Tasuta

Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Da – es mochte zwei Uhr vorüber sein und das Schweigen der Frösche verkündete den nahenden Morgen – klopfte etwas mit heftigen Schlägen an die Thür der Wohnung; der wachthaltende Sklave öffnete, und die Treppe herauf stürmte nicht der Deputysheriff, sondern der Constabel, mit wenigen Worten jetzt meldend, daß, sicherer Kundschaft zufolge, jener Pitwell der besoldete Entführer der sämmtlichen Plantagenneger sei, und auch an dem Fausse Riviere nicht mehr gefunden werden könne. Aber Beaufort's Overseer müsse ebenfalls mit ihm unter einer Decke stecken, denn auch er sei, wahrscheinlich gewarnt, mitten in der Nacht nebst der erst angekauften Indianerin aufgebrochen, die ihm aber keineswegs gutwillig gefolgt, sondern in einer gewöhnlichen Negerkette forttransportirt wäre.

»Wah! –« rief Wetako, von der Erde emporspringend, auf der er niedergekauert bis jetzt gesessen hatte – »fort – fort – wir müssen fort.«

Auch St. Clyde griff nach seinem Hut und wollte ihm folgen; der Richter trat ihnen aber in den Weg und bat sie noch einen Augenblick zu verweilen. Dann stellte er ihnen vor, wie sie durch Gewalt wenig oder gar nichts ausrichten könnten, bis nicht eine hinlängliche Anzahl von Pflanzern versammelt sei, die ihnen dann gemeinschaftlich folgen müßten; das würde aber natürlich wenigstens bis morgen Mittag dauern, und er wolle sie deshalb zugleich bitten, ihre Kräfte mit denen seiner Constabels zu vereinen, um alle Pflanzungen so schnell wie möglich von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen. Werde die Rettung auch dadurch um wenige Stunden verzögert, so sei sie aber auch mit so viel mehr Gewißheit vorauszusehen. – Davon wollte aber weder der Creole noch der Indianer hören.

»Nein,« rief der Letztere, »Nedaunis-Ais in Ketten, und Wetako mit Messer und Büchse auf der Spur – wir wollen fort!«

»Um Gottes willen – begeht keinen Mord!« rief der Richter ihnen erschrocken nach – »Ihr kennt unsere Gesetze nicht – lebenslange Kerkerstrafe wäre die Folge.«

Der Indianer lächelte grimmig vor sich hin, als er die Worte hörte.

»Warum sperrt Ihr denn den Panther nicht ein, der Nachts Eure jungen Pferde raubt?« höhnte er – »Wetako ist ein Mann und seine Fährten sind tief. Folgt ihm, wenn Ihr könnt!«

Er sprang rasch in den Sattel, der Creole ebenfalls, noch einen Gruß warf der Letztere zu dem dabei auch ihn ängstlich warnenden Richter hinauf, und fort flogen sie in gestrecktem Galopp die Straße entlang und dem Orte zu, von wo aus der Overseer aufgebrochen, um dort zuerst die Spur aufnehmen zu können.

Schon rötheten die ersten Sonnenstrahlen das dunkelgrüne Laub der rauschenden Cypressen, als die Reiter Beaufort's Plantage erreichten; hier war aber Alles in Aufruhr. Aus fast sämmtlichen benachbarten Ansiedlungen hatten sich die Pflanzer, mit Doppelflinten, Messern und Harpunen bewaffnet, eingefunden und eine Abtheilung sollte schon, wie St. Clyde hörte, vorausgesprengt sein, die Flüchtigen wenigstens aufzuhalten. Die beiden Männer verweilten aber kaum lang genug hier, nur das Nothwendigste zu erfahren, frugen schnell, welchen Weg die Gig des Overseers genommen, und stürmten dann wie dunkele Rachegötter hinterdrein.

Eben diese Gig war aber die Ursache gewesen, daß man auf der Plantage, früher als es Duxon gehofft, Verdacht schöpfte, da er seine Sachen noch an demselben Tage, unter der Adresse eines texanischen Handelshauses und mit einem gerade dort anlegenden Dampfboot, nach Houston gesandt hatte. Einzelne der Neger, die er sonst stets grausam und unmenschlich behandelt, meldeten dem Herrn ihre Vermuthungen, wie auch, daß eine gewisse Anzahl ihrer Mitsklaven, von denen die meisten des Overseers Spione gewesen, ebenfalls vermißt würden und allem Anschein nach entflohen wären.

