Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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Die neue Philosophie lehrte, die Erde sei ein Stern wie andere Sterne, die Sterne seien Erden wie unsere Erde. Gegen diese Erkenntnis sträubte sich die herrschende Schule, und dieser Satz war es auch im Grunde, gegen den die Kirche sich wehrte. Bisher galten die Himmelskörper als ewig unveränderlich, als unvergleichlich erhaben über die schmutzige Hefe des Weltalls, die Erde. Man sah in ihnen, wenn auch nicht mehr Götter, so doch englische Intelligenzen (intelligentiae assistentes oder informantes), und doch ließ man sie um die Erde kreisen, und doch sollten sie geschaffen sein, um dieser zu dienen. Von diesen teleologischen und anthropozentrischen Anschauungen die Geister zu befreien, zu lehren, dass die Himmelskörper zwar nicht wesensgleich, aber doch vergleichbar mit der Erde sind, war der erste Schritt zu der gefährlichen Erkenntnis – und dies fühlten die konservativen Mächte instinktiv heraus –, dass auch der Mensch nicht um irgendwelcher Gespenster willen, dass keine Gespenster um seinetwillen tätig sind, dass er seine eigenen Bahnen zu wandeln hat, wie sie seiner Natur gemäß sind.

Mit der Widerlegung der aristotelischen und sonstigen Beweise für die grundverschiedene Natur von Himmel und Erde und mit den Argumenten für die Verwandtschaft zwischen beiden beschäftigt sich der erste Tag des Dialogs. – Die Vereinbarkeit der alltäglichen Bewegungserscheinungen auf der Erde mit deren Achsendrehung bildet der Hauptsache nach den Inhalt des zweiten Tages. Hier sowohl wie in den Gesprächen des ersten Tags wird die Bewegungslehre des Aristoteles, die das Fundament für seine ganze Naturphilosophie bildet, einer eingehenden Kritik unterworfen. Hier finden sich jene Stellen über die Wirksamkeit der Beharrung, die bei den Zeitgenossen so großes Aufsehen erregten. Die allgemeine Erkenntnis freilich ist in ihnen, wie früher bemerkt, noch nicht enthalten. – Das dritte Buch handelt von der Bewegung der Erde um die Sonne, enthält aber auch einen langen Abschnitt über den im Jahre 1572 neu erschienenen Stern in der Cassiopeja, worin gegen Chiaramonti bewiesen werden soll, dass auch der Himmel Veränderungen unterworfen ist. Er würde also im Grunde besser in den Rahmen des ersten Tages sich gefügt haben. – Der vierte Tag endlich behandelt das Problem, das den Ausgangspunkt der Gespräche gebildet hat, die Frage, wie mit Hilfe der Erdbewegung die Gezeiten zu erklären seien. – Auf die vielen episodischen, zum Teil höchst bedeutsamen Erörterungen hier einzugehen, dürfte umso weniger nötig sein, als in den Anmerkungen sich hinreichend Gelegenheit dazu bietet. Dass zahlreiche Irrtümer bei diesen Erörterungen unterlaufen, wird niemand auffällig finden, der Schriften aus der vorgalileischen Zeit kennt; bei Leonardo da Vinci, bei Tartaglia, bei Nicolas Cusanus, bei Giambattista Porta u. a., in geringerem Grade auch bei Benedetti, heißt es mühsam das Körnchen Wahrheit aus der Spreu des Irrtums herauslesen, bei Galilei berührt der Irrtum unangenehmer, weil die Wahrheit überwiegt.

