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Der Erbe. Dritter Band.

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Kennt der Lieutenant von Wendelsheim schon die Gefahr, die seinen Ansprüchen droht – seine wirklichen Eltern?«



»Nein – wird ihm auch eine angenehme Ueberraschung sein; aber wie bis jetzt Alles liegt, schwebt er noch nicht einmal in übergroßer Gefahr, sie zu verlieren, denn ich fürchte fast, wir fallen durch.«



»Und dann wird die Mutter wieder freigegeben?«



»Ich glaube nicht, daß dann eine Veranlassung sein kann, sie länger festzuhalten; denn daß eine Täuschung beabsichtigt wurde, sind wir im Stande zu beweisen, und wenn die übrigen Theilnehmer derselben frei ausgehen, kann die Frau Baumann allein nicht dafür gestraft werden.«



»So mag es denn gehen, wie Gott will,« sagte Fritz Baumann; »läge es in meiner Hand, durch Verzichtleisten auf die Erbschaft die Mutter zu befreien, mit Freude thät' ich es den Augenblick und gäbe Ihnen dazu jede Vollmacht; ist es aber nicht möglich, dann freilich muß ich dem Schicksal seinen Lauf lassen, und hoffe nur, mit Allem nichts zu thun zu haben, bis es vorüber ist.«



»Auch selbst das kann ich Ihnen nicht versprechen,« sagte Witte; »der einzige, wenn auch schwache Beweis, den wir vielleicht haben, liegt in der Familienähnlichkeit der verschiedenen betheiligten Personen, und vor den Geschworenen kann der allerdings wichtig werden. Dann müssen Sie aber sowohl als Lieutenant von Wendelsheim vor den Schranken erscheinen.«



Fritz Baumann seufzte tief auf. »Ich kann's nicht ändern!« und dem Staatsanwalt die Hand reichend, verließ er langsam das Zimmer.



Wie er die Thür hinter sich zudrückte, kam die Frau Staatsanwalt in einem schwerseidenen Kleide über den Vorsaal gerauscht, gerade auf die Thür des Arbeitszimmers zu.



»Ist mein Mann zu Hause?« wollte sie den Fremden fragen, als sie ihn plötzlich erkannte und, bei den ersten Worten kurz abbrechend, ihn mit einem so hochmüthigen, verächtlichen Blick über die eine Schulter ansah, daß Fritz kaum ein Lächeln unterdrücken konnte. Es hat immer etwas Komisches, wenn eine Dame künstlich vornehm aussehen will, denn die wirklich vornehme Dame ist in ihren ganzen Bewegungen stets einfach und natürlich und denkt gar nicht daran, den Kopf so weit zurückzuwerfen.



Frau Staatsanwalt Witte rauschte aber stolz, wie ein Schwan auf stiller Fluth, und majestätisch an dem jungen Mann vorüber und tauchte in das Büreauzimmer ein, wo die sitzenden Schreiber von ihren Stühlen emporfuhren und die stehenden sich bückten.



»Mein Mann in seinem Zimmer?« fragte sie.



Der Eine deutete mit seiner Feder in achtungsvoll bejahender Antwort nach der nächsten Thür, und die Dame, Sand, Papierschnitzeln, gebrauchte Stahlfedern und was sonst noch auf der Erde lag, hinter sich drein kehrend, verschwand in ihres Gatten Zimmer.



»Was wollte der Mensch wieder bei Dir?« war hier die erste Frage, die sie that.



»Welcher Mensch, mein Kind?«



»Der Herr Baumann, wenn Dir das besser klingt.«



»Ah, der junge Baumann; er hatte Einiges mit mir zu besprechen.«



»Und wagt der noch, nach dem, was vorgefallen, unser Haus zu betreten?«



»Liebes Kind,« sagte der Staatsanwalt, der seit der letzten Ueberraschung bei Heßbergers angefangen hatte sich zu emancipiren, und dem das hochmüthige Wesen der Gattin, dem eigenen schlichten Charakter gegenüber, höchst fatal war – »wenn Du bei seiner Tante einen Besuch machst, wird er mir den doch erwiedern dürfen!«



»Witte,« rief die Frau mehr empört als erschreckt, »Du weißt, daß ich dazu nur durch die Räthin Frühbach verleitet wurde; es ist niedrig und unwürdig von Dir, mir das vorzuwerfen!«



