Бесплатно

Teverino

Текст
Автор:
0
Отзывы
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

IV
Falscher Weg

»Das ist eine sehr hübsche Geschichte, die ich im Sinn behalten werde, um sie in den Abendstunden zu erzählen,« sagte das Vogelmädchen, das Sabina immer am Arm hielt.

»Prinz Percinet,« rief Lady G***, ihren andern Arm unter den Leonce’s schiebend und mit ihm der sie erwartenden Kutsche zueilend, »Sie sind mein guter Genius und ich überlasse mich Ihrer bewundrungswürdigen Weisheit.«

»Ich hoffe,« sagte der Pfarrer, mit Sabina den Rücksitz der Wurst einnehmend, während Leonce und Magdalena sich ihnen gegenüber setzten, »daß wir nach St. Apollinaire umkehren werden? Ich bin überzeugt, daß meine Pfarrkinder meiner jetzt schon um eines Sacramentes willen bedürfen.«

»Ihr Wille geschehe, lieber Pfarrer,« antwortete Leonce, seinem Jockey Befehle gebend.

»Ei was!« sagte Sabina nach einigen Augenblicken, wir kehren den gleichen Weg zurück und sollen die nämlichen Orte wieder sehen?«

»Seien Sie ruhig,« antwortete Leonce, auf den Pfarrer deutend, der bei einem paarmaligen Umschwung der Wagenräder schon tief eingeschlafen war. »Wir gehen hin, wo’s uns beliebt. Wende rechts,« sagte er zu dem jungen Automedon, »und fahre, wohin ich Dir zuerst gesagt habe.«

Der Junge gehorchte und der Pfarrer schnarchte.

»Ei, das ist ja was Allerliebstes,« sagte Sabina, in Lachen ausbrechend; »die Entführung eines alten, brummenden Pfarrers, das ist neu, und ich sehe endlich ein, welch’ ein Vergnügen seine Anwesenheit uns verschaffen konnte. Wie er überrascht sein, wie er poltern wird, wenn er zwei Stunden von hier erwacht!«

»Der Herr Pfarrer ist mit seinen Reiseempfindungen noch nicht am Ende, und Sie deßgleichen, Madame!« antwortete Leonce.

»Laß sehen. Kleine, erzähle mir Deine Geschichte und beichte mir Deine Sünde,« sagte Sabina, mit unwiderstehlicher Anmuth die beiden Hände des in der Kutsche gegenübersitzenden Vogelmädchens ergreifend. »Leonce, horchen Sie nicht hin, das sind Frauengeheimnisse.«

»O! seine Gnaden können es schon hören,« antwortete Magdalena mit Zuversicht. »Meine Sünde ist nicht so groß und mein Geheimniß kein so arges, daß ich nicht nach Herzenslust darüber reden könnte. Wenn der Herr Pfarrer nicht die Gewohnheit hätte, mich bei jedem Wort meiner Beichte zu unterbrechen, um mich zu schelten, statt mich anzuhören, so hätte er keinen solchen Zorn auf mich oder würde mir wenigstens begreiflich machen, was ihn so sehr ärgert. Ich habe einen guten Freund, Hoheit,« fügte sie, sich an Sabina wendend hinzu. »Das ist die ganze Geschichte.«

»Den Ernst davon zu ermessen, ist nicht so leicht, wie man denkt,« sagte Lady G*** zu Leonce. »So viel Unschuld macht uns über die Fragen verlegen.«

»Nicht so gar, wie Sie glauben,« antwortete er. »Sage, Magdalena, liebt er Dich sehr?«

»Er liebt mich so sehr, als ich ihn liebe.«

»Und Du, liebst Du ihn nicht allzusehr?« hob Lady G*** wieder an.

»Allzusehr?« rief Magdalena; »das ist mir eine drollige Frage! Ich liebe so sehr ich kann und weiß nicht, ob das zu viel oder nicht genug ist.«

»Wie alt ist er?« sagte Leonce.

