Die Rhetorik-Matrix

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3. Drei wichtige Instrumente der neurolingualen Intervention



a) Priming



Die Erkenntnis, dass unser unbewusstes System 1 mit Plausibilität und auch Assoziationen intensiv arbeitet, führte in der Psychologie zu mittlerweile berühmten und auch allgemein anerkannten Experimenten, in denen reproduzierbar wissenschaftlich beschrieben und belegt wird, wie man auch mit Rhetorik auf das Unbewusste unmittelbar einwirken kann.



Einen wesentlichen Prozess nennt man „Priming“ (vgl. Eagleman, Inkognito, S. 79ff., S. 110ff.; Kahneman, S. 72ff.): Ein Redner spricht ein bestimmtes Thema an – dann formuliert das Unterbewusstsein des Hörers dazu sofort Assoziationsketten, die zu messbaren und vorhersagbaren Ergebnissen in seiner Reaktion führen. Ein einfaches Experiment kann diesen Prozess veranschaulichen. Ich nenne Ihnen den Begriff „Essen“ und bitte Sie dann, folgenden Leertext zu ergänzen: „S…e“. Fast niemandem würde jetzt als Lösung „Seife“ einfallen, die meisten Testpersonen assoziieren „Suppe“. Sie sind also durch das „primäre“ Ausgangswort in ihren Assoziationen gezielt unbewusst „geprimt“ worden (vgl. Kahneman, S. 72).



So wurde etwa eine Versuchsgruppe dazu gebracht, sich mit dem Thema „Altern“ in einer bestimmten Situation zu beschäftigen. Der Versuch brachte den klar messbaren Effekt, dass sich die Probanden danach langsamer fortbewegten als eine Vergleichsgruppe, die sich mit derselben Situation beschäftigten, ohne dass das Altern dabei eine Rolle spielte (s. dazu auch Wehling, S. 37f.). Allein die Reihenfolge zweier Fragen an Probanden führt zu geradezu unglaublichen Ergebnissen:





Erste Frage: Wie glücklich sind Sie zurzeit?



Zweite Frage: Wie viele Verabredungen hatten Sie im letzten Monat?





Wenn Sie diese beiden Fragen vertauschen und zuerst nach der Zahl der Verabredungen fragen, denken bildhaft gesagt zwei Drittel der Probanden tatsächlich, sie seien glücklicher, je mehr Verabredungen sie hatten (gleichgültig wie sie verliefen). Unser assoziativ arbeitendes Unterbewusstsein (System 1) ist also für das Angebot des Redners für Assoziationen nachweislich empfänglich – ohne dass dies je dem „Überwachungssystem 2“ bewusst wird. Im Gegenteil: System 2 lässt sich von System 1 geleitet auf diesen Holzweg weiterführen!



Wer etwa Zuhörer in einer Rede assoziativ auf die positiven Eigenschaften von Geld bringt, löst messbar folgende Effekte aus: eine egoistischere Einstellung, weniger Hilfsbereitschaft und Solidarität, mehr Tendenz zum Individualismus (s. dazu eingehend Kahneman, S. 75ff.). Wer Zuhörer mit vertrauten Erfahrungen, Beispielen bekannter Persönlichkeiten oder plausiblen Assoziationen anspricht, dem glaubt der Zuhörer mit erhöhter „kognitiver Leichtigkeit“ auch nachfolgende Behauptungen des Redners: Damit haben Sie einen Wirkmechanismus verstanden, der die Macht von Zitaten zuvor genannter bedeutender Persönlichkeiten erklärt.



Die Macht eines Zitates



a) Standardsetting: Der Redner liest



„Es gibt nur eines, was teurer ist als Bildung – keine Bildung.“ (John F. Kennedy)



b) Intervention: Der Redner liest



„John F. Kennedy formulierte einmal zum Wert von Bildung: ‚Es gibt nur eines, was teurer ist als Bildung – keine Bildung.‘“





Indem Sie zuerst den Autor des Zitates nennen, führt dessen enorme Bekanntheit und Wertschätzung dazu, dass der rhetorische Effekt für das Bewusstsein messbar höher wird (sogenannter Mere-Exposure-Effekt, vgl. Kahneman, S. 89ff.).



