Tasuta

Lenz

Tekst
Märgi loetuks
Lenz
Lenz
Audioraamat
Loeb Wolfgang Gerber
2,99
Lisateave
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Doch je mehr er sich in das Le­ben hin­ein­leb­te, ward er ru­hi­ger. Er un­ter­stütz­te Ober­lin, zeich­ne­te, las die Bi­bel; alte, ver­gang­ne Hoff­nun­gen gin­gen in ihm auf; das Neue Te­sta­ment trat ihm hier so ent­ge­gen, und ei­nes Mor­gens ging er hin­aus. Wie Ober­lin ihm er­zähl­te, wie ihn eine un­sicht­ba­re Hand auf der Brücke ge­hal­ten hät­te, wie auf der Höhe ein Glanz sei­ne Au­gen ge­blen­det hat­te, wie er eine Stim­me ge­hört hät­te, wie es in der Nacht mit ihm ge­spro­chen, und wie Gott so ganz bei ihm ein­ge­kehrt, dass er kind­lich sei­ne Lose aus der Ta­sche hol­te, um zu wis­sen, was er tun soll­te: die­ser Glau­be, die­ser ewi­ge Him­mel im Le­ben, die­ses Sein in Gott – jetzt erst ging ihm die Hei­li­ge Schrift auf. Wie den Leu­ten die Na­tur so nah trat, al­les in himm­li­schen Mys­te­ri­en; aber nicht ge­walt­sam ma­je­stä­tisch, son­dern noch ver­traut.

Ei­nes Mor­gens ging er hin­aus. Die Nacht war Schnee ge­fal­len; Im Tal lag hel­ler Son­nen­schein, aber wei­ter­hin die Land­schaft halb im Ne­bel. Er kam bald vom Weg ab und eine sanf­te Höhe hin­auf, kei­ne Spur von Fuß­trit­ten mehr, ne­ben ei­nem Tan­nen­wald hin; die Son­ne schnitt Kris­tal­le, der Schnee war leicht und flo­ckig, hie und da Spur von Wild leicht auf dem Schnee, die sich ins Ge­birg hin­zog. Kei­ne Re­gung in der Luft als ein lei­ses We­hen, als das Rau­schen ei­nes Vo­gels, der die Flo­cken leicht vom Schwan­ze stäub­te. Al­les so still, und die Bäu­me weit­hin mit schwan­ken­den wei­ßen Fe­dern in der tief­blau­en Luft. Es wur­de ihm heim­lich nach und nach. Die ein­för­mi­gen, ge­wal­ti­gen Flä­chen und Li­ni­en, vor de­nen es ihm manch­mal war, als ob sie ihn mit ge­wal­ti­gen Tö­nen an­re­de­ten, wa­ren ver­hüllt; ein heim­li­ches Weih­nachts­ge­fühl be­schlich ihn: er mein­te manch­mal, sei­ne Mut­ter müs­se hin­ter ei­nem Bau­me her­vor­tre­ten, groß, und ihm sa­gen, sie hat­te ihm dies al­les be­schert. Wie er hin­un­ter­ging, sah er, dass um sei­nen Schat­ten sich ein Re­gen­bo­gen von Strah­len leg­te; es wur­de ihm, als hät­te ihn was an der Stirn be­rührt, das We­sen sprach ihn an.

Er kam hin­un­ter. Ober­lin war im Zim­mer; Lenz kam hei­ter auf ihn zu und sag­te ihm, er möge wohl ein­mal pre­di­gen. – »Sind Sie Theo­lo­ge?«