»Was wünschest Du, mein Schatz? Ich bin gerade im Begriff, auszugehen.«



»Ich wollte Dich in etwas um Rath fragen,« sagte die Frau, rasch abbrechend, denn ihre Gedanken liefen allerdings in dem Augenblick auch auf Anderes hinaus. »Der junge Baron von Weldern – Du kennst ja den alten Baron von Weldern mit dem reizenden Rittergut am Vorberge – hat uns heute Morgen seinen Besuch gemacht, und ich wollte Dich fragen, ob Du es nicht vielleicht für passend hieltest, wenn wir ihn für morgen Abend zu einer Tasse Thee bäten! ich hatte mir gedacht…«



»Ich will Dir etwas sagen, mein liebes Kind,« unterbrach sie der Staatsanwalt, »und ich bitte, Dich für die Zukunft danach zu richten: ich verbiete Dir also hiermit auf das strengste, von heute ab weder zu Thee, noch Kaffee, Mittag- oder Abendessen je wieder einen Adeligen, einen Baron oder Grafen, oder welchen Titel die Herren sonst führen mögen, einzuladen!«



»Aber, Witte!« rief die Frau und schlug vor Erstaunen die Hände zusammen.



»Du hast mich doch verstanden?«



»Du bist wohl wahnsinnig geworden?« rief seine zärtliche Gattin.



»Ich war noch nie so voll bei Verstande, als in diesem Augenblick,« entgegnete der Staatsanwalt und griff nach seinem Hut, denn er wünschte diese Scene doch so viel als möglich abzukürzen.



»Aber unsere Stellung im Leben…«



»Ist eine höchst ehrenvolle,« erwiederte Witte, »so lange wir uns auf dem Boden derselben bewegen, und – es werden uns nachher solche Demüthigungen erspart werden, wie wir sie jetzt erfahren müssen.«



»Welche Demüthigung?« fragte die Frau erstaunt.



»Das ist eine kleine Ueberraschung, liebes Herz,« sagte Witte, »die Dir noch vorbehalten bleibt; Du magst Dich aber immer darauf gefaßt machen. Du nimmst es mir nicht übel, daß ich Dich verlasse, ich habe dringende Geschäfte.«



»Aber ich werde doch als Frau vom Hause einladen dürfen, wen es mir beliebt?« rief die Frau, empört über diese rücksichtslose und ganz ungewohnte Behandlung.



»Doch nicht, mein Schatz,« sagte Witte, der heute gerade in der Stimmung war, seinen einmal geäußerten Willen durchzusetzen, »oder Du könntest in die unangenehme Lage kommen, daß weder ich noch Ottilie bei Deiner Festlichkeit erschienen; und ich weiß, daß Du zu verständig bist, Dir eine solche Blamage öffentlich aufzuladen!« Und damit griff er seinen Stock aus der Ecke auf und schritt mit den Worten: »Ich gehe auf die Polizei!« durch seine Schreibstube hin und die Treppe hinunter, seine auf's äußerste empörte Frau heute sich selber überlassend.



Unten in der Straße sah er nach der Uhr – es war noch zu früh; er hatte noch über eine halbe Stunde Zeit, ehe er den Polizei-Director sprechen konnte, denn die auf heute anberaumte Sitzung war, wie er recht gut wußte, noch nicht aus. Aber er zog es doch vor, seine Zeit lieber auf der Straße abzuwarten, als nach der letzten Erklärung die Scene mit seiner Frau zu verlängern. Er konnte ja indessen eine kleine Promenade durch die Anlagen der Stadt machen; in jetziger Tageszeit fand er wenig oder gar keine Menschen dort, und vielleicht kam er dabei auf einen guten Gedanken, die Sache, die ihm jetzt vor allen anderen am Herzen lag, in der richtigen Weise anzugreifen und zu beenden. Aber es fiel ihm nichts ein; welche Mittel er auch ersann, überall traten ihm mit eiserner Stirn die beiden Frauen – die Heßberger und das gnädige Fräulein – entgegen, und er sah keinen Ausweg aus diesem Labyrinth.



»Ah, mein lieber Staatsanwalt!« hörte er da eine Stimme, fühlte, wie sich zu gleicher Zeit ein Arm in den seinigen schob, und als er sich etwas überrascht danach umdrehte, erkannte er das dicke, gutmüthige Gesicht des Raths Frühbach, der ihm freundlich über seine Brille zunickte.