Duxon war überdies noch am vorigen Tage genöthigt gewesen, seine neuangekaufte Sklavin in der Obhut der alten Negerin zu lassen, da Gabriele fest darauf bestanden, und er durch zu starres Weigern Verdacht zu erregen fürchtete. Dies hielt in der Nacht seine Flucht auf, die er, durch einen Boten Pitwell's gewarnt, beschleunigen mußte, und so kam es denn, daß er, noch mehre Meilen von dem Versammlungsort entfernt, die gut berittenen Verfolger in voller Hetze hinter sich hörte. Kaum vernahm er aber die nachdonnernden Hufe auf der hartgetretenen Straße, als er, schnell das Bett eines kleinen, ebenfalls trockenen Baches benutzend, von dem Wege abbog. Die Neger waren nämlich schon auf Pferden, die sie ihrem Herrn oder den Nachbarn geraubt, der ihnen bezeichneten Gegend zugesprengt, und Duxon hatte gehofft sie schnell genug einholen zu können. Für den Augenblick gelang ihm auch diese Kriegslist vollkommen, denn die Pflanzer, wenig damit vertraut einer Fährte zu folgen, bemerkten die Abweichung der Wagenspuren nicht eher, bis es zu spät war, und folgten dann der ihnen durch die Neger selbst verrathenen Richtung, weil sie nicht umkehren wollten, die Zeit zu versäumen. Am Versammlungsort mußten sie ja später doch Aller habhaft werden.

Duxon nun, mit jedem Fußbreit Landes in diesen Waldungen und Sümpfen vertraut, wußte, daß er, wenn er dem Rande eines kleinen Dickichts folge, eine ziemlich offene Holzung finden und nur mit den hindernden Wurzeln der Cypressen zu kämpfen haben würde. In kaum einer Viertelmeile von da durchschnitt aber eine andere, ebenfalls nach dem Cutoff8 hinaufführende Straße den Sumpf, und sobald er diese erreichte, mußte ihn das aus der Spur aller Verfolger bringen.

Auf einen Widerstand aber hatte er nicht gerechnet, auf den Saisens. So lange er sich nämlich in der Straße hielt, gab die Unglückliche noch immer nicht die Hoffnung auf, von dem Geliebten, denn auch sie hing mit ganzer Seele an dem jungen Creolen, eingeholt zu werden; jetzt aber, als sie sich, nur von den rauschenden Bäumen des Waldes umgeben, ganz in der Gewalt des Menschen fand, den sie, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen, auch gefürchtet und verabscheut hatte, da glaubte sie ihr Schicksal besiegelt, und versuchte nun mit verzweifelter Anstrengung ihre Ketten zu zerreißen und sich zu befreien.

»Sitz' still, zum Teufel!« brummte der Overseer, ohnedies nicht in der besten Laune, »oder ich klopfe Dir den Peitschenstiel auf den Schädel, daß Du Dich ruhig verhältst – hörst Du?«

Saise hielt einen Augenblick erschöpft inne, dann aber, auf's Neue ihre letzte Kraft versuchend, gelang es ihr, wenn auch nicht ihre Ketten, doch die Bande zu zerreißen, die ihre Hände niederhielt. In demselben Augenblick befreite sie sich auch von dem Knebel, den ihr der Bube der Vorsicht wegen angelegt hatte, und stieß nun, von Angst und Verzweiflung getrieben, einen Hülfeschrei aus, der so laut und plötzlich in die Ohren des vor die Gig gespannten Poneys dröhnte, daß dieses entsetzt zur Seite prallte und waldeinwärts rannte. Duxon aber, durch den Hülferuf Saisens ebenfalls erschreckt, konnte ihm nicht schnell genug in die Zügel fallen, ja diese entglitten sogar seiner Hand, und im nächsten Augenblick schnellte auch schon das leichte Fuhrwerk mit einem Rad an einer der Cypressenwurzeln hinauf und schlug, den Herrn wie seine Sklavin in ein benachbartes Dickicht schleudernd, um.

Zorn und Rache im Blick sprang der Bube empor, das Poney nahm aber zuerst seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch – die Gig enthielt Alles, was er an Vermögen besaß, und wenn ihm das Pferd entlief, war er verloren. Dem wild Stampfenden fiel er daher rasch in die Zügel, riß es auf die Hinterbeine zurück, daß sich der weiße Schaum mit dem Blut des wundgerissenen Maules vermischte, und richtete dann, während das erschreckte Pferd zitternd stille stand, mit riesiger Kraft die Gig wieder empor.

