Tasuta

Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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»Ach ich ginge ja so gern,« flüsterte die Aelteste und sah mit stierem Blick auf ihr Klöppelkissen, »wenn ich nur einen Dienst wüßte, wo ich gut behandelt werde, – an mir sollt es nicht fehlen.«

»Sie sind gewiß ein Spitzenhändler?« sagte die Frau noch einmal und blickte mich dabei halb schüchtern an.

Ich sah mich in der Stube um – neben dem Ofen standen mehrere Töpfe, aber alle leer, – keine Spur von Lebensmitteln war im Zimmer und doch verrieth die ganze Umgebung, daß dieser eine Raum ihr Alles umschloß, was sie das Ihre nennen konnten.

»Habt Ihr kein Brod Ihr Leute?«

»Nein,« sagte er kopfschüttelnd; »wir haben bis jetzt von Kartoffeln gelebt.«

»Aber Brod ist dieß Jahr so billig.«

»Ach ja,« erwiederte der Mann, – »es ist viel billiger als voriges Jahr, – aber – wir sind hier gar viele Mägen.«

Das kleine Kind fing an zu schreien; die Mutter stand von ihrer Arbeit auf, nahm es in die Höhe und schaukelte es auf dem Arme, – in der Stube konnte sie nicht auf und ab mit ihm gehen, der Platz, wo sie stand, war der einzige freie Raum. Ich mochte den stillen Jammer nicht mehr länger ertragen, stand auf, legte etwas Geld auf den Tisch und wollte fort.

»Da – kauft Euch Brod,« sagte ich, – »es wird schon einmal eine bessere Zeit kommen.«

Der Mann sah überrascht das Geld an und griff nach meiner Hand; – bis dahin war keine Klage weiter, – keine Bitte um Unterstützung über seine Lippen gekommen, jetzt aber brach sich der gewaltsam zurückgehaltene Jammer Luft und die Thränen stürzten ihm aus den Augen.

»Wir haben seit gestern Mittag keinen Bissen gegessen,« flüsterte er, – »mein Bein ist offen und entzündet, aber ich war eben aus, Arbeit zu suchen um nur ein paar Groschen für Brod zu bekommen, vergebens –.«

Es war noch viel, viel, was er sagte und auch die Frauen fingen an zu weinen; – bis jetzt hatten sie sich vor dem Fremden gescheut, nun war das Eis gebrochen und ihr Schmerz ließ sich nicht länger zurückdämmen. Das Kind schrie auch mit hinein in diesen Jammer, aber die Mutter drückte es freudig an die Brust. –

»Sei ruhig mein Herzchen, Du bekommst jetzt Brod –.«

Ringsum steigen freundliche Berge empor, dunkelgrüne Waldesschatten schmiegen sich an die breitlehnigen Kuppen an, – weite, im sonnigen Lichte blitzende und funkelnde Schneeflächen decken die Halden und leichte durchsichtige Nebelwolken ziehen sich wie duftige Schleier am scharfen Abhang der Schluchten hin. Munter sprudelt der Bach dazwischen durch und das blaue ätherreine Firmament umschließt wie mit liebenden Armen das herrliche Land. Der Habicht streicht in langsam bedächtigen Kreisen über die Flur, – die Krähe sitzt gesättigt oben in den Zweigen des Apfelbaumes und wetzt an dem rauhen Aste den Schnabel – und der Mensch? –

Geht in die Hütten und seht wie sie zusammenkauern; hebt den Deckel von dem irdenen Topfe, der in der Röhre steht und einen widerlich dumpfigen Geruch verbreitet; – aus was besteht die Nahrung, die sich der Erzgebirger zusammengeknetet hat, sein und der Seinigen Leben zu fristen? Faule, kranke Kartoffeln zu Muß gedrückt und mit etwas schwarzem Mehl angerührt, – Salz hat er nur selten, – etwas Häringslauche muß dem Stoffe eine Art Geschmack geben, und will er verschwenderisch sein, so vertritt Lampenöl die Stelle des zu theuren Fettes. Und das sind Menschen, – denkende, fühlende Menschen, von Gott mit denselben Anrechten an dieses Leben ausgestattet, wie wir selbst, das sind Menschen, die hier rettungslos ihrem sicheren Verderben entgegengehen. Rettungslos, wenn nicht bald etwas geschieht, sie dem fürchterlichsten Elend zu entreißen.