Der Dialog ist großenteils entstanden aus der Umarbeitung und Verwebung einzelner vorrätig gewesener Stücke. Wie man sich diese Umarbeitung zu denken habe, geht am deutlichsten hervor aus der Vergleichung der entsprechenden Partien des Dialogs mit dem Briefe an Ingoli und mit dem im Jahre 1616 an Orsini gerichteten Discorso sopra il flusso e reflusso del mare. Es rühren daher manche Unebenheiten der Komposition: So sind z. B. die Abschnitte p. 335 f. und 348 ff. zwei verschiedene Bearbeitungen desselben Gegenstandes, deren jede für sich berechtigt wäre, die aber als Teile eines und desselben Ganzen im Widerspruch miteinander stehen. Denn nachdem in der ersteren Partie schon der bedeutende Wechsel in der scheinbaren Größe des Mars und der Venus, sowie die Phasenänderung der Venus gelehrt worden ist und zwar in der Weise, dass gerade aufgrund dieser Tatsachen eine Skizze des kopernikanischen Systems konstruiert wird, hebt die zweite Partie damit an, dass als Haupteinwand gegen das System das scheinbare Fehlen dieser Erscheinungen bezeichnet wird. Dieser Widerspruch tritt in den modernen Ausgaben des Dialogs noch nicht einmal so grell hervor wie in der editio princeps, weil in jenen zwischen den genannten Abschnitten ein nachträgliches Einschiebsel Galileis aus dem paduanischen Exemplar (siehe p. 102 f.) untergebracht ist. Es scheint sogar, dass Galilei diesen Zusatz später hauptsächlich darum an jener Stelle einschaltete, um die inkonzinne Darstellung einigermaßen zu verdecken. – Auch sonst findet sich im Dialog mehrfach ein und dieselbe Sache an verschiedenen Stellen besprochen, ohne dass an der späteren Stelle auf die frühere Bezug genommen würde; oder es wird diese Beziehung auf ganz äußerliche Weise dadurch hergestellt, dass es am Schlusse heißt, man erinnere sich, darüber schon einmal diskutiert zu haben. Bisweilen hat Galilei Ausarbeitungen, die er seit Langem fertig liegen hatte, an deren völlige Richtigkeit er aber nicht mehr glaubte, gleichwohl dem Dialoge einverleibt; mit ein paar der letzten Redaktion angehörigen Worten wird dann gewissermaßen ein Strich durch die unmittelbar zuvor gepflogenen Erörterungen gemacht. Dahin gehört z. B., was über die angebliche Praxis und Theorie des Schießens der Vögel im Fluge (p. 283) mitgeteilt wird. Dahin gehört auch die noch weit auffälligere Verteidigung eines Satzes, der aus früher Zeit stammend Galilei so wohl gefallen haben muss, dass er ihn trotz nunmehriger besserer Erkenntnis nicht unterdrücken mag und ihn noch immer als wahrscheinlich hinstellt. Es ist der Satz, dass ein auf der rotierenden Erde fallender Körper sich, absolut genommen, möglicherweise in einer Kreisbahn bewege.111

Aus welcher Zeit die verschiedenen Partien des Dialogs stammen, wird sich im Einzelnen schwerlich ermitteln lassen, wenn auch manches mit Gewissheit, manches vermutungsweise darüber angegeben werden kann. So scheint der Schluss des dritten Tages, der von dem Magnetismus handelt, im Jahre 1626 geschrieben zu sein, da Galilei damals sich wieder mit diesem Gegenstande zu beschäftigen begann.112 – Die auf Cesare Marsili bezügliche Stelle am Ende des ganzen Werks wurde noch 1631 hinzugefügt, als schon sechs Bogen des Buches gedruckt waren. Ferner muss der erste Tag vor der Veröffentlichung des chiaramontischen Werkes De tribus novis stellis, also vor dem Jahre 1628, geschrieben worden sein, da Galilei dort von demselben keine Kenntnis verrät. Es ist sogar auffallend, dass er den p. 158 f. ausgesprochenen Tadel, Ch. habe im Antitycho den neuen Sternen nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, bei einer späteren Revision nicht zurücknahm, nachdem Ch. ein umfangreiches Buch über den Gegenstand verfasst hatte. Die sehr ausführliche Kritik dieses späteren Werkes ist im zweiten und dritten Buche des Dialogs enthalten. Obgleich Galilei, wie es scheint, den auf die kopernikanische Lehre bezüglichen Teil des liber de tribus novis stellis schon im Jahre 1626 vor dem Erscheinen des Buchs kannte113, so wird doch die Polemik dagegen am Schlusse des zweiten Tages erst nach der Veröffentlichung des Buches verfasst worden sein. Mit Gewissheit ist dies anzunehmen von der Widerlegung der chiaramontischen Rechnungen bezüglich des neuen Sternes von 1572, mit der die Erörterungen des dritten Tages anheben. – Bei diesem Anlass sei es gestattet, über das Verhältnis von Ch. zu G. einiges mitzuteilen. Der Cavaliere Scipione Chiaramonti aus Cesena war mit Galilei seit 1592 bekannt, stand aber lange Zeit außer Verbindung mit ihm. Im Jahre 1613, als es sich um den Ankauf einer künstlichen Uhr für den Großherzog handelte, fand wieder eine Annäherung statt; Galilei gab bei dieser Gelegenheit den Rat, das Gutachten des von ihm