Volk Gottes

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Das Besondere des Laientums wird sichtbar, wenn man von der Kirche im Sinne des „Mysteriums“ spricht. Das „Geheimnis“ ist die verborgene Weisheit Gottes (39), der Heilsplan, der der Kirche offenbart wird (40). Gott schenkt sich durch die Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes und möchte die Menschen existenziell umformen (40). Es geht weniger um die Offenbarung abstrakter Wahrheiten, als um die personale Offenbarung in Christus. Das „Mysterium“ ist kein reines Studienobjekt sondern ruft nach Annahme im Glauben. Es bleibt auch nach seiner Offenbarung Geheimnis, dem sich der Einzelne immer weiter annähern kann. Gott als Schöpfer und Vollender teilt sein Leben durch den Sohn und den Geist mit (40). Die Kirche wird durch den Geist belebt und dient der Fortsetzung des Erlösungswerkes Christi (41). Sie ist somit gleichzeitig gesehen (sichtbar) und geglaubt (unsichtbar): „Sie ist wie Jesus Christus ‚das große Sakrament‘, Träger des Lebens und gleich ihm ‚Geheimnis‘, aber auch ‚Ärgernis‘ für diejenigen, die aus Mangel an Glauben kein Verständnis für sie aufbringen können“ (41). Die Kirche ist zugleich Vereinigung mit Gott, der „durch den ‚Leib Christi‘ und die Sendung des Heiligen Geistes mit uns in Verbindung tritt“, und ein gesellschaftlich, historisch und räumliches Gebilde, das durch den Papst und die Bischöfe geleitet wird (42). Sie ist Organismus (mystischer Leib, Gemeinschaft von Priestern, Königen und Propheten (45) und Organisation (44). Die Kirche ist daher mehr als die Summe ihrer Glieder. Sie liegt ihnen in Christus voraus, war aber nie wirklich ohne Glieder (42). Während die Protestanten eher den inneren Aspekt der Kirche hervorgehoben haben, konzentrieren sich die Katholiken auf den äußeren. (45) Die Kirche ist heilig, aber auf ihrer irdischen „Fahrt“ der Sünde ausgesetzt, so dass die Glieder, auch die leitenden, von Sünde nicht frei sind (43).

Die lebendige Gemeinschaft der Kirche ist für Philips wichtiger als ihre hierarchische Gesellschaft, da sich hier die Glieder unterstützen und einander dienen: „Volk und Klerus verbinden sich im Aufbau des einen Leibes“ (45). Daher gibt es etwa bei den persönlichen Gnadengaben keinen Unterschied zwischen Priestern und Laien (45). Das endzeitliche Erbe ist schon in der Kirche angelegt, z.B. in den Sakramenten; „[…] ihr in Christus voraus verwirklichter Endzustand unterfängt und bestimmt schon jetzt jeden noch so flüchtigen Augenblick. Unsere Pilgerschaft ist keine Zeit bloßer Erwartung mehr, besagt aber ebenso wenig vollkommene Erfüllung“ (46). Anders als Israel ist die Kirche keine vorübergehende Erscheinung (47). Es besteht die Gefahr, dass über die Organisation das innere Leben vergessen wird (47).

Die hierarchischen Ämter sind ein Geschenk Christi an die Kirche (48), allerdings ist der Leib, die Gemeinschaft aller Gläubigen, die grundlegende Gegebenheit (49). Die Hierarchie ist eingesetzt, „um alle Glieder zur Mündigkeit, zu mutigem Wort und zu gemeinsamem, verantwortungsbewussten Einsatz zu führen“ (49). Jedes Glied hat seine besondere Aufgabe (49f). Hierarchie und „Leib“ sind voneinander abhängig (50). Geist und Autorität können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Autorität steht für die Tradition und Weisheit, der Geist für Verjüngung und Verlebendigung. Er führt auch zu den Quellen des Glaubens zurück (51). Eine verrechtlichte, bürokratische Kirche droht den Geist zu ersticken (52). Die Reformation war auch eine Reaktion auf eine unheilige Hierarchie, gegen die die Idee des Laienpriestertums gesetzt wurde (54). Wenn man den Laien nur als untergeordnetes Glied der Kirche sieht, verkennt man seine Würde (55). Er ist durch Taufe und Eucharistie in die übernatürliche Gnadengemeinschaft eingetreten, Glied des „Leibes Christi“ (55). Die Sakramente begründen die Existenz des Christen und bewirken seine Eingliederung in den „Laos“, das „Volk Gottes“ (56). Die Katholizität der Laien äußert sich darin, über die Kirche hinaus zu denken, missionarisch zu sein (58f).