»Ich weiß nicht; er hat es mir gesagt, allein ich erinnere mich nicht mehr. Er ist wenigstens . . . warten Sie, zehn Jahre älter als ich. Ich bin vierzehn Jahr alt, das würde wenigstens vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre ausmachen, nicht wahr?«

»Dann ist die Gefahr nicht groß. Du bist zu jung, um schon zu heiraten, Magdalena.«

»Um ein oder zwei Jahre zu jung. Dieser Uebelstand wird sich bald geben.«

»Dein Geliebter muß aber ungeduldig werden?«

»Nein, er sagt Nichts davon.«

»Desto schlimmer! Und Du, bist Du eben so ruhig?«

»Ich muß wohl, ich kann der Zeit nicht Flügel leihen, wie ich bei den Vögeln thue.«

»Und Ihr gedenkt Euch zu heiraten?«

»Das weiß ich eben nicht, wir haben noch nicht davon gesprochen.«

»Du für Dich denkst also nicht daran?«

»Noch nicht, da ich zu jung bin.«

»Und wenn er Dich nicht heiratete?« sagte Lady G***

»O! das ist unmöglich, er liebt mich.«

»Schon lange?« hob Sabina wieder an.

»Seit acht Tagen.«

»Oime!« sagte Leonce, »und Du bist seiner schon so sicher?«

»Natürlich, weil er mir gesagt hat, er liebe mich!«

»Und Du glaubst somit Allen, die Dir von Liebe sprechen?«

»Bisher hat er allein mir davon gesprochen und er ist auch der Einzige, dem ich in meinem Leben glauben werde, weil er der ist, den ich liebe.«

»Ach! Pfarrer,« sagte Sabina, einen Blick auf den eingeschlafenen Polterer werfend, »das, was Ihr nie begreifen werdet, ist der Glaube, ist die Liebe!«

»Nein, Madame,« entgegnete das Vogelmädchen, »er kann es nicht begreifen, er. Erstlich sagt er, Niemand kenne meinen Geliebten und er müsse ein schlechtes Subject sein. Das ist ganz einfach; er ist fremd, er reist durch unser Land; er hat weder Verwandte noch Freunde, die sich seiner annehmen; er blieb in der Gegend, weil er mich gesehen hat und ich ihm gefallen habe. Somit bin ich es allein, die ihn kennt, und sagen kann: Er ist ein ehrlicher Mann. Der Herr Pfarrer will, er solle fortgehen und droht, ihn durch die Gensdarmen fortjagen zu lassen. Ich, ich verberge ihn, und das ist wieder ganz einfach.«

»Und wo verbirgst Du ihn?«

»In meiner Hütte.«

»Hast Du Eltern?«

»Ich habe einen Bruder, der, mit Ihrer Erlaubniß, Schmuggler ist . . . man darf es aber nicht sagen, nicht einmal dem Herrn Pfarrer.«

»Und in Folge dessen bringt er die Nächte im Gebirge und die Tage mit Schlafen zu, nicht wahr?« hob Leonce wieder an.

»Meistentheils. Er weiß aber wohl, daß mein guter Freund in seinem Bette schläft, wenn er abwesend ist.«

»Und das macht ihn nicht böse?«

»Nein, er hat ein gutes Herz.«

»Und beunruhiget ihn das nicht?«

»Was sollte ihn beunruhigen?«

»Liebt Dich Dein Bruder sehr?«

»O! er ist sehr gut gegen mich . . . wir sind seit langer Zeit Waisen, er hat Vater- und Mutterstelle an mir vertreten.«

»Mich dünkt, wir können ruhig sein, Leonce,« sagte Lady G *** zu ihrem Freunde.

»Bis jetzt wohl,« antwortete er. »Allein die Zukunft! Ich fürchte nur, Magdalena, Ihr guter Freund werde eines Morgens, freiwillig oder gezwungen, auf und davon gehen und Sie in Betrübniß zurücklassen.«

»Wenn er geht, so folge ich ihm.«

»Und Ihre Vögel?«

»Die folgen mir auch. Ich gehe oft zehn Stunden mit ihnen.«

»Folgen sie Ihnen jetzt auch?«

»Sehen Sie sie denn nicht dem Wege nach von Baum zu Baum fliegen? Sie kommen nicht näher, weil ich nicht allein bin und die Kutsche sie schreckt, allein ich, ich sehe sie wohl und sie sehen auch mich, die armen Kleinen!«