mit warmen Worten empfohlenen Ch. einzuholen, den er als verständigen Mathematiker kennen gelernt habe und der Gelegenheit hätte, die Uhr in Cesena zu besichtigen.114 Dieser dankte für Galileis Freundlichkeit in überschwänglichen Worten, es war eben damals noch nicht kompromittierend, mit Galilei auf gutem Fuße zu stehen. Chiaramonti nämlich war einer jener geschmeidigen, talentvollen Männer, die sich für eine Sache nicht um der Sache willen erwärmen und denen der Gedanke ferne liegt, dass es um eine mühsam erworbene, festbegründete Überzeugung doch ein schönes Ding sei. Das orthodoxe Peripatetikertum war nun einmal der angemessene Standpunkt für den Professor in Perugia – diese Stellung bekleidete damals Chiaramonti – und da er auch weiterhin Karriere zu machen gedachte, so galt es selbstverständlich in seinen Augen als ein verdienstliches Werk, gegen alle Neuerer zu Felde zu ziehen. Als ersten ersah er sich Tycho de Brahe aus, welcher im Widerspruch mit Aristoteles behauptet hatte, die Kometen und der neue Stern von 1572 gehörten nicht der elementaren, sondern der Himmelsregion an. So entstand der Antitycho, der im Jahre 1621 erschien, und der es sich zur Aufgabe machte, die sublunare Natur der Kometen zu erweisen. In dieser Frage stand Ch. in keinem Gegensatze zu Galilei. Dieser nämlich beurteilte ungerechterweise Tycho ebenfalls sehr ungünstig und nahm in der Kometenfrage einen Standpunkt ein, der sich mit dem Chiaramontis vereinigen ließ; ja G. spricht noch im Saggiatore115 von dem Antitycho mit lobenden Worten. Wohl aber nahm er Anstoß an der weitergehenden Absicht seines ehemaligen Freundes, die modernen Lehren von der Veränderlichkeit des Himmels überhaupt als unbegründet zu erweisen und zu zeigen, dass auch die neuen Sterne von 1572, 1600 und 1604 mit den peripatetischen Lehren in keinem Widerspruch stünden. Durch den Antitycho geriet Ch. zunächst in eine heftige literarische Fehde mit Kepler, der sich in seinem 1625 veröffentlichten Tychonis Brahei Dani Hyperaspiste seines verstorbenen Lehrers Tycho aufs Ritterlichste annahm und in einem Anhang auch gegen Galileis Saggiatore einige nicht sehr wesentliche, sachlich wohlbegründete, in der Form überaus freundliche Einwendungen machte. Chiaramonti antwortete in seiner Apologia Sc. Claramontii pro Antitychone suo adversus Hyperaspistem Io. Kepler (Ven. 1626). Galilei hatte die Absicht, auf jenen Anhang im Dialog zu erwidern; es unterblieb dies aber, einmal wohl, weil es sich um ziemlich unwichtige Dinge handelte, sodann weil trotz der gegenteiligen Äußerung Galileis116 wenig darauf zu erwidern war. Hatte Chiaramonti im Antitycho die Frage der neuen Sterne nur gestreift, so wollte er nun darüber ex professo handeln, und damit auch das berühmteste Werk Tychos, die Progymnasmata, worin der neue Stern von 1572 in Verbindung mit vielen anderen wichtigen astronomischen Fragen ausführlich besprochen wird, vernichten; zugleich bot sich ihm willkommener Anlass, noch einmal gegen Kepler zu polemisieren, denn dieser hatte in seiner Schrift De stella nova in pede Sagittarii über den neuen Stern von 1604 ganz ähnliche Ansichten aufgestellt, wie Tycho über den von 1572 in den Progymnasmata. Das Buch Chiaramontis ist das mehrfach erwähnte, dessen vollständiger Titel lautet: De Tribus Novis Stellis Quae Annis 1572. 1600. 1604 Comparuere Libri Tres Scipionis Claramontii Caesenatis In quibus demonstratur rationibus, ex Parallaxi praesertim ductis Stellas eas fuisse Sublunares, et non Caelestes Adversus Tychonem, Gemmam, Maestlinum, Digesseum, Hagecium, Santucium, Keplerum, aliosque plures Quorum Rationes in Contrarium adductae solvuntur. Illustriss. Ac Reverendiss. Francisco Card. Barberino. Caesenae: Apud Iosephum Nerium Impress. Cameralem 1628. Darin sollte die sublunarische Natur der neuen Sterne, wie im Antitycho die der Kometen, erwiesen und nebenbei in einem besonderen Kapitel die kopernikanische Lehre widerlegt werden. Wie früher angegeben, hatte Galilei das Manuskript des auf die kopernikanische Lehre bezüglichen Teiles schon 1626, also zwei Jahre vor dem Erscheinen des Buches, in Händen gehabt, sodass also der Schluss des zweiten Tages des Dialogs, der sich mit diesem Teile beschäftigt, kurz darauf entstanden sein könnte. Da aber der übrige Teil des chiaramontischen Buchs erst während des Drucks Galilei bekannt wurde, so ist die Kritik desselben zu Beginn des dritten Tags jedenfalls nicht vor 1628 verfasst, wie übrigens auch aus einem Brief Castellis vom 5. August 1628 hervorgeht.117 Im gleichen Jahre, wo das Buch von den neuen Sternen erschien, avancierte sein Verfasser zum Professor in Pisa, ein Beweis von der Stärke der gegen Galilei in seiner eigenen Vaterstadt gerichteten Strömung.