»Ah, mein lieber Rath!«



»Auch auf einem Spaziergang, lieber Freund? Ja, das ist auch meine einzige Arznei, schon meiner Verdauung wegen. Ich sage Ihnen, wenn ich mich Nachmittags recht in eine gesunde Transspiration gelaufen habe, befinde ich mich Abends noch einmal so wohl. Aber was ich gleich sagen wollte, wissen Sie nichts davon, was ist denn das für eine Geschichte? Als ich vorhin an der Polizei vorüber ging, sagte mir der eine Polizeidiener, dessen Frau einen kleinen Obstgarten hat und uns immer Obst und etwas Gemüse bringt – ich bin dadurch mit dem Mann bekannt geworden, und Sie wissen, die Polizei muß man sich immer zu Freunden halten –, daß sie eben die Baumann, die Schlossersfrau und die Schwester der Heßberger, eingesperrt und auf Numero Sicher gebracht hätten.«



»Der Polizeidiener hätte auch etwas Gescheidteres thun können, als aus der Schule zu schwatzen,« sagte Witte.



»Aber mir, bester Freund,« sagte Frühbach, »mir kann er es doch sagen; er weiß ja recht gut, daß ich mit keinem Menschen darüber rede. Jedenfalls steht das mit der Diebesgeschichte in Verbindung und die beiden Schwestern haben gemeinschaftlich gearbeitet. Das war doch ein Glück, Staatsanwalt, wie? daß ich damals gleich auf einer Haussuchung bestand und Ihnen die Vollmacht ausstellte? Wir wären der Bande sonst im Leben nicht auf die Spur gekommen.«



»Allerdings nicht, lieber Rath, allerdings nicht,« sagte Witte, der sich indessen nur auf einen Ausweg besann, um von seinem lästigen Begleiter loszukommen, denn er schwatzte nicht allein jede Unterhaltung, sondern auch die Gedanken selber todt.



»Da fällt mir dabei eine ganz ähnliche Geschichte aus Schwerin ein,« fuhr der Rath fort, der jetzt mit geblähten Segeln in seinem Elemente schwamm und noch einmal so breit und aufgedunsen zu werden schien. »Da hatten wir auch ein Dienstmädchen, eine ganz brave, ordentliche Person, wie wir glaubten, und deren Schwester kam manchmal auf Besuch zu ihr; aber es fehlte uns immer etwas, bald ein Löffel, bald eine Serviette, bald auch einmal etwas schmutzige Wäsche – meine Seele dachte aber nicht an das Mädchen oder ihre Schwester, denn es waren gar so ordentliche Personen. Mein Frauchen aber, das darin außerordentlich scharf ist – ich sage Ihnen, Staatsanwalt, die Frau würde zu einem Untersuchungsrichter passen, so genau kommt sie der Sache immer auf den Grund, und die Heßbergers hat sie schon lange in Verdacht gehabt – was wollte ich denn gleich sagen – ja, meine Frau sagte eines Tages zu mir: Du, Männi, sagt sie, der Pauline trau' ich nicht, mit der ist's nicht richtig! Nun denke ich schon 'was Anderes und sage: Ih bewahre, liebes Kind, die Pauline muß ja schon wenigstens sechsundvierzig Jahr alt sein! Aber meine Frau sagt: Ih, Gott bewahre, das mein' ich gar nicht, ich meine wegen der silbernen Löffel! Ja so! sag' ich, und nun fällt mir auch so Manches ein, das mir verdächtig vorkommen konnte. Zuerst wollte die Pauline eine kleine Erbschaft gemacht haben, und ich traute der Sache nicht, aber wir konnten ihr auch nicht beweisen, daß es nicht wahr wäre.«

 



»Hm,« sagte Witte und sah den Rath an.



»Und dann,« fuhr dieser fort, »steckte sie immer mit ihrer Schwester so durch. Nun hatte die Pauline eine böse Eigenschaft, das wußte ich: sie horchte. Wenn ich mich manchmal mit meiner Frau vertraulich unterhielt und von Dem und Jenem sprach, dann hatte sie immer das Ohr am Schlüsselloch. Damit dachte ich sie denn auch zu fangen, daß sie sich einmal selber verrathen sollte; und wie ihre Schwester wiederkam, rief ich sie herein, ich hätte ihr 'was zu sagen, und fragte sie dann nach einer Pauline Weber, die gar nicht existirte, und sagte ihr, daß uns die Pauline früher so bestohlen hätte, und fing nun an, etwas lauter auf die Pauline zu schimpfen, was das für ein schlechtes Frauenzimmer wäre und uns silberne Löffel und Servietten und Wäsche und was sonst noch weggenommen hätte. Auf einmal geht die Thür auf, und die Pauline stürzt herein, und ich denke, sie soll mich und meine Frau in Stücke reißen, so wüthend war sie. Wir konnten sie auch wirklich kaum beruhigen, daß wir gar nicht sie, sondern eine ganz andere Pauline gemeint hätten, denn sie drohte in Einem fort mit der Polizei. Aber es war auch ein Glück, daß ich nichts weiter gesagt hatte, denn wie sich später herausstellte, war sie's auch gar nicht gewesen, sondern eine Aufwärterin, die wir manchmal im Hause hatten und die bei einer andern Dieberei erwischt wurde und Alles eingestand.«



