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VIII
Italiam! Italiam! 4

Als die Pferde jedoch an einer Steige etwas nachließen, kam der Pfarrer wieder zu sich. Der Abgrund war verschwunden und die Kutsche fuhr einem engen, ziemlich schlecht unterhaltenen Hohlweg hin, wo ein Umwerfen indeß keine so ernsten Folgen haben konnte, als längs der Steige hin.

»Wo sind wir denn jetzt?« sagte der heilige Mann etwas erleichtert. »Ich kenne die Gegend nicht mehr; die Aussicht ist von allen Seiten beschränkt. So viel ich mich aber orientiren kann, gehen wir kaum der Richtung meines Kirchthums zu.«

»Sein Sie ruhig, Abbé!« sagte Teverino; »jeder Weg führt nach Rom und indem wir diesen etwas holprigen Nebenweg wählen, schneiden wir einen großen Umweg der Steige ab.«

»Wenn wir über den Strom fahren können,« warf Magdalena ruhig ein.

»Wer spricht vom Strome?« rief der Marquis. »Du Kleine?«

»Ich,« entgegnete das junge Mädchen. »Wenn die Wasser niedrig stehen, so, können wir hindurch. Wo nicht . . .«

»Wo nicht, so fahren wir über die Brücke.«

»Ueber eine Brücke für Fußgänger, eine Leiternbrücke?«

»Wir fahren hinüber: ich schwör’ es beim Mahomed!«

»Meinetwegen wohl!« sagte Magdalena unbekümmert.

»Und ich, ich schwöre bei Christus, daß ich aussteigen und zuletzt hinüber gehen werde!« dachte der Pfarrer.

Der Strom schien nicht sehr angeschwollen und Teverino wollte eben die Kutsche hineinfahren, als Magdalena, die sich mit ruhiger Besonnenheit vorgebeugt hatte, ihn kräftig zurückhielt.

»Das Wasser ist nicht hell,« sagte sie; »es muß noch kaum vor zwei Stunden eine starke Schneelawine hinein gefallen sein. Sie können nicht hinüber.«

»Mylady, wollen Sie sich mir anvertrauen?« sagte Teverino. »Wir kommen hinüber, ich steh’ Ihnen dafür. Die, welche Furcht haben, sollen aussteigen.«

»Ich verlange auszusteigen!« rief der Pfarrer, dem Kutschentritt zustürzend.

Die Negerin folgte ihm und der Jockey, getheilt zwischen dem Punkt der Ehre und der Furcht, zu ertrinken, stellte sich, bis man einen Entschluß gefaßt hätte, vor die Pferde hin.

»Sabina,« sagte Leonce in herrischem Tone, »steigen Sie aus.«

»Ich steige nicht aus,« antwortete sie; »zum erstenmal fühle ich, welch Vergnügen man in der Gefahr finden kann. Ich will mir diese Empfindung gewähren.«

»Das werde ich nicht leiden,« entgegnete Leonce, ihren Arm kräftig ergreifend. »Es ist ein Wahnsinn.«

»Sie haben keine Rechte auf mein Leben, Leonce, und zudem steht der Marquis dafür ein.«

»Der Marquis ist ein Narr!« rief Leonce, erbittert, die plötzliche Leidenschaft Lady G***s sich so thöricht verrathen zu sehen.

Der Marquis wandte sich um und schaute Leonce mit flammenden Augen an.

»Sie wollen sagen, daß Sie Beide Narren seien,« sagte Sabina, indem sie versuchte, den Schreck zu verbergen, den dieser Zwist ihr verursachte. »Ich gebe Ihrer fürsorglichen Aufmerksamkeit nach, Leonce; Marquis, Sie müssen auch absteigen. Der Jockey, welcher wie ein Fisch schwimmt, mag allein wagen, die Kutsche hinüber zu bringen.«

»Ich schwimme besser, als alle Jockeys und alle Fische der Welt,« entgegnete Teverino, »und sehe übrigens nicht ein, warum das Leben dieses Burschen eher als das meinige der Gefahr ausgesetzt werden sollte. Meiner Meinung nach, Madame, ist ein Mensch werth, was der andere, und wenn ich die Ueberfahrt wagen wollte, so ist es an mir, die Folgen davon allein zu tragen . . . Wie viel sind Ihre Pferde werth, Leonce?« fügte er mit der prahlenden Miene des Reichthums hinzu.

»Ich schenke sie Dir,« sagte Leonce, »ersäufe sie, wenn Du willst . . . Aber auf dem andern Ufer angekommen, will ich ein Paar Wörtchen mit Dir sprechen,« fügte er leise hinzu.

