Jesus nach 2000 Jahren

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Mk 3,20-35: Die Ablehnung Jesu durch eigene Verwandte und durch Schriftgelehrte

(20) Und er (Jesus) kommt in ein Haus. Und das Volk kommt wiederum zusammen, so daß sie nicht einmal Brot essen konnten. (21) Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf, um ihn zu ergreifen; denn sie sagten: »Er ist von Sinnen.«

(22) Und die Schriftgelehrten, die von Jerusalem kamen, sagten: »Er hat den Beelzebul«, und: »Durch den Führer der Dämonen treibt er die Dämonen aus.«

(23) Und er rief sie und sprach in Gleichnissen zu ihnen: »Wie kann Satan Satan austreiben?

(24) Und wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann jenes Reich nicht bestehen.

(25) Und wenn ein Haus in sich gespalten ist, wird jenes Haus nicht bestehen können.

(26) Und wenn Satan gegen sich selbst aufsteht und gespalten ist, kann er nicht bestehen, sondern es hat ein Ende.

(27) Aber keiner kann in das Haus des Stärkeren eindringen und seine Habe ausplündern, wenn er nicht vorher den Starken bindet. Und dann wird er sein Haus ausplündern.

(28) Amen, ich sage euch: Alles wird den Menschenkindern vergeben werden, die Sünden und die Lästerungen, wieviel sie auch lästern werden. (29) Wer aber gegen den Heiligen Geist lästert, wird keine Vergebung in Ewigkeit haben, sondern ist der ewigen Sünde schuldig.«

(30) Denn sie sagten: Er hat einen unreinen Geist.

(31) Und es kommen seine Mutter und seine Brüder und, draußen stehend, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. (32) Und um ihn saß das Volk. Und sie sagen ihm: »Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen suchen dich.«

(33) Und er antwortet ihnen und sagt: »Wer ist meine Mutter und meine Geschwister?«

(34) Und er sieht ringsum auf die, die um ihn im Kreise sitzen, und sagt: »Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Geschwister! (35) Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.«

Redaktion

Der Abschnitt Mk 3,20-35 weist die für Mk typische Verschachtelungstechnik auf. Man vgl. die große Anzahl von Belegen – die eingeschachtelte Erzählung ist jeweils in Klammern gesetzt: 5,21-43 (V. 25-34); 6,7-30 (V. 14-29); 11,12-24 (V. 15-19); 14,1-11 (V. 3-9); 14,54-72 (V. 55-65). Die anderen Evangelien des Neuen Testaments, die das MkEv ausschreiben, machen die Verschachtelung häufig rückgängig, ein Grund mehr, diese als Stilmittel des Mk aufzufassen, der damit oft eine zusammenhängende Überlieferung auseinandergerissen und in sie, um einen größeren dramatischen Effekt zu erzielen, eine weitere Erzählung eingearbeitet hat.

V. 20 ist aus sprachlichen und inhaltlichen Gründen ganz auf Mk zurückzuführen.

V. 21: Hier beginnt das Überlieferungsstück, das Mk zerrissen hat.

V. 22-30: Jetzt folgt eingeschachtelt eine Geschichte über »Jesus und die bösen Geister«, in der Schriftgelehrte aus Jerusalem gegen Jesus den Vorwurf erheben, er habe den Beelzebul, d.h. er sei besessen (V. 22). Diese Attacke steigert den Vorwurf der Verwandten aus V. 21, Jesus sei von Sinnen, und wird von Mk den Schriftgelehrten in den Mund gelegt. Jerusalem ist für Mk die feindselige Stadt, in der Jesus getötet werden wird und die deshalb dem Untergang geweiht ist. Schriftgelehrte aus Jerusalem sind für Mk also die schlimmsten vorstellbaren Gegner.

Anschließend (3,31-35) setzt sich die in V. 20-21 begonnene Erzählung fort:

V. 31-32: Mk kennzeichnet »die Seinen« aus V. 21 nachträglich als leibliche Familie Jesu. Auf die Nachricht des Volkes hin (V. 32) definiert Jesus im Folgenden seine Familie neu.

