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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika

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Auf dem Heimweg suchte nun zwar Leifeldt den Freund wieder auf die Geschichte seines Lebens zurückzubringen, aber der hielt ihm nicht Stand, sprang rechts und links ab, und war gerade heute so voll von tollen, lustigen Einfällen, daß es unmöglich schien, noch ein ernstes Wort mit ihm zu reden.

7
Der Verdacht

Die nächsten drei Tage war Don Gaspar übrigens nicht zu bewegen, seinen Besuch bei Newlands zu wiederholen, trotzdem sogar, daß ihm Leifeldt eine förmliche Einladung dorthin brachte – er entschuldigte sich mit einem peinlichen Kopfschmerz und trieb sich fast den ganzen Tag am Seestrand herum, einkommende Schiffe zu beobachten. Er war auch still und schweigsam dabei, und es schien fast, als ob nach einer zu starken Aufregung jenes Abends eine Abspannung gefolgt sei, die er sich nicht einmal die Mühe geben wollte, von sich abzuschütteln. Bei Newlands dagegen, bildete er fast den einzigen Punkt, um den sich die Unterhaltung drehte, und mochte das Gespräch, nach welcher Richtung es wollte, sich gewandt haben, der erste Schritt im Hause unten, das zufällige Öffnen oder Schließen einer Thür, brachte fast stets die Worte: »Sollte das Don Gaspar sein?« – Leifeldt war auch schon mehrfach gefragt worden, wie und wo er den Freund kennen gelernt habe, wußte aber die Frage immer zu umgehen und suchte nun auch seinerseits die alten Leute darin zu bestärken, Don Gaspar habe sich an jenem Abend mit der gräßlichen Geschichte – wo sie ja nicht anders denken konnten, als sein Zwillingsbruder sei für ihn erschlagen worden – einen freilich etwas entsetzlichen Spaß gemacht, während Jenny dagegen eben so bestimmt behauptete – und Leifeldt pflichtete ihr im Herzen schon fast bei – der Schluß des wahren Vorfalls sei ihm selber so furchtbar vorgekommen, daß er sich gescheut habe, sie mehr zu ängstigen, und lieber Alles das gewaltsam niederkämpfte, was ihm in dem Augenblicke sicher drohte die Brust zu zersprengen. – Der arme Mann, was mußte er seit der Zeit heimlich gelitten und mit sich herum getragen haben.

Erst am dritten Abend betrat Don Gaspar wieder das Haus der Newlandschen Familie, und dießmal bat er sich Leifeldt selber zur Begleitung an. Wenn die alten Leute aber auch oft und oft versuchten, wieder auf seine frühere Erzählung – bei der sie ihn versicherten, wie sie ihn vertheidigt hätten, zurückkamen, wußte er ihnen doch immer geschickt auszuweichen, und es war so augenscheinlich, daß ihm selbst eine Berührung jenes Abends wehe that, und Leifeldt wie Jenny suchten daher das Gespräch in anderer Richtung zu leiten und zu halten.

Von da an war Don Gaspar ein täglicher Gast in Newlands Haus, und während Leifeldt jetzt mehr und mehr Beschäftigung bekam, wie das Zutrauen in der Stadt zu ihm wuchs und seine Kenntnisse sich entwickeln und Bahn brechen konnten, saß er oft stundenlang mit Jenny am Schachbret, las irgend ein Buch mit ihr, oder erzählte den alten Leuten Abentheuer und Scenen aus seinem wunderbar bewegten Leben.