»Ja!«

»Gut, nächs­ten Sonn­tag.«

Lenz ging ver­gnügt auf sein Zim­mer. Er dach­te auf einen Text zum Pre­di­gen und ver­fiel in Sin­nen, und sei­ne Näch­te wur­den ru­hig. Der Sonn­tag­mor­gen kam, es war Tau­wet­ter ein­ge­fal­len. Vor­über­strei­fen­de Wol­ken, Blau da­zwi­schen. Die Kir­che lag ne­ben am Berg hin­auf, auf ei­nem Vor­sprung; der Kirch­hof drum­her­um. Lenz stand oben, wie die Glo­cke läu­te­te und die Kir­chen­gän­ger, die Wei­ber und Mäd­chen in ih­rer erns­ten schwar­zen Tracht, das wei­ße ge­fal­te­te Schnupf­tuch auf dem Ge­sang­buch und den Ros­ma­rin­zweig, von den ver­schie­de­nen Sei­ten die schma­len Pfa­de zwi­schen den Fel­sen her­auf- und her­ab­ka­men. Ein Son­nen­blick lag manch­mal über dem Tal, die laue Luft reg­te sich lang­sam, die Land­schaft schwamm im Duft, fer­nes Ge­läu­te – es war, als lös­te sich al­les in eine har­mo­ni­sche Wel­le auf.

Auf dem klei­nen Kirch­hof war der Schnee weg, dunkles Moos un­ter den schwar­zen Kreu­zen; ein ver­spä­te­ter Ro­sen­strauch lehn­te an der Kirch­hof­mau­er, ver­spä­te­te Blu­men dazu un­ter dem Moos her­vor; manch­mal Son­ne, dann wie­der dun­kel. Die Kir­che fing an, die Men­schen­stim­men be­geg­ne­ten sich im rei­nen hel­len Klang; ein Ein­druck als schaue man in rei­nes, durch­sich­ti­ges Berg­was­ser. Der Ge­sang ver­hall­te – Lenz sprach. Er war schüch­tern; un­ter den Tö­nen hat­te sein Starr­krampf sich ganz ge­legt, sein gan­zer Schmerz wach­te jetzt auf und leg­te sich in sein Herz. Ein sü­ßes Ge­fühl un­end­li­chen Wohls be­schlich ihn. Er sprach ein­fach mit den Leu­ten; sie lit­ten alle mit ihm, und es war ihm ein Trost, wenn er über ei­ni­ge müd­ge­wein­te Au­gen Schlaf und ge­quäl­ten Her­zen Ruhe brin­gen, wenn er über die­ses von ma­te­ri­el­len Be­dürf­nis­sen ge­quäl­te Sein, die­se dump­fen Lei­den gen Him­mel lei­ten konn­te. Er war fes­ter ge­wor­den, wie er schloss – da fin­gen die Stim­men wie­der an:

Lass in mir die heil’­gen Schmer­zen,

Tie­fe Bron­nen ganz auf­bre­chen;

Lei­den sei all’ mein Ge­winst,

Lei­den sei mein Got­tes­dienst.

Das Drän­gen in ihm, die Mu­sik, der Schmerz, er­schüt­ter­te ihn. Das All war für ihn in Wun­den; er fühl­te tie­fen, un­nenn­ba­ren Schmerz da­von. Jetzt ein an­de­res Sein: gött­li­che, zu­cken­de Lip­pen bück­ten sich über ihm nie­der und so­gen sich an sei­ne Lip­pen; er ging auf sein ein­sa­mes Zim­mer. Er war al­lein, al­lein! Da rausch­te die Quel­le, Strö­me bra­chen aus sei­nen Au­gen, er krümm­te sich in sich, es zuck­ten sei­ne Glie­der, es war ihm, als müs­se er sich auf­lö­sen, er konn­te kein Ende fin­den der Wol­lust. End­lich däm­mer­te es in ihm: er emp­fand ein lei­ses tie­fes Mit­leid mit sich selbst, er wein­te über sich; sein Haupt sank auf die Brust, er schlief ein. Der Voll­mond stand am Him­mel; die Lo­cken fie­len ihm über die Schlä­fe und das Ge­sicht, die Trä­nen hin­gen ihm an den Wim­pern und trock­ne­ten auf den Wan­gen – so lag er nun da al­lein, und al­les war ru­hig und still und kalt, und der Mond schi­en die gan­ze Nacht und stand über den Ber­gen.