Aber diese Effekte wirken auch umgekehrt – sind also

reziprok

 in Richtung auf den Redner selbst: Wenn das bewusste System 2 beim Redner gezielt die Körpersprache positiv beeinflusst, also eine positive Stimmungslage etwa durch (situationsangemessenes) Lächeln oder gute Laune erzeugt, dann bewirkt dies auch beim Zuhörer eine positive Stimmungslage, die die kognitive Akzeptanz des Gesagten und die intuitive „Leichtigkeit“ begünstigt. Dasselbe gilt „selbstinduktiv“ aber auch für den Redner selbst; auch seine Stimmung verbessert sich spürbar (vgl. Kahneman, S. 81f., S. 84).



Vor diesem Hintergrund gewinnt das alte chinesische Sprichwort eine ungeahnte Aktualität: „Wer nicht lächeln kann, soll kein Geschäft aufmachen“ (Achtung: Autor vor Zitat – jetzt sind Sie mir mit dem eingesetzten Mere-Exposure-Effekt auf den Leim gegangen …).



Allerdings möchte ich hier eine Warnung anbringen: Die sogenannten Priming-Effekte führen zwar statistisch nachweisbar zu verändertem Verhalten. Das muss allerdings im Einzelfall nicht gelten. Wie so oft können wir uns daher nicht blind und gesetzmäßig auf automatisch ausgelöste Effekte verlassen. Deswegen seien Sie vorsichtig, wenn man Sie glauben machen will, man könne quasi automatisch „linguistisch programmieren“ oder manipulieren (vgl. Kahneman, S. 77ff.). Aber schon eine kleine Steigerung Ihrer positiven rhetorischen Effizienz mithilfe einiger bewusst eingesetzter einfacher Mittel kann, im Zusammenspiel mit anderen Faktoren, Ihre Überzeugungskraft als guter Redner deutlich verbessern.



b) Ankern



Die Wirkungsweise des Priming-Effektes führt zu einem weiteren Wirkfaktor, der gerade bei Verkaufsansprachen enorme Bedeutung hat und auch auf andere Redearten ausstrahlt. Es handelt sich um das Phänomen des sogenannten „Ankerns“, das wir sogleich an einem belegten Fall betrachten (vgl. auch Fälle nach den Vorgaben von Northcraft/Neale bei Kahneman, S. 157ff.; s.a. Kitz/Tusch, Psycho? Logisch!, S. 98ff.):



Ein Immobilienhändler, der ein Immobilienprojekt vorstellt, erwähnt scheinbar beiläufig ein vergleichbares Projekt und die dabei erzielten Konditionen – gezielt mit einem Preisaufschlag von ca. 15 Prozent. Verblüffenderweise wird in den darauf folgenden Verhandlungen dieser Wert eine Orientierungsfunktion haben, die geeignet ist, den angestrebten Preis nach oben in diese Richtung zu verhandeln. Auch hier erleben wir unmittelbar einen erstaunlichen Effekt: Das bewusste System 2 glaubt völlig rational die wertbildenden Faktoren für ein Immobiliengeschäft ohne fremde Einflüsse zu ermitteln. Und dennoch arbeitet es auf der Grundlage von Assoziationen und Informationen, die es unbewusst aus den im System 1 dazu laufenden Erkenntnisprozessen abruft. Da auf jeden Fall System 1 unbewusst den vom Verkäufer aufgerufenen Preis registriert und verarbeitet hat, orientiert sich das „Entscheidungskonvolut“, mit dem System 2 letztlich weiterverhandelt, tatsächlich in die Richtung des angesprochenen Preises – solange er plausibel klingt; ja manchmal selbst dann, wenn er völlig überhöht erscheint.