»Sie werden gar Nichts mit mir sprechen, aber morgen Nachmittag um zwei Uhr will ich ein Wörtchen mit Ihnen reden,« antwortete Teverino. »Sie sind der angreifende Theil, ich habe das Recht, den Augenblick zu wählen, und dagegen lasse ich Ihnen die Wahl der Waffen. Aus Achtung aber für Sie selbst, der Sie mich dieser Dame vorgestellt haben, heucheln Sie eine vertraute Freundschaft mit mir, die Ihre groben Worte entschuldigt.«

»Ein Duell? ein Duell mit Ihnen? Wohlan, es sei,« versetzte Leonce und fügte laut hinzu: »Wenn wir uns, nachdem wir gegenseitig solche Süßigkeiten ausgetauscht, nicht miteinander schlagen, Marquis, so kann man uns gewiß nicht beschuldigen, zwei Feiglinge zu sein, und um das zu beweisen, gehen wir miteinander durchs Wasser . . . Nun, was thust Du da?« sagte er zu Magdalena, die behende neben dem Marquis auf den Sitz geklettert war.

»Pah! für mich hat’s keine Gefahr,« sagte sie, und Sie bedürfen meiner, damit ich Sie leite. Rechts, Herr Marquis, und dann links, vorwärts!«

Nicht ohne lange Beklemmung hielten die andern Reisenden mitten auf der Brücke an, um diesen gefährlichen Uebergang bewerkstelligen zu sehen. Mitten im Wasser hob die Gewalt der Strömung die Kutsche, welche wie ein Nachen zu schwimmen begann, indem sie die Pferde gegen die spitzen Joche der kleinen, gewölbten Brücke trieb.

»Geben Sie der Strömung nach und dann treiben Sie wieder an!« sagte Magdalena aufmerksam und so kaltblütig, als hätte es sich um etwas ganz Leichtes gehandelt.

Kräftig angetrieben und glücklicherweise stark genug, um von der leichten Kutsche nicht fortgerissen zu werden, machten die Pferde einige Sprünge, verloren Fuß, fingen an zu schwimmen, faßten auf einem Felsblock von Neuem Fuß, strauchelten und gewannen, sich unter der gewaltigen Hand des Abenteurers wieder erhebend, ohne irgend einen Unfall einen weniger tiefen Ort, von wo aus sie leicht das Ufer erreichten, ohne daß das Mindeste gebrochen und ihre Führer anders als durch einige Spritze benetzt worden wären.

»Sie sehen, Signora, daß Sie die Ueberfahrt hätten wagen können!« sagte Teverino zu Lady G***, welche herbeieilte, um ihm zu seinem Siege Glück zu wünschen.

»Nicht doch!« sagte der Pfarrer, ganz ergriffen von der Gefahr, welche er hätte laufen können; »Sie wären fortgeschwemmt worden, wenn die Kutsche stärker beladen gewesen wäre. Gerade ich, der ich nicht dünn bin, hätte, indem ich mich selbst der Gefahr ausgesetzt, auch Sie gefährdet. Ich fühlte das wohl.«

Man bestieg die Kutsche wieder, der Jockey nahm den Hintersitz ein und das Vogelmädchen blieb neben Teverino, welcher sich während der ganzen übrigen Dauer der Fahrt sehr lebhaft mit ihr zu unterhalten schien, auf dem Kutschensitz. Sie sprachen indeß leise und zu einander hingelehnt, und Sabina machte mit gelassener Miene die Bemerkung, daß Magdalenas guter Freund diesen Abend gar leicht ausgestochen werden könnte, wenn sie sich nicht sehr in Acht nähme.

Da hat’s keine Gefahr,« sagte Magdalena, welche ein so feines Gehör wie ein Vogel besaß und ohne sich den Anschein zu geben, als horche sie, von Sabinas Worten Nichts verloren hatte. »Ich wechsle gewiß nicht zuerst.«

»Und er gewiß auch nicht, darauf möcht’ ich bei meiner Seele Seligkeit schwören,« rief der Marquis heiter; »denn Du bist ein so gutes und so liebenswürdiges Mädchen, daß ich nicht begreife, wie man Dich je verrathen könnte!«

»Da sieht man’s,« sagte der Pfarrer, »wie alle diese schönen Herrn mit ihren Complimenten diesem kleinen Ding da den Kopf verdrehen. Der Eine gibt ihr auf dem Spaziergang den Arm, wie er gegen eine schöne Dame zu thun pflegt; der Andere sagt ihr, sie sei liebenswürdig, und sie ist dumm genug, um nicht einzusehen, daß man sich über sie lustig macht.«

»Sind Sie der, welcher ihr den Arm gibt, Leonce?« sagte Sabina mit spöttelndem Tone.

