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Claus Störtebecker

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Das verrunzelte Fischerweib trat auf die Schwelle der Kate und schwang einen brennenden Kienspan gegen die Dunkelheit. Fest stemmten sich ihre derben, nackten Füße in den Sand, und ihre mißtrauischen blauen Augen weiteten sich, als hinter dem Vorhang von Kienrauch und feuchtem Seenebel zwei fremde Gestalten auftauchten. Undeutlich leuchtete es draußen von Gold und Seide. Seltsam – seltsam – die Alte strich sich über das glatt gescheitelte weiße Haar und wich vor Bewunderung unwillkürlich zur Seite. – Wie lange Zeit mochte wohl verstrichen sein, seit sich ihr – der Jungen, der die Mannsbilder so hitzig nachstellten – ein ähnlich Blitzender genähert hatte? Vorbei – das war längst vergessene Bitternis. Allein die Art Herren brachte den Geringen nichts Gutes ins Haus! Und was hatte dieser da, der sich unter dem Eingang wohl gar noch tiefer bücken mußte, als es einst von ihrem Verstorbenen geschah, was hatte dieser so befehlshaberisch und sicher in ihre Hütte zu dringen?

Plötzlich ließ Mutter Hilda die Leuchte fallen, so daß sie erlosch. Obwohl Himmel und Meer wie eine schwarze Grube unter ihr gähnten, so waren vor ihrem geistigen Auge dennoch die Umrisse der Gleichebeuterschiffe aufgestiegen. Dann hörte sie das geheimnisvolle Raunen der Nachbarn, sie fing auf, wie man mit Fingern auf sie wies – und mit einemmal spürte sie, wie eine drohende Hand ihr Herz festhielt, bis es ihr nichts mehr vermittelte. Weder Freude noch Scham, weder Hinneigung noch Grauen. Nichts redete in ihr als jene kalte, rauhe Stimme, die da fragte:

»Was will der Fremde?«

Die Falten auf der Stirn zog es ihr kraus, ungerührt konnte sie in die Hütte zurücktreten, dem Unbekannten nach, wie jemand, der sein Hausrecht wahren will. Aber als nun die Frühgealterte im Schein des Herdfeuers unter dem Mantel ihres Besuchers die Fürstenkette blinken sah, als ihr abgeneigtes, strenges Antlitz von den schwarzen, lebhaften, herrschgewohnten Augen festgehalten und angezogen wurde, da wankten ihr die Beine unter dem Leib, und die Gewohnheit, sich stumm vor allem zu bücken, was mit dem Anspruch der Macht unter die Geringen trat, es zog ihr den noch eben straffen Rücken furchtsam vornüber.

Verehrungsvoll wand sie die starkgeäderten Hände umeinander.

»Kennst du mich?« entglitt es dem Störtebecker, der vor der Esse stand, wo er gegen die lähmende Wirkung des Vergangenen ankämpfte.

»Was sollt ich nicht?« murmelte die Weißhaarige, sich vorsichtig zurückziehend, und dabei bekreuzigte sie sich stumpf.

Ihr Sohn tat einen starken Schritt gegen sie, die Hütte dröhnte von seinem Gang.

»Gib mir die Hand,« forderte er stürmischer, als er ahnte.

Die Fischerfrau sah an dem großen, herrlichen Menschen in die Höhe, dann schüttelte sie in ringender Verständnislosigkeit das Haupt und versteckte ihre Finger hinter der groben Schürze.

»Wir sind arme Leute,« murmelte sie.

Ihr Bedränger jedoch fing ihre Rechte gewaltsam ein und preßte sie, bis die Alte wimmerte.

»Freu dich,« drängte er, als könnte er sogar Wärme und Neigung befehlen.

Wieder jener verzweifelte Blick der Leere und dann unter Scheu und Zögern:

»Ich weiß nicht mehr, wie es tut.«

Da quoll sie endlich hervor, die herabgewürgte Wut einer Vergessenen, da entlud sich das dumpfe Leid, keinen Anteil zu haben an dem, was der Leib in Schmerzen gebar. Und doch, der kluge Menschenverstand des Fischerweibes bedeutete ihm sogar noch zu dieser Frist, daß dies alles nach der Ordnung der Dinge wäre, weil der Fischerkittel niemals erhorchen könne, wie es unter dem Herrenwams hämmere, weil die Engnis der Sassenhütte unmöglich das Gedränge der Welt zu erfassen vermöge, und nicht zuletzt, weil die Jugend von jeher vom Alter fortstrebe wie Störche und Stare, wenn sie die Kälte spüren.