Nun aber wandte sich auch seine ganze Wuth gegen die Ursache dieses Unfalls, denn Saise, von dem Sturz erst fast betäubt, hatte sich jetzt wieder gesammelt und ließ auf's Neue den gellenden Hülferuf erschallen.

»Donner und Tod!« schrie er, flog auf die Zurückspringende zu und führte mit der umgekehrten und mit Blei gefüllten Peitsche einen Schlag nach ihrem Kopfe, der ihr denselben zerschmettert haben würde, wenn er sie traf; die gefesselten Arme aber emporhebend, fing sie den Streich auf, der an den Kettengliedern unschädlich niederstreifte.

Duxon wollte den Schlag wiederholen, da tönte, wohl noch in weiter Ferne, aber klar und deutlich ein scharf ausgestoßener, wilder Laut durch den stillen Wald – er hielt ein, um zu horchen, Saise aber schien in diesem Augenblick wie aus Stein gehauen, so starr und regungslos blickte sie nach jener Gegend hin, von woher der Ruf geklungen.

»Ha, da kommen ihrer mehr, aber sie sind auf der Straße,« murmelte der Overseer vor sich hin; »Pest und Gift, die Sache wird gefährlich; komm, mein Täubchen, und sei jetzt vernünftig, der erste Schrei, den Du wieder ausstößt, ist Dein Tod!« Und mit den Worten bückte er sich, ergriff das einer Statue ähnliche Mädchen und wollte sie in das wieder geordnete Fuhrwerk tragen; bei seiner Berührung erwachte aber auch in dieses das, durch jenen Ruf fast erstarrte Blut; mit aller Gewalt, deren sie fähig war, schwang sie die leichte Kette, die ihre Handgelenke gefesselt hielt, empor und schlug sie gegen den Kopf ihres Räubers nieder, daß dieser sie halbbetäubt losließ und zurücktaumelte. Wieder aber erschallte da lauter und dringender als zuvor der Hülferuf der Unglücklichen, und Duxon, jetzt, durch Schmerz und Wuth zum Aeußersten getrieben, hörte kaum das antwortende und näher kommende Signal, als er auch sein breites Messer aus der Scheide riß, auf die entsetzt Zurückzuckende lossprang und ihr mit fest auf einander gebissenen Zähnen den scharfen Stahl in die Brust stieß.

 

Zum Tode getroffen taumelte Saise nieder in das gelbe Laub, Duxon aber flog mit wilden Sätzen zum Wagen, riß eine große Brieftasche heraus, die er unter seiner Weste barg, schnitt die Stränge des Poneys durch, warf sich die Doppelflinte auf die Schulter, sprang auf das Pferd und verschwand im nächsten Augenblick im Dickicht.

Kaum hatten sich aber hinter ihm, auf der einen Seite des kleinen freien Platzes die Büsche geschlossen, als auch schon an der anderen zwei Reiter auf schäumenden Rossen hervorbrachen, doch hier, wie von einem Blitzstrahl getroffen, entsetzt in ihre Zügel griffen. Sie hielten mehre Secunden an. Während sich dann aber der Eine mit wildem Schmerzesschrei aus dem Sattel und neben dem blutenden Körper des holden unglücklichen Mädchens niederwarf, hob sich der Andere auf dem Rücken seines Thieres zu seiner vollen Höhe empor und lauschte mit wild stieren, glanzlosen Augen in den Wald. Plötzlich mußte ein fernes Geräusch sein Ohr getroffen haben, denn ohne die Ermordete weiter eines Blickes zu würdigen, stieß er dem ängstlich vor dem Geruch des Blutes zurückschaudernden Thier die Hacken in die Seite, setzte mit diesem über das im Wege stehende Gig hinweg und folgte, lautlos zwar, aber mit Tod und Verderben sprühenden Blicken dem flüchtigen Mörder.

Keine Sylbe kam über die zitternden Lippen, keinen Blick verwandte er von der Spur in der weichen Erde, rasch, mit dem Zügel des Pferdes in der einen, der Büchse in der andern Hand, flog er dahin durch den dichten Wald, und kaum konnte er fünfhundert Schritte gesprengt sein, als er den Feind ansichtig wurde, der eben damit beschäftigt war, einen der in dem Gebüsch hängen gebliebenen Stränge loszuhauen, was seine Flucht kurze Zeit aufgehalten.