Die Klöppelarbeit ist kaum noch im Stande ihr elendes Leben zu stiften, und in den englischen Spitzenmanufacturen ihnen ein Feind erstanden, mit dem sie den verzweifelten Kampf um die Existenz nur noch wenige Jahre werden bestehen können. Die Preise der Spitzen fallen wirklich jährlich, und es ist Thatsache, daß die Leute im Gebirge in diesem Jahr (1848), trotz des billigen Brodes, doch nicht mehr für ihre Arbeit bekamen, als das vorige. Die Leute vegetiren also dieses Jahr eben so wie das vorige; wie aber nun, wenn wiederum, was doch jeden Augenblick geschehen kann, eine neue Theuerung die Brodpreise hinauftreiben sollte? Die Arbeitspreise steigen nicht wieder, und die Klöppler sind dann einem Verderben nahe, dessen Ahnung schon jetzt ihr Herz mit Schrecken erfüllt.

»Wenn das Brod wieder theuer wird, müssen sie uns todtschlagen,« sagte ein junger bleicher Bursche, der in Scheibenberg auf einer Hobelbank saß und faule Kartoffeln kaute. – Es liegt eine fürchterliche Wahrheit in den Worten, man kann doch die Leute nicht langsam verhungern lassen.

»Aber warum verlassen sie das Gebirge nicht?« – rufen die Tausende – »warum gehn sie nicht in's flache Land – im Gebirge selbst und in der nächsten Nachbarschaft müssen die Bauern baierische Dienstboten nehmen, weil die Gebirger nicht aushalten, selbst an den Wegen, die der Staat hat fast nutzlos anlegen lassen, nur um den Unglücklichen zu helfen, haben sie nicht länger arbeiten mögen – sie wollen ja zu Grunde gehen – warum ergreifen sie nicht etwas Anderes, wenn das alte Geschäft nicht mehr geht?«

Dort ist Jemand in einen Fluß gefallen – er schlägt mit Armen und Füßen um sich – aber er sinkt – er hebt sich noch einige Mal – dreht sich eine Zeit lang auf derselben Stelle im Kreise herum und sinkt immer und immer wieder. »Warum schwimmt der Mensch nicht – er braucht ja nur mit Armen und Beinen gleichmäßig auszutreten, – nur gerade so, wie es ihm die Leute, die da in Herzensangst am Ufer stehen, vormachen – er braucht nur den Kopf dann zu heben und dem nächsten Ufer zuzuarbeiten, so kann er ja nicht untergehen.« – Ei ja wohl, wäre ihm das in seiner Jugend gelehrt, so könnte er das allerdings – wüßte er, wie er seine Kräfte gebrauchen soll, er würde auch nicht untergehen; aber die Leute am Ufer, die alle auf ihn einschreien und ihm zuwinken, kleine Stückchen Holz nach ihm werfen, auf denen er sich einen Augenblick ausruhen soll, machen ihn nur noch mehr irre und bringen ihn ganz außer Fassung. – Guter Rath und schwache That kommen hier zu spät, hier bedarf es eines kräftigen Mittels, das ihm die Hand reichen und vom Verderben zurückreißen muß, dem er sonst im nächsten Augenblick zu erliegen droht.