Alles längst ganz vernünftig überlegt. Aber jetzt, wo ihr das Fremde nahe gerückt war, da wehrte sie sich erbittert gegen ihr Geschick und schüttelte hartnäckig den Kopf. In der Stille, die sich einschlich, stand der Heimgekehrte verfinstert neben der Esse. Und siehe da, er hatte seinen Knaben an die Hand genommen, als müsse er jemand nahe wissen, der sich zu ihm rechnete, einen Bürger aus jener Welt, die noch ungeschaffen hinter Kreisen tanzenden Lichtes schlummerte.

Auch die Alte blickte forschend auf das hellglänzende Haar des Jünglings, auf die biegsame Gestalt und auf die ausladende Weichheit der Hüften. Abermals wiegte sie argwöhnisch das Haupt. Über die Wangen des jungen Dänen aber schoß eine feurige Glut. Sie rührte nicht von den brennenden Buchenklötzen des Herdes her. Es war das erstemal, daß Linda, seit ihrem tiefen Fall, wieder einem ehrbaren Weibe gegenüberstand. Sie fror.

Da rührte sich ihr Herr. Das Leuchten war aus seinen Zügen entwichen, dafür beherrschte ihn gänzlich jenes kurze, rücksichtslose Zugreifen, das die meisten Dinge kaum einer Prüfung für wert erachtete.

»Was weißt du von mir?« warf er der Alten hart und sachlich zu. Die stand und verfolgte aufmerksam, wie der Riese den schwarzen Mantel über den Tisch schleuderte. Es schien also, als wollte ihr Sohn noch länger weilen. Um die geschlossenen Lippen des Weibes zuckte es.

»Die Leute sprechen viel,« überwand sie sich endlich.

»Was?« forderte der Störtebecker allmählich gereizt ob ihrer sprechfaulen Störrigkeit.

Da geriet etwas mehr Leben in die Erstarrte. Gerader richtete sie sich auf, bis sie endlich gestrafft vor dem Wartenden stand, wie in alten Tagen, sobald ihr hitzig Wort oder ihre strafende Hand irgendeine Verfehlung an dem schwer lenkbaren Jungen sühnen wollte.

»Ist es wahr,« erkundigte sie sich schon mit zitterndem Abscheu in der Stimme, »daß du die große Stadt Bergen verbrannt hast?«

War es das Aufflackern des Feuers allein, in das der Freibeuter eben mit aller Wucht die Zange hineinstieß, wodurch seine kühnen Züge so gräßlich verzerrt wurden? Einen wilden Blick des Einverständnisses, des Hohnes, der ohnmächtigen Raserei warf er seinem bebenden Licinius zu, dann ließ er sich auf die Herdbank sinken und riß sich gewaltsam ein hämisches Lachen aus der Brust.

»Wahr,« rief er in widersinniger Freude über das Entsetzen, das er entfesselte, »was weiter? Die Fackeln, die die Welt erleuchten, riechen oft nach Menschenfett!«

»Ach du Barmherziger, vergib uns unsere Sünden,« stöhnte die Mutter geistesabwesend und schlug im Jammer um eine untergegangene Menschheit beide Hände vor ihr Gesicht. Jedoch nicht lange, denn gleich darauf schreckte sie auf, um geschäftig ihre Finger unter dem Brusttuch zu verbergen. Alle ihre Bewegungen malten deutlich die Angst, auch sie könnte irgendwie durch Asche, Blut und Unrat besudelt worden sein.

»Was willst du?« wehrte ihr Sohn den stummen, unbequemen Angriff ab. »Gib uns was zu zehren.«

Die Fischerfrau hörte nicht, sie streckte vielmehr den Arm gegen die Fensterluke, als könnte sie durch sie hindurch auf die verbrannte Stadt deuten, denn die verkohlten Sparren zeichneten sich für sie zackig gegen die Nacht ab.

»Bin nur dumm und ungelehrt,« beharrte sie mit dem Starrsinn des Bauernmenschen, »deshalb sage mir, warum du das verübt hast.«

Da griff sich der Störtebecker an die Kehle, als könnte er in diesem dumpfen Loch keinen einzigen freien Atemzug mehr gewinnen, ein Ringen war's, das den Krämpfen des alten Claus Beckera ähnelte, dann aber riß er sich plötzlich in Wut die Goldkette vom Halse und schleuderte sie mitten auf den Ziegelboden, daß sich ein sprungartiges Reißen und Klirren erhob.