 

Auch die im Dialog enthaltene Polemik gegen Scheiners Disquisitiones scheint erst spät, wahrscheinlich im Jahre 1629 niedergeschrieben worden zu sein. Denn ohne besonderen Anlass würde G. dem herzlich unbedeutenden Büchlein, das schon 1614 erschienen war und keineswegs großes Aufsehen erregt hatte, schwerlich solche Aufmerksamkeit gewidmet haben. Ein solcher Anlass lag aber für ihn doch wohl erst vor, als er im Jahre 1629 hörte, dass Scheiner ein großes Werk über die Sonnenflecken, die Rosa Ursina, drucken lasse.118 Es steht zwar nicht fest, wieviel Galilei von dem polemischen und sachlichen Inhalt der Rosa vor ihrem Erscheinen wusste, aber dass Angriffe gegen ihn und gegen seine Prioritätsansprüche auf die Sonnenfleckenentdeckung zu erwarten waren, konnte nicht zweifelhaft sein. So versuchte denn Galilei dem Gegner im Dialog zuvorzukommen und dazu bot sich kein besserer Anlass als eine Besprechung des Werkchens, das u. a. auch die kopernikanische Lehre bekämpfte. Eine Anspielung auf die 1630 vollendete Rosa Ursina findet sich hingegen nicht im Dialog. Da nun Galilei, wäre ihm Scheiners Werk bekannt gewesen, den triftigsten Grund gehabt hätte, auf den von ihm vorausgesagten Umschwung in den Ansichten Scheiners, der zwar teilweise schon in den letzten Briefen an Welser, mit voller Deutlichkeit aber erst in der Rosa sich dokumentiert, triumphierend hinzuweisen, so haben wir anzunehmen, dass der 1632 veröffentlichte, aber schon im Mai 1630 druckfertig gewordene Dialog an den auf Sch. bezüglichen Stellen seit 1630 keine Änderung mehr erfuhr. Das Erscheinen der Rosa Ursina rechtfertigte die Erwartungen Galileis und seiner Freunde; sie brachte wirklich eine äußerst erbitterte Polemik, deren Ausgangspunkt die Stelle in der Einleitung des Saggiatore bildet119, wo sich Galilei beklagt hatte, dass ihm andere den Ruhm der Sonnenfleckenentdeckung streitig machten. Ein ganzes äußerst weitschweifiges und langweiliges Buch des dickleibigen Folianten ist mit dieser Polemik angefüllt. Was die Prioritätsfrage betrifft, so sind Scheiners Ansprüche Galilei gegenüber, wie oben bemerkt, zwar nicht berechtigt, sie können aber, obgleich dies nicht wahrscheinlich ist, bona fide erhoben sein; in der Veröffentlichung durch den Druck ist ja Sch. unzweifelhaft Galilei zuvorgekommen, während Fabricius ihnen beiden voranging. Hingegen spricht Sch. nirgends davon, dass seine seit 1612 völlig veränderten Anschauungen über die Natur der Sonnenflecken nur durch die Auseinandersetzungen Galileis in den Lettere intorno alle macchie solari veranlasst sind, und dieses Schweigen ist es, was auch die Aufrichtigkeit seiner übrigen, zum Teil unkontrollierbaren Behauptungen verdächtig erscheinen lässt. Andererseits ist aber in der Rosa viel sachlich Neues und Richtiges enthalten, vor allem die genauere Festlegung des Sonnenäquators und die damit zusammenhängende Erkenntnis von der periodischen Formveränderung der scheinbaren Fleckenbahnen; aber auch sonst eine Menge auf die Flecken bezüglichen dankenswertesten Details, das zum Teil in unserer Zeit neu entdeckt werden musste, da es in Vergessenheit geraten war. Nun findet sich auch im Dialog, der zwei Jahre nach der Rosa erschien, die Neigung der Sonnenachse gegen die Ekliptik nebst den daraus fließenden Folgerungen erörtert120, und zwar in einer Weise, die offenbar dartun soll, Galilei habe schon vor 1614 von dieser Tatsache Kenntnis gehabt. Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Darstellung sehr auffällig ist121 und mindestens den Schein gegen sich hatte. Die Empfindungen Scheiners, als ihm der Dialog zuerst zu Gesichte kam, sind daher nicht ganz unerklärlich: Die vernichtende Kritik der Disquisitiones und gleichzeitig der scheinbare Raub an der Rosa versetzten ihn und das ganze jesuitische Lager in grenzenlose Wut, die nur umso gefährlicher war, weil sie sich zunächst nicht literarisch austobte.