Der Erzgebirger ist entnervt und erschlafft, aber weniger noch an körperlichen, als an geistigen Kräften; jetzt geschieht allerdings was möglich ist, um nur in etwas seine Energie zu wecken; die Schulen werden überall vermehrt und verbessert, man sucht die Einzelnen ihrem Jammer zu entziehen und mit dem wirklichen Leben bekannt zu machen, bedeutende Summen werden vom Staat und von Privaten daran gewandt, der augenblicklichen Noth zu steuern – aber es ist auch nur die augenblickliche Noth, und solche Hülfe genügt nicht mehr allein. Die Wunde, die vielleicht in früherer Zeit mit leichten Umschlägen und Salben geheilt gewesen wäre, ist jetzt geeitert, der Brand ist hinzugetreten und jede Verzögerung einer ernstlichen Cur macht sie nur noch schmerzhafter und noch gefährlicher. Dem Erzgebirger sind seine Berge die Welt; kommt er in das flache Land, so stellt er sich linkisch und ungeschickt an, – aber das ist's nicht allein – durch eine Nahrung, wie sie bei uns kein Hund verzehren würde, ist er auch schwach und kraftlos geworden. Haben ihn auch nun wirklich Bauern als Knecht einmal angenommen und ihm denselben Lohn, wie ihren andern Arbeitern, gegeben, so vermochte er natürlich nicht von allem Anfang so auch zu arbeiten, das Alles zu leisten, was jene wirklich leisteten. War dann auch der Herr vernünftig und gutmüthig genug, das Alles nachzusehen, wollte er den Unglücklichen eher zurechtweisen als einschüchtern, so fand dieser dagegen bei seinem ihm fremden rohen Cameraden – denn unsere Arbeiter sind leider in der Mehrzahl roh – keine so freundliche Gesinnung. Wer das Verhältniß der Knechte und Dienstleute zu einander kennt, wird mir recht geben; erst verspotten sie den Fremdling, besonders wenn er sich etwas täppisch und unbeholfen zeigt, oder gar nach einem anderen Dialekt redet, und machen sich über ihn lustig, äffen ihm auch wohl die Worte nach; dann aber auch murren sie und werden gehässig, wenn ein Anderer, der mit ihnen auf gleicher Stufe steht und dieselben Pflichten hat wie sie, nicht auch alles das leisten kann oder wirklich leistet, was man von ihnen selbst fordert.

Der Erzgebirger aber, nur in seinem innersten Familienkreise aufgezogen und groß geworden, ist zu weichlich, zu schüchtern, dem Allen begegnen zu können, die geistige Energie fehlt ihm, jetzt einmal doch zu zeigen, daß er ein Mann ist und den Feind, der sich ihm zeigt, zu bekämpfen. Nein, das Heimweh faßt ihn nach seinen Bergen; dort mußte er wohl hungern und Noth leiden, aber dort lachte ihn auch keiner aus, dort war er nicht verspottet und verachtet. Der geringe Funke von Geist, der noch in ihm schlummerte, wurde dort nicht mit Füßen getreten, und zurück flieht er mit aller Hast und Angst zu den Seinen und theilt lieber Jammer und Elend mit ihnen. Ebenso, nur in einem fast noch stärkeren Grade, war es mit den Mädchen, die sich in's flache Land ausmiethen wollten. – Nichts auf der Gotteswelt haben sie daheim gelernt, als ihre Klöppel zu führen und höchstens einmal, und selbst das noch mangelhaft, ihre Kleider auszubessern und herzurichten – jetzt auf einmal verlangt man lauter fremde unbekannte Sachen von ihnen, und dieselbe Scheu treibt auch sie zu den Ihren zurück.

Wohl wäre es vielleicht auch jetzt noch Zeit, auf die Jugend mit allen nur zu Gebote stehenden Mitteln einzuwirken, daß wenigstens diese einer so fürchterlichen und gefährlichen Lethargie entrissen wird, – es muß sogar wirklich geschehen, wenn nicht der ganze Stamm doch verderben soll. – Die Unglücklichen haben sich aber gegenwärtig dem Abgrund, der sie verschlingen muß, so fürchterlich genähert, daß – und zwar rasch und ohne Zögern – etwas Gewaltiges, etwas Durchgreifendes geschehen muß, wenn nicht jede Hülfe zu spät kommen soll.