Ein anderer nachweislicher Fall, der unglaublich erscheint: Ein Jahrmarktverkäufer preist ein echtes Sonderangebot von Fertigsuppen in besten Worten an. Gleichzeitig erwähnt er, dass es nur maximal 12 Dosen pro Kunde gebe. Im identischen Vergleichsfall wird die Rationierung nicht erwähnt. Das Resultat ist bemerkenswert: Im ersten Fall hat der Verkäufer dem System 1 der Kunden einen dramatisch wirkenden Anker gesetzt: Rationierung. Daraus schließt das unbewusste System 1 auf eine gewisse Dringlichkeit. Konsequenz: Es werden doppelt so viele Dosen erworben wie ohne den Anker! Wissen Sie jetzt, was der Hinweis auslöst „Solange der Vorrat reicht“? (Kahneman, S. 160)





In vielen Experimenten hat die Psychologie die Wirkmächtigkeit derartiger Anker herausgearbeitet – die natürlich auch in Reden ohne weiteres Anwendung finden können. Hier ein zugegebenermaßen fieses

Beispiel

 dafür (SZ vom 18.2.2016): „2015 hatten wir etwa 1 Million Zuwanderer. Es ist eine Tatsache, dass sich die Zahl der Straftaten durch Zuwanderer verdoppelt hat – auf über 200000 Straftaten“ – der hier gesetzte Zahlen-Anker bezieht sich auf die von der Presse völlig korrekt wiedergegebene Zahl der

Straftaten aller Zuwanderer insgesamt

, die das Bundeskriminalamt bekannt gab. Eine – natürlich nur stichprobenartige – Erhebung unter meinen Studierenden erbrachte als Ergebnis, dass diese weit überwiegend davon ausgingen, dass

jeder fünfte neue Zuwanderer

 2015 straffällig wurde – obwohl sich die Zahl der Straftaten auf die Gesamtzahl der Zuwanderer in Deutschland bezog: Die Kriminalitätsrate lag daher faktisch nicht einmal ein Viertel so hoch! Gleichwohl wirkte die angebotene Zahl als glaubwürdig dergestalt, dass niemand auch nur ansatzweise dieses Zahlenverhältnis in Frage stellen wollte.



Die Macht des unbewussten System 1 und seine massiven und permanenten Auswirkungen auf das bewusste System 2 werden dabei nach allgemeiner Meinung der Psychologie von den meisten Menschen völlig unterschätzt (vgl. Kahneman, S. 162). Dies ist eine wichtige Chance für eine effizienzorientierte Rhetorik, um hier erneut wirkungsvoll zu punkten. Wer Anker setzt, hat den Hörer an einem Haken, der unsichtbar ist und daher umso einflussreicher sein kann!



c) Framing



Die beiden Phänomene von Priming und Ankern zeigen, wie das unbewusste System 1 bereits durch wenige vorgegebene Informationen beeinflusst werden kann, die ein Redner bzw. Gesprächspartner bewusst vorgibt. Dies lässt den Schluss zu, dass auch ganze „Gedankenrahmen“, die von einem Redner vorgegeben werden, das Denken des Zuhörers, insbesondere über sein unbewusstes Assoziationssystem, aktiv beeinflussen können (s. dazu auch Bechmann, Sprachwandel – Bedeutungswandel, S. 270ff.). Das zentrale Ergebnis einer Studie dazu ist bei Elisabeth Wehling nachzulesen (vgl. Wehling, S. 76, nach Zhong/Liljenquist). Zwei Versuchsgruppen mussten einen Text Wort für Wort abschreiben:



Der Text der einen Gruppe handelte von einer guten Tat – jemand hatte einem Kollegen geholfen. Der Text der anderen Gruppe dagegen behandelte eine schlechte Tat – jemand hatte gegen seinen Kollegen intrigiert. Danach sollten die Teilnehmer angeben, wie sehr ihnen bestimmte Produkte gefielen. Und um solche Produkte ging es: Zahnpasta, Seife, Glasreiniger, Desinfektionstücher, Waschpulver, Orangensaft, Batterien, Post-It-sticker, CD-Hülle, Snickers und einiges mehr. Sie ahnen es schon: Diejenigen Teilnehmer, die eine schlechte Tat hatten abschreiben müssen, stuften die Reinigungsprodukte als viel attraktiver ein als jene, die von einer guten Tat geschrieben hatten.