»Die Welt ist mehr als zehn Stunden lang; wenn Ihr guter Freund Sie über hundert Stunden von hier wegführte?«

»Wo ich auch hingehen mag, wird es Vögel geben und werde ich sie mit mir bekannt machen.«

»Sie würden aber die, welche Sie erzogen haben, nur mit Bedauern zurücklassen?«

»O! gewiß. Es sind besonders zwei oder drei unter ihnen, die so viel Verstand, ja so viel Verstand haben, daß selbst der Herr Pfarrer nicht mehr hat und nur mein guter Freund noch mehr besitzt. Ich sage Ihnen aber, daß alle meine Vögel mir folgen würden, wenn ich meinem guten Freunde folgen würde, Sie fangen an, ihn zu kennen und nicht fortzufliegen, wann er bei mir ist.«

»Wenn nur der gute Freund nicht flatterhafter ist, als die Vögel,« sagte Sabina. »Ist er sehr schön, dieser gute Freund?«

»Ich glaube ja, ich weiß es nicht.« Sie dürfen ihn also nicht anschauen?« sagte Leonce. »Doch. Ich betrachte ihn, wenn er schläft, und glaube, er sei so schön, wie die Sonne; ich kann aber nicht sagen, daß ich mich darauf verstehe.«

»Wann er schläft! Sie gehen also in seine Kammer?«

»Ich brauche nicht hinzugehen, weil ich selbst dort schlafe. Wir sind nicht reich, Ihr Gnaden; wir haben mit meiner Ziege und dem Pferde meines Bruders eine Stube inne.«

»Das ist das Leben im Naturzustande! Aber bei allem Dem schläfst Du wenig, weil Du die Nächte damit zubringst, Deinen guten Freund zu betrachten?«

»O! ich bringe kaum eine Viertelstunde damit zu, nachdem er eingeschlafen ist. Er legt sich zu Bette und schläft ein, während ich mit abgewandtem Rücken in einer Ecke des Zimmers mein Gebet ganz laut hersage. Allerdings vergesse ich mich dann bisweilen an seinem Anblicke länger, als ich sagen kann. Dann aber überfällt mich der Schlummer, und mich dünkt, ich schlafe nachher besser.«

»Woraus sich jedoch schließen läßt, daß er mehr schläft, als Du?«

»Er schläft eben sehr gut, er, weßhalb sollte er nicht schlafen? Das Haus ist, obwohl arm, sehr reinlich, und ich trage Sorge, daß sein Bett immer gut gemacht sei.«

»Er erwacht also nicht, er, um Dich während Deines Schlafes zu betrachten?«

»Ich weiß nicht, aber ich glaube nicht, ich würde es hören; ich habe einen leichten Schlaf, wie die Vögel.«

»Er liebt Dich also weniger, als Du ihn liebst?«

»Es ist möglich,« sagte das Vogelmädchen nach einem Augenblick des Nachdenkens ruhig, »und es muß sogar so sein, weil ich noch zu jung bin, als daß er mich heiraten könnte.«

»Kurz, Du bist also gewiß, daß er Dich einst genugsam lieben wird, um Dich zu heiraten?

«Er hat mir Nichts versprochen; allein er sagt mir täglich: »Magdalena, Du bist gut, wie der liebe Gott selbst, und ich wollte, ich müßte Dich nie verlassen. Ich bin recht unglücklich, wenn ich bedenke, daß ich vielleicht bald gezwungen sein werde, fortzugehen.« Ich, ich antworte Nichts, allein ich bin fest entschlossen, ihm zu folgen, damit er nicht unglücklich ist; und da er mich gut findet und wünscht, mich nie verlassen zu müssen, so ist es gewiß, daß er mich heiratet, wenn ich das Alter dazu habe.«

»Wohlan! Leonce,« sagte Sabina auf englisch zu ihrem Freunde, »bewundern wir und hüten wir uns, durch unsre Zweifel diesen heiligen Glauben einer Kindesseele zu trüben. Möglich, daß ihr Liebhaber sie verführt und im Stiche läßt; möglich, daß Scham und Schmerz sie brechen werden; allein in ihrem Unglück würde ich ihr Dasein noch beneidenswürdig finden. Ich gäbe mein ganzes vergangenes und mein ganzes ferneres Leben für einen Tag dieser grenzenlosen, rückhaltslosen, hingebungsvollen, in ihrer Blindheit erhabenen Liebe, wo das göttliche Wesen in uns durch alle Poren dringt!«

