffen und wolle ihm nunmehr eine so und so große Geschwindigkeit verleihen, die er alsdann gleichförmig in alle Ewigkeit bewahren soll; wir werden dann mit Plato sagen können, dass er ihm anfangs verstattete, in geradlinig beschleunigter Bewegung fortzuschreiten, und dass er dann, auf der vorgeschriebenen Stufe der Geschwindigkeit angelangt, die gerade Bewegung in die kreisförmige verwandelte, deren Geschwindigkeit dann natürlich einförmig sein muss.

Zwischen der Ruhe und irgendwelchem Grade der Geschwindigkeit liegen unendlich viele Grade geringerer Geschwindigkeit.

Sagr. Ich höre von dieser Ansicht mit großem Vergnügen, glaube aber, das wird in noch höherem Maße der Fall sein, wenn Ihr mir erst ein Bedenken beseitigt habt; ich begreife nämlich nicht recht, wieso notwendig ein beweglicher Körper, der aus dem Zustande der Ruhe in eine Bewegung eintritt, zu der ein natürlicher Hang ihm innewohnt, alle vorhergehenden Grade der Schnelligkeit durchmachen muß, deren es zwischen einem beliebig vorgeschriebenen Grade und dem Zustande der Ruhe unendlich viele gibt: als wenn die Natur der Masse des Jupiter nicht gleich nach ihrer Schöpfung die kreisförmige Bewegung nebst der betreffenden Geschwindigkeit hätte zuerteilen können.

Die Natur verleiht nicht unmittelbar einen bestimmten Grad von Geschwindigkeit, wiewohl sie es könnte.

Salv. Ich habe nicht gesagt und möchte mich nicht erdreisten zu sagen, dass es der Natur und Gott unmöglich wäre, jene Geschwindigkeit, von der Ihr sprecht, auch unmittelbar zu verleihen; wohl aber sage ich, dass die Natur de facto nicht so verfährt. Ein solcher Vorgang käme also auf eine Wirkung hinaus, wie sie außerhalb des natürlichen Verlaufs liegt, also auf ein Wunder.*

Sagr. Ihr glaubt also, ein Stein, der aus der Ruhelage in die ihm natürliche Bewegung nach dem Mittelpunkt der Erde eintritt, müsse durch alle Stufen der Langsamkeit hindurchgehen, die unterhalb einer beliebigen Stufe der Geschwindigkeit liegen?

Salv. Ich glaube es, ja ich bin dessen sicher und zwar mit solcher Zuversicht, dass ich auch Euch darüber völlig vergewissern kann.

Sagr. Wenn ich bei allen unseren heutigen Untersuchungen auch nur diese eine Erkenntnis gewänne, würde ich das als eine bedeutende Errungenschaft betrachten.

Der vom Ruhestand ausgehende Körper geht durch alle Stufen der Geschwindigkeit hindurch, ohne auf irgendeiner zu verweilen.

Salv. Soweit ich Euch verstanden zu haben glaube, richtet sich Euer Haupteinwurf gegen die Vorstellung, dass ein Körper durch jene unendlich vielen vorangehenden Stufen der Langsamkeit und noch dazu in kürzester Frist hindurchgehen soll, bis er die nach dieser Frist ihm zukommende Geschwindigkeit erreicht. Darum will ich, bevor ich weiter gehe, dieses Bedenken zu beseitigen suchen, was nicht schwer ist. Ich brauche Euch bloß zu entgegnen, dass der Körper zwar durch die genannten Stufen hindurchgeht, aber ohne bei diesem Durchgang auf irgendeiner Stufe zu verweilen. Da demnach der Durchgang nicht mehr als einen einzigen Augenblick erfordert, aber jede noch so kleine Frist unendlich viele Augenblicke enthält, so werden wir eine genügende Menge von Augenblicken zur Verfügung haben, um den unendlich vielen verschiedenen Stufen der Langsamkeit je einen bestimmten Zeitpunkt zuzuordnen, mag die Frist auch noch so klein sein.