 

Jener fürchterlich übervölkerte Gebirgsdistrikt, dessen Bewohner mit einer Hartnäckigkeit an ihrer Beschäftigung hängen, die der der Schaafe gleicht, wenn sie, befreit, in den brennenden Stall zurückstürzen – jener Distrikt muß gelichtet und auf eine Art gelichtet werden, die den Zurückbleibenden Luft giebt und ihnen freier zu athmen gestattet. Durch keine bürgerliche Hülfe kann dies aber allein geschehen, und wäre sie auch zehnmal größer, als sie Sachsen zu bieten vermag. Der moralische Trieb dieser Menschen muß geweckt werden, und nur dann ist es möglich, an eine wirkliche Rettung derselben zu glauben.

Das ist aber wieder nur durch eine Auswanderung möglich, und nicht etwa durch die Auswanderung Einzelner, die immer nur auf ihren engen Familienkreis zurückwirken, nein, durch die vom Staate selbst geleitete Auswanderung von Tausenden, für die man in den Vereinigten Staaten von Nordamerika eine neue Heimath gründet. Zwanzigtausend Menschen müssen übersiedelt werden, oder Hunderttausende gehen rettungslos zu Grunde. Wie das geschehen könne, ist hier nicht Raum genug zu erörtern, aber dadurch wird nur die Möglichkeit hergestellt, erstlich für den Augenblick die zwanzig Tausend der Noth zu entreißen und den Zurückbleibenden in den ersten Jahren eine Concurrenz zu nehmen, die sie freier aufathmen läßt. Abgerechnet von all dem materiellen Nutzen, den eine solche That für Gehende und Bleibende haben muß, von dem Lande, was frei wird, von den gewonnenen Producten, die nicht mehr in die kleinsten Atome vertheilt werden müssen, von den gelieferten Arbeiten, die jetzt doch wenigstens regelmäßig ihre Käufer finden, wenn sie auch keinen höhern Preis erreichen – abgesehen von alle diesem ist es aber besonders der moralische Einfluß, den eine solche Auswanderung auf den übrigen Theil der Gebirge üben wird und muß. Bis jetzt erschien ihnen selbst das außer ihrer nächsten Umgebung Liegende wie eine fremde Welt – daß man ohne Klöppeln existiren konnte begriffen sie nicht – selbst die Einzelnen, die es tollkühn versucht hatten, in das »Ausland«, nach Leipzig, Dresden, ja selbst Chemnitz zu gehen, kamen fast sämmtlich wieder zurück und kauerten lieber an ihrem Klöppelkissen – da hatten sie den Beweis – es ging draußen für sie nicht an – sie gehörten nicht da hinaus und mit ängstlicher verderblicher Scheu hielten sie selbst ihre Kinder davon zurück. Dann aber wäre die Bahn gebrochen – Tausende sind plötzlich über tausend Meilen weit, über das Meer sogar, nach einem fremden Lande gezogen – der Gebirger hat auf das Aeußerste gespannt – in Angst und Sorge um die Tollkühnen, einer Nachricht von ihnen gelauscht – da plötzlich treffen Briefe auf Briefe ein – in alle Theile des Gebirges zweigen sie aus – solche Schreiben laufen von Hand zu Hand, jede Familie drängt sich herzu, wenn der Vater oder Schullehrer die ersehnte Kunde meldet, und eine neue Welt geht plötzlich vor ihren Augen auf, als sie das Jubelgeschrei der Ihren aus der Ferne hören – als sie mit Staunen und Verwunderung hören, daß Jene nicht mehr zu hungern und zu frieren brauchen, daß sie mit mäßiger Arbeit einen Ueberfluß von Nahrung und Kleidung verdienen können und jetzt zum ersten Male steigt der freiwillige und durch nichts anderes geweckte Wunsch in ihrer Brust auf – »könntest Du dorthin.«

