Midrasch

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|19|II. Was ist Midrasch?

1. Grundlegende Literatur



Gerlemann, Gillis/Ruprecht, Eberhard, „drš: fragen nach.“

ThWAT

 I (1984), S. 460–467.



Gruber, Mayer I., The Term Midrash in Tannaitic Literature. In: Ulmer, Rivka (Hg.),

Discussing Cultural Influences. Text, Context and Non-Text in Rabbinic Judaism

. Lanham 2007, S. 41–58.



Lim, Timothy H., Origins and Emergence of Midrash in Relation to the Hebrew Bible. In:

Encyclopedia of Midrash

 I, S. 595–612.



Maier, Johann, „dāraš; midrāš.“

ThWQ

 I (2011), Sp. 725–737.



Mandel, Paul, Legal Midrash between Hillel and Rabbi Akiva: Did 70 Make a Difference? In: Schwartz, Daniel/Weiss, Zeev (Hgg.),

Was 70 CE a Watershed in Jewish History? On Jews and Judaism before and after the Destruction of the Second Temple

 (Ancient Judaism and Early Christianity 78). Leiden – Boston 2012, S. 343–370; ders., „Darash Rabbi Peloni. A New Study.“

Dappim: Research in Literature

 16–17 (2008), S. 27–54 ; ders., the Origins of Midrash in the Second Temple Period. In: Bakhos, Carol (Hg.),

Current Trends in the Study of Midrash

 (JSJ Supplements 106). Leiden – Boston 2006, S. 9–34; ders., „Midrashic Exegesis and Its Precedents in the Dead Sea Scrolls.“

Dead Sea Discoveries

 8 (2001), S. 149–168.



Stemberger, Günter, Zum Verständnis der Tora im rabbinischen Judentum. In: Zenger, Erich (Hg.),

Die Tora als Kanon für Juden und Christen

 (HBS 10). Freiburg 1996, S. 329–343; ders.,

Midrasch. Vom Umgang der Rabbinen mit der Bibel. Einführung – Texte – Erläuterungen

. München 1989.






2. Der Referenzrahmen



Maʿase

 (Ereignis/Fallbericht) über R. Jochanan b. Beroqa und R. Leazar Chisma, die von Javne nach Lod kamen und vor R. Jehoschua in Peqiin die Aufwartung machten.



R. Jehoschua fragte sie: Was gab es heute Neues im Lehrhaus?Was gab es heute Neues im Lehrhaus?



Sie antworteten ihm: Wir sind deine Schüler und trinken dein Wasser (= lernen von dir).



Er sagte zu ihnen: Es ist unmöglich, dass es nicht Neues im Lehrhaus gibt. Wessen Sabbat war es (= wer war zum Auslegen eingeteilt)?



Sie antworteten ihm: Es war der des R. Leazar b. Azarja.



Er fragte sie: Was war die Haggada?



„Versammle die Männer und Frauen und Kinder“ (Dtn 31,12).



|20|Er fragte sie: Was hat er dazu ausgelegt (

ma darasch ba

)?



Sie antworteten ihm: So hat er ausgelegt (

kach darasch ba

): Die Männer kommen, um zu lernen, die Frauen kommen, um zu hören. Warum kommen die Kinder? Um denen Lohn zu geben, die sie bringen.



Dieser kurze Bericht aus der Tosefta (Sota 7.9) über einige bekannte Rabbinen enthält wichtige Informationen zum Begriff

darasch

 und zum Midrasch.



1 Der Gegenstand der Auslegung ist ein Stück aus der Bibel,

2 vorgetragen in einem ganz bestimmten Ort und Kontext, in der Versammlung der Rabbinen im Lehrhaus.

3 Die Auslegung hat Neuigkeitswert, fördert also eine Information aus dem Bibeltext zutage, die nicht ohne weiteres schon selbstverständlich und jedermann einsichtig wäre.



Es lohnt, ausgehend von diesem kurzen Beispiel, einen Blick auf einige Voraussetzungen zu werfen, die für den Midrasch in seiner klassischen Form gelten. Man kann dies Referenzrahmen nennen. Im folgenden Abschnitt (II.3) wird zu zeigen sein, dass Midrasch nicht von Anfang an und grundsätzlich als Auslegung von Schrift verstanden werden kann, sondern mit der Verkündigung und Interpretation von vorhandenem Recht zu tun hat – mit oder ohne Bibelbezug. Der weitaus überwiegende und maßgebliche Teil des Midrasch basiert aber auf der Auslegung von Schrift. Dazu gehört einmal ein Bewusstsein von einem autoritativen TextBewusstsein von einem autoritativen Text der Bibel. Auch wenn im Detail die Frage der Zugehörigkeit gewisser Bücher zu einem anerkannten Kanon lange im Fluss sein mag, so setzt Midrasch ein Korpus religiös-autoritativer Schriften voraus.