»Nimm,« schrie er in der verworrenen Meinung, sich loskaufen oder den unbegreiflich drohenden Mund des Weibes schließen zu können. »Was gehe ich dich an? Aber es ist nicht wahr, daß nur von weißen Lämmern das Gute in die Welt gebracht wird. Schau mich an, saufe das Blut fuderweis und will doch hoch hinaus. Weib, Kain und Judas waren gar große Herren. Die Befreiung geht oft durch das Übel.«

Weit streckte er die Füße von sich, stützte die Fäuste hinter sich auf die Bank und horchte in Qual und Fieber darauf, ob diese Alte nicht doch, wie alle anderen, vor ihm zusammenbrechen würde. Mutter Hilda aber schritt schweigend an den Tisch, dort zog sie ernsthaft ein langes Kreuz in die Luft und sprach beschwörend:

»Ich will meine Hütte scheuern, wenn du geschieden bist. – Nur noch eines, damit ich doch sicher weiß, von wem du stammst? – Bist du's, der wehrlosen Weibern Gewalt zufügt?«

Dicht neben der Esse entfärbte sich das Antlitz des jungen Dänen, er versuchte mit erhobenen Händen den Feldstein abzuhalten, der ihm wuchtig gegen die zarte Brust flog, allein er brachte es nur zu einem unverständlichen Flüstern. Mühsam, taumelnd wollte er sich gegen die weißhaarige Richterin schleppen, jedoch bevor er noch eine einzige Bewegung ausführen konnte, da pfiff ein kalter Wind zur Tür hinein, und auf der Schwelle erschien eine zierliche Gestalt, die verbeugte sich artig und schwenkte in übertriebener Höflichkeit die Kappe.

»Heino,« jauchzte der Störtebecker, sprang ungläubig von seinem Sitz und dabei griff er mit den Armen in die Luft wie ein Schwimmer, der mit ein paar letzten verzweifelten Stößen schweres, fauliges Sumpfwasser zu durchbrechen sucht. Vergessen war das zermürbende Ringen, der abscheuliche Kampf gegen das, was einst nahe seinem Herzen wuchs, abgestreift, als lächerlich erkannt das Anrennen gegen die bröckelnden Ruinen einer dummen, verfrömmelten Zeit. Sturmwind sauste zur Tür herein, er würde die wankenden Mauerreste von selbst umwerfen, Sturm jagte die Lappen und den dicken Qualm in der Hütte auseinander, und der dort an der Schwelle, der die Windsbraut hereinließ, er war nur einer seiner ausgeschickten Gedanken, die von nun an das verrunzelte Antlitz des Geschaffenen verjüngen und veredeln sollten.

»Heino,« schrie er seiner selbst nicht mächtig und packte seinen Kundschafter an der Schulter, daß der Kleine wankte. »Sendling meiner liebsten Hoffnung, bringst du mir und dir und all den Verschmachteten die Vernunft, die Ruhe und den Frieden? Werden wir Brüder sein? Oder müssen wir einander weiter morden?«

 

In der Hütte verflog der Atem des Lebens, selbst das strohblonde Kerlchen rang unter den Fäusten des Zitternden nach Fassung. Und seine schrille Stimme drang allen Hörern durch Mark und Bein, als sie sich spitz und schneidend aufschwang:

»Dein Wille und dein Name haben gesiegt, Claus Störtebecker. Die Edelinge der Friesen wollen mit dir handeln um Land und Niederlassung. Deine Hoffnung erfüllt sich, das Tor springt auf, du kannst einziehen als der Fürst der Hungernden und dein Reich der Brüder begründen.«

Einen Augenblick verstummte der fürstliche Mensch, eingehüllt in eine goldene Wolke, ernsthaft und doch beinahe kindlich in einen fernen Feiertag lauschend. Doch schnell und fast ohne Übergang griffen die Dinge des Tages nach dem für die Erde Geborenen. Das frostige Elend der Hütte, die zersprungenen Ziegel des Estrichs und am meisten die dumpfe Verständnislosigkeit in den zerwühlten Zügen seiner Erzeugerin, sie rissen ihn aus dem Tanz der Lüfte und offenbarten ihm klar und streng, daß von jetzt an nur nüchterne Werkzeuge wie Spaten und Pflug, den ersehnten Schatz aus den Schollen schürfen würden.

Ungestüm warf er sich den Mantel um, dann blickte er noch einmal aufmerksam in der trübe verqualmten Engnis umher, bis er ruhig und gelassen vor Mutter Hilda treten konnte.