»Sonderbar, sonderbar,« sagte Witte und schüttelte in Einem fort mit dem Kopf, »man sollte es nicht für möglich halten…«



»Nicht wahr?« sagte Rath Frühbach, nicht wenig durch die Anerkennung geschmeichelt. »Ja, es passiren wirklich wunderbare Sachen auf der Welt; aber man muß nur einen Blick dafür haben. Ich sage Ihnen, da begegnete ich eines Tages dem Regierungs-Präsidenten Hesse, einem alten Freunde von mir, auf dem Markte…«



»Sie entschuldigen mich gewiß, lieber Rath, ich muß hier abbiegen,« unterbrach ihn Witte, dem eine Fluth von Gedanken durch den Kopf schoß.



»Das macht nichts,« sagte Rath Frühbach freundlich, »ich habe gar nichts zu versäumen; ich begleite Sie. Also der Präsident…«



»Aber ich biege hier gleich in das nächste Haus ab; ich habe dort Jemanden in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. Sie erzählen mir die Geschichte ein ander Mal, wie?«



»Gewiß, mit dem größten Vergnügen,« sagte Frühbach; »sie ist übrigens gar nicht lang, und wenn Sie…«



»Hier ist das Haus – ich danke Ihnen, lieber Rath. Auf Wiedersehen!« Und damit ging Witte in ein vollkommen fremdes Haus, in dem er keine Menschenseele kannte, und stieg dort, nur in dem Gefühl, den sonst nicht abzuschüttelnden Rath los zu werden, und ganz in Gedanken eine Treppe nach der andern hinauf, bis er sich plötzlich unter dem Dache vor einer schmalen, mit einem Vorhängeschloß versehenen Bodenthür fand und nun nicht weiter konnte.



»Herr Du mein Gott,« sagte er hier, ordentlich erstaunt, »wo bin ich hingerathen? Die verdammten Treppen! Aber hieher ist er mir doch nicht gefolgt – jetzt kann ich nur machen, daß ich wieder hinunter komme.«



Ganz unbemerkt sollte das aber nicht geschehen; denn die Treppe war steil und unbequem zu gehen, er hatte dabei etwas Geräusch nicht vermeiden können. Wie er in der dritten Etage wieder ankam, öffnete sich eine Thür, und eine Frau fragte, den Kopf herausstreckend: »Zu wem wollen Sie?«



Witte mochte nicht sagen, daß er nur auf gut Glück hier hinaufgelaufen sei, und nach dem ersten besten Namen, der ihm einfiel, fragte er: »Können Sie mir nicht sagen, liebe Frau, ob hier der Schneider Müller wohnt?«



»Ja wohl, der wohnt hier,« nickte die Frau, die Thür jetzt aufmachend; »bitte, wollen Sie nicht näher treten?«



»Das ist Pech!« brummte Witte leise vor sich hin und las jetzt wirklich zu seiner Ueberraschung auf einem an der Thür angehefteten Schilde die zierlich geschriebenen Worte: »Karl Müller, Schneidermeister.« Es half aber nichts, nach der Frage mußte er hineingehen und wußte auch in der ersten Verlegenheit wirklich nicht, was er anders thun sollte. Er hätte aber kein Advocat sein müssen, wenn er um irgend einen Ausweg verlegen gewesen wäre, und kaum betrat er deshalb auch die kleine, entsetzlich dumpfige Werkstätte, wo ein bleich genug aussehender junger Mann mit zwei Lehrjungen arbeitete, als er auf diesen zuging und sagte: »Ach, mein lieber Herr Müller, ich bin der Staatsanwalt Witte und suche einen Schneider Müller mit dem Vornamen Chrysostomus, kann ihn aber im ganzen Adreßkalender nicht finden. Wären Sie vielleicht im Stande, mir Aufklärung zugeben und zu sagen, wo ich ihn treffen kann?«



Der arme Schneider, dessen Gesicht sich ordentlich aufgeklärt hatte, als er, wie er glaubte, einen neuen Kunden eintreten sah, schien etwas niedergeschlagen, erwiederte aber doch, er bedauere, nicht dienen zu können. Er selber sei noch nicht so sehr lange hier ansässig und kenne keinen Chrysostomus Müller.