Die zweite entscheidende Grundvoraussetzung für die Entwicklung des Midrasch sind Die Rabbinendie Rabbinen. Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n.Z., mehr noch aber der gescheiterte Aufstand unter Bar Kochba um 135 n.Z. stellten die Weichen für diese Bewegung, die das Judentum im Laufe der Zeit maßgeblich beeinflusst. Anfangs sicherlich eine Minderheit in der jüdischen Bevölkerung, setzt sich diese Gruppe aus unterschiedlichen Strömungen zusammen, deren gemeinsames Ziel es ist, jüdische Identität auf der Grundlage der Überlieferungen zu sichern. Die zentrale Basis der Bewegung ist das Lehrhaus, wo junge Männer in enger Beziehung zu ihren Lehrern an der Bibel und an den sich entwickelnden weiterführenden Lehren ausgebildet werden. Ein Geheimnis des langsam wachsenden Erfolgs der rabbinischen Bewegung ist sicherlich ihre Bereitschaft, unterschiedliche Aspekte jüdischen wie nichtjüdischen Lebens und Denkens zu integrieren und so zu verarbeiten, dass sie ein eigenständiges rabbinisches Gepräge erhalten. So nimmt man priesterlich-kultische Vorgänge auf, aber |21|auch messianisch-apokalyptische Strömungen, esoterisch-magische Elemente bei gleichzeitiger Distanzierung und Vorsicht vor politisch ungeschicktem Aktivismus oder religiösem Fanatismus. Vergleichbar den griechisch-römischen Rhetoren sind Rabbinen ausgebildete Experten für jüdisches Recht, aber nicht selten auch Wundertäter und Heiler, Astrologen und vieles mehr. Üblicherweise werden die rabbinischen Gelehrten auch nach Zeitepochen unterteilt:








          Tannaiten

          von aram.

t

e

ni

 bzw. hebr.

schana

 = wiederholen, lehren, lernen





          Amoräer

          von

amar

 = sagen, kommentieren





          Savoräer

          von

savar

 = meinen





          Geonim

          von

gaon

 = erhaben









          Hillel und Schammai bis Jehuda ha-Nasi (Rabbi)





          bis etwa 500 n.Z.





          Bearbeiter des babylonischen Talmuds

          6. und Beginn 7. Jh.





          Schuloberhäupter Babyloniens

          bis 11. Jh.








Midrasch basiert auf dem rabbinischen Verständnis von Schrift und Tora. Wie ist dies zu verstehen?



Dreh- und Angelpunkt ist die Gabe der Tora am SinaiDreh- und Angelpunkt ist die Gabe der Tora am Sinai. In SifDev § 313 zu Dtn 32,10 heißt es über die Offenbarung:



„Er gab ihm Einsicht (

j

e

von

e

nehu

)“ – durch den Dekalog. Das lehrt: Als das Wort aus dem Mund des Heiligen, gepriesen sei er, kam, sahen es die Israeliten und verstanden es und wussten, wieviel Midrasch in ihm ist, wieviel Halacha, wieviele Schlüsse vom Leichteren auf das Schwerere und wieviele Analogieschlüsse.



Die Einsicht (

bina

), von der im Bibeltext die Rede ist, verweist nach rabbinischer Ansicht bereits auf die die darin enthaltene Auslegung. Der Text ist Träger von Bedeutung, die entschlüsselt, erarbeitet werden muss. Der Dekalog fungiert als paradigmatischer Text, der Sinai als paradigmatischer MomentSinai als paradigmatischer Moment in Bezug auf Midrasch. „Paradoxerweise entfaltet sich das göttliche Wort durch menschliche Rede. Als exegetischer Akt und Vorgang ist diese menschliche Rede Midrasch“ (Fishbane, Midrash, S. 14). Fishbane verwendet in diesem Zusammenhang die von de Saussure stammende Unterscheidung von

langue

 und

parole

, um die Bedeutung des aktualisierenden Sprechakts (

parole

) des Midrasch für die kanonisierte

langue

 der Tora zu verdeutlichen.