»Wir gehen zu Schiff,« nahm er von ihr Abschied. »Lebe wohl, Weib. Entweder du und deinesgleichen ziehet mir eines Tages nach, oder deine sündige Frucht mag im Gedächtnis der Menschen faulen!«

Die Hütte stand leer, in Sturm und Nacht waren die Gespenster des Aufruhrs verschwunden.

Da stieß Mutter Hilda nach einigem Besinnen einen Eimer Wasser um und begann, wie sie versprochen, die Stelle, wo ihr Einziger gestanden, zu scheuern!

Das vierte Buch

I

»Wer seid ihr, ihr glatten Dirnen?« staunte der Störtebecker das glitzernde Frauenvolk an.

In der einsamen Ley-Bucht schlich die »Agile« vorsichtig zwischen den grünen Watten hindurch, die der Einfahrt von Marienhafen an der ostfriesischen Küste vorgelagert sind.

Schon konnte der verlangende Blick des Schiffslenkers, denn der Admiral stand selbst am Heck, die braunmoosigen Dächer des kleinen Hafenortes aus den Marschen emporwachsen sehen, schon läuteten von rechts und links die Glocken der weidenden Kühe über die schmale Fahrtrinne, da wurde die »Agile« von diesen übermütigen, Kurzweil suchenden Schwimmerinnen umzingelt, eingefangen und umtanzt. Rudernde Arme schnitten durch die Flut, helle Leiber blitzten, ein jauchzender Reigen bildete sich, und siehe da, tief unten, auf das ungefüge Steuerschwert hob sich bis zur Brusthöhe die Anführerin der Rotte, und ein feuchter Spritzer aus ihrer Hand flog dem Störtebecker ins Gesicht. Der Gleichebeuter jedoch war schon vorher geblendet. Die kecken braunen Augen unter den nassen Goldflechten, das Wunder der Nacktheit betörten ihn, so daß er in seiner glücklichen Habsucht für einen Herzschlag sich, seinen Zweck und den Sinn seiner ernsten Fahrt vergaß. Völlig behext warf er sich über die Brüstung der Galerie, ganz an den unmöglichen Versuch verloren, aus dieser Höhe den Seespuk für sich einzufangen.

Da lachte es frisch von unten herauf, weiße Zähne enthüllten sich, und eine unerschrockene Stimme rief:

»Bist du nicht der Störtebecker? Der Schuimer, der hier ein ganz Land stehlen will?«

»Der bin ich,« gab der Admiral schwer atmend zur Antwort, denn von der tiefen Beugung war ihm das Blut gewaltsam in Stirn und Wangen gerollt. »Warum aber läßt du dich nicht fischen? – Wer bist du?«

»Ich?« höhnte es von unten und zugleich ließ es sich von dem Brett herabfallen. »Hier wirst du nichts fangen, Gleichebeuter. Ich bin Eala, frya fresena.«

Es war das Losungswort der alten freiheitsdurstigen Gaue, in die der Störtebecker eben einfuhr. Im nächsten Augenblick huschten und ruderten die Mädchen schon von allen Seiten dem Schiffsungetüm aus der Nähe, und bald hatte ein hohes Binsengestrüpp, das auf einer Landzunge weit in die Bucht hineinschnitt, den Schwarm jeder Verfolgung entzogen.

Wohlig reckte sich der Störtebecker, kam zu sich, und da ihm zuerst sein Knabe in die Augen fiel, der düster und von ihm abgekehrt weit über die sich neigenden und schwirrenden Wiesen starrte, so schlug er ihm derb auf die Schulter und rief noch ganz erfüllt von dem unerwarteten Gruß:

»Welch schönes Land! Welche Freuden erwarten uns hier! – Geh, fange keine Grillen, Licin! Laß uns das freundliche Vorzeichen vielmehr annehmen. Wie sagte das Ding? Eala, frya fresena!«

Und er breitete in der weichen Herbstsonne beide Arme aus, als ob seine Brust und die näher rückenden Weiden miteinander kosen sollten.