Mit dem Wunsche aber denkt der Gebirger auch schon an die Möglichkeit der Ausführung, und jetzt, jetzt ist die Zeit gekommen, seinen verkümmerten Geist mit allen Waffen der gesunden Vernunft anzugreifen und aus seinem Traume mit aufrütteln zu helfen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo dem im alten Schlamme noch Versunkenen der Fortschritt der Welt gezeigt und er selbst zum thätigen Mitwirken daran aufgefordert werden muß. Aeußere Umstände kommen dann noch dazu, die Einwirkung zu vermehren; bis dahin wird das Klöppeln durch die sich immer mehr verbessernden englischen Spitzen fast ganz vernichtet und zu Grunde gerichtet sein; der Gebirger, aus seinem Stumpfsinn erwacht, sieht auf der einen Seite seinen alten Erwerbszweig, an den er wie an ein Evangelium geglaubt, zerstört, auf der anderen dagegen Sachen möglich gemacht, die er bis dahin nur für tolle Märchen gehalten, und er wird dann, wenn der alte Zauber erst einmal gebrochen, auch nicht allein ein Mensch werden, sondern was noch viel wichtiger und für ihn nothwendiger sein muß, fühlen, daß er wirklich ein Mensch ist.

Der dortigen fürchterlichen Noth kann auf keine andere Art möglicher Weise abgeholfen werden – eine Auswanderung ist meiner Meinung nach das Einzige. Mag aber da der Staat nicht durch eine scheinbare Verantwortlichkeit zurückschrecken, eine Verantwortlichkeit, die nur in der Idee existirt. Bei einer Auswanderung werden wohl Manche sterben, Manche dort, statt der gehofften Heimath, ein Grab finden; hier aber gehen die Leute gewiß, und wie die Aussicht jetzt ist, alle zu Grunde. Jenes sind dann auch nicht Folgen der Auswanderung, nein, es sind noch die Folgen des fürchterlichen Elends, das hier ihren Körper aufgerieben und vergiftet – der Keim des Todes ist es, der hier schon durch widernatürliche Nahrungsmittel und Lebensart gepflanzt und gepflegt wurde. Und was für ein Unterschied zwischen dem Tode eines Vaters dort und hier. Dort weiß er die Seinigen versorgt, oder die Hoffnung versüßt wenigstens seine letzten Stunden – ein gemeinsames Unternehmen hat sie in seinen Schutz genommen, er fühlt, daß sie nicht hülflos untergehen werden – und hier? – wenn er hier stirbt – wenn er noch einmal auf die bleichen elenden Gestalten sieht, die sein hartes Lager umstehn – wenn er weiß, wie er sein ganzes Leben verbracht hat, weiß, daß all die Seinen auch nur Aehnliches, vielleicht jetzt noch größeres Elend erwartet – muß ein solcher Augenblick nicht alle Qualen der Hölle in sich schließen, und kann da noch von einer Verantwortlichkeit die Rede sein? Nein, wahrlich nicht, die alte Generation wird freilich aussterben, ohne viel Heil und Segen von der Uebersiedelung gehabt, ohne die Vortheile alle genossen zu haben, die man für sie beabsichtigte; aber die Kinder, die hier nur dem sicheren Elend entgegen gingen, sind gerettet. Der Erzgebirger, der den Anwuchs seiner Familie bis dahin nur als einen Fluch betrachtete und betrachten mußte, sieht plötzlich, daß er ihm dort, in den freien Wäldern einer neuen Welt zum Segen wird. Die erzgebirgische Mutter, die bei dem Tode eines Kindes wohlhabender Eltern mit stierem Blicke sagte: »Mir stirbt keins!« findet Brod für die Kleinen, und die natürliche Liebe, die durch Noth und Elend gewaltsam erstickt worden, wacht wieder auf in ihrem fast erkalteten Herzen.