Die Rabbinen sehen die Tora als ein komplexes Bezugssystem an. Günter Stemberger formulierte es einmal so:



Rabbinische Tradition hat durch die Jahrhunderte an der These festgehalten, dass die am Sinai geoffenbarte Tora auch schon die spätere Auslegung mitenthält, das traditionelle Verständnis also schon mit dem Bibeltext mitgegeben |22|ist und an dessen Autorität teilhat, eine Auffassung, die gerade innerhalb orthodoxer Kreise des Judentums Auslegungsunterschiede oft zu Grundsatzfragen werden läßt. Jedenfalls ist damit grundgelegt, daß die auf den Buchstaben genau abgegrenzte Tora vom Sinai unendliche Bedeutungsfülle hat, die Tora unendlich erneuerungsfähig ist und ihr doch nie Neues hinzugefügt werden kann. Der liturgische Dichter Jannai (6. Jh.) hat es in einer Qerova zu Ex 34,27 prägnant formuliert: „Nichts in ihr wird erneuert – und wenn erneuert wurde, so ist es gar nichts Neues“. Oder in der Wendung des Ben Bag Bag: „Drehe und wende sie; denn alles ist in ihr“ (mAv 5,21). (Verständnis der Tora, S. 4)



Die Bibel kann gedreht und gewendet werden, alles ist in ihr. Sie ist ein Bezugssystem, in dem alle Bereiche miteinander in Beziehung stehen und daher auch für die Auslegung verwendet werden können. Hierzu ist das Stichwort der Intertextualität wichtig, das noch oft begegnen wird.



Der Bibeltext ist in hebräischer SpracheSprache überliefert. Sie ist die Sprache der Schöpfung und der Offenbarung. Auslegung kann sich daher nicht nur auf Inhalte beziehen, sondern nicht zuletzt auf die sprachliche Äußerung und Form. Worte und Sätze können als Buchstabenkombinationen verstanden werden, die neu arrangiert wiederum eine Fülle von Auslegungen in sich bergen.

 



Auch wenn die Völker der Welt (vor allem die Christen) über den Bibeltext Zugang zur Offenbarung gewonnen haben, bleibt nach rabbinischer Ansicht die Besonderheit Israels in der Spezialoffenbarung der so genannten mündlichen Tora. Unter dem Kapitel

Hermeneutik

 wird ausführlicher über das Offenbarungsverständnis und die hermeneutischen Grundsätze der Rabbinen gehandelt. Es mag hier genügen, den Referenzrahmen kurz aufgezeigt zu haben. Er besteht in der Gruppe der Rabbinen, einem autoritativen Bibeltext und einem Verständnis von Offenbarung, das es ermöglicht, alle Teile dieser Bibel miteinander in Beziehung zu setzen und auszulegen. Die Notwendigkeit der Auslegung, aber auch ihre in den Tiefenschichten des Textes verborgene Bedeutung, ist Bestandteil der Offenbarung.



Midrasch ermöglicht die dauerhafte Gültigkeit der Offenbarung, „ist primär religiöse Betätigung, ewiger Dialog Israels mit seinem Gott“ (Stemberger, Midrasch, S. 26).





3. Eine kurze Begriffsgeschichte von

darasch

/Midrasch



Der mit dem Stichwort Darasch

darasch

 verbundene Dialog mit Gott beginnt bereits in der Bibel. Wie Gerleman/Ruprecht (

drš

) zeigen, macht die Bedeutung des Begriffes

darasch

 schon hier eine Entwicklung durch. In profaner Verwendung meint er zumeist ein sich |23|Erkundigen nach der Beschaffenheit einer Sache, aber auch das Streben und Trachten (vgl. z.B. Jes 1,17; 16,5; Am 5,14; Est 10,3) und sich um etwas Kümmern (vgl. Jer 30,14; Ps 142,5; Spr 31,13; 1 Chr 13,3). In der wesentlich häufigeren Verwendung im religiösen Kontext bedeutet

darasch

 ein Fordern von Blut (z.B. Gen 9,5), eines Gelübdes (Dtn 23,22), Opfers (Ez 20,40) u.ä., vor allem aber die Befragung GottesBefragung Gottes durch einen Gottesmann, Seher, Propheten (u.a. in 1 Sam 9,9; 1 Kön 14,5; 22,7; 2 Kön 22,13). Auch fremde Götter oder Totengeister werden befragt (Dtn 18,11; Jes 8,19; 19,3; 2 Kön 1,2). Gerleman/Ruprecht konstatieren eine Veränderung der Bedeutung in der Exilszeit zu einem „Habitus des Frommen“ (Sp. 464). Dieser entsteht aus der Entwicklung von der aufgrund einer Notlage notwendigen Befragung, der Klage des Einzelnen (vgl. u.a. Ps 22,27; 34,5; 69,33; 77,3) und des Volkes (vgl. Jes 58,2) hin zu einem Habitus des sich an Gott Haltens. „Dieser Übergang ist vollzogen in der deuteronomistischen Theologie, wo Umkehr und neues Halten der Gebote auf Seiten des Menschen Voraussetzung wurde für Gottes Hören der Klage (vgl. z.B. 1 Sam 7,3–4; ferner Dtn 4,29; Jes 55,6f.; 58; Jer 29,13; 2 Chr 15,2 und 4)“ (Sp. 465–466). Diese Haltung steht in einem Gegensatz zum Götzendienst (Jes 65,1.10; Jer 8,2; Zef 1,6 u.a.).