Mission ist in der modernen Welt zentraler Auftrag der Kirche (82). Da die weltlichen Dinge einen berechtigten Eigenstand haben, soll der Katholik in der zeitlichen Ordnung sein Bestes tun, um den Geist des Evangeliums zu fördern (96). Dazu braucht das Laientum eine vertiefte religiöse Formung (99). Die Frömmigkeit der Laien kann dabei nicht klerikalen Frömmigkeitsverständnissen angepasst werden (261ff). Die Laienspiritualität soll zudem nicht individualistisch, sondern kirchlich ausgerichtet sein (269), biblisch und nüchtern (270ff), innerlich und nicht bloß erbaulich (272). „Demokratisierung“ und „Verweltlichung der Frömmigkeit“ sind für Philips Stichworte einer neuen gemeinschaftsorientierten Spiritualität (275). Aus der tiefen Verbindung mit Christus (277) kann sich der Laie in anderer Weise seinen weltlichen Aufgaben widmen (284).

Ein zentrales Element der Theologie des Laientums ist für Philips die Wiederbelebung des „gemeinsamen Priestertums“. Die Kirche steht hier in der Tradition des alten Gottesvolkes: „[…] der Tempel von Jerusalem findet in der neuen Gemeinde sein geistiges Gegenbild – das auserwähltes Geschlecht (1 Petr 2,9; Offb 1,5; Röm 12,1)“ (105). Schon im alten Bund wird durch die Gemeinschaft des Gottesvolkes die Funktion des Amtspriestertums nicht überflüssig (105). Die grundlegende Wahrheit des allgemeinen Priestertums jedoch ist mit der Zeit verdrängt worden. (106). Erst „ein wiedererwachtes kirchliches Leben konnte auch wieder die Aufmerksamkeit auf diesen ursprünglichen Adel der kirchlichen Gemeinde lenken“ (106). So belebt etwa die liturgische Bewegung den gemeinsamen Charakter der Eucharistiefeier neu (106ff) und schöpft Frische aus den alten Quellen (109). Zudem kommt es zur Neuentdeckung der Ehespiritualität und des Ehesakramentes als Berufung (117–119). Auch das Apostolat der Lehre tritt als laikale Aufgabe neu ins Bewusstsein, etwa durch die Verkündigung im Lebenszeugnis und die Aufmerksamkeit für den Glaubenssinn des Volkes (134f). Die Laienverkündigung ist im profanen Bereich (141), z.B. im Religionsunterricht (143) längst angekommen.

Das Aufkeimen apostolischer Betätigung der Laien in Verkündigung und Caritas und die für die Kirchen bedrohliche pastorale Situation erfordern, so Philips, eine neue Art der Zusammenarbeit von Priestern und Laien (32). Das Laientum gelangt „überall und schnell zu einem lebendigeren Bewusstsein seiner Berufung“ (32). Die Welt ist der besondere Ort des laikalen Apostolats (186ff) Die Welt ist dabei als von vornherein durch die göttliche Gnade ergriffener Ort zu verstehen (187). Die Priester haben hier in der Zusammenarbeit mit den Laien nur auf geistlichem Gebiet eine gewisse Überlegenheit (189), sie sollen ihre Aufgabe als demütigen Dienst (191) verstehen. In diesem Sinn eines neuen Miteinanders von Priestern und Laien ist auch die katholische Aktion zu reformieren (201ff, 209–214) und darf sich nicht bloß ein Machtanspruch von oben bilden (199). Für ein solches gemeinschaftliches Wirken (242) steht die vom Geist innerlich geführte Kirche, die nicht in einer bloßen Organisation aufgehen darf (208f).