»Warum nicht? Haben Sie ihr nicht selbst den Arm genommen, um sie mitzunehmen, Madame? Müssen wir sie nicht vom Augenblick an, wo wir sie entführten, um sie zu unsrer Gefährtin und unserm Gaste zu machen, als Unsersgleichen behandeln? Warum sollte der Herr Pfarrer uns tadeln, die Gesetze der Bruderschaft auszuüben? Es ist dieß eine der unschuldigen und romantischen Freuden unsers Tages.«

»Ich liebe die romantischen Sachen nicht,« sagte der Polterer. »Das dauert zu wenig an und steckt bloß im Gehirne. Ihr jungen Leute von Stande, Ihr ergötzt Euch einen Augenblick an der Einfalt Anderer; und dann, wenn Ihr bezahlt habt, denkt Ihr nicht mehr daran. Magdalena soll Sie nur anhören, meine Herrn, und wir wollen sehen, wer ihr bleibt, ob der große Herr, der ihr eine Erinnerung verweigern wird, oder der Priester, welcher, nachdem er sie, wie sie’s verdient, ausgescholten hat, sie zur Reue zurückführt und mit Gott versöhnt.«

»Dieser gute Pfarrer erschreckt mich,« sagte Lady Sabina zu Leonce gewandt. »Ich hoffe, Freund, die arme Magdalena sei hier nicht auf dem Wege des Verderbens.«

»Für mich selbst kann ich einstehen,« erwiederte Leonce.

»Aber nicht für den, Marquis?«

»Ich bekenne Ihnen, daß ich mich für den Marquis keineswegs verbürge. Er ist schön, beredt, leidenschaftlich, alle Frauen gefallen ihm und er gefällt allen Frauen. Sind Sie nicht auch der Meinung, Sabina?«

»Was weiß ich? Wir thäten vielleicht wohl, die Kleine zu uns in die Kutsche zurücknehmen.«

»Um so mehr,« sagte der Pfarrer, »als der Weg wieder schlecht wird, der Tag zur Neige geht und wir nicht mehr in Sicherheit sind, wenn der Herr Marquis Zerstreuungen hat. Geben wir ihm statt des Vogelmädchens die Negerin zur Gefährtin.«

».Ich stehe nicht dafür, daß er bei der Schwarzen nicht den gleichen Zerstreuungen ausgesetzt ist, wie bei der Blonden,« entgegnete Leonce. »Das Sicherste wäre, ihm Sie, Pfarrer, an die Seite zu geben.«

Dieser Antrag behielt die Oberhand und Magdalena kehrte in die Kutsche zurück, ohne Verdruß, noch Scham oder Bedauern zu zeigen. Ihre Melancholie hatte sich vollkommen zerstreut, der Wiederschein der untergehenden Sonne breitete auf ihre rosigen Wangen einen schimmernden Glanz von Jugend und Leben.

 

»Sehn Sie nur, wie dieses kleine, häßliche Ding wieder schön geworden ist!« sagte Leonce auf englisch zu Lady G. . ., »der glühende Odem Teverinos hat sie umgewandelt.«

Sabina versuchte im nämlichen Tone zu scherzen; allein eine tödtliche Traurigkeit lag in ihrem Blicke; in der Gestalt der Verachtung entbrannte die Eifersucht in ihrem Herzen und Alles, was Leonce über die Glücksfälle des Marquis einfließen ließ, verursachte ihr schmerzliche Scham. Sie bemühte sich daher, sich selbst zu überzeugen, daß sie nicht, wie Magdalena, Teverinos glühenden Odem gleich einer Gewitterwolke über ihr Haupt dahinziehen gefühlt habe.

Sie bedurfte wohl einer halben Stunde, um diesen Gewissensbiß zu verscheuchen und die Ruhe ihres Stolzes wieder zu finden. Endlich fing sie an, ihren Sieg zu fühlen und der Zauber schien nicht mehr auf sie wirken zu können.

Um den Pfarrer zu zerstreuen, welcher sich immer schmeichelte, auf dem Weg nach seinem Dorfe zu sein, und einigermaßen staunte, die Gegend nicht wieder zu erkennen, hatte Teverino ein ernstes Gespräch über theologische Gegenstände mit ihm angeknüpft. Er war in seinem abenteuerlichen Leben mit allen Ständen und allen Dingen in Berührung gekommen. Er war mit einigen Prälaten und einigen unterrichteten Mönchen in näherem Umgange gestanden und einer jener Geister, welche hören, verstehen und sich erinnern ohne die mindeste Anstrengung. Sein Gedächtniß besaß eine gewisse Anzahl Bruchstücke von Beweisstellen, Auslegungen und Einwürfen, die er von den Verhandlungen, vielleicht während er die Schüsseln an einer Tafel apostolischer Feinschmecker umherbot oder die Chorstühle eines Kapitels geregelter Theologen abwischte, aufgefaßt hatte. Von der Gelehrsamkeit des guten Pfarrers war er weit entfernt, aber er konnte bei Gelegenheit der metaphysischen Spitzfündigkeiten bedeutend stärker erscheinen.