darasch

 wird geradezu zum Synonym für „die Gebote halten“ oder „den Willen Gottes erfüllen“ (1 Chr 22,19; 2 Chr 14,6; 31,21; Ps 14,2; 119,2.10). „An einigen späten Stellen können sogar die Gebote Objekt von

drš

 sein (Ps 119,45.155; 1 Chr 28,8), in der späten Glosse Jes 34,16 sogar »die Schrift«“ (Sp. 466). Im letztgenannten Text geht es aber offensichtlich um mehr als nur ein Befolgen der Schrift, sie muss befragt werden, womit wieder der Aspekt der Gottesbefragung auftritt, der am Anfang der Bedeutungsgeschichte von

darasch

 stand. Die Schrift ist Gegenstand der göttlichen Offenbarung. Die Befragung, ursprünglich vermittelt durch einen Propheten und direkt an Gott gerichtet, geschieht hier mittels der Lektüre und Analyse der Schrift. Dies ist noch kein Midrasch im späteren rabbinischen Sinn, wohl aber ein Schritt dorthin.



In biblischer Zeit und während der Epoche des Zweiten Tempels tritt der Begriff

darasch

 nicht in einem

hermeneutischen

 Sinn, also als Auslegung von Schrift auf (vgl. dazu Mandel, Legal Midrash). Vielmehr ist es vor allem der Aspekt der Lehre, der im Vordergrund steht. Unter

darasch

 ist zumeist eine (oft öffentliche) Instruktion von Recht

Instruktion

 von Recht gemeint. In diesem Zusammenhang ist an die Institution des Schreibers, des

Sofer

, zu erinnern, die mit dem akkadischen

tapschurru

 bzw. aramäischen

safar

 in Verbindung gebracht werden kann, was Personen bezeichnet, die sich mit göttlichen Omina beschäftigten oder auch als Übersetzer/Vermittler tätig waren. In diesem Sinne ist |24|auch der jüdische Sofer als Übersetzer und Vermittler der göttlichen Botschaft zu deuten. In Einklang mit dieser Erkenntnis muss man Esr 7,10 wohl so übersetzen: „Denn Esra war von ganzem Herzen darauf aus, die Tora JHWHs zu vermitteln (

li-drosch

) und danach zu handeln und sie als Satzung und Recht in Israel zu lehren“. Bei Tora ist dabei eher von einem vorausgehenden autoritativen Text auszugehen als

nur

 von mündlicher Übereinkunft. Die Vermittlung ist natürlich gleichzeitig eine Interpretation, eine Über-Setzung.



Zweimal verwenden die ChronikbücherChronikbücher den Ausdruck

Midrasch

. In 2 Chr 13,22 ist davon die Rede, dass die „übrige Geschichte Abijas, sein Leben und seine Reden im Midrasch des Propheten Iddo aufgezeichnet sind“. 2 Chr 24,27 heißt es über König Joasch: „Weitere Nachrichten über seine Söhne, über die vielen Prophetensprüche gegen ihn und über die Wiederherstellung des Hauses Gottes sind aufgezeichnet im Midrasch zum Buch der Könige. Sein Sohn Amazja wurde König an seiner Stelle.“ Beide Male wird ein schriftliches Dokument als eine Sammlung von prophetischen Beschreibungen der jeweiligen Zeitepoche suggeriert, das mit großer Wahrscheinlichkeit von den Chronisten erfunden wurde, um ihre eigene „Wiedergabe“ der Geschichte als aus prophetischem Munde kommend zu etablieren.



Im umfangreichen Textkorpus aus QumranTextkorpus aus Qumran tritt

darasch

 in vielen Belegen auf, die hier nicht alle wiedergegeben werden können (vgl. dazu Maier,

daraš, midraš

). Nur wenige wichtige seien genannt. In 1QS VI.6 heißt es, dass an jedem Ort, wo es zehn Männer gibt, keiner fehlen soll, der

doresch

 in der Tora Tag und Nacht. Maier deutet dies auf einen, „der bereit steht, um Rechtsbelehrung zu erteilen und Fragen zu entscheiden. Meist wird jedoch (wenig wirklichkeitsnah) an ein ununterbrochenes Torastudium gedacht“ (Sp. 733). Steven Fraade (Legal Midrash. In: Legal Fictions, S. 154) hält auch eine liturgische Funktion für möglich.



