Der Fisch

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Kapitel 8.

Es war schon spät, als Berendtsen in die Puccinistraße einbog. Die Garage seines Nachbarn war geschlossen. Daher nahm er an, dass Franz Roloff, Chefredakteur der Ruhrzeitung, noch nicht in die Redaktion gefahren war. Die Entscheidung, ob er ihn noch stören dürfe, wurde ihm abgenommen.

»Hallo Albert. Ich habe schon auf dich gewartet. Habt ihr viel Arbeit mit der Explosion im Schrebergarten?«

»Wir fangen mit den Ermittlungen gerade erst an. Ich weiß noch nicht, ob es viel Arbeit wird. Wir haben einige Handyfotos von Umstehenden. Ich habe sie mir angeschaut. Für Handys nicht schlecht, aber manche sind einfach zu unscharf. Die meisten Leute haben den automatischen Blitz nicht ausgeschaltet und nicht bedacht, dass das Handy daran die Belichtung ausrichtet. Im Vordergrund ist alles hell belichtet und gestochen scharf, aber das, was uns interessiert, ist nur mit Vorbehalt zu verwenden. Lediglich ein Fotograf, der dort ein paar Tage verbringt, hat vernünftige Aufnahmen abgeliefert. So kommst du mir gerade recht. Dein Mann hat auch Aufnahmen von dem Geschehen gemacht. Könntest du mir davon einige zeigen? Ich denke, sie sind besser als die Laienfotos.«

»Möchtest du kurz reinkommen? Ich habe die Bilder auf meinem Rechner. Du kannst sie gerne anschauen.«

Berendtsen fiel sofort ins Auge, dass diese Bilder ein Profi gemacht hatte. Der Mann hatte neben den Aufnahmen vom Brand und Feuerwehreinsatz, die für die Zeitung vorgesehen waren, nicht vergessen, Details zu fotografieren, die nicht für eine Veröffentlichung geeignet waren. Darunter eindeutig zu identifizierende Leute, sehr derangiert in ihren Schlafgewändern mit übergeworfenen Jacken. Diese waren für Berendtsen interessant.

»Du brauchst sie nicht sofort zu analysieren, Albert. Ich habe sie alle als Kopie gespeichert.« Er drückte ihm den Stick in die Hand. »Nimm sie mit ins Büro als Dank für die Hilfsbereitschaft.«

»Keine Ursache. Bist du auf dem Weg in die Redaktion?«

»Ich wollte längst dort sein, aber ich habe auf dich gewartet, damit du die Aufnahmen noch bekommst.«

»Ganz vielen Dank, Franz. Morgen hast du wieder einen Exklusivbericht auf der ersten Lokalseite. Freue mich schon drauf.«

»Es wird sogar auf der Seite ›Geschehen im Vest‹ abgedruckt. Ein Obolus für Leying, den Redakteur, wird wohl dabei herausspringen. Schönen Feierabend wünsche ich dir. Gruß an Irmgard.«

»Richte ich aus.«

»Na, mein lieber Mann, wie geht es dir? Du hattest einen anstrengenden Tag. Ich sehe es dir an. Hast du Rückenschmerzen? Du hast heute Nacht vergessen, deine Jacke anzuziehen.«

Irmgard nahm ihn in ihre Arme und drückte ihn. Sie kannte ihren Albert und wusste, was er jetzt brauchte. Es hatte eine Leiche gegeben. Sie hatte ihn heute Nacht nicht mehr gesprochen. Er hatte in Maximilians Bett geschlafen, der wegen seines Studiums zurzeit in Aachen weilte. Sie wusste von dem Vorfall im Schrebergarten, weil er ihr eine kurze Nachricht geschrieben hatte. Sie war bereits in der Schule, als sie die Nachricht erhielt.

Er setzte sich in seinen Sessel, lehnte sich zurück und genoss seinen Single Malt von der schottischen Insel Islay. Er hatte in jungen Jahren mit zwei Freunden eine Fahrt durch Schottland unternommen. Dabei hatten sie verschiedene Destillen besucht und deren Whisky probiert. Er bevorzugte seitdem die Sorte Laphroig. Es gab bessere, aber diese Sorten waren nichts für Whiskyliebhaber, sondern nur für Freaks, die entsprechend Geld dafür ausgaben. Mehr als sechzig Euro für eine Flasche auszugeben, um nach einem gruseligen Arbeitstag die Gedanken herunterzufahren, war er nicht bereit.