Warum aber konnte sich der Knabe seiner schweigsamen Versunkenheit nicht entreißen? In ihm zitterte etwas, wie wenn ein feines Glas einen Sprung erhält. Enttäuscht, blaß, verängstigt hatte er das nackte Treiben um das einfahrende Schiff beobachtet. Und sein sehnsüchtiger Glaube sträubte sich erbittert gegen den Widerspruch zwischen der Heiligkeit seiner Erwartungen und dem leichtfertigen Schauspiel, das hier ihren frommen Einzug begleitete. Zum erstenmal, seit das sich entfremdete Weib dem gepanzerten Heiland folgte, wie Linda ihren Bezwinger ergebungsvoll getauft hatte, wurde sein Bild durch Vorstellungen ihres früheren Daseins verdrängt. Weit öffneten sich ihre Augen für etwas Altgewohntes und doch längst Entfremdetes. Über die saftigen Wiesen der Marschen sah sie hinter einer Schmetterlingswolke einen Wanderer ziehen. Er trug weißes Gewand, dunkle Locken fielen ihm tief über die Schultern, ähnlich wie sie es auf dem Bilde des Giotto geschaut, und der Mann streckte seine Hände über die Häupter von Krüppeln und Bresthaften aus, die am Wege auf ihn lauerten. Nur ganz hinten, im Wesenlosen des feuchten Brodems, folgte ihm eine Schar zaghafter Frauen. Toller gaukelten die Falter, die Erscheinung verging und kehrte zurück. Verstrahlte und leuchtete wieder auf.

Was bedeutete das?

Linda zitterte und schloß die Augen. Furcht hinderte sie, noch mehr wahrzunehmen.

»Eile, Licinius,« schrie der Störtebecker, der weiten Schrittes über Deck wandelte, dazwischen. »Laß der Mannschaft Wein austeilen. Und du selbst fliege zu mir, mein Büblein, damit wir uns gütlich tun.«

Der Turm an der Hafenmündung rückte heran, Boote begannen das Fahrzeug zu umkreisen, der Lärm der Werkstätten und der Arbeit meldete sich, und die »Agile« warf Anker.

Bis in den späten Nachmittag hinein stieß die Brust der mächtigen Führerkogge ein einziges Jauchzen aus. Angefeuert vom Wein, berauscht durch die gar nicht faßbare Aussicht auf unangefochtenes Bürgerleben, jubelte, sang und pfiff die Mannschaft, sie säuberte und wusch sich, als ob es zum Tanz ginge. Ja, der Ire Patrick O'Shallo, der mit fünf der schmucksten Burschen auserwählt war, die schweren Geschenktruhen in das nahe Häuptlingsschloß zu schaffen, er ließ sich von dem Hebräer Isaak einen metallenen Spiegel vorhalten und kämmte in inniger Befriedigung sein langes gelbes Haar. Zum Schluß steckte er sogar ein Heidekrautbüschel, das ihm von einer kleinen rotröckigen Friesendirn über Bord zugeworfen war, an die lederne Kappe, und während er vor geschmeichelter Eitelkeit einen Luftsprung tat, biß er dem Juden zärtlich in die Wange.

»Jetzt freie ich,« flüsterte er hingerissen, »und gib acht, Mauschel, wie oft du bei mir Gevatter stehen wirst.«

Aus den Augen des alten Juden aber antwortete ein Fieber. Inbrünstig, mit einem unheimlichen Verlangen verschlang er das nahe Land, und zuweilen blickte er fassungslos in den goldroten Abendduft, als wäre dies ein anderer Himmel, wie er sich sonst nirgendwo über Menschen und Ansiedlungen ausspanne.

Auch in der Admiralskabine hallte es von Frohlocken und Liedern wider. Dort ließ sich der Störtebecker von seinem Knaben sorgsam Stück für Stück seines blauen Prunkgewandes anlegen. Und obwohl er dabei oftmals die Verträge durchstöberte, die vom Hauptmann Wichmann sauber aufgesetzt waren, so behielt er doch immer noch Zeit, seinem sanften Helfer übermütig das Haar zu zausen oder ihm sogar einen neckischen Backenstreich zu versetzen. Keineswegs merkte er dabei, daß es ein Weib sei, das er in Verwirrung bringen könnte, und auch Licinius versah seinen Dienst in einer glücklichen Ferne und schreckte nur zuweilen empor, wenn ihm sein Gebieter die Hand um die Kehle legte, dazu beteuernd:

»Büblein, dir soll es gut werden. Magst du beten, wohlan, ich will dir eine Kirche bauen. Willst du jagen, du sollst Hunde und Falken haben. Nur lache und sei vergnügt. Wie jetzt.«

Und auf den Lippen des stets Bereiten erschien ein folgsames Lächeln.

Ja, in dieser ersten Stunde war die »Agile« in den offenen Himmel eingelaufen.