Duxon schaute sich um und erkannte in der reißend schnell näherkommenden Gestalt einen Indianer, war aber im ersten Augenblick wirklich ungewiß, ob oder ob er nicht einen Feind in ihm zu fürchten habe, denn er selbst hatte nie mit Nachkommen jener wilden Stämme verkehrt und wußte, daß sie sich selten dazu hergeben, die Streitigkeiten der Weißen untereinander auszufechten. Als aber eben der Gedanke an die gemordete Jungfrau, die ja auch jenem unglücklichen Volke angehörte, sein Hirn durchzuckte, sah er, wie der junge Indianer seinen Zweifeln schon ein Ende machte, denn er hielt plötzlich sein Pferd an, hob die Büchse, und der rothe Feuerstrahl zuckte durch das geheimnißvolle Dunkel des Urwalds.

Der Overseer fühlte sich verwundet, aber ihm blieb keine Zeit zum Nachdenken, der Rächer brauste heran. Zwar hob er selbst jetzt das Doppelrohr, diesen niederzuschießen, der vorausgeschleuderte Tomahawk traf jedoch seinen linken Ellbogen, und wenn sein Schuß auch in demselben Augenblick dem Rohr entfuhr, so erhielt doch dies dadurch eine falsche Richtung; nur einzelne Schrote streiften Wetako's Schulter und ehe der sich seiner Schuld bewußte Mörder den zweiten Hahn spannen konnte, flog der Rächer herbei; der Schlachtruf des Riccarees schallte gellend durch den Wald, das Bowiemesser zischte nieder, und heulend brach der Elende zusammen.

Das bleiche Haupt der Geliebten an seiner Schulter, kniete indessen der junge Creole neben dem verblutenden Körper des schönen, unglücklichen Mädchens. Wohl hatte er schnell und vorsichtig die weite, klaffende Wunde verbunden, aber es war zu spät und der Todesstoß ihr ins innerste Leben gedrungen. Er hörte das Vorbeistürmen der Verfolger, die aus allen Theilen der Gegend herbeiströmten, den Negerraub zu verhindern, er hatte den Schlachtschrei des Riccaree vernommen, aber er achtete es nicht, sein Auge hing an dem rothen entquellenden Lebensstrom des heißgeliebten Mädchens und Nacht – finstere Nacht ward es endlich vor seinen Blicken.

Als er sich wieder erholte, stand der Riccaree an seiner Seite; er hatte den Leichnam der Schwester in seine Decke eingehüllt und hob ihn, da er das Erwachen des Weißen bemerkte, vor sich auf das Pferd.

»Wetako – was willst Du thun?« rief der Creole, erschrocken emporfahrend – »wo willst Du hin?«

»Will dem Stamme der Riccarees die Ueberreste von seines Häuptlings Tochter bringen,« sagte der junge Indianer mit düsterem Lächeln; »ich will sagen, es sei die Friedensgabe, die ihnen die Weißen senden. – Unser Land haben sie uns geraubt, hier ist Blut, das neue damit zu düngen – lebe wohl!«

»Und der Räuber?« frug St. Clyde, immer noch in halber Betäubung auf den blutigen Körper blickend, den jener im Arme hielt.

»Der Räuber?« höhnte der Riccaree, während er seinen hirschledernen Ueberwurf zurückschlug – »der gehört mein!« und der Creole erkannte mit Entsetzen, an dem Gürtel des Wilden, den blutigen Scalp des Erschlagenen. Ehe er aber noch ein weiteres Wort äußern konnte, schwang sich jener hinter der Leiche in den Sattel, stieß dem schnaubenden Thiere die Hacken in die Seite und war im nächsten Augenblick den Augen des Weißen entschwunden.

Die nachsetzenden Pflanzer hatten indessen den schurkigen Negerdieb, jenen Pitwell, eingeholt und mit der gewöhnlichen Schnelle, mit welcher alle dem ähnliche Verbrechen bestraft wurden, an den nächsten Baum gehangen. In seiner Brieftasche fanden sich übrigens hinlängliche Beweise, daß er diesen Tod zehnfach verdient, denn auch die reine Abstammung der Indianerin ward hier, durch einen Brief der Helfershelfer, außer allen Zweifel gesetzt. Als man aber später der Spur des Wagens folgte, um dem Overseer ebenfalls nachzusetzen, fand man die Zeichen des Kampfes, wie den kleinen Wagen selbst. Unfern von dort aber, bleich und starr an dem Stamm eines jungen Baumes gelehnt, lag, in der rechten Hand ein abgeschossenes Pistol, die Leiche des Creolen.