V. 33-35: Nur diejenigen können Bruder, Schwester oder Mutter Jesu sein, die den Willen Gottes tun. Auffällig ist dabei das Fehlen des Vaters Jesu. Den Schlüssel zum Verständnis liefert Mk 10,29-30:

(29) »Es sagte Jesus: ›Amen, ich sage euch: Es gibt keinen, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker um meinetwillen und um des Evangeliums willen verlassen hat, (30) ohne daß er Hundertfaches empfangen wird: jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker – unter Verfolgungen – und im kommenden Äon ewiges Leben‹.«

Beide Stellen spiegeln eine Gemeinschaft der Nachfolge Jesu wider, die keinen Vater jüdisch-patriarchaler Art kennt. Das läßt sich wohl so erklären, daß Jesus zufolge alle denselben himmlischen Vater haben und deshalb keiner irdischen Väter bedürfen, die Machtansprüche erheben (vgl. Mt 23,9: »nennt nicht jemanden unter euch Vater auf der Erde!«).

Tradition

V. 21.31-35: Die von Mk vorgefundene Überlieferung umfaßt den Grundstock von V. 21.31-35. Sie kann als ideale Szene bezeichnet werden, in der sich Jesus über seine wahre Familie äußert.

V. 22b-27: Dieses Stück hat eine Parallele in Q (vgl. Mt 12,22-30/Lk 11,14-23) und setzt sich aus zwei Einheiten zusammen. V. 22b-26: Die Einteilung in Angriff und Antwort als doppelgliedriges Bildwort (gespaltenes Reich und entzweites Haus) entspricht der typischen Form jüdischer Debatte. V. 27: Dieses Bildwort ist ein ursprünglich freies Logion.

V. 28-29 sind ein Gesetzeswort bzw. eine Gemeinderegel, die im jetzigen Kontext etwas in der Luft hängt, weil vorher vom heiligen Geist nicht die Rede war. Zur Lästerung des heiligen Geistes in V. 29 vgl. Lk 12,10 (Q).

V. 30 rundet den Vorwurf gegen Jesus ab (vgl. V. 22).

Historisches

V. 21.31-35: In der idealen Szene sind zwei Traditionskerne enthalten, die auf historisches Urgestein schließen lassen: a) Die Familie Jesu hielt ihn für »von Sinnen« (V. 21) und wollte ihn ergreifen. Eine solche Nachricht ist zu anstößig, als daß sie hätte erfunden werden können (zur weiteren Begründung s. zu Lk 2,7 unter »Historisches«). Zudem lassen Mt und Lk in der Verarbeitung des MkEv diese Notiz ersatzlos aus (vgl. Mt 12,46-50; Lk 8,19-21). Sie streichen sie also. b) Der Satz V. 35 reflektiert die soziale Struktur von Gemeinden in der Nachfolge Jesu nach »Ostern« (vgl. oben zur Redaktion). Der Vers spiegelt die Situation von ortsansässigen Konvertiten wider, die von ihrer Familie verstoßen worden waren (vgl. Lk 14,26/Mt 10,37), und verheißt ihnen eine soziale Ersatzfamilie. Geschichtlich ist dieser Satz aber nicht, denn er ist aus der Gemeinde abzuleiten. Jesus hatte überhaupt keine Ersatzfamilie im Blick, sondern das Reich Gottes, in dem er mit den Zwölfen herrschen und zuvor Israel richten werde (Mt 19,28).

V. 23b-27: Jesus hat die Sätze Mk 3,27 im Gefühl des sicheren Sieges gesprochen und bezieht sich in ihnen auf Satan. Das gleiche gilt für V. 23b-26. Jesus selbst hat offenbar seine Wunder als Zeichen für das Hereinbrechen des Reiches Gottes aufgefaßt (Bultmann, 11); vgl. Lk 11,20.

V. 28-29: Diese Worte sind unecht, denn sie gehen auf die Gemeinde zurück. Interessant ist, daß es eine zweistufige Sanktion gibt: a) Sünden und Lästerungen werden vergeben (vgl. zu Mt 18,15-18); b) Lästerungen gegen den heiligen Geist sind unvergebbar und werden mit der ewigen Verdammnis bestraft. Wahrscheinlich handelt es sich hier um uneinsichtige Übeltäter (vgl. Mt 18,17), die dann aus der Gemeinde ausgestoßen wurden.