Als Irmgard ihm einige Schnittchen hingestellt hatte, mit Gurke und Tomate verziert, entspannte sich sein Gesicht. Sie hätte gerne gewusst, wie sein Tag verlaufen war, aber sie begann das Gespräch nicht. Sie fühlte seine Stirn.

»Ich werde mich nie daran gewöhnen«, eröffnete er die Unterhaltung. »Ich bin dreißig Jahre bei der Polizei, davon vierundzwanzig bei der Mordkommission. Die Leute lernen nie, dass sie mit Morden einer Gefängnisstrafe nicht entgehen. Wir schnappen sie früher oder später. Warum glauben manche, dass sie davonkommen? Wie oft sind Morde dazu da, eine Straftat zu vertuschen. Selbst schwere Delikte wie Bankraub oder eine Erpressung werden heute nicht so schwer bestraft wie Tötungsdelikte. Für Mord gehen sie fünfzehn Jahre hinter Gitter. Für einen Banküberfall bist du bei guter Führung nach einigen Jahren wieder draußen. Dennoch begehen Leute Morde, zum Teil an Komplizen, um die eigentliche Tat zu vertuschen. Schon bekommen sie lebenslänglich.«

Albert besah sich die Schnittchen. »Wunderbar!«, lobte er seine Irmgard.

»Nicht alle Morde sind Vertuschungstaten. Manche dienen anderen Zwecken, wie Erbe oder Geld oder … was auch immer«, wandte Irmgard ein.

»Du hast recht, meine liebe Frau.« Er streichelte ihr über die Hand, die auf der Lehne ihres Sessels lag. »Wie war es in der Schule? Sind deine Schüler fleißig und tüchtig wie immer?«

Sie lächelte ihn an. »Wenn es nur so wäre, Albert. Der Unterricht ginge zügiger voran. Aber ich kann mich nicht beklagen. Meine Kurse sind alle gut dabei. Viele Lehrer vergessen vor der Klasse ihre eigenen Schandtaten. Wenn ich daran denke, was wir uns früher ausgedacht haben … Ich denke gerade an unseren Musiktest.«

Irmgard lächelte in sich hinein.

»Erzähle!«

»Ich habe es dir schon einmal erzählt. Ich glaube bereits zweimal.«

Er drängte sie, alles noch einmal zu berichten. Die Geschichte war zu schön.

»Unser Heinzel«, begann sie, »er hieß Heinz Ellermann, schrieb am Ende eines Schuljahres Tests, die im Grunde keinem schwerfielen. C-Dur-Akkord aufschreiben und solche Dinge. ›Wie viele Kreuze hat D-Dur?‹. Dementsprechend war niemals jemand vorbereitet. Eines Tages erfuhren wir unmittelbar vor unserer Musikstunde auf dem Schulhof, dass ›richtige‹ Fragen auf dem Test standen: ›Aufbau einer Symphonie‹. Panik! Johannes – den Hausnamen weiß ich nicht mehr – versprach Abhilfe. Der Test wurde ausgeteilt. Allerseits Schweigen. Plötzlich rief Johannes: ›Hier ist eine Maus!!‹ Er sprang auf den Stuhl und rief weiter: ›Ich schreib kein Wort mehr!« Im selben Augenblick hatten alle Schüler Angst vor der Maus. Heinzel konnte nicht verstehen, dass Schüler der zehnten Klasse Angst vor Mäusen hatten. Der Test fiel aus.«

Beide lachten so herzhaft, als wäre der Streich heute passiert. Die Folge waren erneute Schmerzen im Rücken.

Als Albert die Schnitten und einen zweiten Whisky genossen hatte, nahm er eine Tablette gegen die Schmerzen und berichtete auf Nachfrage von seinem Tag. Details über die verbrannte Leiche ließ er weg.

»Hast du Fieber, Albert?« Gegen seinen Willen zog sie das Fieberthermometer hinzu. Drei Minuten Schweigen. »Siebenunddreißig drei. Du wirst hoffentlich nicht krank, Albert. Warum hast du den Mantel nicht mitgenommen. Ich hatte ihn hingehängt.«

Er ging nicht weiter auf den Vorwurf ein.