Das Erscheinen des Dialogs schob sich infolge einer Menge von äußeren Schwierigkeiten lange hinaus. Am 24. Dezember 1629 hatte Galilei an Cesi geschrieben, er sei im Wesentlichen fertig, er habe fast nur noch die Verbindungsglieder zwischen die einzelnen Erörterungen einzuschieben und die Einleitung abzufassen. Gleichzeitig spricht er die Absicht aus, nach Rom zu kommen, um den Druck, der aus den gleichen Gründen wie beim Saggiatore dort stattfinden sollte, selbst zu überwachen. Am 12. Januar 1630 schreibt er an Marsili, er sei mit der Revision des Manuskripts beschäftigt; am 16. Februar teilt er ihm mit, dass er Ende des Monats nach Rom abzureisen gedenke. Die Aussichten auf die Erlangung der Druckerlaubnis schienen günstig zu sein, da einerseits Galileis einflussreicher Freund und Fürsprecher Ciampoli den Papst zu gewinnen suchte, andererseits seit 1629 derselbeR i c c a r d ials Magister Sacri Palatii an der Spitze der römischen Zensur stand, der das Imprimatur für den Saggiatore in so schmeichelhaften Ausdrücken abgefasst hatte. Vor allem sah Castelli, der sich inzwischen in Rom niedergelassen hatte, die Dinge im rosigsten Lichte und hoffte, dass sich auch die letzte Schwierigkeit durch Galileis persönliche Anwesenheit in Rom beseitigen lasse.

Die Abreise Galileis verschob sich indessen bis zum Beginne des Mai. In Rom angekommen, wurde er wiederum vom Papste huldvoll empfangen. Auch Riccardi, dem das Manuskript übergeben wurde, machte anfänglich keine erheblichen Schwierigkeiten; er meinte zwar, die hypothetische Auffassung der kopernikanischen Lehre im Dialog sei nicht dieselbe, welche bei der Korrektur des Buches von Kopernikus im Jahre 1620 für die Index-kongregation maßgebend gewesen sei, aber er hielt es für möglich, durch Beifügung einer geeigneten Einleitung und Schlussbetrachtung und durch Korrekturen im Einzelnen das Werk auf diesen hypothetischen Standpunkt zu bringen. Zu diesem Behufe wurde die Korrektur des Dialogs dem Dominikanerpater Raffaello Visconti, dem sachverständigen Kollegen Riccardis, aufgetragen. Nachdem dieser die notwendig scheinenden Änderungen vorgenommen und seine Approbation ausgesprochen hatte, welche noch der Bestätigung von seiten des Magister Sacri Palatii bedurfte, versprach Riccardi den Papst zu Gunsten Galileis zu stimmen. Der Widerstand des Papstes war hauptsächlich gegen die Zurückführung der Gezeiten auf die Erdbewegung gerichtet; er hatte dafür nämlich eine eigene Theorie, er meinte, man dürfe die göttliche Allmacht nicht beschränken wollen, es müsse für Gott auch auf anderem Wege als auf dem von Galilei gelehrten möglich sein, jene Erscheinungen hervorzurufen. Galilei musste sich darum vor allem dazu verstehen, den beabsichtigten Titel des Buches, der Ebbe und Flut ausdrücklich erwähnte, abzuändern. Abgesehen davon, so meinte Riccardi, werde es sich nunmehr nur um Kleinigkeiten handeln. Um indessen schon jetzt wegen des Drucks mit einem Verleger verhandeln zu können, bemühte sich G. mit Erfolg, dass Riccardi die formelle Approbation für den Druck in Rom ausstellte, mit der Klausel freilich, dass jeder Bogen noch einer Durchsicht unterworfen werden sollte, ehe er der Presse übergeben würde; außerdem wurde die Vorrede skizziert, die in ihrer fertigen Gestalt zwar als ein Werk Galileis zu gelten hat, die aber den Weisungen Riccardis in dem, was sie ausspricht, und noch mehr in dem, was sie verschweigt, durchweg Rechnung trägt. Mitte Juni kehrte Galilei nach Florenz zurück, nachdem die Verabredung getroffen worden war, Galilei solle dort Widmung, Register u. s. w. fertig stellen und im Herbste sich nochmals in Rom einfinden.