Der Doresch ha-tora

doresch ha-tora

 taucht als wahrscheinlich priesterlicher Begleiter des messianischen „Sprosses Davids“ auf; es könnte aber auch ein Toraprophet gemeint sein (4Q174 3.11; CD 7.18). In CD 6.2–11wird Num 21,18 („über den Brunnen, den Heerführer gruben, den die Edlen des Volkes aushoben mit dem Zepter –

bimchoqaq

“) ausgelegt, der Brunnen auf die Tora und das Zepter auf den

doresch ha-tora

 gedeutet. Die Wurzel

chqq

 bedeutet einschreiben/einhauen, anordnen. Der

doresch ha-tora

 ist damit entweder einer, der ein Gesetz erteilt, oder vielleicht eher noch einer, der die Tora verkündet und vermittelt (vgl. Mandel, Legal Midrash; Origins).



Begegnet Tora als Obj. von

darasch

, handelt es sich um judikativ-administrative Vorgänge bzw. Funktionen, d.h. es wird keine neue Tora erteilt und keine höchstgerichtliche Entscheidung verkündet, es geht vielmehr |25|um Rechtsfindung und Rechtspflege auf Grund geltender Tora „Gott suchen“ heißt demnach: eine zuständige Instanz befragen. (Maier, Sp. 734)



Im Unterschied zur Selbsteinschätzung der Gruppe als

dorsche ha-tora

 (4Q 177 10–11,5), als Sucher/Darleger von Tora, welche die richtige Meinung vertreten, werden manche Gegner als Dorsche ha-chalaqot

dorsche ha-chalaqot

, als „Sucher/Darleger von Glattheiten“ (Maier, Sp. 735) abgekanzelt. Damit könnten die Pharisäer gemeint sein (vgl. Schiffman, Pharisees). Auch hier ist weniger an eine geistige Durchdringung als an konkrete Auslegung und Lehre gedacht (vgl. etwa die Beschreibung in Jes 30,10: „Sie sagen zu den Sehern: Seht nichts!, und zu den Propheten: Erschaut für uns ja nicht, was wahr ist, sondern sagt, was uns schmeichelt, erschaut für uns das, was uns täuscht“).



Der Begriff

Midrasch

 begegnet als Midrasch ha-tora

Midrasch ha-tora

 in der Gemeinderegel

Serech l

e

-ansche-ha-jachad

 1QS VIII.15 (VIII.12:

doresch

) und der Damaskusschrift (CD 20.6); dort auch Perusch (Darlegung) ha-tora

perusch

 (Darlegung)

ha-tora

 (6.14; 13.6), Serech (Regel, Ordnung) ha-tora

serech

 (Regel, Ordnung)

ha-tora

 (7.8). 1QS VI.24 ist von einem

Midrasch jachad

 die Rede, einer „gemeinschaftlichen Untersuchung“ (Maier, Sp. 736).



Das Ergebnis, die Verkündigung des Urteils bzw. des Beschlusses, wird 1QS 8,25f. (4QS

d

 7,1) bemerkenswerterweise mit

wa-jidroschu ha-mischpat

 „und verkünden das Urteil“ bezeichnet, und es wird vorausgesetzt, dass einer nach Verbüßung der Strafe in die Institutionen der Sitzung, Rechtsfindung (

midrasch

) und Beratung zurückkehren darf. (Maier, Sp. 737)



Die zur Gemeinderegel gehörigen Fragmente 4Q256 (4QS

b

) Col. IX (Frg. 4) und 4Q258 (4QS

d

) Col. I (Frgs. 1a i,1b) beginnen mit: „Midrasch für den Maskil

Midrasch

 für den Maskil (Lehrer) in Bezug auf die Männer der Tora, die sich selbst verpflichtet haben, von allem Bösen umzukehren und sich streng an alles zu halten, das er angeordnet hat “. Dies ist eine Variante zu 1QS V.1, wo vom

serech

 für den

maskil

 bezüglich der Männer der Gemeinschaft die Rede ist. Maier vermutet, da

serech

 „term. techn. der Kult- und Militärsprache“ sei und eine „festgelegte bzw. niedergeschriebene Ordnung“ bezeichne (Sp. 736), dass mit

Midrasch

 eine Niederschrift gemeint sei. In 4Q 174 (4QFlor) 1.14 ist in einer Überschrift zum gesamten Abschnitt (vgl. Steudel, Eschatologie, S. 46) die Rede von einem Midrasch zu Ps 1,1 (Midrasch m

e

-aschre ha-isch

Midrasch m

e

-aschre ha-isch

). Ob es sich dabei um eine „Auslegung“ handelt, bleibt umstritten. Maier denkt wieder eher an eine „Darlegung bzw. Niederschrift aus (einer Auslegung bzw. eines Peshers über) ‚Glücklich der Mann‘“ (Sp. 736).