Zur Gleichnisauslegung

Gleichnisse bilden die Mitte der Verkündigung Jesu. Die moderne Gleichnisforschung beginnt mit Adolf Jülicher (1857–1938). Er hatte den radikalen Unterschied zwischen Allegorie und Gleichnis herausgearbeitet. Allegorien seien Deutungen der verschiedensten Einzelpunkte eines Gleichnisses, das man nicht mehr verstand, da die Situation, in der es gesprochen wurde, unbekannt war. „Eine Allegorie liegt dort vor, wo ein Redeganzes erst durch Übertragung aller seiner Hauptbegriffe … auf ein anderes Gebiet zum wahren Verständnis gelangt“ (Jülicher I, 59).

Jülicher sieht die allegorischen Deutungen, die Jesus in den Mund gelegt wurden, als spätere Zutaten an. Die Gleichnisse Jesu seien demgegenüber ein Stück wirklichen Lebens und richteten sich an einer Pointe aus. »(Z)wischen der Bildhälfte der Gleichnisse Jesu und ihrer Sachhälfte, d.h. der intendierten Sachaussage, um derentwillen das Bild ersonnen wurde, gibt es nur eine Berührungsstelle, einen Vergleichspunkt, ein tertium comparationis« (Schramm / Löwenstein, 136).

„Vom Gleichnis unterscheidet Jülicher die Parabel, die nicht zwei Sachverhalte nebeneinander stellt, sondern den als Gleichnis dienenden Sachverhalt in Erzählung umsetzt“ (Bultmann, 188). Die Übergänge zwischen Gleichnis und Parabel verschwimmen aber oft, so dass ein Forscher wie Joachim Jeremias (1900–1979) auf eine Differenzierung verzichtet (J. Jeremias, 16). Außerdem macht hebr. maschal / aram. mathla keinen Unterschied zwischen Vergleich, Sprichwort, Parabel, Gleichnis (Wellhausen, 349).

Von Jeremias stammt auch die Kritik an Jülicher, dieser habe versäumt, den historischen Ort der einzelnen Gleichnisse im Leben Jesu zu behandeln. Da Jülicher ferner – so Jeremias – den endzeitlichen Kontext des Reiches Gottes für die Gleichnisauslegung nicht hinreichend berücksichtigte, habe er die Aufgabe nur zur Hälfte erfüllt. Jeremias bilanziert: »(D)ie Hauptarbeit bleibt: es muß versucht werden, den ursprünglichen Sinn der Gleichnisse wiederzugewinnen« (J. Jeremias, 16). Diesem Votum schließe ich mich an, betone aber zugleich, dass diese Forderung nicht immer in die Tat umgesetzt werden kann.

Mk 4,1-20: Das Sämannsgleichnis und seine Deutung

(1) Und wiederum begann er am Meer zu lehren. Und zu ihm kommt eine sehr große Volksmenge, so daß er ins Boot steigt und auf dem Meer sitzt. Und das ganze Volk war beim Meer auf dem Land.

 

(2) Und er lehrte sie viele (Dinge) in Gleichnissen und sagte ihnen in seiner Lehre:

(3) »Hört! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. (4) Und es geschah, daß beim Säen das eine auf den Weg fiel, und es kamen die Vögel und fraßen es auf.

(5) Und anderes fiel auf Felsboden, wo es nicht viel Erde hatte, und sofort ging es auf, weil es keine tiefe Erde hatte. (6) Und als die Sonne aufging, verbrannte es und, weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es.

(7) Und anderes fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten es, und es gab keine Frucht.

(8) Und anderes fiel in die gute Erde und gab Frucht, indem es aufging und wuchs, und trug dreißig- und sechzig- und hundertfach.«

(9) Und er sagte: »Wer Ohren hat zu hören, der höre!«

(10) Und als er allein war, fragten ihn die um ihn waren mit den Zwölfen nach den Gleichnissen. (11) Und er sagte ihnen: »Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben. Jenen aber draußen geschieht alles in Gleichnissen,

(12) damit sie sehend sehen und doch nicht sehen

und hörend hören und doch nicht verstehen,

damit sie nicht umkehren und ihnen vergeben werde.«

[Jes 6,9-10]

(13) Und er sagt ihnen: »Ihr versteht dieses Gleichnis nicht, und wie werdet ihr alle Gleichnisse verstehen?