Inzwischen aber hatten die Verhältnisse sich in der Weise geändert, dass es Galilei wünschenswert erschien, sein Buch in Florenz statt in Rom drucken zu lassen. Angeblich und zum Teil auch wirklich war es die mittlerweile ausgebrochene, allen Verkehr zwischen Florenz und Rom erschwerende Pest, welche die Übersendung des Manuskripts oder gar eine abermalige Reise Galileis verhinderte. Noch mehr aber mag der Tod des allezeit für Galilei tätig gewesenen Fürsten Cesi, des Begründers der Accademia dei Lincei, sowie die in Rom beginnende Verfolgung der Astrologen, mit welchen die Astronomen vielfach in einen Topf geworfen wurden, zu jenem Entschlusse beigetragen haben. Dadurch aber entstanden fernere Weiterungen. Galilei fand zwar in Landini mit Leichtigkeit einen florentinischen Verleger, auch die Approbation der geistlichen und weltlichen Zensur für Florenz scheint ohne Schwierigkeit erlangt worden zu sein; denn bereits am 11. September 1630 erteilten der Generalvikar des Erzbischofs von Florenz, Pietro Nicolino, und der Generalinquisitor von Florenz, Clemente Egidio, am Tage darauf auch der großherzogliche Zensor Niccolò Antella das Imprimatur.122 Galilei und sein Verleger wären damit rechtlich befugt gewesen, den Druck in Florenz vorzunehmen. Indessen schien es rücksichtsvoller und sicherer, von dem veränderten Vorhaben dem römischen Oberzensor, der sich so eingehend mit der Sache beschäftigt hatte, Kenntnis zu geben; ein zwingender Grund zu diesem Verhalten lag aber durchaus nicht vor, und die Folge lehrte, dass eine solche Rücksicht im Interesse Riccardis besser unterblieben wäre. Wenn Riccardi jetzt streng korrekt verfahren wollte, musste er es ablehnen, sich mit der Zensur eines in Florenz erscheinenden Buches zu befassen; es fehlte ihm dazu an jeder Kompetenz; dass Galilei anfänglich das Werk in Rom wollte drucken lassen, konnte ihm doch unmöglich eine solche verleihen. Ging er also gleichwohl auf Unterhandlungen ein, so konnte dabei nur die Absicht ausschlaggebend sein, durch Abdruck seiner besonders wertvollen Anerkennung der Ungefährlichkeit des Buches diesem den Weg zu erleichtern. Es ist daher schwer begreiflich, wie man aus dem Abdruck dieser Approbation Galilei später einen Vorwurf machen konnte, wiewohl man ja zugeben muss, dass dieselbe rechtlich wertlos war.123 Irrig ist es also, wenn man sagt, Galilei sei nicht befugt gewesen, das Imprimatur Riccardis dem Dialog beizufügen; vielmehr war Riccardi nicht befugt, den Druck in Florenz zu begutachten. Wenn er dies dennoch tat, und wenn der römische Oberzensor das Zensurrecht selbst nicht kannte oder es nicht strenge handhabte, so brauchte Galilei gewiss nicht ihn an Korrektheit zu überbieten. Riccardi also lehnte die Einmischung in die Sache nicht ab, sondern stellte verschiedene Forderungen auf; namentlich handelte es sich um Einleitung und Schluss, die nochmals zur Begutachtung nach Rom geschickt werden mussten. Im Übrigen wurde nach etlichem Hin- und Widerreden auf Verwendung Nicolinis, des großherzoglichen Gesandten in Rom, und seiner Gattin Caterina die erneute Durchsicht des Dialogs dem Dominikanerpater Giacinto Stefani übertragen. Gab dieser seine Zustimmung und war der Padre Maestro mit Einleitung und Schluss zufrieden, so trat damit, vom Standpunkte Galileis betrachtet, das schon früher erteilte Imprimatur des römischen Oberzensors in Kraft. Denn an Stelle der oben erwähnten Klausel, von welcher die Gültigkeit des römischen Imprimatur abhängig gemacht