 

»Jedenfalls lebt sie in der Verzückung,« sagte Leonce, »und ihre Leidenschaft verwandelt sie. Sehen Sie, wie schön sie ist, während sie von dem spricht, den sie liebt, obwohl die Natur ihr von Allem dem, was Sie zu der schönsten der Frauen macht, Nichts verliehen hat! Nun, und dennoch ist sie zu dieser Stunde weit schöner als Sie, Sabina. Denken Sie nicht auch so?«

»Sie haben eine Art, Grobheiten zu sagen, die mich heute nicht verletzen kann, obwohl Sie Ihr Möglichstes dabei thun. Indeß, Leonce, liegt etwas Unbarmherziges in Ihrer Freundschaft. Mein Unglück, diese entzückende Liebe nicht kennen zu können, ist groß genug, ohne daß Sie es mir gerade in dem Moment, wo ich den Umfang meines Elendes maß, noch vorzuwerfen brauchen. Wenn ich mich rächen wollte, könnte ich Ihnen da nicht sagen, daß Sie so elend sind, so unfähig, blindlings zu glauben und ohne Rückhalt zu lieben, als ich? Daß endlich dieselben Abgründe des Wissens und der Erfahrung das Eine und das Andere von uns von dem Seelenzustand dieses Kindes trennen?«

»Hievon wissen Sie Nichts, in der That Nichts!« antwortete Leonce mit Energie, ohne daß es jedoch möglich war, der Bewegtheit seiner Stimme einen Sinn beizulegen; sein Blick schweifte über die Landschaft hin.

»Wir fahren ja durch eine abscheuliche Gegend,« sagte Lady G*** nach einem ziemlich langen Schweigen. »Diese nackten Felsen, dieser immer brausende Strom, dieser engeingerahmte Himmel, diese drückende Hitze und sogar der schwere Schlaf dieses Mannes der Kirche. Alles das verleitet zu Traurigkeit und zum Lebensüberdruß.«

»Ein wenig Geduld,« sagte Leonce, »wir werden bald entschädigt werden.«

In der That erweiterte sich bei einer Biegung der Steige plötzlich die kahle, enge Schlucht und ein herrliches Thal, gleich einer Oase in dieser Wüste, zeigte sich Sabinas entzückten Blicken. Andere enge und tiefe Gebirgsschluchten mündeten in dieses grüne Amphitheater aus und mischten ihre flach und ruhig fortlaufenden Ströme mit dem Hauptstrom. Ihre grünlichen Wellen waren klar wie Krystall; Smaragdteppiche breiteten sich auf jedem der Ufer aus; das Schweigen der Einsamkeit war jetzt von dem frischen Murmeln und den fernen Glocken der an den Bergabhängen zerstreuten und in einer reichen Vegetation versteckten Kühe lieblich unterbrochen. Die Granitschlünde öffneten die blauen, auf ihrem Grunde durch die Krümmungen der silberhellen Gewässer durchzogenen Perspektiven. Es war ein Ort der Wonne, wo Alles zur Ruhe einlud, und von wo dennoch die Einbildungskraft noch in geheimnißvolle Regionen entschweben konnte.

»Das ist eine entzückende Ueberraschung,« sagte Sabina, aus der Kutsche auf den feinen Flußsand tretend, »es ist ein Asyl gegen die Mittagshitze, die unerträglich wird. Ach! Leonce lassen wir unsern Wagen hier und entfernen wir uns von den gebahnten Straßen. Da sind glatte Fußwege, hier ein Baum als Brücke über der Strom geworfen, dort Blumen zum Pflücken und weiter unten ein Tannenwäldchen, das uns Schatten und Wohlgerüche verspricht. Was mir hier gefällt, ist die Abwesenheit aller Kultur und Wohnungen.«