Er war von der Zeit an fast ein anderer Mensch geworden. – Ruhe und Friede schien in sein Herz eingekehrt, und was er auch früher gelitten und ertragen haben mochte, eine freundliche Gegenwart glättete die schmerzgefurchte Stirn, und das Auge lachte wieder, nicht in erkünsteltem, sondern in wirklichem Glück. Er zeichnete dabei kein einziges Glied des kleinen Familienkreises aus – fand er den alten Herrn allein, so saß er stundenlang mit ihm da und plauderte von Jagd und Ackerbau, von Viehzucht und Weinbau, für den sich der alte Gentleman besonders interessirte, und von der See und der fernen Heimath, – war die alte Dame gut aufgelegt dazu, und das geschah oft, so ging er eben so gern auf all die wunderlichen Kapitel ein, die sie, nach alter Gewohnheit, vor ihm herauf zu beschwören wußte, – dann erzog er mit ihr Kinder und mästete Gänse, legte einen Garten an, oder diskutirte die Vorzüglichkeit des javanischen vor dem brasilianischen Kaffee. – Mit Jenny war er derselbe, ihre Nähe schien aber einen besonders wohlthätigen Einfluß auf ihn auszuüben, kein wildes, aufloderndes Wort kam über seine Lippen, wenn er sich gerade allein mit ihr befand, was ihm sonst doch sogar in Gegenwart der alten Dame manchmal passirte, die aber ihre Freude daran hatte und dann immer meinte, es thäte ihrem alten Herzen ordentlich wohl, noch Feuer und Leben in der Jugend zu sehn und ihren Geist daran zu erwärmen. Aber auch selbst Jenny vergaß er manchmal, wenn ihm gerade die Lust anwandelte, mit dem Kinde zu spielen und er nun mit Bill in ausgelassener Fröhlichkeit in Haus und Garten herumtollte, daß selbst das Kind ihn manchmal ganz ehrbar bat, nicht einen solchen Spektakel zu machen, sondern ihm lieber eine kleine Geschichte, oder ein Märchen zu erzählen, wie er sie zu hunderten zu ersinnen und auszuspinnen wußte.

Anders war es aber mit der Familie selber, so herzlich Don Gaspar von Allen aufgenommen wurde, so erkannte das scharfe, so leicht mißtrauische Auge der Eifersucht bald einen Vorzug, den ihm die Jungfrau selbst vor den Übrigen einräumte. Ein wilder Schmerz durchzuckte Leifeldts Herz, als dort zum ersten Male der Gedanke an eine solche Möglichkeit aufstieg. Er war allein mit Jenny gewesen, und neben ihr sitzend hatte er angefangen von seinen Plänen und Hoffnungen zu plaudern, wie ihn das Glück hier in Valparaiso so weit über Erwarten begünstige, und wie er nun fast schon die Zeit berechnen könne, in der es ihm möglich sein würde, einen eigenen Heerd zu gründen. Das Herz lag ihm heute auf der Zunge, und der Muth fehlte ihm nur noch, dem holden Mädchen seine Liebe zu gestehen, und sie – nicht um ihre Hand zu bitten – der unbemittelte, junge Arzt durfte noch nicht wagen, das Geschick eines so lieben zarten Wesens an das seine zu knüpfen, ehe er ihm mehr als die Aussicht eines sorgenfreien Lebens bieten konnte – aber sie zu fragen, ob sie glaube, sich einst an seiner Seite glücklich fühlen zu können, und dann, mit solcher Gewißheit im Herzen, neuen Anstrengungen und Arbeiten in dem süßen, beseeligenden Gefühl entgegen zu gehen, das Ziel zu kennen, dem er zustrebe, und in ihm gerade sein ganzes Glück und Heil zu finden.

Ob Jenny fühlte, daß der bisherige Freund einer anderen Gestaltung ihres Verhältnisses entgegendränge, – ob sie diese Erklärung fürchtete, oder ihr nur ausweichen wollte in mädchenhafter Schüchternheit, aber sie war unruhig und befangen, stand oft auf, unbedeutende Sachen zu besorgen, und suchte wieder und immer wieder dem Gespräch eine andere, gleichgültigere Wendung zu geben, als plötzlich der Klopfer unten an ihrer Thüre ertönte, und gleich darauf des Spaniers rasche Schritte auf der Treppe gehört wurden.

»Don Gaspar,« rief Jenny, freudig überrascht von ihrem Stuhle aufspringend, zugleich aber dem Blick des jungen Schweden begegnend, war sie Weib genug, zu fühlen, wie wehe sie dem in diesem Augenblick gethan. – Das Blut schoß ihr in die Schläfe, und langsam den eben so rasch verlassenen Sitz wieder einnehmend, setzte sie leiser hinzu: »Er wird sich freuen, Sie hier zu finden.« —

Don Gaspar betrat gleich darauf das Zimmer, und das Gespräch drehte sich um gleichgültige Gegenstände; von dem Augenblicke an aber war der Same des Mißtrauens, der Eifersucht in das sonst so treue, ehrliche Herz des jungen Schweden gefallen, und schlug seine breiten Wurzeln da und wühlte und nagte in all seiner wachsenden Stärke und Furchtbarkeit.

Von dem Tage an war es um Leifeldts Frieden geschehen – je freundlicher, je herzlicher Jenny gegen ihn wurde, desto mehr zog er sich vorsichtig in die innersten Vesten seiner eigenen Brust zurück, denn was bis dahin seinem wachenden, sehenden Auge total entgangen, erschloß sich plötzlich dem von Argwohn bewaffneten Blick mit tödtlicher Schärfe. – Er sah, Jenny liebte den Freund, und das war der Todesstoß all seiner süßen, so heimlich und treu gepflegten Hoffnungen und Träume – das der Sturz seiner liebsten, seligsten Pläne.