Die Flut strömte schon mit dem licht aufsteigenden Monde in den Hafen zurück, als vor dem auf Deck wartenden Admiral zwei Reisige der Häuptlingswitwe Fölke then Broke erschienen. Sie brachten ihm den Geleitbrief zum Ritt nach der von ihrer Warfe8 düster und schwer herabdrohenden Steinburg, und die beiden Kerle in ihren langen pelzbesetzten Röcken und den röhrenartigen schwarzen Filzhüten stützten sich im Gefühl ihrer altererbten Freiheit furchtlos vor dem mächtigen Seebeherrscher auf ihre Spieße, ohne auch nur im geringsten Miene zu machen, ihre Häupter zum Gruß zu entblößen.

»Die Fölke gibt dich in unseren Schutz,« meldeten sie in ihrer kargen breiten Sprache.

Aufmerksam maß der Störtebecker die beiden Hochgewachsenen. Das ganze Volk in seinem sicheren Kraftbewußtsein schätzte er nach diesen ersten Boten ab, und ein heißes Wohlgefallen überkam ihn, als er daran dachte, welche ruhige Würde, welche natürliche Selbstachtung die Freiheit verlieh.

Ganz in der Nähe winkte wohl doch das Land der Menschen.

»Wir nehmen den Schutz der Fölke an,« sprach er deshalb mit weniger Spott, als er beabsichtigte. »Kommt, Burschen.«

Vielleicht hatten die Reisigen einen schweifenden Seeräuber zu finden gemeint, einen Angehörigen jener Friedlosen, mit denen man wenig Umstände machte, die fürstliche Weise dieses Mannes jedoch brachte sie außer Fassung. Vor ihre Füße rollten ein paar Goldstücke. Der Admiral, nachdem er sich zum Gehen gewendet, hatte sie ihnen hingeworfen, wie man Hunden den Fraß streut. Bereitwillig bückten sich die Spießträger und sammelten den ungewohnten Schatz auf, denn auf ihrer mühsam dem Meer abgerungenen Scholle griff man gierig nach Besitz und Wohlstand.

Betroffen hörten sie mit an, wie die große Trommel geschlagen wurde, als der Gleichebeuterfürst, gefolgt von seinem Knaben, über die breite Treppe das Schiff verließ, und sie erschraken mit den anderen Matrosen, da sie wahrnahmen, wie die riesige Gestalt des Anführers gleich beim ersten Schritt aufs Land der Länge nach niederstürzte.

»Was ist dir?« erblaßte Licinius und wollte nach seinem Gebieter greifen.

Der aber wandte ihm sein lachendes Haupt entgegen, sprang auf und reichte ihm eine Krume der eben beschrittenen Erde.

»Tor,« flüsterte er dem Schreckgebannten zu, »merkst du nicht, ich äffe den Makedonen Alexander nach? Ich eigne mir dies Land an. Und dir gebe ich es, du Reiner.« Und in sich gekehrter setzte er hinzu: »Mir ist, als würde ich es behalten, so lange du neben mir wandelst.«

Alles Blut strömte dem Blonden zum Herzen, schreckhaft färbten sich seine Wangen, aber über dem Abendgold des Himmels sangen für ihn doch wieder jene seligen Scharen, die schon so oft um das dunkle, eigenwillige Herrscherhaupt musiziert hatten. Und vertrauter, inniger schmiegte sich der Verstummte seinem Gebieter während des Schreitens an.

Nicht lange.

Dicht neben dem Fluß wurde von einem dritten Knecht ein starker Schimmel gehalten, von jener wohlgenährten Art, wie sie das Brokmerland damals züchtete. Mähne und Schwanz waren von langen bunten Bändern durchflochten, die fast bis auf die Erde hingen, und ein goldenes Blech lag dem Tier dicht um die Stirn.

»Eia,« rief der Störtebecker wohlgelaunt, während er sich in den Sattel schwang, »Frau Fölke weiß, wie man artig schenkt.«

Da lachten die Knechte und raunten untereinander. Bis einer von ihnen sich die schwarze Filzröhre aus der Stirn schob, um sich zu der Auskunft zu bequemen:

»Schlecht kennt Ihr die Fölke, Herr. Noch nie hat sie etwas verschenkt. All ihr Vieh würde hungern, wenn wir es nicht heimlich fütterten. So ist auch dies Roß hier nur geliehen.«

 

»Potz Velten,« rief der Reiter, der inzwischen sein Tier angetrieben hatte, »so will ich ihr die Mähre in Silber aufwiegen. Gehört mir doch für immer, was mir einmal gedient.«

Der Knabe, der den Zügel gefaßt hatte und nun neben dem Schimmel herschritt, hob versonnen den Blick zu seinem Herrn. So zogen sie über die einsamen Wiesenpfade der Burg entgegen.