»Die Bilder, die die Leute aus dem Schrebergarten aufgenommen haben, sind gut und hilfreich«, schloss er seinen Vortrag, »aber ich verspreche mir noch mehr von den Bildern des Reporters. Es wäre zu schön, wenn der Täter irgendwo in der Menge zu finden wäre, denn ich gehe davon aus, dass er sich über die Folgen der Tat informieren wollte. Er musste schließlich sicher sein, dass die Tat von Erfolg gekrönt war. Wie sich die Sache darstellt, hat er nicht nur den Tod dieses Mannes angestrebt – das hätte er einfacher und unspektakulärer gestalten können – sondern er wollte unbedingt Spuren vernichten. Warum sonst solcher Aufwand? Er gibt damit die erste Info über sich preis: Er oder sie hat Kenntnisse von Schaltungen und Funk! Außerdem besitzt er Plastiksprengstoff und hat Erfahrung damit. Er hat gerade so viel Masse verwendet, wie nötig ist, das Haus komplett in die Luft zu jagen, aber niemand anderem zu schaden. Die Verwüstung betraf nur dieses Areal von dem Toten. Einzelne Bretter und Scherben sind auf die Nachbargrundstücke geschleudert worden. Bagatellen.«

»Das gibt Anlass zu Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Falles?«

»Sollte man meinen, aber diese Anschläge von Spezialisten gestalten sich meistens sehr schwierig. Es sind oft Täter, die mit dem Opfer nicht unbedingt in Verbindung stehen. Die meisten Morde geschehen durch Personen, die dem direkten Umkreis des Opfers zuzuordnen sind. In unserm Fall rechne ich damit, dass der Täter von außerhalb kommt.«

»Auftragsmord?« Sie sah ihren Mann bedenklich an. »Bringe dich nicht in Gefahr, Albert!«

»Passt nicht auf diesen Tathergang. Dann wäre das Auto des Opfers noch auf dem Parkplatz. Es muss einen Grund geben, warum das Fahrzeug verschwinden musste. Wir haben ein Foto, auf dem das Nummernschild des Wagens teilweise zu sehen ist. Ich hoffe, dass wir morgen ein Bild finden werden, auf dem das Nummernschild vollständig zu erkennen ist. Dann müssen wir versuchen, es über das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg auszumachen. Wir haben die Daten online eingesehen. Den Wagen haben wir nicht gefunden. Auf eine direkte schriftliche Abfrage per Fax haben wir bisher keine Antwort erhalten. Die Nummer ist zu unvollständig für eine Suche oder es ist gefälscht. Es handelt sich auch nicht um eine Doublette. Wenn wir auf Basis dieser beiden Kenntnisse auf die Tat sehen, dann haben wir auf der einen Seite einen Täter mit professionellen Kenntnissen, auf der anderen Seite begegnen wir Leuten, die Zugriff auf gefälschte Ausweise und Nummernschilder haben. Im schlimmsten Fall bis in die Behörde hinein. Die Tat war - von dem Täter oder einem Komplizen - sorgfältig vorbereitet. Ehe alles in die Luft gesprengt worden ist, wurden die Schlüssel für seine Hausadresse und der Autoschlüssel entwendet. Ich bin der festen Überzeugung: Dahinter stecken Profis!«

 

»Du meinst … glaubst du … die Mafia steckt dahinter?«

Kapitel 9.

Beatrice saß bei einem Glas Wein im Sessel. Sie hatte die Füße hochgelegt und las bei leiser Musik in einem Buch.

»Seid ihr erfolgreich gewesen?«

»Er hat die gesamten fünfzig Kilo aufgetrieben. In der nächsten Woche erhalten wir die gleiche Menge noch einmal. So können wir die Schiffladung beinahe kompensieren. Wegen der großen Lieferung werden wir in den nächsten Tagen telefonieren. Hast du etwas von einer Explosion mitbekommen?«

Beatrice wusste von nichts. Sie schlug vor, auf der Internetseite der Ruhrzeitung nachzusehen. Sie wurden fündig.

Explosion in Dorsten – Bombenanschlag?