Sonderbarer Weise blieb sich Don Gaspars Benehmen, der Jungfrau wie dem Freund gegenüber, vollkommen gleich; oft sahen sie ihn zwei oder drei Tage nicht, die er in der Nähe Valparaisos verbrachte – sein Lieblingsplatz war dann die Seeküste, von wo aus er halbe Tage lang kommenden Segeln entgegenschaute, und kehrte er endlich zurück, so betrug er sich gerade, als ob er nicht einen Augenblick abwesend gewesen wäre und irgend vermißt sein könnte.

Nicht so Jenny; – wie unbewußt sie sich auch bis dahin ihrem Herzen überlassen, so war sie seit jenem Abend, wo der erste mißtrauische Blick des jungen Arztes ihrer eigenen Seele Licht gegeben, ihr selbst gewissermaßen die eigene Brust erschlossen hatte, ganz still und schüchtern geworden, und eine fast krankhafte Erregung schien ihr sonst so heiteres, kräftiges Gemüth umhüllen – ertödten zu wollen. Das Mutterauge entdeckte auch bald die, wirklich auffallende Veränderung selbst in ihrem Aussehen, Jenny leugnete aber, sich anders, als vollkommen wohl zu befinden, und der deshalb von der alten Dame befragte Leifeldt erklärte ebenfalls die Blässe der Wangen, den fehlenden Glanz der Augen für ein leichtes Unwohlsein, das die nächsten Tage wieder heben könnten. Ach, ihm schnitten diese eingesunkenen Augen tief, tief ins Herz, und durfte er sagen, was sie verursacht hatte? – mußte er nicht dem eigenen, hoffnungslosen Schmerz da ebenfalls die Worte geben? – Und Jenny reichte ihm diesmal, als er von ihr ging, die Hand, und preßte sie leise – sie sprach kein Wort, aber dieser einzige Händedruck kündete ihm sein Loos deutlicher, als es Worte je im Stand gewesen – sie dankte ihm für sein rücksichtsvolles Schweigen – und er hätte vergehen mögen vor bitterem Weh.

So waren noch zwei Tage verflossen, und Leifeldt rang in dieser Zeit mit sich, ob er offen zu dem Freunde reden, oder dem Schicksal seinen ungestörten Lauf lassen solle. Mit seinem ganzen ehrlichen, offenen Wesen trieb es ihn, diesem ersten Gefühl zu folgen, immer aber warf er sich selber wieder ein, daß der Spanier die Liebe des jungen, engelschönen Mädchens noch gar nicht einmal zu ahnen scheine, und sollte er es sein, der da mit eigener Hand den Funken in die Pulverkammer schleuderte? – Er konnte sich, so oft er sich auch dazu überreden wollte, es sei das Beste, ja das Einzige, was ihm zuletzt zu thun übrig bliebe, doch immer und immer wieder nicht dazu entschließen, und zögerte damit so lange, bis er sich am Ende selbst wieder einredete, er habe sich doch vielleicht getäuscht, und noch liege die Möglichkeit vor ihm, die Geliebte seines Herzens einst auch die Seine nennen zu können.

 

So kam Jenny's Geburtstag heran, und Mr. Newland hatte in seinem Hause, diesen Tag zu feiern, eine kleine Festlichkeit angeordnet, zu der, außer mehreren anderen Bekannten, auch unsere beiden Freunde, wie der Buenos-Ayres Konsul, Don Guzman de Ribera, geladen waren.

Dieser begrüßte Don Gaspar wie einen alten Bekannten, – er wußte ja, der junge Mann war von Buenos-Ayres herübergekommen, und er selber, dort geboren, hatte noch zu viel Anhänglichkeit an die Stadt, nicht für jedes ein Interesse zu empfinden, das mit derselben, wenn auch in der entferntesten Berührung stand. Es war das eine Art Heimweh – wenn er sich des Gefühles selber auch kaum bewußt sein mag – wie es den Kamtschadalen an seine Eisfelder, den Sohn der Wüsten an die öden Sandflächen seines Vaterlandes bindet, und Don Guzman war noch dazu ein gar eifriger Anhänger des Diktators, und freute sich der Erfolge, die dieser errungen, mit sichtlichem Stolz.