Philips vertritt ein gemeinschaftsorientiertes Kirchenbild, in dem Klerus und Laien auf der Basis des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen gleichermaßen ihren Beitrag zum Gelingen der kirchlichen Sendung leisten.194 Der Begriff „Volk Gottes“ bietet sich zur Beschreibung der Kirche als biblisch-heilsgeschichtliche Kategorie an. Hinzu kommen bei Congar wie auch bei Philips Begriffe wie „Gemeinschaft der Glaubenden“ und „Heilssakrament“.195 Eine vertiefte Beschäftigung mit der Theologie des Laientums hat ihre Auswirkungen auf das Kirchenverständnis. Der „Volk Gottes“-Begriff findet maßgeblich durch Congar Eingang in die Diskussion um die Laien.196 Akzentuiert wird diese in Deutschland z.B. durch den Rektor der Tübinger Universität, Franz Xaver Arnold. Er sagt in einem Vortrag von 1954 eine Ablösung des Klerikalismus voraus: „Die künftige geschichtliche Wirkung der Kirche auf die Welt aber wird mehr von Laien bestimmt werden“.197 Die Gemeinschaft aller an Christus Glaubenden, also der Angehörigen des „λαος“, nehme als „Volk Gottes“ eine Sonderstellung innerhalb der Welt ein.198 Von seinem frühkirchlichen Verständnis her bestimmt Arnold die Bezeichnung „Laie“ als einen sakralen Begriff und Ehrentitel. Er umfasse ursprünglich die gesamte im königlichen Priestertum Christi geeinte Glaubensgemeinschaft samt ihrer Vorsteher:199 „Klerus und Laien wurden zwar theologisch unterschieden, aber sie waren nicht soziologisch geschieden.“200 Der Gegenpol zu den Laien sei ursprünglich die profane Welt der Heiden gewesen, nicht der Klerus.201 In ganz ähnlicher Weise betont auch Raimondo Spiazzi 1958 in Italien die fundamentale Zusammengehörigkeit von Klerus und Laien. Er unterscheidet die geistliche Dimension der Kirche, in der alle Gläubigen, gleich welchen Standes, ihre Einheit in der Zugehörigkeit zu Christus finden, von der soziologischen Dimension, die eine Unterscheidung von Priestern und Laien kennt.202 Nach biblischem Zeugnis bildet die Versammlung der Gläubigen, das „Volk Gottes“, die Kirche.203 Neben dem hierarchischen Priestertum gibt es, so Spiazzi, ein geistliches Priestertum, das allen Gläubigen gemeinsam ist.204 Diese fundamentale Gemeinschaft des Gottesvolkes soll im gemeinsamen Wirken von Priestern und Laien zum Ausdruck kommen. So ist das geistliche Amt primär ein Dienst an den Gläubigen, getragen von der gegenseitigen Liebe als Grundlage der christlichen Gemeinschaft. Ebenso ist das Apostolat die Aufgabe aller Glieder der Kirche.205

Der biblische Begriff „Volk Gottes“ etabliert sich bei den genannten Autoren innerhalb der Theologie des Laientums als Grundbegriff der Kirche, um die fundamentale Gleichheit von Laien und Klerus zu beschreiben. Diese Sichtweise bleibt nicht unwidersprochen. So kommt etwa der belgische Exeget Ignace de la Poterie nach Auswertung der biblischen und patristischen Quellen zu dem Schluss, dass sich der Begriff „λαικος“ schon früh von seiner Herkunft von „λαος“ getrennt habe und zur Kennzeichnung des profanen Bereichs verwendet wurde.206 Der „Laie“ sei somit immer in Abhängigkeit und in Zuordnung zum Heiligen, in diesem Fall zum geistlichen Amtsträger zu sehen. Insofern sei der herkömmliche Gegensatz von Priestern und Laien durch die Schrift gerechtfertigt.207

 

Die zentralen Fragen der Diskussion um das Laientum, sei es die Frage des Apostolates, der Spiritualität, der Struktur der Katholischen Aktion oder der Rolle von Klerus und Laien innerhalb der Kirche, laufen immer wieder an einem Punkt zusammen: Welche Bedeutung haben die Laien innerhalb der Kirche? Die Verschiebung von einer klerusorientierten Sichtweise zu einer gemeinschaftlichen Sichtweise, die durch die faktische seelsorgliche Entwicklung (Priestermangel, Herausforderungen der modernen Welt, Entstehen starker Laienbewegungen) hervorgerufen wird, hat bereits begonnen. „Volk Gottes“ wird zu einem Leitbegriff der theologischen Erneuerung in der Laienfrage. Beispielhaft wird dies auf dem Römischen Laienkongress 1957 deutlich.