 

Sagr. Soweit folge ich; gleichwohl kommt es mir auffällig vor, wenn eine Kanonenkugel, – als solche will ich mir den fallenden Körper vorstellen –, die doch mit solchem Ungestüm niederfällt, dass sie in weniger als zehn Pulsschlägen mehr als zweihundert Ellen26 zurücklegt, im Laufe ihrer Bewegung einen so geringen Grad von Geschwindigkeit soll besessen haben, dass, wenn sie diesen beibehalten und keine weitere Beschleunigung erfahren hätte, sie die Strecke nicht in einem ganzen Tage zurückgelegt haben würde.

Salv. Ihr dürft ruhig sagen, in einem ganzen Jahre nicht, noch auch in zehn oder in tausend Jahren. Ich verbürge mich, Euch davon zu überzeugen, ohne dass Ihr vielleicht gegen eine der einfachen Fragen Einspruch erhebt, die ich an Euch richten werde. Sagt mir also, ob Ihr ohne Weiteres zugebt, dass jene Kugel beim Fallen immer größeren Antrieb und Geschwindigkeit erlangt.

Sagr. Dessen bin ich völlig gewiss.

Salv. Und wenn ich behaupte, dass der an irgendeiner Stelle erreichte Antrieb der Bewegung gerade groß genug ist, um die Kugel wieder zu der Höhe zurückzubringen, von der sie ausging, werdet Ihr mir Recht geben?

Der schwere Körper erlangt beim Fall einen Antrieb, der ausreichend ist, um ihn wieder auf dieselbe Höhe zu bringen.

Sagr. Unbedingt, sobald sie ungehindert ihre volle Kraft für den einen Zweck verwenden kann, um selbst wieder zur früheren Höhe zu gelangen oder um einen anderen ihr gleichen Körper dahin zu bringen. Wäre z. B. die Erde durch den Mittelpunkt hindurch durchbohrt und ließe man die Kugel aus einer Höhe von hundert oder tausend Ellen fallen, so bin ich überzeugt, dass sie jenseits des Mittelpunktes sich ebenso weit über diesen erhöbe, als sie zuvor gefallen ist. Eben dasselbe ist der Fall, wie der Versuch mich lehrt, bei einem an einem Faden aufgehängten Gewichte. Entfernt man dieses aus der Ruhelage, also der lotrechten Richtung, und überlässt es sich selbst, so fällt es in die lotrechte Lage zurück und überschreitet sie um ebenso viel oder doch nur um soviel weniger, als der Widerstand der Luft und des Fadens oder anderer Nebenumstände dies bewirken. Auch beim Wasser, welches in eine Röhre gegossen ebenso weit steigt, als die Höhe seines Falls betrug, zeigt sich mir das nämliche.27

Salv. Eure Schlüsse sind untadelig. Ihr werdet auch sicherlich damit einverstanden sein, dass die Ursache des erlangten Antriebes die wachsende Entfernung des Körpers vom Ausgangspunkte und die Annäherung an den bei der Bewegung erstrebten Mittelpunkt ist. Werden aber auch zwei gleiche Körper, wenn sie, ohne Widerstand zu finden, längs verschiedener Linien sich abwärts bewegen, dennoch gleiche Antriebe erlangen, die Annäherung an den Mittelpunkt in beiden Fällen als gleich vorausgesetzt? Räumt Ihr das gleichfalls ein?

Sagr. Ich verstehe die Frage nicht recht.

Salv. Ich werde mich besser mit Hilfe einer kleinen Zeichnung verständlich machen. Ich ziehe also diese Linie A B in horizontaler Richtung, errichte im Punkte B die Senkrechte C B und ziehe dann die schiefe Verbindungslinie C A. Wenn ich mir nun unter der Linie C A eine geneigte Ebene von ausgezeichneter Glätte und Härte vorstelle, auf welcher eine vollkommen runde Kugel von härtestem Stoff sich abwärts bewegt; wenn ferner eine zweite derartige Kugel längs der Senkrechten C B in freiem Falle sich bewegt, so frage ich: Räumt Ihr ein, dass der Antrieb der Kugel, welche längs der geneigten Ebene fällt, nach Ankunft in A gleich dem Antriebe sein kann, welche die andere im Punkte B erlangt, nachdem sie die lotrechte Strecke C B passiert hat?