»In der Nacht zu Mittwoch wurden die Dorstener Anwohner im Stadtteil Berge von einer heftigen Explosion geweckt. Im Schrebergarten der ›Blumenfreunde‹ war in einer Laube eine Gasflasche mit Propangas geborsten. Die Feuerwehr war in Minutenschnelle vor Ort und hatte die Lage bald unter Kontrolle. Noch während die Löscharbeiten andauerten, erschien die Kriminalpolizei mit zwei Beamten des Dezernats Tötungsdelikte. Unser Reporter war vor Ort und hatte die Möglichkeit sich ein Bild von der Lage zu machen. Die Polizei hält sich bei Fragen zu der Ursache zurück. Die Nachbarn kennen den Toten als netten und umgänglichen Mitbürger deutscher Nationalität ohne Migrationshintergrund. Sie schließen ein Attentat nicht aus, weil Feuerwehrleute von einer Fernzündung sprachen. Wie auf einigen Aufnahmen unseres Reporters zu sehen ist, wurde der Wagen des Opfers während der Löscharbeiten vom Parkplatz entwendet. Nach Ansicht des Platzwartes konnte das nur von zwei oder mehreren Tätern durchgeführt werden. Kommt der Terror jetzt nach Dorsten?«

Darunter waren Bilder der abgebrannten Laube und des verwüsteten Gartens sowie der Menschenmenge, auf der keine einzelnen Personen zu identifizieren waren. Auf einem kleineren Foto war ein Auto zu erkennen, das den Parkplatz des Schrebergartens verließ. Das Nummernschild war geschwärzt. Kein Foto und keine Erwähnung der Leiche. Darauf folgten einige Interviews mit Leuten aus der Nachbarschaft, darunter auch Niesser und Maranowski.

Die Geschwister sahen sich fragend an. Ihre Firma hatte mit dieser Explosion nichts zu tun.

»Wie kommt Wang dazu, uns hinter dem Anschlag zu vermuten?« Kris war besorgt. »Handelt es sich bei dem Toten um Mike, den wir seit vorgestern nicht erreichen können?«

»Versuche, ihn zu erreichen.«

Er wählte dessen Nummer. Es meldete sich die Stimme mit der bekannten Ansage von der Unerreichbarkeit des Teilnehmers.

»Warum sollte Wang uns hinter dem Anschlag vermuten, wenn er nicht an Mike denkt?«, überlegte Beatrice. »Er verhält sich stets sehr distanziert und ist vorsichtig mit seinen Äußerungen. Und er ist immer gut informiert«, stellte sie fest.

Kris stimmte ihr zu. »Soll ich den ›Fisch‹ einmal anrufen?«, fragte er?

­»Auf keinen Fall! Lassen wir ihn in Ruhe. Er wird uns wissen lassen, was geschehen ist, wenn er es für nötig hält.«

»Wann triffst du dich mit Wang?«, meldete sich Kris aus der Küche.

»Wir haben keinen Termin ausgemacht.«

Er kam mit einem Weinglas zurück. »Hast du einen Schluck für mich?«

Sie schenkte ein.

Sie nahmen einen Schluck.

»Sag mal, Beatrice«, dachte Kris nach einer Weile laut nach, »sollten wir zum Schrebergarten fahren und die Situation vor Ort begutachten? Von diesen Nachbarn, die interviewt wurden, könnte man etwas über den Toten erfahren, das nicht in den Nachrichten steht.«

»Was wollen wir sie fragen? Wir werden nur auffällig. Die Polizei wird das Gelände abgesperrt und nur für Mitglieder geöffnet haben. Aber …«

Ihr Handy meldete sich und kündigte durch den Ton eine verschlüsselte Nachricht auf der Signal-App an.

»Dann wollen wir einmal nachsehen, wer an uns denkt.« Es handelte sich um eine Nachricht, für die sie ein Passwort benötigte. Das bedeutete, die Mitteilung löschte sich selbständig, wenn sie nicht kurzfristig geöffnet würde.

»Der Lange schreibt:

›Habe die Leiche nicht sehen können. Das Auto wurde entsorgt. Mike soll mit letzter Kraft noch Hinweise gegeben haben. Yú hat Mike als Spitzel enttarnt und will, dass ihr die Firma auf weitere Ratten abklopft. Sucht nach einem USB-Stick und evtl. nach Dokumenten. Seine Adresse ist Lembeck (s. Karte). Schlüssel liegt ab heute Nacht bei euren Eltern. Der zweite Schlüssel ist für einen Stauraum unter der Treppe‹.«

Eine zweite Nachricht erschien mit der angemeldeten Karte.