Herr Schultze.
Ein Märchen

Die Zeit der Wunder ist vorüber und die Welt glaubt nicht mehr an das Ueberirdische, denn sie will Alles in nüchterner hausbackner Wirklichkeit haben, um es so recht aus Herzensgrund begreifen, das heißt betasten zu können. Kommt dann wirklich einmal etwas Geisterhaftes, zeigt sich einmal in stiller Mitternachtsstunde dem Einzelnen, dem Auserwählten, ein anständiges ordentliches Gespenst, so könnte dieser später bei allen Heiligen, und noch überdies Stein und Bein schwören, es glaubte ihm Niemand ein Wort davon. Entweder hieße es: »der gute Mann hat mit wachenden Augen geträumt,« oder die lieblose Bruder- und Schwesterschaar urtheilte vielleicht noch strenger und sagte am Ende gar: »Er ist ein Narr, daß er denken kann, vernünftige Leute sollten sich so etwas weiß machen lassen!«

Was um des Himmels Willen ist nun mit einer solchen Welt anzufangen? – Gar nichts.

In solch ähnlicher Verlegenheit befand sich vor noch nicht so langer Zeit der liebe Gott selbst. Auf der Erde, und besonders in den deutschen Bundesstaaten sah's in jeder Hinsicht windig und bös aus. Mit der Politik der Kammern waren allerdings die Kammerherrn und Kammerdiener, sonst aber auch Niemand zufrieden, die Religion drohte gleichfalls wieder eben aus Religion ganz irreligiös zu werden, denn selbst die Laien fühlten sich nicht mehr sicher als ganz gewöhnliche Menschen schlafen zu gehn und als Apostel wieder aufzustehen – und was die Ernten betraf, da hörte denn nun wirklich Alles auf. Einmal war es zu dürr, einmal zu naß, einmal fiel Mehlthau, ein anderes Mal Hagel, kurz es kam in jedem Jahr etwas Anderes, was die Getreidepreise hinauftrieb, Brot und Fleisch theuer machte und die Armen – i. e. solche, die nicht gewußt hatten reich zu werden – so bedrückte, daß des Betens und Bittstellens kein Ende mehr wurde und sich die Nothleidenden theils persönlich an ihn wandten, theils die armen Heiligen und Schutzpatrone bis auf's Blut plagten und peinigten.

Dazu kam nun noch, daß die Menschen wirklich anfingen ihm leid zu thun. Er hätte ihnen so gern geholfen! – Wie aber das anfangen? Die Gesetze der Natur konnte und wollte er deshalb nicht ändern, und das ungeheure Walten jener wirkenden und schaffenden Urkräfte zu stören, wäre, der Paar Erdenbewohner wegen, auch etwas viel verlangt gewesen. Aber es gab natürliche Mittel und die sollten hier helfen.

Nichts war einfacher als die Religion – er hatte das Ganze schon früher einmal dem Moses in einer Viertelstunde dictirt – in dieser Hinsicht hoffte er bald Frieden zu stiften; auch die Politik mußte in Ordnung gebracht werden – es waren ja Alles seine Kinder und wenn auch die Einen, wie das wohl die Geschwister häufig thun, die Anderen unterdrückt und sich die Sachen zugeeignet hatten, die gar nicht für sie allein bestimmt gewesen, so konnte das – und dazu hatte er ihnen ja eben die Vernunft gegeben, bald wieder geregelt werden.

Was denn endlich den vielen Mißwachs der Ernten betraf, so erzeugte die Erde selbst in ihrem Inneren Mittel gegen diese Uebelstände, denn sie trug und trägt ja in sich selbst den Keim, das Alles zu verbessern und zu seinem höchsten Grad der Vollkommenheit zu führen. Nun frug es sich nur, wie es möglich sei, dies den Menschen selbst bekannt zu machen, und auf welche Art es sich hoffen ließ von ihnen verstanden zu werden?

Durch eine feurige Schrift am Himmel? – Die Freigeister und Professoren hätten eine solche als etwas Natürliches erklärt und die Theologen ihr eine ganz andere Auslegung gegeben. Durch eine Stimme von oben? – Das war erstens schon dagewesen und dann würden auch die Leute höchstens gesagt haben: »Heute hat es doch einmal gedonnert daß man ordentlich Worte verstehen konnte.« – Es war zum Verzweifeln.

Da beschloß denn Gott Vater, aus unendlicher Liebe für das Menschengeschlecht, ein Buch über die zu verbessernden Verhältnisse, und besonders über Ackerbau und Viehzucht, für welche beiden Zweige er sich vorzugsweise interessirte, zu schreiben und damit selbst auf die Erde hinabzusteigen.