 



Auslöser war ein assoziativer Frame: Moral wird mit Reinheit weitgehend gleichgesetzt und assoziiert. Die Folge der Assoziation war ein unmittelbarer Einfluss auf das Wahlverhalten der „unmoralischen“ Gruppe: Sie suchte nach Reinigung, natürlich im assoziativen Sinn. In einem vergleichbaren Setting wurden die beiden Testgruppen gefragt, ob sie bleiben und unentgeltlich einen Studierenden bei einem Projekt unterstützen wollten. Das Ergebnis verblüfft nicht weiter: 70 Prozent der „Unreinen“ entschieden sich, dem Studierenden zu helfen (und sich so zu rituell zu reinigen) – bei den „Reinen“ belief sich dieser Anteil nur auf 40 Prozent (Wehling, S. 77).



Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Beispiele, Zitate, Geschichten können ganze Assoziationsketten auslösen, die das weitere kommunikative Denken des Zuhörers voreinstellen. Man spricht dabei vom „metaphorischen Mapping“ – es werden also regelrechte moralische Koordinatensysteme im Unterbewusstsein angestoßen und ausgelöst, die das weitere Denken und Sprechen sowie das weitere Handeln nachweislich beeinflussen können (vgl. Wehling, S. 77f.). Selbst kontroverse Diskussionen können so gezielt gesteuert werden. Wehling beschreibt unter anderem das metaphorische Framing der „Vertikalisierung“: Gutes/Gott ist oben angesiedelt; Schlechtes/der Teufel unten. Daraus folge, dass Bürger mit viel Vermögen als „Oberschicht“ und damit implizit als „die Guten“ bezeichnet werden, während der Begriff „Unterschicht“ eine eindeutige Stigmatisierung der dazugehörenden ärmeren Mitbürger beinhalte (vgl. Wehling, S. 120). Ähnlich verhält es sich mit den Begriffen „Mindestlohn“ und „Lohnuntergrenze“, mit denen zwei unterschiedliche „Viewpoints“, also linguistisch verschlüsselte Positionierungen zum gleichen Thema gesetzt werden (Wehling, S. 137; s. auch unten S. 83).



Ist ein solcher Rahmen erst einmal vom Redner bewusst gewählt und dann gesetzt worden, so wird er beim Zuhörer zwangsläufig Assoziationsprozesse im Weg der kognitiven Simulation auslösen, die davon beeinflusst werden. Und je mehr der Redner dieses assoziative Gerüst weiter bedient, umso wirksamer wird das aktivierte unterbewusste System 1 dies affirmativ unterstützen: Diese Assoziationen hat es schließlich gelernt und im Unterbewusstsein als Lerneinheit gespeichert. Wer etwa vom „Humankapital“ spricht, der entpersönlicht Diskussionen – Arbeit wird zur rein betriebswirtschaftlich zu behandelnden Ressource. Ist der Einzelne hingegen einer, der für den „Daimler“, „Bosch“ oder andere hart arbeitet – dann belegt er als Malocher oder treuer Arbeitnehmer, dass der Verlust eines Arbeitsplatzes ungemein stärker wirkt als der Begriff vom „Arbeitsabbau“ (vgl. Wehling, S. 139f.): „Wegrationalisierung“ wäre hier eine begriffliche Alternative, die deutlich negativer wirkt. Der assoziative Rahmen kann also bewusst durch solche wertenden Frames voreingestellt werden, was etwa in Podiumsdiskussionen durchaus erfolgsentscheidend sein kann.