Witte sah sich in der Stube um; sie war unendlich sauber gehalten, aber auch unendlich ärmlich und enthielt kaum das Nothdürftigste von Möbeln. Neben dem Meister lag auch sein Vesperbrot, und in der That nicht mehr, als um was er wahrscheinlich täglich bat, sein »täglich Brot«, eine harte Kruste, ohne Butter oder andere Zuthat. Witte war schon im Begriff zu gehen, als er noch auf der Schwelle stehen blieb und sagte: »Ich bin mit dem Meister, der meine Kleider macht, nicht recht zufrieden und möchte gern einmal wechseln; haben Sie Zeit, so kommen Sie morgen früh um acht Uhr zu mir, aber nicht später, um mir Maß zu nehmen. Wenn Sie ordentlich arbeiten, bekommen Sie nicht allein einen guten Kunden, sondern ich werde Sie auch noch weiter empfehlen – hier haben Sie meine Karte.« – Und mit dem Bewußtsein, ein gutes Werk gethan zu haben, stieg er die Treppe wieder hinab.



Er hatte den Schneider aber schon vergessen, ehe er nur das Haus verließ, denn andere Dinge gingen ihm jetzt im Kopf herum: die Erbschaft der Frau Heßberger! Daß er daran auch noch gar nicht gedacht! Da war ein Anhaltspunkt, denn er zweifelte keinen Augenblick, daß die Heßberger darüber, wo sie das Geld damals erhoben, keine genügende Auskunft würde geben können, und dann nun – wenn er ein Mittel fand, die Heßberger zum Reden zu bringen – des Raths Erzählung, wenn sie auch, wie alle seine Geschichten, einfach im Sande verlief, hatte eine wahre Fülle von Ideen in ihm wachgerufen, und er brauchte Zeit, um die zu verarbeiten.



Vor allen Dingen mußte er noch eine Besprechung mit der Frau Baumann haben, und raschen Schrittes eilte er jetzt auf das Polizeigebäude zu.



6

Auf dem Criminalamt

Witte hatte an dem Abend eine lange Besprechung mit dem die Untersuchung führenden Justizrath und erfuhr darin Manches, was er zur Ausführung seines immer erst flüchtig und noch unklar entworfenen Plans gebrauchen konnte.



So hatte sich bei einer genaueren Nachforschung über die gestohlenen und bei Heßberger gefundenen Gegenstände ergeben, daß viele Sachen von Stellen herrührten, in welche Heßberger selber nie einen Fuß gesetzt, wo aber seine Frau desto häufiger ein- und ausgegangen war, und es stellte sich dadurch als ganz bestimmt heraus, das sie ebenfalls nicht allein die Hehlerin gemacht, sondern auch einen Theil der Kostbarkeiten selber entwendet haben mußte. Vieles war allerdings schon verkauft worden, und da der Schuhmacher ein umfangreiches Geständniß abgelegt, so kam man auch dadurch hinter einige gewerbsmäßige Hehler-Spelunken, die aufgehoben wurden. Alles hatte er aber doch nicht untergebracht und jedenfalls auf eine spätere, gelegene Zeit aufgespart. So fand sich auch unter dem gestohlenen Gut noch verschiedenes Silberzeug, welches das Wendelsheim'sche Wappen trug und ebenfalls nur von der Frau gestohlen sein konnte, und auf dieses basirte Witte einige Hoffnung, um das gnädige und allerdings leicht irritirbare Fräulein gegen die Frau aufzubringen; aber stärkere Mittel mußten freilich noch mitwirken.



Der Untersuchungsrichter gab übrigens seine Zustimmung zu Allem, drängte aber, rasch vorwärts zu gehen, um keiner der Parteien lange Zeit zur Ueberlegung zu gestatten, denn dadurch würde oft, wie er behauptete, ein nie wieder einzubringender Vortheil aus der Hand gegeben. Witte sträubte sich allerdings dagegen; er war seiner Sache viel zu wenig sicher, um nicht fürchten zu müssen, durch zu große Eile das Ganze zu überstürzen, und ging der erste Anlauf verloren, so konnten sie sich nur als geschlagen betrachten. Der Untersuchungsrichter, ein alter, sehr tüchtiger Criminalist, bestand aber auf seinem Willen, und das gnädige Fräulein von Wendelsheim wurde deshalb zu dem Zweck durch einen expressen Boten auf morgen früh halb zwölf Uhr auf das Criminalamt beschieden – ein weiterer Grund der Vorladung war natürlich nicht dabei bemerkt, der Gensdarme aber, der die Vorladung zu befördern hatte, angewiesen worden, sich zugleich eine Liste von ihr über auf Wendelsheim vermißte Silbersachen oder sonstige Gegenstände zu erbitten.