Auf dem Kastell der Brokes knisterten an den Wänden des langen Saales die Leuchtfackeln. Der Raum war so niedrig, daß ein hochgewachsener Mann, wenn er sich aufreckte, wohl die schmucklosen Bohlen der Fichtendecke hätte fassen können. Manchmal knackten dort oben die von der Kaminhitze ausgedörrten Bretter, als ob jeden Augenblick ein neuer Riß das Holzgefüge sprengen wollte. Ein Frösteln wehte durch die schlecht erleuchtete Halle. Nur mühsam konnte ein Fremder die im Flackerlicht wechselnden Gesichter der Häuptlinge erkennen, die sich hier auf einen Wink der Fölke zur Beratung zusammengefunden hatten. Wohl waren sämtliche dieser kleinen Burgherren seit Geschlechtern durch bittere Erbfehde, Blutrache und Zerwürfnis voneinander getrennt, allein ihre Gier nach Vorteil und Gewinn fraß dennoch hitziger als selbst der alte Haß. Gebot doch auch der gute, nachbarliche Neid, daß man den Brokes keinen besonderen Nutzen gönnte, zumal der blutlosen, brandroten Fölke nicht, der man wie einem gefährlichen Gespenst den Namen der »Quade«, das heißt der Bösen, zugelegt hatte. Wahrlich, niemand konnte es den Edelingen von Dornum, Norden und Faldern verargen, wenn sie lieber auf Mord und Brand ausritten, ehe sie auch nur eine Stunde der heimtückisch lächelnden Quade Fölke gegenübersitzen mochten, der Witwe des tollen Occo, von dem sie überdies alle, Freund und Feind, ohne Unterschied betrogen, verprügelt und an Land und Leuten geschädigt waren.

Aber die Quade Fölke war schlimmer.

Man brauchte nur den braungesonnten Propst Hisko van Emden zu fragen, der heute gleichfalls mit den anderen Gästen auf einer langen Bank an der rechten Seite des Saales lagerte, während die Fölke mit ihrer Tochter auf einer erhöhten Estrade an der Mittelwand Platz genommen, der wußte Bescheid, woher der Menschenhaß der Hausherrin sowie ihr Vergnügen am restlos Bösen ihren Ursprung ableiteten. Vor dreißig Jahren schier hatte der Pfaff, obwohl er zu jener Zeit von geistlichen Dingen fast noch weniger verstand als heute, den tollen Occo und seine Braut in diesem selben Saale zusammengegeben. Und damals eben geschah das Unerhörte. Auf die gewohnheitsmäßig hergeleierte Frage nämlich, ob das Weib willig sei, fortan mit dem ehrsamen Ritter einen Leib und eine Seele bilden zu wollen, da hatte sich die blasse Braut endlich unter ihrem friesischen Brustschild geregt, um plötzlich ein schneidendes »Nein« hervorzustoßen. Gleich darauf freilich knallte es durch den Saal. Der Bräutigam hatte seiner Verlobten eine Maulschelle geschlagen, daß die Betäubte ihren silbernen Hauptschmuck verlor. Eilig war dann die halb Ohnmächtige getraut worden, wenn auch der in Aufruhr geratene Hochzeitsschwarm genau wußte, warum die Braut sich noch zur letzten Frist so verzweifelt gesträubt hatte. Lag doch zur nämlichen Stunde in einem Turmloch die Lieblingsmagd des jungen Eheherrn, die er nicht von sich lassen mochte, in den letzten Wehen, und als unten zur Mitternacht die Burgfrau von einem Bezechten aufs Hochzeitslager gestoßen wurde, schrie auf dem Turm bereits ein Bastard. Seitdem war die brandrote Teufelsschönheit der neuen then Broke von dem wilden Occo unzähligemal gemißhandelt und verwüstet worden, und so oft sich zur Nachtzeit auf der Burg bis in die spätesten Jahre hinein ein Kreischen und Wimmern vernehmen ließ, dann lachten die Umwohner und sagten:

»Herr Occo geht auf die Freite.«

Nun aber war der Kraftstrotzende schon lange still geworden. Zu Aurich moderte er unter einem gesprengten Wachtturm, denn in einer der Fehden hatte er seinen letzten Gang getan. Die Leute in Marienhafen aber erzählten, daß sich auf die Kunde seines Endes die Fenster der Brokeburg festlich erleuchteten und wie man eine wüste Frauenstimme in greulichem Jubel bis in den Morgen hätte singen hören.