Zeit hatte er ja für den Augenblick: die Welt lief im Allgemeinen in ihren ewigen Kreisen ruhig fort, und wenn ihm nicht manchmal ein Komet durchbrannte und einen Schweif roher Gesellen auf den Hacken, mit offenen Laternen und Pechfakeln die stillen Straßen des Firmaments auf staatsgefährliche Weise durchtobte, so war keine Unordnung zu fürchten. Doch auch selbst hierüber hatten ihn die Berechnungen der besten Astronomen beruhigt, die ja die Erscheinung des nächsten noch bis auf x Jahre hinausgeschoben.

Sein Plan ward also, kaum gewollt, auch schon ausgeführt. Mit Gedankenschnelle flogen die Zeilen mit der Enthüllung jener göttlichen, uns noch unbekannten Urkräfte des Erdkörpers auf das Papier nieder, und wenn sich der liebe Gott auch, seit er damals die zehn Gebote entworfen, nicht mehr mit literarischen Arbeiten beschäftigt hatte, so ging die Sache doch verhältnißmäßig ungemein schnell.

Das geschehen, rauschte er, die Liebe für seine oft unfolgsamen Kinder im treuen Vaterherzen, auf unsere schöne Erde hernieder, um einen Verleger für sein Werk zu suchen und stieg, wie sich das von selbst versteht, in Leipzig und zwar im ersten Gasthof daselbst ab.

Um aber jedes Aufsehen zu vermeiden, mußte er natürlich die Gestalt des Menschen – die edle schöne Gestalt des Mannes, wie er ihn früher nach seinem eigenen Bilde erschaffen, annehmen, und kleidete sich zwar sehr einfach, aber doch nach der gerade bestehenden Mode. Vor dem Hotel hielten mehrere Droschken und eine derselben brachte ihn denn auch bald zu dem Buchhändler Schmerz, bei dem er ohne weitere Umstände eintrat und ihm, nach wenigen einleitenden Worten, sein fertiges Manuscript anbot.

Herr Schmerz – ein langer hagerer Mann, mit tiefliegenden, dunkeln Augen, nöthigte ihn sehr artig zum Sitzen, las dann den Titel des Manuscripts und frug, sich leicht gegen den Fremden verneigend:

»Mit wem hab' ich die Ehre?«

Das war nun allerdings eine sehr natürliche Frage; jeder Buchhändler wünscht doch zu wissen, mit wem er es zu thun bekommt. Dem lieben Gott kam sie aber nichts desto weniger unerwartet, denn er durfte dem Manne doch nicht sagen wer er sei; Herr Schmerz hätte ihm das auch im Leben nicht geglaubt. Er faßte sich also kurz und antwortete, indem er, um nicht unartig zu scheinen die Verbeugung erwiederte:

»Schultze!«

»Ah – Herr Schultze – mir sehr angenehm. Und Sie wünschen also dies hier drucken zu lassen?«

»Ich wünsche dadurch einem dringenden Bedürfniß abzuhelfen,« sagte der liebe Gott, und Herr Schmerz schlug das Manuscript schnell auf, denn er glaubte wahrscheinlich, es lauere der Antrag zu einem neuen Theatergeschäftsbüreau oder zu einer Illustrirten Zeitung im Innern; bald sah er jedoch daß er sich geirrt habe und frug – schon etwas beruhigt:

»Und über was handelt es? Der Titel ist etwas – etwas umfassend: »Enthüllungen der geheimsten und segensreichsten Urkräfte des Erdballs« –«

»Ueber Alles – Viehzucht und Ackerbau – Religion und Politik.«

 

»Sie sind Literat?«

»Nicht eigentlich; ich bin mehr Oekonom, habe aber dieses Werk aus reiner Liebe zur Sache geschrieben, denn ich liebe die Menschen und weiß welchen Dienst ich ihnen damit erzeigen werde.«

Herr Schmerz blätterte ein wenig im Manuscript herum, um einzelne Sätze daraus zu lesen und schüttelte dabei bedeutend mit dem Kopfe.

»Sehr flüchtig geschrieben das, sehr, Herr – Herr –«

»Schultze,« sagte der liebe Gott.