»Sie sind eben hier im wahren Gebirgslande,« antwortete Leonce. »Hier beginnt der Aufenthalt der nomadisirenden Hirten, welche nach Art der ersten Völker der Vorzeit leben, indem sie ihre Heerden von einer Weide zu andern führen, Einöden aufsuchen, die nur dem gehören, welcher sie entdeckt und ihnen trotzt, provisorische Hütten die Arbeit Ihrer Hände, bewohnen, die sie auf dem Rücken ihrer Esel forttransportiren und auf dem ersten, beste Felsen aufschlagen. Sie können einige davon dort bei den Wolken oben sehen. In der Tiefe der Thäler treffen sie keine an. Ein Gewittertag, der die Ströme anschwellt, würde sie wegnehmen. Es ist die Stunde der Siesta, die Hirten schlafen unter ihrem grünbelaubten Dache. Sie sind somit in der Einöde und können den Ort wählen, wo es Ihnen belieben wird, ein zweistündiges Schläfchen zu thun, denn wir müssen hier unsre Pferde ruhen lassen. Sehn Sie, das Tannenwäldchen, welches Sie lockt und erwartet, ist in der That sehr günstig. Lele wird Ihre Hängematte dort irgendwo befestigen.«

»Meine Hängematte? Wie! Sie haben auch diese mitzunehmen nicht vergessen?«

»Mußte ich nicht an Alles denken?«

Die Negerin Lele folgte ihnen, die mit Fransen, Eicheln und tausendfarbigen künstlich gemischten Federn verzierte Hängematte von Palmzweigen tragend. Entzückt und voller Bewunderung über diese Arbeit der Indianer, begleitete Magdalena die Schwarze, indem sie über die Wundervögel, die solch schimmernde Federn geliefert hatten, tausend Fragen an sie that und versuchte, sich eine Idee von den Papagaien und Colibri’s zu bilden, von welchen ihr Lele in ihrem geheimnißvollen und beinahe unverständlichen Rothwälsch eine Beschreibung machte.

Man hatte den Pfarrer vergessen, der, als er sich nicht mehr von der sanften und anhaltenden Bewegung der Kutsche gewiegt fühlte, endlich erwachte.

»Corpo di Bacco!« rief er, sich die Augen reibend (es war der einzige Fluch, den er sich erlaubte); »wo sind wir und was für ein schlechter Spaß ist das?«

»Ach! Herr Abbé,« sagte der Jockey, der schlau war wie ein Page und die ernsthaften und drolligen Launen seines Gebieters ganz wohl verstand, »wir haben uns im Gebirge verirrt und wissen so wenig als Sie, wo wir sind. Meine Pferde sind hin vor Ermüdung und hier muß durchaus ein Halt gemacht werden,«

»Meinetwegen,« sagte der Pfarrer, »wir können nicht gar weit von St. Apollinaire sein; ich habe nur einen Augenblick geschlafen.«

»Um Verzeihung, Herr Abbé, Sie haben wenigstens vier Stunden geschlafen.«

»Nein, nein, Ihr irrt Euch, mein Junge; die Sonne steht gerade über unsern Häuptern und mehr als Mittag kann es nicht sein, wenn sie wenigstens nicht stille stand, wie ihr das auch schon einmal begegnet ist. Ihr seid ja aber mit Windeseile gefahren, denn wir sind mehr als vier Stunden von dem grünen Felsen weg! Ich irre mich nicht, dies hier ist der Col de la Forquette, denn ich erkenne das St. Basiliuskreuz. Wir sind nur zwei Schritte von der Gränze. Seht, jenseits dieser hohen Berge liegt Italien, das schöne Italien, wohin den Fuß zu setzen ich nie so glücklich war! Aber, Corpo di Bacco! wenn Ihr hier Halt macht und Eure Thiere ermüdet sind, so kann ich vor Nacht nicht in meiner Pfarrgemeinde zurück sein.«

»Unruhig, jedenfalls,« antwortete der Pfarrer, »sehr unruhig, die arme Barbel! Doch, man muß sein Leid an Geduld tragen. Wo ist Eure Herrschaft?«

»Dort unten, jenseits des Wassers; sehen Sie sie nicht?«

»Was für eine Grille hat sie über dieses Brett getrieben, das nirgends fest aufliegt? Ich mit meiner Korpulenz wage mich jedenfalls nicht darauf. Wenn ich wenigstens nur eine meiner Angeln hätte, um hier einige Forellen zu fangen, denn die aus dieser Gegend sind berühmt.«