Der Pfarrer war erstaunt und geärgert zugleich über diese Mischung von Spitzfündigkeiten und Unwissenheit, und es gelang dem Zigeuner, der in Betracht, daß er es mit einem stärkern Theil zu thun hatte, hierin geschickter war als Molières Arzt wider Willen, ihn zu blenden, indem er positiven Fragen auswich und ihn mit pedantisch langweiligen Sätzen überhäufte, so daß der Polterer sich treuherzig fragte, ob er es mit einem argen, in allen Theilen gewappneten Ketzer, oder mit einem unwissenden Spaßmacher zu thun habe, der ihm in den Bart lachte.

Von Zeit zu Zeit gelangten einige ihrer Streitreden zu den Ohren ihrer Gefährten.

»Das ist eine Ketzerei, eine verdammungswürdige Ketzerei!« rief der Pfarrer, der das Rütteln des Wagens und die Schwierigkeiten des Weges nicht mehr beachtete.

»Ich weiß es, Herr Abbé,« hob Teverino wieder an, »und es ist nun die Frage, wie sie wiederlegen. Wie wollen Sie sich dabei benehmen? Ich wette, Sie wissen es nicht?«

»Ich würde die Gnade anrufen, mein Herr, Nichts als die Gnade!«

»Das hieße nur die Schwierigkeit wenden. Ein gelehrter Theologe verschmäht ausweichende Mittel!«

»Ausweichen, mein Herr! Sie nennen das ausweichen!«

»In diesem Fall, ja, Herr Abbé, denn Sie haben für sich das Concilium von Trient und Sie wissen das nicht einmal.«

»Das Concilium von Trient hat hierin keinen Ausspruch gethan, mein Herr! Sie werden wieder irgend ein Dekret bei den Haaren herbeiziehen wollen; das ist Ihre Gewohnheit, ich sehe es wohl!«

»Unser Polterer scheint mir außer sich,« sagte Sabina zu Leonce; »ist Ihr Freund wirklich ein Gelehrter? Ich bedaure, die Unterhaltung nicht von einem Ende zum andern zu hören.«

2Der Marquis versteht von Allem ein Bischen,« antwortete Leonce.

»Nur ein Bischen? Wer sollte das bei seiner Zuversichtlichkeit glauben? Doch es gibt viel solche Italiäner, es liegt dies im südlichen Charakter.«

»Dieser Charakter hat seinen Reiz und seine Verkehrtheiten, die einen so kindisch, daß man genöthigt ist, sie zu verlachen, die andern so mächtig, daß man gezwungen wird, sich ihnen zu unterwerfen.«

»Mein lieber Leonce,« sagte Sabina, welche das in melancholischer Betonung vorgebrachte Epigramm ihres Freundes verstand, »gewahr werden, heißt höchstens bemerken, und jedenfalls nicht, sich unterwerfen. Gestatten Sie mir, von Ihrem Freunde, wie von einem Fremden zu Ihnen zu sprechen und Ihnen zu sagen, daß er die thönerne Bildsäule mit den goldnen Adern ist.«

»Wohl möglich,« entgegnete er; »das Gold ist aber etwas so Kostbares und so Verführerisches, daß man es bisweilen sogar im Koth aufsucht.«

»Das ist ein Wort, welches mich schaudern macht?«

»Nehmen Sie an, als hätte ich Thon gesagt, das Sinnbild der Zerbrechlichkeit, nur machen Sie nicht eine Anwendung auf den Charakter des Marquis davon. Studiren Sie ihn selbst, Sabina; es ist der merkwürdigste Gegenstand zu Beobachtungen, den ich Ihnen bieten kann, und ich habe es nicht ohne Absicht gethan. Nur lassen Sie sich nicht blenden, wenn Sie hell sehen wollen. Ich gestehe Ihnen, daß selbst ich, der ich diesen Freund seit langer Zeit aus dem Gesicht verloren und weiß, wie beweglich solche Kraftnaturen sind, ihn so zu sagen nicht mehr kenne. Ich muß ihn von Neuem erforschen und kann mich nur bis auf einen gewissen Punkt für ihn verbürgen. Dies zur Nachricht und halten Sie sich auf der Hut.«