Sie schob es Kris hin. Er las die Nachricht und betrachtete die Karte.

»Dann ist Mike der Tote? Das ist entsetzlich! Er soll der Spitzel gewesen sein? Um Gottes willen! Was wusste er?« Er öffnete die Karte. »Scheint ein Haus abseits in dem Wald gelegen, durch den der Lembecker Weg führt.«

»Scheint mir auch so. Ich habe eine Idee. Lass uns heute Abend etwas essen gehen. Auf dem Rückweg fahren wir dort kurz vorbei. Vielleicht ist der Schlüssel schon dort.«

»Der Friedhof wird geschlossen sein, Beatrice. Schau auf die Uhr.«

Kris wartete kurz ab. Die Nachricht löschte sich wie gewöhnlich dreißig Sekunden, nachdem sie als ›gelesen‹ markiert worden war. Sie schob das Smartphone in ihre Handtasche, die auf dem Tisch lag.

»Dann lass uns noch ein Glas trinken.«

Kapitel 10.

Berendtsen erschien halb neun in der IT-Abteilung bei Roland Schubert. Voller Stolz präsentierte er ihm den USB-Stick seines Nachbarn. Der IT-Mann startete voller Erwartung den Ordner, als er hörte, dass die Aufnahmen von einem Profi stammten. Sofort war das vollständige Nummernschild des Fünfer BMW auszumachen, der den Parkplatz zu verlassen schien. Berendtsen wies Oliver an, es sogleich mit der Bitte um sofortige Identifikation an Uschi zu übermitteln. Das Profil des Fahrers war auszumachen, aber nicht zu verwerten. Auf einem anderen Foto wurde ein einzelner Mann entdeckt, der von der Straße aus Fotos vom Einsatzgebiet mit seinem Handy schoss.

»Dieser Kerl könnte für uns von Bedeutung sein«, stellte Roland fest und vergrößerte einen Ausschnitt.

»Selbst wenn er nicht mit der Tat in Zusammenhang steht, könnte er etwas beobachtet haben, da er aus einer anderen Perspektive auf das Geschehen blickt. Da gebe ich dir recht, Roland. Wir sollten sein Konterfei auf die Handys der entsprechenden Streifen schicken. Vielleicht können wir ihn finden.«

Roland speicherte den Ausschnitt.

»Hier ist er noch einmal. Er ist offensichtlich zu Fuß.« Der Mann war am Rand eines anderen Bildes zu sehen und machte sich augenscheinlich Richtung Norden auf den Weg. »Dann wohnt er nicht weit weg. Er hat den Knall gehört und ist nachschauen gegangen. Er müsste zu finden sein«, glaubte Berendtsen.

»Was stellst du dir als Text für die Bilder vor, Albert?«, fragte Roland.

»Einfach: ›Zeuge Schrebergarten Dorsten‹.«

»Up to Date« erklang, der Klingelton auf Berendtsens Handy.

»Das aktuelle Sportstudio meldete sich«, kommentierte Roland.

Es war Uschi.

»Was gibt’s?«

»Nichts, Chef. Deswegen rufe ich an. Ich habe alle Möglichkeiten durch. Es gibt nichts über das Auto. Das Kennzeichen ist nicht ausgegeben. Ich habe in Marl bei der Zulassungsstelle versucht, das Kennzeichen für eine Zulassung zu reservieren. Ich erhielt den Hinweis, das Kennzeichen wäre nicht verfügbar. Flensburg erteilt keine Auskunft.«

»Danke. Ich werde auf dem Rückweg bei Ihnen vorbeischauen. Ist Hallstein schon an Bord?«

»Ich habe ihn schon getroffen. Er war auf dem Weg in sein Büro. Soll ich ihm etwas ausrichten?«

»Nicht nötig, mache ich schon selbst.« Dann wandte er sich an Roland. »Du weißt, was zu tun ist. Wir müssen nach dem Kennzeichen fahnden, Kameras der Verkehrsüberwachung ansehen, den Mann auf der Brücke finden und den Asiaten ausmachen, der im Nachbarhaus am Fenster Fotos geschossen hat. Ziehe Frau Günther hinzu. Von ihr brauche ich die Vernehmungsprotokolle und die Namen der Leute, die sie im Schrebergarten nicht erreicht hat.«

Bis zu Hallsteins Büro war es nicht weit.