(14) Der Sämann sät das Wort.

(15) Diese sind die auf dem Weg. Wo das Wort gesät wird und wenn sie hören, kommt gleich der Satan und nimmt das Wort, das in sie gesät wurde, weg.

(16) Und diese sind die auf den Fels Gesäten, die, wenn sie das Wort hören, es sofort mit Freude aufnehmen (17) und keine Wurzel in sich haben, sondern Augenblicksmenschen sind. Erhebt sich Drangsal oder Verfolgung um des Wortes willen, nehmen sie Anstoß.

(18) Und andere sind die in die Dornen Gesäten. Diese sind die das Wort Hörenden, (19) und die Sorgen der Welt und der Betrug des Reichtums und die auf das andere bezogenen Begierden gehen in sie hinein und ersticken das Wort, und es wird fruchtlos.

(20) Und jene sind die auf die gute Erde Gesäten, die das Wort hören und aufnehmen und Frucht bringen, dreißig- und sechzig- und hundertfach.«

Redaktion

Mk hatte in 1,15 den Inhalt der Predigt Jesu vorab zusammengefasst – Reich Gottes, Umkehrforderung, Aufruf zum Glauben – und die Lehre Jesu betont (1,21-22.27; 2,13). Darauf zurückgreifend führt er nun Jesu Lehre in Gleichnissen als Teil seiner Verkündigung ein (4,1-2) und nennt mehrfach das Reich Gottes (4,11.26.30).

V. 1-2 gehen ganz auf Mk zurück; z.B. knüpft das jetzt als Seekanzel wichtig werdende Boot aus V. 1 an 3,9 an.

V. 3-8: Die redaktionellen Eingriffe sind geringfügig. Der Aufruf zum Hören am Anfang (V. 3) bezieht sich nicht auf das Gleichnis, sondern auf dessen Deutung (s. weiter unten).

V. 9: Der Weckruf ist zwar traditionell, gehört aber wohl nicht ursprünglich zum Gleichnis, da er an viele verschiedene Stoffe angeschlossen werden konnte (vgl. nur Mk 4,23). Er wurde hier wahrscheinlich von Mk selbst hinzugefügt.

V. 10: Die Frage der Jünger nach der Deutung der Gleichnisse im allgemeinen kommt überraschend, da Jesus doch nur ein Gleichnis vorgetragen hat. Der Plural »Gleichnisse« leitet zu V. 11-12 über und geht auf Mk zurück. Von Mk stammt auch die nachklappende Erwähnung der Zwölf.

V. 11-12, ein „sehr altertümliches Logion“ (J. Jeremias, 11), man vgl. in V. 11 nur den antithetischen Parallelismus, hat der zweite Evangelist in die Tradition eingefügt. Lediglich die Anreihungsformel »Und er sagte ihnen« stammt von ihm. Zu V. 12 vgl. Jes 6,10.

V. 11–12 sind im Rahmen des MkEv israelkritisch. Man vgl. den Tötungsbeschluß der Pharisäer und Herodianer in Mk 3,6, die Zeichenforderung der Pharisäer (8,11), die Vollmachtsfrage durch die Hohenpriester und Schriftgelehrten (11,27-33) und die betont herausgestellte Tatsache, daß wegen der Tötung des Sohnes der Weinberg (nämlich durch die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70) von Israel genommen werde (Mk 12,1-12). Dagegen kommt die Deutung von »jene(n) draußen« auf die Verwandten Jesu (vgl. 3,31: sie warten draußen) schwerlich in Frage. Denn die Verwandten sind ja bei der Gleichnisrede und beim späteren Wirken Jesu nicht anwesend. Es bleibt also dabei, daß »jene draußen« die Juden bezeichnet, die Jesus Botschaft ablehnen.

Positiv entspricht das Logion V. 11-12 dem Messiasbekenntnis des Petrus (Mk 8,29) und dem Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz, Jesus sei der Sohn Gottes gewesen (Mk 15,39).