»Was bedeutet dieses letztere Wort? Glauben Sie mich in gefährlicher Begeisterung?«

»Sie wissen selbst nur zu wohl, daß Sie noch so eben in dieser Gefahr waren, da Sie mit Gefährdung Ihres Lebens über den Strom fahren wollten, um ihm Ihr Vertrauen und Ihre Ergebenheit zu beweisen.«

»Bedienen Sie sich nicht ungeeigneter und beleidigender Worte. Sollte man nicht meinen, es hätte Sie ärgerlich gemacht?«

»Haben Sie nicht gesehen, daß ich zornig war?«

»Sie reden in der That wie ein Eifersüchtiger.«

»Die Freundschaft hat ihre Eifersucht wie die Liebe. Das haben Sie selbst diesen Morgen gesagt.«

»Nun, so sei es; das ziert und belebt die Freundschaft,« sagte Sabina mit einer unwiderstehlichen Regung von Koketterie, »Sie war erschrocken, Teverino beinahe geliebt zu haben und bemühte sich, ein Schutzmittel dagegen zu schaffen, indem sie Leoncens zweifelhafte Liebe aufreizte. Es gelang ihr nur zu sehr. Er ergriff ihre Hand und preßte sie so in der seinigen, daß sie sie ganz glühend zurückzog. Magdalena schien eingeschlummert, erwachte aber bei dieser Bewegung und Lady G*** fühlte sich bei dem erstaunten Blick des Vogelmädchens verlegen. Sie machte ihr eine Liebkosung, um jeden feindseligen Gedanken von diesem Kinde zu verscheuchen; es geschah indeß nicht so ganz von Herzen und sie glaubte an Magdalena ein schlaueres Lächeln zu bemerken, als man sie dessen fähig gehalten hätte.

«Zum Kukuk! wo sind wir?« rief plötzlich der Pfarrer, um sich blickend.

»Wir sind bei St. Hieronymus,entgegnete Teverino.«

»Es handelt sich jetzt nicht mehr um St. Hieronymus, sondern um den Weg, den Sie uns nehmen lassen. Was ist das für ein Thal? wo geht die Straße hin? wo zum Teufel haben Sie uns am Ende noch hingeführt?«

Man war auf der Höhe einer langen und mühsamen Steige angekommen, und als man den Felsen umbog, von welchem eingeschlossen man mehr als eine Stunde gefahren war, sah man ein unermeßliches Thal in schwindelnder Tiefe unter sich ausbreiten. Von der Bergzinne, auf welcher unsere Reisende sich befanden, thürmten sich noch riesige, schneebekrönte Felsen empor, es war eine kahle, wunderliche, schauerlich romantische Natur; allein vor ihnen senkte sich der steile Weg in tausend malerischen Krümmungen zu den flachen Ebenen einer fruchtbaren, lachenden und farbenreichen Gegend. Was gibt es Schöneres, als ein solcher Anblick bei Sonnenuntergang, wenn man durch den eckigen Rahmen der Alpennatur die Pracht fruchtbarer Gefilde, die wellenförmigen Abhänge der Zwischenhügel entdeckt, welche im Feuer des Westens erglänzen, jene grünen aufgerollten Schluchten, die gleich feurigen Spiegeln in dieses großartige Gemälde gesäeten, entzündeten Flüsse und Seen und jenseits noch die bläulichen Zonen, welche sich vermischen, ohne in einander zu schmelzen, der violettfarbene Horizont und der in Licht und Klarheit prangende Himmel?

Sabina that einen Schrei der Bewunderung.

»Ach Leonce!« sagte sie, seine Hand mit Inbrunst wieder ergreifend, »wie danke ich Ihnen, mich hieher geführt zu haben! Gott sei gepriesen für diesen Tag!«

»Und ich auch, ich danke Ihnen schönstens,« sagte der Pfarrer in Verzweiflung; »wir dürfen uns fröhlich Gott anheimbefehlen, denn von Nachtessen und Nachtquartier ist jetzt keine Rede mehr. Da sind wir mehr als zehn Stunden von Hause und gehen in gerader Linie auf Venedig oder Mailand zu, statt unsern Polarstern und den Hahn unsers Kirchthurms aufzusuchen!«

»Statt so zu lästern,« sagte Teverino, sollten Sie auf die Kniee sinken, Pfarrer, und den Ewigen, den Schöpfer und Erhalter so großer Dinge preisen! Ich bin ganz und gar nicht zufrieden mit Ihrem Glauben, und wenn Sie mir nicht so lieb wären, so würde ich Sie sogleich meinem Onkel, dem heiligen Vater denunciren. Begrüßt man so Italiens Boden und den Weg, der zur ewigen Stadt führt, hirn- und grundsatzloser Abbé?«