„Siehe, all dies ist geschrieben in Bezug auf

die letzte Erläuterung der Tora

 (Midrasch ha-tora ha-acharon

Midrasch ha-tora ha-acharon

)“ begegnet in 4Q270 |26|(4QD

e

) Frag. 7 col. ii. (= 4Q 266 11). Damit könnte die eschatologische (vgl. Wacholder, Damascus Document) oder eher die letztgültige Verkündigung/Interpretation der Tora gemeint sein. Die Bemerkung hat als Unterschrift die Funktion einer „Überschrift“.



Folgt man Maier und Mandel, so hat

darasch

 in diesen Texten entgegen verbreiteter Deutung mehr mit Erläuterung und Vermittlung von Tora zu tun als mit dem forschenden Ausdeuten und Interpretieren des Textes, was in späterer rabbinischer Literatur die entscheidende Funktion des Midrasch sein wird. Allerdings findet bereits in den späten Schichten des Tanach und in Qumran ein Wandel im „Objekt“ des „(Auf)suchens, Erkundens“ (

darasch

) statt. War es im Anfang Gott (über Vermittlung eines Propheten), so ist es später die göttliche Weisung, die Tora. Die Qumrantexte fungieren somit als eine Art „missing link“ zum Midrasch.



In Sira 51,3 begegnet bereits ein

bet Midrasch

, ein

Lehrhaus

, offensichtlich ein Ort, wo man sich Weisheit erwerben kann (51,25).



Das

bet ha-Midrasch

 der Rabbinen schließlich definiert sich vor allem durch das Studium der BibelStudium der Bibel (mSchabbat 16.1; mP

e

sachim 4.4).

Darschanim

 werden schließlich auch jene Personen genannt, die sich mit Bibelauslegung beschäftigen oder diese predigen.



Ein Blick in die Bibel erschöpft sich jedoch nicht in der Analyse der wörtlichen Anklänge von

darasch

 oder

Midrasch

. Vielmehr ist zu fragen, inwieweit hermeneutische, formale und inhaltliche Elemente, die den rabbinischen Midrasch auszeichnen, bereits in der Bibel grundgelegt sind. Eine solche Betrachtung sollte grundsätzlich ohne vorausgehende definitorische Festlegungen erfolgen, die Midrasch in der Bibel einerseits auszuschließen oder andererseits zu beweisen suchen. An dieser Stelle ist ausdrücklich auf die Arbeit von Michael Fishbane zu verweisen, der u.a. 1985 mit

Biblical Interpretation in Ancient Israel

 akribisch die Mechanismen innerbiblischer Interpretation und Fortschreibung von Tradition beschrieb. Darauf wird später noch einzugehen sein.



Eine umfassende Beschreibung der rabbinischen Vorkommen von

darasch/Midrasch

 würde hier zu weit führen. Wenige Beispiele (mit Konzentration auf den Begriff

Midrasch

) müssen genügen.



So bietet die MischnaMischna als erste große Sammlung rabbinischer Gelehrsamkeit nur vier Belege für

Midrasch

 und acht für

darasch

. In mK

e

tubbot 4.6 ist Midrasch eine Auslegung bzw. eine Bestimmung im Zusammenhang mit einem Ehevertrag (vgl. bJ

e

vamot 117a); in mSch

e

qalim 6.6 (vgl. Sifra Wa-jiqra Chova 12.21.6) leitet der Hohepriester einen Midrasch (

Midrasch darasch

) in Bezug auf Schuld- und Sündopfer ab, der Lev 5,19 und 2 Kön 12,16 verbindet; in mN

e

darim 4.3 steht Midrasch neben Halachot (rechtlichen Regeln, Handlungsnormen) und Aggadot (Erzählungen, freieren |27|Auslegungen) als Lernstoff. In mAvot 1.17 betont Schimon ben Gamaliel, dass das Tun wichtiger sei als der Midrasch, womit er wohl allgemein die Lehre meint. In mJoma 8.9 leitet R. Elazar ben Azarja aus Lev 16.30 ab bzw. lehrt, dass der Versöhnungstag Übertretungen zwischen Gott und Mensch sühnt, zwischen Mensch und Mensch jedoch nur dann, wenn vorher eine Versöhnung zwischen den beiden stattgefunden hat. In mJ