worden war, trat nunmehr die Approbation Stefanis und die Billigung von Vorrede und Schluss durch den Magister Sacri Palatii. Was konnten alle diese Förmlichkeiten, die an und für sich überflüssig waren, anderes bedeuten, als dass durch ihre Erfüllung Galilei das Recht erhielt, auch die Druckerlaubnis Riccardis dem Dialoge beizufügen? Trostlos ist es freilich, die Konfusion des armen Paters zu sehen, der in einer Zeile schreibt, er sei nicht kompetent, die Druckerlaubnis zu erteilen und gleichwohl in der nächsten verspricht, ein Zeugnis darüber auszustellen, dass er das Buch approbiere, wofern er nur Einleitung und Schluss zugeschickt erhalte124; dabei hatte er diese Stücke auf seinen Wunsch mindestens seit einem Vierteljahre in Händen.125 Am 24. Mai 1631 endlich setzte sich Riccardi in Verbindung mit dem florentinischen Inquisitor Clemente Egidio, der in Wahrheit schon vor drei Vierteljahren das Imprimatur erteilt hatte. Er schreibt126: »Da der Verfasser dort [in Florenz] die Sache zu erledigen wünscht, so kann Euer Hochwürden von Ihrer Autorität Gebrauch machen und das Buch unabhängig von meiner Revision approbieren oder nicht approbieren; wobei ich jedoch in Erinnerung bringe, dass es die Meinung unseres Herrn [des Papstes] ist, dass als Titel und Gegenstand des Buches nicht Ebbe und Flut gelten soll, sondern unbedingt nur die mathematische Erörterung der kopernikanischen Lehre von der Erdbewegung; diese soll den Zweck haben zu beweisen, dass abgesehen von der göttlichen Offenbarung und der Kirchenlehre die Erscheinungen von jenem Standpunkte aus sich erklären lassen, unter Widerlegung aller gegenteiligen Überzeugungen, welche die Erfahrung und die peripatetische Philosophie an die Hand geben: in der Art, dass niemals jener Meinung die absolute Wahrheit, sondern nur die hypothetische, und zwar ohne Bezugnahme auf die Heilige Schrift, zugestanden werden darf. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass das Buch bloß geschrieben wird, um zu zeigen, dass man alle Gründe kenne, die für diesen Standpunkt sich anführen lassen, und dass man nicht aus mangelnder Kenntnis derselben diese Ansicht verurteilt habe, entsprechend dem Anfang und Schluss des Buches, welche ich später korrigiert übersenden werde. Unter diesen Vorsichtsmaßregeln wird dem Buche hier in Rom niemand etwas in den Weg legen.«

 

Nachdem der Inquisitor Egidio am 31. Mai auf dieses Schreiben erwidert hatte, Galilei gehe mit voller Bereitwilligkeit auf alle Korrekturen ein127, schickte Riccardi endlich am 19. Juli die fertiggestellte Vorrede aus Rom. In dem Begleitschreiben gestattet er zwar, stilistische Änderungen daran vorzunehmen, nicht aber sachliche. »Am Schlusse«, heißt es sodann, »muss die Peroration des Werkes (delle opere?) dieser Vorrede entsprechen, indem Signore Galilei die ihm von unserem Herrn [dem Papste] mitgeteilten Gründe bezüglich der göttlichen Allmacht hinzufügt, die den Geist beruhigen sollen, wenngleich man den pythagoreischen Gründen sich nicht entwinden könnte.«128