Die Antriebe zweier Körper, die sich gleichviel dem Mittelpunkt genähert haben, sind gleich.

Sagr. Ich glaube bestimmt: ja. Denn schließlich haben sich beide dem Mittelpunkt gleichviel genähert und nach dem, was ich soeben eingeräumt habe, würde der Antrieb einer jeden von beiden genügen, um sich selbst wieder zu gleicher Höhe zu erheben.

Salv. Sagt mir nun noch, wie sich Eurer Ansicht nach die nämliche Kugel verhielte, wenn man sie auf die waagrechte Ebene A B legen würde?

Auf der waagrechten Ebene bleibt der Körper ruhig liegen.

Sagr. Sie würde ruhig liegen bleiben, da die Ebene nach keiner Seite geneigt ist.

Salv. Auf der geneigten Ebene C A hingegen würde sie sich abwärts bewegen, aber langsamer als längs der Senkrechten C B, nicht wahr?

Sagr. Ich habe eben unbedenklich zustimmen wollen, denn dem Anschein nach ist allerdings die senkrechte Bewegung C B notwendig rascher, als die schiefe C A. Wie kann aber dann der auf der schiefen Ebene fallende Körper nach seiner Ankunft im Punkte A ebenso großen Antrieb, also auch die nämliche Geschwindigkeit, besitzen, wie der senkrecht herabfallende im Punkte B? Diese Sätze scheinen sich zu widersprechen.28

Geschwindigkeit längs der geneigten Ebene gleich der Geschwindigkeit längs der senkrechten, und Bewegung längs der senkrechten geschwinder als längs der geneigten.

Salv. Umso mehr wird es Euch unrichtig vorkommen, wenn ich behaupte, dass die Geschwindigkeit des senkrecht und des schief fallenden Körpers genau gleich sind. Und doch ist dies vollkommen richtig, ebenso richtig wie die Behauptung, dass der Fall längs der Senkrechten rascher erfolgt als längs der schiefen Ebene.

Sagr. In meinen Ohren klingt das wie ein schroffer Widerspruch. Was meint Ihr, Signore Simplicio?

Simpl. Auch mir kommt das so vor.

Salv. Ich glaube, Ihr habt mich zum Besten und stellt Euch, als ob Ihr nicht verstündet, was Ihr besser versteht als ich. Sagt mir doch, Signore Simplicio, wenn Ihr Euch vorstellt, ein bewegter Körper übertreffe einen anderen an Geschwindigkeit, welchen Begriff verbindet Ihr damit?

Simpl. Ich stelle mir vor, der eine lege in der nämlichen Zeit eine größere Strecke als der andere zurück, oder die gleiche Strecke, aber in kürzerer Zeit.

Salv. Sehr wohl, und was stellt Ihr Euch unter gleichen Geschwindigkeiten zweier Körper vor?

Simpl. Ich stelle mir darunter vor, dass sie gleiche Strecken in gleichen Zeiten zurücklegen.

Salv. Sonst nichts als das?

Simpl. Es scheint mir dies die richtige Definition gleicher Bewegungen zu sein.

Geschwindigkeiten heißen gleich, wenn die zurückgelegten Wege den Zeiten proportional sind.

Sagr. Wir können doch noch eine andere aufstellen: Es heißen die Geschwindigkeiten auch dann gleich, wenn die zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt worden sind. Diese Definition ist eine allgemeinere.

Salv. So ist es; denn sie umfasst sowohl den Fall, wo gleiche Strecken in gleichen Zeiten, als auch den, wo ungleiche Strecken in ungleichen, aber den Strecken proportionalen Zeiten durchlaufen werden. Nehmt nun dieselbe Figur noch einmal vor und sagt mir sodann, unter Benutzung des Begriffs der rascheren Bewegung, warum Ihr die Geschwindigkeit des längs C B fallenden Körpers für größer haltet als die Geschwindigkeit des längs C A fallenden.

Simpl. Ich glaube darum, weil der frei fallende Körper in einer Zeit die ganze Strecke C B zurücklegt, in welcher der andere auf C A eine kleinere Strecke als C B zurücklegt.