Auch zum wirksamen Framing fehlen noch exakte wissenschaftliche Erkenntnisse, die dazu eine ganze Theorie formulieren können. Eines steht aber fest: Wir als „Humans“ lassen uns in unserem unbewussten System 1 massiv durch vorgegebene assoziative Frames in unserem Denken beeinflussen. Wer also für sich in bewusster sorgfältiger Auswahl den richtigen Sprachrahmen, die richtigen Metaphern und metaphorischen Rahmen setzt, kann zu seinen Gunsten einigen Einfluss auf das unbewusste System 1 des Zuhörers ausüben. Dieser Effekt wird sich auch auf das bewusste Denken des Zuhörers sehr subtil auswirken und kann dem Redeerfolg durchaus nachhaltig zugutekommen.





4. Rhetorik für „Econs“ (Vernunftmenschen) oder „Humans“ (Alltagsmenschen)?



Die Rhetorik als Wissenschaft war und ist seit Jahrtausenden darauf ausgelegt, auf den Grundlagen von sittlicher Vernunft, Argumentation und rationaler Entscheidungsfindung die wesentlichen Ziele von Wahrheitsfindung und Überzeugung durch richtiges Reden zu erreichen. Dabei stehen der „Ethos“ des Redners (seine Autorität und Glaubwürdigkeit) sowie der „Logos“ der Rede (die Beweis- und Argumentationsführung) im Vordergrund, wie etwa Aristoteles in seinem Standardwerk „Rhetorik“ ausführt (Aristoteles, Rhetorik, S. 11f.; s.a. Krieger/Hantschel, Handbuch Rhetorik, S. 18). Psychologische Elemente der Redekunst waren zwar bekannt; sie konnten mangels der Kenntnis der Psychologie als Wissenschaft aber nur unvollständig beschrieben und eingeordnet werden: In der Benutzung von rhetorischen Elementen, die das „Gefühl“ beeinflussen sollten, also der rhetorischen Funktion des Pathos, liegt das Hauptfeld dessen, was zwar als rhetorisch wirksam bekannt, aber letztlich nicht in seinen Wirkmechanismen verstanden war.



Die Rhetorik war damit am

Vernunftmenschen

 ausgerichtet – genauso wie die klassische Volkswirtschaft am Econ, dem rationalen Entscheider/Agenten von wirtschaftlichen Sachverhalten (vgl. Kahneman, S. 508f.). Die Geschichte der Wortschöpfung „Econs vs. Humans“ ist auch bei Thaler/Sunstein in ihrem grundlegenden Buch „Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ nachzulesen (S. 16ff.); Richard Thaler hat für diese Theorien mit Recht den Wirtschaftsnobelpreis 2017 erhalten. Im Mittelpunkt der Rhetorik stand der Wettstreit der Econs um die Wahrheit vor dem Hintergrund des Einsatzes vernunftbetonter Argumente. Wer davon abwich und die „dunkle Seite“ der Rhetorik anging, die Kunst der

Manipulation

 und der

Verführung

, der wurde schnell mit dem Verdikt der Demagogie belegt, also verdächtigt, Rhetorik bewusst zur Propaganda und Massenlenkung zu missbrauchen. Die Opfer waren dann die „verführbaren Humans“, die Alltagsmenschen, die allzu leicht den „schwarzen Redekünsten“ auf den Leim gingen. Zu denken ist etwa an den rhetorischen Super-Beelzebub Josef Goebbels, der beispielsweise in seiner berüchtigten Sportpalastrede zum „totalen Krieg“ 1943 das ABC der dunklen Rhetorik gnadenlos – und auch gnadenlos wirkungsvoll – durchdeklinierte.