Auch der Einwand kann keine Geltung finden, daß die Armen zu schwach und entkräftet wären und die schweren Arbeiten des dortigen Ackerbaues nicht aushalten würden. Die Erzgebirger, wenigstens ein großer Theil derselben, arbeiten hier auch in Wald und Feld und würden mit Freuden noch mehr arbeiten, wenn sich ihnen nur die Gelegenheit böte. Ist er aber auch schwach und entkräftet, so sind das nur ganz natürliche Folgen seines elenden Lebens, die sich mit einer Aenderung desselben ebenfalls ändern werden. Und gehört denn nicht wirklich eine Riesennatur dazu, eine solche Noth so lange Jahre hindurch zu ertragen? Ueberdies sollen solche Uebersiedelten im Anfang, und ehe sie sich ganz erholt und gekräftigt hätten, aber auch gar keine so übermäßig anstrengenden Arbeiten verrichten, – sie sollen in den ersten Jahren nur so viel bauen, als sie zum einfachsten Leben, aber an gesunder nahrhafter Kost brauchen, und Gott weiß, sie brauchen wenig genug. Mit der Zeit mögen sie dann an Verbesserungen, an den Absatz ihrer Producte und an die Zukunft denken, dann werden sie auch im Stande sein, derartige Pläne nicht allein auszuführen, sondern auch fassen zu können – früher, wo ihnen die Kraft und Fähigkeit sowohl zum Einen wie zum Andern fehlt, haben sie das gar nicht nöthig.

Schafft sie nur erst hinüber, die Unglücklichen, gebt ihnen nur erst die Gelegenheit, sich emporzuraffen, wählt nur das rechte Mittel, sie zu Menschen zu machen, und sie werden Euch beweisen, was sie vermögen. – Heil und Segen wird dem Unternehmen folgen, aber mit Ernst muß es auch angegriffen werden, mit Lust und Liebe zur schönen That, und starke Opfer dürfen nicht gescheut werden, dann aber läßt sich auch wirkliche Hülfe, nicht eine bloße Galgenfrist bleichen Hungertodes erwarten, und der alte Krebsschaden, der jetzt an unserm schönen Sachsenlande zehrt und nagt, wird endlich einmal, so bald die kranken Theile herausgeschnitten sind, heilen und gesunden.

Mir war von all dem Elend so weh geworden, daß ich kaum weiß, wie ich diese Hütte verließ, und doch fand ich in vielen andern, die ich an diesem Morgen noch besuchte, immer nur dasselbe Leid, denselben Jammer, der wie ein düsteres Trauertuch das ganze Land bedeckte. Und doch leben diese Menschen noch – wo nur noch eine Aussicht auf Existenz blieb, da schien auch die Hoffnung nicht ganz erstorben zu sein – sie kannten den Umfang ihres Elendes selbst zu wenig, und eine Voraussicht auf die Zukunft haben diese Menschen nicht, sie sind wie unmündige Kinder und müssen auch wie solche geführt werden. – An den meisten Orten war aber der Jammer doch schon so groß und nachhaltig gewesen, daß sie auf meine Fragen, ob sie denn die Gebirge verlassen würden, wenn sich ihnen eine Aussicht böte, mit thränenden Augen und wie schon früher antworteten:

»Ja – ach Gott, ja – nur nicht verhungern!«

Und auch ich rufe das: – Fort mit den Unglücklichen – fort mit ihnen nach einem Orte, wo sie nicht verhungern. – Was nützen die Palliativmittel, mit denen wir uns vorlügen, wir hätten eine Noth gelindert, einen Schmerz gestillt? Der flüchtige Moment war es, den wir beschwichtigten, und der nicht einmal, denn in dem nämlichen Athemzug erwacht auch schon die Angst für die nächste Stunde. Ernste, durchgreifende That muß hier reifen und schnell reifen, wenn nicht die nächsten Jahre schon auf ein Elend herabsehen sollen, wie es uns aus den Bergen Oberschlesiens in scheußlichem Hohn entgegengrinste – mit dem Angstgeschrei der Sterbenden mischt sich dann ihr Fluch und die Verantwortung dann wäre fürchterlich.

Doch genug von all diesem entsetzlichen Jammer – mir schnürte er die Brust zusammen, und ich floh, so schnell ich konnte, zurück in's flache Land. –