Salv. So ist es. Es hat demnach seine Richtigkeit, dass der Körper schneller in der senkrechten Richtung als in der geneigten sich bewegt. Überlegt nun, ob in dieser nämlichen Figur nicht auch der andere Satz zu seinem Recht gelangen kann, und ob sich nicht erweisen lässt, dass die Körper auf beiden Linien C A und C B gleiche Geschwindigkeiten besitzen.

Simpl. Ich kann nichts Derartiges entdecken; es scheint mir im Gegenteil darin ein Widerspruch mit dem eben Gesagten zu liegen.

Salv. Was meint Ihr, Signore Sagredo? Ich möchte Euch nicht erst lehren, was Ihr schon wisst, und was Ihr mir noch eben ganz richtig definiert habt.

Sagr. Die Definition, die ich angeführt habe, lautete, dass die Geschwindigkeiten der Körper gleich genannt werden dürfen, wenn die von ihnen zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt werden. Soll also diese Definition hier gelten, so müsste die Zeit für das Fallen längs C A zu der Zeit des freien Falls längs C B dasselbe Verhältnis haben, wie die Linie C A selbst zur Linie C B. Nur begreife ich nicht, wie dies möglich ist, sobald die Bewegung längs C B rascher ist als längs C A.

Salv. Und gleichwohl sollt und müsst Ihr es begreifen. Sagt mir doch: Findet bei diesen Bewegungen nicht eine fortwährende Beschleunigung statt?

Sagr. Ja; aber eine größere Beschleunigung in der senkrechten als in der schiefen Richtung.

Salv. Ist nun aber jene Beschleunigung in der senkrechten Richtung so groß im Vergleich zu der in schräger Richtung stattfindenden, dass, an welcher Stelle auch immer auf den beiden Linien gleiche Stücke angenommen werden, die Bewegung längs des senkrechten Stücks rascher sein muss als längs des schiefen?

Sagr. O nein. Ich kann vielmehr auf der schrägen Linie eine Strecke annehmen, auf welcher die Geschwindigkeit sehr viel größer ist als auf einer anderen ebenso großen Strecke der senkrechten Linie. Ich brauche nur die Strecke auf der senkrechten Linie in der Nähe des Endpunktes C, die Strecke auf der schiefen Linie hingegen recht weit davon entfernt anzunehmen.

Salv. Die Behauptung also, die Bewegung längs der Senkrechten sei schneller als längs der schiefen Linie, erweist sich nicht als allgemein richtig, wie Ihr seht. Sie gilt nur bei Bewegungen, die vom Anfangspunkte, also von der Ruhelage, ihren Ausgang nehmen. Ohne diese Klausel wäre die Behauptung dermaßen falsch, dass ihr Gegenteil ebenso gut wahr sein könnte, nämlich dass die Bewegung auf der schiefen Ebene schneller ist als in senkrechter Richtung: Denn man kann auf der schiefen Linie eine Strecke annehmen, die in kürzerer Zeit durchlaufen wird als eine ebenso große Strecke auf der Senkrechten. Da also die Bewegung auf der schiefen Ebene an einigen Stellen schneller, an anderen weniger schnell ist als auf der Senkrechten, so wird an gewissen Stellen der schiefen Ebene die Zeit der Bewegung des Körpers zu der Zeit der Bewegung des Körpers an gewissen Stellen der Senkrechten ein größeres Verhältnis haben als die entsprechenden zurückgelegten Wege; an anderen Stellen hingegen wird das Verhältnis der Zeiten kleiner sein als das der zugehörigen Wege. Es mögen z. B. von der Ruhelage, also vom Punkte C aus, zwei bewegliche Körper sich in Bewegung setzen, der eine längs der Senkrechten C B, der andere längs der schiefen Linie C A. In der Zeit, wo der eine Körper die ganze Strecke C B zurückgelegt hat, wird der andere das kleinere Stück C T zurückgelegt haben. Die Dauer der Bewegung auf C T wird also zur Dauer der Bewegung auf C B – weil diese beiden Zeiten gleich sind – ein größeres Verhältnis haben als die Linie C T zu C B, da ein und dieselbe Größe zu einer kleineren ein größeres Verhältnis hat als zu einer größeren.29 Wenn man umgekehrt auf der nötigenfalls zu verlängernden Linie C A eine Strecke gleich C B annimmt, die aber in kürzerer Frist passiert wird, so würde die Zeit für Durchmessung der schiefen Strecke zu der für Zurücklegung der senkrechten ein kleineres Verhältnis haben als jene Strecke zu dieser. Da wir uns also auf den beiden Linien Strecken nebst den entsprechenden Geschwindigkeiten denken können derart, dass die Verhältnisse der Strecken zueinander teils kleiner teils größer sind als die Verhältnisse der entsprechenden Zeiten, so können wir wohl vernünftigerweise zugeben, dass auch Strecken vorhanden sind, auf welchen die zur Bewegung erforderlichen Zeiten dasselbe Verhältnis bewahren wie die Strecken selbst.