e

vamot 10.3 fungiert

darasch

 als logische Ableitung (aus Lev 21,7) in Bezug auf Eherecht. Auch in mSota 5 wird

darasch

 viermal im Kontext rechtlicher Entscheidungen, die aus biblischen Texten hergeleitet werden, verwendet. In mChullin 5.5 leitet Schimon ben Zoma aus Gen 1,5 analog in Bezug auf Lev 22,28 logisch ab, dass ein Tag immer die vorausgehende Nacht mitmeint. In allen Fällen von

darasch

 meint man in der Mischna also eine Rechtliche Lehre, die aus biblischen Quellen erschlossen wirdrechtliche Lehre, die aus biblischen Quellen erschlossen wird.

 



Die ToseftaTosefta weist zehn Belege für

Midrasch

 auf, zumeist im Zusammenhang mit einem bestimmten Lernstoff. In tSota 7.21 z.B. wird Spr 24,27 („Nimm draußen deine Arbeit auf und bestell dein Feld, danach gründe deinen Hausstand!“) ausgelegt, wobei jeder Teil des Verses mehrmals auf eine besondere Sache bezogen wird (z.B. Arbeit – Halachot; Feld – Liebeswerke; Haus – Midrasch), wofür man schließlich Lohn erhält. tSanhedrin 7.7 gibt klare Anweisungen zum Fragenkatalog und zum Umgang bei Prozessen bzw. auch beim Unterricht. Darunter heißt es auch:



Die ganze Tora ist eine einzige Sache. Eine Angelegenheit und eine Angelegenheit: man hält sich an die Angelegenheit. Ein Präzedenzfall (

maʿase

) und kein Präzedenzfall: man hält sich an den Präzedenzfall. Halacha und Midrasch: Man hält sich an die Halacha. Midrasch und Aggada: Man hält sich an den Midrasch. Midrasch und Schluss vom Leichteren auf das Schwerere (

qal wa-chomer

): man hält sich an den Schluss vom Leichteren auf das Schwerere. Schluss vom Leichteren auf das Schwerere und Analogieschluss: man hält sich an den Schluss vom Leichteren auf das Schwerere. Gelehrter und Schüler: man hält sich an den Gelehrten. Schüler und Ungebildeter: man hält sich an den Schüler.



Midrasch nimmt hier wie schon in mN

e

darim 4.3 eine Zwischenstellung zwischen Halacha und Aggada ein (dies gilt u.a. auch für SifDev § 48; § 306; § 344). Er bezeichnet möglicherweise eine rechtliche Instruktion, die aus der Bibel abgeleitet wird, im Unterschied zur Halacha, die aus (davon unabhängiger) Überlieferung stammt. Eine Unterscheidung zwischen Halachot, Midraschot und (H)aggadot findet sich auch in der folgenden Auslegung in einem zeitlich wohl um Einiges später entstandenen Text, dem Midrasch Sch

e

mot Rabba. Nach ShemR 47.7ShemR 47.7 erhält Moses nach vierzigtägigem Fasten, nachdem er die ersten Tafeln des Bundes zerstört hatte, erneut |28|zwei Tafeln. Diese enthalten nun nicht mehr „nur“ den Bibeltext, sondern auch die gesamte

mündliche

 Tora. Dazu heißt es:



Auf den ersten Tafeln waren nur die Zehn Gebote. Jetzt aber, da du dich kasteit hast, gebe ich dir Halachot, Midraschot und Aggadot; denn es heißt: „ Schreib diese Worte auf! “ (Ex 34,27). Warum sagte der Heilige, gepriesen sei er: „Schreib“? Es steht doch geschrieben: „, und die Schrift, die auf den Tafeln eingegraben war, war Gottes Schrift“ (32,16), und es steht geschrieben: „Wie bei der ersten Inschrift schrieb er auf die Tafeln “ (Dtn 10,4). Vielmehr sagte der Heilige, gepriesen sei er, so zu ihm: Schreibe dir Tora, Propheten und Schriften, damit sie schriftlich (so nach der Druckausgabe) seien; doch Halachot, Midrasch, Haggadot und Talmud sollen mündlich sein. Als Moses das erfuhr, begann er zu sagen: „Dass ich gedemütigt wurde, war für mich gut; . Die Weisung deines Mundes ist mir lieb, “ (Ps 119,71–72).