Und der Pfarrer fing an, in seinen Taschen herumzustöbern, wo er zu seiner großen Befriedigung einige mit ihren Angeln versehene Pferdehaare fand. Der Jockey half ihm, eine Ruthe zu schneiden, Köder zu finden und anerbot ihm ironisch ein Buch, um sich die Langeweile beim Fischen zu würzen. Der gute Mann machte keine Umstände, nahm sowohl aus Neugierde, um die Grundsätze seiner Reisegefährten aus ihrer Lectüre zu beurtheilen, als um sich selbst zu zerstreuen, Wilhelm Meister und setzte sich, am Flußbette hinaufgehend, in die Felsen, getheilt zwischen der List der Forellen und der Philine’s. Als eben die erste Beute anbiß, war er gerade bei den kleinen Schuhen. Die Geschichte läßt unerwähnt, ob er das Buch schloß oder den Fisch verfehlte.

Indeß hatten die schwarze Lele und das blonde Vogelmädchen die Hängmatte an den Tannzweigen befestigt. Anmuthsvoll auf diesem in der Luft schwebenden Lager ausgestreckt, zeigte sich nun die schöne Sabina Leonces Blicken in der Stellung keuscher Wollust. Ihre weiten seidenen Aermel waren bis zum Ellbogen zurückgefaßt und die Spitze ihres über das Kleid hervorreichenden kleinen Fußes hing zwischen den weniger weichen und weniger leichten Federnfransen herunter.

Leonce hatte seinen Mantel auf das Gras ausgebreitet, und zu den Fußen der schönen Lady liegend, bewegte er das Seil der Hängematte und schaukelte sie über seinem Kopfe hin und her. Auch Lele hatte sich in einiger Entfernung zur Siesta eingerichtet und Magdalena vertiefte sich in das Dickicht des Gehölzes, wohin das Geschrei ihrer Vögel ihr wie Siegesfanfaren folgte, die den Weg einer Beherrscherin verherrlichen.

Sabina und Leonce befanden sich also, nachdem sie glühende Gedanken in eisigen Ausdrücken gewechselt, in einer ziemlich aufregenden Lage mit einander allein. Leonce beobachtete ein tiefes Schweigen und heftete auf Lady durchdringende Blicke, die nichts Zärtliches an sich hatten und sie dennoch bald in Verlegenheit setzten.

»Warum antworten Sie mir denn nicht?« sagte sie zu ihm, nachdem sie vergeblich versucht hatte, eine nichtssagende Unterhaltung anzuknüpfen. »Sie hören mich doch, Leonce, denn Sie schauen mir mit ermüdender Hartnäckigkeit in die Augen.«

»Ich?« sagte er, »ich schaue Ihre Augen nicht an. Es sind Fixsterne, die glänzen, um zu glänzen, ohne von ihrem Feuer und ihrer Wärme den Blicken der Menschen etwas mitzutheilen. Ich schaue Ihren Arm und die Falten Ihres Kleides an, welche der Wind zeichnet.«

»Ja, Aermel und Draperien, das ist Euer Ideal, Ihr Künstler.«

»Mißfällt es Ihnen, ein schönes Modell zu sein?«

»Wenn ich Ihnen nur das bin, so lasse ich mir’s schon gefallen,« sagte sie mit Hoheit; denn Leonce’s Augen drückten nicht mehr die kalte Betrachtung des Bildhauers aus. Sie nahmen indeß ihre Gleichgültigkeit wieder an, als er, sich den Anschein gebend, als habe er Nichts gehört, ziemlich wegwerfend sagte:

»Sie gäben eine prächtige Sybille.«

»Nein, ich bin keine verwirrte und stürmische Natur.«

»Die Sybillen der Renaissance sind ernst und streng. Haben Sie die von Raphael; nicht gesehen? Es ist das Große und Majestätische des Alterthums, mit der Bewegung und dem Gedanken eines andern Zeitalters.«

»Ach, ich habe Italien nicht gesehen! wir sind ganz nah dabei und in einer grausamen Laune gefällt sich Lord G***, sich an der Gränze einzunisten, um mich gleichsam in ein Fieber zu versetzen und mich zu verhindern, hinzueilen, unter dem Vorwande, daß es dort zu heiß für mich sei.«