»Moin Oliver, wir können das Nummernschild dieses Fünfers vom Schrebergarten nicht identifizieren. Es ist nirgends registriert, auch in Marl kann man im Archiv keine Daten finden. Also ist es niemals zugelassen worden. Verwunderlich ist, dass man aber dieses Kennzeichen nicht für eine Neuzulassung reservieren kann.«

»Die Nummer müsste frei sein.«

»Ich habe eine Idee: Hast du noch immer deine Beziehung zum Verfassungsschutz in Köln?«

»Mit ihnen habe ich in der letzten Woche noch gesprochen.« Oliver schaltete sofort. »Das könnte etwas ergeben. Du meinst, dass ich dort einmal nachhören soll? Augenblick!« Er sah in einer passwortgeschützten Adressdatei nach. Er wählte, wartete und deutete Albert, sich zu setzen, denn er bemerkte, dass Albert immer noch ein wenig schief stand. Auf der Durchwahl meldete sich niemand. Er wählte die Zentrale an.

»Hallstein, Kriminalpolizei Recklinghausen. Ist Herr Schneider aus der Ermittlergruppe Drei zu sprechen? … Okay … ich warte. Ich habe eine Ermittler-Nummer.« Er musste seine Dienststellennummer aus Recklinghausen angeben, dann seine Personalnummer und schließlich die Kennung aus Köln.

»Ja, es ist sogar sehr wichtig!« Hallstein wurde ungehalten.

Er nickte Albert zu.

»Sie wird ihn anfunken. Dauert nicht lange.«

Hallstein nahm auf seinem Sessel Platz. Er zog mit der Schuhspitze die unterste Schreibtischlade aus und kreuzte seine Füße darauf.

Schließlich hatte er Schneider am Apparat. Kurze Floskeln. Allen ging es gut.

»Du könntest mir einen Gefallen tun, Karl. Ich brauche Auskunft über den Fahrer des Wagens mit dem Kennzeichen …« Er schob einige Dokumente aus seinem Schreibtisch beiseite. Dann konnte er die Nummer durchgeben.

»Einen Moment, mein Freund. Ich bin gerade auf dem Weg in mein Büro. Dort kann ich die Daten einsehen. Moment. Bleib dran!«

Flurgeräusche, kurzer Smalltalk mit einem Kollegen, Türen klappern. Es dauerte einen Moment.

»So, jetzt kannst du loslegen. Was möchtest du wissen?«

Hallstein gab die Nummer ein zweites Mal durch.

»Was? … Düsseldorf? … Klasse. Noch einmal zum Mitschreiben. Wie ist der Name? Aha … Hast du eine Durchwahl? … Danke. Revanchiere mich gelegentlich … Geht klar. Vielen Dank.« Er zog die letzten Ziffern nochmals deutlicher nach und wählte. »Der Wagen läuft über das Landeskriminalamt.«

Die Durchwahl stimmte. Hallstein wies sich aus und trug sein Anliegen erneut vor. Er hörte eine Weile zu.

»Ganz im Gegenteil! Das scheint mir sogar sehr relevant zu sein!«, erwiderte Hallstein sehr bestimmt, »denn der Mann, der mit diesem Auto unterwegs war, ist einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen. Wenn wir nicht so gut recherchiert hätten, würde Ihre Firma sich in den nächsten Wochen darüber wundern, warum er sich nicht mehr meldet. Somit hätten Sie ein riesiges Problem, den Mann zu orten. Ich erwarte von Ihnen eine Auskunft! … Am besten gestern! … Bis dann.«

»Düsseldorf ist im Spiel?«, fragte Albert.