Die moderne Psychologie bringt uns in der Rhetorik einen sehr nüchternen und klaren Standpunkt bei: Es gibt in der Rhetorik

keine Econs

! Es gibt

nur Humans

! Wirkungsvolle Rhetorik ohne die Berücksichtigung der elementaren psychologischen Grundlagen unseres Denkens ist schlichtweg nicht möglich. Letztlich gibt es kein rhetorisches Phänomen, das sich nicht diese Grundlagen zunutze macht. Rhetorik ist daher untrennbar mit der Bereitschaft verbunden, auch psychologische Wirkmechanismen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu zu nutzen. Gesicherte Forschungsergebnisse der modernen Neurobiologie und Verhaltenswissenschaften einzubeziehen, ist korrektes wissenschaftliches Verhalten. Dies ist – noch – keine Manipulation. Wer die Redekunst beherrschen will, muss künftig das ganze, und damit auch das psychologische Instrumentarium der Beeinflussung des Menschen als Human kennen und auch anwenden wollen. Die Frage der Demagogie ist eine der ethischen Bewertung des Einsatzes von Redekunst, und dann ganz gleich, ob religiöser Demagoge (etwa ein salafistischer Prediger) oder politischer Demagoge (z.B. der rechtsradikale Nazi).



Der Einsatz dieser modernen Erkenntnisse, deren Verwendung für die Rhetorik ich im Folgenden als

neurolinguale Intervention (NLI)

 bezeichne, ist für den modernen Redner unausweichlich. Ihr Potential kann verglichen werden mit einem „Treibsatz“ in der Chemie: Man kann mit ihm formen (etwa im Druckpressverfahren), man kann mit ihm Raketen für friedliche Missionen starten. Aber man kann damit auch zerstören (als Sprengstoff). Es liegt an uns, wie wir unser Wissen über die Wirkung rhetorischer Mittel verantwortungsvoll einsetzen.



Der weitere Aufbau des Buches trägt dieser Herausforderung an die moderne Rhetorik Rechnung: Jedem „klassischen“ Thema der Redekunst, das man aus der Literatur und Praxis auch bislang kennt, wird der „wirkungspsychologische“ Ansatz zugeordnet, der für Redner und Hörer relevant ist. Daraus ergeben sich manche interessante Querverbindungen und Aha-Effekte zu Erkenntnissen, wie wir sie etwa in den kurzweiligen Büchern von Rolf Dobelli zur „Kunst des klaren Denkens“ und „klugen Handelns“ aktuell erstaunt für unser wirtschaftliches Denken aufnehmen. Auch in der Rhetorik zeigt sich, wie profund wir im Alltagsleben mit Täuschungen und Illusionen konfrontiert werden, ihnen erliegen und trotzdem Erfolg haben können. Das Verständnis dieses Phänomens ist besonders wichtig für heute junge Menschen und die künftigen Generationen, die von Anfang an mit diesem Rüstzeug werden leben müssen. Auch in Zukunft wird erfolgreiche Kommunikation sich nicht auf Wischen und Klicken beschränken können. Wer nur „World of Warcraft“ spielt, wird wohl allenfalls virtuell erfolgreich sein. Es ist und bleibt eine Illusion. Wer aber bereit ist, in Echtzeit auf modernster Grundlage rhetorisch zu sprechen, zu kommunizieren und zu führen, der kann das reale Game of Power gewinnen oder zumindest erfolgreich im Beruf und Privatleben sein.







III. Der Hörer ist das Ziel: Was ein Redner bei seinen Hörern voraussetzen kann – und wie er an sie herankommt

1. Die Interaktion Redner – Hörer



Nachdem wir die wesentlichen modernen Erkenntnisse erarbeitet haben, die dem kommunikativen Denken zugrunde liegen, können wir uns nun der Interaktion zwischen Redner und Hörer/Zuschauer zuwenden. Diese Interaktion heißt Kommunikation. Und auch hierfür gibt es einige wesentliche Grundlagen, die wir als Redner unbedingt kennen sollten: Nur dann können wir wirksam beeinflussen. Sollten Sie dies vertiefen wollen, darf ich Ihnen dazu eine Empfehlung mitgeben: Das deutsche Standardbuch hierzu ist nach wie vor von Friedemann Schulz von Thun „Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation“; es erscheint seit über 30 Jahren mittlerweile in der 54. Auflage (s.a. zu den psychologischen Grundlagen Höhle, Psycholinguistik).