»Es ist im Gegentheil überall zu kalt für Sie; Ihr Gemahl ist der Mann, welcher Sie am wenigsten kennt.«

»Das liegt in der ewigen Ordnung der Dinge!«

»Sie sollten aber auch Ihren Mann anbeten, weil er Ihrer Forderung, nicht gekannt zu werden, unermüdlich schmeichelt.«

»Und Sie, Sie maßen sich das Gegentheil an. Sie behaupten, mich zu kennen; allein Sie beweisen mir’s nicht.«

»Und wenn ich es Ihnen noch in diesem Augenblick bewiese sagte Leonce aufstehend und die Hängematte so ungestüm und barsch anhaltend, daß Lady G * * * ein Schreckensschrei entfuhr. »Wenn ich Ihnen sagte, daß da, wo Nichts ist, auch Nichts erkannt werden kann, und daß dieser Marmorbusen ein marmornes Herz birgt?«

»Ach! was für schreckliche Worte« sagte sie, aus der Hängematte steigend, als hätte sie fliehen wollen, »ich verwünsche Sie, Leonce, mich hierher geführt zu haben. Es ist eine Niederträchtigkeit und eine Grausamkeit! Und wie abgefeimt! Mich meiner düstern Gleichgültigkeit entziehen, mit zarten Sorgen mich umgeben, mir die Schönheiten der Natur und die Poesie Ihrer Gedanken zu kosten geben, meiner thörichten Einbildungskraft schmeicheln, und das Alles, um mir nach fünfzehn Jahren einer wolkenlosen Freundschaft zu sagen, daß Sie mich hassen und nicht achten!«

»Worüber beklagen Sie sich, Madame, Sie sind eine Weltfrau und wollen vor Allem geachtet und geehrt werden, wie die Tugendhaften dieser Welt. Wohlan, ich erkläre Sie für unbesieglich, ich, der ich Sie seit fünfzehn Jahren kenne, und Ihr Stolz ist nicht befriedigt?«

»Tugendhaft sein aus Unempfindlichkeit, tugendhaft aus Mangel an Herz, welch seltsames Lob! Darauf kann man stolz sein!«

»Wohlan, Sie haben einen ungeheuren Stolz, verbunden mit einer ungeheuern Eitelkeit,« erwiederte Leonce mit zunehmender Gereiztheit. »Sie wollen, daß man ja recht wisse, wie fehler- und schuldlos Sie sind, und daß der reinste Krystall neben Ihrem Ruhme trüb sei. Allein das genügt Ihnen nicht. Man soll auch noch glauben, daß Sie eine zärtliche und glühende Seele besitzen und daß es außer Ihrer eigenen Kraft Nichts so Mächtiges gibt, wie Ihre Liebe. Ist man in Gegenwart Ihrer Weisheit still und besonnen, so sind Sie unruhig und unzufrieden. Sie wollen, man solle sich abquälen, um das Liebesmysterium zu errathen, das Sie in Ihrer Brust zu verschließen behaupten. Sie wollen, man solle sich sagen, daß Sie den Schlüssel eines Paradieses voller Wollüste und unaussprechlicher Zärtlichkeiten besitzen, daß aber Keiner je hineindringe; Sie wollen, man solle nach Ihnen verlangen, Sie schmerzlich missen, die Herzen sollen Ihnen entgegenschlagen, kurz, man solle leiden! Gestehen Sie es denn, und Sie werden das ganze Geheimniß Ihrer Langeweile ausgesprochen haben; denn es gibt keine ermüdendere und bitterere Rolle, als die, welcher Sie alle Hoffnungen Ihrer Jugend und allen Gewinn Ihrer Schönheit geopfert haben!«

 

»Es ist unter meiner Würde, mich zu rechtfertigen,« antwortete Sabina, blaß und mit eisiger Entrüstung; »allein Sie haben mir das Recht gegeben, Sie meinerseits zu beurtheilen und Ihnen zu sagen, wer Sie sind; das Bild, welches Sie von mir entworfen haben, ist das Ihrige; es handelt sich nur darum, dasselbe der Gestalt eines Mannes anzupassen, und dieß will ich thun.«

Другие книги автора