»Sie rufen heute noch zurück.«

»Wenn das LKA in dieser Sache tätig ist, dann sind wir an einer dicken Sache dran, Oliver. Dann wird’s meistens spannend.«

»Müssen wir beim Einsatz des LKA Frau Dr. Zimmermann informieren, Albert? Kannst du das übernehmen? Du hast doch gute Beziehungen zu ihr.«

»Ja. Ich muss sie ohnehin noch über unseren Fall unterrichten.« Er sah auf seine Uhr. »Vielleicht ist sie noch im Haus. Ich wünsche dir einen schönen Feierabend. Komm gut heim.«

Er hatte Glück. Frau Dr. Vera Zimmermann, die Direktorin des Polizeipräsidiums Recklinghausen war noch in ihrem Büro und bat ihn herein. Sie begrüßte ihren alten Freund mit einem Küsschen auf die Wange. Manchmal wurde Berendtsen das Gefühl nicht los, dass sie ihre Jugendliebe erneut aufblühen lassen möchte. Dabei war sie glücklich mit Paul verheiratet, einem erfolgreichen Architekten.

»Wie geht es dir und deiner Familie, Irmgard und den Kindern? Alles gut bei euch? Gehst du krumm?«

»Alles in bester Ordnung. Irmgard geht es gut. Mir auch, aber mich hat es leider in der Dienstagnacht im Rücken erwischt. Es war recht kalt, was man aber bei dieser Brandhitze nicht bemerkt hat. Der Rücken ist kalt geworden. Als ich es auf der Heimfahrt bemerkt habe, war es zu spät.« Berendtsen reckte sich. »Es wird besser. Ich denke morgen oder übermorgen …«

 

»Du siehst angeschlagen aus. Hast du dich erkältet?« Sie fühlte ebenfalls seine Stirn. Berendtsen hielt es für eine weibliche Marotte, immer seine Temperatur zu fühlen.

»Ich habe kein Fieber.« Er nahm unaufgefordert Platz.

»Du hast ein größeres Problem zu lösen, wie ich gehört habe, Albert?« Sie öffnete eine kleine Flasche Mineralwasser, das immer auf ihrem Konferenztisch stand, und goss ein.

»Es deuten verschiedene Indizien darauf hin.« Er nahm einen Schluck und goss den Rest der Flasche nach. »Wie du weißt, gab es eine Explosion einer Gasflasche in einem Dorstener Schrebergarten. Eine ganze Scholle wurde professionell abgeräumt. Dabei ist auffällig, dass nur diese eine Scholle betroffen ist. Ich will damit sagen: Wer ist dazu in der Lage, die Sprengkraft so anzupassen, dass dieses Grundstück völlig zerstört wird und in der Nachbarschaft bis auf einige Scherben alles heil bleibt? So etwas kann nur von einem Profi durchgeführt worden sein. Mir ist schleierhaft, wie von einer Gasflasche eine solche Kraft ausgehen kann. Ich denke, dass zusätzlich Sprengstoff verwendet wurde.«

»Gehst du von organisierter Kriminalität aus?« Vera setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. »Mafia?«

»Von diesem Verein möchte ich gar nicht mal sprechen. Hier bei uns ist die Mafia nicht sonderlich auffällig. Sie hält sich vorsichtig zurück.«

»Schließlich hast du selbst dem Verein vor zwei Jahren eine heftige Schlappe zugefügt. Das war großartige Aufklärungsarbeit, Albert. Wollte ich dir immer schon gesagt haben.«

»Hast du bereits mehrfach getan, Vera. Nochmals vielen Dank für die Anerkennung.« Er drehte den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch um, ließ sich rittlings nieder und legte die Arme auf die Lehne. »Auf jeden Fall waren mehr als ein Täter in diese Tat involviert. Einer hat gezündet, einer hat das Auto vom Parkplatz entfernt. Lege mich aber nicht auf zwei Personen fest. Es sieht so aus, als hätte mindestens ein Dritter das ganze geplant. Es ist noch zu früh, etwas Genaues zu sagen. Willi ist mit der Spurenauswertung noch lange nicht durch, sagt er.«

»Wenn du Hilfe brauchst … beim Staatsanwalt, Richter oder einer anderen Behörde, greif auf mich zurück. Manchmal geht es auf dem kurzen Dienstweg einfacher und schneller.«

»Weiß ich. Im Moment liegt nichts an. Ich wollte dich nur kurz informieren, damit alles seine Richtigkeit hat.«

»Fein, ich danke dir. Machst du jetzt Feierabend?«

»Ich bin auf dem Weg.«

»Grüß Irmgard und die Kinder.«

»Danke. Was macht Paul? Immer noch mit dem Neubau des Klinikums beschäftigt?«

»Immer noch. Es wird auch noch dauern. Er kommt damit besser klar, als ich zunächst gedacht habe. Er hat sogar noch Zeit für mich.«

»Grüße ihn. Bis dann.« Berendtsen stand bereits in der Tür.