Am fol­gen­den Mor­gen kam er her­un­ter, er er­zähl­te Ober­lin ganz ru­hig, wie ihm die Nacht sei­ne Mut­ter er­schie­nen sei: sie sei in ei­nem wei­ßen Kleid aus der dun­keln Kirch­hof­mau­er her­vor­ge­tre­ten und habe eine wei­ße und eine rote Rose an der Brust ste­cken ge­habt; sie sei dann in eine Ecke ge­sun­ken, und die Ro­sen sei­en lang­sam über sie ge­wach­sen, sie sei ge­wiss tot; er sei ganz ru­hig dar­über. Ober­lin ver­setz­te ihm nun, wie er bei dem Tod sei­nes Va­ters al­lein auf dem Fel­de ge­we­sen sei und er dann eine Stim­me ge­hört habe, so­dass er wuss­te, dass sein Va­ter tot sei; und wie er heim­ge­kom­men, sei es so ge­we­sen. Das führ­te sie wei­ter: Ober­lin sprach noch von den Leu­ten im Ge­bir­ge, von Mäd­chen, die das Was­ser und Me­tall un­ter der Erde fühl­ten, von Män­nern, die auf man­chen Berg­hö­hen an­ge­fasst wür­den und mit ei­nem Geis­te rän­gen; er sag­te ihm auch, wie er ein­mal im Ge­birg durch das Schau­en in ein lee­res tie­fes Berg­was­ser in eine Art von Som­nam­bu­lis­mus1 ver­setzt wor­den sei. Lenz sag­te, dass der Geist des Was­sers über ihn ge­kom­men sei, dass er dann et­was von sei­nem ei­gen­tüm­li­chen Sein emp­fun­den hät­te. Er fuhr wei­ter fort: Die ein­fachs­te, reins­te Na­tur hin­ge am nächs­ten mit der ele­men­ta­ri­schen zu­sam­men; je fei­ner der Mensch geis­tig fühlt und lebt, umso ab­ge­stumpf­ter wür­de die­ser ele­men­ta­ri­sche Sinn; er hal­te ihn nicht für einen ho­hen Zu­stand, er sei nicht selbst­stän­dig ge­nug, aber er mei­ne, es müs­se ein un­end­li­ches Won­ne­ge­fühl sein, so von dem ei­gen­tüm­li­chen Le­ben je­der Form be­rührt zu wer­den, für Ge­stei­ne, Me­tal­le, Was­ser und Pflan­zen eine See­le zu ha­ben, so traumar­tig je­des We­sen in der Na­tur in sich auf­zu­neh­men, wie die Blu­men mit dem Zu- und Ab­neh­men des Mon­des die Luft.

Er sprach sich selbst wei­ter aus: wie in al­lem eine un­aus­sprech­li­che Har­mo­nie, ein Ton, eine Se­lig­keit sei, die in den hö­hern For­men mit mehr Or­ga­nen aus sich her­aus­grif­fe, tön­te, auf­fass­te und da­für aber auch umso tiefer af­fi­ziert wür­de; wie in den nied­ri­gen For­men al­les zu­rück­ge­dräng­ter, be­schränk­ter, da­für aber auch die Ruhe in sich grö­ßer sei. Er ver­folg­te das noch wei­ter. Ober­lin brach es ab, es führ­te ihn zu weit von sei­ner ein­fa­chen Art ab. Ein an­der Mal zeig­te ihm Ober­lin Far­ben­tä­fel­chen, er setz­te ihm aus­ein­an­der, in wel­cher Be­zie­hung jede Far­be mit dem Men­schen stän­de; er brach­te zwölf Apos­tel her­aus, de­ren je­der durch eine Far­be re­prä­sen­tiert wür­de. Lenz fass­te das auf, er spann die Sa­che wei­ter, kam in ängst­li­che Träu­me und fing an, wie Stil­ling, die Apo­ka­lyp­se zu le­sen, und las viel in der Bi­bel.

Um die­se Zeit kam Kauf­mann mit sei­ner Braut ins Stein­tal. Len­zen war an­fangs das Zu­sam­men­tref­fen un­an­ge­nehm; er hat­te sich so ein Plätz­chen zu­recht­ge­macht, das biss­chen Ruhe war ihm so kost­bar – und jetzt kam ihm je­mand ent­ge­gen, der ihn an so vie­les er­in­ner­te, mit dem er spre­chen, re­den muss­te, der sei­ne Ver­hält­nis­se kann­te. Ober­lin wuss­te von al­lem nichts; er hat­te ihn auf­ge­nom­men, ge­pflegt, er sah es als eine Schi­ckung Got­tes, der den Un­glück­li­chen ihm zu­ge­sandt hät­te, er lieb­te ihn herz­lich. Auch war es al­len not­wen­dig, dass er da war; er ge­hör­te zu ih­nen, als wäre er schon längst da, und nie­mand frag­te, wo­her er ge­kom­men und wo­hin er ge­hen wer­de.