Von der Frau Baumann, die der Staatsanwalt sehr still und niedergedrückt antraf, wollte er jetzt erfragen, welchen Platz ihre Schwester damals angegeben habe, um die vermeintliche Erbschaft zu erheben. Daß beide Schwestern die Zeit ihrer Abwesenheit nur in einer nicht sehr entfernten kleinen Stadt zugebracht, hatte sie ihm schon erzählt. Die Frau Baumann erinnerte sich auch, daß Berlin genannt gewesen, was der Schlossermeister ebenfalls bestätigte, denn er hatte in jener Zeit fest geglaubt, die beiden Schwestern wären dorthin gereist, aber, mit nicht dem geringsten Verdacht einer Täuschung, nicht weiter danach gefragt.



Am nächsten Morgen um acht Uhr kam der von ihm bestellte Schneider Müller, um ihm Maß zu nehmen. Er hatte schon gar nicht mehr an den Mann gedacht, der sich aber mit dem Glockenschlag einstellte. Witte schickte dann in den nächsten Laden hinüber, um sich einige Stücke Tuch herüber bringen zu lassen, und bis die eintrafen, unterhielt er sich mit dem Manne. Müller war ein geborener Mecklenburger, seine Mutter stammte aus Alburg, und nach des Vaters Tode hatte sie das Heimweh bekommen und sich hieher zurückgezogen, wo er sich dann mit der neuen Gewerbefreiheit eine Werkstatt gründete. Aber das Geschäft ging noch schlecht – er hätte gern geheirathet, um seiner alten Mutter die Sorge für die Wirthschaft abzunehmen – aber es ging nicht, er mußte es auf spätere Zeiten verschieben und sich erst etwas verdienen, ehe er daran denken konnte, denn ein »reiches« Mädchen – das heißt Eine, die an zwei- bis dreihundert Thaler im Vermögen hatte – nahm ihn ja doch nicht.



Es war die alte Geschichte, das Ankämpfen eines fleißigen, braven Mannes gegen den täglichen Bedarf. Indessen kam das Tuch, wurde bestimmt und überliefert, und der junge Schneidermeister versprach die Kleider auf den angegebenen Tag pünktlich abzuliefern. Witte wußte, daß er Wort halten würde, und wenn er hätte Tag und Nacht arbeiten sollen.



So rückte die Zeit heran, wo er auf das Criminalamt mußte. Das Verhör der Heßberger war auf zehn Uhr festgesetzt, und etwa eine Viertelstunde vor dem bestimmten Termin fand er sich oben ein. Bald darauf wurde die Frau vorgeführt, aber auf ihr ganzes Wesen schien die bisherige Haft nicht den geringsten Eindruck gemacht zu haben. Sie sah finster und verschlossen aus wie immer, und mit zusammengekniffenen Augen blickte sie die drei Männer, den Untersuchungsrichter, den Protokollanten und Witte, der seitwärts an einem Fenster stand, tückisch, aber auch verächtlich an, als ob sie sich bewußt sei, daß diese, trotz aller Kreuzfragen, nichts aus ihr herausbringen sollten, als was sie selber Willens sei, ihnen zu sagen. Wer hätte sie zwingen können! Der Untersuchungsrichter überraschte sie da einigermaßen, indem er begann:



»Heßberger, Ihr seid heute eigentlich zu keinem richtigen Verhör herbeschieden, sondern nur um Auskunft über verschiedene, minder wichtige Dinge in Hinsicht auf den verübten Diebstahl zu geben.«



Die Frau schwieg und schaute störrisch vor sich nieder; sie erwartete das Weitere.



»Was die verschiedenen, bei Euch aufgefundenen Silbersachen betrifft,« fuhr der Untersuchungsrichter fort, »so wißt Ihr, daß bei sehr vielen der Beweis Eurer eigenen Thätigkeit geliefert ist. Alles hat sich aber nicht gefunden, besonders einige Stücke, bei denen den früheren Eigenthümern viel daran liegt, sie wieder zu bekommen. Euer Mann versichert, daß nichts von Euch selber eingeschmolzen sei, und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln; jedenfalls ist aber, wie der Beweis vorliegt, ein Theil des gestohlenen Gutes von Euch verkauft worden und Einiges davon auch wirklich wieder gefunden, Anderes natürlich verschwunden. Nun hat sich bei den Gegenständen auch ein Theil derselben als Eigenthum der Familie Wendelsheim herausgestellt. Das scheint aber nur der kleinste Theil dessen zu sein, was Ihr dort bei Seite gebracht habt, und es ist uns von derselben die Weisung zugegangen, auch nach einem sehr schweren silbernen Teller mit dem Familienwappen zu forschen, den Ihr bei Eurem letzten Besuche dort mitgenommen haben müßt, denn er ist seit der Zeit verschwunden.«

 



»Und wer sagt das?« fragte die Frau finster.