V. 13-20 sind von Mk praktisch unverändert wiedergegeben worden (lediglich V. 13b geht auf ihn zurück). Im Zusammenhang des Gleichniskapitels Mk 4 betont Mk durch die Hinzufügung der Gleichnisdeutung V. 13-20 den paränetischen Aspekt – die Hörer von V. 13-20 sollen ihre eigene Rolle als Glaubende überprüfen – und baut ihn später (vgl. V. 24-25) noch aus.

Tradition

V. 3-8.14-20: Hier liegt die Tradition einer Parabel (V. 3-8) vor, die schon auf der vormarkinischen Stufe mit einer Auslegung ausgestattet worden war. Diese Deutung ist sekundär: Erstens enthält sie christliche Terminologie. So wird z.B. »das Wort« als Fachausdruck für das Evangelium verwendet (vgl. den Fettdruck für »Wort« in der Übersetzung). Dies ist erst nach Ostern denkbar: vgl. Gal 6,6; 1Thess 1,6 u.ö.

Zweitens finden sich in der Deutung Begriffe, die in den neutestamentlichen Evangelien nicht erscheinen, dafür aber in der Briefliteratur: »säen« bildlich für »verkündigen« (1Kor 9,11), »Wurzel« bildlich für Standhaftigkeit (Eph 3,17; Kol 2,7).

Drittens hat die Deutung des Gleichnisses keine futurische Ausrichtung mehr, sondern richtet sich an der Psychologie der Konvertiten aus. Sie sollen sich daraufhin prüfen, ob sie weiter Christen sein wollen.

Viertens bestätigt das ThEv (s. sofort), daß das Gleichnis ursprünglich ohne Deutung umlief.

Ertrag: Die Interpretation des Gleichnisses vom Sämann stammt nicht von Jesus, sondern aus der christlichen Gemeinde, die es interpretiert und ihm in den Mund gelegt hat. In der Deutung bezeichnen vier verschiedene Ackertypen Menschen, die ein unterschiedliches Verhältnis zum Wort Gottes entwickelt haben.

Als älteste Tradition schälen sich V. 3-8 heraus, eine Tradition, die eine enge Parallele in Th 9 hat (s. unten, S. 526f). Dort heißt es:

»Jesus sagte: ›Siehe, ein Sämann zog aus, füllte seine Hand und warf die Samen. Einige fielen auf den Weg; die Vögel kamen, sie pickten es auf. Andere fielen auf den Felsen, und sie schlugen keine Wurzeln in der Erde und brachten keine Ähren herauf gen Himmel. Und andere fielen auf die Dornen; sie erstickten die Saat, und der Wurm fraß sie. Und andere fielen auf die gute Erde, und sie gab eine gute Frucht gen Himmel; sie brachte 60 des Maßes und 120 des Maßes‹.«

Der Vergleich zwischen Mk- und Th-Fassung ergibt, daß eine weitgehende Übereinstimmung besteht, mit zwei Ausnahmen: Erstens weicht der Schluß darin ab, daß Mk von dreißigfacher und sechzigfacher und hundertfacher Frucht spricht, Th dagegen von sechzig und hundertzwanzig Maßen. Zweitens schreibt Mk bei der Erwähnung des felsigen Bodens, daß die Saat zunächst sofort aufgegangen sei und daß die aufgehende Sonne zur Verwelkung beigetragen habe (Mk 4,6), während Th hierzu schweigt. Im ganzen wird man die Fassung des ThEv für älter als die des MkEv halten, weil es sich bei ihr um eine schlichtere Form handelt.

V. 10*.13a: Der von Mk vorgefundene Text lautete: »Und als er allein war, fragten ihn die, die um ihn waren, nach dem Gleichnis. Und er sagt ihnen: Versteht ihr dieses Gleichnis nicht?« (Darauf folgte die Deutung des Gleichnisses in V. 14-20.)