»Ich werde mit Irmgard telefonieren. Wir sollten uns zu einem Barbecue verabreden. Willi würde bestimmt auch gern kommen. Er grillt gerne.«

Berendtsen winkte kurz. »Genau. Tschüss.«

»Bleibe einen oder zwei Tage zuhause und erhole dich!«, rief sie ihm nach. »Besorge dir Lindenblütentee!«

Teetrinken war nicht sein Ding. Er entschied sich, auf dem Weg nach Hause kurz bei seiner Apotheke vorbeizufahren und sich von seinem Apotheker, Herrn Simons, beraten zu lassen. Der kannte ihn.

Irmgard inspizierte die Tüte und wollte ihm sogleich die Medikamente verabreichen. Er zog es allerdings vor, zuerst den Abend mit seinem Whisky und dem Abendessen einzuläuten.

»Guten Abend, Papa, wie geht’s?«, grüßte ihn Maximilian.

»Du bist zuhause? Ich denke, du kommst erst morgen.«

»Als ich von deiner schweren Erkältung gehört habe, bin ich direkt in den nächsten Laden gesprintet und habe dir etwas mitgebracht. Bitte sehr!«

»Das war eine gute Idee! Printen … und genau die richtigen. Danke!«

Zwei Stück wurden vertilgt, ehe die Abendbrötchen auf dem Tisch standen.

»Ist Sophie auch schon da?«

»Sie kommt morgen. Sie hat noch Termine. Sag mal, Papa, was ist das für ein Fall, den du jetzt bearbeitest? Mama deutete an, dass die Mafia ihre Hände im Spiel hat?«

»Ob es die Mafia ist, vermag ich nicht zu sagen. Das Vorgehen deutet darauf hin, dass es mehrere Profis sind, die diesen Anschlag geplant und ausgeführt haben. Das kann eine Familienbande sein, ein Clan, oder eine andere kriminelle Verbindung. Hier in der Gegend, sprich Ruhrpott, weiten sich die Aktivitäten verschiedener Gruppen aus. Es handelt sich vorwiegend um orientalische Familien. Iraner, Iraker, Afghanen und auch IS-Kämpfer treiben hier ihr Unwesen. Dazu gesellen sich neuerdings die Westbalkanstaaten. Albanien, Kosovo und Montenegro. Die Mafia ist hier ebenfalls vertreten, aber die leben hier eher zurückgezogen. Sie agieren von Deutschland aus, vor allem NRW, aber sie agieren nicht in NRW. Sie verhalten sich hier ruhig. Sie bringen vor allem hier ihr Schwarzgeld in Immobilien unter. Sie kaufen einerseits alte, baufälliger Häuser, renovieren diese und vermieten oder verkaufen teuer. So ist ihr Geld gewaschen. Auf der anderen Seite kaufen sie in TOP-Lagen die teuersten Anwesen zu einem niedrigen offiziellen Preis mit reichlich Cash in offene Taschen, um sie irgendwann später für reines Geld auf dem Konto zu verkaufen.«

»Mafia ist hier nicht so schlimm?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte, die Mafia verhält sich hier ruhig, im Sinne von unauffällig, still. Sie betreiben schon ihre Geschäfte und ab und an wird auch jemand liquidiert, aber eben nicht auf so auffällige Weise. Es knallt nicht. Dieser laute Mord will nicht zu ihrem Verhalten passen.«

»Deshalb glaubst du, eine andere Gruppe steckt dahinter?«

»Hmm. Das denke ich.«

Die Fortführung des Gesprächs war nicht möglich, weil das Fieberthermometer anrollte. Irmgard war von dem neuen Thermometer, das die Temperatur auf Knopfdruck von der Stirn ablas, begeistert.

»Achtunddreißig zwei«, kommentierte sie. Wie befohlen nahm er die Arznei.

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