»Ach ja, Herr Schultze – sehr flüchtig – die Setzer beklagen sich so immer!«

»Ich sollte denken, es käme hier mehr auf den Inhalt als die Schrift an!« sagte der Fremde. »Wie unscheinbar sieht zum Beispiel eine Kartoffel aus, und was schließt sie nicht Alles in sich ein? In ihrem Innern lebt und wirkt eine kleine, für sich abgeschlossene, aber deßhalb nicht weniger kunstvolle Welt; dem Menschen unbekannte Kräfte und Lebenstriebe durchströmen sie, und athmende Wesen bewegen sich in dieser festen saftigen Fleischmasse mit derselben Leichtigkeit, mit der sich die Menschen durch die Luft bewegen, und wenn im Frühjahr die Keime –«

»Sie haben Phantasie, Herr Schultze« – unterbrach ihn etwas ungeduldig Herr Schmerz, – »aber dürfte ich Sie wohl bitten, mir den Inhalt dieser Schrift etwas näher anzugeben!«

»Recht gern. – Es ist – wie Ihnen auch der Titel sagt, eine Enthüllung geheimer, bis jetzt noch nicht gekannter, vielleicht nicht einmal geahnter Naturkräfte, zuerst dem Mißwachs und den Viehseuchen entgegenzuwirken und gleichzeitig das moralische Schaffen und Treiben der Menschen – von denen der große Haufe nun doch einmal in den Tag hinein lebt, zu ordnen und zu regeln. Was die ersten Kapitel – Mißwachs und Seuchen betrifft, so existirten in früheren Zeiten andere Verhältnisse; die Bevölkerung des Erdballs war zu schwach und die Erde erzeugte mehr, als ihre Bewohner consumiren konnten. Daher mußte ich diesem Uebelstand durch natürliche Mittel abzuhelfen suchen.«

»Wer? Sie?«

»Ich – meine die Natur. Jetzt aber hat jene Ursache aufgehört, und deshalb soll auch die Wirkung nachlassen. Das Menschengeschlecht ist an Zahl so gewachsen daß es, wenigstens in Europa, Alles braucht was es erzeugen kann, und ich wünschte nun dieses zum Nachtheil werdende Hinderniß gehoben zu sehen. Das können Sie aber nicht verlangen, daß ich deshalb die ewigen Naturgesetze ändern sollte, um –«

»Nein!« sagte Herr Schmerz.

Der liebe Gott sah ihn im ersten Augenblick erstaunt an, besann sich aber schnell und lenkte wieder ein: »Um solchen Uebelständen nämlich abzuhelfen, kann man also, wie ich sagen wollte, doch nicht verlangen daß die einmal bestehenden Gesetze der Natur geändert werden sollten. Dafür liegt aber auch in ihren eigenen Kräften, in ihren geheimsten, innersten Lebensfasern das Heilmittel gegen diese nicht mehr nöthigen Zuwachsminderungen und ich habe das Alles hier kurz und bündig, aber auch leicht faßlich niedergeschrieben. Drucken Sie es und geben Sie das dafür übliche Honorar in die hiesige Armenkasse. – Sie werden überdies Nutzen genug davon haben.«

Herr Schmerz, vielleicht durch dies keineswegs gewöhnliche Benehmen neugierig gemacht, oder auch, weil ihm das ganze Aeußere des Fremden eine gewisse Ehrfurcht einflößte, scheute sich augenblicklich eine bestimmte Antwort zu geben, und bat nur ihm das Manuscript bis morgen zu lassen, wo er sich dann darüber zu entscheiden versprach. –

Zur verabredeten Stunde am nächsten Tag stellte sich der Fremde wieder ein und bat um seine Antwort. Herr Schmerz machte indessen heute ein äußerst bedenkliches Gesicht und blickte kopfschüttelnd und mit emporgezogenen Augenbraunen auf das Manuscript herab, das er in der Hand hielt.

»Ich komme um Ihre Entscheidung über den Druck meines Werkes zu hören,« sagte der Fremde.