Sagr. Mein größtes Bedenken ist jetzt gehoben und ich begreife nicht bloß die Möglichkeit, sondern geradezu die Notwendigkeit dessen, was mir vorher ein Widerspruch schien. Ich verstehe aber einstweilen noch nicht, dass zu diesen möglichen oder notwendigen Fällen der hier vorliegende gehört. Es müsste sich herausstellen, dass die Fallzeit längs C A zur Zeit des freien Falls längs C B sich ebenso verhält wie die Linie C A zu C B, damit man ohne Widerspruch soll sagen können, die Geschwindigkeiten längs der schiefen Linie C A und längs der senkrechten C B seien gleich.

 

Salv. Seid einstweilen zufrieden, dass ich Euch den Unglauben benommen habe; die volle Erkenntnis erwartet ein anderes Mal, wenn Euch die Untersuchungen unseres Akademikers über die räumlichen Bewegungen vorliegen.30 Ihr werdet dort bewiesen finden, dass, wenn der eine Körper die ganze Linie C B durchfallen hat, der andere am Fußpunkte T des von B auf C A gefällten Perpendikels angelangt ist. Um andererseits den Ort des nämlichen senkrecht fallenden Körpers zu finden in dem Augenblicke, wo der andere in A ankommt, errichtet bloß im Punkte A ein Perpendikel auf C A und verlängert es bis zum Schnitt mit C B; dort wird der gesuchte Punkt liegen. Inzwischen werdet Ihr bemerken, dass es völlig richtig ist, die Bewegung längs C B als rascher zu betrachten wie die längs der schiefen Linie C A – die zu vergleichenden Bewegungen immer vom Ausgangspunkte C an gerechnet –, denn die Linie C B ist größer als C T, und ebenso ist die Linie von C bis zum Schnitt mit dem im Punkte A auf C A errichteten Perpendikel größer als C A: Darum ist also die Bewegung auf jener rascher als längs C A. Vergleichen wir aber die über die ganze Linie C A erstreckte Bewegung nicht mit der ganzen gleichzeitig stattfindenden Bewegung längs der verlängerten Senkrechten, sondern bloß mit dem schon in kürzerer Zeit zurückgelegten Teile C B, so ist es sehr wohl angängig, dass der längs C A über T hinaus weiter fallende Körper nach einer solchen Frist in A ankommt, dass, wie C A zu C B, so auch die eine Zeit zur anderen sich verhält.

Die Kreisbewegung kann niemals auf natürliche Weise ohne vorangehende geradlinige Bewegung zustande kommen.

Kreisbewegung ist in Ewigkeit gleichförmig.

Die Größe der Bahnen und die Geschwindigkeit der Planetenbewegung haben dasjenige Verhältnis, welches einer Abwärtsbewegung von gemeinsamem Ausgangspunkt entspricht.