»Das ist also Italien!« rief Sabina, aus dem Wagen springend, »mein theures Italien, von dem ich von Kindheit auf träume und das mein gottloser Mann mir kaum in Gemälden zu sehen verstattete! Wie, Marquis, Sie haben uns Italien betreten lassen?«

»O cara patria!5« sang Teverino mit seiner schönen Stimme das herrliche Recitativ aus Tancred beginnend: Terra degli avi mici, ti bacio!6

»Schließen Sie die Ohren,sagte Leonce, »es ist dies ein neues Verführungsmittel, vor dem ich Sie noch nicht gewarnt habe. Der Marquis singt wie Orpheus.«

»Ach! es ist Italiens Stimme! Gleichviel, welcher Mund sie aushauche! Mir ist, als ob Erde und Himmel diese Liebescantate sängen und in mein Herz dringen ließen. Italien, o mein Gott! so kann ich doch sagen, daß ich wenigstens Italiens Horizont begrüßt habe! Ihrem erfinderischen Willen und der Kühnheit unsers Führers, verdanke ich diesen höchsten Genuß. Seid mir Beide gesegnet!«

Bei diesen Worten reichte Sabina einem Jeden von ihnen die Hand und fing an, von ihnen fortgezogen, einer, grob zusammengezimmerten Hütte zuzulaufen, auf deren Schwelle ein Zollgardist, ein alter wilder Soldat in grünem Kleide, so dunkel wie die Nadeln der Tannen, und mit einem Schnurrbarte, so weiß wie der Schnee der Bergesgipfel, bemerklich war.

»Hüter Italiens!« sagte der Marquis lachend zu ihm, »Cerberus, der Du an die Schwelle des Tartarus gefesselt bist, öffne uns, die Pforte Edens und laß uns von der Erde zum Himmel eingehen! Sankt Petrus hat in eigener Person unsere Pässe unterzeichnet.«

Der Zollgardist schaute mit überraschter und zweifelnder Miene das Gesicht des Vagabunden an, welchen er acht Tage vorher nach tausend Förmlichkeiten, obwohl sein Wanderbuch in Ordnung war, hatte passiren lassen. Allein Teverino sah bei diesem Zusammentreffen wohl, daß ein gutes Aussehen und schöne Kleider die besten Kreditbriefe sind; denn kaum hatte Leonce seine Papiere vorgelegt und sich für die bei ihm befindlichen Personen verbürgt, so konnte der Vagabund aufrechten Hauptes seiner Wege ziehen.

Die Kutsche ward einen Augenblick angehalten und der Form wegen visitirt. Ein von Leonce nachlässig vor die Füße des Zollgardisten geworfenes Goldstück ebnete alle Schwierigkeiten.

»Und jetzt,« sagte Sabina, mit Leonce und dem Marquis immer voranlaufend, »trete ich also wirklich und unbestritten Italiens Boden und athme ich seine Wohlgerüche und leuchtet mir sein Himmel!«

»Halten Sie hier, Signora,« sagte Magdalena, sie beim Kleide ziehend, ich versprach Ihnen, Sie bei Sonnenuntergang etwas Merkwürdiges sehen zu lassen und der Herr Pfarrer könnte diese Nacht nicht ruhig schlafen, wenn ich nicht Wort hielte.«

»Wenn ich nur irgendwo schlafen kann, so will ich mich schon glücklich schätzen,« antwortete der Pfarrer, von dem eben gemachten Laufe, um Sabina zu folgen, außer Athem gebracht.

 

Als er sie nun, entschlossen die Talente des Vogelmädchens zu bewundern, an den Rand des Weges sitzen sah, sank auch er auf den Rasen hin, und bediente sich seines großen Hutes als Fächer. Er hatte weder Kräfte zum Widerstand noch zur Klage mehr.

»Das ist die Stunde!« sagte das Vogelmädchen, sich auf die Felsen schwingend, die den hervorragendsten Punkt dieses Alpenkamms bildeten, und indem sie mit der Behendigkeit einer Katze von Platte zu Platte bis zur äußersten sprang, wo sich ihr schlanker Schattenriß, in dem warmen Ton des Himmels abzeichnete, begann sie ihre rothe Fahne flattern zu lassen. Zu gleicher Zeit bedeutete sie die Zuschauer, den Himmel über ihnen zu betrachten, und beschrieb mit ihren erhobenen Armen gleichsam einen magischen Kreis, um die Region, wo sie ihre Adler kreisen sah, zu bezeichnen.