»Ja sehen Sie – bester Herr Schultze,« begann endlich der Buchhändler nach kurzer Pause, – »das ist so eine Sache mit dem Druck dieses Heftes. Einestheils glaube ich – aufrichtig gestanden – gar nicht daß das Buch etwas machen wird. Für ein rein wissenschaftliches Werk ist zu viel Phantasie, – für Phantasie zu viel Wissenschaftliches darin und dann – druckten wir es nicht äußerst splendid daß es über zwanzig Bogen gäbe, so striche uns der Censor die ganze Geschichte. Sie halten sich ja gar nicht ein Bischen an das Bestehende, werfen Alles über den Haufen, was nun doch einmal da ist und reden von Sachen die über menschliche Begriffe fast hinausgehen. Ich habe darin herumgeblättert – etwas altväterischer Styl – nun dergleichen ließe sich abändern – aber – das nehmen Sie mir nicht übel – ein Bischen zu prätentiös ist das Ganze auch noch geschrieben. Sie reden da in einem fort: das muß so sein und das so, hier thue dies und da thue das, die Wirkung wird dann im ersten Jahre so im zweiten so, und im dritten und den folgenden so sein; die Behandlungsart von A wirkt auf B und die Unterlassung würde sich für drei Jahre wieder so, und für andere zehn wieder so gestalten. Nein, das geht nicht, mein bester Herr Schultze, damit kommen wir nicht mehr durch. Ja, in alten Zeiten, da ließ man sich das gefallen, damals gehörte nur eine etwas dreiste Stirn dazu, der Welt glauben zu machen was man wollte; aber jetzt gehen wir der Sache tiefer auf den Grund.«

»Ueberdies erlauben Sie sich auch über Politik und besonders über Religion Aeußerungen, die ich selbst nicht einmal unter dem Namen Schultze vertreten möchte. Am Ende brauchten wir ja gar keine Priester und Prediger mehr; und dann die Beleuchtung Ihrer socialen Verhältnisse – nein, mein guter Herr Schultze: würde ich das Buch, das allerdings Geist verräth, wirklich drucken, so glaubte uns erstlich kein Mensch ein Wort von dem was drinnen steht; dann kämen wir wegen des einen Theils in die schönste Kriminaluntersuchung und über den andern Theil fielen nachher die Recensenten wie wahnsinnig her. Das Wenigste was sie sagten wäre, ich hätte einen neuen hundertjährigen Kalender verlegt. Und wenn sie's dann nur noch kauften – wenn es noch ginge! Ich käme aber wahrhaftig nicht einmal auf die Kosten, denn ein Leihbibliothekenbuch ist das nicht.«

»Nein, allerdings nicht,« sagte der Fremde – »aber verlegen Sie es nur; ich garantire Ihnen daß Sie gute Geschäfte damit machen.«

»Sie garantiren mir das? Welche Bürgschaft könnten Sie mir denn dafür geben?«

»Meinen Namen!«

»Bester Herr Schultze!« rief Herr Schmerz.

»Ja so!« sagte der liebe Gott – »Sie wollen es also nicht? Sie weisen es zurück?«

»Ich bin Ihnen wirklich für das Vertrauen das Sie in mich gesetzt, ungemein verpflichtet, aber ich habe jetzt in der That so viel Manuscript daliegen, – eins drängt so das andere; – mein Nachbar Beißig wird sich aber sicherlich ein Vergnügen daraus machen, – der hat überdies mehrere landwirthschaftliche und wissenschaftliche Werke gebracht.«

»Und Sie glauben daß Herr Beißig –«

»Oh, ich bin es fest überzeugt; versuchen Sie es nur! – Oh – keine Komplimente, bester Herr Schultze! – Jenes ist der Ausgang, wenn ich bitten darf; die Thüre hier führt in die Küche; – habe die Ehre mich gehorsam zu empfehlen!«

Der liebe Gott fand sich gleich darauf, mit seinem in Maculatur eingeschlagenen Manuskript, auf welchem mit großen Rothstiftbuchstaben »Hr. Schultze« geschrieben stand, auf der Straße und blieb im ersten Augenblick wirklich etwas überrascht stehen. Das hatte er nicht erwartet! – Er wollte die Menschen glücklich machen und trifft dafür auf solche Schwierigkeiten. Nun, Herr Beißig wird es auf jeden Fall nehmen!

Aber siehe da – auch hier schien es als ob er vergebens angeklopft habe; neue Schwierigkeiten, neue Entschuldigungen. Wieder wurde er zu einem Anderen geschickt und Nachmittags nahm er sich eine Droschke auf eine Stunde, um schneller aus einer Verlagshandlung in die andere kommen zu können.

Volle sechs Tage hatte er so mit immer gleichem Erfolg auf dem Pflaster gelegen, er beschloß also den siebenten zu ruhen und am nächsten Montag die noch übrigen fünfundfunfzig Buchhändler aufzusuchen, um sich später gar keine Vorwürfe machen zu dürfen. Da klopft es, als die Glocken eben zu läuten begannen, leise an seine Thür.

8Eine Biegung des Mississippi ist so genannt, wo sich dessen Strömung eine neue, nähere Bahn gebrochen hat.