»Das kann Euch einerlei sein,« fuhr der Untersuchungsrichter fort; »ich sage es, und das ist genug.«



»Stellt mir den Baron gegenüber,« sagte die Alte trotzig, »und laßt ihn mich nach einem gestohlenen Stück fragen, und ich werde ihm Antwort geben – Niemandem weiter.«



»Der Baron,« sagte der Untersuchungsrichter, »ist schwer krank, körperlich nicht sowohl als geistig; er bekümmert sich um gar nichts mehr, und das gnädige Fräulein von Wendelsheim hat jetzt im Schlosse die alleinige Leitung der Geschäfte.«



»Das gnädige Fräulein von Wendelsheim hat mich nach einem gestohlenen Teller fragen lassen?« rief die Frau, wild und zornig emporfahrend.



»Ich habe Euch schon einmal gesagt, daß Euch das einerlei sein kann, wer danach fragen läßt,« entgegnete der Inquirent; »ich frage Euch jetzt danach, und mir habt Ihr zu antworten.«



»Ich weiß von keinem Teller,« sagte die Frau störrisch, »habe nie einen in dem gottvergessenen Hause, das ich wollte, ich hätte es nie im Leben betreten, gesehen.«



»Ihr seid eine hartgesottene Person,« sagte der Inquirent; »die Herrschaft da draußen ist so freundlich und liebevoll gewesen, und aus Dankbarkeit dafür stehlt Ihr derselben das Silber und die Wäsche selbst aus dem Kasten heraus.«



»Wer hat behauptet, daß ich ihnen Wäsche aus dem Kasten genommen habe?« rief die Frau mit blitzenden Augen. »Und liebevoll behandeln? – Wenn ich wüßte, daß das böse Geschöpf…« – Sie biß sich auf die Lippen und schwieg.



»Was wolltet Ihr sagen?«



»Nichts – ich weiß von nichts.«



»Gut, dann hat hier der Herr Staatsanwalt Witte nur noch eine Frage an Euch zu richten, die Ihr ihm hoffentlich besser beantworten werdet, als mir die meinigen.«



»Der Staatsanwalt Witte?« sagte die Frau spöttisch. »Ich denke, der weiß Alles! Was hat denn der da noch zu fragen?«



»Ich will Euch 'was sagen, Heßberger,« erwiederte Witte, »ich weiß auch mehr, als Euch vielleicht lieb und zuträglich ist, und was ich Euch fragen will, hat, wie Ihr gleich hören werdet, mit nichts etwas zu thun, was ich nicht wüßte – es ist nur wegen einer von Euren Lügen. Ich möchte deshalb hören, wie der Platz heißt, wo Ihr damals die Erbschaft für Euch und Eure Schwester erhoben habt – Ihr wißt doch, welche ich meine – und wo die Papiere sind, die Euch darüber ausgestellt wurden.«



»Ich habe keine Papiere,« knurrte die Frau; »es ist drei- oder vierundzwanzig Jahre darüber hingegangen.«



»Das wäre möglich, daß die in der Zeit verloren gegangen wären,« nickte Witte; »aber den Namen der Stadt werdet Ihr doch wohl noch wissen, wo Ihr das Geld bekommen habt?«



Die Frau schwieg und sah finster vor sich nieder.



»Es hilft Euch nichts, Heßberger,« sagte Witte kopfschüttelnd. »Woher Ihr das Geld wirklich bekommen habt, wollt Ihr nicht gestehen – es ist auch nicht nöthig, wir haben es schon erfahren; aber die Frau ist jetzt todt, der Mann geistesschwach geworden und also von dem Arm des Gesetzes nicht zu erreichen. Von der Familie Wendelsheim hat Niemand weiter mit der schmutzigen Geschichte zu thun gehabt, denn das gnädige Fräulein ist dazu eine viel zu achtbare Dame; also seid Ihr die, an die wir uns allein halten können. Gebt mir nur blos einen Platz an, wo Ihr die Erbschaft wollt erhoben haben, ich schreibe dann gleich hin, und Ihr wißt selber recht gut, daß in acht oder vierzehn Tagen die Antwort eintrifft: es wäre kein Wort von der ganzen Geschichte wahr. Aber Ihr habt damit Euren Zweck erreicht und das Urtheil noch um ein paar Wochen hinausgeschoben. Uebrigens hilft Euch das nicht einmal etwas, denn für die von Euch verübten Diebstähle und die Hehlerschaft des Uebrigen kommt Ihr schon vorher in's Zuchthaus. Also wo war Eure Erbschaft her?«