Allein Sabina schaute vergeblich hin, die Vögel waren in einer solchen Unermeßlichkeit verloren, daß nur das phänomenartige Gesicht des Vogelmädchens ihre Gegenwart ahnen oder bemerken konnte. Endlich erblickte sie einige schnwarze, Anfangs undeutliche Punkte, die über den Wolken zu schweben schienen. Nach und nach schienen sie diese zu durchziehen, ihre Zahl vermehrte sich zugleich mit der Ausdehnung ihres Umfanges. Endlich unterschied man die Weite ihrer ausgebreiteten Flügel und ihr wildes Geschrei ließ sich gleich einem teuflischen Concert in der Region der Stürme vernehmen.

Große und dann immer enger gewordene Umkreise beschreibend, flatterten Sie lange über dem Haupte des Vogelmädchens und als sie sich senkrecht über ihr, zu einer dichten Gruppe zusammengeschlossen, schwebten sie wie ein Ballen und durch ein unbesiegliches Mißtrauen gelähmt, auf und nieder.

Nun bedeckte sich Magdalene den Kopf, verbarg ihre Hände in ihren Mantel, zog die Füße unter ihrem Röckchen hinauf und sank wie ein Leichnam auf den Felsen hin, da stürzte in demselben Augenblick der Schwarm fleischfressender Vögel auf sie ein, als hätten sie sie verzehren wollen.

»Dieses Spiel ist gefährlicher, als man meint,« sagte Teverino, Leoncens Flinte aus der Kutsche nehmend und dem Felsen zustürzend; »vielleicht sieht die Kleine nicht, mit wie viel Feinden sie’s zu thun hat.«

Um gleichsam ihren Muth zu zeigen, stand nun Magdalena auf und schwenkte ihren Mantel. Die Adler entwichen, hielten sich aber, da sie diese vorübergehende Bewegung für Todeszuckungen nahmen, in gewisser Entfernung, indem sie die Luft mit ihrem schauerlichen Geschrei erfüllten, und kamen, sobald das Vogelmädchen sich wieder niedergelegt hatte, auf’s Neue heran. So lockte und verscheuchte sie sie nun zu verschiedenen Malen, dann enthüllte sie den Kopf, breitete die Arme aus und blieb unbeweglich und harrend stehen. In diesem Augenblick hob Teverino die Mündung seiner Flinte, um diese blutdürstigen Bestien, wenn es nöthig sein sollte, am Herandringen zu verhindern. Allein Magdalena bedeutete ihm, Nichts zu fürchten, und nachdem sie den Feind durch das Feuer ihres Blickes im Bann gehalten, kam sie langsam vom Felsen herab, indem sie einen todten Vogel zurückließ, mit dem sie sich, ohne etwas zu sagen, versehen und den sie in einen Lappen eingewickelt hatte. Während sie hinabstieg, stürzten sich die Adler auf die Beute und machten sich dieselbe unter wüthendem Geschrei streitig.

»Sehen Sie nur,« sagte Magdalena, sich wieder zu den Zuschauern gesellend, »wie sie über mein Schnupftuch, das ich da oben vergessen habe, in Zorn gerathen! wie sie die Unverschämten spielen, da ich mich jetzt nicht mehr mit ihnen beschäftige! Fort, lassen wir sie ihren Sieg besingen; es sind feige und boshafte Thiere, die gehorchen und nicht lieben. Ich bin überzeugt, daß meine armen, kleinen Vögel, wenn auch noch so weit, sie hören und vor Furcht fast sterben. Wenn ich mir oft solche Untreue gegen sie zu Schulden kommen ließe, so glaube ich, Sie würden mich verlassen.«

»Ich glaube aber nicht, daß Deine Vögel Dir bisher gefolgt seien,« bemerkte ihr Leonce.

»Nein,« antwortete sie: »sie hätten mich begleitet, wenn ich’s gewollt hätte; allein ich wußte, daß sie hier überflüssig wären, und habe sie in ein Wäldchen, das wir jenseits des Flusses gelassen haben, schlafen geschickt.«

»Und wo wirst Du sie morgen wieder finden?«

»Das geht mich Nichts an,« antwortete sie stolz; »an ihnen ist’s, mich aufzusuchen, wo es mir belieben wird, mich aufzuhalten. Sie sehen weit und während ich eine Stunde mache, können sie zwanzig zurücklegen.«

»Wenn wir nur noch zwei oder drei zurücklegen könnten, um ein Unterkommen zu finden,« warf der Pfarrer ein, der an dem Schauspiel mit den Adlern kein Interesse genommen hatte, »so dürften wir der Vorsehung danken.«