Wir wollen nun wieder unser erstes Ziel ins Auge fassen und beweisen, dass ein schwerer Körper, der von der Ruhelage ausgeht, bei seinem Falle durch alle die Stufen der Langsamkeit hindurchgehen muss, welche einer später von ihm erreichten Stufe der Geschwindigkeit vorangehen. Wir nehmen dieselbe Figur wiederum vor und erinnern uns, dass nach beiderseitigem Zugeständnis der senkrecht längs C B fallende Körper und der schief längs C A fallende in den Endpunkten B und A mit gleichen Stufen der Geschwindigkeit eintreffen. Wir gehen nun weiter, und ich glaube, Ihr werdet ohne jedes Bedenken zugeben, dass auf einer Ebene, die weniger steil ist als A C, etwa auf A D, die Abwärtsbewegung noch langsamer als auf der Ebene A C stattfinden wird. Daher lassen sich, wie nicht im Mindesten zu bezweifeln ist, Ebenen von so geringer Neigung gegen den Horizont angeben, dass der bewegte Körper, also die von Anfang an betrachtete Kanonenkugel, erst nach einer vorgegebenen beliebig großen Zeit den Weg bis zum Endpunkte A zurücklegen würde. Um nämlich längs B A dorthin zu kommen, reicht auch unendliche Zeit nicht aus, und die Bewegung wird umso langsamer, je geringer die Steilheit ist. Man muss also unbedingt zugeben, es lasse sich über dem Punkte B ein Punkt in solcher Nähe annehmen, dass die durch ihn und den Punkt A gelegte Ebene von der Kugel auch nicht in einem Jahre zurückgelegt würde. – Nun müsst Ihr noch Folgendes wissen. Der Antrieb, mithin der Grad der Geschwindigkeit, welchen die Kugel bei ihrem Eintreffen im Punkte A erreicht hat, ist ein solcher, dass, wenn sie von nun ab mit diesem Grade von Geschwindigkeit sich weiter bewegte, d. h. ohne eine Beschleunigung oder eine Verzögerung zu erfahren, sie die doppelte Länge dieser Ebene in einer Zeit zurücklegen würde, die gleich ist der auf der schiefen Ebene verbrachten.30) Wenn nämlich die Kugel etwa in einer Stunde die Ebene passiert hätte und sodann mit dem im Endpunkte A erreichten Grad von Geschwindigkeit fortführe sich zu bewegen, so würde sie in einer weiteren Stunde eine Strecke zurücklegen gleich dem doppelten von D A. Nun sind aber, wie wir festgestellt haben, die von den Körpern in B und A erreichten Geschwindigkeitsgrade stets gleich, vorausgesetzt, dass diese von einem beliebigen auf C B angenommenen Punkte ausgehen und sich abwärts bewegen, der eine längs der schiefen Ebene, der andere längs der Senkrechten. Der senkrecht fallende Körper kann also von einem so nahe bei B gelegenen Punkte ausgehen, dass die in B erreichte Geschwindigkeitsstufe nicht ausreichend wäre – wenn sie von nun an beibehalten würde –, um den Körper über eine Strecke von der doppelten Länge der schiefen Ebene in einem Zeitraume von einem Jahre oder von zehn oder von hundert Jahren zu befördern. Wir können also folgendermaßen schließen: Wenn wirklich im gewöhnlichen Laufe der Natur ein Körper nach Entfernung aller äußeren und zufälligen Hindernisse sich auf einer schiefen Ebene mit umso größerer Langsamkeit bewegt, je geringer die Schiefe ist, so dass schließlich die Langsamkeit unendlich groß wird, sobald nämlich die Schiefe aufhört und die Ebene in eine waagrechte Ebene übergeht, und wenn wirklich die in irgendeinem Punkte der schiefen Ebene erreichte Geschwindigkeitsstufe gleich ist der Geschwindigkeitsstufe, die der senkrecht fallende Körper an einer ebenso hochgelegenen Stelle erreicht, so muss man auch notwendig unserer Behauptung beistimmen, dass der von der Ruhelage aus fallende Körper durch alle die unendlich vielen Stufen der Langsamkeit hindurchgehen und folglich, um einen bestimmten Grad von Geschwindigkeit zu erlangen, sich zuerst in gerader Linie bewegen muss,31 und zwar eine kürzere oder längere Strecke, je nachdem die