1.3.2 Der Zweite Weltkongress für das Laienapostolat 1957

Die unterschiedlichen theologischen Richtungen in der Diskussion um den Status der Laien werden in der Vorbereitung des 2. Weltkongresses der Laien sichtbar. Bei einem Vorbereitungstreffen 1955 legt Jean Daniélou einen heilsgeschichtlich ausgerichteten Grundlagentext vor. Die Kirche, verstanden als Instrument des göttlichen Heilsplans, führt die heilsgeschichtliche Sendung Christi fort und erhält den Sendungsauftrag für die ganze Menschheit, an dem auch die Laien ihren besonderen Anteil haben.208 Philips ergänzt diesen Entwurf durch einen Text über die Natur und apostolische Berufung des Laientums.209 Ein Gegenentwurf des niederländischen Theologen Sebastian Tromp orientiert sich dagegen an der „Leib Christi“-Ekklesiologie von „Mystici Corporis“ und vertritt die römische Linie der Notwendigkeit der Leitung der apostolischen Tätigkeit der Kirche durch den Klerus, dem die Laien zugeordnet sind.210 Der spätere Grundlagentext für den Kongress folgt allerdings eher der Linie Daniélous. Er betont die sichtbare Gemeinschaft der Kirche, wie sie sich in der Berufung und Sendung der frühen Kirche als „Heiliges Volk“ konstituiert und aus der kleinen Gemeinschaft der von Jesus Gerufenen hervorgeht.211 Die Kirche prägt mit der Zeit ihre Strukturen aus. Zu diesem Prozess gehört auch die nähere Bestimmung des Verhältnisses von gemeinsamem und amtlichem Priestertum. Die Kirche ist als Gemeinschaft auf dem Weg zur Vollendung.212

Auf verschiedenen nationalen Laienkongressen wird der Weltkongress vorbereitet. Beachtenswert ist dabei der Kongress in Löwen, an dem im Dezember 1956 über 3000 Teilnehmer deutliche Kritik an der Verschlossenheit der Kirche gegenüber der modernen Welt üben und für eine kirchliche Erneuerung plädieren. Die Themen des Löwener Treffens, das u.a. von Gerard Philips organisiert wird, spiegeln den aktuellen Stand der Debatte wieder. Es geht um die Kirche als Heilsmysterium, die Rolle der Laien in der Kirche, ihr Apostolat und ihre Spiritualität, den kritischen Blick auf die heutige Welt sowie das Verhältnis von Klerus und Laien.213

Auf dem Weltkongress für das Laienapostolat vom 5–13. Oktober 1957 kommen 2000 Delegierte aus den verschiedenen Aktionen und Bewegungen aus der ganzen Welt zusammen, davon ein Drittel Frauen. Pius XII. beschreitet in seiner Eröffnungsansprache angesichts der neueren Entwicklungen einen Mittelweg zwischen Tradition und Innovation. So verweist er auf die fundamentale Einheit aller Gläubigen im „Leib Christi“214, unterscheidet jedoch zwischen dem Apostolat der Bischöfe und Priester und dem Apostolat der Laien.215 Letzteres besteht vor allem im Auftrag zur Heiligung der profanen Welt, der „consecratio mundi“, bei der ihnen die Priester hilfreich zur Seite stehen sollen.216 Auch wenn der Papst die Notwendigkeit der Leitung durch den Klerus nicht in Frage stellt, kommt es so doch zu einem gewissen Perspektivwechsel.217 Zudem überrascht der Papst die Anwesenden durch eine vorsichtige Öffnung der Katholischen Aktion. Da diese nicht alle Initiativen der Laien ersetzen oder in sich aufnehmen kann, kann das Laienapostolat nicht eng auf die hierarchisch geleitete Tätigkeit der offiziellen Katholischen Aktion begrenzt werden. Alle Initiativen sollten vielmehr als eine föderative Einheit des kirchlichen Apostolates verstanden werden.218

Während die meisten Redner des Kongresses eine eher traditionelle Sicht auf das Laienapostolat vertreten219, äußert sich Gerard Philips klar in Richtung einer Öffnung: „Das ganze Volk Gottes auf dem Weg, alle Glieder des Leibes Christi […] entdecken ihre apostolische Berufung neu.“220 Die Berufung und Sendung als Grunddimensionen des christlichen Lebens bedeuten, sich in Bewegung zu setzen. Christus beruft zwar zunächst die Apostel, bleibt aber nicht bei der Hierarchie stehen. Die Laien werden unter die Menschen gesandt, um aus der Menschheit eine Menschheit der Geretteten zu machen.221 „Laie“ ist ähnlich wie „Apostel“ ein „titre sacré“. Als Mitglieder des „Volkes Gottes“ sind sie Träger der göttlichen Berufung.222 Philips’ Ausführungen finden ihren Widerhall in der Schlusserklärung des Kongresses: „Mehr als je zuvor sind die Laien, als Mitglieder der Kirche, des Volkes Gottes auf dem Weg auf gerufen, mit der Hierarchie zur Erfüllung der Sendung der Kirche zusammenzuarbeiten, die auf der Erde das Erlösungswerk Christi weiterführt.“223 Kurz vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils findet damit der „Volk Gottes“-Begriff Eingang in ein offizielles römisches Dokument. Ein ökumenischer Beobachter des Kongresses spricht von einer Wiederentdeckung dieses biblischen Begriffes in der katholischen Kirche224 und prognostiziert: „Indeed, the developement of a genuine lay apostolate is dynamite for the traditional Roman Catholic conception of the church.“225