Don Gaspar schien heute besonders guter Laune zu sein, und so viel Mal auch Don Guzman versuchte, seiner habhaft zu werden, ihm die allerneuesten Nachrichten von »der anderen Seite der Cordilleren« mittheilen zu können, wußte er ihm doch immer wieder zu entgehen, und dem Gespräch eine andere, allgemeinere Richtung zu geben.

Leifeldt dagegen zeigte sich still und zurückgezogen, der Freund hatte Jenny's Seite noch kaum verlassen, seit sie das Zimmer betreten hatten, und der junge Schwede versuchte umsonst der Gedanken ledig zu werden, die ihm mit immer herberer Pein das Herz durchzogen.

»Aber Señor Federigo ist heute Abend so mißgestimmt,« sagte endlich die alte Mrs. Newland, die sich bis dahin fast nur mit Don Gaspar und ihrer Tochter unterhalten hatte, und den jungen Arzt eigentlich erst jetzt in ihrem Gespräch vermißte – »segne meine Seele, ich weiß mich noch wahrlich nicht eines Wortes zu erinnern, das Sie heute den ganzen Abend gesprochen hätten – fehlt Ihnen etwas?« —

»Nicht das Mindeste,« lächelte Leifeldt, etwas verlegen aufstehend und sich ihr nähernd – »aber Sie waren Alle dort so gar lebhaft im Gespräch begriffen.« —

»Und dazu gehören Sie eben so gut, Mr. Leifeldt,« sagte Jenny, freundlich ihm die Hand reichend – »wir sprachen eben davon, wie glücklich wir uns schätzen dürfen, in einem fremden Lande so viele treue und liebe Freunde gefunden zu haben, und wie dankbar wir dafür unserem Schicksal sein müssen.«

»Das Wort Freundschaft ist ein wilder Begriff, Señorita,« erwiederte aber Don Gaspar rasch – »und unsere Sprache ist arm, daß wir nicht im Stande sind, dieß wunderlichste aller Gefühle in seine verschiedenen Klassen einzutheilen.«

»Und haben Sie verschiedene Klassen für Ihre Freundschaft, Don Gaspar?« frug ihn das schöne Mädchen lächelnd.

»Allerdings,« sagte der Spanier rasch – »und so streng geschieden von einander, wie sie das wunderlichste Gefäß im menschlichen Körper – das Herz – zu scheiden vermag – Freunde, die ihr Leben für mich lassen würden« – und er reichte, während er sprach, dem jungen Schweden die Hand – »und Freunde, die mich verfolgen mit – mit ihrer Liebe und mich gern unter die Erde drücken möchten vor lauter Herzlichkeit – Freunde, deren Lächeln schon das Blut in froher Brust durch meine Adern jagt, und Freunde, deren Kuß und Schwur es erstarren machen würde.«

»Und zu welchen dürfen wir uns da zählen?« frug Jenny leicht erröthend.

»Ich brauche Ihnen das nicht mehr mit Worten auszudrücken,« sagte Don Gaspar mit dem herzlichsten Tone seiner Stimme, und während er die Hand des Mädchens ergriff, bemerkte Leifeldt mit tiefem Schmerz, wie es die ganze Gestalt der Jungfrau, einem elektrischen Schlage gleich durchzuckte; »Sie haben mich hier Alle mit so unendlicher Freundlichkeit behandelt« – fuhr der Spanier dabei fort – »ich müßte ein Herz von Stein in der Brust haben, könnte es anders für Sie schlagen, als es thut – aber unser Gespräch wird zu ernst,« brach er dann rasch und plötzlich ab, und Jenny's Hand loslassend und die der Matrone ergreifend, setzte er lachend hinzu – »da, Mama hat schon Thränen in den Augen, und der dürfen wir doch wahrlich den heutigen, fröhlichen Abend nicht verderben.«

In diesem Augenblick wurde zu Tische gerufen, und Jenny trat fast unbewußt einen kleinen Schritt zurück, als ob sie sich der Aufmerksamkeit der Übrigen entziehen wollte, bis – Leifeldt wagte den Gedanken nicht auszudenken und wollte eben an die alte Dame hinantreten, dieser seinen Arm anzubieten, als Don Gaspar schon die Hand der Mrs. Newland in seinen Arm zog, Mr. Newland mit Don Guzman im eifrigen Gespräch langsam dem Speisezimmer zuschlenderte, und der junge Mann jetzt nicht umhin konnte, Miß Newland zu geleiten. Jenny wollte etwas sagen, als er sich ihr zögernd näherte, aber, ob sie fürchtete, ihm wehe zu thun, oder nicht das rechte Wort fand zu beginnen, sie schwieg, und ließ sich von ihm zur Tafel geleiten.