Grundlage der wirksamen Kommunikation ist die Erkenntnis, dass sie auf

verschiedenen

 Kanälen

parallel

 erfolgt. Wir kennen zwei Hauptkanäle:

Verbale Kommunikation

 und

nonverbale Kommunikation

. Beide Aktivitätsebenen „produziert“ der Redner zur gleichen Zeit und parallel. Und nur dann, wenn beide „Produkte“ authentisch und glaubwürdig parallel beim Zuhörer ankommen, wird dieser den Redner und seine Rede akzeptieren.



Da wir uns der nonverbalen Kommunikation noch später intensiv widmen, zuerst eine Darlegung der wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur verbalen Kommunikation. Die

verbale Kommunikation

 ist – wie wir mittlerweile wissen – ein „Gemeinschaftsprodukt“ von unbewusstem System 1 und bewusstem System 2. Diese Kooperation führt letztlich zu

vier potentiellen Inhalten einer Rede

 und damit ihrer Kommunikationsaussage:



1 Die Sachinformation: Hier wird, klar von System 2 überwacht, das mitgeteilt, was sachlich-objektiv vermittelt werden soll.

2 Die Selbstkundgabe: Der Produktion der Sachinformation geht in wenigen Millisekunden in den aktivierten Gehirnteilen eine kaum messbare Fülle von neuronalen Abgleich-, Emotions- und Generationsprozessen voraus, die tief in den unbewussten Teil des System 1 hineinreichen. Damit ist unvermeidlich, dass wir auch viel von dem kundgeben, was buchstäblich „in uns arbeitet“, wie wir zu der mitgeteilten Information stehen: Zuversicht, Konstruktivität, Sorge, Destruktivität, neutrale Einstellung und vieles andere mehr. Wir haben dabei schon drei Instrumente kennen gelernt, die hier reflexiv unsere Einstellung mit beeinflussen: das Priming, das Ankern und das Framing (s.o. S. 31ff.). Dies gilt nicht nur für den Zuhörer, sondern auch für den Redner selbst: Wenn er zum Beispiel einen inhaltlichen Frame/Rahmen setzt, dann gibt er bewusst und auch unbewusst, also auf beiden Ebenen, kund, innerhalb dieses Frames weitersprechen und seine Gedanken an den Hörer vermitteln zu wollen. Gerade die Beeinflussung der unbewussten Gedankenführung darf hier nicht ausgeklammert werden; Frames können sich dabei über die Sprachverarbeitung hinaus sogar auf die Wahrnehmung auswirken (vgl. Wehling mit Beispielen, S. 32f.).Ein kleines Beispiel aus meiner Praxis: Bei der Besprechung eines studentischen Projektes zur beruflichen Integration von Flüchtlingen ging es um die Frage von Eignungskriterien, die Flüchtlinge für eine Studienrichtung erfüllen sollten. Ich erwähnte dabei scherzhaft ein bekanntes Leitmotto der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München: „Wir nehmen jeden“, um zu demonstrieren, dass man in einem Studienprojekt eben nicht jeden nehmen könne. Dies führte dazu, dass die Projektleiterin im folgenden Redebeitrag ausführte, welche Eigenschaften sie von ausgewählten Häftlingen (nicht Flüchtlingen!) erwarte. Errötend beschrieb sie mir später die unbewusste Denksequenz, die zu diesem belachten Versprecher führte – der Inhalt der Selbstkundgabe war Abgelenktsein und die Verarbeitung einer persönlichen Erfahrung.