1.4 Liturgie und Kirchenbild

Abschließend soll zumindest noch kurz auf den Beitrag der Liturgischen Bewegung eingegangen werden. Zurecht wird betont, dass die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums in zentralen Aussagen ein Kirchenbild vertritt, das später auch für „Lumen gentium“ prägend sein wird.226 Dieser Zusammenhang ist kein Zufall:

Die Frage nach der Rolle der Laien in der Kirche und der Bedeutung der Katholischen Aktion ist mit der Geschichte der Liturgischen Bewegung verbunden. Der Startimpuls für die neuere Liturgische Bewegung wird im sog. „Mechelener Ereignis“ gesehen.227 Unter der Schirmherrschaft des Ortsbischofs, Kardinal Mercier, findet im belgischen Mechelen 1909 der nationale „Congrès des Œuvres catholiques“ statt. Diese Versammlung der katholischen Vereinigungen und Laienbewegungen hat ursprünglich ein politisch-gesellschaftliches Ziel. Es geht darum, die Katholiken Belgiens aus den verschiedenen politischen Lagern und Landesteilen zu einen. Kardinal Mercier will zudem das aufkommende demokratische Gedankengut fördern. Unterstützt wird dieses Anliegen vor allem von den kirchlichen Jugendorganisationen.228 Der Benediktiner Lambert Beauduin, dessen Vortrag den zentralen Impuls für die weitere Entwicklung der Liturgischen Bewegung geben wird, war vor seinem Eintritt in den Orden als Diözesanpriester eng mit den Sozial- und Jugendbewegungen verbunden.229 Sein Vortrag reflektiert das Verhältnis von Liturgie und Apostolat: Die Teilhabe am in der Liturgie gefeierten Erlösungswerk Christi, verstanden als wirkliche, innere Teilhabe („participatio“), ist die Grundlage für ein apostolisches Leben und für das soziale Engagement. Im Bild des „Leibes Christi“ gesprochen, setzt die äußere Tätigkeit des Leibes das innere Leben voraus. Die Liturgie hat für Beauduin demnach eine klar definierte Aufgabe für das christliche Leben: Sie bildet den Ort, an dem die geistliche und sakramentale Verbindung der christlichen Gemeinschaft mit Christus selbst erfahren und von dort in die konkrete Praxis übersetzt werden kann.230 Der Impuls Beauduins wirkt nach. Im Anschluss an den Mechelener Kongress kommt es in verschiedenen Konferenzen zur Diskussion und intensiven Beschäftigung mit den Fragen der Liturgie. Auf diese Weise erreicht das Interesse an der Liturgie auch die späteren deutschen Zentren der Liturgischen Bewegung, etwa die Klöster Maria Laach und Beuron.231 Die zentrale Fragestellung lautet: Was kann dabei helfen, die Liturgie als geistlichen und gemeinschaftlichen Erfahrungsraum zu erschließen? Wie kann die von Beauduin geforderte „participatio“ am in der Liturgie gefeierten Erlösungswerk Christi ermöglicht werden? Die verschiedenen Ansätze z.B. der Volksmessbücher, der Bet-Sing-Messen, die Einfügung von dialogischen Anteilen in der Eucharistiefeier können an dieser Stelle nicht näher vorgestellt zu werden.232 Entscheidend ist, den Grundimpuls der Liturgischen Bewegung wahrzunehmen: Es geht um die gemeinschaftliche Kirchenerfahrung, die in einem inneren Erleben und Mitvollzug der Liturgie gegeben ist. Das Kirchenbild des „mystischen Leibes Christi“, auch in seiner eucharistischen Deutung, und sein liturgischer Ausdruck gehören eng zusammen. Damit ist klar, dass die Liturgie, soll sie zur Stärkung des Apostolats der Laien dienen, deren Beteiligung und Anteilnahme („participatio“) ermöglichen muss. Die Liturgie ist nicht mehr allein Sache des Priesters, sondern Angelegenheit der gesamten Gemeinde. Die innere Dimension der Anteilhabe am Leib Christi vollzieht sich in der gottesdienstlichen Versammlung des „Volkes Gottes“.