Das Wort V. 11-12 spiegelt eine Gemeindesituation wider, die apokalyptische Gedanken aufgenommen hat und von einem elitären Bewußtsein getragen ist (Gnilka, Mk I, 167). Ein Jesuswort ist es auf keinen Fall, denn es charakterisiert die Gleichnisse als Rätsel, während Jesu Worte auf Verständigung und Verständnis zielten. Der Widerspruch von V. 11-12 zu Jesu Absicht könnte nicht größer sein. Während Jesus in Gleichnissen redete, um verstanden zu werden, erklärt der Verfasser von V. 11-12 ganz das Gegenteil: Jesus habe in Gleichnissen gesprochen, um mißverstanden zu werden, um »die das draußen« in die Irre zu führen (= Verstockungstheorie).

Historisches

V. 3-8*: Die Parabel dürfte – mit den oben genannten Einschränkungen – sicher auf Jesus zurückgehen; damit ist – wegen der fehlenden Sachhälfte – allerdings noch nichts über ihren Sinn ausgesagt.

»Ist sie ein Trost für jeden Menschen, wenn nicht alle seine Arbeit Frucht trägt? Ist sie in diesem Sinn gleichsam ein halb resignierter, halb dankbarer Monolog Jesu? Ist sie eine Mahnung an die Hörer des göttlichen Worts? Der Predigt Jesu? … Oder ist in der ursprünglichen Parabel überhaupt nicht auf das Wort reflektiert«? (Bultmann, 216). Oder sind die in die Welt gesäten Menschen gemeint?

Jedenfalls greift das Gleichnis in seinen Bildern auf Erfahrungen eines Bauern in Galiläa zurück. Hier und im übrigen Palästina wurde vor dem Pflügen gesät. Daher schildert das Gleichnis einen Normalfall, in dem Mißerfolge von vornherein »eingeplant« sind. »Der Säemann des Gleichnisses schreitet also über das ungepflügte Stoppelfeld! Nun wird begreiflich, warum er auf den Weg sät. … Absichtlich sät er auf die Dornen, die verdorrt auf dem Brachfeld stehen, weil auch sie mit umgepflügt werden sollen. Und daß Saatkörner auf das Felsige fallen, kann jetzt nicht mehr überraschen … Was dem Abendländer als Ungeschick erscheint, erweist sich für palästinische Verhältnisse als Regel« (J. Jeremias, 7f).

Aber wie lautet der Sinn des Gleichnisses? Mag seine Bildhälfte auch recht einprägsam sein, seine Interpretation ist höchst umstritten. Dies hängt einmal damit zusammen, daß sich die Unkenntnis der ursprünglichen Erzählsituation in diesem Fall besonders nachteilig auswirkt, zum anderen damit, daß man das Gleichnis entweder von seiner Deutung her verstand oder von dieser radikal abtrennte, so daß nur unsichere Anhaltspunkte für die Interpretation zurückblieben. Die Unsicherheit drückt sich schon in der Benennung des Gleichnisses aus. Je nachdem, ob man den Sämann, den Samen oder den Ackerboden in den Vordergrund rückt, nannte man es das Gleichnis vom unverzagten Sämann, vom ausgestreuten Samen oder vom viererlei Acker. Man vgl. Jülicher II, 514-538.

Die von mir aufgrund des Kohärenzkriteriums bevorzugte Möglichkeit des Verständnisses ordnet das Gleichnis der Zukunftserwartung Jesu zu. Dabei reihe ich es in die Reich-Gottes-Gleichnisse ein und gehe von der Kontraststruktur aus. Diese liegt darin, daß das Gleichnis zu Anfang einen anderen Zeitpunkt beschreibt als am Schluß. Während zunächst die Aussaat geschildert wird, stellt der Schlußvers die ausgereiften Ähren vor Augen. Damit wird der Einbruch des Reiches Gottes verglichen. Ihm stehen mannigfaltiger Mißerfolg und Widerstand in der Gegenwart gegenüber. So ruft das Gleichnis zur Zuversicht auf: »Allem Mißerfolg und Widerstand zum Trotz läßt Gott aus den hoffnungslosen Anfängen das herrliche Ende hervorgehen« (J. Jeremias, 150). Als Gleichnis Jesu drückt es dann Jesu Zuversicht aus – eine Zuversicht, die wegen des faktischen Nicht-Eintretens des Reiches Gottes eine Niederlage erlitt.

V. 9 ist als Wort Jesu unecht.

V. 11-12 sind ungeschichtlich.

V. 10*.13a.14-20 sind ungeschichtlich.