 

3 Die Beziehungsindikation: Mit der unbewussten Verarbeitung einher geht auch die zumeist unbewusste Verarbeitung, wie das Gehirn des Redners zu Zuschauern und Umwelt steht. Dies kann von neutral und sachlich über wohlwollend bis hin zum Extremfall, der kundgegebenen Angst vor oder der Wut in der Kommunikationssituation reichen. Für den daraus resultierenden Gefühlssturm beim Redner kennen wir auch einen Begriff im Extremfall der Angst: das Lampenfieber (dazu eingehend Kapitel X.3). Wortwahl, nonverbale Signale bis hin zur Tonhöhe: eine Fülle von Parametern wird unbewusst beeinflusst, produziert, aber damit auch für den Zuhörer wahrnehmbar gemacht.Die Kommunikationswissenschaft hat dabei überzeugend herausgearbeitet, wie eine gestörte Einstellung des Redners zum Zuhörer, versteckte Aggressionen, Sorgen und Ängste buchstäblich „zwischen den Zeilen“ durch das unbewusste System 1 des Redners eingearbeitet werden und konsequenterweise auch vom Hörer herausgelesen werden können. Die wichtige und bekannte Analysefrage „Was sagt er – was meint er“ ist zentral mit dieser Beschreibung der Beziehungsebene verbunden.Ein klassisches Beispiel für die Bedeutung der Beziehungsindikation finden wir beim Einstieg in die Rede: Hier ist es ein wesentliches Ziel, die Beziehungsebene zwischen Redner und Hörer vor allem zu Beginn einer Rede positiv zu gestalten. Ein gerade in den USA sehr beliebtes Mittel dazu ist etwa ein selbstironischer witziger Redeeinstieg. Der Redner konzentriert sich nicht auf die Sachinformation, sondern lockert die Atmosphäre dadurch auf, dass er sich selbst auf die Schippe nimmt. Er will damit von der Stufe der Rednerautorität herabsteigen und begibt sich auf eine Ebene mit den Zuhörern, insbesondere um Vorbehalte auszuschalten. Lachen über einen Witz steigert unmittelbar die sogenannte „kognitive Leichtigkeit“ und das Wohlwollen des unbewussten System 1 des Hörers (vgl. Kahneman, S. 93; s.a. unten S. 237). Die Selbstkundgabe und die Gestaltung der Beziehungsebene stehen für den Redner in diesem Moment im unausgesprochenen (!) Vordergrund. Auch die alte römische Rhetorik kannte diese Wirkung – selbst wenn sie von der modernen Kommunikationswissenschaft noch weit entfernt war. Sie verwendete das Stilmittel der „captatio benevolentiae“: Erheische das Wohlwollen des Auditoriums!

4 Die Appell-Ebene: In ihr kommt der Zweck der Kommunikation zum Ausdruck. Ich will den Zuschauer/Hörer zu einem bestimmten Verhalten, zu einer Entscheidung oder Einstellung auffordern.Schon auf der neuronalen Ebene der Redeschöpfung weiß das unbewusste System 1 durchaus, was es will. Es will mehr als nur die Beziehungsebene gestalten, sondern effektiv ein Ziel erreichen. Auf dem erfolgreichen Weg dorthin warten aber viele Hindernisse wie die geschickte Dosierung, die strategische Vorbereitung und die finale Aufforderung.Sicher steht diese Appell-Ebene nicht immer im Vordergrund, etwa bei der sogenannten Anlass- bzw. Festrede – es sei denn, man zählt den (ohnehin erwarteten) Applaus dazu. Bei der Überzeugungsrede hingegen ist die Appell-Ebene ganz klar der wesentliche Inhalt und das angestrebte Ziel des Redners. Dabei ist zu beachten, dass zu viel Appell das Gegenteil erreicht und abstoßend auf den Hörer wirken kann. Sehr leicht kippt die Stimmung, wenn der „Kauf mich, zahl es, zieh in den Krieg“-Appell wiederholt, geradezu stakkatoartig intoniert wird. Wie es richtig geht, werden wir noch sehen.



Worauf soll ich mich als Redner bei diesen vier Ebenen konzentrieren – was soll ich als Zuschauer heraushören? Diese Fragen beziehen sich im Wesentlichen auf unser bewusst denkendes System 2. Seine Aktivität ist energieaufwendig und seine Aufnahmefähigkeit überschaubar – um seine Kapazi