zu erreichende Geschwindigkeit kleiner oder größer sein soll und je nachdem die Ebene, auf der er sich abwärts bewegt, weniger oder mehr geneigt ist. Es lässt sich also auch eine Ebene mit so geringer Neigung angeben, dass der Körper, um auf ihr den vorgeschriebenen Grad von Geschwindigkeit zu erlangen, längs einer außerordentlich großen Strecke und während einer außerordentlich langen Zeit sich bewegt haben muss; auf der waagrechten Ebene wird er also von Natur aus niemals auch nur die geringste Geschwindigkeit erlangen, da er sich auf ihr ja überhaupt nicht bewegen wird. Die Bewegung längs der horizontalen Linie, die keine Schiefe oder Steilheit besitzt, ist aber nichts Anderes als die Kreisbewegung um den Mittelpunkt. Darum wird also die Kreisbewegung niemals ohne vorangehende geradlinige Bewegung zustande kommen; ist sie aber einmal zustande gekommen, so wird sie in Ewigkeit mit gleichförmiger Geschwindigkeit fortdauern.32 Ich könnte Euch diese nämlichen Wahrheiten noch durch andere Erwägungen erläutern und sogar beweisen; aber ich möchte nicht so weit von unserem Hauptgegenstande abschweifen und lieber bei einer anderen Gelegenheit darauf zurückkommen, umso mehr als wir jetzt auf dieses Thema nicht gekommen sind zum Zwecke eines strengen Beweises, sondern nur um einen Gedanken Platos23 weiter auszuführen. – Ich will daran noch eine eigentümliche Beobachtung unseres Akademikers reihen, die ans Wunderbare grenzt. Stellen wir uns vor, der göttliche Baumeister habe neben anderen Entwürfen den Plan gehegt, im Weltall jene Kugeln zu schaffen, die wir beständig im Kreise sich drehen sehen; er habe den Mittelpunkt ihres Kreislaufs bestimmt und in diesen unbeweglich die Sonne versetzt, habe dann alle die genannten Kugeln am nämlichen Orte verfertigt und ihnen den Trieb eingepflanzt, von hier aus sich abwärts nach dem Mittelpunkte hin zu bewegen, bis sie den Grad von Geschwindigkeit erlangt hätten, der dem göttlichen Geiste gut schien; als sie diesen erlangt, seien sie sodann in Drehung versetzt worden, jeglicher in seinem Kreise die zugewiesene Geschwindigkeit bewahrend. Es fragt sich nun, in welcher Höhe und welcher Entfernung von der Sonne der Ort gewesen ist, wo zu Anfang jene Kugeln geschaffen wurden, und ob möglicherweise die Schöpfung von allen an einem Orte stattgefunden hat. Zur Lösung dieser Frage hat man nach den Angaben der sachverständigsten Astronomen die Größe der Kreise zu Grunde zu legen, in welchen die Planeten umlaufen, sowie die Dauer dieser Umläufe. Aus diesen beiden gegebenen Größen berechnet man, wieviel mal schneller z. B. die Bewegung des Jupiters als die des Saturn ist. Findet man dann, wie es tatsächlich der Fall ist, dass Jupiter sich schneller bewegt, so muss, da beide von gleicher Höhe ausgegangen sind, Jupiter tiefer gefallen sein als Saturn, wie es denn bekanntlich auch wirklich sich verhält, da ja seine Bahn innerhalb der Saturnbahn liegt. Geht man aber weiter, so kann man aus dem Verhältnis der Geschwindigkeiten des Jupiters und Saturns, aus dem Abstand ihrer Bahnen und aus dem Maße der Beschleunigung bei der natürlichen Bewegung, wieder auffinden, in welcher Höhe und Entfernung vom Mittelpunkte ihrer Umdrehungen der Ort sich befunden hat, von dem sie ausgingen. Ist dieser aufgefunden und festgelegt, so fragt es sich, ob bei Mars, wenn er gleichfalls von dort bis zu seiner jetzigen Bahn hinabgestiegen ist, die Größe der Bahn und seine Geschwindigkeit mit dem durch Rechnung gefundenen Ergebnis stimmt; ähnlich steht es mit der Erde, mit Venus und mit Merkur, bei welchen die Größe der Kreise und die Geschwindigkeiten der Bewegung so nahe mit dem Resultate der Rechnung übereinstimmen, dass man sich nicht genug darüber wundern kann.