»Aber Don Gaspar,« begann hier Don Guzman, der dem Spanier gerade gegenüber seinen Platz hatte, wie sie kaum ihre Sitze eingenommen – »ich habe Ihnen noch gar nicht erzählen können, daß der chilenische Correo glücklich über die Berge von Mendoza herübergekommen ist, und die Post von ein paar Monaten mitgebracht hat; elf Tage war er in der dritten Casucha15 drüben im Schnee »verschlossen«, und ihr Chargue16 mußte er mit seinen Leuten zuletzt trocken kauen, sich nur am Leben zu erhalten – sie wären beinahe verhungert, und der Temporale17 soll furchtbar gewüthet haben.«

»Die armen Menschen,« sagte Jenny mitleidig – »es ist doch ein entsetzliches Brod, sein Leben auf jedem solchen Marsch tollkühn auf's Spiel zu setzen. Wie Viele sind schon dabei umgekommen, und immer und immer wieder giebt es Andere, die der wenigen Unzen wegen die Glieder dem Frost und Hungertode Preis geben.«

»Und Monte-Video ist immer noch nicht über?« sagte Leifeldt, dem es wohlthat, gerade in diesem Augenblicke mit dem Fremden ein Gespräch zu beginnen.

»Noch nicht, aber es kann sich keinesfalls lange mehr halten,« erwiederte Don Guzman zuversichtlich – »man spricht zwar von einem Waffenstillstand, ich glaube jedoch, daß ihn die Unitarier nur verlangen, zu kapituliren.«

»Und giebt es sonst nichts Neues in Buenos-Ayres?« frug Mr. Newland dazwischen, den Argentiner auf ein anderes Kapitel zu bringen, und nicht etwa genöthigt zu sein, die fremde Intervention mit ihm zu erörtern – »keine neue Revolution, keinen Überfall von Indianern?«

»Nichts derartiges,« lachte Don Guzman, »Se. Excellenz, der Gouverneur, hält die Zügel der Regierung zu straff für dergleichen Versuche.«

»Aber die Indianer haben sich doch schon einige Mal gegen ihn in das Feld geworfen,« warf Leifeldt ein – »die einzelnen Gaucho-Hütten überfallen, ja selbst die Städte bedroht und sogar der Argentinischen Cavallerie Stand gehalten.«

»Ist allerdings vorgefallen,« meinte achselzuckend der Konsul, »jetzt aber sind sie ruhig, und die Grenzbewohner werden wohl nicht wieder von ihnen beunruhigt werden. Nein, aber etwas anderes hatte die Stadt in jener Zeit aufgeregt, und es scheint wirklich seit lange Nichts die Bewohner von Buenos-Ayres in solch Erstaunen versetzt zu haben, als die Flucht eines Tollen aus einer Irrenanstalt – die Blätter sprechen fast von nichts Anderem.«

»Die Flucht eines Tollen?« riefen fast Alle wie aus einem Munde, und Leifeldt, dessen Blick wie unwillkürlich Don Gaspar suchte, sah, wie dieser in völligstem Gleichmuth ruhig, aber kaum bemerkbar vor sich hin lächelte, und mit der Gabel spielte.

»Und hat man ihn nicht wieder bekommen?« frug ängstlich Jenny.

Don Gaspar biß sich auf die Lippen.

»Nein,« versicherte Don Guzman – »merkwürdiger Weise ist er mit seinem Arzte, einem Schweden, Namens Stierna, entwichen, und obgleich man Anfangs alle Ursache hatte, zu vermuthen, Beide wären an Bord eines Schiffes gegangen, tauchte doch auch zu gleicher Zeit ein Gerücht auf, sie wären eine Strecke weit im Innern gesehen worden, und die Behörden, dadurch irre geleitet, scheinen ihre Spur bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden zu haben.«

»Heiliger Gott,« sagte Jenny schaudernd und deckte sich dabei ihre Augen mit beiden Händen – »ich glaube, ich würde selber wahnsinnig, wenn ich einem solchen entflohenen Tollen einmal plötzlich begegnete und ihm nicht mehr entfliehen könnte.«

»Haben Sie noch nie einen Wahnsinnigen gesehen?« frug Don Guzman.

»Nie – und Gott bewahre mich auch dafür,« erwiederte das Mädchen, schon in dem Gedanken an solchen Fall zusammenbebend.