An dieses Nest einer hornigen Kröte, die ihre ganze Seligkeit darin fand, ein zehrendes Gift in sich zu sammeln, klopfte an dem windigen Herbstabend des Jahres 1399 der Störtebecker, ein Mensch, der wie eine Sonne über dem Glück von Unzähligen aufgehen wollte.

Er trat herein, den Arm um die Schulter seines Knaben geschlungen, gefolgt von den beiden Spießknechten, und als der Riese in dem blauen Fürstenwams, leuchtend vor Gold und Selbstbewußtsein, in dem halbdunklen Saale stand, da verstummte auf einen Schlag das laute Gezänk der Junker, und über ihre Häupter hinweg fuhr ein heller, silberkehliger Ruf. Ein Gruß, so frisch und übermütig, wie er dem gefährlichen Gast ursprünglich kaum zugedacht war. Wer konnte in diesem Kreise so unbedacht sein Wohlgefallen äußern?

Es war eine Frauenstimme.

Spürend, witternd rückte die Fölke auf ihrem erhöhten Sitz zur Seite. Griesgrämig musterte sie ihre schöne Tochter Occa, die sich eben derart auffällig vergessen. Aber als die Alte zu ihrem Erstaunen auffing, wie die Goldblonde neben ihr fortgesetzt ihr feines, von einem roten Haarnetz umspanntes Haupt zu neuen Grüßen gegen den Fremden neigte, fast als ob sie einen längst Bekannten auf sich aufmerksam machen müßte, da ging ein befriedigtes Greinen über das blutleere Antlitz der Quade, und in der Überzeugung, daß sich hier vielleicht Unheil, Verirrung und Sünde unter der heißblütigen Jugend entspinne, wickelte sie ihren dürren, stockartig aufgerichteten Leib fester in das verschossene graue Fältelkleid, um den Gleichebeuter mit einer harten Männerstimme anzuherrschen:

»Mach's kurz. Was willst du?«

Damit zog sie unter ihrer gelben Lederkappe ein graurotes Haargezottel hervor, drehte es sich fest um den Finger, schlug ein Bein über das andere und wartete.

Der Störtebecker aber starrte sie fast mitleidig an. Nach den Schilderungen des Hauptmanns Wichmann hatte er auf dem Regentenstuhl des Brokmerlandes ein gefährlich Wesen vermutet, eine ansteckende Krankheit, der man ausweichen mußte. Diese armselig gekleidete Auszehrung dagegen, aus deren erschreckend verkümmertem Antlitz nur ein Paar merkwürdig blutige Lippen hervorstachen, sie schien höchstens einem Bettelweib vergleichbar, das verbittert nach Almosen schielte. Aber sieh dort – neben dem Gerippe? Beim Zeus, wie kam dies liebreizende Gebilde neben das Klapperbein? Welche kaum erwachte Jugend, welch ein ungesättigtes Locken in den braunen Schelmenaugen, und vor allem welch ein wohliges, ungescheutes Darbieten hinter dem weiten Brustausschnitt. Wahrlich, hier wollte ein goldroter Apfel vom Baume fallen.

Ungeduldig tat die Fölke ihre brandigen Lippen auf.

»Wir warten,« fingerte sie auf ihrem Faltenrock vorwurfsvoll herum. »Sage, Gleichebeuter, willst du hier noch länger Maulaffen feilhalten? Offenbare kurz, was dich herführt.«

Da trennte sich der Freibeuter von seinem Gefährten, reichte ihm den schweren Helm, so daß sein braunes Gelock sichtbar wurde, und anstatt sich vor der Brokmer Herrin zu verbeugen, lachte ihr der Zügellose jetzt gerade ins Gesicht.

Es war der rechte Ton für die derben, ungeleckten Burgtyrannen. Schadenfroh traten sie näher. Auch die schöne Occa beugte sich weiter vor, damit ihr jetzt keine Bewegung des Fremden entginge.

»Du bist bei Laune, Frau Fölke,« spottete der Störtebecker von unten herauf, indem er einen Fuß kräftig auf die Stufe stellte. »Was kümmert es mich, ob die Junker wissen, daß du mit meinem Abgesandten längst einen Vertrag aufsetztest? Wozu hast du mich sonst eingeladen, da ich doch nicht um Botenlohn durch die Welt laufe?«

Hätte der Umstürzler durch eine Feuerwaffe die mürbe Decke zum Einstürzen gebracht, nicht drohender und wilder hätte das Geschrei unter den Edelingen umherfahren können. Der Argwohn, die schlaue Fölke könne von dem fetten Braten bereits das Hauptstück abgeschnitten haben, erregte die eigennützigen Männer zu höchstem Zorn.

8Hügelerhöhung.