Die Frau hatte den Sprechenden mit ihren großen, lichtblauen Augen starr angesehen und war anscheinend dem, was er sagte, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt. Sie beantwortete aber die Frage nicht gleich, sondern fragte im Gegentheil zurück:



»Der Baron von Wendelsheim ist geisteskrank?«



»Die Wendelsheim'sche Familie, habe ich Euch schon gesagt, hat mit der Sache, den rechtmäßigen Erben ausgenommen, weiter gar nichts zu thun – laßt die nur,« sagte Witte; »sie soll auch gar nicht belästigt werden – Eure Schwester hat uns Alles ausführlich eingestanden – beantwortet mir also meine Frage…«



»Und was weiß meine Schwester davon?« knurrte die Frau.



»Wo also wollt Ihr die Erbschaft erhoben haben?«



»Sie glauben es mir doch nicht…«



»Nein, darauf kommt auch nichts an; es ist nur, daß der Form genügt wird, und die muß beachtet werden.«



»Ich kann mich jetzt nicht darauf besinnen.«



»Gut, ich will Euch nicht drängen,« sagte Witte, nach seiner Uhr sehend; »es sind jetzt gerade zehn Minuten über zehn Uhr – ich gebe Euch eine halbe Stunde Zeit. Ueberlegt Euch indessen, was Ihr mir sagen wollt; bis dahin aber muß ich eine Antwort haben, oder das Gericht nimmt an, daß Ihr dieselbe verweigert, und das ist dann, wie Ihr recht wohl wißt, eben so gut wie ein stummes Eingeständniß, daß Ihr den Ort nicht nennen könnt, weil er nicht existirt. – Sie erlauben wohl, daß die Frau die kurze Zeit in dem Nebenzimmer bleibt, damit wir sie nachher gleich wieder bei der Hand haben?«



»Jawohl,« nickte der Untersuchungsrichter; »die anstoßende Stube ist leer, sie kann dort warten.« – Er klingelte, und als einer der Leute eintrat, gab er Ordre, daß die Frau da nebenan einen Augenblick eintreten solle, bis sie wieder in ihre Zelle geführt würde. Noch ehe sie aber das Zimmer verlassen hatte, fragte er den Polizeidiener: »Ist das gnädige Fräulein von Wendelsheim erschienen, um ihr Silberzeug wieder in Empfang zu nehmen?«



»Jawohl, Herr Justizrath,« erwiederte der Mann, »sie ist eben vorgefahren.«



»Schön. So ersuchen Sie die Dame, einen Augenblick zu warten – oder es ist auch nicht nöthig,« setzte er hinzu. »Führen Sie nur die Frau ab; ich werde selber gehen.«



Die Heßberger war stehen geblieben, als sie den Namen hörte; jetzt biß sie die Zähne fest zusammen und folgte dem Manne.



»So,« sagte sie, als sie in's andere Zimmer trat, »und ist das etwa Gerechtigkeit? Das Frauenzimmer, weil sie hochadelig und vornehm ist, wird ersucht einzutreten, und fährt in ihrem Wagen vor, und mich behandelt man wie einen Hund, der aus einem Kasten in den andern geführt wird!«



»Wenn die gestohlen oder sonst ein Verbrechen begangen hätte, wie Ihr,« brummte der Mann, »so würde sie gerade so behandelt, und jetzt haltet's Maul und setzt Euch da auf den Stuhl hin, bis Ihr wieder gerufen werdet!« Und damit ging er wieder hinaus, schloß von außen die Thür, welche auf den Vorsaal führte, und ließ die Gefangene, mit Gift und bitterer Galle im Herzen, allein zurück.



Und hatte dieser Staatsanwalt, den sie haßte – haßte wie nur ein Weib hassen kann, nicht recht, wenn er sagte, daß sie doch für das Zuchthaus reif sei, mochte geschehen, was da wolle? Daß sie sich an den Diebstählen betheiligt, war nicht mehr abzuleugnen – die gefundenen Gegenstände zeugten klar genug gegen sie –, und was dann? Sie wurde eingesperrt und mußte Wolle spinnen, und wenn sie endlich wieder frei kam, wiesen die Kinder mit Fingern auf sie und schrieen: »Die – die kommt aus dem Zuchthaus, die hat gestohlen!« Und das Fräulein von Wendelsheim indessen fuhr in ihrer Kutsche vornehm an die Polizei heran, und die Leute, welche sie mit Verachtung behandelten, machten ihr eine Verbeugung. – Und für wen hatte sie Alles gethan? Für sich allein, für die lumpigen paar Tausend Thaler etwa? Und zeigte sich ihr jetzt auch nur Einer von A