»Aber, liebes Kind,« sagte die Mutter – »es giebt auch viele Leute mit einem stillen Wahnsinn, denen man es gar nicht so sehr ansehen kann, und die haben gar nichts Fürchterliches – nur manchmal werden sie gefährlich, wenn ihnen der Rappel kommt. Bei uns im Haus wohnte einmal ein solcher, aber Du warst noch klein und kannst Dich wohl nicht mehr auf ihn besinnen – er sprang später einmal aus dem Fenster und brach den Hals.«

»Es giebt überhaupt wohl keine Krankheit, die in so verschiedenen Gestaltungen und Variationen auftritt, als gerade der Wahnsinn,« nahm hier Mr. Newland das Wort, und Leifeldt hob den Blick fast unwillkürlich zu dem Freund auf, der jedoch vollkommen ruhig, ja fast gleichgültig zu dem Sprechenden hinüberschaute – »von dem Rasenden,« fuhr Mr. Newland fort, »der in seine Ketten beißt und schäumt, können wir die Grade hinunterführen bis zu dem Misanthropen, und während der Eine selbst dem unerschrockensten Menschen, dem, der jeder anderen Gefahr lachend und muthig entgegen gehen würde, mit unnennbarem, unlöschbarem Entsetzen erfüllt, treffen wir den Andern gar nicht so selten in unserer eigenen Mitte und die Krankheit, die ein Zufall vielleicht zum hellen Ausbruch geführt, schläft in ihm, nur ihm selber fühlbar, bis zu seinem Tode. Ich bin überzeugt, wir kommen mit hunderten dieser Art zusammen, ohne den Wurm zu ahnen, der in ihnen schlummert und vielleicht nur eines zufälligen Funkens bedurft hätte, zu lichter Lohe emporzubrennen.«

»Um Gottes Willen, Väterchen,« bat da das schöne Mädchen – »sage doch nicht so Entsetzliches – es wäre ja gräßlich, in jedem stillen Menschen einen angehenden Wahnsinnigen fürchten zu müssen – lachen Sie doch Don Gaspar, lachen Sie doch Doktor, mir läuft es wahrhaftig schon jetzt eiskalt über den Körper, wenn ich Sie Alle so still und ernsthaft da sitzen sehe.«

»Señor Newland macht sich über uns lustig,« sagte aber der Spanier lächelnd, indem er sich zu der Jungfrau hinüber bog, »er will mich von neulich in meiner eigenen Münze bezahlen – es hat überhaupt einen eigenen Reiz, sich vor etwas zu fürchten, und von dem Kind an verläßt uns das Gefühl nicht, bis zum Greisenalter; aber Don Guzman erzählt uns vielleicht ein wenig ausführlicher, wie es mit der Flucht des Verrückten zugegangen – hahaha, ich fange wahrhaftig selber an, mich für den Mann zu interessiren – und hat den eigenen Arzt mitgenommen, he?« —

»Den Arzt der Anstalt selber,« bestätigte der Argentiner – »man begreift eigentlich gar nicht, wie es möglich war, aber der Tolle muß ihm jedenfalls Versprechungen gemacht haben, und der Doktor ist noch toller gewesen, sie ihm zu glauben.«

Don Gaspar lachte laut auf, und Leifeldt schaute einen Moment etwas verlegen vor sich nieder – es war ihm nicht lieb, daß Don Gaspar so gewissermaßen muthwillig die Gefahr, verrathen zu werden, herausforderte. Niemand konnte allerdings in diesem Augenblick einen Verdacht haben, daß sie selber die Flüchtigen wären, und sogar im schlimmsten Fall ihrer Entdeckung reichte doch Rosas Arm nicht bis hier herüber, seinen Gefangenen zurückzufordern; nichts desto weniger brachte es sie in ein schlechtes Licht und – die Hauptsache – in das Gerede der Müßigen, weshalb also einen solchen Fall noch herausfordern.