Josef Andreas Jungmann (1889–1975), eine zentrale Gestalt der Liturgischen Bewegung vor und während des Konzils, bringt in einem Artikel von 1938233, der in einem Sammelband zum Gedenken Möhlers erscheint, eine Zeitdiagnose, die zugleich auf die enge Verbindung von Kirchenbild und Liturgie aufmerksam macht: In der heutigen Situation, so Jungmann, werde das bisherige Verständnis, nach dem die Liturgie vornehmlich eine Aufgabe des Klerus sei, deutlich in Frage gestellt (376). War das kirchliche Leben bislang vornehmlich individuell geprägt und stand die persönliche Frömmigkeit auch im Gottesdienst im Vordergrund, so äußert sich in der Jugend der „Hunger nach dem Lebendigen“ (378). Gegen einen einseitigen Intellektualismus geht es jetzt stärker um das nichtrationale Erfassen des Übernatürlichen (379). Die Kirche wird zur Heimat und zur Stätte der Geborgenheit: „Hier ist Gott nahe. Hier lebt Christus fort durch die Jahrhunderte“ (380). Die Kirche, insbesondere die Liturgie, ist der Ort des „Wir“, der Gemeinschaft (381): „Und dieses Wir bezeichnet nicht eine Summe von zufällig zusammengeratenen Menschen, sondern es wird näher bestimmt als Volk Gottes. Es ist seine Kirche: populus tuus, plebs tua, Ecclesia tua sancta“ (381). Die Kirche ist wesentlich „Gemeinschaft der Gläubigen“. Die „Kinder der Kirche“ tragen „das Leben Christi“ in sich. Aus diesem Grund wird „corpus Christi mysticum“ zum Leitwort einer ganzen Generation (382). Wenn man als Gemeinschaft „Leib Christi“ ist, muss sich dieser Anspruch auch in der gemeinschaftlichen Teilhabe der Gemeinde an der Liturgie ausdrücken können (382). Jungmann erinnert daher an die von Pius XI. in seiner Konstitution „Divini cultus“ eingeforderte „actuosa participatio“, zu der die Teilnehmer des Gottesdienstes, hier bezogen auf den Gesang, aufgefordert werden (382f).234 Die sichtbare Gemeinschaft der Kirche („communio sanctorum“), in die der Christ durch die Taufe aufgenommen wird, hat an der gnadenhaften innerlichen Dimension der Kirche teil. Sie ist damit der „fortlebende Christus“ (387). 1955 ergänzt Jungmann seine Ausführungen noch um den Gedanken des gemeinsamen Priestertums. Die in der Liturgie zusammenkommende Kirche verbindet sich zu einer Priesterschaft, einem Gottesvolk.235 Die Liturgie ist „heiliger Dienst im Interesse des Gottesvolkes“236, der Ort, „wo die Kirche als Volk Gottes betend vor Gott hintritt“237. Ähnlich wie bei Koster ist der „Leib Christi“-Begriff durch die „Volk Gottes“-Notion als liturgisch verwendetem Ausdruck für die gottesdienstliche Versammlung ergänzt worden. Die Teilhabe („participatio“) des Volkes (der eucharistischen Versammlung) am Mysterium Christi bildet die Kirche als „Leib Christi“ aus.

Sieht man die drei beispielhaft beschriebenen Entwicklungen in der Ekklesiologie, der Laientheologie und der Liturgie zusammen, wird deutlich: Alle drei Bewegungen bedingen einander und sind Teil eines gemeinsamen Prozesses des Nachdenkens über Wesen und Sendung der Kirche. Am Vorabend des Zweiten Vatikanums gibt es offenbar unter den theologisch aufgeschlossenen Vertretern West- und Mitteleuropas ein gemeinsam geteiltes ekklesiologisches Grundverständnis. Dieses Grundverständnis einer Kirche als „Leib Christi“ kreist um die Schlüsselbegriffe „Innerlichkeit“, „Mysterium“, „Gemeinschaft“, „Eucharistie“ und „Apostolat“. Aus diesem Bild heraus ergibt sich u.a. die Frage nach der spezifischen Rolle der Laien in einer „gemeinschaftsorientierten“ Kirche. Gerade die für den liturgischen Bereich bereits etablierte Rede von der „participatio actuosa“ wird zum Schlüssel für ein sich zum Zweiten Vatikanum hin veränderndes Kirchenbild.