Der wohl ins 9. Jh. zu datierende Midrasch Mischle (MidMish) bietet in Kap. 10 eine Abfolge des LernstoffLernstoffs, in der Midrasch zu den fünf Büchern Moses nach dem Midrasch zu Levitikus und seinen rechtlichen Belehrungen gelehrt wird und der vor allem Bestimmungen zum „Höre Israel“, den Gebetsriemen und der Mezuza umfasst und deutlich von Haggada und Talmud unterschieden wird. Auch hier ist Midrasch also in erster Linie auf rechtliche Belange bezogen.



Nach dem halachischen Midrasch SifDev (Haʿazinu § 313) verstanden die Israeliten am Sinai sofort, wieviel Midrasch in den Zehn Geboten enthalten ist, „wieviel Halacha, wieviele Schlüsse vom Leichteren auf das Schwerere und wieviele Analogieschlüsse“. Hier könnte Midrasch synonym für Haggada stehen. Dies gilt auch für tEruvin 8.24 bzw. tChagiga 1.9, wo Teile der rabbinischen Handlungsnormen, die sich kaum aus der Bibel ableiten lassen, von anderen unterschieden werden, die eine Fülle von Schrift(bezügen), Midrasch und Halachot aufweisen.



Im Bibeltext von Ex 18,15 ist vom Wunsch des Volkes an Moses die Rede, Gott zu befragen (

li-drosch

). Dann heißt es: „Wenn sie einen Streitfall haben, kommen sie zu mir. Ich entscheide dann ihren Fall und teile ihnen die Gesetze und Weisungen Gottes mit (

et-chuqqe ha-elohim w

e

et torotaw

)“ (V. 16). Sein Schwiegervater gibt Moses daraufhin den Rat: „Nun hör zu, ich will dir einen Rat geben, und Gott wird mit dir sein. Vertritt du das Volk vor Gott! Bring ihre Rechtsfälle vor ihn, unterrichte sie in den Gesetzen und Weisungen, und lehre sie, wie sie leben und was sie tun sollen“ |29|(V. 19.20). Im halachischen Midrasch MekhJ wird im Abschnitt Amaleq 4 das Wort

chuqqim

 (Gesetze) aus Ex 18,16.20 mit den

midraschot

 (Pl.) in Beziehung gebracht. So heißt es:



„Und unterrichte sie in den Gesetzen“: Die Gesetze (chuqqim) – das sind die midraschotDie Gesetze (

chuqqim

) – das sind die

midraschot

; „und Weisungen (

torot

)“ – das sind die Entscheidungen – Worte des Rabbi Jehoschua. Rabbi Elazar von Modiin sagt: „Gesetze“, das sind die Inzestverbote, wie es heißt: „Befolgt keinen von den gräulichen Bräuchen“ (Lev 18,30); „die Weisungen“ – das sind die Entscheidungen.



Vergleichbare Auslegungen, wo man jeweils

chuqqim

 auf

midraschot

 bezieht, finden sich in Sifra Sch

e

mini 1.9 zu Lev 10,10; Achare Mot 9.9 zu 18,26; B

e

chuqqotai 2.8.9,10 zu 26,43.46; in MidTann zu Dtn 26,16 oder in SifDev § 58.59 zu Dtn 11,32 und 12,1, wo es heißt:



„Das sind die Gesetze (

chuqqim

)“ (Dtn 12,1) – das sind die

midraschot

; „und die Rechtsvorschriften“ – das sind die

dinim

; „auf die ihr achten sollt“ – das ist die Lehre (

mischna

); „und die ihr halten sollt“ – das ist das Tun (

maʿase

).



Gegenüber der geläufigen Übersetzung als „Auslegungen“ (Stemberger in MekhJ) für

midraschot

, „exegeses“ (Neusner in Sifra „exegeses“) oder „interpretations“ (Hammer in SifDev), kann man mit Mandel und Gruber (Midrash)

midraschot

 hier eher als eine Rechtskategorie deuten. Gruber lehnt im Übrigen die Bedeutung Bibelauslegung für den tannaitischen Gebrauch von Midrasch (mit Ausnahme von mScheqalim 6.6) ab. Mandel sieht differenzierter einen Wandel in der zweiten Hälfte des 2. Jh. mit R. Aqiva zugeschriebenen Auslegungen, die kreative Exegese bezeugen, die z.B. Widersprüche oder überflüssige Worte auflöst und erläutert (vgl. mSota 5.2,4; tSota 5.13; tZ

e

vachim 1.8). Die Unterscheidung zwischen einer Schule R. Aqivas und R. Jischmaels mit unterschiedlichen Zugängen zur Schrift, die hier angesprochen wird, soll später noch ausführlicher erläutert werden. Der

darschan

 ist, folgt man Mandel, vielfach nicht als Ausleger zu verstehen, sondern in erster Linie als �