 

»Aber in was bestand seine Tollheit?« frug jetzt der Spanier wieder, ohne den Blick des Freundes zu verstehen oder zu beachten, der ihn warnen wollte, zu weit zu gehen – »hat man nicht erfahren können, in welcher Art sie sich zeigte, daß selbst der Arzt darauf einging oder getäuscht werden konnte? und war der Mann überhaupt wahnsinnig?« – Er bog sich plötzlich vor und schaute den Konsul mit seinen großen dunklen Augen erwartungsvoll an – »man hat Beispiele, daß gesunde Menschen, ihrer etwas unbequemen Gegenwart enthoben zu sein, in solcher Art eingekerkert wurden und langsam und elend vergehen und verderben mußten.«

»Nein, nein,« rief Don Guzman rasch, »die Beweise lagen hier wohl zu klar auf der Hand. Vorher scheint irgend eine lange Geschichte gegangen zu sein, aus der man aber, den Zeitungen nach, nicht klug wird, nur so viel ist gewiß, daß der Kranke irgend einer hochgestellten Person – es ist nicht gesagt weshalb – nach dem Leben trachtete, auch schon in seiner Raserei viel Blut vergossen haben soll, so daß man allerdings nicht ohne Besorgnisse war, der Entflohene würde jenen wieder aufzufinden wissen.«

»Und diese hochgestellte Person?« frug Don Gaspar lauernd.

»Wurde nicht genannt,« erwiederte Don Guzman, »Sie wissen, daß die Zeitungen in Buenos-Ayres unter einer ziemlich strengen Censur stehen, und die Redakteure befassen sich nicht gern unnöthiger Weise mit wirklichen Namen, über die sie vielleicht einmal später könnten aufgefordert werden, Rechenschaft zu geben. Der des Entsprungenen soll Morelos gewesen sein.«

»Aber ich werde nun ernstlich böse, wenn Sie nicht die entsetzliche Unterhaltung schließen,« rief da endlich Jenny – »ist das ein Gespräch für ein Familienfest und wollen Sie mir denn mit Gewalt den Abend verderben?«

»Aber mein Fräulein – «

»Keine Einwendungen, Don Gaspar,« rief jedoch die junge Dame in halb scherzhaftem, aber auch entschiedenem Tone – »ich will gern eingestehen, daß ich eine furchtbare, vielleicht kindliche Angst vor einem Wesen habe, das ohne Geist – eine wandernde Leiche – umhergeht, ich kann nun einmal diesen Gedanken nicht los werden, und wer mir jetzt eine rechte Freude erweisen will, erzählt eine hübsche und muntere Geschichte, daß wir die trüben Schatten verscheuchen, die wirklich schon anfangen sich um uns zu sammeln.«

»Muntre Geschichten?« rief da Don Gaspar, rasch emporspringend, »da bin ich Ihr Mann – hol der Böse das Grillenfangen – wenn nicht der Humor manchmal dem Menschen zu Hülfe käme, es säh' schlecht in der Welt aus. – Aber der Ernst ist uns trotzdem dabei oft näher als wir denken, und der Tod schaut ins Fenster, wenn wir glauben die Sonne sei es.« —

»Aber Don Gaspar – «

»Ich kannte einen alten Musikus in Madrid – hahaha, ich muß jetzt noch lachen, wenn ich an den alten Burschen denke, und es sind lange, lange Jahre verflossen, seit sie ihn in sein letztes Bett hinaustrugen – der hatte einen unverwüstlichen Humor und eine Gabe zu erzählen, und das Erzählte mit Akkorden und kurzen Sätzen, Präludien und Nachspielen seiner Geige zu begleiten, daß man manchmal wahrhaftig gar nicht mehr wußte, ob er spielte oder erzählte, die Töne schienen mit zu sprechen, die Worte zu tönen und eine eigene barocke Manier, die er sich angewöhnt und mit der er das Producirte gewissermaßen von sich abstieß, riß seine Zuhörer, in ihrem wunderlichen Effekt nicht selten zum stürmischen Jubel hin. Als ich ihn das letzte Mal hörte, hatte er uns gerade eine Skizze seines eigenen Lebens erzählt, und während uns die Thränen aus den Augen liefen, denn er hatte genug erduldet für einen einzelnen Menschen, schrieen wir auch wieder vor Lachen; und wie er zuletzt mit dahineingreifenden tollen Akkorden schloß und dazwischen schrie und spielte, übertäubte das folgende Gelächter endlich jeden seiner Laute dermaßen, daß er wirklich stillschweigen mußte und eine Zeit lang ruhig sitzen blieb. – Als wir endlich wieder zu uns kamen und ihn bitten wollten, fortzufahren – war er todt. – Nein, Señorita – verlassen Sie uns nicht!« – rief er plötzlich, als Jenny eine Bewegung machte, als ob sie vom Tisch aufstehen wollte – »ich mache wieder gut, was ich gefehlt« – und aufspringend setzt er sich an das offene Clavier, auf dem er mit einem weichen Andante begann, die Töne aber mehr und mehr anschwellen ließ und endlich in einem wilden Allegro all die neckischen, englischen und irischen Melodien einflocht, die sie früher so oft mitsammen geübt und gesungen hatten.