Die Entstehungsgeschichte dieser nun endlich eingetroffenen Vorrede lässt nichts Günstiges von ihr erwarten; sie bietet denn in der Tat ein überaus klägliches Schauspiel. Man sieht Galilei sich drehen und winden, um einerseits alles kirchlich Anstößige zu vermeiden und andererseits nicht geradezu zu lügen. Er nennt das gegen die kopernikanische Lehre gerichtete Dekret zwar nützlich und opportun, aber ob es sachlich gerechtfertigt sei, darüber muss er vermeiden sich zu äußern. Er nennt die Gegner des Edikts zwar leichtfertig, aber wiederum bekennt er sich sachlich weder für noch gegen sie. Das Edikt sei nicht ohne sein Vorwissen veröffentlicht worden; man sollte danach beinahe glauben, es sei auf seinen Rat geschehen. Er fügt hinzu, man habe seine eigenen Untersuchungen seiner Zeit sehr wohl gekannt, keineswegs also habe, wie behauptet worden sei, mangelhafte Kenntnis das Zustandekommen des Edikts verschuldet. Der Zweck des Buches sei, den fremden Nationen gerade das Falsche dieser Beschuldigung nachzuweisen. Selbstverständlich ist zwischen den Zeilen zu lesen: umso schlimmer, wenn man nach so überzeugenden Untersuchungen dennoch die Lehre des Kopernikus ächtete. Fast jeder Satz enthält in ähnlicher Weise einen unausgesprochenen Hintergedanken; die unleugbare Geschicklichkeit, mit der dieser Eiertanz ausgeführt wird, verdient zwar in gewisser Weise Bewunderung, aber das Unbehagen, einen Geist wie den Galileis zu so unwürdigen Sprüngen genötigt zu sehen, verlässt den Leser nicht.

Die Vorrede traf in Florenz ein, nachdem der Druck des Textes bereits begonnen hatte – am 20. März 1631 waren schon sechs Bogen fertig gestellt – sie musste daher später auf einem besonderen Bogen hinzugefügt werden: Unglücklicherweise wurden überdies andere Typen gewählt als die für den Text verwendeten. Auch daraus schmiedete man nachher Waffen gegen den Verfasser. Was die »Peroration« betrifft, die das mehrfach erwähnte Argument des Papstes bringt, so musste Galilei glauben, den Wunsch des Papstes mit der von ihm gewählten Wendung erfüllt zu haben. Die maßlose Eitelkeit Urbans versprach sich zwar aller Wahrscheinlichkeit nach eine ausführlichere Behandlung, in Wahrheit aber lässt die Ehrerbietung, womit am Schlusse des Dialogs allseitig die dem Simplicio in den Mund gelegte Betrachtung aufgenommen wird, nichts zu wünschen übrig. – Das Titelkupfer, welches Aristoteles, Ptolemäus und Kopernikus im Gespräche miteinander darstellt, und das Titelblatt beanspruchen gleichfalls ein gewisses Interesse. Die zweimal verwendete Vignette von drei wechselseitig sich beißenden Delphinen wurde nämlich später für anstößig befunden, weil ihr irgendeine geheimnisvolle oder boshafte Anspielung zu Grunde liegen sollte – welche, wird nicht gesagt.129 Als sich dann freilich herausstellte, dass dieselbe Vignette auch bei anderen Werken des Landinischen Verlags Verwendung gefunden hatte, musste man dieses Bedenken fallen lassen. – Der italienische Titel ist aus dem unserer Ausgabe beigefügten Facsimile des Titelblattes ersichtlich; in wörtlicher deutscher Übersetzung lautet er: Gespräch von Galileo Galilei, Mitgliede der Akademie dei Lincei, außerordentlichem Mathematiker der Universität Pisa, erstem Philosophen und Mathematiker des Durchlauchtigsten Großherzogs von Toskana. Darin wird in Sitzungen an vier Tagen über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische, gehandelt; mit unparteiischer Vorführung der philosophischen und der natürlichen Gründe sowohl für den einen als für den anderen Standpunkt. – Das Format der Originalausgabe ist Oktav, nicht, wie meist angegeben wird, Quart. Der eigentliche Text des Dialogs ist auf 458 Seiten enthalten; davor befinden sich un-paginiert Titelkupfer und Titelblatt, die Widmung an den Großherzog und die Vorrede; dahinter zwei Seiten Druckfehlerverzeichnis, sowie die (nicht vollständige) alphabetische Zusammenstellung der im Buche vorkommenden Randinhaltsangaben (Postillen).