Über Tisch war Lenz wie­der in gu­ter Stim­mung: man sprach von Li­te­ra­tur, er war auf sei­nem Ge­bie­te. Die idea­lis­ti­sche Pe­ri­ode fing da­mals an; Kauf­mann war ein An­hän­ger da­von, Lenz wi­der­sprach hef­tig. Er sag­te: Die Dich­ter, von de­nen man sage, sie ge­ben die Wirk­lich­keit, hät­ten auch kei­ne Ah­nung da­von; doch sei­en sie im­mer noch er­träg­li­cher als die, wel­che die Wirk­lich­keit ver­klä­ren woll­ten. Er sag­te: Der lie­be Gott hat die Welt wohl ge­macht, wie sie sein soll, und wir kön­nen wohl nicht was Bes­se­res kleck­sen; un­ser ein­zi­ges Be­stre­ben soll sein, ihm ein we­nig nach­zu­schaf­fen. Ich ver­lan­ge in al­lem – Le­ben, Mög­lich­keit des Da­seins, und dann ist’s gut; wir ha­ben dann nicht zu fra­gen, ob es schön, ob es häss­lich ist. Das Ge­fühl, dass, was ge­schaf­fen sei, Le­ben habe, ste­he über die­sen bei­den und sei das ein­zi­ge Kri­te­ri­um in Kunst­sa­chen. Üb­ri­gens be­geg­ne es uns nur sel­ten: in Sha­ke­s­pea­re fin­den wir es, und in den Volks­lie­dern tönt es ei­nem ganz, in Goe­the manch­mal ent­ge­gen; al­les üb­ri­ge kann man ins Feu­er wer­fen. Die Leu­te kön­nen auch kei­nen Hunds­stall zeich­nen. Da woll­te man idea­lis­ti­sche Ge­stal­ten, aber al­les, was ich da­von ge­se­hen, sind Holz­pup­pen. Die­ser Idea­lis­mus ist die schmäh­lichs­te Ver­ach­tung der mensch­li­chen Na­tur. Man ver­su­che es ein­mal und sen­ke sich in das Le­ben des Ge­rings­ten und gebe es wie­der in den Zu­ckun­gen, den An­deu­tun­gen, dem gan­zen fei­nen, kaum be­merk­ten Mie­nen­spiel; er hät­te der­glei­chen ver­sucht im »Hof­meis­ter« und den »Sol­da­ten«. Es sind die pro­sa­ischs­ten Men­schen un­ter der Son­ne; aber die Ge­fühls­ader ist in fast al­len Men­schen gleich, nur ist die Hül­le mehr oder we­ni­ger dicht, durch die sie bre­chen muss. Man muss nur Aug und Ohren da­für ha­ben. Wie ich ges­tern ne­ben am Tal hin­auf­ging, sah ich auf ei­nem Stei­ne zwei Mäd­chen sit­zen: die eine band ihr Haar auf, die an­de­re half ihr; und das gold­ne Haar hing her­ab, und ein erns­tes blei­ches Ge­sicht, und doch so jung, und die schwar­ze Tracht, und die an­de­re so sorg­sam be­müht. Die schöns­ten, in­nigs­ten Bil­der der alt­deut­schen Schu­le ge­ben kaum eine Ah­nung da­von. Man möch­te manch­mal ein Me­du­sen­haupt sein, umso eine Grup­pe in Stein ver­wan­deln zu kön­nen, und den Leu­ten zu­ru­fen. Sie stan­den auf, die schö­ne Grup­pe war zer­stört; aber wie sie so hin­ab­stie­gen, zwi­schen den Fel­sen, war es wie­der ein an­de­res Bild.