 

Es ist wahrscheinlich der Kernbegriff der „participatio“, der den Weg für das veränderte Kirchenbild des Zweiten Vatikanums öffnet. Der Blick auf das Mechelener Ereignis hat die Verbindung von Apostolat und Liturgie deutlich gemacht. In dem Augenblick, in dem die Laien als aktiv Mitwirkende in die Pastoral und Mission der Kirche eingebunden sind, muss die Form ihrer Beteiligung, wie auch ihre Position und Rolle näher spezifiziert werden. Die „actuosa participatio“ am christlichen Apostolat bedarf zudem der geistlichen Vertiefung. Aus der apostolischpraktischen „participatio“ resultiert der Ruf nach der liturgischen „participatio“.238 Wie Winfried Haunerland schreibt, wird die „participatio actuosa“ zum „Formalprinzip der liturgischen Erneuerung“.239 Die Liturgie wird unter diesem Prinzip zur „gemeinschaftliche[n] Feier, in der alle ihre Aufgaben wahrnehmen und miteinander bezogen bleiben auf Gott und den Herrn der Kirche.“240

Im Falle der liturgischen „participatio“ ist die Einfügung in die späteren konziliaren Texte aus zwei Gründen recht einfach: Zum einen ist die Frage nach der besseren Einbindung und Teilhabe der Laien am Gottesdienst der Kirche bereits einige Jahrzehnte vor dem Konzil ein wichtiges Thema. Die Liturgische Bewegung wird von vielen Bischöfen gefördert und schließlich auch von Pius XII. in seiner Enzyklika „Mediator Dei“ von 1947 de facto anerkannt.241 Zum zweiten können Vertreter der Bewegung zum Zeitpunkt der Konzilsvorbereitungen bereits auf die lehramtliche Etablierung des Terminus „participatio (actuosa)“ verweisen. Pius X. erwähnt ihn das erste Mal im Jahr 1903 in einem auf Italienisch abgefassten Schreiben über die Kirchenmusik:

„Es ist uns eine innere Herzensangelegenheit, dass der richtige christliche Geist in allen Gläubigen wieder aufblühe und ohne Einschränkungen erhalten bleibe. Daher müssen wir vor allem für die Heiligkeit und Würde des Gotteshauses sorgen. Denn hier versammeln sich die Gläubigen, um diesen [christlichen] Geist aus der ersten und unentbehrlichen Quelle zu schöpfen, aus der aktiven Teilnahme an den hochheiligen Geheimnissen („misteri“) und dem öffentlichen, feierlichen Gebet der Kirche.“242