Von dem Augenblick an war es auch, als ob ein ganz anderer Geist über die kleine Gesellschaft komme, Don Guzman, der noch einmal von dem entsprungenen Tollhäusler anfangen wollte, wurde gleich unterbrochen und in den Strudel eines anderen Gesprächs hineingerissen und vor Allen Don Gaspar hatte sich noch nie so liebenswürdig, ja förmlich ausgelassen gezeigt, als an diesem Abend. Er war unerschöpflich im Erfinden und Erzählen, und Jenny lachte und jubelte bald mit den Übrigen.

Es wurde spät und Don Gaspar selber mahnte mehrmals an den Aufbruch, Jenny aber bat immer wieder, nur noch ein ganz klein wenig zu bleiben, und des Spaniers Herz hätte müssen von Eisen sein, wenn er solcher Bitte widerstehen gekonnt.

Eigenthümlich war dabei das Benehmen Don Guzmans, der anfänglich, und zwar schon den ganzen Abend hindurch, Don Gaspar stets, wenn er sich besonders unbemerkt glaubte, aufmerksam fixirte und vorzüglich Leifeldt dadurch beunruhigte, der nicht mit Unrecht fürchtete, der Argentiner habe einen, wenn auch vielleicht noch vollkommen unbestimmten Verdacht gefaßt, der wohl noch durch das anfänglich wunderliche Betragen Don Gaspars verstärkt werden mochte. Wie aber die Laune desselben sich mehr und mehr den Abend hindurch entwickelte, schwand auch augenscheinlich dieses Gefühl, der sonst ziemlich ernste Argentiner wurde freundlich und zutraulich, und als der Wein erst die Köpfe ein wenig erwärmt hatte, war er mit dem Spanier so befreundet worden, daß er sich zu ihm setzte, und die beiden Männer lachten zusammen, daß ihnen die Thränen aus den Augen liefen.

Leifeldt wurde allerdings von der lebendiger werdenden Unterhaltung unwillkürlich mit fortgerissen, aber der einmal gefaßte Verdacht, daß Jenny nicht ihn selber, sondern den Freund liebe, verbitterte ihm nicht allein den Abend, sondern füllte sein Herz auch mit recht tiefem, schmerzlichem Weh. Er wußte es wohl, er hatte es sich schon in den letzten Wochen nicht mehr gut fortleugnen können, aber immer noch schien eine schwache Hoffnung ihn über Wasser gehalten zu haben, heute aber schwand auch diese, und Jennys ganzes Benehmen, jeder schüchterne Blick, wenn sie sich unbeobachtet glaubte – ihr Erröthen, ihr Erblassen in den Erzählungen seines eigenen Lebens, warfen ein furchtbares, aber nur zu treues Licht in seine Seele.

Mit diesem Bewußtsein faßte er nun aber auch den festen Entschluß, zu dem Freund zu sprechen – er wollte wissen, was der Spanier zu thun beabsichtige – er wollte seine Plane hören, denn nicht an ein leichtsinnig Spiel dieses Mannes sollte das Herz, das einstige Glück dieses Mädchens gebunden werden. Erst dieser Entschluß brachte aber auch seiner Seele wieder die volle Ruhe und jede Schwäche von sich abschüttelnd, fühlte er, wie er das schöne Mädchen wirklich aufrichtig genug liebe, ihr freudig das eigene Glück zum Opfer zu bringen und über ihr künftiges Leben mit treuer Freundes Sorgfalt zu wachen. So in sich selbst erstarkt, nahm er mehr und mehr an dem Gespräche Theil, und die alte Mrs. Newland, die ihn besonders in ihr Herz geschlossen, versicherte ihm noch, bevor sie Abschied nahmen, »daß es ihrer Seele wohl thäte, den guten Doktor auch einmal wieder so frisch und fröhlich bei sich zu sehen; – der Don Gaspar,« setzte sie dann in ihrer Gutmüthigkeit hinzu – »ist doch ein herrlicher Mensch, er bringt Leben und Bewegung in eine ganze Gesellschaft, nur ein Bischen zu toll treibt er's manchmal, und heute Abend besonders macht er doch die ausgelassensten Streiche – segne seine Augen, ich bin ihm ordentlich gut.«

15Die kleinen Steinhütten in den Cordilleren, zum Schutz der Reisenden errichtet.
16Getrocknetes Fleisch, ziemlich der einzige leicht tragbare Proviant unterwegs.
17Schneesturm.