»Wenn’s nur das ist, Abbé,« sagte Teverino, »so stehe ich Ihnen für ein gutes Nachtessen, ein gutes Feuer, um uns von der eindringenden Abendfeuchte zu trocknen, und für ein gutes gewärmtes Bett, um sich von Ihrer Ermüdung zu erholen, wenn Sie wenigstens nicht beharrlich auf der Rückkehr nach St. Apollinaire bestehen, in welchem Fall Mylady geruhen wird, Ihnen volle Freiheit zu lassen, und Sie dann zu Fuß heimkehren und mit der Rückkehr der Sonne bei Hause sein können.«

»Sehr verbunden für eine solche Freiheit!« sagte der Pfarrer, »da ich einmal in Ihre Hände gefallen bin, so darf ich nicht hoffen, mich herauszuziehen, und wenn Sie sich verbürgen, uns diese Nacht erträglich zu beherbergen, so will ich die Todesangst meiner armen Barbel und das Staunen meiner Pfarrkinder, wenn morgen kein Meßgeläut zu ihren Ohren klingt, zu vergessen suchen!«

»Morgen ist nicht Sonntag und Ihre Vernachläßigung ist eine unwillkührliche,« sagte Teverino. »Fort jetzt, machen wir uns wieder auf den Weg und Gott geleite uns.«

»Je nun und ich?« sagte Sabina erschrocken zu Leonce. »Und mein Gemahl, der jetzt wahrscheinlich aufgewacht ist und seine Toilette macht, um in meinem Zimmer zu frühstücken, das heißt, zu Nacht zu speisen.«

»Reden Sie leiser, Madame, damit der Pfarrer Sie nicht hört, denn er ist der Einzige unter uns, der an einer solchen Lage Aergerniß nehmen könnte . . .«

»Wie! wir werden die Nacht über ausbleiben? Das wird zur Tageschronik der Gegend werden.«

»Nein, seien Sie vom Gegentheil überzeugt. Die Gesellschaft des Pfarrers deckt Alles, und Nichts ist natürlicher, als sich im Gebirge zu verirren, von der Nacht überfallen zu werden und erst am folgenden Tage heimzukehren. Der Pfarrer wird über einen so schrecklichen Tag gewiß Lärm genug schlagen, so daß Niemand seine Gegenwart in unserer Mitte in Zweifel ziehen kann.«

»Wenn aber Ihr Marquis, für den Sie sich nicht verbürgen, ein Laffe ist, so wird er impertinente Dinge auf meine Rechnung ausstreuen.«

»Ich verbürge mich wenigstens, ihn zum Schweigen zu bringen, wenn dem so ist. Gehn Sie, Sabina, warum wollen Sie uns jetzt wieder in die traurige Wirklichkeit zurückversetzen. Wo ist der Enthusiasmus, den der glühende Boden Italiens Ihnen noch so eben mittheilte? Die Poesie stirbt bei der Erinnerung an die weltlichen Convenienzen und wenn Sie des Glaubens ermangeln, so wird mich auch meine Macht in Mitte unserer Fahrt verlassen.«

»Wohlan denn, Leonce, vogue la galère!«

»Die Luft wird kühler, erlauben Sie mir, Sie in meinen Mantel einzuhüllen,« sagte Leonce.

»Lassen wir auch ein Stück davon dieser Kleinen, die so dürftig bekleidet ist,« sagte sie, Magdalena an ihrer Seite suchend.

»O! danke, Euer Gnaden, mich friert nicht,« sagte das Vogelmädchen, welches neben Teverino auf den Kutschersitz hingeschlüpft war.

»Ich fürchte nur, der Pfarrer habe recht,« bemerkte Sabina auf englisch, »und sie sei eine kleine Unverschämte. Ist sie jetzt nicht in Ihren Italiäner vernarrt?«

»Ei, was liegt Ihnen daran?« sagte Leonce.

Teverino trieb die Pferde zu raschem Hinunterfahren an, und ohne die Kraft dieser edlen Thiere, welche ganz schaum- und schweißbedeckt noch ungeduldig sprangen, hatten sie sich mehr als eine Stunde lang im Zickzack an diesem von fürchterlichen Abgründen, begränzten Abhang hinschleppen lassen können. Magdalena dachte nicht daran und bald entzog die Nacht dem Pfarrer den Anblick einer Lage, die ihn schwindlig gemacht hätte.

»Schauen Sie, Signora!« rief endlich der Marquis, auf Lichter in dem dunkeln Grunde der Landschaft hinweisend; »das ist eine Stadt, eine Stadt Italiens!«

4Italien! Italien!
5O theures Vaterland!
6Land meiner Sehnsucht, sei gegrüßt.