Wie Thomas Neumann verdeutlicht, wendet Pius X. den Begriff der „participatio“ auf das innerliche Geschehen an. Nicht das Singen als aktive Teilnahme an der gottesdienstlichen Gestaltung ist gemeint, sondern eine „innere Identifikation mit dem Mysterium, die durch das Singen ihren Ausdruck findet.“243 Partizipationsobjekt ist das „Mysterium Christi“.244 Nachdem auch Pius XI. in seiner Apostolischen Konstitution zur Liturgie von der „participatio actuosa“ spricht (s.o.), wird der Begriff bei Pius XII. gleich mehrfach erwähnt. Am bedeutendsten ist dabei die Liturgieenzyklika „Mediator Dei“ (MD) von 1947.245 Sie baut auf der 1943 in „Mystici corporis“ grundgelegten Ekklesiologie des Papstes auf.246 MD bestätigt insgesamt die Bemühungen der Liturgischen Bewegung, wenn die Enzyklika an einigen Stellen diesbezüglich auch Kritikpunkte benennt.247 Besonders deutlich ist dies, wenn Pius XII. vor einem falschen Verständnis des gemeinsamen Priestertums warnt, wie es „einige in unseren Tagen“ zum Ausdruck bringen (s. MD II,3). Das Priestertum Christi repräsentiert sich im amtlichen Priestertum (Ebd.). Die in MD häufig erwähnte „participatio“ der Gläubigen (inkl. des Verbes „participare“ finden sich in der Enzyklika rund 40 Belegstellen) zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: Sie ist, erstens, als ein inneres Geschehen der Teilhabe an der gnadenhaften Präsenz Gottes, etwa in den Sakramenten zu verstehen (s. z.B. MD, Einleitung). Es geht um eine tätige Teilhabe am Mysterium Christi.248 Sie ist, zweitens, nicht losgelöst von der amtlichen Vollmacht der Priester zu sehen. Deutlich wird dies z.B. wenn Pius XII. die Teilhabe der Gläubigen während der „Opferung“, also der Darbringung der Gaben in der Eucharistiefeier darstellt (vgl. MD II,4)249: MD weist die Ansicht zurück, die Gläubigen würden die „Opferung“ quasi in Konzelebration mit dem Priester vollziehen. Der Priester handelt an dieser Stelle im Namen Christi und nicht im Namen des Volkes. Die „participatio“ der Laien ist nur „nach ihrem Status“ möglich. Als Getaufte sind sie in den „Leib Christi“ eingegliedert, so dass sie über die Person des Priesters am heiligen Geschehen Anteil haben. Dies kommt im eucharistischen Hochgebet dadurch zum Ausdruck, dass es den Priester in der „Wir“-Form sprechen lässt. Das Messopfer soll dem gesamten „Volk“ zugutekommen. Die „participatio“ ist an dieser Stelle indirekt und eher passiv-empfangend. Wie Enrico Mazza bemerkt, entwickelt MD die Idee der „participatio actuosa“ im Grunde nicht weiter.250 Eine gewisse Bewegung ist, so Thomas Neumann, erst 1955 in der Enzyklika „Musicae sacrae disciplina“ zu erkennen, in der das Konzept der „participatio“ auch in einem Punkt, nämlich der Übertragung einiger liturgischer Aufgaben an männliche Laien, auf der äußerlich-institutionellen Seite zum Tragen kommt.251 Insgesamt beschreitet Pius XII. in Fragen der Liturgie einen vorsichtigen Weg der Neuerung und setzt selbst, etwa in der Überarbeitung des „Triduum paschale“, erste von der Liturgischen Bewegung angeregte Reformen um.252

Der Blick auf die vorkonziliare Situation zeigt die enge Verbindung von Kirchenbild und Liturgie. Das neue „Leib Christi“-Paradigma hat auch für die Liturgie durchgesetzt. Wie für die Ekklesiologie253 wird man auch für sie festhalten können: Im Vordergrund steht die innerliche Dimension der Kirche, ihre im liturgischen Ausdruck erfahrbare gnadenhaft-sakramentale Verbindung mit Christus. Zugleich rückt die Dimension der Gemeinschaftlichkeit des liturgischen Ritus in den Vordergrund. Die Suche nach geeigneten Formen, die Gläubigen von Zuschauern zu Teilhabenden bzw. Partizipierenden in der Liturgie zu machen, stellt auch die Frage des Zueinanders von Laien und Amtsträgern und deren jeweils spezifischem Auftrag neu. Die Eucharistiefeier rückt stärker in das Zentrum allen kirchlichen Tuns. Zugleich stellt sich auch für die Liturgie eine Frage, die sich aufgrund der vorhandenen Defizite der „Leib Christi“-Ekklesiologie ergeben hatte: Wie stehen Außen und Innen zueinander im Verhältnis? Konkret: Wie drückt sich die innerlich erfahrene Christus- und Gemeinschaftsbeziehung des „Corpus Christi“ nach außen hin aus? Ist damit „nur“ das apostolische Engagement in der Welt gemeint, oder bedarf nicht auch der liturgische Ritus selbst des verstärkten Ausdrucks der gemeinschaftlichen Dimension? Wie also steht es mit dialogischen Formen, der Muttersprache, den Laienämtern oder der kommunialen Gestalt liturgischer Räume? Der „mystische Leib Christi“ bedarf der Ergänzung durch ein Bedenken der Rolle und Funktion der konkret anwesenden gottesdienstlichen Versammlung, mit den Worten Jungmanns, des „Volkes Gottes“ (s.o.). Von einem „partizipativen Parallelismus“ in MD254, einem eher passiven Mitvollziehen der vornehmlich priesterlich-amtlich vollzogenen Liturgie bis zu einer aktiven Partizipation, die sich auch im Ritus selbst ausdrückt, ist es noch ein längerer Weg.